DER WEG DER REPARATION DER WEG DER REPARATION VON VERSAILLES ÜBER DEN DAWESPLAN ZUM ZIEL VON CARL BERGMANN 4.2.0 | LEERE SERSGESGROEE:HEIPESTICHRESERHERSTESGETERISZICHEREEEHEREEHESEUEEE RS nennen RE URTER SOCIETÄTS-DRUCKEREI G.M.B.H,, BTEILUNG BUCHVERLAG, FRANKFURTAM MAIN ALLE RECHTE VORBEHALTEN COPYRIGHT 1926 BY FRANKFURTER SOCIETÄTS - DRUCKEREI G,M. B.H, FRANKFURT AM MAIN IE FETSVERZEICHNIS VORWORT Teil I 9 VON VERSAILLES ZUM LONDONER ULTIMATUM . Kapitel: Das Wilson-Programm . Kapitel: Die Vorschriften des Vertrages . ‚ Kapitel: Die Errichtung der Reparationskommission ‚ Kapitel: Die Sachlieferungen bis zur Konferenz von Spa . . Kapitel: Die Konferenz von Spa . | . Kapitel: Die Konferenz von Brüssel an ra oo DD » . Kapitel: Der Plan Seydoux und die Pariser Beschlüsse vom 29, Januar 1921 . ' je) . Kapitel: Die Londoner Konferenz 1, bis 7. März 1921 . 9, Kapitel: Die Festsetzung der Reparationsschuld und der Londoner Zahlungsplan vom 5. Mai 1921 Be, Teil I 17 23 40 44 52 66 76 88 95 DIE POLITIK DER ERFÜLLUNG UND DER KAMPF | UM DAS MORATORIUM 10, Kapitel: Die Zahlung der ersten Milliarde Goldmark , 11, Kapitel: Die Sachleistungen nach den Vorschriften des Vertrages von Versailles Br 12, Kapitel: Das Wiesbadener Abkommen vom 6, und 7. Oktober 1921 13. Kapitel: Restitution und Substitution 109 114 122 128 14, ‚ Kapitel: Der Marksturz und die Vereinigten Staaten . 16, 17, 18, 19, 20, 21. 22, 23. 24, 25, 26, 21. 28, 29, Kapitel: Der erste Antrag auf Stundung . Kapitel: Von Cannes bis Genua Januar bis April 1922 Kapitel: Rapallovertrag und Reparation Kapitel: Das Anleihekomitee der Reparationskommission Kapitel: Der zweite Antrag auf ein Moratorium — Die Politik der „produktiven Pfänder“ Kapitel: Die Nebenleistungen aus dem Vertrage von Versailles . Kapitel: Die Zeit der Reparationspläne , Kapitel: Die Pariser Konferenz vom 2, bis 4, Januar 1923 Teil II BE BESETZUNG DES RUHRGEBIETS Kapitel: Gewalt und passiver Widerstand , Kapitel: Vergebliche deutsche Angebote — Vergebliche englische ee ee Kapitel: Die Einstellung des passiven Widerstandes . Kapitel: Die Reform des deutschen Geldwesens und des Reichs- haushalts — Die Micumverträge Teil IV DER DAWESPLAN Kapitel: Die Aufgabe der Sachverständigen . ee der Aufgabe... . 2 3 nn a. Annuitäten 289 — Index 292 — Leistungen neben der Reparation 294 — Uebergangsjahre 295 — Transfersystem 299 — Dauer der Zahlungen 303 — Sachleistungen 304 — Sicherheiten 306 — Gold- notenbank 307 — Organisation 309 Kapitel: Die Annahme des Gutachtens und die Londoner Konferenz vom 16. Juli bis 16. August 1924 nn nn, Der Bericht des Dawes-Komitees 311 — Der Bericht des Mc Kenna- Komitees 313 — Die Vorbereitung der Londoner Konferenz 315 — Die Londoner Konferenz 320 130 135 146 158 165 176 185 188 206 238 253 258 271 284 DEE 30, Kapitel: Die deutschen Reparationsgesetze . al, Gesetz über die Industriebelastung und ndustriebelastung 333 — 3. Gesetz Gesellschaft und deren Satzung 337 des Reichshaushalts 339 1, Bankgesetz 331 — 2. Gesetz zur Aufbringung der I über die Deutsche Reichsbahn- __ 4, Die verpfändeten Einnahmen ‘tel: Die Ausführung des Planes . Ne Be 0 341 — Die Organe der ‚Pepsrahıon a Das Verfahren bei den Sachleistungen 344 — Die Abgabe von er deutschen Einfuhr (Reparation Recovery Act) 348 a Die Kein der Reparationsleistüngen 352 — L Forderungen mit Vorrecht 3 __ IL Forderungen ohne Vorrecht 355 — Die Ergebnisse des ersten Jahres 356 Teil V DER AUSBLICK AUF DAS ZIEL 32. Kapitel: Das Transferproblem 33, Kapitel: Ein Weg zur Lösung . SACHREGISTER REPARATIONSDATEN 331 341 363 381 395 403 We m VORWORT Am 1, September 1925 war der „Dawesplan ein Jahr lang in Kraft, Unter diesem Namen kennt man allgemein das Ab- kommen über die Reparation, das am 16. August 1924 in London zwischen den alliierten Regierungen, Deutschland und der Repa- rationskommission geschlossen ist, und das sich auf. das Gut- achten des von der Reparationskommission berufenen Aus- schusses von Sachverständigen vom 9, April 1924 gründet. Der erste Jahresabschluß des Dawesplanes ist nicht allein durch seine wirtschaftlichen und finanziellen Ergebnisse be- merkenswert. Er hat auch eine weitgehende politische Bedeutung. Denn gemäß den in London getroffenen Abreden sind bis zum Ende dieses ersten Jahres alle die deutschen Gebiete wieder freigegeben und militärisch geräumt worden, welche die Alliier- ten seit dem Vertrage von Versailles strafweise besetzt hatten. Damit ist endlich der vertragsmäßige Zustand wieder hergestellt, Aus dem Ruhrgebiet und den Städten Düsseldorf, Duisburg und Ruhrort sind die fremden Truppen abgezogen, Das alles sieht heute schon beinahe selbstverständlich aus. Welch eine verwirrende Fülle von Ereignissen aber darin liegt, des werden wir uns erst dann wieder bewußt, wenn wir um die kurze Spanne zweier Jahre zurückdenken. Damals herrschte ‚das Chaos, Deutschlands Wirtschaft und Geldwesen waren voll- kommen zerrüttet. Die Bewegung des Abfalles, die in den be- setzten Gebieten ungehemmte Bahn fand, drohte binnen kurzem den Reichskörper zu zersprengen. Das Ende Deutschlands schien besiegelt zu sein. Und mit einem Schlage wurde. alles anders. Die politische und wirtschaftliche Einheit Deutschlands ist gefestigter als je seit dem Ende des Weltkrieges, sein Geldwesen ist geordnet, der Reichshaushalt im Gleichgewicht. Der unselige Kampf um die Reparation, der fünf Jahre hindurch die Welt in Atem gehalten und die Gesundung Europas verhindert hat, ist durch die Einigung der Sieger mit den Besiegten auf absehbare Zeit beigelegt, Das Problem der Reparation hat wenigstens vorläufig eine praktische Lösung gefunden. Der Umschwung der Dinge in den beiden letzten Jahren ist so verblüffend, daß es noch immer vielen schwer fällt, daran zu glauben, daß eine neue Zeit angebrochen ist, und daß nun endlich die Hoffnung auf die Wiederkehr ruhiger und geordneter Verhältnisse berechtigt wird. Das Heer der Zweifler in beiden Lagern wird um so eher schwinden, je mehr die politische Ent- spannung zwischen den Völkern zunimmt, In Locarno ist darin soeben ein vielversprechender Fortschritt erzielt worden. Die Regelung der Reparation, die weder im Wege der Ver- . handlungen zwischen den beteiligten Mächten, noch durch An- wendung brutaler Gewalt auch nur einen Schritt gefördert werden konnte, solange in den Köpfen der politischen Führer der Sieger- mächte laienhafte Vorstellungen von ungezählten Milliarden spukten, ist in dem Augenblick gelungen, als die unerbittliche Logik der wirtschaftlichen Gesetze die alliierten Regierungen dazu brachte, den Rat wirtschaftlich kundiger Männer anzurufen und zu befolgen. In dreimonatiger angestrengter Arbeit haben die Sachverständigen des Daweskomitees ihre Aufgabe in einer Weise gelöst, welche die höchste Anerkennung verdient, wenn- gleich ihr Werk natürlich nicht beide Teile vollkommen zufrieden- stellen konnte, Diese Leistung ist jedoch nur möglich gewesen, weil die Sachverständigen nicht versucht haben, einen voll- kommen neuen Weg für die Lösung der Reparationsfrage zu finden, und weil sie einsichtig genug waren, auf den Erfahrungen der Vergangenheit aufzubauen, In allen Teilen ihres Planes finden wir Gedanken wieder, die bereits im Verlaufe der früheren Repa- rationsverhandlungen von Sachverständigen der beiden Seiten vorgebracht und begründet waren. Die Bausteine für das Werk 10 en ren sie jeweils mit den Ein- Zr. ._ e | die . ie in Stücke En aa Trümmer auf dem Schicksalswege der Es ist das bleibende m u ar rümmern die besten Dauste - Berewes, a in en Bond zu ihrem kunstvollen u So ist der Dawesplan ein Monument der voran- Bee Festen für die Lösung des Problems erg ee der Geschichte der Reparation ist ein voll- REN Verständnis des Planes Baum ae Be Aber nicht in der re zen une nn ie i | e um di aralı en "sa erg er herangezogen werden müssen, - en n auftauchende Schwierigkeiten in der Ben Nr tee zu überwinden. Das © > Dawesplanes bietet auf dem mühevollen Wege nd i en er ncigen haben selbet klärt, daß nicht erreicht. Die Sachverständig | De, ' keine endgültige Lösung der Reparation ie Ben Br er allem die Festsetzung der Bee Be et land an Reparation zu en hat. ae wer er zn er Ü 1 che eise und in welche h se, nen Euer ——.. jährlich als Seragle" ae zahlen hat, tatsächlich in das Ausland abgeführt ven men ohne daß die Wirtschaft des Schuldners und der Emp ' . Schaden erleidet. inoN der Reparation geht also weiter. Wir OR . einem Punkte angelangt, von dem aus wir die zurüc ge vn Strecke gut überschauen und den Rest des Weges sorgsa | Öönnen. | zn. es unternommen, in dem vorliegenden Werk eine Uebersicht über die Entwicklung der Reparation bis zum Berner Tage zu geben und auf Grund der vorliegenden agree. ” Ziel anzudeuten, dem wir zur endgültigen Lösung des ei e zustreben sollten. Dabei sind auch andere wichtige \ e gestreift, die nicht zum Reparationsproblem gehören, aber m 11 griffen geschlagen und lagen Reparation verstreut. ihm in engerer Beziehung stehen. Ich bin darauf jedoch nur so weit eingegangen, als es nötig erschien, um diese Zusammenhänge zu verstehen. Denn die Fülle des Stoffes zwingt zur straffen Be- schränkung auf das eigentliche Thema, Ich glaube, daß meine Arbeit einem Bedürfnis entspricht. Zwar liegt bereits eine große Anzahl von verdienstlichen Arbeiten und Untersuchungen über die Reparation vor. Die Reparationskommission selbst hat wertvolles Material über ihre Tätigkeit veröffentlicht. Vor allem ist über den Dawesplan, seine Organisation und seine Wirksamkeit viel geschrieben worden. Es fehlte bisher aber immer noch eine vollständige Geschichte der Reparation, die den Ereignissen von Beginn an nachgeht und zeigt, wie sie sich fortlaufend entwickelt haben und ineinander- greifen. Ich habe geglaubt, mich dieser Aufgabe unterziehen zu sollen, weil ich — erst als Vertreter der deutschen Regierung bei der Reparationskommission und später als deutscher Vertrauensmann bei den Verhandlungen mit den alliierten Regierungen, der Reparationskommission und dem Komitee der Sachverständigen — von Anfang bis zu Ende die Entwicklung der Reparations- frage genau verfolgen konnte. Ich wollte sachlich, einfach und klar schreiben, nicht nur für die Kenner der Reparation, denen ich immerhin manches Interessante zu bringen hoffe, sondern für jedermann, der das wichtigste wirtschaftliche Problem der Zeit nach dem Weltkriege gründlich kennenlernen und verstehen möchte, Wenn mein Werk aber von weiteren Kreisen gelesen werden soll, so mußte ich zwei Klippen vermeiden: ich durfte das allgemeine Interesse nicht mit allen Einzelheiten ersticken, welche auf Grund der weitver- zweigten Bestimmungen des Vertrages von Versailles jahrelang zwischen Deutschland und der Reparationskommission in mühe- voller Arbeit erörtert worden sind, Vielmehr mußte ich sorgsam darauf achten, eine große und klare Linie innezuhalten und alles, was nicht für das Verständnis wesentlich ist, beiseite zu lassen. Ich hoffe, daß meine Arbeit dadurch nicht an Vollständigkeit verloren hat. 12 t noch größere Schwierigkeit lag in der tschaftliche Problem der Reparation Streit der ehemaligen en eist so entstelli inei _ und in der Oeffentlichkeit meis | en iedem, der sich mit der Reparation bat Be Vorwurf einseitiger Stellungnahme gemacht worden ist, Ich Ei davon ausgegangen, daß eine Darstellung der Reparations- schicke nur dann für die endgültige are en | | Ä ' ichtet, irgendwe ein kann, wenn sie darauf verzichtet, | Zwecken zu dienen, und die Dinge ohne Vorurteil d ohne Parteinahme behandelt. N in > Was not tut, ist, die Wahrheit zu finden und die Wahrheit zu Eine zweite, vielleich Art der Darstellung. Das wir ist derart in den politischen sagen. Bei der Durchsicht des vorliegenden Werkes hat mir mein früherer Mitarbeiter, Oberregierungsrat Dr. Hans Meyer, er seiner reichen Erfahrung heraus manch klugen Rat gegeben. c möchte ihm an dieser Stelle für seine freundschaftliche Unter- stützung herzlichen Dank sagen. in, i tober 1925. Berlin, im Oktober ._ 13 h 5 & ) ak vorm Anm 2 reeeeer et ERSTES KAPITEL DAS WILSON-PROGRAMM Das Wort Reparation ist seit dem Ende des Weltkrieges zu einem ganz bestimmten Begriff geworden. Man versteht darunter - die Verpflichtung der besiegten Staaten, in erster Linie Deutsch- lands, die Kriegsschäden der Sieger wieder gutzumachen. Das vorliegende Werk behandelt allein die Reparation, welche Deutschland nach dem Vertrage von Versailles vom 28. Juni 1919 obliegt. Um die Bestimmungen dieses Vertrages richtig zu ver- stehen, müssen wir etwas weiter zurückgreifen. Der Ursprung der Reparation liegt in dem historisch gewordenen Friedens- programm des Präsidenten der Vereinigten Staaten Wilson, auf Grund dessen Deutschland sich im Oktober 1918 zur Ein- gehung des Waffenstillstandes bereit erklärte, Zu den vierzehn Punkten des Wilson-Programms gehörte die Forderung, daß die besetzten Gebiete wiederhergestellt werden müßten. Im Laufe * der Unterhandlungen über den Waffenstillstand ließ Wilson im Namen der verbündeten Mächte durch die Note des Staats- sekretärs Lansing vom 5. November 1918 erklären, die Wieder- herstellung der besetzten Gebiete sei dahin zu verstehen, daß Deutschland für jeglichen Schaden, welcher der zivilen Be- völkerung der verbündeten Regierungen und ihrem Besitz durch “ den Angriff Deutschlands zu Lande, zu Wasser und aus der Luft zugefügt worden sei, Schadenersatz zu leisten habe. Dem hat sich Deutschland unterworfen, und damit war von Rechts wegen Seine Reparationspflicht genau begrenzt. Es wäre der Mensch- heit viel Leid erspart geblieben, wenn die Friedensbedingungen Bergmann, Der Weg der Reparation 2 17 der Alliierten diese mit Deutschland vereinbarten Grenzen nicht überschritten hätten. Das Problem der Reparation wäre dann nicht so unsagbar schwer geworden und viel früher lösbar ge- wesen. So aber verließen die Alliierten den Boden des Wilson- Programms in dem Augenblick, als sie erkannten, daß Deutsch- land völlig wehrlos war und allen ihren Forderungen mit ge- bundenen Händen gegenüberstand, Die Reparationspflicht Deutschlands ist auf Verlangen von Clemenceau schon in das Abkommen über den Waffenstillstand vom 11, November 1918 aufgenommen worden, obwohl die Reparation, wie Lloyd George damals richtig bemerkte, mit dem Waffenstillstand nichts zu tun hatte, sondern in den Friedens- vertrag hineingehörte, Artikel 19 des Abkommens über den Waffenstillstand verlangte unter der Ueberschrift „Finanzielle Bestimmungen” kategorisch Schadenersatz und bestimmte, daß während der Dauer des Waffenstillstandes Deutschland keine öffentlichen Werte be- seitigen dürfe, die den Alliierten als Sicherheit für die Deckung der Kriegsschäden dienen könnten, Er verlangte weiter sofortige Zurückerstattung des Kassenbestandes der belgischen National- bank und Rückgabe aller Dokumente, baren Gelder und Wert- papiere, welche öffentliche und private Interessen in den besetzten Gebieten beträfen, Daraufhin hat Deutschland innerhalb weniger Tage mehr als 8,5 Milliarden Franken an beschlagnahmten Wert- papieren und in Verwahrung genommenen Wertsachen zurück- erstattet, Ferner wurde die Rückgabe des russischen und des rumänischen Goldes verlangt, das von den Deutschen beschlag- nahmt oder ihnen ausgeliefert war. Jede spätere Nachforderung der Alliierten und der Vereinigten Staaten wurde ausdrücklich vorbehalten, Deutschland mußte eine gewaltige Menge Kriegsmaterial und alle Unterseeboote ausliefern, es mußte die deutsche Hochsee- flotte teils abrüsten, teils internieren lassen und wurde außerdem zur Lieferung von 5000 Lokomotiven, 150 000 Eisenbahnwagen und 5000 Lastkraftwagen sowie zur Abtretung der elsaß-loth- ringischen Eisenbahnen mit ihrem gesamten Material verpflichtet. 18 Hierin lag die Vorwegnahme der Reparation von Transportmitteln in Höhe von mehreren Milliarden Goldmark,. In den Verträgen über die Verlängerung des ne. stillstandes, der zunächst immer nur auf etwa einen Monat ab- geschlossen wurde, sind die Reparationsansprüche weiter ausgebaut worden.. Das Finanzabkommen von Trier = 13, Dezember 1918 verhängte eine förmliche Sperre über | eur Metallbestand des Reiches und der Reichsbank, sowie 2 x ie fremden Wertpapiere und Guthaben, die der Regierung un 2 öffentlichen Kassen gehörten. Die deutsche Regierung mußte . sogar verpflichten, für fremde Wertpapiere und Guthaben, die sich im Besitz von Privatpersonen oder Gesellschaften befanden, ohne vorheriges Einvernehmen mit den Alliierten keine Ausfuhr- erlaubnis zu erteilen. Der Versuch der französischen Regierung, auf diese Weise durch einen besonderen Finanzkommissar eine allgemeine Kontrolle über die deutschen Finanzen einzuführen, scheiterte damals an dem Widerstand des amerikanischen Dele- sierten Norman Davis. Ein weiteres Abkommen zu Trier vom 16, Januar 1919 legte Deutschland als Strafe für nicht recht- zeitige Lieferung des Eisenbahnmaterials die Verpflichtung auf, viele Tausende von landwirtschaftlichen Maschinen und Geräten herzugeben. In der Zeit des Waffenstillstandes bis zum Friedens- schluß wurde es immer deutlicher, daß die Reparationsforde- rungen der Alliierten über das Wilson-Programm weit hinaus- gehen würden. Man verlangte nunmehr ganz offen den Ersatz _ aller Kriegskosten der verbündeten Mächte. In einer Rede in Bristol am 11. November 1918 stellte sich auch Lloyd George grundsätzlich auf diesen Standpunkt, wobei er die englischen Forderungen allein auf acht Milliarden Pfund Sterling bezifferte. Bei den Beratungen der alliierten Kommission für Schadenersatz, die vom 1. Februar 1919 ab in Paris tagte, begründeten die drei englischen Delegierten: der australische Premierminister Hughes, Lord Sumner und Lord Cunliffe, den Anspruch der Alliierten auf den vollständigen Ersatz der gesamten Kriegs- Rosten als Recht des Siegers nach internationalem Brauch. Die e 19 Amerikaner bekämpften diese These, traten aber für den Ersatz sämtlicher Kriegsschäden ein, Dieser Zwiespalt der Siegermächte übertrug sich im März 1919 auf den Obersten Rat der Alliierten, wie man die Sitzungen der vier Premierminister von Frankreich, England, Italien und Amerika nannte, Frankreich lehnte es ab, für das Ausmaß der Reparation die deutsche Leistungsfähigkeit zugrunde zu legen. Die amerikanische Delegation bestand bis zum Schlusse darauf, daß die Grenzen des Wilson-Programms nicht überschritten werden dürften. Die Lage wurde so kritisch, daß ein offener Bruch zwischen den Verbündeten und Amerika kaum vermeidbar schien. Schließlich änderten Lloyd George und Clemenceau ihre Taktik. Es gelang ihnen, Wilson persönlich zu überzeugen, daß alle Reparationsforderungen, die sie stellten, einschließlich des Ersatzes der Militärpensionen, als Schadens- ansprüche der zivilen Bevölkerung anzusehen seien. So kam es schließlich in Versailles zu einer Einigung der Sieger, bei der das Wilson-Programm nur dem Schein nach aufrechterhalten, in Wirklichkeit aber vollkommen aufgegeben war. Die Hauptsache, nämlich der Gesamtbetrag der deutschen Reparationspflicht, wurde trotz lebhaften Widerspruchs der amerikanischen Delegierten nicht festgesetzt, sondern offen ge- lassen. Es ist schwer, sich heute in die Verblendung hineinzudenken, in welcher die Leiter der alliierten Mächte Deutschland damals die Friedensbedingungen diktierten, ohne sich um die Möglichkeit ihrer Ausführung Sorge zu machen, Sie und die Welt mit ihnen hatten im Verlaufe der Kriegsjahre, in denen unerhörte Beträge an Kriegsausgaben und Schulden aufgelaufen waren, jeden Maßstab für finanzielle Dinge verloren, Man hatte den alliierten Völkern immer wieder versichert, daß Deutschland die gesamten Kriegslasten zu zahlen haben würde, und man fand in Versailles weder die Einsicht noch den Mut, zu bekennen, daß die hochgespannten Erwartungen auf die deutsche Kriegsent- schädigung wesentlich heruntergeschraubt werden müßten. Diesen Mangel an Erkenntnis und Entschlossenheit haben Sieger und Besiegte in den Jahren des Kampfes um die Reparation gleich teuer bezahlen müssen, 20 i rseschichte des Versailler Vertrages ist in zahlreichen en von alliierter Seite eingehend dargestellt und daher hier nur so weit angedeutet, als es zum Verständnis der Reparationsgeschichte nötig ist. Wie weit das Kompromiß von Versailles hinter den Forderungen der einzelnen Alliierten zurückbleibt, ergibt sich besonders aus dem Vorprojekt für die finanziellen Bedingungen, das der französische Finanzminister Klotz am 12. April 1919 dem Obersten Rat vorlegte. Danach sollte Deutschland auf seine Reparationsschuld eine re von 24 Milliarden Goldmark leisten, und zwar 16 Milliar en binnen drei Monaten, die restlichen 8 Milliarden binnen nr Jahre nach dem Abschluß des Vertrages. Vom zweiten Jahre an sollten Jahreszahlungen stattfinden, die mit 8 Milliarden be- ginnen und jährlich mit 2 Prozent steigen sollten. Die Anzahl der Leistungsjahre sollte durch eine interalliierte Kommission fest- gestellt werden. ai üe) Während die Alliierten sich in Paris gegenseitig mit ihren Ansprüchen an Deutschland überboten, bereitete man sich in Berlin, unbeirrt durch tägliche Straßenkämpfe und schwere Nahrungssorgen, gleichfalls mit großem Eifer für die Friedens- konferenz vor. Wenn das deutsche Volk auch nicht ohne Besorgnis die Nachrichten aus dem Auslande verfolgte, nach denen in öffentlichen Reden und Presseartikeln viele hundert Milliarden Mark Kriegsentschädigung verlangt wurden, so hegte es doch ein beinahe gläubiges Vertrauen darauf, daß der Präsident Wilson seine vierzehn Punkte den Alliierten gegenüber durchsetzen und dem geschlossenen internationalen Abkommen gemäß die Repa- _ ration auf den Ersatz der Schäden in den zerstörten Gebieten Frankreichs und Belgiens beschränken werde. Es ist im Hinblick auf die spätere Entwickelung der Repa- rationsfrage und zum Vergleich mit dem Dawesplan von Interesse festzustellen, daß man im Reichsschatzamt, dem späteren Reichs- finanzministerium in Berlin, bereits Ende Dezember 1918 mit einer Reparationssumme von 30 Milliarden Goldmark rechnete. Man war darauf gefaßt, daß dieser Betrag Deutschland beim Friedensschluß auferlegt werden würde, und man beschäftigte 21 sich sehr eingehend mit dem Problem, auf welche Weise die Zahlung möglich sein würde, Eine damals im Reichsschatzamt entstandene Denkschrift kam zu dem Schluß, die Reparation könne weder durch Barzahlungen, noch im Wege einer Anleihe, noch endlich ohne schwere Gefahren für die Wirtschaft der Alliierten und Deutschlands durch Sachlieferungen geleistet werden. Vielmehr sei die einzig richtige Art der Reparation darin zu erblicken, daß Deutschland verpflichtet werde, die entstandenen Schäden durch eigene Arbeit wiederherzustellen, wobei außer dem eigentlichen Wiederaufbau auch große Lieferungen von Roh- stoffen, Baumaterialien und Schiffen in Betracht kommen könnten. Mit solchen Ideen über die Reparation ging die 200 Köpfe starke deutsche Delegation am 27. April 1919 zur Friedens- konferenz nach Versailles, Dort wurde sie von der Außenwelt sorgfältig abgeschlossen. Am 7. Mai wurden ihr endlich die Friedensbedingungen übergeben. Jede Möglichkeit zur Verhand- lung wurde von vornherein abgelehnt. Die Deutschen durften ihre Bemerkungen zu den Bedingungen nur schriftlich machen. So sind denn auch die Vorschriften über die Reparation bis auf gering- fügige Aenderungen mehr formaler Art im Vertrage von Versailles genau so geblieben, wie sie ursprünglich übergeben waren. Daß die Alliierten in Versailles jede Verhandlung über den Frieden unmöglich machten, hatte seinen Grund zunächst darin, daß sie die deutsche Delegation als Vertreter eines verbreche- rischen Volkes ansahen, das einfach abgeurteilt werden sollte und. vor Verkündung des Urteils nur das Recht bekam, sich auf die Anklage zu äußern. Ebenso sehr aber hat wohl auch die Be- fürchtung mitgespielt, daß jede Verhandlung mit den Deutschen den nur mühsam überbrückten Zwiespalt zwischen den einzelnen Alliierten und Amerika wieder aufreißen würde, 22 ZWEITES KAPITEL DIE VORSCHRIFTEN DES VERTRAGES So unbestimmt der Vertrag von Versailles die Reparations- pflichten Deutschlands gelassen hat, so umfangreich und ver- wickelt hat er sie gestaltet. Ich will versuchen, sie im folgenden so kurz wie möglich zusammenzufassen, Der Vertrag bestimmt nur die Art und nicht die Höhe der Schäden, für die Deutschland Ersatz zu leisten hat. Er macht Deutschland grundsätzlich für alle Kriegsschäden der Alliierten verantwortlich, weil es mit seinen Verbündeten ihnen den Krieg aufgezwungen habe (Art. 231), beschränkt dann aber wegen des deutschen Unvermögens zum Ersatz aller Kriegsschäden die Ver- pflichtung auf eine Reihe bestimmter Schäden (Art. 232 und Anhang I dazu). Dabei ist das Wilson-Programm — Schäden der Zivilbevölkerung durch den Angriff Deutschlands zu Lande, zu Wasser und aus der Luft — zwar zitiert, jedoch in demselben Satze dadurch entwertet worden, daß Deutschland allgemein alle Schäden ersetzen sollte, die in dem Anhang I zu Art. 232 auf- gezählt sind. Darunter fallen auch die Pensionen und alle sonstigen Aufwendungen der alliierten und assoziierten Re- Sierungen für die Mitglieder ihrer Heere und deren Angehörige. Die Festsetzung der Höhe aller dieser Schäden wurde einem interalliierten Ausschuß, der Reparationskommission, zugewiesen. Diese sollte bis zum 1. Mai 1921 den Gesamtbetrag der Schäden bestimmen und ihn der deutschen Regierung als Gesamtsumme ihrer Verpflichtungen bekannt geben, Gleichzeitig sollte die _ Kommission einen Zahlungsplan aufstellen und angeben, in 23 welcher Weise Deutschland vom 1. Mai 1921 ab seine Gesamt- schuld in einem Zeitraum von dreißig Jahren zu tilgen habe. Die Kommission erhielt das Recht, nach Prüfung der Zahlungsfähig- keit Deutschlands und nach Anhörung seiner Vertreter die Fristen des Zahlungsplanes zu ändern und zu verlängern, aber sie durfte ohne Ermächtigung der verschiedenen in der Kommission ver. tretenen Regierungen keine Zahlung erlassen (Art. 233, 234). Vor der endgültigen Feststellung der Reparationslast hatte Deutschland bis zum 1. Mai 1921 nach näherer Bestimmung der Reparationskommission den Gegenwert von zwanzig Milliarden Goldmark abschlagsweise zu zahlen. Hieraus waren die Kosten der Besatzungsheere vom 11. November 1918 ab vorzugsweise zu bestreiten, Auf die zwanzig Milliarden konnte der Wert der Nahrungsmittel und Rohstoffe angerechnet werden, die nach dem Urteil der Regierungen der alliierten und assoziierten Mächte nötig waren, um Deutschland zur Erfüllung seiner Reparations- pflicht zu befähigen (Art. 235). Deutschland mußte der Repa- rationskommission. sogleich Schuldverschreibungen auf den In- haber in Höhe von hundert Milliarden Goldmark als Sicherheit und Anerkenntnis seiner Schuld übergeben. Davon waren zwanzig Milliarden, die schon am 1, Mai 1921 fällig wurden, als Sicherheit für die erste Abschlagsrate von zwanzig Milliarden bestimmt, Weitere Schuldverschreibungen über vierzig Milliarden Goldmark waren von 1921 bis 1926 mit zweieinhalb Prozent zu verzinsen und von 1926 ab mit fünf Prozent zu verzinsen und mit einem Prozent zu tilgen. Ueber die restlichen vierzig Milliarden hatte Deutschland eine Urkunde auszustellen, durch die es sich zur Ausgabe weiterer vierzig Milliarden Goldmark fünfprozentiger Schuldverschreibungen auf den Inhaber verpflichtete, wenn und sobald die Reparationskommission sich überzeugt haben würde, daß Deutschland Zinsen und Tilgung dieser : Werte aufbringen könne, Aber sogar über alle diese Beträge hinaus konnte die. Kommission noch weitere Ausgaben von Schuldverschreibungen fordern (Anhang II $ 12 zu Art. 232). Auf den Gesamtbetrag der von der Kommission festzustellen. den Schuld waren vom 1. Mai 1921 ab fünf Prozent Zinsen zu 24 zahlen. Der Zinsfuß konnte von der Reparationskommission ge- ändert werden (Anhang II $ 16). we Abgesehen von Geldzahlungen wurden auch die ieh . - lichen Hilfsquellen Deutschlands für die Reparation eb; " e herangezogen (Art. 236). Diese als A Hure HR n vB lieferungen” bekannt gewordenen Leistungen sind in en ale hängen III bis VI zu den Reparationsbestimmungen wi geregelt: 1. SCHIFFE (ANHANG II) Alle deutschen Handelsschiffe von 1600 Bruttotonnen ar darüber, ferner die Hälfte der Schiffe zwischen 1000 und 160 Bruttotonnen und ein Viertel der Fischdampfer und der sonstigen Fischereifahrzeuge waren an die Siegermächte abzulieiern. Ferner hatte Deutschland fünf Jahre lang Handelsschiife bis zu 200 000 Bruttotonnen jährlich für die Alliierten zu bauen. Es mußte außerdem alle Flußfahrzeuge, die seit dem 1. August 1914 in deutschen Besitz gekommen waren, den Siegermächten zurück- geben und bis zu zwanzig Prozent des deutschen Bestandes an Flußfahrzeugen an die Reparationskommission abliefern. 2. TIERE UND MATERIALIEN (ANHANG IV) Deutschland wurde verpflichtet, alle Verluste der Sieger- mächte an Tieren sowie an Maschinen, Werkzeugen und ähn- lichen Handelsartikeln durch gleichartige Tiere und Gegenstände, die in Deutschland vorhanden waren, zu ersetzen, sowie Materialien zum Wiederaufbau, Maschinen, Heizungseinrichtungen, Möbel usw. zu liefern, alles auf Grund von Listen, die von den einzelnen Regierungen bei der Reparationskommission einzu- reichen waren. Die Reparationskommission sollte entscheiden, inwieweit Deutschland zur Lieferung imstande sei, und die Preise festsetzen. An Frankreich und Belgien waren schon binnen drei Monaten bestimmte Mengen von Tieren, vor allem Pferde und Rinder (700 Zuchthengste, 4000 Stuten, 140 000 Milchkühe, 40000 Färsen, 4000 Stiere), zu liefern, 25 3. KOHLE UND KOHLENPRODUKTE (ANHANG V) Deutschland mußte folgende Kohlenlieferungen übernehmen: an Frankreich zehn Jahre lang sieben Millionen Tonnen Kohlen jährlich, außerdem während der gleichen Zeit den Minder- ertrag der im Kriege zerstörten nordiranzösischen Kohlengruben, und zwar bis zu zwanzig Millionen Tonnen jährlich während der ersten fünf Jahre und bis zu acht Millionen Tonnen jährlich während der folgenden Jahre: an Belgien zehn Jahre lang’ acht Millionen Tonnen Kohlen jährlich; an Italien zehn Jahre lang allmählich steigend bis zu achtein- halb Millionen Tonnen Kohlen jährlich, Die Höchstlieferung eines Jahres konnte somit im Laufe der ersten fünf Jahre 43% Millionen Tonnen erreichen, Als Preis für die Kohlenlieferungen wurde in der Regel der deutsche Inlandspreis ab Grube, höchstens aber der englische Ausfuhrpreis ab Grube vorgesehen, zuzüglich der Fracht bis zur Grenze des Empfangslandes, Für Lieferungen auf dem Seewege sollte entweder der deutsche Ausfuhrpreis fob deutscher Hafen oder der englische Ausfuhrpreis fob englischer Hafen, aber immer der geringere von beiden, maßgebend sein, Die Alliierten erhielten das Recht, an Stelle von Kohle die Lieferung von Koks zu ver- langen, wobei drei Tonnen Koks als vier Tonnen Kohle gelten sollten, Deutschland hatte ferner an F rankreich drei Jahre lang 35000 Tonnen Benzol, 50.000 Tonnen Steinkohlenteer oder ent- sprechende Nebenprodukte und 30 000 Tonnen schwefelsaures Ammoniak jährlich zu liefern, Als Preis für den Koks und die Kohlenprodukte wurde der deutsche Inlandspreis bestimmt. Die Reparationskommission wurde ermächtigt, diese Liefe- rungen zu ermäßigen, 26 A, CHEMISCHE PRODUKTE (ANHANG VI) Deutschland wurde verpflichtet, Farbstoffe aa Ben tische Waren zu liefern, und zwar bis zu fün zig A en hland bei Inkrafttreten des Vertrages befindlic en F en aa bis zur Höhe von fünfundzwanzig Be er En Normalproduktion bis > 1. E ee Br o- reis vor dem Krieg r in nen Erhöhung der Herstellungskosten sein. Der Vertrag von Versailles bestimmte, daß der op sur dieser Lieferungen von der en 2 Pt und auf Reparationskonto Ben ee ur n en En. Weise war Deutschland der Wert der sonsti | os nn ’ ji Abtretungen gutzubringen. es urr m za Wert = ARmame On ya er ic n (Art. 238, 243). Darunter vers e man di . ns aa a d im Kriege beschlagna we na nn Tiere und Gegens ea i aller Art, soweit sie auf dem Gebiet Deutschlands oder sein Verbündeten festgestellt werden können. | en Auf Reparationskonto sollten außerdem gutgeschrieben wer ” / a) der Wert der von Deutschland abgetretenen Seekabel, soweit sie Privateigentum waren, b) dieLieferungen auf Grund der Waffenstillstandsverträge, abgesehen von Kriegsmaterial, in der Hauptsache Trans- portmittel und landwirtschaftliche Maschinen, c) der Wert der an Frankreich abgetretenen Kohlengruben im Saargebiet, d) alles, was von den Mächten, denen deutsche Gebietsteile abgetreten wurden, als Entgelt für den Erwerb deutschen Reichs- oder Staatseigentums oder auf Grund der Ueber- nahme eines entsprechenden Teiles der deutschen Reichs- schuld an die Reparationskommission abzuführen war, 21 e) der Wert der Rechte und Beteiligungen deutscher Reichsangehöriger an öffentlichen Unternehmungen oder Konzessionen in Rußland, China, Oesterreich, Ungarn, Bulgarien, der Türkei und in den von Deutschland auf Grund des Vertrages abgetretenen Gebieten, soweit die Reparationskommission die Abtretung solcher Rechte forderte (Art, 260). Für den Rückerwerb von Elsaß-Lothringen hatte Frankreich keinerlei Entschädigung an Deutschland zu leisten. Auch für die elsaß - lothringischen Eisenbahnen vergütete es nichts. Damit allein hat sich Frankreich eine Sonder-Reparation im Werte von einigen Milliarden Goldmark im voraus gesichert, Auch Belgien wurde von jeder Vergütung für Reichs- und Staatseigentum in den abgetretenen deutschen Gebieten befreit. Diese weittragenden Ausnahmen zugunsten von Frankreich und Belgien erschwerten die deutsche Reparationslast um den Wert des kostenlos abgetretenen Eigentums, Noch viel unbilliger und härter aber war die Bestimmung des Vertrages, daß Deutsch- land alle seine Kolonien hergeben mußte und für ihren unschätz- baren Wert in keiner Weise entschädigt wurde, Der Vertrag von Versailles hat die Ueberwachung aller Vor- schriften über die Reparation in die Hand der Reparations- kommission gelegt. Diese soll sich daher erst nach vollständiger Tilgung der Reparationsschuld auflösen. Die Kommission sollte nach dem Vertrage aus je einem Dele- gierten und einem stellvertretenden Delegierten der Vereinigten Staaten von Amerika, Englands, Frankreichs, Italiens, Japans, Belgiens und Serbiens bestehen. An den Sitzungen der Kom- mission sollten stimmberechtigt stets die Vertreter von Amerika, England, Frankreich und Italien teilnehmen, ferner in der Regel der Vertreter Belgiens, Japan sollte mitsprechen und mitstimmen in Fragen, die Seeschäden oder Interessen Japans nach Art, 260 betreffen, Serbien in Fragen, die Oesterreich, Ungarn oder Bul- garien angehen. Die Kommission hat ihren Sitz in Paris, kann aber je nach Bedarf auch an anderen Orten zusammenkommen, 28 B E. Er R Bi... BE P « Nr: ie Si ind in der Regel geheim. Der jährlich neu zu un ee gibt im Falle von Stimmengleichheit den E chlag. In besonderen Fällen, vor allem bei Aufschub von | we hen Zahlungen über das Jahr 1930 hinaus und bei Auslegung E BE ionsvorschriften, mußte die Kommission einstimmig entscheiden. Die Kommission sollte Deutschland auf Antrag angemessenes Gehör geben, vor allem über seine Zahlungsfähigkeit. Sie sollte frei in jeder gesetzlichen. Regel nach Gerechtigkeit, Billigkeit _ und Treu und Glauben entscheiden. i Die Kommission erhielt in Sachen der Reparation weitgehende Befugnisse, vor allem das Recht zur Auslegung ‚der eier bestimmungen. Sie hatt&periodisch die Zahlungsfähigkeit Deutsch- lands abzuschätzen. Dabei sollte sie das deutsche Steuersystem daraufhin prüfen, daß erstens alle Einkünfte Deutschlands ein- schließlich der für den Dienst seiner inneren Anleihen bestimmten Einnahmen vorzugsweise für die Reparation verwendet würden, und daß zweitens die deutsche Steuerlast im allgemeinen ver- hältnismäßig ebenso schwer sei wie die Steuerlast irgendeiner in der Kommission vertretenen Macht. Für die Reparation sollten, abgesehen von Ausnahmen, die die Reparationskommission etwa "bewilligte, der gesamte Besitz und alle Einnahmequellen des Deutschen Reiches und der deutschen Staaten an erster Stelle haften (Art. 248). | Die Reparationskommission wurde ermächtigt, an Stelle von Geldzahlungen von Deutschland jederzeit bewegliche und un- bewegliche Sachen, Waren, Unternehmungen, Rechte und Kon- _ zessionen, Schiffe, Schuldverschreibungen, Aktien oder andere Papiere anzunehmen. Den Wert solcher Leistungen Deutschlands hatte sie selber zu bestimmen ($ 19 Anhang II). m = Ge P % Aut, A Be ( Die Vorschriften des Anhangs II über die Rechte und Pflichten der Reparationskommission können durch einstimmigen Beschluß _ der in der Reparationskommission vertretenen Regierungen ab- _ geändert werden. Das ist in bezug auf den erwähnten $ 19 später _ im Londoner Zahlungsplan vom 5. Mai 1921 geschehen. + er & I 29 Für den Fall, daß Deutschland irgendeiner seiner Repara- tionspflichten nicht nachkommt, hat nach dem Vertrage die Re- parationskommission die Nichterfüllung unverzüglich jeder der beteiligten Mächte anzuzeigen und ihr gleichzeitig Vorschläge für die zu ergreifenden Maßnahmen zu machen. Wenn Deutschland vorsätzlich seinen Verpflichtungen nicht nachkommt (manquement volontaire), können die alliierten Mächte wirtschaftliche und finanzielle Sperr- und Vergeltungsmaßregeln ergreifen und über- haupt alle Schritte unternehmen, die sie durch die Umstände für geboten halten. Deutschland darf diese Maßnahmen nicht als feindliche Handlungen betrachten (SS 17, 18 Anhang II). Das sind die vielgenannten Vorschriften des Vertrages über „Sanktionen“, welche in der F olgezeit eine so unheilvolle Be- deutung erlangt haben, Neben der Reparation ist Deutschland durch den Vertrag von Versailles noch einer ganzen Reihe anderer schwerer und un- bestimmter Leistungen unterworfen worden, Diese stehen weder untereinander noch mit der Reparation in Zusammenhang und sind auch der Aufsicht der Reparationskommission nicht unter- stellt, So verpflichtete der Vertrag Deutschland zur Zahlung der gesamten Unterhaltungskosten der Besatzungsheere vom Tage des Waffenstillstandes, dem 11, November 1918, ab. Die Kosten waren in Goldmark zu erstatten, soweit sie nicht aus Ankäufen oder Requisitionen im besetzten Gebiet herrührten, Im letzteren Falle hatte die deutsche Regierung sie in Markwährung zu be- zahlen, Für die Besatzungskosten sollten der Besitz und die Ein- nahmequellen des Deutschen Reiches und der Länder sogar vor- zugsweise vor der Reparation haften (Art, 251). Der Vertrag bestimmte ferner, daß Deutschland für die privaten Vorkriegsschulden der Reichsangehörigen gegenüber den An- gehörigen der alliierten Mächte aufzukommen habe, sofern diese Mächte sich dem im Vertrage vorgesehenen Verfahren für den Ausgleich solcher Schulden anschlossen, In dem Ausgleichsver- fahren (Clearing) sollte monatlich abgerechnet werden. Ergab sich dabei ein deutscher Schuldbetrag, so mußte die deutsche 30 ’ iierten St hlen. Zeigte die ; ihn sogleich an den alliierten Staat zahlen. N u $ aber einen Ueberschuß für Deutschland, BE cltte er von dem alliierten Staat so lange einbehalten werden, bis alle deutschen Verpflichtungen unter dem Vertrage von Ver- sailles beglichen sein würden. Der Vertrag hat weiter gemischte Schiedsgerichte . aus deren Rechtsprechung für engen ne en i | rwachsen konnten, Diese Greerichte sollt nt elle Ansprüche auf Ersatz von Schäden entscheiden, it: Staatsangehörige der alliierten Mächte auf Grund von deutschen Kriessmaßnahmen erlitten hatten. ‚ / Endlich mußte die deutsche Regierung auch die Verpflichtung _ übernehmen, ihre Angehörigen für die Verluste zu entschädigen, welche ihnen durch die Wegnahme des privaten nu: ae tums in den alliierten Ländern entstanden waren. Denn > alliierten Mächte haben sich im Vertrage von Versailles das Recht vorbehalten, das den deutschen Reichsangehörigen bei Inkraft- treten des Vertrages gehörende Eigentum, ihre Güter, Rechte und Interessen innerhalb ihrer Gebiete einschließlich der Kolonien, sogar in einem abgetretenen deutschen Gebiete, zurückzubehalten und zu liquidieren. Die großen alliierten Mächte haben von diesem Rechte weitgehenden Gebrauch gemacht und deutsches Eigentum im Werte von vielen Milliarden Goldmark für sich liquidiert. Die Entschädigung für das liquidierte Eigentum war von der be- teiligten alliierten Macht einseitig festzusetzen. Soweit der Erlös der Liquidation nicht zur Entschädigung der alliierten Macht oder im Ausgleichsverfahren verwendet wurde, sollte er Deutschland auf Reparationskonto gutgebracht werden, Bisher hat Deutsch- land jedoch noch keine Gutschrift dafür erhalten. Die Vorschriften des Vertrages von Versailles über die Pflicht Deutschlands zum Ersatz von Schäden aller Art, der Alliierten sowohl wie deutscher Privatpersonen, legten der deutschen Regie- rung eine Reihe von Leistungen auf, deren Ausmaß in keiner Weise begrenzt war. Selbst die eigentliche Reparationslast blieb im Vertrage unbestimmt. Aus der Forderung, daß Deutschland zunächst einmal Schuldverschreibungen in Höhe von hundert 31 Milliarden Goldmark ausstellen solle, konnte man nur erkennen, daß die Alliierten mit der späteren Festsetzung einer noch höheren Reparationsschuld rechneten, Aber so viel stand fest, daß Deutsch- land bis zum 1. Mai 1921, also binnen zwei Jahren, die ungeheure Summe von zwanzig Milliarden Goldmark in Geld und Sach- lieferungen als Reparation leisten sollte. Dazu kam die Abtretung gewaltiger Substanzwerte aus Reichs- und Staatseigentum und aus der privaten deutschen Wirtschaft. Endlich aber traten zu der Reparation, wie wir gesehen haben, noch die Besatzungs- kosten, die Leistungen aus dem Ausgleichsverfahren, aus der Rechtsprechung der gemischten Schiedsgerichte und die Pflicht zur Entschädigung der Reichsangehörigen für die Wegnahme ihres Vermögens in den alliierten Ländern. Alles dies mußte die deutsche Schuld, deren Höhe ohnehin nicht abzusehen war, ins Ungemessene vermehren, Das Schlimmste dabei aber war, daß alle diese Nebenleistungen die Fähigkeit Deutschlands zur Repa- ration schwer beeinträchtigten. Denn die Besatzungskosten hatten ja-nach dem Vertrage vor der Reparation den Vorrang. Alles, was Deutschland zahlen konnte, wurde zunächst einmal auf die Besatzungskosten verrechnet. So ist es denn auch gekommen, daß von den gesamten Leistungen, die Deutschland bis zum 1, Mai 1921 tatsächlich abgeführt hat, überhaupt nichts für die Reparation übrig blieb. Schon zu der Zeit, wo Barzahlungen für die Reparation von Deutschland noch nicht verlangt wurden, mußte es gewaltige Summen für seine monatlichen Schuldbeträge aus dem Aus- gleichsverfahren an die einzelnen alliierten Staaten entrichten. Diese seltsame Tatsache ist nur dadurch zu erklären, daß die Reparationskommission, welche doch die deutsche Leistungsfähig- keit überwachen sollte, keinerlei Vollmacht und kein Recht zur Mitwirkung in bezug auf die Zahlungen besaß, welche unter anderen Titeln des Vertrages von Deutschland verlangt wurden. Erst im Herbst 1920 erhielten Mitglieder der Reparations- kommission Kenntnis davon, daß Deutschland im Ausgleichsver- fahren bereits sehr große Beträge an mehrere Mächte gezahlt hatte. 32 “ Besonders bedenklich war die Vorschrift des Vertrages, nach welcher Deutschland auch auf Grund von Entscheidungen der 4 gemischten Schiedsgerichte Schäden ersetzen sollte, In Wirklich- keit wurden bei weitem die meisten Schäden, deren Ersatz die Angehörigen der alliierten Mächte fordern konnten, als Repa- rationsansprüche angemeldet und in die gemeinsame große Rech- nung der Alliierten einbezogen. Die Einführung der gemischten Schiedsgerichte mußte einen Anreiz dazu geben, durch besondere Klage beim Schiedsgericht Ansprüche gegen das Deutsche Reich zu erheben, um auf diese Weise unmittelbar einen Schadenersatz zu erhalten, der im gewöhnlichen Reparationsverfahren nur auf dem Wege über die einzelnen alliierten Staaten zu erreichen war. Es ist sicher, daß die Schiedsgerichte dazu benutzt worden sind, um neben der allgemeinen Reparation noch eine private Repa- ration zu betreiben. Damit entstand für Deutschland die Gefahr, daß es zur Reparation in vielen Fällen doppelt herangezogen wurde, Die Häufung von Ersatzansprüchen gegen Deutschland, die voneinander völlig unabhängig waren, zeigt, daß der Vertrag von Versailles keineswegs einheitlich durchdacht und verfaßt wurde. Der schwerste psychologische Fehler, den die Verfasser des Vertrages begangen haben, ist der, daß sie sich gar nicht klar machten, bis zu welcher Höhe eigentlich die deutsche Zahlungs- fähigkeit gehen könne, und daß sie nicht wenigstens eine be- stimmte Stelle mit der Ueberwachung der gesamten deutschen Leistungen betrauten, Die ungemessene Schuldverpflichtung aus dem Vertrage mußtejeder auch noch so zahlungswilligen deutschen Regierung von vornherein den Mut nehmen, energische Schritte zur planmäßigen Abtragung der Schuld zu unternehmen. Solange ein Schuldner nicht weiß, was er im ganzen zu zahlen hat und ob er die Last tragen kann, wird es ihm unmöglich sein, seine Kräfte zur Zahlung voll zu entfalten. Es ist die Schuld des Vertrages selbst, daß es bei der Durchführung der Reparation über kurz oder lang zu den im Vertrage vorgesehenen „Sanktionen kommen mußte, Der Vertrag von Versailles verlangt keinerlei direkte Arbeits- Bergmann, Der Weg der Reparation 3 33 leistung für den Wiederaufbau, Das ist eine seltsame und auf- fallende Erscheinung, die in Widerspruch mit der Forderung steht, daß Deutschland seine wirtschaftlichen Hilfsmittel unmittel- bar der materiellen Wiederherstellung der zerstörten Gebiete dienstbar machen müsse, Alle Angebote, die Deutschland in dieser Hinsicht im Verlaufe der Zeit gemacht hat, sind von den Alliierten als unannehmbar zurückgewiesen oder so behandelt worden, daß sie ohne praktisches Ergebnis bleiben mußten. Die Erklärung dafür liegt darin, daß man die Konkurrenz der deutschen Arbeits- betätigung in den zerstörten Gebieten und die Berührung von deutschen Arbeitern mit der heimischen Bevölkerung fürchtete, Man muß der deutschen Friedensdelegation in Versailles . nachrühmen, daß sie die grundlegenden Mängel der von den Alliierten diktierten F riedensbedingungen gleich richtig erkannt und in ihren Noten an die interalliierte Friedenskonferenz scharf hervorgehoben hat. Die deutsche Delegation hat sich dabei nicht mit einer Kritik begnügt, sondern sie hat auch Gegenvorschläge gemacht, welche vielleicht nicht in allen Punkten annehmbar waren, aber doch eine geeignete Grundlage für Verhandlungen boten, wenn die Alliierten in Versailles überhaupt daran gedacht hätten, sich auf Besprechungen mit den Deutschen einzulassen. Die deutschen Antwortnoten und Gegenvorschläge auf die Friedensbedingungen sind fast gar nicht beachtet worden. Sie enthalten aber viel wertvolles Material, das der Vergessenheit entrissen werden und in einer allgemeinen Darstellung der Repa- rationsgeschichte seinen Platz finden muß. Deshalb sei einiges aus ihnen hier im Wortlaut wiedergegeben, Im Mittelpunkt der deutschen Note vom 29, Mai 1919 an den französischen Ministerpräsidenten Clemenceau steht folgendes Angebot: „Deutschland ist bereit, die ihm nach dem vereinbarten Friedensprogramm obliegenden Zahlungen bis zur Höchst- summe von 100 Milliarden Gold zu leisten, und zwar 20 Milliarden Mark Gold bis zum 1, Mai 1926, alsdann die restlichen 80 Milliarden Mark Gold in unverzinslichen Jahresraten. Diese Raten sollen grundsätzlich einen be- 34 stimmten Prozentsatz der deutschen Reichs- und Staatsein- nahmen ausmachen, Die Rate wird dem früheren Friedens- budget nahekommen., In den ersten zehn Jahren soll die Rate je eine Milliarde Mark Gold nicht übersteigen. Der deutsche | Steuerzahler soll nicht weniger belastet sein als der des 2 höchstbelasteten in der Reparationskommission vertretenen Staates.” Das Angebot war allerdings an die Bedingung geknüpft, daß die Abtretung deutscher Gebiete auf ein bestimmtes Maß be- schränkt werde und daß vor allem Oberschlesien beim Reiche verbleibe, Es beweist aber auf jeden Fall, daß Deutschland schon damals zu einer außerordentlich weitgehenden Reparation ent- schlossen war. In derselben Note heißt es weiter: „Deutschland ist bereit, seine gesamte wirtschaftliche Kraft dem Dienst der Wiederherstellung zu widmen. Es wünscht, bei der Wiederherstellung der zerstörten Gebiete "in Belgien und Frankreich werktätig mitzuarbeiten. Für den Produktionsausfall der zerstörten Gruben Nordfrankreichs sollen während der ersten fünf Jahre bis zu 20 Millionen - Tonnen Kohlen jährlich, während der nächsten fünf Jahre bis zu acht Millionen Tonnen Kohlen jährlich geliefert werden. Deutschland wird weitere Kohlenlieferungen für Frankreich, Belgien, Italien und Luxemburg ermöglichen. Ferner ist Deutschland zu bedeutenden Leistungen von Benzol, Steinkohlenteer, schwefelsaurem Ammoniak, sowie Farbstoffen und Arzneimitteln bereit. Deutschland glaubt, zur beschleunigten Erfüllung seiner Entschädigungspflicht in der Ueberlassung von industriellen 7 Beteiligungen, insbesondere an Kohlengruben zur Sicherung | der Kohlenbezüge, einen geeigneten Weg zu sehen.” ER Auch die folgenden Ausführungen der deutschen Note vom B 29. Mai 1919 sind von Interesse, zumal im Hinblick auf die spätere Besetzung des Ruhrgebiets und auf die Aeußerungen der Sach- £ _ Verständigen, die den Dawesplan geschaffen haben: ee | 35 „Nach den jammervollen Jahren gegenseitiger Bekämpfung und Verwüstung müßten jetzt die Völker der Erde sich zu friedlicher gemeinsamer Arbeit zusammentun, um durch gegenseitige Hilfe die Lasten leichter tragen und den Wieder- aufbau der Welt schneller fördern zu können. Der Entwurf der Friedensbedingungen, den die gegne- rischen Regierungen uns vorgelegt haben, ist diesen Weg nicht gegangen. Im Gegenteil, sie geben sich der Hoffnung hin, daß ein ausgepreßtes, durch alle Mittel der politischen und wirtschaftlichen Disqualifizierung niedergehaltenes Deutsch- land ihren Völkern mehr werde leisten, ihnen mehr Lasten werde abnehmen können als jenes Deutschland, das wir auf- richten wollen, Die Besatzungskosten können außerordentlich hoch und für die geschwächte Finanzkraft Deutschlands unerträglich sein. Heute betragen die Kosten der fremden Besatzungs- truppen, soviel bisher ersichtlich, mehr, als früher der Unter- halt von Heer und Marine in Deutschland nach dem Friedenshaushalt betrug. Die Kosten einer weiteren Be- setzung Deutschland aufzubürden, wäre unbillig, denn es würde sich bei den Besatzungstruppen um Teile der feind- lichen Friedensheere handeln, deren Unterhalt auch von den feindlichen Mächten bestritten werden müßte, Eine militärische Besetzung wäre um so unheilbringender, als jede Okkupation auch wirtschaftlich überaus schädliche Wirkungen nach sich zieht, die nur gar zu leicht durch Ein- griffe der Besatzungstruppen in das Verwaltungs- und wirt- schaftspolitische Gebiet noch bedenklich erhöht werden könnten. Die Steuerkraft Deutschlands und seine Zahlungsfähigkeit hängen davon ab, daß die Deutschland verbleibenden Steuer- gebiete einheitlich verwaltet werden; die Autorität der deutschen Regierung aber in bezug auf Steuereintreibung, Zolleinnahmen usw, kann nur wiederhergestellt werden, wenn sich keine Okkupationsarmee mehr im Lande befindet, Schon die Zeit des Waffenstillstandes hat im linksrheinischen Ge- 4 “ = a BETT biete zu chaotischen Zuständen in bezug auf Einfuhr und Geldgeschäfte geführt. Eine langjährige Besetzung, ver- bunden, wie geplant, auch noch mit der Einführung eines be- sonderen Zollregimes, würde Deutschland der Möglichkeit einer zielklaren Wirtschafts- und Finanzpolitik berauben, In dem Friedensvorschlage wird sehr häufig von einer Entschädigungspflicht des Reiches für Privatbesitz ge- sprochen, der zugunsten der alliierten und assoziierten Mächte expropriiert werden soll, ohne zu bedenken, daß auch aus währungstechnischen Gründen dieser Methode eine Grenze gesetzt werden muß, Die Unterbringung von deutschen Staatsanleihen wird sowohl innerhalb wie außerhalb Deutsch- lands für die nächste Zeit nicht in großen Beträgen möglich sein, eine Entschädigung wird daher nur erfolgen können durch starke Notenausgabe, Die schon heute übergroße In- flation würde, wenn die vorgeschlagenen Friedensbedingungen durchgeführt werden sollen, unausgesetzt weiter steigen. Auch die großen Naturallieferungen ins Ausland können nur er- folgen, wenn das Reich den Produzenten den Wert ersetzt; also wiederum Notenvermehrung. Solange diese Lieferungen dauern, wäre daher von einer Stabilisierung der deutschen Währung selbst auf dem jetzigen Niveau keine Rede. Die Entwertung der Mark müßte immer weitere Fortschritte machen, Die Währungsunsicherheit würde. aber nicht nur Deutschland treffen, sondern die gesamten exporttreibenden Länder, denn Deutschland mit seiner stets weiter sich ent- wertenden Währung würde ein Element der Unruhe sein und unausgesetzt Waren zu Schleuderpreisen auf den Markt werfen müssen. In dem Vorschlage für die Friedensbedingungen haben sämtliche Länder, die gegen Deutschland sich im Kriege be- finden, mechanisch ihre mannigfachen Wünsche addiert; eine einheitliche Grundauffassung ist in keiner Weise vorhanden, Widersprüche häufen sich von Kapitel zu Kapitel. Eine Revision ist nötig, um zu vermeiden, daß durch diese mecha- nische Addition der Wirtschaftskörper, von dem Leistungen 37 verlangt werden, zusammenbricht. Eine organische Lösung könnte nur im Zusammenhang mit allen einschlägigen Fragen von allen Beteiligten gemeinsam gefunden werden, Die Vorschläge der alliierten und assoziierten Regierungen sind in ihrer jetzigen Form und Höhe positiv unausführbar. Sie würden auch, wenn sie Deutschland aufgezwungen werden könnten, die Hoffnungen unserer jetzigen Gegner aufs aller- schwerste enttäuschen. Schon bei der ersten Rate von ‚20 Milliarden Mark, deren unmittelbare Bezahlung der Ent- wurf der Friedensbedingungen vorsieht, würde sich das zeigen, Nach Abzug der inzwischen aufgelaufenen Kosten der militärischen Besetzung und der sehr erheblichen Beträge, die allein für die notdürftigste Versorgung Deutschlands mit Lebensmitteln und Rohstoffen erforderlich sind, würde nur wenig — wenn überhaupt etwas — für die Zwecke der Ent- schädigung verbleiben,” Diese prophetischen Bemerkungen haben sich im Verlauf der Dinge fast in allen Punkten bewahrheitet. Die wirtschaftlichen und finanziellen Sachverständigen, welche Deutschland in Versailles vertreten haben, brachten außer den nötigen Fähigkeiten für eine vernünftige Regelung der Reparation auch den ernsten Willen dazu mit, Es wäre den Alliierten sehr wohl möglich gewesen, schon in Versailles durch gemeinsame Arbeit mit der deutschen Delegation die richtigen Grundlagen des Friedens zu finden, Aber alle deutschen Anstrengungen in jenen Schicksalstagen mußten vergeblich bleiben, weil politische Ver- blendung jede Verhandlung mit Deutschland ausschließen und nur den Zwang herrschen lassen wollte, Die deutschen Gegenvorschläge wurden durch die Mantelnote des Präsidenten Clemenceau vom 16. Juni 1919 beinahe ohne Ausnahme zurückgewiesen, Noch an demselben Tage verließ die deutsche Delegation Versailles, um ihrer Regierung in Weimar einstimmig die Ablehnung der Friedensbedingungen zu empfehlen, Sie kam zu diesem Entschluß, weil sie keine Möglichkeit sah, die Forderungen der Alliierten zu erfüllen. Mit der Delegation hielt die große Mehrzahl der deutschen Volksvertretung den Vertrag 38 er, . et: Dr . 2 yon Versailles für unausführbar. Trotzdem fand sich in Weimar eh schweren Kämpfen eine Mehrheit dafür, den Vertrag, so wie er vorlag, anzunehmen, weil angesichts der Drohung des Vor- marsches der alliierten Heere in das unbesetzte Deutschland Lu u Unterzeichnung des Vertrages als das einzige Mittel erschien, % E den Zerfall des Reiches und die Herrschaft des Bolschewismus abzuwenden. 4 So wurde unter dem Druck der Alliierten der Vertrag von a: Versailles am 28. Juni 1919 von einer neuen deutschen Regierung gezeichnet und schon am 16. Juli 1919 durch Reichsgesetz bestätigt. | u Ohne die Ratifizierung des Vertrages in den alliierten Ländern abzuwarten, leitete Deutschland durch die in Versailles ver- ebene Abord nung der Friedensdelegation mit dem französischen Minister Loucheur eine Reihe von Verhandlungen ein, die sich auf _ die Teilnahme Deutschlands bei den Arbeiten für den Wieder- 3 aufbau, auf die Versorgung Deutschlands mit Lebensmitteln und auf den Beginn der Kohlenlieferungen an Frankreich bezogen. 39 DRITTES KAPITEL DIE ERRICHTUNG DER REPARATIONSKOMMISSION Da die Reparationskommission vor der formellen Ratifikation des Vertrages in den alliierten Ländern nicht errichtet werden konnte, bildete sich unter Vorsitz von Loucheur zunächst ein Organisationskomitee der Reparationskommission, Die deutsche Regierung schuf alsbald zum dauernden Verkehr mit der Repa- rationskommission ein besonderes Organ, die Kriegslasten- kommission, deren Vorsitzender ständig nach Paris delegiert wurde, Erst am 10, Januar 1920 trat der Vertrag von Versailles in Kraft. Der lange Aufschub ist dem Umstand zuzuschreiben, daß es dem Präsidenten Wilson nicht gelang, beim Kongreß den Bei- tritt der Vereinigten Staaten zum Vertrage durchzusetzen, Die Alliierten hatten immer noch auf die Annahme des Vertrages durch den Kongreß gewartet, mußten ihn aber schließlich ohne die Mitwirkung der Vereinigten Staaten in Kraft setzen. Daher ist Amerika auch in der Reparationskommission nicht offiziell ver- treten. Allerdings haben von Anfang an zwei „inoffizielle Beob- achter” der amerikanischen Regierung in der Kommission mit- gearbeitet, aber nur mit beratender Stimme, Roland W. Boyden und James A. Logan haben in ihrer schwierigen Stellung als „Beobachter“ Jahre hindurch bei den Verhandlungen aus- gezeichnete Dienste geleistet. In vielen Fällen sind sie bei Streit- fragen als Schiedsrichter herangezogen worden. Jedoch war diese 40 | Tätigkeit kein genügender Ersatz für eine offizielle und gleich- berechtigte Mitwirkung von amerikanischen Delegierten in der Kommission. Die Vorschriften des Vertrages setzen die Beteiligung der Vereinigten Staaten an der Kommission voraus. Ueberall im Vertrage sind die amerikanischen Mitglieder der Kommission an erster Stelle genannt, Fünf stimmberechtigte Mitglieder sollten in der Kommission sitzen. Wenn Amerika ausfiel, so blieben nur vier. Tatsächlich haben auch von jeher, abgesehen von wenigen Fällen, in denen die Japaner beteiligt waren, immer nur vier Mit- glieder, nämlich die Delegierten von Großbritannien, Frankreich, Italien und Belgien, die Beschlüsse der Kommission herbeigeführt. Es leuchtet ein, daß das Fernbleiben von Amerika das Verhältnis der Stimmen und der Kräfte in der Kommission wesentlich be- einflußt hat. Der Vorsitz in der Kommission war den Vereinigten Staaten zugedacht. Das hätte sowohl der politischen und wirt- schaftlichen Macht der Vereinigten Staaten, wie auch dem im Vertrage festgelegten Grundsatz entsprochen, daß das Verfahren der Kommission von Gerechtigkeit, Billigkeit und Treu und Glauben geleitet werden solle. Unter allen am Kriege beteiligten - Mächten standen die Vereinigten Staaten dem Streit der Gegner am wenigsten parteiisch und voreingenommen gegenüber. Unter ihrem Vorsitz wäre das Prinzip der ausgleichenden Billigkeit am besten durchzuführen gewesen. Unparteilichkeit in der Leitung war um so nötiger, als die Reparationskommission mit sehr weit- reichenden Befugnissen versehen war, die in der Theorie wenig- stens einer Diktatur über Deutschland gleichkamen. Die Stimme des amerikanischen Delegierten würde, soweit der Vertrag nicht Si _ ausdrücklich Einstimmigkeit verlangte, in allen wichtigen Fällen den Ausschlag gegeben haben. Der Ausfall Amerikas hat dazu geführt, daß Frankreich den Vorsitz und damit den maßgebenden Einfluß in der Kommission erhielt. Das war bis zu einem gewissen 4 Grade berechtigt, weil Frankreich den größten Schaden erlitten _ und für sich allein den größten Anteil an der Reparation zu _ fordern hatte, Es hatte aber den wesentlichen psychologischen - Nachteil, daß damit der natürliche Gegensatz zwischen der Kom- y mission und Deutschland auf das stärkste betont wurde. Die Ge- 41 fühle des Hasses, der Erbitterung und der Furcht, welche Frank- reich nach einem Kriege von mehr als vier J ahren. im eigenen Lande gegen Deutschland hegte, mußten sich notwendig in den Beratungen der Kommission widerspiegeln, sobald der ent- scheidende Einfluß gerade F rankreich zufiel. Dadurch wurden aber auch die Stellung und die Gefühle Deutschlands gegenüber der Kommission ungünstig beeinflußt. Bei einem Vorsitz der Ver- einigten Staaten hätte die überwiegende Mehrzahl des deutschen Volkes daran glauben können, daß Recht und Billigkeit wirklich die leitenden Grundsätze der Kommission sein würden, Bei dem Ueberwiegen Frankreichs war es nur zu verständlich, daß Deutschland alsbald in der Kommission einen Feind sah, aus dessen Machtbereich es zu entkommen suchte, sobald sich irgend- eine Gelegenheit dazu ergab. Wir werden in der Folge auf diese Erscheinung noch häufig zurückkommen. Jedenfalls steht fest, daß infolge der Ablehnung des Vertra ges von Versailles durch Amerika die Reparationskommission mangelhaft und falsch zusammengesetzt und in ihrer Tätigkeit von vornherein ge- lähmt war. Deutschland hat es seinerzeit aus allgemeinen politischen Gründen für richtig gehalten, gegen die vertragswidrige Zu- sammensetzung der Reparationskommission keinen Widerspruch zu erheben und aus dem Ausscheiden Amerikas Einwendungen gegen die Tätigkeit der Kommission nicht herzuleiten, Fast fünf Jahre lang hat die Reparationskommission ohne offizielle Beteiligung Amerikas gearbeitet. Unter diesen Um- ständen konnte sie die überragende Stellung, die ihr im Vertrage zugedacht war, von Anfang an nicht einnehmen. Weder Deutsch- land noch den alliierten Mächten gegenüber hat sie ihre Selb- ständigkeit wahren können, Statt in ihrem Schoße die ver- schiedenen Interessen der einzelnen Alliierten auszugleichen und auf dem Boden wirtschaftlicher Vernunft einheitlich zu entscheiden, hat die Kommission unter politischem Druck in allen wirklich wichtigen Streitfragen die Entscheidung den alliierten Regierungen überlassen müssen, die von Konferenz zu Konferenz immer tiefer in die vertraglichen Rechte der Kom- 42 mission eingriffen, Während der ganzen Zeit der Eee | var die Reparationskommission ohne Bedeutung und eigen B 1 ohne Beschäftigung. Erst mit der Berufung des rn " Sachverständigen, welche den Dawesplan geschaffen ha “ 3 R. die Kommission wieder die Initiative ergritien und o- ei 4 bleibendes Verdienst erworben. Dabei hat sie allerdings “ ._. 4 schöpferische Tätigkeit zugunsten des Komitees verzic . ü « 4 Entsagen war nötig, weil das Reparationsproblem gar Rn Be hervorragende amerikanische Mitarbeit der Lösung 2 e Hr bracht werden konnte, und weil der amerikanische Ein " er 3 in der Kommission selber, wohl aber im Kreise der Sachvers “ digen geltend zu machen war, So ist nach langen Irrwegen en ö lich das erreicht worden, was den Verfassern des Vertrages ei 4 Versailles vorschwebte: die Regelung der Reparation unter _ amerikanischer Führung. 43 VIERTES KAPITEL DIESACHLIEFERUNGEN BIS ZUR KONFERENZ VON SPA Da der Vertrag von Versailles für die Zahlung der ersten 20 Milliarden Goldmark eine Frist bis zum 1. Mai 1921, also von fast zwei Jahren, gelassen hatte, blieb die F rage der Barleistungen auf Reparationskonto zunächst im Hintergrund, Das Organisationskomitee der Reparationskommission und später die Kommission selber stellten ihre Tätigkeit in der Hauptsache darauf ab, von Deutschland so bald wie möglich Sachlieferungen zu erhalten. Die deutsche Regierung bemühte sich in erster Linie darum, eine Organisation zu schaffen, in der deutsche Unter- nehmer und Arbeiter beim Wiederaufbau der zerstörten Gebiete tätig sein sollten, Zu diesem Zwecke wurde in Berlin die Stelle eines Reichskommissars für den Wiederaufbau eingerichtet und im Herbst 1919 sogar ein besonderes Ministerium für den Wieder- aufbau geschaffen, Aus den Verhandlungen des Jahres 1919 über die deutsche Mitarbeit am Wiederaufbau ist so gut wie gar nichts herausgekommen. Frankreich nahm vor allem daran Anstoß, daß die deutschen Arbeiter in Frankreich gewerkschaftlich organi- siert sein sollten. Auch wurde die Beteiligung deutscher Unter- nehmer kurzweg abgelehnt, Nur die Herstellung der nord- französischen Kohlengruben, die bei dem Rückzug der deutschen Heere im Herbst 1918 zerstört worden waren, wurde zwischen Loucheur und dem deutschen Aufbaukommissar eine Zeitlang ernsthaft behandelt. Das deutsche Angebot für die Instandsetzung 44 4 der Gruben wurde aber schließlich wegen ungünstiger Bedingungen von Frankreich abgelehnt. | ; Es mag sein, daß bei mehr Energie und weniger büro- kratischer Schwerfälligkeit eine Einigung zwischen den fran- zösischen Interessenten und den deutschen Unternehmern zu erzielen gewesen wäre, Jedenfalls ist es bedauerlich, daß eine so . gute Gelegenheit zur direkten Beseitigung angerichteter Kriegs- 4 schäden ungenutzt vorbeiging. 4 Schon im Juli 1919 betrieb Loucheur die Lieferung von be- stimmten deutschen Waren, vor allem von Kohle, Die deutsche “ Regierung ließ sich bereitwillig darauf ein, obwohl es Ihr gutes n Recht gewesen wäre, bis zum Inkrafttreten des Versailler Ver- u trages jede Leistung auf Grund dieses Vertrages zu verweigern. Deutschland wollte damit zeigen, daß es den besten Willen zur Reparation hatte und die Erfüllung der übernommenen Pflicht vor die Wahrung juristischer Formen setzte, Darum haben in Versailles sofort nach Zeichnung des Vertrages die deutschen _ und französischen Vertreter über eine Reihe von Sachlieferungen 1 verhandelt, Diese betrafen außer Kohle noch Ammoniak, Benzol, : Eckerrübensamen, Saathafer usw. Saathafer für die zerstörten Gebiete ist in ziemlich erheblichen Mengen noch im Herbst 1919 — also vor Inkrafttreten des Versailler Vertrages — an Frank- reich geliefert worden. - Das Hauptinteresse aber richtete sich, wie gesagt, auf die Lieferung von Kohle, Nach eingehender Vorarbeit wurde am 29. August 1919 in Versailles ein Protokoll gezeichnet, in welchem Deutschland unbeschadet der Vorschriften des Vertrages über den Beginn der Kohlenlieferungen: sich bereit erklärte, schon vom 1, September 1919 ab Kohle zu liefern. Die vorzeitig ge- lieferten Mengen sollten auf die nach Inkrafttreten des Vertrages fälligen Pflichtlieferungen angerechnet werden. Als Gegengabe für die Vorleistung erklärte das Organisationskomitee, daß es _ der Reparationskommission vorschlagen würde, die monatlichen Kohlenlieferungen vom Inkrafttreten des Friedensvertrages ab bis zum 30, April 1920 nur in Höhe von 1660000 Tonnen fest- 4 zusetzen. Für den Fall, daß die deutsche Kohlenförderung monat- 45 lich 9 Millionen Tonnen übersteigen würde, sollten die Repa- rationslieferungen um 60 Prozent der Mehrförderung erhöht werden. Eine Pflicht zur Vorlieferung bestimmter Monatsmengen wurde von Deutschland in dem Protokoll nicht übernommen. Da die Kohlenfrage sehr bald zu schweren Konflikten mit den Alliierten führte, ist bezweifelt worden, ob es ratsam war, mit den Lieferungen schon vor Inkrafttreten des Vertrages zu beginnen. Es ist zuzugeben, daß die deutsche Regierung sich auf den Rechtsboden stellen und jede Lieferung vor Inkrafttreten des Vertrages ablehnen konnte, Das wäre auch deshalb von Be- deutung gewesen, weil nach dem Vertrage alle Lieferungen nach dem 1. Januar 1920 von der Reparationskommission mit einer Frist von 120 Tagen anzukündigen waren. Von Rechts wegen hätte die Kommission frühestens am 10, Januar 1920, dem Tage des Inkrafttretens des Vertrages, Kohle anfordern dürfen, und die Lieferung hätte erst 120 Tage danach, d. h. am 10, Mai 1920, beginnen müssen. Hinzu kam, daß die Lage der Kohlenversorgung in Deutsch- land, wie in allen Ländern Europas unmittelbar nach dem Kriege sehr ungünstig war. Der ständige Kohlenmangel, unter dem die Völker während der letzten Jahre des Krieges gelitten hatten, besserte sich nach dem Friedensschluß zunächst nicht. Für die Erholung der deutschen Wirtschaft war es notwendig, die ge- samte Kohlenproduktion Deutschlands für das eigene Land zu verwenden, Allerdings hatte sich die deutsche Regierung schon während des Waffenstillstandes in dem sogenannten Luxemburger Protokoll vom 25, Dezember 1918 verpflichtet, die Eisenindustrie Lothringens sofort mit Kohle und Koks zu beliefern. Däbei handelte es sich aber nicht um besonders große Mengen. Wenn Deutschland sich daher zu einer vorzeitigen Lieferung von Kohle und Koks an die Alliierten entschloß, so bedeutete das ein großes Opfer für die heimische Wirtschaft und eine erhebliche An- strengung für die Reparation, welche die volle Anerkennung der Alliierten verdient hätte, Freilich lag in dem Protokoll vom 29. August 1919 auch für Deutschland ein gewisser Schutz gegen übermäßige Anforderungen der Reparationskommission, weil 46 Re wenigstens bis zum 30, April 1920 voraussichtlich nicht mehr als 4660000 Tonnen im Monat an die Alliierten zu liefern waren, während bei voller Ausnützung der Vorschriften des Vertrages die Alliierten monatlich bis zu 3% Millionen Tonnen hätten fordern können. Uebrigens konnte man im August 1919 nicht 4 voraussehen, daß sich die Ratifikation des Versailler Vertrages so | n lange hinziehen würde. Es war daher im deutschen Interesse _ . ganz vernünftig, mit den Lieferungen beizeiten anzufangen, um nicht eines Tages von unerfüllbaren Anforderungen überrascht zu werden. Dank der sachverständigen Mitarbeit des deutschen Kohlen- 'syndikats, dessen Direktor Luebsen an den Verhandlungen mit den Alliierten hervorragend beteiligt war, kamen die Kohlen- lieferungen mit dem 1. September 1919 in Fluß. Sie stiegen bald auf etwa 700000 Tonnen im Monat und beliefen sich bis zum 10, Januar 1920 im ganzen auf mehr als 2% Millionen Tonnen. Da der Kohlenbedarf Frankreichs aber auch mit diesen erheb- lichen Mengen nicht voll gedeckt werden konnte, so hörten die Beschwerden über zu geringe deutsche Lieferungen nicht auf, Bei einer Besprechung in Essen im Dezember 1919 wurde eine monat- liche Lieferung von 1 Million Tonnen vereinbart. Diese Zitter wurde jedoch im Januar wegen Streiks und Hochwassers im Rhein _ hei weitem nicht erreicht. Nach dem Inkrafttreten des Friedensvertrages teilte die _ Reparationskommission der deutschen Regierung mit, daß die Kohlenlieferungen einstweilen gemäß dem Protokoll vom 29. August 1919 weiter laufen sollten. Bereits am 10. Februar 1920 aber setzte die Kommission die monatlichen Mengen ei; R nach Anrechnung der geleisteten Vorlieferungen auf 2234 000 Tonnen fest. Zu gleicher Zeit wurde Deutschland benachrichtigt, ER aus der Kohlenförderung von Oberschlesien, das bis zur r Volksabstimmung über die Zugehörigkeit zu Deutschland oder Polen unter der Kontrolle der Internationalen Oberschlesischen a Abstimmungskommission stand, monatlich 200000 Tonnen an a Oesterreich, 250000 Tonnen an Polen und 20000, später 40 000 R: Tonnen an Italien zu liefern seien, und daß Deutschland aus „ Dt sie wi Be, I Fe Br t 47 R Oberschlesien nur die Kohlen erhalten solle, welche nach dem eigenen Verbrauch von Oberschlesien noch übrig bleiben würden. Diese gewaltige Erhöhung des Lieferungsprogramms widersprach dem mit Loucheur geschlossenen Abkommen.. Aber Loucheur war inzwischen mit dem Sturz des Kabinetts Clemenceau aus der französischen Regierung ausgeschieden, An seine Stelle trat als . Präsident der Reparationskommission zunächst Jonnart, dann bis zum 19, Mai 1920 Poincare. ' Die Lage wurde verschärft durch eine Note des französischen Ministerpräsidenten Millerand vom 8, Februar 1920, in welcher er über die Mängel der deutschen Kohlenlieferung bittere Klage führte, Deutschland erklärte der Reparationskommission, daß die neuerdings verlangten Kohlenlieferungen nicht ausführbar seien. Im Anschluß daran fanden in Paris vor der Kommission ein- gehende Besprechungen statt, in deren Verlauf die Kommission am 31, März 1920 die Lieferung für April auf 1440000 Tonnen festsetzte, Inzwischen hatte sich die Lage der Förderung und des Verkehrs in Deutschland nicht gebessert. Das Hochwasser des Rheins dauerte auch im Februar an, Im März entstanden unter der Rückwirkung des bekannten Kapp-Putsches schwere kommunistische Unruhen im Ruhrgebiet, Die Folge davon war, daß die Lieferungen im März und April nicht wesentlich stiegen. Am 29, April setzte die Reparationskommission die Kohlen- lieferung für Mai auf 1925000 Tonnen, für Juni auf 2062 000 Tonnen und für Juli auf 2175000 Tonnen fest. Diese Ziffern waren unvernünftig hoch, Sie wurden von den Mitgliedern der Reparationskommission, die zusammen mit der deutschen Ver- tretung die Kohlenfrage eingehend behandelt hatten, keineswegs gebilligt. Inwieweit die offizielle Anforderung der Reparations- kommission auf politische Einflüsse zurückzuführen war, kann dahingestellt bleiben, Tatsache ist, daß die Kommission selber keine vollständige Erfüllung ihres Kohlenprogramms, sondern nur ein allmähliches Anwachsen der Lieferungen erwartete, Als ich Ende Mai 1920 einem Mitglied der Reparationskommission mitteilen konnte, daß die Lieferung für den Monat Mai voraus- sichtlich 1 Million Tonnen betragen werde, erhielt ich zur Ant- 48 wort, das sei sehr erfreulich, und wenn meine Erwartung. sich erfülle,. werde die Reparationskommission offiziell erklären, Deutschland habe eine dankenswerte Anstrengung gemacht. Hier sei ein Wort über den deutschen Verkehr mit der Repa- rationskommission eingeschaltet. Er trug bei Beginn der Be- ziehungen durchaus den Charakter eines kriegsgerichtlichen Ver- fahrens, bei dem der deutsche Vertreter als Angeschuldigter er- schien und als solcher behandelt wurde, Nach einer derartigen Sitzung unter Poincar& — im Februar 1920 — erklärte ich einigen Mitgliedern der Kommission, daß ich mir diese Behandlung nicht gefallen ließe und bei Wiederholung den Sitzungssaal verlassen _ würde, Ich hätte den Posten als deutscher Vertreter bei der _ Reparationskommission übernommen, um in geschäftlich ruhiger _ Aussprache die schwere Aufgabe der Reparation allmählich möglich zu machen, Das sei in offiziellen Sitzungen und in dem Stile gerichtlicher Verhandlungen nicht zu erreichen. Für ver- — nünftige Besprechungen sei ich immer zu haben, aber nicht für Gerichtssitzungen, Das half sofort. Immer mehr entwickelte sich zwischen den meisten Mitgliedern der Kommission und mir ein zwangloser und offener Verkehr, bei dem beide Parteien ver- suchten, den Bedürfnissen und dem Standpunkt des Vertrags- gegners gerecht zu werden. Nur die hohe Politik hat immer wieder die Fäden zerrissen, die so gesponnen wurden, und die wir in zäher Arbeit mühsam wieder zusammenknüpfen mußten, wenn E sich das politische Gewitter mit Blitz und Donner ausgetobt hatte. Mitten in diese Entwicklung hinein fiel eine Note der Repa- rationskommission vom 29, Mai 1920, wonach die Lieferung von oberschlesischer Kohle an Polen unter gewissen Bedingungen um 200 000 Tonnen auf 450 000 Tonnen im Monat erhöht werden sollte, Anlaß dazu gaben die erhöhten Bedürfnisse Polens, das damals im Krieg mit der Sowjetregierung lag. Damit wurde aber mw der ohnehin schwache Bezug Deutschlands an oberschlesischer De Kohle noch weiter in unerträglicher Weise eingeschränkt. Die deutsche Regierung war der Ansicht, daß die Reparations- — kommission nicht berechtigt sei, Lieferungen aus Oberschlesien BE "vorzuschreiben, und griff eigenmächtig zu der Gegenmaßnahme, Bergmann, Der Weg der Reparation 4 49 die Reparationslieferungen aus dem Ruhrgebiet um täglich 10 000 Tonnen zu kürzen. Trotz aller Warnungen der deutschen Ver- treter in Paris verblieb die Regierung bei dieser Maßregel auch dann, als die Reparationskommission offiziell anfragte, ob die Kürzung der Liefermengen, von der sie unter der Hand gehört habe, den Tatsachen entspreche, Als dies unter Hinweis auf die deutsche Notlage bestätigt werden mußte, brach der offene Kon- flikt aus, Die Kommission teilte auf Grund der Sanktions- paragraphen 17 und 18 des Anhangs II zu Teil VIII des Ver- trages von Versailles den alliierten Regierungen am 30, Juni 1920 mit, daß Deutschland vorsätzlich seine Pflicht zur Lieferung von Kohle nicht erfüllt habe, Die Alliierten setzten den Vorfall auf das Programm der Konferenz in Spa. Bei den Kohlenverhandlungen im März und April 1920 in Paris wurden, abgesehen von den Kohlenmengen, noch zwei strittige Fragen besonders eingehend besprochen, Die eine betraf den Preis für die Reparationskohle, Etwa ein Drittel der für Frankreich bestimmten Kohle wurde mit Rheinkähnen nach Rotterdam gebracht, um von da auf Seeschiffe umgeladen zu werden, Deutschland beanspruchte hierfür den im Vertrage von Versailles für die Verschiffung von Kohle zur See festgesetzten deutschen oder englischen Ausfuhrpreis, der infolge der damals besonders starken Markentwertung sich um ein Vielfaches höher stellte als der deutsche Inlandpreis. In der Reparationskom- mission trat die Mehrzahl der Mitglieder dem deutschen Stand- punkt bei. Die französische Delegation aber wollte den lächerlich billigen deutschen Inlandpreis möglichst für alle Kohlenbezüge ausnutzen und weigerte sich, die Verschiffung über Rotterdam als Seeweg anzuerkennen, | Der zweite Punkt betraf die Kohlentransporte auf dem Rhein selbst, Das deutsche Kohlensyndikat, das die Verfrachtung bis zur Grenze des Empfangslandes für deutsche Rechnung vor- zunehmen hatte, bestand darauf, daß es die Rheintransporte ein- heitlich in seiner Hand behalten müsse, um die glatte Lieferung zu gewährleisten, Es erklärte sich bereit, nach allgemeinen ge- schäftlichen Grundsätzen auch französische Schleppkähne für ‚50 porte. 4 den Transport zu chartern. Demgegenüber verlangten die franzö- _ sischen Interessenten eine prozentuale Teilung der Kohlentrans- Beide Streitfragen haben die Kohlenverhandlungen seiner- #. zeit ungünstig beeinflußt. Sie sind innerhalb der Reparations- kommission nie zum völligen Austrag gekommen, sondern wurden im Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich erst durch . das Wiesbadener Abkommen vom 7. Oktober 1921 geregelt. Da- bei sind die französischen Wünsche im wesentlichen befriedigt worden. ” > EUpE FÜNFTES KAPITEL DIE KONFERENZ VON SPA Bald nachdem der Vertrag von Versailles in Kraft gesetzt war, traten auf Betreiben von Lloyd George die Premierminister der alliierten Hauptmächte miteinander in Verbindung, um die im Vertrage offen gebliebene Höhe der Reparationsschuld fest- zustellen. Lloyd George, der in Versailles seine gemäßigten An- sichten bei den Franzosen nicht hatte durchsetzen können, glaubte, daß jetzt die Zeit gekommen sei, durch Aussprache zwischen den alliierten Mächten und unter Teilnahme Deutsch- lands das Problem endgültig zu regeln. Unter dem Vorsitz des italienischen Ministerpräsidenten Nitti fand vom 19, bis 26. April 1920 eine erste Besprechung der Alliierten in San Remo statt, die im Streit der verschiedenen Ansichten ein materielles Er- gebnis zwar nicht zeitigte, wohl aber dazu führte, daß die deutsche Regierung am 26. April zu einer Konferenz in Spa eingeladen wurde, Die Form der Einladung ist so bezeichnend, daß sie hier zitiert werden soll. Als Anlaß diente das Ersuchen des deutschen Reichswehrministers an den Obersten Rat, ein Heer von 200 000 Mann anstatt der im Vertrage vorgesehenen 100000 Mann zu unterhalten. Das Ersuchen wurde mit folgender Bemerkung ab- gelehnt: „Deutschland hat seine Verpflichtungen nicht erfüllt, Das be- zieht sich sowohl auf die Zerstörung des Kriegsmaterials, wie auf die Herabsetzung der Heeresbestände, die Kohlenlieferungen, die Reparation und die Kosten für das Besatzungsheer. Es hat wegen der Anschläge, die wiederholt auf Mitglieder alliierter Missionen 52 verübt wurden, weder Genugtuung geleistet, noch sich ent- schuldigt. Es hat auch noch nicht, wie es im Protokoll des Friedensvertrages vorgesehen ist, Maßnahmen getroffen, um seine Reparationsschuld zu bestimmen und um Vorschläge zu machen, damit der von Deutschland zu zahlende Gesamtbetrag festgesetzt werden kann, trotz des dringenden Interesses, das eine Regelung dieser Art für alle Parteien hat. Deutschland scheint noch nicht 4 einmal geprüft zu haben, wie es seinen Verpflichtungen nach- kommen kann, wenn sie fällig werden, Die Alliierten leugnen die Schwierigkeiten nicht ab, denen die deutsche Regierung gegenübersteht, und suchen ihr nicht eine allzu engherzige Interpretation des Friedensvertrages aufzu- zwingen, aber sie sind einig in der Erklärung, daß sie die Fort- setzung der Verstöße gegen den Friedensvertrag von Versailles nicht dulden können, daß dieser Vertrag ausgeführt werden muß, daß er die Grundlage der Beziehungen Deutschlands zu den Alliierten bildet, und daß die Alliierten entschlossen sind, alle Maßnahmen zu ergreifen, selbst wenn es notwendig sein sollte, auch zur Besetzung eines neuen Teils des deutschen Gebiets zu schreiten, um die Ausführung des Vertrags sicherzustellen. Die E "Alliierten erklären übrigens, daß sie nicht die Absicht haben, irgendeinen Teil des deutschen Gebiets zu annektieren. Die Alliierten glauben, daß die durch die Verletzungen des Friedens- vertrages aufgeworfenen Fragen und die zur Sicherstellung der Ausführung notwendigen Maßnahmen besser durch einen Mei- ‚= Be Rgeaustausch zwischen den Regierungschefs geregelt werden _ können als durch Noten, Die Alliierten haben deshalb beschlossen, i die Chefs der deutschen Regierung zu einer direkten Konierenz ni = .. D ” mit den Chefs der alliierten Regierungen einzuladen.” Man sieht genau, wie in die Note von allen Beteiligten etwas E _ hineingebracht worden ist: Vorwürfe und Drohungen, dem franzö- E ‚sischen Verkehrston mit Deutschland entsprechend, zugleich aber "in der milderen Tonart der übrigen Verfasser des Schreibens ein # _ wohlmeinender Appell an die bessere Einsicht des „Schuldigen”. Bir. Bar}. Die Konferenz von Spa war ursprünglich auf den 25. Mai 3 angesetzt, wurde aber, wohl auch wegen der deutschen Wahlen 53 zum Reichstag, bis zum 5, Juli 1920 vertagt. Die alliierten Premiers trafen sich inzwischen mehrfach in Hythe — 15, Mai und 19, Juni 1920 —, ohne zu einer grundsätzlichen Einigung über die Reparation zu gelangen. Man entschloß sich jedoch dazu, eine Kommission von Sachverständigen zu ernennen, die ein Schema auszuarbeiten hatte, wonach Deutschland jedes Jahr eine gewisse Mindestsumme und je nach seiner erhöhten Zahlungsfähigkeit Zuschläge dazu zahlen sollte, Größere Bedeutung hatte die nächste Zusammenkunft der alliierten Häupter in Boulogne am 20, Juni 1920, Hier kam es auf Grund der Arbeiten der Sachverständigen zu einem Plan, der lange Zeit geheimgehalten wurde. Die Hauptpunkte des Planes von Boulogne waren: a) Deutschland zahlt 1. vom 1. Mai 1921 ab 42 Jahre lang eine feste Annuität von 3 Milliarden Goldmark, 2. vom 1, Mai 1926 ab 37 Jahre lang eine Zusatzannuität von 3 Milliarden für 5 Jahre und von 4 Milliarden für die folgenden 32 Jahre, also im ganzen . vom 1. Mai 1921 bis 30. April 19263 Milliarden ( 5 Jahre) vom 1. Mai 1926 bis 30. April 1931 6 Milliarden ( 5 Jahre) vom 1.Mai 1931 bis 30. April 1963 7 Milliarden (32 Jahre) das macht zusammen 269 Milliarden Goldmark in 42 Jahren. b) Die Reparationskommission hat das Recht, die Zusatz- zahlungen teilweise zu verschieben. Deutschland erhält bei Vorauszahlung der Annuitäten einen Rediskont zuge- billigt, der mit 8 Prozent beginnt und sich in sechs Jahren auf 5 Prozent ermäßigt, wobei jedoch wiederum die Re- parationskommission ermächtigt ist, den vollen Rediskont- satz von 8 Prozent aufrechtzuerhalten, c) Deutschland soll für die Reparation internationale Anleihen aufnehmen. Die Reparationskommission kann von dem Erlös der Anleihen 20 Prozent für Deutschlands eigenen Bedarf anweisen, Sie errichtet eine internationale Kom- 34 mission für die deutsche auswärtige Schuld. Als Sicherheit für die Anleihen sollen dienen | 1. deutsche Industriepapiere bis zu fünf Milliarden Gold- mark und sonstige auf Vorschlag Deutschlands von der Reparationskommission gebilligte Wertpapiere, 2, sämtliche deutsche Zölle, Die Zollsätze können nur mit Genehmigung der Reparationskommission geändert werden. Die Zölle werden an einen von der Repa- rationskommission zu bestimmenden Generaleinnehmer gezahlt. Die Reparationskommission hat das Recht, die Zollsätze zu erhöhen, e:. Die alliierten Premierminister trafen sich vor Spa erst noch in Brüssel am 2. und 3, Juli 1920. _ Mit ihrem Entschluß, die Reparationsschuld im Verhandlungs- a res: festzusetzen, griffen die alliierten Regierungen in die durch _ den Vertrag von Versailles der Reparationskommission zuge- BE chenen Rechte ein. Es ist nichts Näheres darüber bekannt R geworden, ob die Mitglieder der Kommission bei ihren Regierungen | Eaind Die Konsequenzen daraus hat jedenfalls allein Poincare ge- B zogen, der am 19. Mai sein Amt als Präsident und Mitglied der | “ - Reparationskommission niederlegte, Wie seltsam! Derselbe Poin- care, der in der Folge als Ministerpräsident die französischen iesierten in der Reparationskommission stets nach seinem Willen beeinflußte und lenkte, hat damals seinen Austritt aus # der Kommission öffentlich damit begründet, daß die alliierten E Regierungen die Kommission ihrer Vertragsrechte berauben wollten, Freilich, damals schien es, als ob die alliierten Regie- _ rungen die Reparation durch Ermäßigung der deutschen Schuld zu regeln suchten, während Poincar& zu jeder Zeit die starre Auf- _ echterhaltung der vertragsmäßigen Rechte Frankreichs verfocht. Sein Nachfolger in der Kommission wurde Louis Dubois. K Die Tatsache, daß die wichtigste Aufgabe der Kommission über ihren Kopf hinweg von den alliierten Regierungen selbst aufgegriffen und damit aus der ruhigeren Atmosphäre der Kom- _ Mission in die Wirbel der hohen Politik hineingerissen wurde, 55 _ wegen dieser Schmälerung ihrer Befugnisse vorstellig geworden _ hat sehr viel dazu getan, das Ansehen der Kommission herab- zusetzen und den Anschein zu erwecken, daß sie mehr oder weniger ein politisches Werkzeug in den Händen der alliierten Mächte sei. In dem Kreise der Reparationskommission ist man sich darüber sicherlich klar gewesen. Ihre Mitglieder haben auch nicht alle einfach die Hände in den Schoß gelegt. Einige von ihnen haben sich ernstlich bemüht, die Entwicklung der Repa- rationsfrage in geordnete Bahnen zu leiten und die einmal fest- ‚gesetzte Konferenz von Spa in steter Fühlung mit der deutschen Vertretung in Paris sachverständig vorzubereiten, Ich habe gerade in jener Zeit oft und eingehend mit den meisten Mitgliedern der Kommission über die Lage gesprochen. Sie glaubten nicht daran, daß in Spa für die Reparation etwas Praktisches herauskommen würde, Die Mehrzahl wünschte mög- lichst bald einen Pauschalbetrag festzusetzen, der die gesamte Schuld Deutschlands darstellen sollte, Die öffentliche Meinung Frankreichs, beherrscht durch die Richtung Foch-Poincare, stand dem jedoch im Wege. Immerhin hoffte man in der Reparations- kommission, daß es mit der Zeit und mit Hilfe gründlicher Aus- sprache gelingen würde, den französischen Standpunkt zu ändern. Ich wurde vertraulich aufgefordert, mit deutschen Vorschlägen für die Regelung der Reparation zu kommen. Auf die Frage, ob wir uns denn in Deutschland überhaupt schon ein ziffernmäßiges Bild über ein Angebot gemacht hätten, habe ich damals erklärt, daß man hie und da überlegt habe, ob Deutschland für die Repa- ration eine Jahreszahlung von einer Milliarde Goldmark auf 30 Jahre aufbringen könne, Darauf wurde mir erklärt, ein solches Angebot dürfe gar nicht laut werden, es würde nur allgemeine Entrüstung erregen und einer verständigen Behandlung der Dinge schaden. Tatsächlich wurde damals von Deutschland ein solches Angebot für Spa vorbereitet, Glücklicherweise kam es zur Nennung von bestimmten Ziffern in Spa nicht. Es war klar, daß damals die Kommission nicht daran dachte, die Lösung des Finanzproblems aus der Hand zu geben und dem Obersten Rat der Alliierten zu überlassen. Sie erwartete vielmehr, daß die Konferenz von Spa dazu helfen würde, eine direkte F ühlung und 56 2 ein besseres Verhältnis mit der deutschen Regierung herzustellen, ohne an den Aufgaben der Reparationskommission etwas Wesent- jiches zu ändern. In Deutschland war man freilich stets gern bereit, die Kommission beiseite zu schieben und in ee 4 fragen unmittelbar mit den alliierten Regierungen zu mn n. Ich selbst habe stets vor dieser Politik gewarnt, weil die Alliierten letzten Endes ihre Beschlüsse doch immer nur im ar mit der Reparationskommission fassen würden und die eigentliche Arbeit in der Reparation nicht von den politischen Chels, sondern von den sachverständigen Mitgliedern der Reparationskommission 4 geleistet werden müsse. Daher sei es zwecklos und era a unklug, die Kommission durch Nichtachtung zu N ir Erfahrungen der Folgezeit haben mir leider nur allzu sehr Rec R. gegeben, Eine gemeinsame vertrauliche Unterredung, die Dr. Carl e Melchior und ich am 9. Juni 1920 mit mehreren Mitgliedern der 4 Reparationskommission hatten, ergab, daß ein deutsches AARON eh Spa wohl nötig sei, aber mit Vorsicht behandelt werden 2 _ müsse. Man sagte uns: Würden die deutschen Vertreter in Spa erklären, daß infolge der zerrütteten politischen und wirtschaft- E lichen Lage Deutschlands zur Zeit kein Angebot gemacht werden EE könne, so bestehe die Gefahr, daß Deutschland erneut in den Verdacht der Hinterhältigkeit und der passiven Resistenz gerate, Dadurch würden die extremen nationalistischen Kreise, 4 besonders in Frankreich und England, gestärkt werden. Ein formuliertes Angebot der deutschen Vertreter müsse sich anderer- a seits in den Grenzen der voraussichtlichen deutschen Leistungs- E fähigkeit halten. Die Zahlen des Angebots würden sich sicher “ so weit von den Ziffern entfernen, die man ın Frankreich und E. England stets proklamiert habe, daß mit einer brüsken re 4 weisung und mit einer Zuspitzung der Lage zu rechnen sei, Viel- Jeicht könne ein Ausweg darin liegen, daß man deutscherseits ein B: "bestimmtes Mindestangebot mache, für den Fall der Besserung der Verhältnisse in Deutschland aber die Leistungen erhöhe., So entstand die Idee des „Besserungsscheins”. Es wurde aus- “ "führlich besprochen, wie man einen Schlüssel für die Beteiligung 57 der Alliierten an einer Besserung der deutschen wirtschaftlichen Lage finden könne. Am zweckmäßigsten erschien es, eine Art Spezialindex aufzustellen, dem bestimmte Faktoren der deutschen Wirtschaftsstatistik zugrunde zu legen seien, z.B. der Ertrag der Einkommensteuer, Ueberschüsse der Staatsbahnen, Ueber- schüsse der Ausfuhr über die Einfuhr usw., alles in Verbindung mit dem jeweiligen Kursstand der Mark. Wir wurden davor gewarnt anzunehmen, daß die Stimmung in England für uns wesentlich günstiger sei als in Frankreich. Wenn auch die regierenden Kreise und die führenden Männer des Wirtschaftslebens in England die gesamte Lage einsichtsvoll beurteilten, so sei doch die öffentliche Meinung kaum von der französischen verschieden. Daß in der Beurteilung der Lage große Vorsicht geboten sei, ergab sich auch aus Gesprächen, die wir etwa gleichzeitig mit kenntnisreichen Amerikanern führten, Sie empfahlen uns, in Spa nicht etwa sofort mit einem bestimmten Angebot herauszu- kommen, sondern zunächst unsere wirtschaftlichen und finan- ziellen Verhältnisse genau so zu schildern, wie sie tatsächlich seien, und erst auf Drängen der Alliierten uns zu einem Angebot bewegen zu lassen. Die Alliierten hätten sich von dem Elend der deutschen Zustände mehr und mehr überzeugt und würden einigermaßen verwundert sein, wenn wir bei diesen Verhältnissen mit einem bestimmten Angebot hervortreten würden, Das würde die mißtrauischen Alliierten leicht zu der Annahme bringen, daß wir sie hineinlegen wollten, und daß wir in der Lage seien, erheb- lich mehr zu leisten, als wir von vornherein anböten, Ferner sei es nötig, die bisherigen deutschen Leistungen auf Grund des Ver- sailler Vertrages nicht nur von der negativen Seite zu schildern, wie wir das bisher immer getan hätten, nämlich unter Hinweis darauf, wie durch alle diese Leistungen und Abgaben die deutsche Volkswirtschaft gelähmt und zur Reparation untauglich gemacht worden sei, sondern wir müßten auch ihre positive Seite unter- streichen, d. h. nachweisen, wie sich die einzelnen Alliierten an . den deutschen Leistungen bereichert, und welche Stütze sie damit ihrem eigenen wirtschaftlichen Leben auf Kosten Deutschlands 58 B gegeben hätten. In diesem Lichte gesehen würden die .. desindustriereichenElsaß-Lothringen, der AgrargebietevonPosen E und Westpreußen, der Verlust der deutschen Handelsilotte, der Kolonien, aller deutschen Eigentumsrechte und Beteiligungen im 4 Auslande, die Ablieferung von Eisenbahnmaterial, Kohlen, Vieh, E Pferden usw. als enorme Leistungen erscheinen, die, an ihrem E, wahren Wert gemessen, schon eine Kriegsentschädigung dar- E ‚stellten, wie sie noch nie da war. | | Be Diese vertraulichen Beziehungen, mit deren Hilfe der Boden - für eine verständige Aussprache der beiden Parteien in Spa sorg- 4 sam vorbereitet werden sollte, wurden durch die Bombe des — Kohlenkonfliktes gesprengt. in n; Um das Unheil voll zu machen, entstand gleichzeitig eine 3 ungeheuere Aufregung, vor allem bei den englischen ne B: der Reparationskommission, darüber, daß einige hollän isc e EB Schiffe, deren Auslieferung die Alliierten auf Grund eines Ei: besonderen Artikels des Versailler Vertrages verlangten, ihren R deutschen Hafen verließen und nach Holland fuhren. Die Schiffe waren in Deutschland gebaut, aber noch während des Baus im Kriege an holländische Reedereien verkauft worden. Trotzdem hatte Deutschland im Vertrage von Versailles sich verpflichten müssen, nach Vorschrift der Reparationskommission alle Maß- R: regeln zu ergreifen, um den Alliierten das volle Eigentumsrecht an den Schiffen zu verschaffen. Das war nach den Begriffen des Be lkerrechts Holland gegenüber natürlich unmöglich. Immerhin hatte Deutschland, nachdem bereits ein Schiff unter holländischer Flagge aus einem deutschen Hafen ausgelaufen war, Er dafür zu sorgen, daß die übrigen Schiffe im deutschen afen B blieben, bis die Eigentumsfrage geklärt sei. Darüber waren e mehrere Monate verstrichen, ohne daß die Reparationskommission weitere Schritte in der Sache getan hatte, und eines schönen E: Tages liefen auch die übrigen Schiffe aus. Die ‚deutsche ken tretung in Paris wurde von der Reparationskommission zur Ver- 4 antwortung gezogen. Ihre Erklärung, daß die deutsche Regierung = ‚nicht wisse, ob die Schiffe mit ordnungsmäßigen Papieren aus- E gelaufen seien, und daß sie im übrigen über holländische Schiffe 59 keine Macht habe, wurde als Affront betrachtet, Kurz, es kam in der Kommission zu den leidenschaftlichsten Ausfällen digen Deutschland. Einige Monate später wurde uns von einem Mitglied der Kommission unter der Hand erklärt, daß sich bei näherer Untersuchung ergeben habe, Deutschland sei in der Sache voll- kommen im Recht gewesen, Man hat dann nichts mehr davo gehört, ji : Zum Ueberfluß stellten gerade zu jener Zeit deutsche Be hörden die im Gange befindliche Lieferung von Pferden an Belsien ein, ohne sich vorher mit dem belgischen Vertreter der Repa rationskommission darüber zu benehmen, Es war mit der Ba lich verärgerten Kommission nun nicht mehr vernünftig zu ver handeln, Alles das ereignete sich ven | ige Tage vor der Konfer | Spa. In Deutschland hatte soeben die Regierung A Dei ie Kabinett unter dem Kanzler Fehrenbach hatte noch keine nung, wie schlecht die Aussichten für Spa geworden waren Es erwartete bestimmt, bei der Konferenz mit den alliierten Regie- rungen ausführlich über die ion spre formuliertes Angebot sera en een . In der Einladung zur Konferenz hatten die Alliierten darauf ingewiesen, daß Deutschland es versäumt habe, zur Förderun der Reparationsarbeit Unterlagen und Vorschläge zu ee Das Protokoll des Vertrages von Versailles hatte dafür eins Fri a vier Monaten von der Zeichnung des Vertrages ab vorgesehen ie deutsche Regierung war der Meinung, daß auch diese Fri t vom Inkrafttreten des Vertrages an laufe, und hatte de halb erst im Mai 1920 den alliierten Regierungen und der ea kommission zwei Dokumente mit den deutschen Fesistellengen über die in Belgien und Frankreich angerichteten Kriegsschäden zugehen lassen. Darin waren die Schäden in Frankreich auf 7319 240 000 und in Belgien auf 2 187 992 000 Goldmark beziffert Ferner hatte die deutsche Regierung erklärt, daß sie der Ai, ae ao Obersten Rates entsprechend ihre Vorschläge zur | eparalion auf der Konferenz in Spa vorlegen wolle. Zur Vor- bereitung übergab sie den alliierten Regierungen Dönksshilien 60 über die Zahlungsfähigkeit Deutschlands, über die Steuerbelastung in Deutschland und ein ausführliches Gutachten deutscher Sach- verständiger über die Wirtschaftslage. Deutschland war in Spa vertreten durch den Reichskanzler * Fehrenbach, den Minister des Auswärtigen Dr, Simons und eine Reihe weiterer Minister, sowie durch zahlreiche wirtschaftliche und finanzielle Sachverständige. Die Konferenz fand unter dem Vorsitz des belgischen Ministerpräsidenten Delacroix statt. Von den Alliierten beteiligten sich Belgien, England, Frankreich, Italien und Japan, In der Tagesordnung wurde die militärische Abrüstung . und die Aburteilung der sogenannten Kriegsschuldigen voran- gestellt, Es läßt sich denken, daß dieses Programm die Stimmung für die Aussprache über die wirtschaftlichen Fragen nicht gerade verbesserte. Die deutsche Delegation war in ihrem Quartier oberhalb Spa vollkommen isoliert. Sie traf mit den alliierten Vertretern nur im _ Konferenzsaal zusammen und wurde mit eisiger Kälte behandelt. ‚Vier Tage lang erörterte man in immer steigender Erregung die Entwaffnungsfragen, bis endlich ein Protokoll zustande kam, wo- nach die Alliierten die Fristen des Vertrages für die Herabsetzung = _ des deutschen Heeres auf 100000 Mann bis zum 1, Januar 1921 verlängerten, aber für etwaige Verstöße gegen die militärischen Vorschriften die Besetzung der Ruhr oder anderer deutscher Ge- biete als Sanktion androhten. Das führte zu einer leidenschaft- lichen Kontroverse über das Recht der Alliierten, solche im Ver- sailler Vertrage nicht vorgesehenen militärischen Maßnahmen zu ergreifen. In der Frage der Kriegsschuldigen einigte man sich schnell auf die Zeichnung eines ziemlich harmlosen Protokolls. Dann kam es endlich unter allgemeiner Spannung zur Aussprache über die Kohlenfrage. Die deutschen Vertreter wurden aufgefordert, sich über die Gründe der mangelhaften Kohlenlieferung zu äußern. Diese wenig beneidenswerte Aufgabe fiel mir zu. Nach meiner kurzen Dar- legung brach der Sturm in Gestalt einer temperamentvollen Rede Bu: .. 6 D ” ..ıu „ des französischen Ministerpräsidenten Millerand los. Aus Anlaß 61 der eigenmächtigen Kürzung der Kohlenlieferungen aus der Ruhr erhob er eine einzige scharfe Anklage gegen das deutsche Ver- halten in der Kohlenfrage, Daß Deutschland trotz schwerer wirt- schaftlicher Bedrängnis mit den Kohlensendungen vorzeitig be- gonnen und sehr erhebliche Mengen geliefert hatte, dafür gab es vor diesem politischen Tribunal kein Verständnis, Zum Schlusse teilte Millerand mit, daß der Oberste Rat beschlossen habe, Deutschland solle den Reparationskohlen ein absolutes Vorrecht vor allen Lieferungen für den eigenen deutschen Bedarf geben und sich einer strengen Kontrolle der deutschen Kohlenverteilung unterwerfen. Am folgenden Tage hatte Minister Simons Gelegen- heit, den deutschen Standpunkt darzulegen. Er konnte erklären, daß die gerügte Kürzung der Kohlenlieferungen von der neuen deutschen Regierung bereits vor der Konferenz von Spa wieder aufgehoben worden sei. Als Vertreter der deutschen Unternehmer und der deutschen Arbeiter kamen die Herren Hugo Stinnes und Hue zu Worte, Die Rede von Stinnes, welche mit den Worten begann: „Ich habe mich erhoben, um allen meinen Gegnern ins Auge sehen zu können”, und in der er vom „Wahnsinn der Sieger” sprach, erregte gewaltiges Aufsehen. Sie hat durch ihre übertrieben schroffe Form der deutschen Sache in Spa sehr geschadet, sie er- klärt sich aber aus der tiefen Erbitterung, die bei der deutschen Delegation darüber herrschte, daß wegen eines einzigen politischen Fehlgriffs — denn darum handelte es sich — die gesamte deutsche Haltung in der Reparationsfrage in Grund und Boden verurteilt wurde. Das Verhältnis zwischen Alliierten und Deutschen spannte sich bis zur Unerträglichkeit. Auf einem Platz in der Stadt Spa schlug ein belgischer Offizier einem unschuldigen deutschen Zeitungskorrespondenten mit der Reitpeitsche ins Gesicht, Es schien, als ob die ganze Konferenz in die Luft fliegen würde, Aber die Verhandlungen wurden fortgesetzt. Die Alliierten erklärten, daß sie die Kohlenforderungen zunächst auf zwei Millionen Tonnen monatlich ermäßigen wollten. Als die deutsche Delegation eine solche Leistung für unausführbar erklärte und mit geringeren Gegenvorschlägen kam, wurde abermals die Besetzung des Ruhr- 62 "d gebiets angedroht. In privater Besprechung mit Dr. Simons ließ Lloyd George keinen Zweifel darüber, daß im Falle der deutschen Weigerung die alliierten Heere in das Ruhrgebiet einmarschieren würden, Bei den inneren Kämpfen, die sich daraus in der deutschen Delegation entwickelten, verfocht ein Teil der Sachverständigen unter Stinnes die Meinung, daß es richtig sei, es auf die Besetzung des Ruhrgebietes ankommen zu lassen, weil die Alliierten späte- _ stens nach einigen Monaten unverrichteter Sache wieder abziehen würden. Demgegenüber drang aber die Ansicht durch, es sei _ unverantwortlich, die unbesetzten Teile Deutschlands im kommen- den Winter dem Hunger, der Kohlennot und damit der Gefahr des politischen Zerfalls auszusetzen, während es im Ruhrgebiet selbst unter der Herrschaft der Alliierten um die Versorgung mit Lebensmitteln und Kohle wahrscheinlich gar nicht so schlecht bestellt sein würde. Inmitten einer unbeschreiblichen Aufregung wurde dann am 16, Juli ein Kohlenprotokoll gezeichnet. Noch die letzte Stunde war kritisch, weil die Deutschen sich hartnäckig weigerten, einen Passus zu unterschreiben, der besagte, daß bei ungenügender Kohlenlieferung die Alliierten das Ruhrgebiet be- setzen würden, Schließlich einigte man sich dahin, daß die deutschen Vertreter bei ihrer Unterschrift wegen dieser Be- _ stimmung einen Vorbehalt machten. In dem Protokoll von Spa verpflichtete sich Deutschland, vom 1. August 1920 ab auf sechs Monate den Alliierten monatlich zwei Millionen Tonnen Kohle zur Verfügung zu stellen. Für die E: Kohle war der deutsche Inlandpreis auf Reparationskonto gut- _ zuschreiben, ferner aber auf jede Tonne eine besondere Prämie : von fünf Goldmark in bar zur Anschaffung von Lebensmitteln für # die deutschen Bergleute zu zahlen. Hiervon ausgenommen blieben die Lieferungen über See, die sich auch weiterhin nach den Vor- hriften des Vertrages richteten. Die Verteilung der oberschle- _ sischen Kohle, die in Spa eine erhebliche Rolle gespielt hatte, sollte durch eine besondere Kommission entschieden werden. Ebenso sollte eine Kommission in Essen untersuchen, wie die Lage . _ der Bergleute in Nahrung und Kleidung verbessert werden könnte. Das Wichtigste aber war, daß die Alliierten sich bereit erklärten, 63 für die auf Grund dieses Protokolls zu liefernden Kohlen Deutsch- land einen Barvorschuß zu gewähren, der die Differenz zwischen dem niedrigen deutschen Inlandpreise und dem Ausiuhrpreise ausgleichen sollte, Die Zinsen des Vorschusses wurden späterhin auf sechs Prozent, die Rückzahlung auf den 1. Mai 1921 festgesetzt. Während der Ausführung des Protokolls von Spa wurde zur Kontrolle der Kohlenlieferungen eine Delegation der Reparations- kommission in Berlin eingerichtet, Unmittelbar nach Zeichnung des Protokolls löste sich die Konferenz von Spa auf, Zwölf volle Tage hatte sie in Anspruch genommen, und wichtige Staatsgeschäfte riefen Millerand nach Paris zurück. Ueber Reparation, den Hauptgegenstand der Konfe- renz, hatte man fast gar nicht gesprochen. In einer Sitzung erklärte Dr, Simons, daß Deutschland ein großes Interesse an der Fest- setzung der Schuld schon vor dem 1, Mai 1921 habe, daß es aber aus Mangel an Geld vorläufig nur Sachlieferungen machen könne, Er brachte einen Plan für die Organisation der Sachlieferungen in Deutschland vor, der eine gerechte Verteilung der Aufträge unter Industrie und Handwerk bezweckte, Er machte ferner einen Vorschlag für den Wiederaufbau der zerstörten Gebiete, der auf die Gründung eines internationalen Siedlungswerkes durch ein Syndikat von Unternehmern hinauslief, Praktisch anzufangen war mit beiden Vorschlägen wenig; sie sind auch nicht weiter beachtet worden, Endlich überreichte die deutsche Delegation noch so- genannte Finanzvorschläge, in denen darauf hingewiesen war, daß die bis zum 1. Mai 1921 zu zahlenden 20 Milliarden durch die bis- herigen deutschen Leistungen mehr als gedeckt seien. Eine gleich- zeitig übergebene Zusammenstellung dieser Leistungen schloß mit etwas über 20 Milliarden Goldmark ab. Im übrigen beschränkten sich die deutschen Finanzvorschläge auf allgemeine Grundsätze: die deutschen Jahresleistungen sollten aus festen Mindestbeträgen einschließlich der Sachlieferungen und aus Zuschlägen auf Grund eines Indexverfahrens bestehen, Wenn die gesamten deutschen Leistungen einen bestimmten Höchstbetrag erreicht haben würden, sollte Deutschland von weiteren jährlichen Zahlungen befreit sein. Bestimmte Zahlen waren sorgfältig vermieden, Ihre Festsetzung 64 sollte einer gemischten Sachverständigenkommission überlassen werden, Dieser Finanzplan — ein Verlegenheitsprodukt — wurde in einer einzigen kurzen Sitzung einer Unterkommission be- sprochen. Dem Drängen der Alliierten auf Nennung von Zahlen wurde nicht stattgegeben. Bei dem plötzlichen Abschluß der Konferenz von Spa haben ‚sicherlich alle Beteiligten erlöst aufgeatmet. Sie war ein lehr- reiches Beispiel dafür, wie wirtschaftliche Fragen nicht behandelt werden sollen. Die verbitterte Stimmung auf beiden Seiten hätte E bei jedem Teilnehmer den festen Entschluß herbeiführen sollen, niemals wieder eine Reparationskonferenz zu veranstalten, so- lange man vollständig im Dunkeln tappte. Leider ist diese Lehre aus der Konferenz von Spa nicht gezogen worden. Vielmehr wurde auf Vorschlag des vielgewandten und nervenfesten Lloyd George beschlossen, die weitere Aussprache über die Reparation einer neuen internationalen Konferenz in Genf vorzubehalten. Wenn auch in Spa kein Fortschritt in der Reparationsfrage selbst gemacht, sondern die Aussicht auf eine Verständigung nur verschlechtert wurde, so erzielten die Alliierten wenigstens etwas, nämlich eine Einigung unter sich, wie sie sich das Fell des Bären — die Reparationsleistungen — künftig teilen würden. Es wurde bestimmt, daß Frankreich 52 Prozent, England 22 Prozent, Italien 10 Prozent, Belgien 8 Prozent und alle übrigen Beteiligten die restlichen 8 Prozent erhalten sollten, Außerdem wurde das Recht Belgiens auf vorzugsweise Befriedigung aus der Reparation — die sogenannte belgische Priorität —, das ihm grundsätzlich in Ver- sailles von den Alliierten zugestanden worden war, mit zwei - Milliarden Goldmark fest begrenzt. Bergmann, Der Weg der Reparation 5 65 SECHSTES KAPITEL DIE KONFERENZEN VON BRÜSSEL. Vom 24, September bis zum 8, Oktober 1920 fand in Brüssel eine internationale Finanzkonferenz statt, die der Völkerbund einberufen hatte, Ihr Zweck war, die finanzielle Weltkrise zu untersuchen und Mittel zu ihrer Heilung zu erörtern, Auch Deutschland hatte eine Einladung erhalten, Frankreich aber traf rechtzeitig seine Maßnahmen, um zu verhindern, daß über Repa- rationsfragen diskutiert würde, Der Völkerbundsrat mußte schon am 5. August 1920 beschließen, daß auf der Konferenz keine der Fragen erörtert werden dürfe, die zwischen den Alliierten und Deutschland schwebten. Damit war es der Konferenz unmöglich gemacht, sich mit der Reparation, dem wichtigsten finanziellen Weltproblem, zu beschäftigen. Die Konferenz nahm einen äußer- lich glänzenden und durch keinen Zwischenfall getrübten Verlauf. Man besorgte vielfach, daß Deutschland die Gelegenheit benutzen würde, die Vertreter der neutralen Mächte für seinen Standpunkt in der Reparationsfrage zu gewinnen, und man hielt es nicht für ausgeschlossen, daß sich bei den Neutralen Neigung für ein Zusammengehen mit Deutschland zeigen würde, Daher auch das formelle Verbot an die Mitglieder des Völkerbundes, die Repa- ration zur Sprache zu bringen, Aber meine Rede für die deutsche Delegation, die ebenso wie die Vertreter der anderen Staaten eine Erklärung über die Finanzlage ihres Landes abzugeben hatte, rechtfertigte diese Besorgnis nicht, Sie schilderte die Verhältnisse in Deutschland den Tatsachen entsprechend mit dunklen Farben, vermied es aber, auf den Vertrag von Versailles einzugehen. Sie ließ die Hoffnung durchblicken, daß bei verständigem Zusammen- wirken der Nationen die deutschen Verhältnisse sich bessern 66 würden, und stellte die bereitwillige Mitarbeit Deutschlands am Wiederaufbau Europas in bestimmte Aussicht. Lebhafter Beifall von allen Seiten belohnte diese Ausführungen, wohl weniger wegen ihres Inhalts als aus dem Gefühl der Erleichterung darüber, daß ein für die Konferenz so gefährlicher Augenblick glatt vorüber- gegangen war. Die Konferenz faßte eine Reihe kluger Beschlüsse für die Herstellung des finanziellen Gleichgewichts der Welt, die aber bei den gegebenen Verhältnissen einstweilen fromme Wünsche bleiben mußten. Immerhin ist die Konferenz von Brüssel für die Reparation insofern bedeutsam, als sie den deutschen Teilnehmern die erste Gelegenheit bot, mit den Vertretern der alliierten Mächte wieder auf gleichem Fuße zu verkehren. Das ist gerade in der Repa- rationsgeschichte’ein nicht zu unterschätzendes Moment. Bei den Konferenzen in Versailles und in Spa wurden die deutschen Ver- : treter als Angeklagte behandelt, die man zur Verantwortung zieht und mit denen man auch in einem entsprechenden Tone verkehrt. Dies Urteil ist nicht übertrieben. Man braucht nur die offiziellen Noten durchzulesen, die der Oberste Rat von Versailles in jenen Zeiten in verschwenderischer Fülle auf die deutsche Regierung losgelassen hat. Da findet sich die gleiche Tonart. Solche Behand- lung erzeugt auch in dem, der von Hause aus den besten Willen zur Erfüllung der ihm auferlegten Pflichten mitbringt, eine Er- bitterung, die seine Lust zur Leistung wesentlich mindert. Im Herbst 1920 standen die erhöhten Kohlenlieferungen und die Regelung der Kohlenvorschüsse im Vordergrund des Interesses, Durch Anspannung aller Kräfte gelang es Deutschland in den drei E: Monaten August bis Oktober, die verlangten Kohlenmengen mit rund sechs Millionen Tonnen voll zu liefern, Damit war die Ge-. fahr der Ruhrbesetzung vorläufig abgewendet, In den Monaten November bis Januar konnte die Menge von zwei Millionen | _ Tonnen monatlich nicht voll geliefert werden. Für die gesamten sechs Monate ergab sich ein Fehlbetrag von mehr als 600 000 . Tonnen, der aber weiter keine bösen Folgen nach sich zog. Die Regelung der in Spa beschlossenen Vorschüsse für die E Kohlenlieferungen wurde der Reparationskommission überlassen, er 67 In einem Abkommen mit der Kriegslastenkommission vom 27. Oktober 1920 wurde der Betrag der Vorschüsse einheitlich auf 40 Goldmark für die Tonne Kohle festgesetzt. Am 28, Dezember 1920 wurde dann auch die schwierige Frage der Rückzahlung der Vorschüsse geregelt. Ich hatte von vornherein erklärt, daß eine Rückzahlung in bar bis zum 1. Mai 1921 nicht in Frage kommen könne, und daß ich lieber auf die Vorschüsse überhaupt verzichte, wenn eine solche Rückzahlung verlangt würde. Schließlich einigte man sich dahin, daß die Vorschüsse am 1. Mai 1921 gegen die bis dahin gemachten deutschen Sachlieferungen verrechnet werden sollten. Das war ein für Deutschland sehr günstiges Abkommen. Auf diese Weise bekam es für die Kohlenlieferungen im ganzen über 360 Millionen Goldmark ausbezahlt. Dagegen wurde aller- dings ein entsprechender Betrag für Sachleistungen nicht auf Reparationskonto gutgeschrieben. Aber da diese Sachleistungen ohnehin gemacht werden mußten, und ihre Gutschrift bei der völlig unbestimmten, aber sicherlich ungeheuren Höhe der ge- samten Reparationsschuld nicht sonderlich ins Gewicht fiel, kamen die Vorschüsse der Alliierten praktisch auf eine Bar- zahlung für die Kohlen hinaus, die gerade in eine Zeit fiel, wo Deutschland auf eine starke Einfuhr von Lebensmitteln und Roh- stoffen angewiesen war und einen besonders großen Devisen- bedarf hatte, Auch die Festsetzung von 40 Goldmark für die - Tonne erwies sich in der Folgezeit als vorteilhaft für Deutschland. Während nämlich bis zum Herbst 1920 überall Kohlenknappheit herrschte, trat allmählich ein Umschwung ein, der die Kohlen- preise sehr stark warf. Der Unterschied zwischen den Kohlen- preisen im deutschen Inland und auf dem Weltmarkt, der bei Ab- schluß des Abkommens noch mehr als 40 Goldmark betragen hatte, ging daher bald weit unter diesen Betrag zurück. Das An- gebot von Reparationskohle wurde schließlich so stark, daß ein Teil dieser zum Verbrauch in den Empfangsländern bestimmten Lieferungen wieder auf den Weltmarkt kam. Auf die deutsche Beschwerde gegen solchen Mißbrauch der Sachlieferungen ent- schied die Reparationskommission am 25. Februar 1921, daß jedes Empfangsland mit der Reparationskohle tun könne, was es wolle. 68 Die Sachverständigen des Dawesplanes haben dagegen drei Jahre später dem deutschen Standpunkt recht gegeben. Das wachsende Angebot von Kohle auf dem Weltmarkt erklärt auch die Tatsache, daß die Reparationskommission nach Ablauf der Spa-Lieferungen ihre monatliche Anforderung zwar zunächst noch auf 2200000 Tonnen bezifferte, tatsächlich aber bald auf 1700000 Tonnen heruntersetzte, Den Anlaß dazu gaben Unruhen in Ober- schlesien, welche den deutschen Kohlenbezug aus diesem Gebiet noch mehr erschwerten. Die Reparationskommission ermäßigte aber e- _ ihr Kohlenprogramm aus politischen Rücksichten nicht offiziell, sondern nur indirekt, nämlich so, daß sie einen Teil davon, 1700000 Tonnen, als besonders dringlich bezeichnete, während sie auf die Lieferung des Restes stillschweigend verzichtete, Die deutschen Lieferungen hielten sich von da ab immer etwas unter der als dring- lich angeforderten Menge, ohne daß, von Einzelfällen abgesehen, die Reparationskommission Klage darüber führte. Und doch sollten später gerade die Fehlbeträge der Kohlenlieferungen als Grund für die Ruhrbesetzung herangezogen werden. Die Einberufung der in Spa beschlossenen Konferenz von Genf verzögerte sich, Lloyd George drängte, Frankreich wich aus. Im November 1920 beschloß der Oberste Rat, die Reparationsfrage zu- nächst durch eine Besprechung von Sachverständigen der Alliierten mit deutschen Sachverständigen vorzubereiten. Zum Ort der Zu- sammenkunft wurde Brüssel bestimmt. Man blieb also bei der einmal versuchten Taktik, das Problem außerhalb der Reparations- kommission lösen zu wollen. Der Eingriff in die Rechte der Kom- mission wurde aber diesmal dadurch gemildert, daß die alliierten Mächte, mit Ausnahme von Frankreich, ihre Vertreter in der Repa- rationskommission als Sachverständige nach Brüssel entsandten. Das offizielle Programm der Konferenz bestand darin, von der deutschen Regierung über die finanziellen und wirtschaftlichen BE Verhältnisse des Reichs erschöpfende und authentische Auskunft zu erlangen und Mittel und Wege zu besprechen, mit denen man _ einer Lösung des Reparationsproblems näher kommen könne. Die _ Höhe der Schuld selbst sollte nicht erörtert werden, auch wurde e ein bestimmtes Angebot von Deutschland nicht erwartet. 69 Die Sachverständigen traten am 16, Dezember in Brüssel unter der Leitung von Delacroix zusammen, der kurz vorher an Stelle des zum belgischen Finanzminister ernannten Delegierten Theunis Mitglied der Reparationskommission geworden war. Deutschland entsandte außer mir den Reichsbankpräsidenten Havenstein, als Vertreter des Finanzministeriums Staatssekretär Schroeder und einige seiner ersten wirtschaftlichen Sachverständigen. England war durch Sir John Bradbury und Lord d’Abernon, Frankreich durch Seydoux und Cheysson, Italien durch d’Amelio und ‘"Giannini, Belgien durch Delacroix und Lepreux vertreten. Auch Japaner nahmen an der Konferenz teil. Gegenstand der Be- sprechung bildeten zunächst die Lage des Reichshaushalts und die Valutafrage. Eine lange und pessimistische Rede des Präsidenten Havenstein enttäuschte die Alliierten, die eine positive deutsche Mitarbeit erwarteten, und drohte gleich im Anfang die Be- sprechungen auf ein totes Gleis zu bringen. Nach vertraulicher Fühlungnahme mit der Gegenseite erwies es sich als nötig, alsbald ein Programm über die nach deutscher Ansicht möglichen Repa- rationsleistungen zu entwerfen. Ich führte daher am nächsten Tage folgendes aus: Deutschland habe ein wesentliches Interesse daran, daß die Reparationsschuld so bald wie möglich und in vernünftiger Weise, d, h. innerhalb der deutschen Zahlungsfähig- keit festgestellt werde, Die moralische Seite der Festsetzung sei von größter Bedeutung. Unermeßlicher Schaden würde entstehen, wenn man eine theoretische Summe ohne Rücksicht auf die Mög- lichkeit der Leistung verlange, Das müsse Deutschland zur Ver- zweiflung treiben. Den Rahmen der deutschen Ideen stellten die in Spa gemachten Vorschläge dar. Von der Gesamtsumme der Reparation müßten die bisherigen deutschen Leistungen ab- gerechnet werden. Für den Rest der Schuld seien 30 Annuitäten festzusetzen, wie dies im Versailler Vertrage vorgesehen sei. Geldzahlungen könne Deutschland aus den bekannten Gründen nicht machen, sondern vorläufig nur Sachlieferungen, Ein ganz besonderes Interesse hätten die Materiallieferungen für den Wiederaufbau der zerstörten Gebiete, Die Bestimmungen des Versailier Vertrages über diese Lieferungen seien zu kompliziert. 710 Deutschland sei zu praktischer Mitarbeit bereit und hoffe, bald eine Verständigung erreichen zu können, damit der Wiederaufbau R. schnell vonstatten gehe. Ein bestimmter Plan dafür sei im Augen” blick nicht zu entwickeln, aber man könne sich vorstellen, daß etwa die deutsche Regierung einen erheblichen Markkredit er- öffne, um einen Fonds zu schaffen, aus welchem private Be- stellungen der Geschädigten bei deutschen Lieferanten bezahlt werden würden, Die Einzelheiten seien am besten in einer be- sonderen Kommission zu erörtern. Vorbedingung für die Möglichkeit der Zahlungen in Geld sei die Ordnung der deutschen Währung und des Reichshaushalts. Ob Deutschland dies aus eigener Kraft vollbringen könne, sei zweifelhaft. Die Möglichkeit einer Kreditoperation in größerem Umfange für die Stabilisierung der deutschen Währung sei ge- geben, weil die innere Ordnung und die Arbeitsfreudigkeit in Deutschland schon wiederkehrten, Sobald Haushalt und Währung in Ordnung seien, werde Deutschland zu zahlen beginnen. Frei- lich seien vorher gewisse Hindernisse zu beseitigen, die in einigen Vorschriften des Versailler Vertrages lägen: die Besatzungskosten zehrten in ihrem jetzigen Umfange wahrscheinlich alles auf, was Deutschland überhaupt zahlen könne, Sie müßten daher im Inter- esse beider Teile stark vermindert werden, Ferner sei die ober- schlesische Frage da. Der Verlust von Oberschlesien würde die deutsche Zahlungsfähigkeit erheblich schwächen, Besonders dring- lich sei es, daß das deutsche Privateigentum in den alliierten Ländern freigegeben werde, weil andernfalls das Gleichgewicht im deutschen Handel schwerlich wiederherzustellen sei. Das im Versailler Vertrag vorgesehene System des Clearingverkehrs für die privaten Schulden führe in der Praxis zu großen Schwierig- keiten, Deutschland müsse außerdem die wirtschaftliche Gleich- berechtigung in der Welt wieder erlangen, vor allem aber von der steten Bedrohung mit wirtschaftlichen Repressalien frei werden. Endlich sei es auch nötig, für den deutschen Handel genügend Schiffsraum zu belassen. Alle diese Fragen bedürften einer ein- a gehenden Prüfung. Obwohl diese Darlegungen nichts besonderes Neues brachten, 71 wurden sie doch auf der Gegenseite mit Befriedigung aufgenommen und als ein wesentlicher Fortschritt in der deutschen Haltung an- gesehen, Die Stimmung der Konferenz blieb bis zum Schluß die denkbar beste, Alle Fragen, die ich aufgegriffen hatte, wurden in den folgenden Tagen von den deutschen Sachverständigen in den Sitzungen eingehend erörtert, Alliierte und Deutsche verkehrten auch außerhalb der Sitzungen in ungezwungener Weise mit- einander, Alles ließ erhoffen, daß diese Konferenz von Sach- verständigen frei von jedem politischen Druck nun endlich den richtigen Weg weisen würde, Am 22, Dezember 1920 wurde die Konferenz bis zum 10, Januar 1921 vertagt, damit in der Zwischenzeit die verschiedenen Gegen- stände gründlich studiert werden könnten, Für jede Frage sollte sich ein alliierter Berichterstatter mit einem deutschen Vertreter in Verbindung setzen. Im Anschluß an das bereits überreichte deutsche Material war von den Alliierten ein umfangreicher Fragebogen ausgearbeitet, der von der deutschen Delegation im einzelnen schriftlich beantwortet werden sollte, Zum erstenmal hatte eine Zusammenkunft von alliierten und deutschen Vertretern stattgefunden, die bei jedem der Beteiligten einen günstigen Eindruck hinterließ und — überall eine gute Presse fand, Der wahre Grund für die Vertagung der Brüsseler Konferenz lag in folgendem: Gleich bei Beginn der Tagung wurde mir vom Vorsitzenden vertraulich mitgeteilt, daß einer der englischen Vertreter beab- sichtige, im stillen den Zweck der Besprechungen wesentlich zu vertiefen, Er wolle schon in Brüssel eine feste Grundlage für das Reparationsprogramm errichten und ziffernmäßige Vorschläge er- örtern, die alsdann den verbündeten Regierungen vorgelegt werden. sollten, Dieser plötzliche Programmwechsel wurde mir von jenem englischen Delegierten dahin erklärt, daß man die augenblicklich günstige politische Konstellation und die Geneigtheit der maß- gebenden französischen Kreise benutzen müsse, zu einer baldigen Lösung der Reparationsfrage zu gelangen, Wenn Deutschland in Anlehnung an den Plan von Boulogne (s. S. 54) mit einem An- 712 gebot jährlicher Sachleistungen von ungefähr zwei Milliarden Goldmark und einer Geldannuität von einer Milliarde Goldmark käme, so würde eine geeignete Grundlage für die Reparationsver- handlungen zu schaffen sein. Die Sachleistungen sollten Deutsch- land möglichst hoch angerechnet werden, so daß sie ausreichen würden, die vorgesehenen zwei Milliarden zu decken, Ich war zuerst sehr skeptisch, weil mein englischer Gewährs- mann, ganz abgesehen von der Höhe der Zahlungen, die Möglich- keiten einer Einigung viel zu optimistisch beurteilte und an- scheinend von dem ehrgeizigen Wunsche getrieben wurde, unter der Hand eine husarenmäßig schnelle Lösung des großen Problems zustande zu bringen. Aber auch von französischer Seite wurde mir bestätigt, daß die „positive Richtung‘ letzthin in Frankreich stark an Boden gewonnen habe. Es setze sich immer mehr die Ueber- zeugung durch, daß es notwendig sei, mit Deutschland zur wirt- schaftlichen Zusammenarbeit zu kommen, wenn man die Gefahr des baldigen Zusammenbruchs der europäischen Zivilisation ab- wenden wolle, Es gelte jetzt, die öffentliche Meinung in Frank- reich zu überzeugen, daß Deutschland den festen Willen habe, sogleich etwas Erhebliches für Frankreich zu leisten. Die Leistung könne zur Zeit zwar nicht in Geld, wohl aber in Materialien und Arbeit bestehen. Ob sich eine wirkliche Mitarbeit Deutschlands am Wiederaufbau entwickeln könne, hänge von ungelösten poli- tischen und sozialen Fragen ab. Vorläufig handle es sich um eine = vernünftige praktische Regelung der Sachlieferungen. Auf diesen vertraulichen Mitteilungen fußte meine oben wieder- gegebene Konferenzrede, Gleichzeitig erfuhr ich, daß es der Reparationskommission vor- aussichtlich möglich sein würde, zum 1. Mai 1921 eine Schadens- summe festzusetzen, die sich wesentlich unter den bisherigen Schätzungen halten würde. Da der Gesamtbetrag der von. den Alliierten angemeldeten Schadensansprüche auf 200 ‚bis 300 Milliarden hinauslaufe, denke man daran, gewisse zweifel- hafte Vorschriften des Versailler Vertrages zugunsten von Deutsch- land auszulegen und damit den Gesamtbetrag des Schadens auf etwa 100 Milliarden Goldmark hinabzuschrauben. 73 Es war nicht möglich, sich allen diesen Eröffnungen gegenüber rein rezeptiv zu verhalten, Ich erklärte, daß der Plan von Boulogne wegen seiner ungeheuerlichen Zahlen und wegen der Art der ver- langten Sicherheiten unannehmbar sei, Als man darauf hinwies, daß die 269 Milliarden Mark Annuitäten des Planes von Boulogne nur einem Jetztwerte von 85 Milliarden entsprächen, fragte ich, warum man dann bei der erschreckend hohen Ziffer bleibe und nicht viel lieber von den 85 Milliarden ausgehe, natürlich nicht als Betrag der deutschen Schuld, sondern nur als Summe des am 1. Mai 1921 festzustellenden Schadens, Diese Bemerkung fiel auf fruchtbaren Boden. Ich sagte dann ohne Widerspruch der alliierten Vertrauensleute, auch dies sei noch eine für Deutschland uner- schwingliche Summe, immerhin hätten wir damit wenigstens einen Anhaltspunkt, und es sei dann viel leichter möglich, sich zu einigen, als wenn man immer noch den Hunderten von Milliarden Gold- mark ins Gesicht sehen müsse, Der Meinungsaustausch schloß mit der Erkenntnis, daß man den Kreis der besprochenen Ge- danken zunächst auf beiden Seiten verarbeiten müsse. Um Zeit hierfür zu gewinnen, wurde die Konferenz vertagt. Inzwischen wollte man in Paris die Besprechungen im kleinsten Kreise weiter- führen, Die Konferenz in Genf sollte erst zusammentreten, wenn die Sache so weit spruchreif sei, daß die Minister der beteiligten Staaten ein Abkommen unterzeichnen könnten, Ich berichtete damals nach Berlin: „Der durch das Drängen einiger alliierten Vertreter in schnelle Fahrt gebrachte Wagen kann nun nicht mehr ohne Schaden aufgehalten werden. Es gilt, ihn auf der gefährlichen Bahn in vorsichtiger Weise weiter- zuführen, Ich halte den in Brüssel erzielten Fortschritt für be- deutend. Wenn morgen die Konferenz auf den Januar vertagt wird, können wir wohl sagen, daß sie trotz aller Fährlichkeiten besser verlaufen ist, als wir wagen konnten, zu hoffen.“ Unmittelbar nach Weihnachten wurden diese Besprechungen in Paris wieder aufgenommen. Dabei stellte sich gleich heraus, daß die Alliierten unter sich über die Art des Vorgehens keines- falls einig waren, Ich hörte von maßgebender Seite, daß die französische Regierung der Absicht, schon in Brüssel einen Repa- - 74 rationsplan aufzustellen und die Annuitäten der Höhe nach zu E | | 1 "anzösischen er bestimmen, vollkommen fernstehe, Die französischen Vertret hätten die strikte Order, nur die nötigen Vorbereitungen für die spätere Konferenz in Genf und für die Entscheidung der Repa- rationskommission und der alliierten Regierungen zu treffen, Des- halb habe es auch keinen rechten Zweck, die Konferenz in Brüssel schon am 10, Januar wieder aufzunehmen. Anfang Januar 1921 legte mir ein Mitglied der Reparations- kommission als seine eigene Idee einen förmlichen Reparations- plan vor. Er ging von einer Schadenssumme von 85 Milliarden Goldmark aus, auf die in weitestem Maße die bisherigen Leistungen und Abtretungen Deutschlands angerechnet werden sollten, Der verbleibende Rest war in der Weise zu belegen, daß Deutschland dreißig Jahre lang jedes Jahr drei Milliarden Gold- mark und außerdem bei einer Besserung der deutschen Wirt- schaftslage entsprechende Zuschläge nach einem bestimmten Index zahlen sollte, Die Sachlieferungen spielten bei der Abdeckung der Annuitäten eine große Rolle. Auch sollten einige der auf der Brüsseler Konferenz gestellten deutschen Bedingungen erfüllt werden. Vor allem war damit gerechnet, daß das von den Alliierten beschlagnahmte deutsche Eigentum freigegeben oder, soweit es schon liquidiert war, auf die deutsche Schuld angerechnet werden würde. Dieser Plan wurde nicht nur von mir, sondern auch von englischer und französischer Seite abgelehnt; von England haupt- sächlich wegen der Verknüpfung mit der Freigabe des deutschen Eigentums, das England auf jeden Fall behalten wollte, Nunmehr kam Seydoux mit einem Gegenvorschlage: „Deutsch- land zahlt fünf Jahre hindurch eine Annuität von drei Milliarden Goldmark. Während dieser Frist wird möglichst bald der Gesamt- betrag der Reparationsschuld festgesetzt.‘ Im Besitze dieses Vorschlages reiste ich am 7. Januar 1921 nach Berlin, um der deutschen Regierung zu berichten, Die Wiederauf- nahme der Konferenz in Brüssel wurde inzwischen weiter ver- schoben. | 15 SIEBENTES KAPITEL DER PLAN SEYDOUX UND DIE PARISER BESCHLÜSSE VOM 29. JANUAR 1921 Durch die Besprechungen in und nach Brüssel hatten sich die Ereignisse überstürzt. Während bis dahin niemand sich getraute, mit einem Reparationsplan hervorzutreten, war jetzt ein konkreter Vorschlag für die vollständige Lösung des Problems bereits zwischen den Parteien durchgesprochen, freilich aber auch schon wieder beiseite gelegt. Nun schlug Seydoux im Namen der Alliierten eine Zwischenlösung für fünf Jahre vor. Das war etwas ganz Neues. Man mußte sich zunächst im Schoße der deutschen Regierung darüber klar werden, ob man von der bisher befolgten Politik der schleunigen Feststellung der gesamten Reparations- schuld abgehen und sich auf ein Provisorium einlassen solle, Bei beiden Wegen gab es viele Für und Wider. Die Erfahrung hatte gezeigt, daß bei der Ungewißheit über das Ausmaß der Reparationsschuld der Kredit des Reiches im In- und Ausland so gut wie verschwunden war, und daß aus demselben Grunde das Mißtrauen gegen die Markwährung besonders in Deutschland immer größer wurde. Die Mark hatte sich im Frühjahr 1920 von dem beständigen Fall seit Friedensschluß kräftig erholt, dann aber mit dem Fehlschlag der Konferenz von Spa wieder zu- sehends verschlechtert, Es war daher im Interesse einer durch- greifenden Gesundung der Wirtschaft logisch ganz richtig, dem Uebel an die Wurzel zu gehen und sogleich eine vollständige Regelung der Reparation anzustreben, Auf der anderen Seite aber stand schon damals die Erkenntnis, daß es noch für lange Zeit 16 unmöglich sein würde, eine Einigung der Alliierten mit Deutsch- land auf eine bestimmte Reparationssumme zu erzielen. Ein- sichtige Kreise beider Parteien sprachen offen aus, daß in dieser Richtung ein unüberbrückbarer Zwiespalt zwischen Frankreich 4 und Deutschland klaffe, In Frankreich herrschte die große Angst, daß bei Festsetzung der Schuld in erträglichen Grenzen E Deutschland zu billigen Kaufes aus dem Versailler Vertrage los- kommen und in zehn oder zwanzig Jahren dem geschwächten e Frankreich wirtschaftlich und politisch wieder ein furchtbarer : Gegner werden würde, Man weigerte sich auch, als Maßstab für die Höhe der Reparationsschuld die deutsche Zahlungsfähigkeit E: zu einem Zeitpunkt anzunehmen, wo Deutschlands wirtschaftliche R _ Kraft gering sei und die Gefahr bestehe, daß die Möglichkeiten künftiger Entwicklung unterschätzt würden. Der Leitartikler des „Temps“ schrieb am 18. Januar 1921: „Die öffentlichen Finanzen Deutschlands sind in einem schauderhaften Zustand, aber die Entwicklung der deutschen Industrie und des deutschen Handels nimmt schon wieder einen mächtigen Aufschwung. Es würde daher unvernünftig sein, schon heute das Deutsche Reich auf zu schwere Zahlungen festzulegen, die es zum Bankerott bringen würden, Aber es wäre noch viel unerträglicher, auf die Summe zu verzichten, welche Deutschland später nach Maßgabe seiner wachsenden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit wird zahlen können.” Das klingt sehr vernünftig, ist aber bei Lichte besehen der E kurzsichtige Standpunkt des Rentiers, der ängstlich darauf be- dacht ist, ja nichts von seinen Forderungen aufzugeben, und der nicht überlegt, daß er es durch seine Hartnäckigkeit dem zur Zeit zahlungsunfähigen Schuldner schwer oder unmöglich macht, wieder auf die Beine zu kommen und überhaupt etwas zu zahlen. So verkehrt aber auch die französische Auffassung war, man mußte mit ihr rechnen, Da Frankreich als größte militärische a ; Macht Europas und als Hauptgläubiger Deutschlands sich einer 3 & Einigung über die Schuldsumme verschloß, so war es für Deutsch- land nicht ratsam, das Angebot einer Zwischenlösung grund- 4 sätzlich abzulehnen, Denn ein Arrangement auf fünf Jahre ent- 71 fernte wenigstens für geraume Zeit den unerträglichen Druck, den die andauernde Reparationskrise auf Deutschland und die ganze Welt ausübte, Man konnte hoffen, daß im Laufe der fünf Jahre die psychischen und sentimentalen Nachwehen des Krieges immer mehr schwinden und vernünftigen wirtschaftlichen Erwägungen Platz machen würden. Man konnte während dieser Ruhepause auch Erfahrungen darüber sammeln, ob es Deutschland überhaupt möglich sein würde, derartig große Zahlungen ohne Gegenwert an das Ausland zu leisten, und man konnte, was beinahe noch wichtiger war, ausfindig machen, ob solche Leistungen den Empfangsländern wirklich den erhofften Nutzen bringen würden. Denn schon die berühmten Goldschiffe des Pizarro waren dem Wohlstande Spaniens nicht förderlich, und der Zahlung der fünf Milliarden Franken Kriegsentschädigung aus dem deutsch- französischen Kriege folgte 1873 ein wirtschaftlicher Krach in ganz Deutschland, dessen Folgen lange Jahre anhielten, Es ist nicht abwegig, anzunehmen, daß auch die Reparationszahlungen ähnliche Erfahrungen zeitigen und auf die Dauer den Empfängern selbst unangenehm werden können, Trotz alledem sprachen andere sehr gewichtige Gründe gegen das Eingehen auf eine provisorische Lösung. In der angel- sächsischen Welt, vor allem in Amerika, weigerte man sich grund- sätzlich, vor endgültiger Regelung der Reparation irgend etwas zur Wiederherstellung des europäischen Kredits zu tun. In Deutschland aber lehnte man die Zahlung der geforderten großen Beträge für die nächsten Jahre ohne Festsetzung der Gesamt- schuld mit der Begründung ab, daß die gewaltige Anstrengung doch nichts nützen, sondern für die späteren Jahre nur noch schlimmeren Druck der Alliierten bringen werde. Dies Argument klang dem deutschen Volke besonders plausibel. In den Berliner Beratungen im Januar 1921 wurden alle diese Gedankengänge eingehend erörtert. Die Industrie unter F ührung von Stinnes erklärte geschlossen, daß man keine provisorische Regelung wolle, sondern eine endgültige Lösung haben müsse, So kehrte ich nach Paris mit dem Auftrage der Regierung zurück, gegen das Provisorium von Seydoux Stellung zu nehmen. 78 Dann aber erhielt Dr. Simons den Besuch des französischen Botschafters und des englischen Geschäftsträgers in Berlin, die beide im Namen ihrer Regierungen die Annahme der Zwischen- lösung für fünf Jahre empfahlen. Daraufhin mußte ich in neue Besprechungen mit Seydoux und Lord d’Abernon eintreten, Ich - machte geltend, daß die Annuität von drei Milliarden Goldmark viel zu hoch gegriffen sei und daß sie wesentlich ermäßigt werden müßte, wenn man zu einer Einigung gelangen wolle, Die Gegen- seite machte nun den Vorschlag, man könne mit zwei Milliarden anfangen und die Zahlungen nach einem bestimmten Wohlstands- index steigen lassen, Ich konnte den Vorschlag nicht annehmen, erklärte aber, daß er vielleicht eine Grundlage zu Verhandlungen biete, wenn er von den alliierten Sachverständigen ihren Regie- rungen empfohlen werde, Für eine Verständigung aber sei nach wie vor nötig, daß Oberschlesien bei Deutschland verbleibe und daß auch die anderen in Brüssel besprochenen deutschen Be- dingungen zugestanden würden, vor allem Herabsetzung der Besatzungskosten und Freigabe des deutschen Eigentums. Soweit waren wir gekommen, als der Oberste Rat am 24. Januar 1921 unerwartet zu einer Konferenz in Paris zusammentrat. Außer ‚anderen Fragen sollten wiederum die Entwaffnung Deutschlands und die Reparation behandelt werden. Die alliierten Sachver- ständigen für die Brüsseler Konferenz legten dem Obersten Rat eine Denkschrift vor, in der das in Brüssel gesammelte Material sorgfältig und verständig verarbeitet war. Sie nahmen den Plan Seydoux für ein Provisorium 1921—1926 in der Weise auf, daß die Annuität von drei Milliarden Goldmark im Durchschnitt der fünf Jahre erreicht werden sollte und daß ein erheblicher Teil der Jahresleistungen durch Sachlieferungen abzutragen sei. Sie empfahlen ferner die Beschränkung der Besatzungskosten auf 240 Millionen Goldmark im Jahre und den Verzicht auf weitere Lieferungen von deutschen Schiffen. Deutschland sollte seine Finanzen in Ordnung bringen und seine Zölle als Pfand für die genannten Zahlungen bestellen, Die alliierten Sachverständigen brachten also in die Konferenz von Paris ein vollständiges Pro- &ramm mit, das besonders von der französischen Regierung ver- 19 treten wurde, Nach dem Sturz des Kabinetts Leygues hatte der neue Ministerpräsident Briand sich von der Kammer ermächtigen lassen, im Obersten Rat lediglich eine provisorische Regelung auf fünf oder möglichst nur auf drei Jahre zu vertreten. Die Fest- setzung einer Gesamtsumme für die Reparation (forfait) wurde hierbei ausdrücklich abgelehnt, weil sie den Interessen Frank- reichs widerspreche, In der Konferenz aber kam es ganz anders, Der französische Finanzminister Doumer hielt eine merkwürdige Rede, in der er von einer Schuld Deutschlands von 212 Milliarden Goldmark ausging und Annuitäten von 12 Milliarden Goldmark verlangte. Das richtete in den Köpfen der Teilnehmer allgemeine Verwirrung an. Heftige Auseinandersetzungen zwischen Engländern und Franzosen folgten, Es scheint, daß Lloyd George von der allseitig angenommenen Idee des Provisoriums ganz plötzlich abgesprungen ist und daß er dabei auch von Loucheur, der neuerdings wieder als Minister in das französische Kabinett eingetreten war, unter- stützt wurde. Die belgischen Delegierten Theunis und Jaspar führten schließlich eine Einigung zwischen den streitenden Alli- ierten herbei. Aber auch sie standen den Dingen nicht objektiv gegenüber, denn sie waren verärgert zur Konferenz gekommen, weil soeben ihre Verhandlungen mit Deutschland über den Rück- kauf der von den Deutschen im Kriege nach Belgien gebrachten Markbeträge fruchtlos verlaufen waren. R Das Ergebnis dieser seltsamen Konferenz waren die soge- nannten Pariser Beschlüsse vom 29, Januar 1921. Auch hierbei wurden, wie üblich, die Reparationsforderungen von politischen Drohungen wegen Nichterfüllung militärischer Vorschriften des Vertrages eingerahmt. Die Pariser Beschlüsse verlangten von Deutschland vom 1. Mai 1921 an folgende Jahresleistungen: 2 Milliarden Goldmark für die nächsten 2 Jahre, 3 Milliarden Goldmark für weitere 3 Jahre, 4 Milliarden Goldmark für weitere 3 Jahre, 5 Milliarden Goldmark für weitere 3 Jahre, 6 Milliarden Goldmark für weitere 31 Jahre, ferner für die gesamten 42 Jahre eine jährliche Abgabe in Höhe 80 von 12 Prozent des Wertes der deutschen Ausfuhr. Für vorzeitige Zahlung der Annuitäten wurde ein Rediskont bewilligt, und zwar acht Prozent bis 1. Mai 1923, dann sechs Prozent bis zum 1. Mai 1925 und von dann ab fünf Prozent. Für jedes aus- wärtige Kreditgeschäft des Reichs, der Staaten, der Provinzen und der Kommunen war die Zustimmung der Reparationskommission einzuholen, Als Sicherheit wurden gefordert die deutschen Land- und Seezölle sowie alle Einfuhr- und Ausfuhrabgaben. Die deutsche Regierung sollte einen Generaleinnehmer für die Zölle einsetzen, dessen Ernennung durch dieReparationskommission zu genehmigen war. Dieser Plan erregte allgemeines Befremden. Die alliierten Sachverständigen selbst waren. wie vor den Kopf gestoßen. All ihre Arbeit war vergebens gewesen; ihre Vorschläge waren von der Konferenz einfach nicht beachtet worden. Das Seltsamste an dem Plane aber war, daß die englische und die französische Re- gierung, die vorher nicht scharf genug eine Festsetzung der deutschen Gesamtschuld (forfait) hatten ablehnen können, ja die soeben ihre diplomatischen Vertreter zum deutschen Außen- minister geschickt hatten, um ihn zur Annahme des Provisoriums zu bestimmen, daß diese selben Regierungen nunmehr innerhalb weniger Stunden einen endgültigen Reparationsplan beschlossen, ohne über die Gründe ihrer veränderten Stellungnahme auch nur ein Wort der Erklärung zu sagen. Daher ist vielfach behauptet worden, es sei den Alliierten mit den Pariser Beschlüssen über- haupt nicht ernst gewesen, und nur die deutsche Regierung habe die Torheit begangen, die Beschlüsse ernst zu nehmen. Die wirklichen Ursachen des plötzlichen Frontwechsels, den der Oberste Rat damals vorgenommen hat, sind bis heute nicht vollkommen klar geworden. Wahrscheinlich liegen sie tief im rein Menschlichen, wie so oft bei großen politischen Entscheidungen. Es scheint so, daß die Gegensätze zwischen Frankreich und England in jenem Augenblick nur auf dem Rücken von Deutsch- land ausgeglichen werden konnten, dadurch nämlich, daß man dem Besiegten eine Last aufpackte, die für den Anfang nicht allzu drückend aussah, in den späteren Jahren aber einen Um- Bergmann, Der Weg der Reparation 6 81 fang annahm, der auch die weitestgehenden Ansprüche Frank- reichs befriedigte. Lloyd George mag sich wie schon so oft gedacht haben, daß es taktisch zunächst einmal darauf ankomme, einen derartigen Plan durchzudrücken und daß später die Zeit schon Rat bringen werde, Amüsant ist es, die Leitartikel des „lemps“, des Sprachrohrs der französischen Regierung, aus den Tagen vor und nach der Konferenz nachzulesen und miteinander zu vergleichen, Man wird daraus ersehen, daß es doch eines eleganten Eiertanzes be- durfte, um den Lesern klarzumachen, warum Frankreich vor der Konferenz nur ein Provisorium haben durfte und nach der Konferenz durchaus auf einer Gesamtregelung bestehen mußte, Bezeichnend ist auch, daß unmittelbar nach der Konferenz der vorher so milde und sanftmütige „Temps“ mit dem Gros der fran- zösischen Zeitungen die sofortige Anwendung von Gewaltmaß- regeln gegen Deutschland verlangte, vor allem eine Zollsperre zwischen dem besetzten und dem unbesetzten Gebiete. Der Oberste Rat teilte am 29, Januar der deutschen Regierung seine Beschlüsse mit und schlug vor, daß deutsche Vertreter sich Ende Februar mit den alliierten Delegierten in London treffen ‚sollten. Der deutsche Botschafter in Paris und ich gaben der deutschen Regierung einmütig den Rat, jede Verhandlung über die Pariser Beschlüsse abzulehnen. Die eigenmächtige Festsetzung der Schuld Deutschlands durch den Obersten Rat war ein Bruch des in Spa gegebenen Versprechens, daß über die Reparation mit Deutschland auf einer Konferenz in Genf verhandelt werden solle. Die Pariser Beschlüsse verletzten auch die Vorschrift des Versailler Vertrags, nach welcher es der Reparationskommission oblag, die deutsche Schuld zum 1, Mai 1921 festzustellen. Deutsch- land konnte sich also getrost auf den Boden des Versailler Ver- trages zurückziehen und jede Aussprache über die Pariser Be- schlüsse verweigern, Von bester französischer Seite wurde mir später gesagt, man habe den Kopf darüber geschüttelt, daß Deutschland diese einfache und klare Haltung nicht angenommen habe, sondern nach London gegangen sei, obwohl es sich doch sagen konnte, was seiner dort harren würde, Wie dem auch sei, 82 Deutschland nahm die von England ausgehende offizielle Ein- ladung vom 8. Februar 1921 nach London sofort an. Es zeigte sich auch hier wieder, daß jede Berliner Regierung glaubte, sie würde durch Aussprache mit den Chefs der alliierten Regierungen selber mehr erreichen als bei dem Verfahren vor der Reparations- kommission. Dabei hat sicherlich der Gedanke mitgespielt, derart wichtige Verhandlungen dürften nicht der ständigen deutschen Vertretung in Paris überlassen, sondern müßten vom Berliner Kabinett persönlich geführt werden. Schließlich war auch bei der mangelhaften Zusammensetzung der Reparationskommission und bei den bisherigen Erfahrungen mit ihr keine Gewähr dafür ge- boten, daß sie den deutschen Verhältnissen das nötige Verständ- nis entgegenbringen werde. Zugleich mit der Annahme der Einladung nach London brach in der gesamten deutschen Presse ein Entrüstungssturm über die Ungeheuerlichkeit der Pariser Beschlüsse los. Die deutsche Regierung tat nichts, um dem entgegenzutreten, vielmehr hielt der deutsche Außenminister bei einer Reise durch Süddeutschland Mitte Februar 1921 in Stuttgart und in Karlsruhe Reden, in denen er nicht nur die Pariser Beschlüsse scharf ablehnte, sondern auch die Frage der Schuld am Kriege wieder anschnitt. Das war natürlich keine diplomatische Vorbereitung für eine mündliche Verhandlung mit der Gegenpartei. Die Rolle der Brüsseler Sachverständigen war ausgespielt. Ein englischer Vertreter meinte damals, es sei doch ganz nützlich, nochmals nach Brüssel zu gehen, weil sich da unter den Sach- verständigen leicht Anregungen für die Londoner Konferenz bieten würden. Ich lehnte dies ab, da Deutschland erst in London zu den Pariser Beschlüssen Stellung nehmen werde und vorher weder die Alliierten über eine etwaige Aenderung der Beschlüsse diskutieren noch die deutschen Vertreter in eine sachliche Be- ratung eintreten könnten. Auch die Berufung einer Konferenz in Genf war nunmehr gegenstandslos geworden. Inzwischen bereitete man in Berlin mit fieberhaftem Eifer Material für die Londoner Konferenz vor. Eine große Anzahl 6* 83 erster deutscher Sachverständiger erstattete ein Gutachten über die wirtschaftlichen Wirkungen der Pariser Beschlüsse, Es be- leuchtete in knappen Sätzen das Problem der Zahlung von Land zu Land, zählte die verschiedenen Wege dafür auf und kam zu dem Ergebnis, daß die deutsche Ausfuhr die unmögliche Höhe von 40 Milliarden Goldmark jährlich erreichen müßte, um den normalen Anforderungen der Pariser Beschlüsse zu genügen, Das Gutachten ist ein sehr wertvoller Beitrag zur Reparationsfrage und gerade im Hinblick auf den späteren Dawesplan und dessen Vorschriften für den Transfer auch heute noch lesenswert, Eine weitere Denkschrift diente als Antwort auf die Kritik der Brüsseler Sachverständigen am deutschen Haushalt und an den deutschen Steuern. Aber die deutsche Regierung beschränkte sich nicht auf negative Arbeit, sie wollte positive Vorschläge machen. Ueber diese Gegenvorschläge hat man in Berlin den ganzen Monat Februar beraten. Ich vertrat damals in Berlin folgende Ansicht: Die Pariser Beschlüsse sind unannehmbar. Eine Einigung über eine ver- nünftige Gesamtsumme ist vorläufig nicht zu erzielen. An den Ziffern der Gegner Abstriche zu machen, ist zwecklos. Also muß der deutsche Vorschlag — wenn durchaus einer gemacht werden soll — auf einer ganz anderen Grundlage ruhen, Er muß so sein, daß die Gegenseite ihn nicht kurzerhand ablehnen kann. Deshalb soll Deutschland entschlossen auf den Boden der Vor- schläge der Brüsseler Sachverständigen treten, nach denen Deutschland für fünf Jahre je drei Milliarden Goldmark zu zahlen. hatte. Diese 15 Milliarden sind so zu finanzieren, daß je eine Milliarde für fünf Jahre durch Sachleistungen gedeckt wird, Dann bleiben noch je zwei Milliarden für fünf Jahre, die im Anleihewege aufzubringen sind, Diese zehn Milliarden Goldmark- Annuitäten, zu acht Prozent rediskontiert, geben einen Jetztwert von acht Milliarden, deren Finanzierung auf den internationalen Märkten versucht werden muß, Etwa eine bis zwei Milliarden wären in Deutschland selber unterzubringen. Die Anleihe könnte mit nicht mehr als fünf Prozent verzinst werden, wenn sie in allen Absatzländern steuerfrei gemacht wird. Als Sicherheit wären die 84 deutschen Zölle und gewisse Exportabgaben zu bestellen. Voraus- setzung des Vorschlags ist, daß auf Grund der bevorstehenden Abstimmung Oberschlesien bei Deutschland verbleibt, und daß auch die sonstigen bereits in Brüssel betonten deutschen Forde- rungen in bezug auf Besatzungskosten, Privateigentum usw. berücksichtigt werden, Ich drang mit dem Vorschlag nicht durch. Die Bedenken gegen eine provisorische Lösung waren in Berlin zu groß. Man glaubte, es würde möglich sein, mit einem deutschen Gesamtplan wenigstens die Grundlage zu Verhandlungen zu schaffen, Man griff eine französische Berechnung auf, wonach der Jetztwert der 226 Milliarden Goldmark Annuitäten der Pariser Beschlüsse bei einem Rediskont von acht Prozent nur etwa 53 Milliarden Goldmark betrug, und nahm in Anlehnung daran den Betrag von etwa 50 Milliarden zum Ausgangspunkt der deutschen Offerte, Den Wert aller bisherigen deutschen Leistungen und Abtretungen brachte man mit etwa 20 Milliarden in Abzug. So gelangte man zu 30 Milliarden, die durch internationale Anleihen zu tilgen wären. Ich habe diese Idee als abwegig bekämpft, weil 30Milliarden Goldmark deutscher Anleihen auch in einer Reihe von Jahren nicht zu begeben seien. Besonders gefährlich aber schien es mir, in London 30 Milliarden als Gesamtschuld zu nennen. Das mußte ‘bei der Stimmung im Lager der Alliierten verderblich wirken. Immerhin war es nicht ungeschickt, von dem Jetztwert der Annuitäten von Paris auszugehen, um aus dem ungeheuren Wust der Milliarden zu einigermaßen diskutablen Ziffern zu gelangen. Schließlich kam in Berlin folgende Kombination zustande: Die Ziffer der Alliierten von 53 Milliarden wird grund- sätzlich angenommen, Davon gehen jedoch ab die gesamten bis-. herigen Leistungen Deutschlands auf Grund des Vertrages von Versailles, soweit sie auf Reparationskonto gutzuschreiben sind. Der Wert dieser Leistungen ist so bald wie möglich in ange- messener Höhe festzusetzen. Die zwölfprozentige Abgabe von der deutschen Ausfuhr wird abgelehnt, An ihre Stelle tritt ein Besserungsschein, d. h. die Verpflichtung Deutschlands, einen _ angemessenen Teil seines späteren Zuwachses an Nationalein- 85 kommen für die Zwecke der Reparation an die Alliierten zu zahlen. Hierfür ist binnen zwei Jahren ein geeignetes Index- schema aufzustellen. Die feste Entschädigung von 53 minus x Milliarden — des noch zu ermittelnden Wertes der Vorleistungen — ist vom 1. Mai 1921 ab mit 5 Prozent zu verzinsen, Sie soll im Wege der inter- nationalen Anleihe finanziert werden, Da es aber nicht möglich ist, so gewaltige Beträge in absehbarer Zeit auf dem Weltmarkt zu begeben, soll zunächst ein Teilbetrag finanziert werden, und zwar im Verlaufe von fünf Jahren 8 bis 10 Milliarden durch An- leihe und 5 Milliarden durch Sachleistungen. Als Sicherheiten kommen außer Zöllen einzelne Verbrauchsabgaben wie Zucker- steuer, Branntweinsteuer und Tabaksteuer in Betracht. Solange Deutschland die für den Anleihedienst erforderlichen Beträge regelmäßig bezahlt, bleibt es von jeder Einmischung in die Ver- waltung der als Sicherheit bestellten Abgaben frei. Den Entwurf für diesen Vorschlag habe ich noch vor London in den Kreisen der Reparationskommission vertraulich be- sprochen. Man fand ihn nicht schlecht, wies aber darauf hin, daß die Anrechnung der Vorleistungen auf Schwierigkeiten stoßen werde und daß die deutschen Vorstellungen über die Höhe dieser Vorleistungen phantastisch seien. In Berlin dagegen wollte man durchaus das Angebot so fassen, daß eine Gesamtschuld von 30 Milliarden Goldmark nicht überschritten würde. Daher wurde die Bemerkung eingefügt, daß die deutsche Regierung die Vor- leistungen auf 20 Milliarden schätze, aber die Festsetzung des wahren Wertes dem Spruch von Sachverständigen überlasse. Auch wurden als Ausgangspunkt für die Gesamtschuld nicht 53, sondern rund 50 Milliarden genannt. Im übrigen lautete der Vor- schlag, den die deutsche Delegation unter der Führung des Außenministers Dr. Simons auf die Reise nach London mitnahm, genau so, wie ich ihn bei der Reparationskommission vorher ver- traulich mitgeteilt hatte, ohne ernstliche Bedenken dagegen zu hören. Vor allem war ein Besserungsschein ausdrücklich vorge- sehen, In dieser Form konnte man nach der Ansicht mehrerer Mitglieder der Reparationskommission das deutsche Angebot 86 unbedenklich in London vorlegen, wenn auch nicht zu erwarten war, daß die Alliierten ihm gleich zustimmen würden. Aber wiederum kam es anders. Bei der Ankunft in London erfuhr Dr. Simons von deutscher Seite, daß sein Vorschlag einen großen taktischen Fehler habe: er biete den Alliierten gleich zu viel. Das sei die Meinung von Leuten, die Lloyd George sehr nahe ständen, Es empfehle sich daher, nicht sofort den ganzen deutschen Vorschlag zu bringen, sondern eine Reserve für den Fall zu lassen, daß die Gegenseite mehr haben wolle, als von Deutschland ange- boten werde, Trotz dringender Warnungen aus dem Kreise der Delegation ließ sich Dr. Simons auf diesen Wink ein, weil ihm daran lag, den Intentionen von Lloyd George zu entsprechen. In der Nacht vor der Konferenz wurde der Passus über den Besserungsschein aus dem deutschen Angebot vorläufig gestrichen. 87 ACHTES KAPITEL DIE LONDONER KONFERENZ 1, BIS 7, MÄRZ 1921 Die Zusammenkunft mit den Alliierten in London fand am 1, März 1921 statt. Die Chefs der Regierungen von England, Frankreich, Italien und Belgien waren mit den zuständigen Ministern und einer großen Anzahl von Sachverständigen er- schienen, außerdem auch Vertreter von Japan. Dr. Simons erhielt das Wort. Anstatt das schriftliche deutsche Angebot vorzulegen, gab er eine gewissenhafte Darlegung der Schwierigkeiten, unter denen der deutsche Vorschlag entstanden sei. Er knüpfte daran eine eingehende Kritik der Pariser Beschlüsse, die wirtschaftlich unausführbar seien. Eigentlich sei es der deutschen Regierung unmöglich, bei der Lage der heimischen Verhältnisse einen festen Vorschlag zu machen, trotzdem aber habe sie sich dazu ent- schlossen, um baldigst zu einer Lösung des Reparationsproblems zu gelangen. Er halte es nicht für richtig, auf lange Jahre hinaus Annuitäten festzusetzen, sondern wolle von einem festen Gegen- wartswert ausgehen, und zwar von 50 Milliarden Goldmark. So viel seien bei einem Diskontsatz von 8 Prozent die gesamten Annuitäten der Pariser Beschlüsse jetzt wert. Darauf müßten die deutschen Vorleistungen in Anrechnung kommen, welche er auf über 20 Milliarden Goldmark schätze, Dann ergäbe sich ein Rest- betrag von etwa 30 Milliarden, der im einzelnen noch nachzu- prüfen sei. Dr. Simons sprach auch bei seinen weiteren Aus- führungen immer von diesen 30 Milliarden. Er erklärte, daß davon vorläufig 8 Milliarden im Wege der internationalen Anleihe 88 finanziert werden sollten, und setzte unter immer steigender Un- ruhe der Versammlung auseinander, wie er sich die Finanzierung der restlichen 22 Milliarden denke. Diese Art der Darstellung, welche die verpönten 30 Milliarden sozusagen in die Köpfe der Versammlung einhämmerte und die Schuldsumme anscheinend immer weiter zusammenschrumpfen ließ, machte im Verein mit den Schwierigkeiten der Uebersetzung des verwickelten deutschen Vortrags auf die alliierten Zuhörer einen ungünstigen Eindruck. Dr. Simons sah sich daher veranlaßt, kurz abzubrechen, um zur Verlesung seiner formulierten Vorschläge überzugehen. Das aber erklärte Lloyd George als Vorsitzender sehr schroff für unnötig. Die Sitzung endigte daher mit der einfachen Uebergabe der deutschen Gegenvorschläge. Die Aufregung bei den Alliierten war ungeheuer. Die gesamte Presse der Alliierten und besonders die englischen: Blätter aller Richtungen verurteilten das Auftreten der deutschen Delegation in Grund und Boden. Man sprach in vollem Ernst von einer deutschen Herausforderung und alle Welt schrie sofort nach Sanktionen. Es liegt etwas Tragikomisches darin, daß man der deutschen Delegation, die unter der peinlich gewissenhaften, sorg- samen und würdigen Führung von Dr. Simons wochenlang uner- müdlich gearbeitet hatte, um den Alliierten annehmbare Vor- schläge zu machen, die Absicht einer dreisten Herausforderung zuschieben konnte, Hier zeigte es sich in besonders krasser Form, daß weder der Deutsche sich der Denkart anderer Völker anzu- passen versteht noch die Welt die Eigenart der deutschen Gründ- lichkeit und Schwerarbeit zu würdigen weiß. Was in Wirklichkeit vorlag, war ein taktisches Mißgeschick des deutschen Ministers, das bei ruhiger und sachgemäßer Besprechung im kleinen Kreise sicher zu vermeiden war. So aber wurde Dr. Simons genötigt, sich vor einer großen und feierlichen Versammlung zu verantworten. Seine Befangenheit wurde ohne weiteres zum Verbrechen ge- stempelt, Bis zum 3, März blieb die deutsche Delegation ohne Fühlung mit den Alliierten, Dann wurde sie zur zweiten Sitzung vor- geladen. Lloyd George hielt eine donnernde Anklagerede gegen 89 Deutschland, Er nannte die deutschen Vorschläge eine klare Ver- höhnung des Vertrages von Versailles. Der Geist der deutschen Delegation ergebe sich aus den Reden, die Dr. Simons in Deutsch- land gegen die Pariser Beschlüsse gehalten habe. Besonders ernst sei seine Rede von Karlsruhe, in der er die deutsche Verantwort- lichkeit für den Krieg abgelehnt habe, Das sei das wahre Gesicht Deutschlands. Seine jetzigen Vorschläge folgten zwangläufig daraus. Deutschland habe noch nicht begriffen, daß es Reparation zu leisten habe. Die deutsche Behauptung, daß die alliierten Forderungen eine unerträgliche Bedrückung darstellten und das deutsche Volk versklavten, sei falsch. Die Alliierten wollten nur einen Teil ihres Schadens ersetzt haben. Es sei Zeitvergeudung, auf die deutschen Vorschläge einzugehen. Die Alliierten hätten nur zu sagen, daß wegen der vielfachen Verstöße der deutschen Regierung gegen den Versailler Vertrag, bei der Aburteilung der Kriegsverbrecher, der Entwaffnung, der Bezahlung von zwanzig Milliarden Goldmark für die Reparation usw., jetzt mit Strafmaß- nahmen vorgegangen werden müsse, Wenn Deutschland nicht bis zum 7, März erkläre, daß es die Pariser Beschlüsse annehme oder andere befriedigende Vorschläge mache, so würden die Alliierten zu folgenden Sanktionen schreiten: Sie würden 1. die Städte Düsseldorf, Duisburg und Ruhrort besetzen, 2. einen Teil des Kaufpreises für die Einfuhr deutscher Waren in den alliierten Ländern einbehalten, 3. die deutschen Zölle im besetzten Gebiet in Beschlag nehmen und eine Zollgrenze zwischen besetztem und unbesetztem Gebiet errichten. Wieweit sich bei dieser Strafrede ehrliche Entrüstung mit poli- tischem Theater mischte, ist schwer zu beurteilen. Für den ge- sunden Menschenverstand ist es kaum faßbar, daß die alliierten Chefs etwa geglaubt haben könnten, die deutsche Delegation werde unter dem Drucke der angedrohten Sanktionen sich bereit finden, entweder die Pariser Vorschläge anzunehmen oder bessere eigene Vorschläge aus der Tasche zu ziehen. Wenn es wirklich die Ab- sicht war, nach dem berühmten Vorbild von Versailles und Spa ein deutsches Zugeständnis unter schwerem Druck zu erreichen, 90 so haben die Alliierten in London die Sachlage gänzlich verkannt. Es war der deutschen Delegation einfach nicht möglich, dem Ver- langen der Alliierten zu entsprechen. Es blieb ihr nichts weiter übrig, als den Sanktionen entgegenzusehen. In dieser verzweifelten Lage, die nur durch eine Reihe von auf- gebauschten Irrtümern entstanden war, wurde versucht, mit der Gegenseite persönlich Fühlung zu nehmen. Ich ging zu Philipp Kerr, dem damaligen Privatsekretär von Lloyd George, und setzte ihm unter vier Augen auseinander, daß die deutsche Haltung von den Alliierten gänzlich mißverstanden sei, Kerr begriff sogleich und schlug eine Zusammenkunft zwischen Lloyd George und Dr. Simons’vor. Um keinen Argwohn bei Frankreich zu erwecken, wurde auch Briand benachrichtigt. So fand in aller Stille am Vor- mittag des 5. März im Hause von Lord Curzon eine Begegnung statt, an der Lloyd George und Lord d’Abernon, Briand und Loucheur, Dr, Simons und ich teilnahmen, Die alliierten Vertreter hörten Dr, Simons zunächst mit kühler Zurückhaltung an. Ihr Ton wurde aber allmählich wärmer, besonders als ich ausführte, daß es bei dem Unterschied in den Ansichten über die deutsche Zahlungsfähigkeit jetzt nicht möglich sei, zu einer endgültigen Lösung zu kommen, sondern daß man auf das Provisorium der Brüsseler Sachverständigen zurückgehen müsse, Lloyd George griff die Anregung mit Freude auf und beraumte sogleich eine Besprechung zwischen alliierten und deutschen Sachverständigen an, Loucheur, der diese Sitzung leitete, erklärte aber, daß ein Provisorium jetzt nicht mehr möglich sei, weil die öffentliche Meinung in den alliierten Ländern eine endgültige Lösung ver- lange, Ein Arrangement auf fünf Jahre habe keinen Wert, weil man nicht wisse, was nach Ablauf der fünf Jahre geschehen werde. Man müsse auf dreißig Jahre Annuitäten haben, mindestens in Höhe von drei Milliarden jährlich. Da die deutschen Vertreter sich zu einem solchen Abkommen außerstande erklärten, wurde die Besprechung abgebrochen. Die deutsche Delegation arbeitete trotzdem einen Vorschlag für ein Provisorium von fünf Jahren aus, der über Sonntag von den Alliierten auf dem Landhause in Chequers eingehend beraten wurde, In der Nacht dieses Sonn- 91 tags (6. März) kamen Lord d’Abernon und Loucheur zur deutschen Delegation. Sie erklärten, daß das Provisorium abgelehnt sei, und stellten zwei neue Vorschläge zur Wahl: entweder Zahlung von je drei Milliarden jährlich auf dreißig Jahre und 25 Prozent Ab- gabe vom Werte der deutschen Ausfuhr oder aber Abgabe von 40 Prozent des Wertes der deutschen Ausfuhr auf dreißig Jahre, mindestens aber drei Milliarden jährlich, Keiner der beiden Vor- schläge war für Deutschland annehmbar, Das Schicksal nahm seinen Lauf, Am nächsten Morgen fand die entscheidende Sitzung statt. Dr. Simons griff nochmals auf den Vorschlag des Provisoriums zurück und wies darauf hin, daß noch vor einigen Wochen sowohl die alliierten Sachverständigen wie die alliierten Regierungen selbst das Provisorium gefordert und das Definitivum abgelehnt hätten, Er erklärte sich bereit, für die ersten fünf Jahre die festen Annuitäten in Höhe der Pariser Beschlüsse anzunehmen und daneben einen vollwertigen Ersatz für die zwölfprozentige Abgabe von der deutschen Aus- fuhr anzubieten. Wenn innerhalb der fünf Jahre keine Ver- ständigung über die Gesamtschuld erreicht werde, dann solle es bei den Bestimmungen des Versailler Vertrages verbleiben. In geschickter Weise betonte Dr. Simons, daß es ungerecht sei, Deutschland aus dieser Haltung den Vorwurf einer hartnäckigen und vorsätzlichen Weigerung zu machen, für die es bestraft werden müsse, Er fand treffliche Worte für die Notwendigkeit der deutschen Mitwirkung beim Wiederaufbau Belgiens und Frank- reichs und wies an der Hand der Vorschriften des Versailler Ver- trages die Rechtswidrigkeit der angedrohten Sanktionen nach. Er schloß damit, daß jede Zwangsmaßnahme, die ihren Zweck ver- fehle, neue Zwangsmaßnahmen hervorrufen und vom Frieden weg zu einem neuen Zustande der Gewalt führen müsse, Nötig sei es für alle, aus der ungesunden Atmosphäre der Gewalt in die heil- same Atmosphäre freiwilliger Mitarbeit zu gelangen. Wie man auch die Schuldfrage entscheiden möge, es handele sich um eine gemeinsame Not, die nur durch gemeinsame Anstrengung behoben werden könne. Deutschland sei bereit, sich mehr als die anderen Länder anzustrengen. 92 Diese ausgezeichnete Rede machte sichtlich Eindruck, Aber es war zu spät. Die Alliierten waren zu weit gegangen, um noch umkehren zu können, Die Gewalt war in aller Oeffentlichkeit so laut angedroht worden, daß sie nun auch ausgeübt werden mußte, Als Lloyd George erklärte, daß die Sanktionen zur Ausführung kommen müßten, sah und hörte man ihm an, wie wenig er mit dem Herzen dabei war. Er wußte so gut wie die anderen Mitglieder der Konferenz, daß in London Vernunft und Recht geopfert wurden, um einen der großen Menge gefälligen Ausweg aus einer Zwangslage zu finden, die sich die alliierten Regierungen mit ihrer Gewaltpolitik gegen Deutschland ohne Not selbst geschaffen hatten. Das Angebot eines Provisoriums durch Dr. Simons in London ist sowohl von: deutscher Seite wie bei den Alliierten heftig kriti- siert worden, Briand erklärte der französischen Kammer und der Presse, daß Dr. Simons innerhalb dreier Tage sein ursprüngliches Angebot um das Dreifache erhöht und damit Deutschlands schlechten Willen erwiesen habe, Diese Behauptung ist grund- falsch. Nach dem ursprünglichen deutschen Angebot in London sollten in den ersten fünf Jahren durch Sachleistungen und An- leihen Annuitäten von zusammen 15 Milliarden Goldmark gezahlt werden. Der letzte deutsche Vorschlag in London nahm die Pariser Ziffern für fünf Jahre an, d, h. feste Annuitäten von zu- sammen 13 Milliarden, dazu 12 Prozent der Ausfuhr im Werte von etwa 3,5 Milliarden, insgesamt 16.5 Milliarden Goldmark. Der Unterschied in der Höhe der beiden Angebote ist deshalb nicht besonders groß, Wieder einmal hatte die hohe Politik in der Lösung der Reparationsfrage vollkommen versagt. Die Sanktionen traten so- fort in Kraft, Marschall Foch setzte seine Truppen schon am Morgen des 8, März 1921 in Bewegung. Düsseldorf, Duisburg und Ruhrort wurden besetzt, die Zollgrenze zwischen besetztem und unbesetztemi Gebiet errichtet, die deutschen Zölle an der West- $renze mit Beschlag belegt. England schritt zum Erlaß des _ German Reparation (Recovery) Act, nach welchem bis zu 50 Pro- zent — der Satz ist später auf 26 Prozent ermäßigt worden — 93 des Wertes der deutschen Einfuhr nach England für die Repa- ration einbehalten wurden, Andere alliierte Staaten erließen gleichartige Gesetze, die aber vorläufig nicht zur Ausführung gelangten, Daß die alliierten Regierungen aus dem Versailler Vertrag kein Recht auf die Anwendung der Londoner Sanktionen her- leiten konnten, ist von verschiedenen Seiten so überzeugend nach- gewiesen worden, daß wir darauf nicht weiter einzugehen brauchen. Aber ich muß schon hier darauf hinweisen, daß die Sanktionen von London den Grund für die spätere Besetzung der Ruhr gelegt haben. 94 NEUNTES KAPITEL DIE FESTSETZUNG DER REPARATIONSSCHULD UND DER LONDONER ZAHLUNGSPLAN VOM 5. MAI 1921 Nach der Konferenz von London ging es in den Reparations- fragen drunter und drüber. Es ist schwer, sich in dem Wirrwarr der folgenden Ereignisse zurechtzufinden. Bei der Reparationskommission war man über die Londoner Vorgänge sehr bestürzt. Vernünftige Besprechungen waren unter dem frischen Eindruck der Sanktionen fast unmöglich. Aber dennoch boten einsichtige Mitglieder der Kommission mir bald ihre Hand, um abseits von den Wirren der Politik zu einer Verständigung zu kommen, Die Gelegenheit dazu ergab sich bei den Arbeiten zur Feststellung der deutschen Reparationsschuld gemäß dem Vertrage von Versailles. Vom Februar 1921 an fanden zwischen der Reparationskommission und einer deutschen Kommission unter Dr. Ruppel in Paris eingehende Besprechungen darüber statt, deren Einzelheiten wir übergehen können. Hervor- zuheben ist aber, daß die Zusammenarbeit der beiden Kom- missionen trotz des Widerstreites der Interessen sehr gut von statten ging und manchen Nutzen brachte, Damals wurde mir von alliierter Seite geraten, Deutschland möchte sich an die Re- parationskommission mit dem Vorschlag wenden, die beiden Kommissionen sollten nicht nur über die Höhe der Schäden, sondern auch über die Art und Weise beraten, in welcher Deutsch- 95 land seiner Zahlungspflicht nachkommen könne. Daraus würde sich dann zwanglos die Möglichkeit ergeben, im Benehmen mit Deutschland einen Zahlungsplan aufzustellen, ohne daß von vornherein ein bestimmter deutscher Vorschlag gemacht werden müsse, Ich habe diese Anregung bei der deutschen Regierung nachdrücklich vertreten, aber ohne Erfolg. Vielleicht war es bei der allgemeinen politischen Aufregung schon zu spät dazu, zu- mal auch die Reparationskommission nach der Konferenz von London sich auf höheres Geheiß offiziell auf den Buchstaben des Versailler Vertrages versteifte und hintereinander eine Reihe von Forderungen erhob, die allesamt unerfüllbar waren, Die Kom- mission glaubte damit der Oeffentlichkeit nachweisen zu müssen, daß sie die ihr im Vertrage von Versailles zugewiesenen Aufgaben pflichtmäßig erledigt habe, In erster Reihe handelte es sich um die 20 Milliarden Gold- mark, welche Deutschland bis zum 1. Mai 1921 zu zahlen hatte, Wie erwähnt, war schon in Spa eine deutsche Aufstellung der ge- machten Zahlungen, Lieferungen und Abtretungen vorgelegt worden, die darauf hinauslief, daß Deutschland bereits mehr als die 20 Milliarden geleistet habe. Auf eine weitere Mitteilung der deutschen Regierung vom 20. Januar 1921, die zu ungefähr dem gleichen Ergebnis kam, antwortete die Reparationskom- mission am 26, Februar 1921, daß sie noch nicht in der Lage sei, endgültig festzustellen, wieviel von den bisherigen deutschen Leistungen auf die 20 Milliarden anzurechnen sei, Schon jetzt aber könne sie erklären, daß höchstens acht Milliarden für die Anrechnung in Betracht kämen. Deshalb seien noch 12 Milliarden bis zum 1, Mai 1921 zu zahlen. Deutschland solle sich äußern, wie es diesen Betrag begleichen wolle, Als die deutsche Re- gierung dabei beharrte, daß sie schon mehr als 20 Milliarden gezahlt habe, verlangte die Reparationskommission am 15, März kategorisch die Zahlung von 12 Milliarden Goldmark. Zunächst sei bis zum 23, März, d. h, innerhalb von acht Tagen eine erste Anzahlung von einer Milliarde Goldmark in französischen Franken, Pfund Sterling und Dollars zu leisten. Bis zum 1. April seien Vorschläge zur Bezahlung der restlichen 11 Milliarden 96 auf - ß E | Lu ei r Re: a “ un ' y {b ; Par: . ar iv h Fali Ne! EH ER Fu Br, d er einzureichen, wobei auch die Lieferung von Waren und von Wertpapieren sowie die Ausgabe einer Anleihe in Betracht kommen könne. Der Schriftwechsel über diese ungeheuerliche Forderung nahm solche Formen an, daß die Reparationskom- mission wieder mit der Anwendung der bekannten Sanktions- paragraphen des Versailler Vertrages drohte. Als auch das nichts half, verlangte die Reparationskommission den Abtransport des gesamten Gold- und Silberbestandes der Reichsbank an die Stellen der Reichsbank in Köln oder Koblenz. Wenn die Regierung sich dem widersetze, so werde die Auslieferung des Goldes und des Silbers an die Reparationskommission verlangt werden, Alle diese Forderungen wurden als Ultimatum gestellt, auf das binnen wenigen Tagen zu antworten war. Die deutsche Regierung lehnte die Uebertragung des Metallbestandes der Reichsbank als unmög- lich ab, weil letztere ein selbständiges, vom Reiche unabhängiges Institut sei, Sie erklärte ferner, daß die Wegschaffung des Goldes aus der Reichsbank in Berlin den letzten Rest des deutschen Kredits zerstören und damit die Reparation unmöglich machen würde, Daraufhin verlangte die Reparationskommission die Aus- lieferung von einer Milliarde Mark in Gold bis zum 30. April. Am 29, April teilte die deutsche Regierung mit, daß sie der Regierung der Vereinigten Staaten Vorschläge für die Lösung des Reparationsproblems übermittelt habe, wobei auch in Aus- sicht genommen sei, der Reparationskommission sofort die eine Milliarde Goldmark in folgender Weise zu zahlen: 150 Millionen in Gold, Silber und Devisen sowie 850 Millionen in dreimonatigen Schatzanweisungen fremder Währung. Die Reparationskommission antwortete lediglich mit der formellen Anzeige an die alliierten Mächte, daß Deutschland seine Ver- pflichtung zur Zahlung der zwanzig Milliarden nicht erfüllt habe und mit mindestens 12 Milliarden im Verzuge sei. Inzwischen war die deutsche Regierung in ihrer Not aul die seltsamsten Mittel verfallen, aus der verzweifelten Lage herauszukommen. Sie wendete sich an den päpstlichen Stuhl, natürlich ohne jeden Erfolg. Sie wollte auch auf den Vorschlag Bergmann, Der Weg der Reparation 7 97 eines neutralen Mittelsmannes eingehen, der ein Angebot von 50 Milliarden Goldmark direkt an die Iranzösische Regierung be- zweckte, Schließlich tat sie den gefährlichen Schritt, den Prä- sidenten der Vereinigten Staaten als Schiedsrichter anzurufen, Präsident Harding lehnte das ab, erklärte sich aber bereit, neue deutsche Vorschläge zu prüfen und, falls sie ihm zweckmäßig erschienen, an die Alliierten weiterzugeben, Darauf richtete am 24, April 1921 die deutsche Regierung an die Vereinigten Staaten das bereits erwähnte Angebot, Sie erklärte sich darin bereit, eine Reparationsschuld von 50 Milliarden Goldmark Jetztwert anzu- erkennen und diese Summe, wenn gewünscht, auch in Annuitäten bis zur Gesamthöhe von 200 Milliarden Goldmark zu zahlen, Die Verzinsung der 50 Milliarden sollte mit vier Prozent be- Sinnen und später nach Maßgabe der deutschen Leistungsfähig- keit ausgestaltet werden. Ein möglichst hoher Betrag sollte unmittelbar durch eine internationale Anleihe flüssig gemacht werden. Außerdem sollten die alliierten Mächte in Form eines Besserungsscheines an der künftigen Hebung der deutschen Finanz- und Wirtschaftslage beteiligt werden. Deutschland er- bot sich nochmals, mit aller Kraft am Wiederaufbau der zer- störten Gebiete mit Arbeit, Materialien und sonstigen Hilfs- mitteln teilzunehmen und auch darüber hinaus Sachleistungen für die Alliierten zu machen, Eine Milliarde Goldmark sollte sofort in der oben beschriebenen Weise an die Reparationskommission gezahlt werden, Falls die Vereinigten Staaten von Amerika und ‚die Alliierten es wünschen sollten, würde Deutschland bereit sein, nach Maßgabe seiner Leistungsfähigkeit Schulden der Alliierten an die Vereinigten Staaten auf sich zu nehmen, Außer- dem erklärte sich Deutschland zur Stellung jeder erforderlichen Garantie bereit, Am 3, Mai 1921 teilte die Regierung der Vereinigten Staaten Deutschland mit, daß die alliierten Regierungen das Angebot zurückgewiesen hätten, Es ist heute kaum verständlich, wie die damalige deutsche Regierung den Mut aufbringen konnte, ein derartig weitgehendes Angebot zu machen, das nach dem Urteil jedes Kundigen die 98 E deutschen Zahlungsmöglichkeiten bei weitem überschritt, Hätten die Alliierten das Angebot aufgegriffen und zur Grundlage von Verhandlungen gemacht, so war Deutschland von vornherein mit einem Zahlungsversprechen gebunden, das die Aufstellung aller späteren Reparationspläne unnötig machte, Jedenfalls werden die Alliierten auch nach dem Dawesplan nie das erhalten, was Deutschland damals selbst angeboten hat. Vielleicht haben die Alliierten das Angebot keiner ernsthaften Prüfung gewürdigt, weil sie inzwischen schon mit der Aufstellung ihres eigenen Zahlungs- planes beschäftigt waren. ) Am 27. April 1921 schloß die Reparationskommission ihre Arbeiten für die Festsetzung der deutschen Reparationsschuld ab. Sie gelangte zu einem Gesamtbetrage von 132 Milliarden Gold- mark. Davon sollten in Abzug kommen: a) die bereits für die Reparation geleisteten Beträge, | b) die Beträge, die nach und nach als Gegenwert des in den abgetretenen Gebieten liegenden Eigentums des Reiches und der Länder auf Reparationskonto gutzuschreiben seien, c) alle Beträge, die etwa noch von den früheren Bundes- genossen Deutschlands eingehen und auf Reparationskonto gutgebracht würden, Zu den 132 Milliarden sollte noch die belgische Kriegsschuld an die Alliierten treten, zu deren Uebernahme Deutschland nach dem Vertrage von Versailles verpflichtet war. Von allen Leistungen, welche Deutschland bis zum 1, Mai 1921 gemacht hat, ist der Reparation nichts zugute gekommen. Die Reparationskommission hat offiziell festgestellt, daß der ihr bis zum 1. Mai 1921 wirklich zugeflossene Gegenwert für alle deutschen Zahlungen, Lieferungen und Abtretungen sich auf etwa 2,6 Milliarden Goldmark beläuft. Gegen diesen Betrag waren zunächst die Besatzungskosten zu verrechnen, Letztere erreichten für die französische, belgische und englische Armee zusammen am 1, Mai 1921 den Betrag von 2,1 Milliarden und für die kleine amerikanische Besatzungsarmee allein über 1 Milliarde Goldmark. Da gegen die gutgeschriebenen 2,6 Milliarden auch noch die 360 Millionen Goldmark der Kohlenvorschüsse von Spa und die “ 99 Kosten der alliierten Kontrollkommissionen verrechnet werden mußten, so waren die Eingänge auf Reparationskonto kaum hin- reichend, um die Kosten der Besatzungstruppen Frankreichs, Belgiens und Englands zu decken. Die Kosten der amerikanischen Besatzung sind noch heute unbezahlt; sie werden gemäß den Beschlüssen der interalliierten F inanzkonferenz vom 14, Januar 1925 zu Paris aus den Jahresleistungen Deutschlands unter dem Dawesplane allmählich abgetragen. Diese Rechnung kennzeichnet die sinnlose wirtschaftliche Verwüstung und Verschwendung, welche die Ausführung des Vertrages von Versailles mit sich gebracht hat. Man bedenke: die Abtretung beinahe der gesamten deutschen Handelsflotte in dem von der Reparationskommission anerkannten Ausmaß von 2 187 000 Bruttotonnen, die Lieferung von 24 Millionen Tonnen Kohle, von 15 Millionen Kilo F arbstoff, großer Mengen von Vieh (135000 Rinder und 50 000 Pferde) und des gewaltigen Materials (über 5000 Lokomotiven, 1200 Personen- und Ge- päckwagen, 135000 Güterwagen, 130 000 landwirtschaftliche Maschinen), das unter dem Waffenstillstand abgeliefert war, sind neben allen sonstigen Leistungen sämtlich von den Kosten der Besatzung verschlungen worden, Die Opfer und Entbehrungen, die sich Deutschland auferlegen mußte und die nur dann einen Sinn hatten, wenn sie wirklich der Wirtschaft der geschädigten Länder zugute kamen, wurden vollkommen zwecklos für mili- tärische Ausgaben vergeudet, Sie brachten Deutschland keinerlei Erleichterung seiner Reparationsschuld. Kein Wunder, daß mit einem solchen System, das alle deutschen Leistungen wie in einem Danaidenfaß spurlos verschwinden ließ, es außerordentlich schwer war, dem deutschen Volke klar zu machen, daß es alle An- strengungen auf sich nehmen müsse, um die Reparationsschuld abzuzahlen. Man muß das alles wissen, wenn man ein gerechtes Urteil über das deutsche Verhalten zur Reparation fällen will, Die 2,6 Milliarden Goldmark, welche die Bücher der Repa- rationskommission als effektive deutsche Zahlungen bis zum 1, Mai 1921 verzeichnen, werden ergänzt durch weitere Gut- schriften unter dem F riedensvertrag in Höhe von reichlich 100 2.5 Milliarden. Darunter fallen hauptsächlich die an Frankreich abgetretenen Kohlengruben im Saargebiet mit 400 Millionen und das Reichs- und Staatseigentum in den an die Alliierten abge- tretenen deutschen Gebietsteilen, Diese Posten sind zwischen den Alliierten nur durch Verrechnung auf Kapitalkonto beglichen worden. Zahlung dafür hat die Reparationskommission nicht er- halten, Insgesamt sind also Deutschland für alle seine Leistungen und Abtretungen bis 1, Mai 1921 etwas über 5.1 Milliarden Gold- mark als Reparation gutgebracht worden, Nach deutscher Auf- fassung ist diese Summe viel zu niedrig. Der frühere Staatssekretär im F inanzministerium, jetzt Präsi- dent der Preußischen Staatsbank Dr. Schroeder hat in einer Denkschrift vom September 1922 den Wert der deutschen Leistungen bis 1. Mai 1921 auf über 37 Milliarden Goldmark be- rechnet. Dabei schließt er allerdings auch gewisse Posten ein, für welche die Reparationskommission bislang keine Gutschrift erteilt hat, wie den Wert des in Feindesland liquidierten deutschen Eigentums, die abgetretenen Ansprüche Deutschlands gegen seine früheren Verbündeten und Material, das die deutschen Truppen in den von ihnen besetzten fremden Gebieten zurückgelassen haben. Der Streit um die Bewertung der deutschen Leistungen bis 1, Mai 1921 hat eine ganze Literatur hervorgerufen, Es würde den Rahmen dieses Buches überschreiten, näher darauf einzugehen, Bei einer endgültigen Festsetzung der Reparationsschuld wird voraussichtlich im Wege des Schiedsspruches eine Entscheidung über den wirklichen Wert jener Leistungen herbeizuführen sein, Der Oberste Rat der Alliierten trat Ende April in London abermals zusammen. Er entwarf selbst einen Zahlungsplan für die Reparationsschuld und berief die Reparationskommission aus Paris nach London, damit sie den fertigen Zahlungsplan über- nehme und als ihr eigenes Werk Deutschland mitteile, Das geschah und so entstand der Londoner Zahlungsplan vom 5, Mai 1921. Er wurde von einem Ultimatum der Alliierten an Deutschland _ begleitet: Wenn die deutsche Regierung den gesamten Plan nicht bedingungslos binnen sechs Tagen annahm, so drohten die 101 Alliierten, abgesehen von sonstigen militärischen Maßnahmen zu Land und zur See, mit der Besetzung des Ruhrgebiets, Auch dies- mal wurden wieder die angeblichen militärischen Verfehlungen Deutschlands in der Entwaffnung und in der Verfolgung der Kriegsschuldigen mit der Reparation zusammengeworfen, Der Londoner Zahlungsplan hat kurz folgenden Inhalt: 1. Deutschland behändigt der Reparationskommission anstelle der unter dem Versailler Vertrage ausgelieferten Schuldver- schreibungen am 1. Juli 1921 12 Milliarden Goldmark A-Bonds am 1. November 1921 38 Milliarden Goldmark B-Bonds am 1. November 1921 82 Milliarden Goldmark C-Bonds. Die Kommission kann die A- und B-Bonds jederzeit ausgeben, die C-Bonds aber erst dann, wenn sie überzeugt ist, daß die deutschen Leistungen unter dem Zahlungsplan ausreichen, um Zinsen und Tilgung für die C-Bonds zu zahlen, Die Verzinsung aller Bonds ist mit fünf Prozent, die Tilgung mit einem Prozent jährlich vor- . gesehen. Im Verhältnis zueinander haben die A-, B- und C-Bonds ein erstes, zweites und drittes Pfandrecht auf die deutschen Zahlungen und Sicherheiten, 2. Deutschland zahlt jährlich bis zur Tilgung der gesamten Bonds a) 2 Milliarden Goldmark, b) 26 Prozent des Wertes der deutschen Ausfuhr vom 1. Mai 1921 an gerechnet oder einen gleichwertigen Betrag auf Grund eines zu vereinbarenden Index, Die Zahlungen sind vierteljährlich zu leisten. 3. Als feste Leistung für das erste Halbjahr zahlt Deutschland sogleich eine Milliarde Goldmark in Gold, Devisen oder drei- monatigen Reichsschatzanweisungen, die von deutschen Banken indossiert sind, 4. Die Reparationskommission errichtet ein Garantiekomitee in Berlin, das mit der Aufsicht über die Ausführung des Zahlungsplanes betraut ist. Als besondere Sicherheit für die deutschen Zahlungen werden bestellt: die deutschen See- und 102 Landzölle und eine Abgabe von 25 Prozent auf die deutsche Ausfuhr, sowie die Eingänge aus direkten oder indirekten Steuern oder sonstigen Abgaben, die zwischen der deutschen Regierung und dem Garantiekomitee vereinbart werden. Bei der Aufsicht über die deutsche Finanzgebarung hat sich das Komitee nicht in die deutsche Verwaltung zu mischen. 5, Deutschland soll auf Verlangen einer alliierten Macht vor- behaltlich der Zustimmung der Kommission Material und Arbeiten ‚nicht allein für den Wiederaufbau der zerstörten Gebiete, sondern auch zur Förderung der Wirtschaft der alliierten Mächt liefern‘). 6. Deutschland unterstützt die Durchführung des englischen Reparation Recovery Act oder gleichartiger Gesetze einer anderen alliierten Macht, Abgaben von der deutschen Ausfuhr auf Grund solcher Gesetze werden Deutschland auf die geschuldete Zahlung von 26 Prozent seiner Ausfuhr angerechnet. Das Reich hat dem deutschen Exporteur den Abzug zu vergüten. Das Ultimatum zum Londoner Zahlungsplan löste in Deutsch- land einen heftigen politischen Kampf aus. Die Erbitterung über die Zwangsmaßnahmen, die wenige Wochen zuvor über Deutsch- land verhängt waren, wogte noch so stark, daß ein großer Teil der öffentlichen Meinung ohne weitere Prüfung dafür war, auch das jetzige Ultimatum glatt zu verwerfen, Man stand ganz unter dem Eindruck der Verkündung einer Schuld von 132 Milliarden Goldmark und erklärte, unter keinen Umständen dürfe ein so ungeheuerliches Schuldanerkenntnis unterschrieben werden. Auch die Regierung war der Ansicht, daß das Ultimatum unerfüllbar sei und abgelehnt werden müsse, Ebenso sprachen sich die meisten Kreise der Wirtschaft, vor allem Vertreter der Industrie, aus. Es war sehr schwer, gegen diese Stimmung anzukämpfen, Das deutsche Volk wollte endlich einmal aus dem unseligen Zustand heraus, in den es durch die Zeichnung des Versailler Vertrages gebracht worden war. Da hatte es Bedingungen auf sich nehmen *) Durch diese Bestimmung ist der Paragraph 19 Anhang II zu Teil VII -4 reihe von Versailles abgeändert. Bislang beschränkte sich ein Verpflichtung Deutschlands auf die Förderung des Wiederaufbaus der zerstörten Gebiete. 103 müssen, die unerfüllbar waren. Jetzt sollte es wieder durch un- barmherzigen politischen Druck zur Zeichnung eines Reparations- vertrages gepreßt werden, der ebenfalls auf wirtschaftliche Not- wendigkeiten keine Rücksicht nahm. Zum zweiten Male aber wollte man den Fehler von Versailles nicht machen, Lieber wollte man alle Schrecken der militärischen Besetzung und der wirt- schaftlichen Bedrückung erdulden, als wiederum unerfüllbare Bedingungen unterschreiben. Das waren etwa die Argumente, die gegen die Annahme des Londoner Ultimatums sprachen und die überall in Deutschland starken Eindruck machten, Für die Annahme des Zahlungsplanes aber sprachen folgende Gründe: Durch die Besetzung des Ruhrgebiets, deren Folgen un- absehbar waren, wurde die Lage Deutschlands viel schlimmer. Gegen Sanktionen, welche von allen Alliierten gemeinsam ange- wendet wurden, war Deutschland auch moralisch machtlos, Die Ablehnung des Ultimatums fand in der Welt kein Verständnis, sondern verstärkte den bereits bestehenden Eindruck, daß Deutsch- land grundsätzlich versuche, sich seiner Reparationspflicht zu entziehen. Das Londoner Ultimatum bedeutete immerhin einen wesentlichen Fortschritt gegenüber den Friedensbedingungen. Gewiß war die Bezahlung von 132 Milliarden unmöglich. Wer aber den Zahlungsplan genauer ansah, mußte finden, daß er gar nicht die Bezahlung der 132 Milliarden forderte, Im Gegensatz zu der Bestimmung des Versailler Vertrages war nicht die ge- samte Schuld fest zu verzinsen. Maßgebend war nämlich nicht der nominelle Schuldbetrag, sondern die jährliche Zahlung. Diese bestand aus einer festen Rate von zwei Milliarden und einem von der Höhe der Ausfuhr abhängigen, veränderlichen Betrag. Die deutsche Ausfuhr hatte damals einen Wert von vier bis fünf Milliarden Goldmark. Die davon geforderte Abgabe von 26 Prozent stellte sich also zunächst auf etwas über eine Milliarde, so daß im ganzen rund drei Milliarden jährlich zu zahlen waren. Das entsprach 5 Prozent Zinsen und 1 Prozent Tilgung auf ein Kapital von 50 Milliarden Goldmark. Das Diktat von London war also nicht schlimmer als das kurz vorher den Vereinigten Staaten über- mittelte deutsche Angebot, das die Zahlung von 50 Milliarden 104 Jetztwert und außerdem noch Leistungen auf Grund eines Besserungsscheines versprochen hatte. Die Ablehnung des Ultima- tums war daher auch logisch nicht richtig. Abgesehen davon mußte alles getan werden, um die Besetzung der Ruhr abzu- wenden. Gewiß war nicht abzusehen, wie Deutschland die ver- langten Leistungen aufbringen könne. Man mußte ‚eben darauf rechnen, daß wirklich ernstliche Anstrengungen für die Reparation mit der Zeit den Gegnern ein besseres Verständnis der wirtschait- lichen Notwendigkeiten Deutschlands beibringen würden. Diese Beweisführung gab den Ausschlag. Der Reichstag sprach sich mit schwacher Mehrheit für die Annahme aus. Eine neue Regierung unter der Führung von Dr. Wirth nahm das Ultimatum, wie von den Alliierten verlangt, ohne Bedingung und Vorbehalt an. 105 5. 70 UN TEIL II UND DER KAMPF UM DAS MORATORIUM 6 zZ = un aan = F a1 [] ar [] BE a = = oO R- a N ZEHNTES KAPITEL DIE ZAHLUNG DER ERSTEN MILLIARDE GOLDMARK Die Annahme des Londoner Zahlungsplanes bedeutet einen wichtigen Abschnitt in der Geschichte der Reparation. Nach den heftigen Stürmen der vergangenen Monate brachte sie eine Zeit- lang ruhiges Wetter, in welchem das Schifflein der Reparation auf seiner schwierigen Fahrt behutsam weitergesteuert werden konnte, Dem neuen Kapitän Dr. Wirth fehlte es nicht an Mut und Selbstvertrauen. Er hatte sich die Mitarbeit eines der bedeutendsten Köpfe Deutschlands gesichert, der seine reichen Gaben uneigen- Walther Rathenau trat zunächst als Minister für Wiederaufbau in das Kabinett Wirth ein. Bald aber bestimmte er auch alle finan- ziellen und außenpolitischen Maßnahmen der deutschen Regierung als vertrautester Berater des Reichskanzlers in entscheidender Weise, £ Die Aufgabe der Reparation hatte damals, verglichen mit den 3 Vorschriften des Vertrages von Versailles, schon eine greifbare Gestalt angenommen. Das Problem war nicht leichter geworden, 4 aber doch wesentlich vereinfacht. Niemand fragte weiter nach der Vollzahlung der bekannten 20 Milliarden Goldmark und niemand E = verlangte mehr die Auslieferung des Goldes der Reichsbank. Der Streit um die Festsetzung der Reparationsschuld war beendet. Es hieß nun, sich auf die Forderungen des Londoner Zahlungs- planes einzurichten, Da stand in erster Linie die Pflicht zur ins von einer Milliarde Goldmark binnen drei Monaten. Ich We si 109 nützig und entschlossen in den Dienst der großen Sache stellte. A habe bei manchem Anlaß Mitgliedern der Reparationskommission gesagt, daß es ein großer Mißgriff gewesen sei, von dem finanziell geschwächten Deutschland eine so gewaltige Zahlung in kürzester Frist zu verlangen. Die Antwort war stets, daß damit nur das eigene Angebot der deutschen Regierung vom April 1921 auf- gegriffen sei. Man habe angenommen, daß sie das Geld habe, sonst hätte sie das Angebot doch gar nicht machen dürfen. Nun, die Milliarde war nicht da, sie mußte erst beschafft werden. Da nach Annahme des Ultimatums der Kurs der Mark sich zunächst besserte, konnten Devisen für 150 Millionen Goldmark schon im Mai für die Regierung angekauft und an die Reparations- kommission gezahlt werden. Ueber den Rest wurden vertrags- gemäß Schatzanweisungen ausgestellt, die am 31. August 1921 fällig waren. Die vier größten deutschen Banken übernahmen die von den Alliierten geforderte Bankgarantie, obwohl sie bei weitem nicht über die nötigen Mittel verfügten, um im Falle der Not mit dem garantierten Betrage einzuspringen, Es war klar, daß sie bei jeder Gelegenheit darauf drängten, daß sich das Reich die nötigen Devisen so schnell wie möglich beschaffen müsse. Die allgemein bekannte Tatsache aber, daß das Reich binnen kurzem so gewaltige Mittel benötigte, brachte es mit sich, daß das an sich schon spärliche Angebot von Devisen in Deutschland immer knapper wurde. Die Reichsmark, welche vom Januar bis zum Juni 1921 beinahe stabil geblieben war, begann bei der dringenden Nachfrage des Reichs nach Devisen wieder stark zu fallen. Je mehr sie fiel, um so mehr wurden die kostbaren Devisen in Deutschland zurückgehalten und gesucht, Nach und nach gelang es, den größeren Teil der Milliarde für das Reich zu erwerben. Es fehlten aber schließlich immer noch Devisen in Höhe von etwa 400 Millionen Goldmark, deren Ankauf nur auf Kosten einer gewaltigen Markverschleuderung möglich gewesen wäre, Die Auf- legung einer inneren Goldanleihe wurde nicht versucht, weil man einen Mißerfolg fürchtete, Schließlich gelang es, im Ausland, hauptsächlich in Holland und England, unter schweren Be- dingungen Kredite auf sechs Wochen aufzutreiben, die in Ver- bindung mit der Hergabe von Gold und Verpfändung von Silber 110 durch die Reichsbank es möglich machten, die Milliarde am 31, August 1921 voll zu zahlen. Diese ungeregelte und kurzsichtige Finanzierung sollte bald üble Folgen haben. Sie hatte den Devisenmarkt in Deutschland ruiniert, Nunmehr galt es, den ausländischen Bankiers die kurz- fristigen Kredite zurückzuzahlen. Das ging nur mit Hilfe starker Markverkäufe, So kam es, daß im September 1921, obwohl Zahlungen für Reparation einstweilen nicht mehr zu leisten waren, ein noch schärferer Fall der Mark eintrat, Der Dollar, der vor dem Juni monatelang etwa 60 Mark gegolten hatte, stieg auf über 100 Mark. Die zweite Aufgabe der deutschen Regierung war, das Ver- hältnis zu dem im Londoner Ultimatum geschaffenen Garantie- komitee der Reparationskommission zu regeln. Das ließ sich zunächst ganz gut an, Das Komitee unter dem Vorsitz des fran- zösischen Delegierten Mauclöre begab sich im Juni 1921 nach Berlin, wo in sachgemäßer Arbeit gründliche Besprechungen statt- fanden. In mehreren Noten an den Reichskanzler vom 28. Juni bestätigte das Komitee ein Abkommen, welches nicht nur die ‘Zahlungen für die Zeit bis zum 1. Mai 1922 erträglich zu regeln schien, sondern auch die gefährliche Klippe der Kontrolle über die _ deutschen Finanzen weise umging. Das Komitee stellte fest, daß unter Anrechnung der auf 1.2 Milliarden Goldmark im Jahre geschätzten Sachleistungen und der Eingänge aus dem englischen Recovery Act nur noch etwa 300 Millionen Goldmark bis zum 1. Mai 1922 in bar zu zahlen seien und daß deshalb die verpfändeten Einnahmen erst gegen Ende 1921 abgeführt werden sollten. Für die späteren Jahre einigte man sich dahin, daß es genüge, wenn die deutsche Regierung für die Reparation eine Ei Reihe von bestimmten Abgaben wie Kapitalsteuer, die Steuern auf Zucker, Tabak und Alkohol, die Kohlensteuer und die Umsatz- steuer mit 50 Prozent ihres Ertrages als Sicherheit zur Ver- fügung stelle, Das Komitee verzichtete vorläufig auf die wirkliche Erhebung einer allgemeinen Ausfuhrabgabe von 25 Prozent und erklärte sich damit einverstanden, daß die deutsche Regierung ratenweise den Gegenwert von 25 Prozent der Ausfuhr in Devisen 111 an das Komitee abführe, Zur Einsicht in die Reichsfinanzen wurde eine ständige Vertretung des Garantiekomitees in Berlin eingerichtet, Schon im September 1921 zeigte es sich, daß man die Ent- wickelung der Dinge zu optimistisch beurteilt hatte, Die deutschen Sachleistungen blieben dermaßen hinter den Erwartungen zurück, daß sie kaum ausreichten, die am 15. November fällige Repa- rationsrate zu decken. Deshalb war voraussichtlich fast die gesamte feste Vierteljahrsrate — 500 Millionen Goldmark — am 15. Januar 1922 in bar abzutragen. Am 15. Februar folgte dann schon die erste Rate der Abgabe auf die Ausfuhr mit über 250 Millionen Goldmark. . Gerade in dieser Zeit nahm der Fall der Mark beängstigende Formen an, Es wurde immer schwieriger, Devisen für Reparations- zahlungen, sei es durch Eingehung von Krediten, sei es durch Markverkäufe, zu erwerben. Die anhaltende Verschlechterung der Mark verursachte auch immer größere Fehlbeträge im Haushalt des Reichs, weil die Steuereinnahmen naturgemäß nicht so schnell stiegen, wie der Bedarf des Reichs für Gehälter, Löhne und Materialpreise anwuchs, In diesen Nöten konnte das Garantie- komitee weder helfend eingreifen, noch eine eigene Entscheidung treffen, Es beriet im September und Oktober nochmals drei Wochen lang in Berlin. Alle seine Mitglieder, außer den Fran- zosen, ließen sich davon überzeugen, daß es nötig sei, die nächsten Raten des Londoner Zahlungsplanes zu ändern oder zu verschieben. Aber das Ergebnis der Arbeiten des Komitees be- stand nur in formellen Anordnungen darüber, wie die Papiermark- einnahmen aus den verpfändeten Reichseinkünften in Perioden von zehn Tagen an das Komitee abzuführen und in Devisen umzu- wandeln seien, Nun begab sich die Reparationskommission selbst im November zum ersten Male in corpore nach Berlin, um an Ort und Stelle die Verhältnisse zu untersuchen. Die Lage war inzwischen noch viel schlechter geworden. Unter dem Eindruck der Teilung von Ober- schlesien, die den größten Teil des Industriegebietes mit seinen Schätzen an Kohle, Eisen und Zink an Polen überwies, brach an 112 dem ohnehin sehr nervösen Devisenmarkt eine Panik aus, welche im November den Dollar auf über 300 Papiermark emporschnellen ließ, Die Reparationskommission wußte sich in Berlin keinen anderen Rat, als der deutschen Regierung den energischen Hin- weis zu geben, daß sie die Fälligkeiten am 15. Januar und 15, Februar unbedingt bezahlen müsse, wenn sie sich nicht schweren Folgen aussetzen wolle. Sie müsse sich unter allen Um- ständen die nötigen Devisen. verschaffen, sei es bei den Reichs- angehörigen, die Guthaben im Auslande besäßen, sei es bei fremden Geldgebern. Die Schwierigkeit der Lage sei ja nicht zu leugnen, aber sie sei mehr finanzieller als wirtschaftlicher Natur. Außerdem sei die deutsche Regierung selbst schuld daran, weil sie nicht zur rechten Zeit Mittel ergriffen habe, um den Haushalt in Ordnung zu bringen und die Ausbreitung des Notenumlaufes zu verhindern, Mit diesen weisen Mahnworten ging die Repa- rationskommission nach Paris zurück, | Bergmann, Der Weg der Reparation 8 113 ELFTES KAPITEL DIE SACHLEISTUNGEN NACH DEN VORSCHRIFTEN DES VERTRAGES VON VERSAILLES Eine Uebersicht der Vorschriften des Vertrages von Versailles über die Sachleistungen ist im zweiten Kapitel gegeben. Die Kohlenlieferungen haben wir bereits ausführlich besprochen, Es wird jetzt nötig, im Zusammenhange zu schildern, wie die sonstigen Sachleistungen durchgeführt und welche Erfahrungen dabei gemacht worden sind, Auch abgesehen von der Kohle haben die Sachleistungen von Anfang an Anlaß zu schweren Reibungen zwischen Deutschland und der Reparationskommission gegeben. Man sollte an sich meinen, daß Lieferungen für den Wiederaufbau der zerstörten Gebiete eine zweckmäßige und für beide Teile sympathische Art der Reparation sind und daß ein industriell so leistungsfähiges und gut organisiertes Volk wie das deutsche viel eher durch Hergabe eigener Erzeugnisse als durch Geldzahlungen imstande sei, Kriegsschäden wieder gutzumachen, Diese Betrachtung ist aber nur in der Theorie richtig. Die Praxis der Reparation hat ein ganz anderes Bild ergeben, Finanziell allerdings boten die Sachleistungen Deutschland manche Vorteile gegenüber den Barzahlungen. Sie wurden durch die heimische Industrie ausgeführt, die ihre Bezahlung in deutscher Währung erhielt, Insoweit brauchte die Regierung daher für die Reparation kein fremdes Geld zu beschaffen und konnte die kranke eigene Währung schonen. Das galt aber nur so lange, wie die Sachleistungen aus den Ueberschüssen des Haushalts 114 oder im ordentlichen Anleihewege bestritten werden konnten. Wenn einmal — und das war bei der fortgesetzten Entwertung der Mark ständig der Fall — der Reichshaushalt mit Fehlbeträgen arbeitete und eine geregelte Kreditaufnahme nicht möglich war, so mußte die Finanzierung der Sachleistungen durch die Noten- presse ebenso verheerend auf die deutsche Währung wirken wie der Markverkauf ins Ausland. Im übrigen sind Sachleistungen nur durchzuführen, wenn Besteller und Lieferer über die Ware selbst, den Preis und alle sonstigen Bedingungen einig sind. Das ° setzt eine vollständige Freiheit der beiden Parteien in bezug auf die Lieferung voraus. Unter dem Vertrage von Versailles aber waren die Sachen zwangsweise zu liefern. Von einer Einigung über die Bedingungen war keine Rede, Der Vertrag von Versailles fordert von Deutsch- land einseitig und kategorisch den Warenbedarf der Alliierten ohne jede Rücksicht auf Handelsgebrauch. Er überläßt es dem parteiischen Urteil der Reparationskommission zu entscheiden, ob Deutschland zur Leistung imstande ist und ob die ange- forderten Mengen ohne Schädigung der eigenen deutschen Be- dürfnisse geliefert werden können, Er überläßt der Kommission auch die Festsetzung der Lieferbedingungen. Ein so willkürliches und wirtschaftlich verfehltes System mußte zum Konflikt führen. Das war denn auch im Verlaufe der Sachlieferungen die Regel. Eine auffallende Ausnahme bilden die Lieferungen von Farb- stoffen und pharmazeutischen Artikeln. Von ihnen ist deshalb auch nie viel Aufhebens gemacht worden. Sie wickelten sich nach anfänglichen Schwierigkeiten und eingehenden Besprechungen in Ruhe zur beiderseitigen Zufriedenheit ab. Ich lege Wert darauf, diese Tatsache rühmend hervorzuheben, weil sie ein Beispiel dafür ist, wie bei geschickter geschäftlicher Behandlung auch an- scheinend unmögliche Forderungen tragbar gemacht werden können, Erleichternd wirkten allerdings die treffliche Organisation der deutschen chemischen Industrie, der diese Lieferungen ob- lagen, die glänzende Verhandlungsgabe und die große inter- nationale Erfahrung ihrer Vertreter, vor allem ihres Wortführers Carl von Weinberg. 8*+ | 115 Auch die im Vertrage vorgeschriebenen Lieferungen von Nebenprodukten der Kohle, wie schwefelsaures Ammoniak, Benzol und Teer, sind nach Ueberwindung der Organisations- schwierigkeiten gut und reibungslos vonstatten gegangen. Für alle Sachlieferungen, abgesehen von Schiffen, Kohle und chemischen Produkten, hat der Versailler Vertrag ein besonderes Verfahren vorgeschrieben, das etwa wie folgt aussieht: Innerhalb einer bestimmten Frist, die von der Reparations- kommission mehrfach verlängert worden ist, reichten die alliierten Regierungen Listen über die angeforderten Gegenstände bei der Reparationskommission ein, Diese hatte bei Prüfung der Listen darauf zu achten, daß durch die Anforderungen das Wirtschafts- leben Deutschlands nicht zum Schaden seiner Reparationsfähigkeit gestört werde. Die durchgearbeiteten Listen gingen dann an die deutsche Regierung weiter, der es überlassen blieb, die Lieferungen durch die heimische Industrie an die Reparationskommission zu bewerkstelligen, Eine Pflicht zur Lieferung lag Deutschland ur- sprünglich nur insoweit ob, als Vieh und Materialien für den Wiederaufbau der zerstörten Gebiete in Betracht kamen. Der Londoner Zahlungsplan hat, wie wir gesehen haben, den Kreis der Pflichtlieferungen wesentlich erweitert. Nunmehr durften die alliierten Mächte mit Zustimmung der Reparations- kommission ganz allgemein zur F örderung ihrer Wirtschaft Material und Arbeit von Deutschland anfordern. Den Preis solcher Leistungen sollte eine Schätzungskommission bestimmen, bestehend aus je einem Vertreter Deutschlands und der inter- essierten Macht und bei Nichteinigung der beiden einem von der Reparationskommission ernannten Schiedsrichter, | Man hatte damals nämlich schon aus der Erfahrung etwas gelernt. Der Vertrag von Versailles legte die Bestimmung der Preise für die Sachlieferungen regelmäßig in die Hand der Repa- rationskommission, Sie sollte bei Lieferungen für den Wieder- aufbau normale Preise anrechnen und auch die Preise in Betracht ziehen, zu denen ähnliche Waren in den alliierten Ländern er- hältlich seien, Auf diesen sehr allgemeinen Richtlinien baute sich die 116 Organisation der Sachlieferungen auf. Die ersten Listen der alliierten Regierungen gingen im März und April 1920 ein. Der Wert dieser Anforderungen belief sich auf etwa zehn Milliarden Goldmark. Ein großer Teil entfiel auf Bauholz und Industrie- material. Neben Massenartikeln enthielten die Listen auch Tausende von verschiedenen Dingen, welche schwer zu sichten und zu ordnen waren. Um keine Zeit zu verlieren, gab die Reparationskommission die Listen ohne Einzelprüfung an die deutsche Regierung weiter. Diese hatte zwar eine umfangreiche Organisation unter dem Reichskommissar für Wiederaufbau ein- gerichtet, konnte aber mit der Masse des ihr zugestellten Materials wenig anfangen, da die nötigen Spezifikationen und vor allen Dingen die Preisangaben fehlten. Erst im September 1920 war ” in der Lage, der Reparationskommission Angebote zu übermitte n, die aber noch verhältnismäßig wenig Materialien für den eigent- lichen Wiederaufbau enthielten. Bausteine und Ziegel, die be- sonders dringend benötigt waren, bot Deutschland im ‚Anfang überhaupt nicht an. Noch schlimmer stand es mit spezifiziertem Material, vor allem Maschinen, deren Lieferung eine genaue Durcharbeitung für jeden einzelnen Fall erforderte. Die deutsche Regierung suchte zu helfen, indem sie durch ihre DE in Paris eine Reihe von deutschen Firmen namhaft machte, ie bereit waren, Reparationslieferungen zu machen. Mit a Firmen sollten die einzelnen Interessenten der alliierten Länder » in direkte Verbindung treten, um die technischen Fe die Lieferungsfrist und die Preise zu vereinbaren. So VE . Lieferungen gegen Ende 1920 langsam in Fluß, aber das me =. blieb unbefriedigend. Auch mit dem besten Willen aller ‘ e- teiligten war es nicht möglich, bei der schwerfälligen ee des Vertrages die Lieferungen so zu gestalten, dab ar ” Tempo des tatsächlichen Wiederaufbaues irgendwie Sc ri ne > konnten, Denn wie ging die Sache? Der Besitzer eines aus oder einer Fabrikanlage, die durch den Krieg zerstört mußte sich zunächst an seine Regierung wenden. N — alle Forderungen ihrer Staatsangehörigen zusammen m a w sie in einheitlichen Listen an die Reparationskommission. Letztere "T gab die Gesamtanforderungen aller beteiligten alliierten Länder an die deutsche Regierung weiter. Diese wiederum hatte die ungeheuere Masse der Anmeldungen irgendwie unter die deutsche Industrie aufzuteilen. Die deutschen Lieferanten aber konnten mit den spärlichen Angaben, die ihnen gemacht wurden, nichts an- fangen. Kamen wirklich auf solcher Grundlage Angebote zustande, so mußten sie wieder über die deutsche Regierung und die Reparationskommission an die einzelnen alliierten Regierungen zurückgehen, die sich dann mit den Geschädigten in Verbindung zu setzen hatten, Ein derart kompliziertes Verfahren mußte in der Praxis kläglich scheitern. Die Massenorganisation des Wieder- aufbaues großer Landgebiete ist unmöglich, es sei denn, daß man dazu übergeht, den Wiederaufbau in einheitlichem Stil für ganze Dörfer und Städte zuzulassen. Dann aber hätte man den Wiederaufbau von Staat zu Staat in die Hand nehmen müssen, d. h. man hätte der deutschen Regierung den Auftrag geben müssen, auf Grund von bestimmten Weisungen durch eine um- fassende deutsche industrielle Organisation bestimmte Gebiete mit deutscher Arbeit und allem nötigen Material wieder- herzustellen, Dazu hat sich Deutschland von Anfang an und immer wieder erboten, Aber gerade darauf gingen die alliierten Regierungen aus begreiflichen Gründen nicht ein. Sie wollten und konnten ihre eigene Industrie bei dem Wiederaufbau nicht ausschalten, Es kam hinzu, daß nach den französischen Gesetzen jeder einzelne Geschädigte frei bestimmen durfte, in welcher Weise er sein Haus oder seine F abrik wiederhergestellt haben wollte, Das ganze Verfahren, das der Versailler Vertrag vorsah, war krasse Theorie, es schwebte in der Luft und führte bald zu schweren Enttäuschungen, Tatsächlich ist der eigentliche Wiederaufbau ohne erhebliche deutsche Mitwirkung durchgeführt worden, Die Geschädigten konnten in den meisten Fällen nicht warten, bis das umständliche Verfahren über die Regierungen und die Reparationskommission zu einem Ergebnis führte, Die schweren Vorwürfe, welche gegen die deutsche Regierung wegen ihres Verhaltens zu den Sach- leistungen erhoben worden sind, fallen in der Hauptsache auf die 118 Verfasser des Vertrages zurück. Der Fehler lag im System, das von einer bureaukratischen Organisation die Durchführung einer Aufgabe erwartete, die nur in praktischer Einzelarbeit gelöst werden konnte, Ganz weltfremd aber war die Idee, Lieferungen vorzuschreiben, ohne vorher den Preis dafür festzusetzen, Es war klar, daß die Reparationskommission die Lieferungen möglichst billig i be- kommen wollte. Die deutsche Regierung aber hatte ein verständ- liches Interesse daran, eine möglichst hohe Gutschrift auf Reparationskonto zu erlangen. Da sie aber verpflichtet war, die deutschen Lieferanten zu entschädigen, so suchte sie die Ver- gütung an die Lieferanten niedrig zu halten. Das ergab einen Widerstreit der Interessen auf der ganzen Linie, Die Schwierig- keiten wurden dadurch erhöht, daß die deutsche Regierung aus sozialen Gründen versuchte, die Lieferungen auf die ‚gesamte deutsche Industrie gleichmäßig zu verteilen. Auch dabei konnte der bureaukratische Geist Orgien feiern. Ueber die Festsetzung der Preise ist lange Zeit zwischen der Reparationskommission und der deutschen Regierung ein zäher Streit geführt worden. Es kam nicht nur die Höhe des Preises selbst in Betracht, sondern auch die Frage, in welcher Währung. der Preis festzusetzen sei: ob in deutscher Währung oder in der Währung des Empfangslandes oder endlich in Gold. Um von diesem Streite die Lieferungen nicht aufhalten zu lassen, entschied die Reparationskommission, daß die Lieferungen grundsätzlich auch dann zu erfolgen hätten, wenn der Preis noch nicht fest- gesetzt sei. Das goß natürlich nur Oel ins Feuer. | | Die deutsche Regierung verlangte zunächst Goldpreise, die einen sicheren Anhalt für die Kalkulation der Lieferungen zu gewähren schienen, Aber auch das war nur so lange im deutschen Interesse, als die Bewegung der deutschen Papiermark ‚nach unten ging. Im Frühjahr 1920 stieg der Markkurs eine Zeitlang erheblich, Das erschwerte der deutschen Industrie die Arbeit mit Goldpreisen, ließ es vielmehr erwünscht erscheinen, die Preise in Papiermark festzusetzen. Endlich erkannte man auf beiden Seiten, daß es nötig sei, den Preis in irgendeiner be- 119 stimmten Landeswährung festzusetzen, und das Risiko des Wechselkurses jeder der beteiligten Regierungen zu überlassen. Die Gutschrift auf Reparationskonto erfolgte dann in Goldmark nach dem Wechselkurse eines bestimmten Datums, des Tages nämlich, an welchem die deutsche Offerte von der Reparations- kommission angenommen war. So mannigfach waren die Schwierigkeiten, die sich bei den Lieferungen für den Wiederaufbau ergaben, Bald setzte sich die Ansicht durch, daß man mit dem System des Vertrages grund- sätzlich brechen müsse, Im Herbst 1920 begannen zwischen der deutschen Vertretung in Paris und der Reparationskommission Besprechungen, die darauf abzielten, einen freien, geschäfts- mäßigen Verkehr zwischen den Geschädigten und den deutschen Lieferanten einzuführen. In der Brüsseler Sachverständigenkonferenz im Dezember 1920 spielten die Sachleistungen eine große Rolle, Damals wurde in Frankreich ohne Scheu der Gedanke vertreten, daß es notwendig sei, mit Deutschland wirtschaftlich zusammenzukommen. Wie schon erwähnt, hatte ich in Brüssel mit den französischen Dele- gierten eine eingehende Aussprache über die Einführung des direkten Verkehrs zwischen dem französischen Besteller und dem deutschen Lieferanten. Die schwierigen geschäftlichen Verhand- lungen über die Lieferung selbst sollten dem Bureaukratismus der Länder entzogen und die Mitwirkung des Staates mehr auf eine Kontrolle der Zahlungen beschränkt werden. Ich habe diese Idee in Brüssel in einem Moment verwertet, wo es nötig war, einen positiven Zug in die Verhandlungen hineinzubringen, um die Gefahr des Abbruchs zu vermeiden. Die Konferenz beschloß, die Organisation der Sachlieferungen durch Besprechung zwischen alliierten und deutschen Vertretern weiter zu vertiefen. Das geschah Anfang Januar 1921 in Paris, Damals entwarf Seydoux einen Plan, nach welchem die deutschen Leistungen in den ersten Jahren zum größeren Teil aus Sach- lieferungen bestehen sollten. Bestellung, Lieferung und Preis- festsetzung waren danach der privaten Initiative zu überlassen. Nur einige Stapel- oder Massenwaren sollten von Regierung zu 120 Regierung geliefert werden. In allen übrigen Fällen hatten Be- steller und Lieferant einen vollkommen fertigen Vertrag abzu- schließen. Die Zahlung sollte durch ein gemischtes Bureau ver- mittelt werden, dessen alliierter Teil die Abrechnung zwischen dem Besteller und der alliierten Regierung veranlaßte, während der deutsche Teil die Zahlung bei der deutschen Regierung an- wies, Die deutsche Zahlstelle war ein für allemal zur Vornahme der Zahlung zu ermächtigen. Der Gegenwert sollte alsdann auf Reparationskonto gutgeschrieben werden. Seydoux dachte daran, das Verfahren auf Lieferungen aus- zudehnen, welche nicht für den Wiederaufbau bestimmt waren, und dabei sollte ein Teil des Preises von dem Besteller an den deutschen Lieferanten in bar gezahlt werden. Das System war auch für den Fall der deutschen Mitarbeit beim Wiederaufbau zu benutzen. Außerdem schwebte Seydoux vor, die Ausfuhr Deutsch- lands in der Weise für die Reparation heranzuziehen, daß der Verkauf der Waren ins Ausland vollkommen in deutscher Hand blieb, aber ein Teil des Erlöses für die Reparation gezahlt werden sollte. Nur einige bestimmte Massenwaren sollten dafür in Be- tracht kommen, wie Kohle, Kali, Stickstoff, Holz, Farben, Zucker, elektrisches Material, Stahl- und Eisenwaren, Papier. Die deutsche Regierung sollte die Lieferanten für diese Abgabe entschädigen. Aus dieser in vernünftigen Grenzen wohl durchführbaren Idee ist in den Händen der Politiker jener brutale Zugriff auf die deutsche Ausfuhr geworden, durch den in den Pariser Beschlüssen 12 Prozent und im Londoner Ultimatum sogar 26 Prozent der gesamten deutschen Ausfuhr für die Reparation ergriffen wurden, ganz gleichgültig, um welche Ware es sich handelte, und ob mit der Ausfuhr etwas verdient wurde oder nicht. 121 ZWÖLFTES KAPITEL DAS WIESBADENER ABKOMMEN VOM 6. UND 7. OKTOBER 1921 ' Unter den politischen Stürmen des Frühjahres 1921 litt auch die Regelung der Sachlieferungen, Im Juni 1921 wurden von alliierter Seite Fühler ausgestreckt, um Rathenau zu einer Besprechung mit der Reparationskommission in Paris zu veranlassen. Kurz darauf kamenLoucheur und Rathenau überein, die Sachlieferungen zwischen Frankreich und Deutschland durch einen Vertrag zu regeln. Nach wiederholten Vorberatungen wurde am 6. und 7. Oktober 1921 das sogenannte Wiesbadener Abkommen gezeichnet. Es befaßt sich ausschließlich mit Liefe- rungen für den Wiederaufbau. Sonstige Lieferungen, wie Kohle und Farbstoffe, blieben den Vorschriften des Versailler Vertrages unterworfen, | : Das Wiesbadener Abkommen sieht die Errichtung einer deutschen Körperschaft privaten Charakters vor, welche unter Ausschaltung der beiden Regierungen Lieferungen an die fran- zösischen Kriegsgeschädigten übernimmt, Eine Kommission von drei Mitgliedern, bestehend aus einem F ranzosen, einem Deutschen und einem von beiden zu wählenden Schiedsrichter, entscheidet Streitfragen über die Möglichkeit der Leistungen und über alle Lieferungsbedingungen. Sie setzt auch die Preise fest, soweit sie nicht zwischen Besteller und Lieferant direkt vereinbart werden, Grundsätzlich wird die Absprache über alle Modalitäten der Lieferung dem direkten Verkehr zwischen Besteller und Lieferant überlassen, vor allem für Spezialmaterial, wie Maschinen und 122 industrielle Einrichtungen. Die Absicht war, möglichst umfang- reiche Sachlieferungen von Deutschland an Frankreich zu er- zielen. Für die Zeit vom 1. Oktober 1921 bis 1. Mai 1926 waren Lieferungen im Gesamtwerte von sieben Milliarden Goldmark in Aussicht genommen. Dafür war auf Reparationskonto aber höchstens eine Milliarde Goldmark jährlich gutzuschreiben. Der Rest wurde Frankreich mit fünf Prozent Zinsen zur Rückzahlung bis 31. Dezember 1937 gestundet. Die Einzelvorschriften des Abkommens über die Kreditierung sind verwickelt und bieten dem allgemeinen Interesse wenig. Frankreich sollte in keinem Jahr für alle Sachlieferungen, die es erhielt, auf Reparationskonto mehr vergüten als seinen Anteil von 52 Prozent an den gesamten Leistungen, welche Deutschland in dem betreffenden Jahre für die Reparation machen würde. Das Wiesbadener Abkommen stieß sowohl bei den Alliierten Frankreichs wie auch in Deutschland auf starken Widerstand. Im Verhältnis zwischen den Alliierten enthielt es finanzielle Vor- teile für Frankreich, zu denen ihm der Versailler Vertrag kein Recht gab. Seine Verbündeten wandten mit Recht ein, daß sie durch die einseitige Bevorzugung Frankreichs benachteiligt werden könnten, weil die Mehrleistungen an Frankreich die | deutsche Zahlungsfähigkeit schädlich beeinflussen würden. Es mußte ja auch seltsam erscheinen, daß Deutschland, das den Zahlungsplan von London nur unter dem Drucke des Ultimatums angenommen hatte, nun aus freien Stücken sich erbot, in Form von Sachlieferungen noch erheblich mehr an Frankreich zu leisten, als der Zahlungsplan von ihm verlangte. Denn alle Sachleistungen, die es nach dem Wiesbadener Abkommen Frankreich zu kredi- tieren hatte, mußte es den Lieferanten in deutscher Währung bezahlen. Um diesen Betrag erhöhte sich die jährliche Belastung des Reichshaushalts. Es hat daher in Deutschland an Angriffen gegen das Wiesbadener Abkommen nicht gefehlt. Der Widerstreit der Interessen innerhalb der Reparations- kommission dauerte lange. Die Verbündeten konnten sich über 2 das Wiesbadener Abkommen erst am 11. März 1922 einigen. Die Genehmigung der Kommission erfolgte am 31. März 1922. Dabei 123 wurden im Interesse der anderen Alliierten gewisse Kredit- bestimmungen abgeändert. Trotz aller Bedenken, die gegen das Wiesbadener Abkommen vorgebracht worden sind, glaube ich, daß es seinerzeit nützlich war, Die deutsche Regierung verfolgte eine Politik der Erfüllung und der Versöhnung mit Frankreich, Es war für jeden Kundigen schon damals klar, daß der Zahlungsplan von London mindestens im ersten Jahr nicht in voller Höhe innegehalten werden konnte, Neue politische Konflikte, immer wieder zum Nachtejl des wehr- losen Deutschland, standen bevor, falls es diese oder jene Zahlung nicht leistete, Wenn der Beweis des guten Willens zur Erfüllung erbracht werden sollte, so konnte dies nur durch Sach- lieferungen geschehen. Damit fand auch die deutsche Industrie Beschäftigung. Für Frankreich waren die Lieferungen mindestens ebenso dringend wie bares Geld, Durch die Anbahnung eines lebhaften Geschäftsverkehrs zwischen beiden Ländern wurden Mißverständnisse und die Gefühle des Hasses und der F urcht am ehesten beseitigt. Auf geschäftlichem Wege konnte ein Einver- nehmen hergestellt werden, das von größter Bedeutung sein würde, wenn neue internationale Spannungen auftauchten, Frank- reich würde, wenn es die zum Wiederaufbau nöt; gen Sach- leistungen in reichem Maße erhielt, Verständnis dafür zeigen, daß es Deutschland nicht möglich war, die nötigen Devisen für die vollständige Erfüllung des Londoner Zahlungsplanes zu be- schaffen. | Das etwa war der Gedankenkreis, der Rathenau nach Wies- baden führte. Aehnliche Erwägungen müssen auch auf der französischen Seite vorgelegen haben. Beide Teile werden sich darüber klar gewesen sein, daß Waren im Werte von sieben Milliarden Goldmark in einer Zeit von etwa viereinhalb Jahren unmöglich geliefert werden konnten, Die hohe Zahl diente beiden Teilen als Staffage für ihre Politik, Die Lieferungen unter dem Wiesbadener Abkommen sollten sich aus kleinen Anfängen erst allmählich entwickeln, sofern es überhaupt gelang, den Wider- stand der französischen Industrie gegen eine massenhafte Ver- sorgung Frankreichs mit deutschen Erzeugnissen zu brechen. Es 124 KR “org "war nicht wahrscheinlich, daß das Abkommen von Anfang an der deutschen Regierung besondere finanzielle Lasten aufbürden würde, Tatsächlich sind die Sachlieferungen an Frankreich, abgesehen von Kohle, die nicht unter das Abkommen fällt, bis zum heutigen Tage sehr spärlich geblieben. Frankreich hat im Interesse seiner eigenen Industrie nur geringen Gebrauch von dem Rechte des Warenbezugs aus Deutschland gemacht. Die Einführung des freien Verkehrs zwischen dem alliierten Besteller und dem deutschen Lieferanten wurde auch von der Reparationskommission energisch weiter verfolgt. Bemelmans als Vertreter der Reparationskommission und Dr. Cuntze als Ver- treter der deutschen Regierung zeichneten am 28, Februar 1922 in Berlin ein vorläufiges und am 2. Juni 1922 ein endgültiges Abkommen, das in engem Anschluß an den Plan Seydoux die Ausführung der Sachleistungen dem privaten Geschäftsverkehr überließ und eine praktische Regelung für die Form der Zahlung traf. Unter das Abkommen fielen die Waren nicht, deren Ausfuhr aus Deutschland verboten ist oder gesetzlichen Beschränkungen unterliegt. Die Lieferung solcher Waren, wie Lebensmittel, Futter- mittel, Düngemittel, Tiere, Holz, Oele und Oelirüchte, Zement, Benzol, Leder, Häute, Gerbstoffe usw., durfte wie bisher nur nach den Vorschriften des Versailler Vertrages, also unter Anrufung der Reparationskommission verlangt werden. Ferner fielen nicht unter das Abkommen Waren, die in Deutschland eingeführt und nicht weiter verarbeitet sind, die aus Importwaren hergestellten Lebensmittel und Waren aus Gold, Platin und Silber. Für eine Reihe anderer Waren war das Verfahren des Abkommens zwar "zugelassen, aber der Besteller mußte einen Teil der Waren in bar zahlen, weil sie nur mit Hilfe von Rohstoffen hergestellt werden nen, die erst in Deutschland eingeführt werden müssen, Lieferungen zum Wiederaufbau zerstörter Häuser und Fabriken waren von dieser Beschränkung frei. Die Verträge mußten einen Mindestwert von fünfzehnhundert Goldmark haben. Sie waren binnen vierzehn Tagen der Reparationskommission vorzulegen, letztere benachrichtigte die r. deutsche Regierung. Der Vertrag galt als genehmigt, wenn binnen 125 vierzehn Tagen nach der Benachrichtigung keine der beteiligten Regierungen Einspruch erhob. Ueber einen Einspruch entschied die Reparationskommission. Für alle genehmigten Verträge er- teilte die deutsche Regierung die etwa benötigte Ausfuhr- bewilligung. Sie übernahm ferner die Bezahlung an den deutschen Lieferanten, Der Kaufpreis wurde der deutschen Regierung auf Reparationskonto gutgeschrieben, in gleicher Höhe wurde die interessierte alliierte Regierung belastet, Die Zahlung erfolgte mit Hilfe von bestimmten Scheckformularen. Dem Bemelmans-Cuntze Abkommen sind die Gillet-Ruppel Verträge vom 15, März und 6./9. Juni 1922 nachgebildet, Sie regelten die Sachleistungen an F rankreich und änderten das Wiesbadener Abkommen entsprechend ab. Beide Regierungen be- tonten dabei, daß sie keinen Druck ausüben würden, um die Bestellungen bestimmten deutschen F irmen oder Landbezirken Zuzuweisen, Das freie Verfahren war nur auf Lieferungen für den Wieder- aufbau anzuwenden, für alle übrigen Bestellungen alten die Vor- schriften des Vertrages von Versailles. | Eine Zeitlang schien es, als ob der Wiederaufbau der zer- störten Gebiete mit deutscher Hilfe nun wirklich gut in Gang kommen würde, Selbst der gewaltige Hugo Stinnes stellte sich auf den Boden des Wiesbadener Abkommens, Er schloß nach einer Zusammenkunft auf der Heimburg am Rhein mit dem Marquis de Lubersac, dem Präsidenten der französischen Ge- nossenschaften für den Wiederaufbau, am 30. August/4, Sep- tember 1922 einen Vertrag, der eine umfassende kaufmännische Organisation für Sachlieferungen vorsah. Aber dieser vielgerühmte Vertrag blieb eine leere Schale, Zur Ausführung ist er nicht gekommen, Wenige Monate später waren die Franzosen im Ruhrgebiet, Zum Schluß dürften einige Zahlenangaben von Interesse sein. Die gesamten deutschen Sachlieferungen nach Anhang IV Teil VIII des Vertrages von Versailles, also abgesehen von Schiffen, Kohle und F arbstoffen, stellten sich im Jahre 1922 auf rund 230 Millionen Goldmark, Davon gingen 19 Millionen nach Frank- 126 reich, 17 Millionen nach Belgien, 47 Millionen nach Italien und 116 Millionen nach Serbien. Den Löwenanteil also sicherte sich Serbien. Es hatte keine heimische Industrie, die sich gegen die deutschen Sachleistungen sträubte, Auch im Jahre 1923, nach der Besetzung der Ruhr, gingen die Lieferungen nach Serbien weiter. Im ganzen erhielt es bis 30. Juni 1924 auf Reparations- konto deutsche Waren im Werte von 264 Millionen Goldmark: weit mehr, als auf seinen Anteil entfiel. Um deutsche Arbeit für die Reparation in größerem Maße nutzbar zu machen, als dies für den Wiederaufbau selbst bisher möglich war, reichte die französische Regierung der Reparations- kommission im Juli 1922 ein Programm für öffentliche Arbeiten ein, die Deutschland ausführen sollte. Dazu gehörten Wasser- bauten an der Rhone, der Truyere und der Dordogne sowie an _ einem „Nordostkanal” zur Verbindung von Saar und Mosel einer- seits und Maas und Schelde andererseits. Die Arbeiten waren geschätzt auf 3,9 Milliarden Francs, sie sollten sich auf zehn Jahre verteilen. Bis jetzt ist es beim Projekt geblieben. Die im Vertrage vorgeschriebenen Lieferungen von Vieh ‚be- gegneten besonders großen Schwierigkeiten, Der eigene Vieh- bestand Deutschlands hatte im Kriege schwer gelitten. Dem aus- gehungerten Volke erschien das Verlangen, Hunderttausende von Milchkühen abzuliefern, als ein schreiendes Unrecht. Dazu kam, daß in den Jahren nach dem Kriege die Maul- und Klauenseuche bedenklich in Deutschland überhand nahm. In endlosen Ver- handlungen wurden die Programme der Viehlieferungen immer wieder geändert. Schließlich hat Deutschland aber doch sehr erhebliche Mengen an Vieh hergeben müssen. Am 31, Dezember 1922 hatte es abgeliefert: 101 659 Pferde, 174 208 Stück Rindvieh, 231 393 Schafe, 21 664 Ziegen und 245 668 Stück Geflügel, 127 DREIZEHNTES KAPITEL RESTITUTION UND SUBSTITUTION Nach Art. 238 des Vertrages von Versailles ist Deutschland verpflichtet, kostenlos zurückzuliefern, was im Kriege aus den alliierten Ländern weggeschafft ist und in Deutschland oder in den Ländern seiner Verbündeten festgestellt werden kann, Die Rücklieferung wurde, wie wir gesehen haben, schon während des Waffenstillstandes eingeleitet und zu einem Sroßen Teile durch- geführt, vor allem in bezug auf Eisenbahn- und Industriematerial. Die alliierte Organisation hatte ihren Sitz in Wiesbaden, die deutsche Gegenkommission in F rankfurt a. M, Das ging unter bereitwilliger Mitarbeit der deutschen Be- hörden verhältnismäßig glatt. Sehr schwierig war aber die Resti- tution landwirtschaftlicher Geräte, Hier hätte man die Güter und Bauernhöfe durchsuchen und die etwa gefundenen fremden Geräte einzeln wegschaffen müssen, auf die Gefahr hin, daß die Feldbestellung und die anderen Landarbeiten darunter litten. Um diese Mißhelligkeiten abzuwenden, einigten sich Frankreich und Deutschland dahin, die Restitution der landwirtschaftlichen Geräte durch die Lieferung von neuem Material im Werte von 20 Millionen Mark zu ersetzen, Das war der Anfang der sogenannten Substitution, eines Verfahrens, das zunächst in der Reparationskommission Widerspruch fand, weil es die Leistungen Deutschlands in erster Linie für Frankreich und Belgien an- spannte, während England daran kein Interesse hatte. Nach und nach aber überzeugte man sich auf allen Seiten, daß die Rück- lieferung, so wie sie im Vertrage vorgeschrieben ist, in der Praxis 128 gar nicht durchzuführen: war. In den meisten Fällen konnte der alliierte Eigentümer nicht darauf warten, bis ihm der wegge- nommene Gegenstand wieder zurückgebracht wurde. Er schaffte sich einfach etwas Neues an und damit war für ihn die Sache erledigt. Auf der deutschen Seite aber mußte alles getan werden, um die lästigen Nachforschungen in Fabriken und Privathäusern loszuwerden. So kam man immer mehr dazu, die Pflicht zur Restitution durch Abkommen allgemeiner Art abzulösen, nach denen Deutschland neues Material in bestimmter Höhe an die einzelnen alliierten Regierungen zu liefern unternahm, Auch für Vieh wurde die Substitution eingeführt. | Der Wert alles dessen, was Deutschland zurückgeliefert hat, beträgt etwa 500 Millionen Goldmark; Geld und Wertpapiere sind dabei nicht mitgerechnet. Es hat dafür gemäß der Vorschrift des Vertrages von Versailles keine Gutschrift auf Reparations- konto erhalten. ö Die Substitutionsverträge laufen jetzt noch in Höhe von mehreren Hundert Millionen Goldmark weiter, in der Hauptsache mit Frankreich und Belgien. i | 129 Bergmann, Der Weg der Reparation 9 | VIERZEHNTES KAPITEL _ DER ERSTE ANTRAG AUF STUNDUNG Im Herbst 1921 war es für jeden wirtschaftlich Denkenden klar geworden, daß Deutschland die nächsten unter dem Zahlungsplan von London fälligen Geldzahlungen aus eigenen Kräften nicht würde leisten können, Schon im August 1921 hatte Professor John Meynard Keynes geschrieben, daß Deutschland zwischen Februar und August 1922 mit den Zahlungen im Ver- zuge bleiben müsse, Inzwischen hatten die Umstände, unter welchen Deutschland es fertig brachte, die erste Milliarde Gold- mark zu zahlen, deutlich gezeigt, daß ein solches Experiment nicht ein zweites Mal glücken werde. In der Tat waren die Wirkungen dieser Zahlung nicht nur auf die deutsche Währung, sondern auch auf die fremden Wechselkurse ganz erstaunlich, Die deutsche Re- gierung hatte die am 31, Mai 1921 fälligen 150 Millionen bereits am 15. Mai in verschiedenen Devisen zur Hand. Auf Ver- langen der Reparationskommission mußten diese Devisen binnen zehn Tagen in Dollar umgewandelt der Federal Reserve Bank in New York überwiesen werden. Der forcierte Dollarkauf führte zu einem sofortigen Rückgang aller Devisen, die von Deutschland verkauft werden mußten, Diese Bewegung setzte sich auch nach dem 31. Mai 1921 fort, weil die internationale Spekulation andauernd Dollars weiter kaufte in der Annahme, daß die Reparationskommission die Zahlung der gesamten Milliarde Gold- mark in Dollars verlangen würde, So fiel in der Zeit vom 21. Mai bis 30. Juli 1921 das englische Pfund in New York von 4 auf 3.57 Dollar, der französische Franc von 8,78 auf 1.64, der hol- 130 ländische Gulden von 35.95 auf 30.78, der belgische Franc yon 8.77 auf 7.37, die schwedische Krone von 23.65 auf 20.45. Die Reparationskommission zog daraus die Lehre, da ß sie die deutschen Zahlungen nicht nur in Dollars, sondern auch in anderen Devisen, selbst auf die Gefahr eines Kursverlustes hin, in Zahlung nehmen - müsse, Als dies geschah, konnten sich die Wechselkurse mit Aus- nahme des französischen und des belgischen Franc bald wieder kräftig erholen. | | Ueber die Bewegung der Mark im Zusammenhange mit der Zahlung der Milliarde Goldmark haben wir schon gesprochen. | Der Marksturz kam erst Anfang Dezember 1921 zum Stillstand, als die Hoffnung auftauchte, daß mit Hilfe eines internationalen Arrangements Deutschland von weiteren großen Zahlungen für einige Zeit befreit bleiben würde. Bis dahin wußte jedermann = dem Londoner Zahlungsplan, daß Deutschland zu ganz besten Zeitabschnitten feste Zahlungen in gewaltiger Höhe leisten mußte. Es war daher für die internationale Spekulation ein re Geschäft, durch den Verkauf von Mark Devisen zu erwerben, lie man dann der deutschen Regierung, welche immer als ez Markte sein mußte, zu gestiegenen Preisen wieder = konnte; denn mangels eigener Deviseneinnahmen war die nn e Regierung gezwungen, jedes Angebot von Devisen zu benu = um sich nicht durch Zahlungsverzug neuen nn, — zusetzen, Dabei war im Sommer 1921 der Devisenbedart _ 2 lands für andere Zwecke, vor allem für die Einfuhr - e je mitteln und für das Clearingverfahren, ee x I * gewesen. Um so schwerer wurde die Devisenbesc alfung be Herbst und Winter 1921, als der lange un mer Bedarf an fremden wer eo bee ee er so nicht weiter ging wie bisher, as war It | E; Nur darüber, was geschehen mußte, gingen a stark auseinander. InDeutschland versuchte man ee o oz der Anleihe, Im September spannen sich zwischen er de we Regierung und Vertretern der a a a f bzielten, daß die Industrie de nei rer ei Verfügung stellte, um die nächsten Raten des | 131 9% Londoner Zahlungsplans bis zur Höhe von einer Milliarde Gold- mark im Anleihewege zu beschaffen, Die Verhandlungen wurden ziemlich lau geführt, Man stellte bald fest, daß es sich nicht darum handeln könne, die Devisenbestände der Industrie der Reichskasse zuzuführen, sondern nur darum, unter Ausnützung des Kredites der deutschen Industrie im Auslande eine größere internationale Anleihe zu begeben. Damals tauchte der sogenannte Plan Hachenburg auf: eine Kreditvereinigung, die Industrie, Handel und Landwirtschaft umfaßte, sollte eine Anleihe ausgeben, welche durch hypothekarische Belastung des Grundbesitzes und des Vermögens aller Erwerbsstände zu sichern wäre, Zinsen und Tilgung der Anleihe sollten auf die Steuerleistung der belasteten Unternehmen verrechnet werden. Der Plan kam nur bis zur Ge- nehmigung durch den Reichswirtschaftsrat. Von der Industrie wurde er verworfen. Eine Versammlung des Reichsverbandes der Deutschen Industrie vom 4, und 5. N ovember 1921 beschloß, die Kreditverhandlungen mit dem Reich fortzusetzen, jedoch zu ver- langen, daß das Reich im gesamten Haushalt strenge Sparsamkeit einführe, das Wirtschaftsleben von allen Hemmnissen der Be- tätigung und Entwicklung befreie und die Staatsbetriebe alsbald in private Bewirtschaftung überführe, so daß sie, anstatt wie bis- her dem Reiche zur Last zu fallen, genügende Einnahmen schaffen könnten, um Zinsen und Tilgung der geplanten Auslandanleihe zu decken, Gegen das Verlangen der Industrie, den deutschen Eisenbahnen eine private Wirtschaftsform zu geben, erhob sich ein Sturm der Entrüstung. Die Sozialisten kamen mit Gegen- forderungen. Sie verlangten eine Beteiligung des Reiches am Kapital der Industrie, die Verstaatlichung der Kohlengruben, strenge Erfassung der Ausfuhrdevisen, Beschränkung der Einfuhr, Erhöhung der Ausfuhrabgaben, sofortige Eintreibung der direkten Steuern und anderes. In dem innerpolitischen Kampf, der darüber entbrannte, fiel das Anleiheprojekt der Industrie ins Wasser. Der Versuch der deutschen Regierung, auf ihren eigenen Kredit hin eine Anleihe von etwa einer Milliarde Goldmark in London zu erlangen, schlug gleichfalls fehl. Der Gouverneur der Bank von England erklärte in einem Schreiben an den Präsidenten der 132 Reichsbank Havenstein, daß im Hinblick auf die Vorschriften, welche die finanziellen Verpflichtungen des Reichs gegenüber der Reparationskommission für die nächsten Jahre regelten, weder eine langfristige deutsche Anleihe noch ein kurzfristiger Bank- kredit in England aufgenommen werden könne, Die deutsche Regierung entschloß sich nunmehr, durch ‚eine Note des Reichskanzlers vom 14. Dezember 1921 der Reparations- kommission anzuzeigen, daß es ihr unmöglich sei, den Gesamt- betrag der Fälligkeiten vom 15, Januar und 15, Februar 1922 zu beschaffen. Bei Anstrengung aller Kräfte und ohne Rücksicht auf die für den Reichshaushalt notwendigen Ausgaben würde, abge- sehen von den Sachlieferungen und den Gutschriften aus dem Recovery Act, nur ein Betrag von einhundertfünfzig bis zwei- hundert Millionen für die Reparation zusammengebracht werden können. Daher sehe sich die deutsche Regierung genötigt, die Reparationskommission um einen Zahlungsaufschub für diejenigen Beträge zu bitten, welche an den Fälligkeitsdaten des 15. Januar und 15. Februar 1922 nicht beschafft werden könnten. Das war der Antrag auf ein Moratorium. Die Reparations- kommission antwortete am 16. Dezember, daß sie nur mit Be- fremden von dem Schritt der deutschen Regierung Kenntnis nehmen könne, Sie werde den Antrag auf Zahlungsaufschub so lange nicht berücksichtigen, bis die deutsche Regierung wei einzelnen begründet haben würde. Zugleich sprach sie i - Bor dauern darüber aus, daß die deutsche Regierung in keiner eise auf das Verlangen der Kommission eingegangen sei, die geeigneten Mittel zu ergreifen, um den deutschen Haushalt in Ordnung zu bringen und den Notenumlauf einzudämmen. | ne Dieser Schriftwechsel zeigt, wie sehr es wieder einmal in einem kritischen Zeitpunkte an gegenseitigem Verständnis zwischen Repa- rationskommission und deutscher Regierung fehlte. Sie a beide in ihre politischen Scheuklappen eingezwängt, aneinander vorbei. Nach dem mehrwöchigen Aufenthalt des re und dem Besuch der gesamten Reparationskommission in Berlin hätte man erwarten sollen, daß eine Verständigung sich on mindesten anbahnen würde, Nichts davon ist in dem Schrift- 133 wechsel zu spüren, sondern nur ein vorsichtiges, lauerndes Zurück- halten von zwei Parteien, die sich gegenseitig nicht verstehen, Auf Wunsch der deutschen Regierung fand am 29, Dezember 1921 eine Sitzung der Reparationskommission statt, in welcher der deutsche Stundungsantrag begründet wurde. Das Ergebnis war unerfreulich. Es verschärfte nur die Spannung. Die deutsche Regierung hielt es für richtig, die Reparationskommission darauf zu verweisen, daß sie bereits mit einzelnen alliierten Regierungen vorläufige Besprechungen über die Reparation gepflogen habe, deren Entwicklung sie nicht vorgreifen wolle, Diese Anspielung bezog sich auf vertrauliche Unterhaltungen von Dr. Rathenau in London. Er war nach der Entscheidung der oberschlesischen Frage offiziell aus dem Kabinett ausgeschieden, ging aber im Dezember 1921 im Auftrage der Reichsregierung nach London, um in den Kreisen um Lloyd George und in der City Rat und Hilfe für Deutschland zu suchen, | Das war ein neuer Versuch, über den Kopf der schwerfälligen und in sich uneinigen Reparationskommission hinweg unmittelbar eine alliierte Regierung anzurufen, bei der man ein besseres Ver- ständnis der deutschen Notlage zu finden hoffte, Rathenau, der die schweren Enttäuschungen dieser Taktik noch nicht am eigenen Leibe erfahren hatte, glaubte, daß es ihm gelingen müsse, im direkten Benehmen mit Lloyd George die Reparationsfrage voran- zubringen, Die freundliche Aufnahme, die er in London fand, be- stärkte ihn in dieser Hoffnung. Dabei übersah er aber, daß gerade die Verhandlung mit einer einzelnen alliierten Macht um so heftiseren Widerstand bei den anderen Alliierten auslösen und daher der deutschen Sache schaden würde. In diesem Lichte ge- sehen wird die Haltung der Reparationskommission gegenüber dem ersten deutschen Moratoriumsgesuch einigermaßen ver- ständlich, 134 FÜNFZEHNTES KAPITEL DER MARKSTÜRZ UND DIE VEREINIGTEN STAATEN Ehe wir in der Entwicklung der Dinge weitergehen, ist es nötig, auf Ereignisse zurückzugreifen, die sich etwa gleichzeitig _ mit den Bemühungen von Dr. Rathenau fern vom Kriegsschauplatz der Reparation abspielten. "ie | a Ich war mit dem 31. August 1921 aus meiner offiziellen Stellung als Vertreter der deutschen Regierung bei der ! rationskommission in Paris ausgeschieden und in privaten ” schäften nach New York gegangen. Von vornherein hatte ich 9 schwierige und undankbare Aufgabe in Paris nur auf men zwei Jahre übernommen, um zu versuchen, ob durch die ru is Methoden eines geschäftlichen Verkehrs das heikle a h - | Reparation einer vernünftigen Lösung näher gebrac ne "könnte, Die politischen Stürme, welche zum Londoner | er en führten, hatten aber die Keime einer Verständigung zwisc a: = Reparationskommission und der deutschen Regierung Mein joe Gleich nach der Londoner Konferenz vom März 1921 reic e 2 5 meinen Abschied ein, und nur die dringenden et Regierung Wirth - Rathenau konnten mich noch einige No länger in Paris halten. | u meiner Ankunft in New bp nn m. = = a resse der amerikanischen Gesc äl skreis a auf das Phänomen des neuerlichen | ee der Reichsmark gerichtet. Wie in sehr vielen Ländern Be das Publikum der Vereinigten Staaten in den Jahren 135 große Mengen von Mark bei stark weichenden Kursen gekauft, weil sich jedermann sagte, daß Deutschland mit seiner arbeits- freudigen und disziplinierten Bevölkerung, seiner wohlausge- rüsteten und voranstrebenden Industrie und seiner bewährten organisatorischen Kraft sich aus der politischen Katastrophe des Krieges verhältnismäßig schnell erholen werde, und daß der Sturz der deutschen Währung nur eine vorübergehende Erscheinung sei. So waren allmählich gewaltige Beträge von Reichsmark in die Hände des amerikanischen Volkes übergegangen. Nach den großen Schwankungen des Markkurses im Jahre 1920 war zunächst eine gewisse Stabilität eingetreten, die der Anbahnung von Geschäften mit Deutschland wesentlich zugute kam, Der formelle Friedens- schluß zwischen den beiden Staaten im August 1921 ließ er- warten, daß ihre geschäftlichen Beziehungen bald lebhaft werden würden, Diese Aussicht war für Amerika um so willkommener, als damals infolge der Depression des Geschäftslebens in der Nachkriegszeit gerade in den Vereinigten Staaten Arbeitslosig- keit, Rückgang der Warenpreise und damit verbundene erheb- liche Verluste im Geschäftsleben sich besonders fühlbar machten, Ein starkes spekulatives Interesse an der Reichsmark bestand allerdings in New York selbst nicht mehr, weil die Enttäuschungen in der Reparationsfrage zur Vorsicht mahnten. Immerhin fand noch ein großes Geschäft in Reichsmark für südamerikanische Rechnung statt. Massenweise erhielt New York Verkaufsaufträge für Reichsmark, zum größten Teil über Amsterdam. Daraus ent- stand in amerikanischen Bankkreisen fast überall die Meinung, daß die Reichsbank selber durch ihre holländischen Beziehungen im größten Maßstabe Mark verkaufe, und daß in diesen Verkäufen die Ursache des erneuten Rückganges der Mark zu suchen sei. Einsichtige Leute fanden das bedauerlich, aber erklärlich, weil anscheinend nur auf diese Weise die Abtragung der ersten Milliarde Goldmark unter dem Londoner Zahlungsplan möglich war, Die Tagespresse aber und viele Geschäftskreise vertraten die Ansicht, daß der rücksichtslose Verkauf der Reichsmark auf eine ganz bestimmte Politik zurückzuführen sei. Vielfach hörte ich scharfe Kritik darüber, daß die deutsche Regierung fortgesetzt 136 Banknoten drucken lasse und absichtlich durch Inflation eine Ent- wertung der Reichsmark herbeiführe, um dadurch den Alliierten Sand in die Augen zu streuen und die Unfähigkeit Deutschlands zu weiteren Reparationszahlungen nachzuweisen, Ich machte es mir zur Aufgabe, dieser irrigen Meinung über die deutsche Finanz- politik in maßgebenden Bankkreisen entgegenzutreten. Natürlich war jede Hoffnung auf amerikanische Hilfe für Deutschland aus- geschlossen, solange der Verdacht bestand, daß die deutsche Regierung selber — direkt oder indirekt — eine derart frivole Politik betreibe, um sich ihren Reparationspflichten zu entziehen. So mußte ich sehen, wie in Amerika, auf dessen Hilfe alle deutschen Hoffnungen gesetztwaren, der Zusammenbruch der Mark.nicht nur das Ansehen der deutschen Regierung schädigte und das allge- meine Mißtrauen gegen ganz Deutschland verstärkte, sondern auch den Kredit der deutschen Banken und der deutschen Industrie aufs äußerste gefährdete und die neu angebahnten geschäftlichen Beziehungen zu ruinieren drohte. Auf meine Aringenden - stellungen in Berlin ging bald die kategorische Erklärung der Deutschen Reichsbank ein, daß sie weder zur Abtragung der Milliarde Goldmark noch zur Deckung sonstiger Bedürfnisse Mark in das Ausland verkaufen lasse, und daß sie auch mit den Mark- verkäufen über Holland nichts zu tun habe. Es blieb nur die Er- klärung, daß das deutsche Publikum selber, sei es aus - . aus spekulativem Interesse, Mark in das Ausland warf, = sic - dafür Devisen zu beschaffen. Wenn dem so war, dann “ te ner deutscher Seite alles versucht werden, dem andauern er a der Mark und vor allem der verderblichen er = Ziel zu setzen. Es war unvermeidlich, daß sich in Ameri gr . hütete, irgendwelche Geschäfte mit einem Lande zu ae a h Währung unaufhaltsam dem absoluten Nichts zueilte. er Ye . es im Interesse des Privatgeschäfts wie des gesamten .. Me Ansehens nötig, sofort energische Schritte für die ._. . 2 September 1921 stark gesunkenen Mark zu tun. Daß hier — deutsche Kraft allein nicht ausreichen würde, a ae = amerikanische Hilfe einen baldigen durchgreifenden - e u sprach, war mir klar, Ich sprach über diese Frage eingehen 137 hervorragenden amerikanischen Bankleuten und mit Regierungs- kreisen in Washington, Fast überall fand ich ein williges Ohr und Verständnis, Vorbedingung für eine aktive Unterstützung in Amerika war aber, daß zunächst einmal durch eigenes Eingreifen der deutschen Regierung und der Reichsbank ein weiterer Rück- gang der Mark verhindert und ein gewisser Beharrungszustand, wenigstens auf dem letzten niedrigen Niveau, hergestellt werde, Der wahre Grund für den ständigen Verkauf der Mark durch Besitzer und Spekulanten lag natürlich in dem Pessimismus in bezug auf die deutsche Wirtschaft, den die ungeheure Reparations- last Deutschlands auch nach dem Londoner Zahlungsplan überall in der Welt ausgelöst hatte, Wollte man also eine nachhaltige Besserung oder einen Beharrungszustand des Markkurses schaffen, so mußte Hand in Hand mit einem aktiven Eingreifen der deutschen Regierung, der Reichsbank und einer etwaigen Hilfe ausländischer Bankkreise ein Abkommen mit der Reparationskommission gehen, das wenigstens für einige Jahre Deutschland die Möglichkeit gab, die ihm auferlegten Verpflichtungen zu erfüllen. Diese Gedanken- gänge führten mich zu einer Idee, welche sich nach eingehenden Besprechungen mit ersten amerikanischen Bankleuten zu einem festen Vorschlag verdichtete: es sollten mit der Reparations- kommission. Verhandlungen geführt werden, die ohne direkte Aenderung des Londoner Zahlungsplanes einen modus vivendi für einige Jahre schafften, Die Leistungen unter dem Zahlungsplan sollten Deutschland weder erlassen noch gestundet, sondern so gestaltet werden, daß unter wesentlicher Betonung der Sach- leistungen die noch nötigen Barzahlungen für etwa drei bis vier Jahre durch eine internationale Anleihe ab gegolten werden konnten, Sobald die Reparationskommission erklärt haben würde, daß sie auf einen solchen Vorschlag grundsätzlich einzugehen bereit sei, sollte ein amerikanisches Bankensyndikat sich bereit erklären, der deutschen Regierung einen Vorschuß etwa in Höhe von 50 Millionen Dollars zu gewähren, um damit die deutschen Markverkäufe im Auslande aufzufangen und nach einer anfäng- lichen, nicht zu starken Erholung Ruhe in der Bewegung der Reichsmark herbeizuführen. Das würde der deutschen Regierung 138 Gelegenheit geben, durch vernünftige Handhabung der Steuern und durch Sparsamkeit auf allen Gebieten den Haushalt in Ord- nung zu bringen und dann in aller Ruhe weitere ‚Verhandlungen zu pflegen, die allmählich zu einer Aenderung des in der bestehen- den Form unerfüllbaren Londoner Zahlungsplans führen würden. Die amerikanische Mitwirkung erschien mir zweckmäßig, obwohl die Reichsbank damals über einen Goldschatz von einer Milliarde Mark verfügte, mit dem sie unter den genannten Voraussetzungen die Stützung des Markkurses auf absehbare Zeit hinaus allein hätte durchhalten können, Aber einmal war es mißlich, Gold zur Stützung der Mark herzugeben, wenn es irgend zu vermeiden war, denn bei dem allgemeinen Pessimismus in bezug auf die deutsche Währung hätte die Spekulation aus der Weggabe des Goldes neue Nahrung gezogen. Andererseits schien mir der Kredit, den die Deutsche Reichsbank im Inlande und im Auslande genoß, keineswegs mehr stark genug, einen alsbaldigen Erfolg | a gewährleisten, Wenn dagegen ein amerikanisches Bankensyndikat, etwa, unter Führung von J. P, Morgan & Co., öffentlich mit der Erklärung auftreten würde, daß es der Reichsregierung einen sehr erheblichen Dollarvorschuß für die Stützung der Mark zur Ver- fügung stelle, so schien mir schon die bloße Ankündigung eines solchen mächtigen Syndikats genügend, das Vertrauen her- zustellen und die Markspekulation auf den entgegengesetzten Weg zu weisen. ie 38 I | Ich fand mit diesen Ideen in Amerika viel Sympathien, aber auch manchen Widerspruch. Einige Vertreter der Bankwelt, die mit deutschen Verhältnissen besonders gut vertraut waren, hielten mir das Argument entgegen, das in Europa fast allerorten sog Axiom galt: die Mark könne sich erst dann wieder erholen oder stabilisiert werden, wenn das Londoner Ultimatum geändert und die Reparationsforderungen auf ein vernünftiges Maß ._. geführt seien. Vorher habe es gar keinen Zweck, irgend .. jr die Hebung der Mark zu tun. Bis dahin müsse man eben nn 7 land seinem Schicksal überlassen. Gewiß werde unsägliches E en über Deutschland hereinbrechen, weil bei einer ständig fallenden Mark geordnete Verhältnisse nicht mehr lange bestehen könnten, 139 Gewiß werde es Streiks, Unruhen, Umsturz der Regierung und Hungersnot geben, Alles das sei unvermeidlich, ja sogar ein aus- gezeichnetes Mittel, die Alliierten, besonders Frankreich, von der Unmöglichkeit der Durchführung des Londoner Ultimatums zu überzeugen, Gegen eine solche Pferdekur habe ich stets Front gemacht. Man kann sie als Arzt sehr leicht verordnen, wird sie aber kaum am eigenen Leibe erproben wollen. Deutschland, das war meine Entgegnung, habe in und nach dem Kriege genug, Elend durch- gemacht. Mir sei der Gedanke unerträglich, daß wir jetzt von neuem in eine noch schrecklichere Not hineinkommen sollten, so- lange es noch irgendeine Hoffnung gebe, uns aus den Schwierig- keiten des Marksturzes zu retten. Ein zweiter Einwand, dem ich häufig begegnete, war folgender: Solange die deutsche Regierung immer mehr Milliarden von neuen Noten in die Welt setze, sei dem Markkurs nicht zu helfen; die Tätigkeit der deutschen Notenpresse drücke den Markpreis auto- matisch weiter herab. Man solle das Notendrucken einstellen und das Budget in Ordnung bringen, dann werde die Mark schon von selbst wieder steigen. Auf diesen weisen Ratschlag, der auch immer von der Repa- rationskommission ins Feld geführt wurde, war schwer zu ant- worten, Man schüttelte ungläubig den Kopf, wenn ich zu erklären versuchte, daß die Entwertung der Mark, die nun einmal mit so katastrophaler Gewalt eingesetzt habe, durch den allgemeinen Verkaufsdrang immer mehr beschleunigt werde, daß der fort- gesetzte Marksturz eine entsprechende Erhöhung der Löhne und Preise hervorrufe, daß damit auch die Ausgaben des Reiches fortgesetzt stiegen, während die Einnahmen nur langsam nach- kämen, und daß deshalb das Reich mangels jeder sonstigen Kredit- quelle gezwungen sei, seinen Ausgabebedarf durch Inanspruch- nahme der Reichsbank, das heißt durch vermehrte Notenausgabe, zu befriedigen. Es gibt noch heute viel kluge Leute, die nicht begreifen können, daß die Markentwertung in jenen kritischen Zeiten nicht die F olge, sondern die Ursache des vermehrten Notenumlaufs gewesen ist. 140 Ich habe in den Monaten Oktober und November 1921 in New York keine Mühe gescheut, für die Stützung der Mark zu- gleich mit einer vorläufigen Regelung der Reparation Stimmung zu machen. Das mußte ich auf eigene Faust tun. Von Deutschland aus erhielt ich trotz eingehender Berichte keine Hilfe, weil man da andere Wege wandelte. Da mühte sich die Regierung m. gleichzeitig mit der Industrieanleihe von einer Milliarde Goldmar ab, von der wir schon gesprochen haben. Ich glaubte von vorn- in nicht daran, daß sie zustandekommen werde, Ihr etwaiges Gelingen aber wäre verhängnisvoll gewesen. Der Betrag von einer Milliarde Goldmark hätte knapp ausgereicht, den ‚Londoner Zahlungsplan bis zum Frühjahr 1922 durchzuhalten. Die os wäre für die ganze deutsche Industrie eine schwere Last Ba ER Für die Regelung der Reparation hätte sie nichts genützt. jie Reparationskommission hätte das mühsam beschaffte Geld ein- gesteckt und wäre nach einem halben Jahre wieder mit den unver- änderten Forderungen des Londoner Ultimatums vor die deutsche Regierung hingetreten. Dann hätte die deutsche Industrie . gesamten Kredit im Auslande für nichts geopfert. Das wirtse aft- liche und finanzielle Elend Deutschlands wäre um so größer ge- worden. Mir aber kam es darauf an, mit der Reparationskommission ein Abkommen zu treffen, das wenigstens für einige Jahre Ruhe und Zeit zur Ordnung der deutschen Wirtschaft und zur zur bereitung einer endgültigen Lösung der Reparation ae so te, Die Idee des Moratoriums an sich, das heißt eines ‚bloßen Aufschubs der deutschen Leistungen, war verfehlt. Ich bin stets - der Meinung gewesen, daß Deutschland den Alliierten für die . Aenderung der Zahlungsfristen etwas bieten müsse. Was sollten wir aber bieten, wenn uns die ständige Markentwertung immer tiefer in wirtschaftliches Elend und politische Unruhen brachte? . konnte nicht genug vor der falschen Hoffnung warnen, dab au die Dauer doch die deutsche Notlage das Mitgefühl der Den Feinde erwirken werde. Diese Notlage wurde außerhalb Deutsch- lands beinahe überall für selbstverschuldet gehalten. Man traute uns vollkommen die Kraft zu, nicht nur die Notlage zu beseitigen, sondern auch noch recht viel für die wirtschaftliche Hebung 141 der alliierten Länder .zu tun, Wir kamen keinen Schritt weiter, wenn wir nur mit unserem Elend an die Reparationskommission appellierten, Wir mußten ihr etwas Ordentliches bieten, und zwar außer Sachleistungen auch noch Geld. Einem Moratorium, unter dem Deutschland wenig oder gar nichts zu leisten haben würde, stellte sich vor allem Frankreich feindselig gegenüber. Es hatte von allen alliierten Mächten die größten Verluste erlitten. Auf seinem Boden waren die Ent- scheidungskämpfe des Weltkrieges geführt worden. Die durch den Krieg im Lande angerichteten Verwüstungen waren entsetz- lich. Frankreich hatte alsbald nach dem Waffenstillstand seinen Wiederaufbau selber energisch in die Hand genommen und inner- halb weniger Jahre die äußerlich sichtbaren Schäden, abgesehen von Fabriken und Wohnhäusern, aus eigenen Mitteln beinahe ganz beseitigt, die zerstörten Eisenbahnen und Straßen wieder her- gestellt und wesentlich verbessert und die verwüsteten Felder fast vollständig wieder unter den Pflug genommen, Diese ge- waltigen Ausgaben von vielen Milliarden Goldfrancs waren durch innere Anleihen, in der Hauptsache durch die kurzfristigen Bonds de la Defense N ationale, finanziert worden, also ohne Inanspruch- nahme der Notenpresse, Wenn es aber nicht gelang, bald größere Beträge als Reparation von Deutschland zu erhalten, so blieb Frankreich für lange Jahre unter einer drückenden Schuldenlast und ohne geordneten Staatshaushalt. F rankreich hatte daher ein Lebensinteresse an schnellem Beginn der Reparationszahlungen, von denen ihm allein 52 Prozent zufielen, Wir haben schon ge- sehen, daß infolge der gewaltigen Besatzungskosten von allen Leistungen Deutschlands vor dem 1. Mai 1921 nichts für die Reparation übrig blieb. Aber auch von der Milliarde Goldmark, die Deutschland im Sommer 1921 gezahlt hatte und die bei der Konferenz der alliierten Finanzminister in Paris vom 13. August 1921 aufgeteilt wurde, erhielt Frankreich nichts. Die eine Hälfte davon ging an England für ungedeckte Besatzungkosten vor dem 1. Mai 1921, die andere Hälfte an Belgien. Die belgische Priorität, von der wir schon sprachen, war ursprünglich auf zwei Milliarden Goldmark festgesetzt. Aus den deutschen Zahlungen bis Ende 142 1921 wurde sie auf etwa eine Milliarde verringert. Frankreich bekam nach wie vor nur Sachleistungen, vor allem Kohle, die allerdings einen Wert von mehreren hundert Millionen Goldmark im Jahre hatte, Daher konnte irgendeine Aenderung des Londoner Zahlungsplans nur dann die Zustimmung Frankreichs finden, wenn sie die Sachlieferungen an Frankreich verstärkte und außerdem Frankreich bald einen erheblichen Geldbetrag zuführte, Ein glattes Moratorium für Deutschland ohne entsprechende Gegenleistung an Frankreich war politisch und psychologisch ein Unding. Wer das Moratorium verlangte oder befürwortete, jagte einem Phantom nach, das sich niemals greifen ließ. So gingen auch alle die Leute in England und Amerika irre, die immer wieder erklärten, daß erst die endgültige Lösung der Reparationsfrage abgewartet werden müsse, ehe etwas für die wirtschaftliche Wiederherstellung Europas geschehen könne, Das waren Ideale, die sich vom sicheren Port der heimischen Wirtschaft schön vertreten ließen, die aber un- erfüllbar bleiben mußten. Der Zwang der politischen Machtver- hältnisse wies klar auf eine provisorische Verständigung mit Frank- reich hin, durch die der Boden für eine endgültige Lösung der Reparationsfrage langsam vorbereitet werden konnte. In dieser Ansicht bestärkten mich Gespräche mit französischen Finanzleuten, die mich aus eigenem Antriebe in New York und Washington Ende November 1921 aufsuchten. Gelegenheit dazu gab die internationale Entwaffnungskonferenz in Washington, an welcher der französische Ministerpräsident Briand mit einem Stabe von Sachverständigen teilnahm. Die französischen Herren erkannten die überragende Bedeutung der Stabilisierung der Mark nicht nur für Deutschland, sondern auch für Frankreich durch- aus an, Daher begrüßten sie jedes Mittel, das eine nachhaltige ih ruhigung des Markkurses herbeizuführen geeignet war. Aus N Besprechungen erwuchs die Idee, eine Regelung der Reparation für etwa vier Jahre anzustreben. Es sollten die Leistungen unter dem Londoner Zahlungsplan mit Rücksicht auf den zurzeit geringen Goldwert der deutschen Ausfuhr verhältnismäßig niedrig es griffen und auf einen bestimmten Gesamtbetrag, etwa er Milliarden Goldmark, für alle vier Jahre festgesetzt werden. ‚143 Davon würde entsprechend dem Wiesbadener Abkommen der größere Teil durch Sachleistungen innerhalb der vier Jahre zu begleichen sein, während der verbleibende Betrag von etwa drei bis vier Milliarden Jetztwert durch eine internationale Anleihe Deutschlands abzutragen sei. Während der vierjährigen Frist sollte der Londoner Zahlungsplan selber revidiert und mit den wirtschaftlichen Notwendigkeiten der beteiligten Mächte in Ein- klang gebracht werden. So etwa sollte das Programm für die Be- sprechungen mit der Reparationskommission aussehen, Inzwischen aber sollte eine durchgreifende Stützung der Mark mit Hilfe eines amerikanischen Bankensyndikats in die Wege geleitet werden. Die Bedingungen der amerikanischen Geldgeber für ihre Hilfe- leistung waren wie folgt gedacht: 1. Die Reparationskommission räumt dem amerikanischen Vorschuß an Deutschland für die Markstützung das un- bedingte Vorrecht vor den Barleistungen für die Repa- ration ein, 2. Die Reparationskommission verschiebt den Zeitpunkt der Fälligkeit weiterer Geldzahlungen bis zum 1, Mai 1922, Vorher sind nur Sachleistungen zu machen. 3. Die Reparationskommission erklärt sich bereit, mit Deutschland in Verhandlungen über eine Regelung der Reparation für vier Jahre auf der Grundlage des vor- stehenden Gedankenganges einzutreten. Meine französischen Gewährsleute erklärten nachdrücklich, daß es gänzlich aussichtslos sei, die Sache beim anderen Ende anzufangen, also etwa zunächst eine Aenderung des Londoner Ultimatums herbeizuführen. Dazu sei die öffentliche Meinung in Frankreich noch lange nicht reif. Sie lehnten aber auch den Ge- danken ab, gar nichts für die Stützung der Mark zu tun und die Dinge ihren Gang gehen zu lassen, damit die öffentliche Meinung durch das Elend der Welt belehrt werde, Sie nannten das eine unverantwortliche Katastrophenpolitik, der entschieden entgegen- zutreten sei, Sie übernahmen es, wegen des Vorschusses selber an J. P. Morgan & Co. heranzutreten und sich auch mit der Repa- 144 rationskommission wegen des ganzen Planes in Verbindung zu setzen, Inzwischen aber waren die Dinge in Europa einen anderen Weg gegangen, Die Besprechungen Rathenaus in London hatten den Erfolg, daß in englischen Regierungskreisen der Gedanke erwogen wurde, die Geldzahlungen Deutschlands für das Jahr 1922 auf insgesamt 500 Millionen Goldmark zu ermäßigen. Daneben sollten die vertragsmäßigen Sachlieferungen hergehen. Dieses Programm stand auf der Tagesordnung des Obersten Rates, der für Anfang Januar 1922 nach Cannes einberufen wurde. Auf die bloße Hoffnung hin, daß die Reparationslast Deutsch- lands erleichtert werden würde, besserte sich der Markkurs von selbst erheblich. Anfang Dezember fiel der Dollarkurs in Deutsch- land, der kurz vorher noch über 300 Mark gestanden hatte, unter 200 Mark, wo er sich unter einigen Schwankungen vorläufig auch hielt, Damit war die Gefahr des wirtschaftlichen Zusammen- bruchs Deutschlands vorläufig abgewehrt. Zugleich aber waren die Reparationsverhandlungen nunmehr endgültig auf das Ziel des Moratoriums und auf den Weg der Entscheidung durch den Obersten Rat abgestellt. Es war also nicht mehr möglich, mit der Reparationskommission über ein anders geartetes Ziel zu ver- handeln. Der Holzweg des Moratoriums war beschritten; er sollte bald in dornigem Dickicht enden. Bergmann, Der Weg der Reparation 10 145 SECHZEHNTES KAPITEL VON CANNES BIS GENUA JANUAR BIS APRIL 1922 Der in Cannes versammelte Oberste Rat der Alliierten lud auf Anregung von Lloyd George die deutsche Regierung ein, an den Reparationsberatungen teilzunehmen. Eine kleine deutsche Delegation unter Führung von Dr. Rathenau traf am 11. Januar 1922 in Cannes ein. Dr. Rathenau und ich wurden sofort zu einer ganz vertraulichen Besprechung nach der in der Nähe von Cannes gelegenen Villa des Broussailles gebeten, wo wir die Minister Loucheur und Sir Robert Horne antrafen, Beide machten uns auf den Ernst der Lage aufmerksam, Die innerpolitische Lage in Frankreich sei sehr bedenklich. Das französische Kabinett werde, wenn es Deutschland in dem in London besprochenen Sinne ent- gegenkäme, schweren Erschütterungen ausgesetzt sein. Aber die Stimmung in Cannes sei für Deutschland günstig. Nur müßten wir sofort zugreifen, Es erscheine möglich, uns ein einjähriges Mora- torium zu gewähren. Die Geldzahlungen für 1922 würden aller- dings nicht auf 500, sondern nur auf 720 Millionen Goldmark er- mäßigt werden können, Außerdem würden wir zu Sachlieferungen in Höhe von 1450 Millionen Goldmark, wovon 950 für F rankreich, verpflichtet werden. Jede Verzögerung der Annahme sei gefähr- lich. Morgen schon könne das französische Kabinett gestürzt sein. Unmittelbar darauf wurden die Deutschen zur Reparations- kommission gerufen, welche gleichfalls vom Obersten Rat nach Cannes entboten war. Hier verbreitete sich Rathenau in langer Rede über die Lage Deutschlands und über seine Zahlungsmöglich- 146 keiten, Währenddessen schob mir ein Mitglied der Reparations- kommission einen Zettel zu, auf dem stand: ‚Nehmen Sie schnell an, die Bedingungen sind 720 Millionen Goldmark und 1450 Millionen Sachleistungen! Dr. Rathenau hielt es nicht für richtig, auf diese wiederholten Fingerzeige einzugehen. Er wollte nicht mit der Reparations- kommission, die in Cannes gleich ihm nur Gast sei, ein Abkommen treffen, sondern die Entscheidung des Obersten Rates einholen, Dabei hoffte er immer noch, die Ermäßigung der Geldzahlungen für 1922 auf 500 Millionen Goldmark durchzusetzen. Am folgen- den Tage, dem 12, Januar, fand dann eine stark besuchte Sitzung des Obersten Rates statt, in der Dr. Rathenau eine mehrstündige, groß angelegte Rede hielt, Er schilderte sehr eingehend die ee der deutschen Handels- und Zahlungsbilanz, die Ursachen un die Folgen des Marksturzes und wies daraus nach, daß ku _ lich sei, die im Zahlungsplan von London vorgesehenen. eis er» zu erfüllen. Auf den Einwand von Lloyd George, daß die B. e Industrie im Gegensatz zu England, Amerika und anderen Län > in.denen Millionen von Arbeitslosen vom Staate ernährt age w; müßten, mit Volldampf arbeite und Werte schaffe, DD Sn Ausfuhr, in der die deutsche Konkurrenz sich überal ; r mache, versuchte Dr. Rathenau darzulegen, daß die es " " Wirtschaft trotz voller Beschäftigung doch keine ‚Zuna ” r Volkseinkommens oder des Volkswohlstandes be vs Pi großer Teil der Wirtschaft nur dafür arbeite, ie Berl “ Versailler Vertrag geschlagenen Wunden zu hei ” er Fir „Deutschland auferlegten Lasten zu tragen. Er berec % r ai in diesem Sinne die Arbeit von etwa vier Millionen eu ” gi Arbeitern unproduktiv genannt werden müsse. Das ” ser u als ob diese vier Millionen Arbeiter nicht acheitelenns e ea er den paradoxen Ausdruck der „unsichtbaren T ie ip Dies geistreiche Wort hatte auf der Konferenz nic wollten Erfolg. Dr. Rathenau war noch mitten in seiner Rede, als Piz Nachricht kam, das Kabinett Briand sei soeben in Be he - worden. Damit wurde der Oberste Rat beschlußunfähig. 147 10* Konferenz in Cannes mußte abgebrochen werden, Um aber die Besprechung über die Reparation nicht ganz ohne Ergebnis zu lassen, wurde die anwesende Reparationskommission beauftragt, ihrerseits über den deutschen Moratoriumsantrag Beschluß zu fassen, So kam die Kommission, aus deren Händen die Ent- scheidung über das Moratorium erst genommen war, in seltsamer Weise wieder zu ihrem Recht, Weil der Oberste Rat nicht mehr beschlußfähig war, mußte er sich notgedrungen wieder an die Reparationskommission wenden. Diese beschloß am 13. Januar in Cannes, einen vorläufigen Zahlungsaufschub für die am 15. Januar und 15. Februar 1922 fälligen Barzahlungen zu gewähren. Während des Zahlungsaufschubs sollte Deutschland alle zehn Tage die Summe von 31 Millionen Goldmark zahlen, erstmalig am 18, Januar 1922. Weiter hatte die deutsche Regierung binnen fünfzehn Tagen der Kommission ein Reformprojekt für den Haus- halt und den Notenumlauf sowie einen Plan für die Barzahlungen und die Sachlieferungen für das Jahr 1922 einzureichen. Der auffallende Betrag von 31 Millionen Goldmark für je zehn Tage entsprach der Summe, die nach der Bestimmung des Garantiekomitees aus dem Ertrag der für die Reparation ver- pfändeten Zölle und der Abgabe von 25 Prozent auf die deutsche Ausfuhr alle zehn Tage als Sicherheit für die Reparations- zahlungen in Devisen hinterlegt werden mußte, So war das Ergebnis der Konferenz von Cannes, auf die man in England und Deutschland so große Hoffnungen gesetzt hatte, ein recht mageres geworden. An Stelle einer großzügigen Ent- scheidung durch den Obersten Rat erlangte man von der Repa=» rationskommission einen in jeder Hinsicht unbefriedigenden Auf- schub. Dieser belastete Deutschland mit schweren zehntägigen Zahlungen, ohne irgendwelche Gewähr für eine vernünftige Rege- lung auf längere Frist zu geben, Allerdings war einstweilen der Gefahr vorgebeugt, daß Deutschland wieder einmal in Zahlungs- ‘ verzug kam und neuen Sanktionen ausgesetzt war. Aber der Kampf um das Moratorium nahm nun eigentlich erst seinen Anfang. Wie es geworden wäre, wenn Dr. Rathenau das Angebot der 720 Millionen Goldmark sogleich angenommen hätte, läßt sich 148 schwer sagen. Vielleicht hätte ein rascher Entschluß auch die Entscheidung der Reparationskommission festgelegt und schon in Cannes ein Ergebnis gesichert, das erst nach Monaten unter un- säglichen Schwierigkeiten und viel zu spät zustande kam. In Cannes trat nach Schluß der Konferenz eine Kommission von alliierten Sachverständigen zusammen, um über die Be- dingungen eines Moratoriums für 1922 zu beraten. Ihr Bericht vom 14, Januar 1922 ging auch der deutschen Regierung ver- traulich zu. Er adoptierte die bereits genannten Zittern, nämlich Barzahlungen von 720 Millionen und Sachleistungen in Höhe von 1450 Millionen Goldmark. Die Besatzungskosten für 1922 sollten nicht mehr als 220 Millionen Goldmark betragen und aus den deutschen Sachleistungen bestritten werden. Als Vorbedingung für das Moratorium sollte Deutschland eine Reihe von Garantien geben, die praktisch auf eine scharfe Kontrolle der deutschen Steuer- und Finanzgesetze durch das Garantiekomitee der Repa- rationskommission hinausliefen. Letzteres sollte seinen Sitz in Berlin nehmen. | DerBericht beschäftigte sich schließlich auch mit der Verteilung der deutschen Barzahlungen unter die Alliierten. Danach sollte Frankreich aus den Barzahlungen Deutschlands vom 1. Mai 1921 bis Ende 1922 den Betrag von 140 Millionen Goldmark für Be- satzungskosten erhalten. England waren für den gleichen vz bereits früher 500 Millionen zuerkannt. Der gesamte Rest sollte an Belgien fallen. In wi sorgfältig vorbereiteten Note vom 28. Januar 1922 legte Deutschland dem Verlangen der u ne entsprechend ein Reformprogramm für den Haushalt und den Notenumlauf nebst Garantien, ferner ein vollständiges ge für Barzahlungen und Sachleistungen im Jahre 1922 vor. Die Note verwies auf ein dem Deutschen Reichstag soeben vorgelegtes umfassendes Steuerprogramm (Steuerkompromiß), das durch er Reihe von erhöhten direkten und indirekten Steuern eine —— liche Steigerung der Einnahmen bringen sollte. Sie Br wesentliche Ersparnisse im Reichshaushalt an und stellte für Fos und Eisenbahn die Deckung der Betriebsausgaben durch die Be- 149 er u ln Zu ee Ka kn ee triebseinnahmen in Aussicht, Zur Bestreitung der Reparations- leistungen sollte ein Ueberschuß des Haushalts von 16% Milliarden Papiermark, damals gleich 300 Millionen Goldmark, erzielt werden. Ferner wurde der Versuch der Ausgabe einer inneren Anleihe und, unabhängig davon, die Auflegung einer Zwangs- anleihe versprochen, deren Ertrag den Gegenwert von einer Milliarde Goldmark bringen sollte und dazu bestimmt war, der Vermehrung der schwebenden Schuld Einhalt zu tun, Weiter sollte die Reichsbank vollkommen selbständig werden, indem durch Gesetz das bisher bestehende Recht des Reichskanzlers zu Ein- griffen in die geschäftliche Leitung der Reichsbank beseitigt wurde, Die Note betonte, daß die augenblickliche Zahlungsbilanz des Reiches mit etwa zwei Milliarden Goldmark im Jahre passiv sei und daß jede erhebliche Zahlung in Devisen den Markkurs von neuem erschüttern müsse, Dadurch würden alle inneren Ein- nahmen entwertet, alle Ausgaben gesteigert, die Inflation ver- mehrt und Deutschlands F ähigkeit zu Reparationsleistungen immer mehr geschwächt, Trotz dieser Bedenken nahm die deutsche Regierung die Ziffern von Cannes für 1922, nämlich 720 Millionen Goldmark bar und 1450 Millionen Goldmark Sachleistungen, an. Sie erklärte sich abermals bereit, mit allen verfügbaren Mitteln und Kräften an der Wiederherstellung der zerstörten Gebiete mitzuwirken, und schloß mit folgender Betrachtung: „Die deutsche Regierung ist der Meinung, daß die Regelung der Reparationsleistungen für das Jahr 1922 allein nur einen ersten Schritt auf dem Wege zur Lösung des Reparationsproblems bedeutet. Das Programm für 1922 beruht auf einem System, das, wie die vorliegenden Er- lahrungen ergeben haben, die deutsche Reparationsfähig- keit empfindlich schwächt, Monatlich oder vierteljährlich wiederkehrende Reparationszahlungen in fremder Währung verhindern Deutschland, seine Finanzen in Ordnung zu bringen. Es erscheint daher im Interesse aller beteiligten Länder geboten, für die deutschen Reparationsleistungen auf einer anderen Grundlage und auf längere Zeit Vorsorge zu treiien. Dies sollte schleunigst geschehen, da die Un- 150 gewißheit darüber, wie vom Jahre 1923 ab die deutschen Leistungen erfolgen sollen, auf die wirtschaftliche und finanzielle Lage nicht nur Deutschlands, sondern auch der alliierten Länder einen lähmenden Einfluß ausübt, Deutschland wird zur Leistung der Reparation nur dann imstande sein, wenn der Kredit des Inlandes und en landes für Finanzoperationen großen Stils in er genommen wird. Zurzeit wird aber die Kreditwürdigkeit Deutschlands weder von dem inländischen noch von dem ausländischen Anlagekapital anerkannt. Es a ee das Vertrauen, daß Deutschland imstande sein = u unter den gegenwärtig gegebenen Bedingungen a B lich so zu erstarken, daß es als ein zahlungs ä = Schuldner für eine große ee ee er erd ‚ Das Vertrauen der Welt ın sch por ernsten wiederherzustellen, ist die Vorbedingung für eine befriedigende Lösung des Problems. Die Entscheidung auf den deutschen Antrag En Reparationskommission rn =. 2. ine ne nei it, um einen Entschluß zu fassen. Nac ‚dem | cn Briand hatte .-— in ee nz Ü o n, Es stellte sich bald heraus, dab d r Wi | un Mitglieder der Be mZz Moratorium immer stärker wurde, Vertrauliche Rüc ee Paris ergaben, daß die Frage der Garantien - = et = Rolle spielte, In dieser Hinsicht befriedigte . ie ae deutschen Regierung nicht. Die vorgeschlagene . er einer Milliarde Goldmark fand keine ernsthafte a. _ . wurde auch gegenüber dem großen _. es aushalts nicht als ausreichend angesehen. | | E Als ich erkannte, daß das Moratorium nur gegen a Kontrollbefugnisse der Alliierten zugestanden wer hrs ae ich den Mitgliedern der Reparationskommission = a dagegen vor: Bei voller Würdigung der PRuZZ A keiten in den alliierten Staaten müsse man . weh die Kommission nicht etwa den Fehler mache, De 151 schroffe Garantievorschriften mit der einen Hand das wieder zu nehmen, was man an sachlichen Erleichterungen mit der anderen Hand geben wolle, Das Mißtrauen gegen die Kommission habe in Deutschland tiefe Wurzeln geschlagen. Wenn es nicht gelinge, das Vertrauen auf baldige Wiederkehr besserer Zeiten herzustellen, und wenn nicht die Entscheidung der Reparationskommission den Geist großzügigen Entgegenkommens und wirtschaftlichen Ver- ständnisses atme, dann werde es nicht einmal möglich sein, die 720 Millionen Goldmark für das Jahr 1922 zu bezahlen, Man könne doch nicht wollen, daß Deutschland nach kurzer Zeit wiederkommen und erklären müsse, auch die ermäßigten Bar- zahlungen seien im Devisenmarkte nicht zu beschaffen. Und was solle dann werden? Solle etwa das Garantiekomitee selbst ver- suchen, die Maßnahmen in Deutschland durchzusetzen, welche nach Ansicht der Reparationskommission zu finanzieller Gesun- dung führten? Man müsse also die etwaigen Kontrollvorschriften sehr vorsichtig fassen, damit sie nicht unabsehbaren Schaden an- richteten, Aus gleichzeitigen Unterhaltungen mit Seydoux sah ich, daß auch die wirtschaftlich am weitesten blickenden französischen Kreise das Moratorium bekämpften, weil die damit erklärte deutsche Zahlungseinstellung einen üblen Eindruck mache und die schwierige Frage der Garantien aufrolle. Hierbei regte Seydoux wieder den Gedanken eines vorläufigen Reparationsplans bis zum 1. Mai 1926 an. In dieser Zeit sollte Deutschland jährlich 720 Millionen Goldmark in bar zahlen und innerhalb des Zahlungs- plans von London die Sachleistungen machen, welche die einzelnen alliierten Regierungen in Deutschland bestellen würden. Nach den vorliegenden Erfahrungen würden sich diese Sachleistungen, be- sonders an Frankreich, in mäßigen Grenzen halten, Das war im ganzen derselbe Plan, den ich schon in Amerika besprochen hatte, Er konnte aber wegen der vorgeschrittenen Verhandlungen über das Moratorium auch jetzt nicht weiter verfolgt werden. Inzwischen zahlte Deutschland alle zehn Tage die in Cannes provisorisch festgesetzten 31 Millionen Goldmark, Die Mark fiel weiter. Eine Zusammenkunft der alliierten F inanzminister in Paris 182 vom 8, bis 11. März 1922 verzögerte die Entscheidung der Repa- rationskommission noch mehr. Erst am 21. März kam ihr Beschluß zustande. Er setzte die Barzahlungen für 1922 in der Tat auf 720 Millionen Goldmark fest. Die Summe wurde unter Anrechnung der von Januar bis März bereits gezahlten 282 Millionen Gold- mark so auf die einzelnen Monate verteilt, daß vom 15. Mai bis 15, Oktober je 50 Millionen Goldmark und am 15. November und 15, Dezember je 60 Millionen Goldmark zu zahlen waren. Sach- lieferungen wurden, wie vorgesehen, in Höhe von 1450 Millionen Goldmark verlangt, wovon 950 auf Frankreich und 500 auf die anderen Alliierten entfielen. Ferner wurde bestimmt, daß im Falle eines schuldhaften deutschen Verzuges in der Ausführung der Lieferungen ein etwaiger Fehlbetrag in bar zu u Bi Von der Zahlung der Besatzungskosten wurde Deutschland " reit. Sie waren aus den Sachlieferungen zu entnehmen. Der Za ren aufschub sollte nur einen vorläufigen Charakter haben. Die ” mission behielt sich vor, am 31. Mai nachzuprüfen, ob ars - land den in ihrem besonderen Schreiben an den ya . gestellten Bedingungen nachgekommen sei. Je nach den u - nissen der Prüfung sollte das Moratorium bestätigt oder NER: hoben werden. Im letzteren Falle waren die Kersanien, aufge- schobenen Leistungen unter dem Londoner Zahlungsp Dune Vermeidung von Sanktionen binnen vierzehn Tagen zu entrichten. Das besondere Schreiben der Kommission an den Pag kanzler nannte das Programm der deutschen ee ” is Ordnung des deutschen Haushaltes ungenügend. s er .. weiter den Plan der Auflegung einer inneren Zwangsan Moin für unbestimmt, Die Kommission verlangte, daß u. pen Lasten des Versailler Vertrages schrittweise und sc “ gräen Haushalt aufgenommen würden. Soweit die laufenden a. har des Reichs hierzu nicht ausreichten, müsse das a > = durch Anleihe oder direkte Abgaben herangezogen . er: - sehen von den durch das „Steuerkompromiß . er En Steuern sollte Deutschland bis zum 31. Mai 192 | = Be weitere Steuern in Höhe von 60 Milliarden ge ee Davon sollten 40 Milliarden bis zum 31. Dezember 153 Verlangt wurde ferner, daß die Steuersätze sich automatisch in dem Verhältnis erhöhten, in welchem die Verschuldung der deutschen Regierung bei der Reichsbank oder die Entwertung der Mark zunehme, Die nach diesem Programm zu schaffenden deutschen Steuergesetze sollten zwischen der deutschen Regierung und dem Garantiekomitee der Reparationskommission im einzelnen beraten werden. Das Garantiekomitee sollte eine ausgedehnte Kontrolle der deutschen Finanzen ausüben und das Recht er- halten, Vorschläge für die Abstellung von Mängeln in der Hand- habung des Haushalts zu machen. Das ganze Schreiben war auf einen scharfen Ton gestimmt, Für den bisher gezeigten guten Willen der deutschen Regierung und ihre Anstrengungen, der Reparationspflicht nachzukommen, gab es nicht ein Wort der Anerkennung, Der gewährte sachliche Aufschub wurde durch harte Kritik und Drohung vollständig wertlos gemacht. Daher fand die Entscheidung der Kommission die denkbar schlechteste Aufnahme in Deutschland. Am 30. März 1922 gab Dr. Wirth vor dem Reichstage eine ausführliche Erklärung ab, in der er mit auffallender Schärfe gegen die Reparationskommission auftrat. Das Verlangen, neue Steuern in Höhe von 60 Milliarden Papiermark zu schaffen, wies er als eine völlig unmögliche Zumutung ab: Die Reparations- kommission habe damit vor der ganzen Welt bewiesen, daß wirt- schaftliche Darlegungen der deutschen Regierung, so ernst und gewissenhaft sie auch seien, keinerlei Eindruck auf die Kom- mission machten. Zur Frage der Kontrolle erklärte der Reichs- kanzler: „Gegen das Prinzip muß ich schon heute im Namen der Reichsregierung schärfste Verwahrung einlegen. Auch erachte ich es mit dem Selbstbestimmungsrecht eines Volkes und mit der Ehre einer großen Nation für unvereinbar, daß man ihr fremde Organe zur Ueberwachung der einzelnen Zweige bestimmter ziviler Ver- waltungen beigibt. Wir haben auf dem Gebiete der Kontroll- kommissionen schon so trübe Erfahrungen hinter uns, daß es niemand bei uns verstehen würde, wenn dieses schikanöse, kost- spielige, gänzlich unproduktive System auch auf die deutsche Zivilverwaltung ausgedehnt würde,” 154 Dr. Rathenau, der den Entwurf zur Rede des Reichskanzlers geliefert hatte, unterstrich sie noch in eigenen Darlegungen. Er führte den Umschwung der internationalen Lage auf den Re- gierungsantritt Poincarös zurück, der den Kampf gegen England mit großem Erfolg auf allen Schauplätzen der Politik aufgenommen habe. Deutschland gegenüber habe sich das Vordrängen der fran- zösischen Politik in einem Hagel von Noten gezeigt, die von den interalliierten Militärkommissionen auf Deutschland nieder- geprasselt seien. Er habe zählen lassen, daß er im Laufe von won Monaten 100 Noten dieser Kommissionen zur Beantwortung - kommen habe, Man könne sich denken, daß es ‚nahezu einer Lahmlegung der Behörden gleichkomme, wenn sie ne seien, täglich und nächtlich an der Beantwortung We ’ r tm stücke zu arbeiten. Es liege etwas Tragisches darin, i a . M gegenwärtig stärkste Militärmacht der Welt, daß Fran reic ze seinem ganzen Tun und Handeln durch die pet. vor ein = deutschen Angriff bestimmt werde, vor einem Angril .. - kommen entwaffneten Landes, das kaum so viel Soldaten aui- bringe, um seine innere Ruhe zu erhalten. | Daß die deutsche Regierung mit diesen Reden den ke ameier, Beifall der großen Mehrheit des Reichstages erwarb, yon 5. Ebenso klar aber war es auch, daß sie sich damit - “— Reparationskommission öffentlich auf eine schroft e a Haltung festgelegt hatte. Aus den beiden Trägern = r . = politik, Rathenau und Wirth, waren Männer gewor = re = Kommission offene Fehde ansagten. Wie ist dieser 'an mn. erklären? Einen Grund hatte Dr. Rathenau schon in ne a angedeutet: die fortgesetzte Verärgerung und die re he bitterung der deutschen Regierung durch die ® - war tätigen Militärkommissionen der Alliierten. Schon der u .. von Rathenau als deutscher Außenminister, Dr. re .— a den täglichen Reibungen mit dem Chef der Kontrol ._— - Berlin zusammengebrochen. Wenn ein Minister fast we. gun: großen Teil seiner Zeit zur Beilegung der a nn rn welche eine übelwollende fremde Militärbehör e .- n ra Nachweis ihrer Existenzberechtigung zu führen, so 155 unmöglich, für internationale Wirtschaftsprobleme, wie die Repa- ration, seinen Körper frisch und seinen Geist frei zu halten. Die aufreibende Wirkung des Verkehrs mit dem fremden Militär äußerte sich nun auch bei Rathenau. Sie nahm ihm die frühere Frische und Unbefangenheit in der Behandlung der Reparation. Dazu kam aber wohl auch eine persönliche Verstimmung über die ihm bekannt gewordene abfällige Kritik, die sein Auftreten in Cannes im Auslande gefunden hatte, Wirth und Rathenau glaubten ebenso wie die früheren deutschen Regierungen, daß man auf die Reparationskommission nicht viel zu geben brauche, wenn sich die Möglichkeit bot, in unmittelbaren Verkehr mit den Chefs der alliierten Regierungen zu treten. Von dieser Verkennung der tatsächlichen und recht- lichen Verhältnisse ist Dr. Rathenau seit seinem Besuch in London . im Dezember 1921 nicht wieder losgekommen, Er dachte auch im März 1922 daran, daß er binnen kurzem Gelegenheit haben würde, den Streit um das Moratorium im direkten Verkehr mit Lloyd George auf der bevorstehenden Konferenz in Genua persönlich zu regeln, Die Reparationskommission war über den Eindruck, den ihre Note in Berlin gemacht hatte, ganz bestürzt, Man hatte in Paris geglaubt, daß die deutsche Regierung die Schwierigkeit der Sach- lage erfassen und die Note demgemäß aufnehmen würde. Es war den englischen und belgischen Vertretern in der Kommission nur nach schwerstem Kampf mit den Franzosen gelungen, die Ziffern von Cannes durchzusetzen. Um ein sachliches Entgegenkommen der Franzosen zu erreichen, war man genötigt gewesen, in der Note selbst eine scharfe Tonart anzuschlagen, die durch die fran- zösische Mitwirkung bei der Redaktion noch verschlimmert wurde. Nach dem deutschen Entrüstungssturm war die Lage gefährlich geworden, Alles kam darauf an, daß die deutsche Regierung nicht durch eine schroffe Antwort die Brücken zur Verständigung abbrach. Ich wurde wieder nach Paris geschickt und schlug nach Besprechung mit mehreren Mitgliedern der Reparationskommission der deutschen Regierung folgende Erklärung vor: „Deutschland versteht, daß die Forderung neuer Steuern auf die Balancierung des 156 Haushalts 1922 abzielt. Der von der Kommission gewollte Erfolg wird bestimmt erreicht durch die Ausgabe der Zwangsanleihe. Außerdem erwartet die Regierung noch erhebliche Mehreingänge aus bereits bestehenden Steuern. Sie wird weiterhin bemüht sin, neue Steuern zu schaffen, hält aber angesichts der ganzen Ver- hältnisse die Aufbringung eines bestimmten Betrages bis zum 31, Mai für äußerst schwierig, wenn nicht unmöglich, Deutschland wird ferner das Aeußerste tun, um durch Aufnahme freiwilliger Anleihen Fehlbeträge des Haushalts zu finanzieren. Hierfür ist aber eine Besserung der Mark und die Rückkehr des Vertrauens nötig. Beides wird am besten durch die Ausgabe einer inter- nationalen Anleihe zu erreichen sein.” Die Antwort in bezug auf die Kontrolle empfahl ich Berlin be- sonders vorsichtig abzufassen, weil, genauer besehen, die ein- schlägigen Forderungen der Note vom 21. März mehr oder weniger Redensarten waren und eine effektive Kontrolle der Einnahmen und Ausgaben gar nicht verlangt wurde. Deutschland solle sich vor allem bereit erklären, über alle Punkte der Reparationsnote sofort in weitere Besprechungen einzutreten. Obwohl mein Rat auch von dem deutschen Botschafter unter- stützt wurde, lautete die deutsche Antwort, die am 7. April abge- geben wurde, doch ganz anders. Sie verbreitete sich eingehend über den weiteren Fall der Mark unter dem Eindruck der letzten Note der Reparationskommission und über die dadurch hervor- gerufene Teuerung in Deutschland, regte eine nochmalige Prüfung der’Sachlage und die Anstellung eines Vergleichs zwischen der Steuerlast in Deutschland und in den alliierten Ländern an, sprach über die Notwendigkeit einer internationalen Anleihe für die Reparation und die Stabilisierung des Markkurses, lehnte dann aber mit aller Bestimmtheit die von der Kommission verlangte Einführung von neuen Steuern und jede Kontrolle ab, die mit der deutschen Finanzhoheit nicht vereinbar sei oder dem Ausland einen maßgebenden Einfluß auf die Gesetzgebung im einzelnen verschafie. h Die deutsche Antwort wurde in Paris am Tage der Eröffnung der Konferenz von Genua überreicht, 157 SIEBZEHNTES KAPITEL RAPALLOVERTRAG UND REPARATION Bei den Besprechungen in Cannes Anfang Januar 1922 hatte der Oberste Rat der Alliierten auf den Vorschlag Englands be- schlossen, eine internationale Konferenz nach Genua einzuberufen. Sie sollte eine umfassende Aussprache über wirtschaftliche und finanzielle Fragen bringen, Alle europäischen Staaten, auch Deutschland, Oesterreich, Ungarn, Bulgarien und Rußland, wurden eingeladen, damit endlich einmal ein wesentlicher Schritt auf dem Wege zum wirtschaftlichen Wiederaufbau Mittel- und Osteuropas getan werden konnte. Auf Betreiben der französischen Regierung wurde die Besprechung des Reparationsproblems offiziell von dem Programm der Konferenz ausgeschlossen, Poincar& machte dies zur Bedingung der französischen Teilnahme, Er ließ in einer Note vom 15, Februar die vielfachen Bedenken der französischen Regierung in bezug auf die Tagesordnung der Konferenz niederlegen und er- langte von Lloyd George bei einer Zusammenkunft in Boulogne das Versprechen, daß in Genua Beschlüsse über Reparation nicht gefaßt werden dürften. Jedermann war sich darüber klar, daß es zwecklos sei, über die Wirtschaftslage Europas zu sprechen, wenn man nicht ihren Zusammenhang mit der Reparation und den internationalen Schulden berührte, Immerhin nahm Lloyd George die Bedingung Poincares an, wohl weil er hoffte, daß die Macht der wirtschaftlichen Notwendigkeiten stärker sein werde als politische Engherzigkeit, und daß der ungezwungene Verkehr der alliierten und deutschen Regierungsvertreter im Verlaufe der 158 Konferenz schließlich auch der Lösung der Reparationsfrage förderlich sein werde, Während von fast allen übrigen Staaten die Premierminister persönlich an der Konferenz teilnahmen, ließ sich Poincare ostentativ in Genua durch Barthou vertreten. Von der deutschen Regierung gingen außer dem Reichskanzler Dr. Wirth der Außen- minister Dr. Rathenau, der Finanzminister Hermes und der Wirt- schaftsminister Schmidt nach Genua. Die Konferenz trat am 10. April 1922 zusammen. Zuerst ließ sich alles gut an. Die deutschen Vertreter wurden in alle Kommissionen hineingewählt, Ihre Darlegungen, besonders auf finanziellem und wirtschaft- lichem Gebiete, fanden stets große Beachtung. Es entwickelte sich gleich ein zwangloser und geselliger Verkehr mit den Vertretern der übrigen Mächte, so daß die Hoffnung berechtigt war, die Konferenz von Genua werde einen wirklichen Fortschritt in den internationalen Beziehungen bringen. Auch die Reparationsfrage wurde trotz des offiziellen Verbotes in privaten Besprechungen außerhalb des Programms der Konferenz behandelt. Ein ein- wandfreier Anlaß dazu war gegeben. Am 4. April 1922 hatte die Reparationskommission beschlossen, ein Komitee von Sachver- ständigen zu berufen, um die Frage zu prüfen, unter welchen Bedingungen die deutsche Regierung Anleihen im Auslande auf- nehmen könne, deren Erlös zur teilweisen Tilgung der deutschen Reparationsschuld verwendet werden solle. Das Komitee sollte untersuchen: | 1. die Bedingungen, unter denen die Anleihen aufgenommen werden könnten, sowie den Betrag, den man voraussichtlich in der nächsten Zukunft, vor allem im Laufe eines jeden der beiden nächsten Jahre, würde beschaffen können, [ir 2. die Sicherheiten, die für die Anleihegläubiger ohne unbillige Schädigung der künftigen Reparationsinteressen bestellt werden könnten, 3. die Art und Weise der Beaufsichtigung und Verwaltung der für den Dienst der Anleihe zu bestimmenden Einkünfte sowie die Beziehungen zwischen der deutschen Regierung, den Ver- tretern der Anleihegläubiger und der Reparationskommission. 159 Den Vorsitz im Komitee übernahm Minister Delacroix, erster belgischer Delegierter bei der Reparationskommission, Stellver- tretender Vorsitzender wurde D’Amelio, zweiter italienischer Delegierter bei der Reparationskommission. Außerdem sollte je ein englischer, französischer, amerikanischer, deutscher und neutraler Sachverständiger Mitglied des Komitees werden. Verschiedene dieser Persönlichkeiten, darunter der Vorsitzende Delacroix, nahmen an der Konferenz in Genua teil und benutzten die Ge- legenheit, in aller Ruhe die Arbeiten des Komitees der Sach- verständigen vorzubereiten, Dabei einigte man sich auf folgendes Programm: Eine Gesamtregelung der Reparation sei so lange nicht zu erreichen, als die Frage der interalliierten Schulden noch offen bleiben müsse, Wenn man aber, wie einflußreiche englische Finanzkreise es wollten, die Dinge weiter treiben lasse, so müsse eine Verschärfung der politischen und wirtschaftlichen Lage ein- treten, die in kurzer Zeit zum völligen Zusammenbruch Deutsch- lands und vielleicht auch anderer Länder führen werde, Deshalb sei eine vorläufige Regelung der Reparation auf etwa vier Jahre in der Weise anzustreben, daß Deutschland jährlich 720 Millionen Goldmark in bar zahlen und daneben Verträge über Sachleistungen mit den einzelnen alliierten Staaten schließen solle. Die vier Annuitäten von 720 Millionen seien durch eine internationale Anleihe zu finden, die zu einem Teil in Deutschland, zu einem andern Teil auf den internationalen Märkten aufgelegt werden könne, Der Gesamtbetrag der Anleihe solle vier Milliarden Gold- mark betragen, um aus dem Erlös auch die Mitte] für die Anleihe- zinsen der ersten Jahre zu beschaffen. Etwa eine halbe Milliarde des Erlöses solle zur Stabilisierung des Markkurses dienen, Als Sicherheit für die Anleihe seien die deutschen Zolleinnahmen zu bestellen. Die Reparationskommission solle den Anleihegläubigern ein dauerndes, unbedingtes Vorrecht vor den Reparations- ansprüchen der Aliierten gewähren. Abgesehen von den ge- nannten Leistungen solle Deutschland auf die Dauer von vier Jahren von allen sonstigen Zahlungsverpflichtungen aus dem Versailler Vertrage befreit bleiben. 160 Dieser Plan war bis in die Einzelheiten vorbereitet, Er wurde auch mit Seydoux und anderen französischen Sachverständigen in Genua besprochen und von ihnen gebilligt. Wir waren gerade da- bei, die anwesenden Vertreter der internationalen Bankwelt für die Sache zu interessieren, als der Abschluß des Vertrages von Rapallo die ganze mühselige Vorarbeit mit einem Schlage vernichtete, Es wird nützlich sein, mit einigen Worten auf dieses Ereignis einzugehen, das seinerzeit großes Aufsehen erregte und einen Zeitungskrieg entfesselte, der auf beiden Seiten die wirklichen Vorgänge entstellt hat. Schon lange vor der Konferenz von Genua verhandelte Deutschland mit Rußland über eine Regelung der gegenseitigen Beziehungen. Der im Frühjahr 1918 zwischen den beiden Staaten abgeschlossene Friede von Brest-Litowsk war durch Artikel 116 des Versailler Vertrages aufgehoben, wobei die Alliierten alle Rechte Rußlands auf Wiedergutmachung Deutschland gegenüber nach den Grundsätzen des Vertrages von Versailles sich aus- drücklich vorbehalten hatten. Diese Bestimmung schwebte wie ein Damoklesschwert über Deutschland, Es war nicht möglich, die friedlichen Beziehungen mit Rußland wieder herzustellen, wenn nicht die Drohung der Reparation der russischen Kriegsschäden aus dem Wege geräumt war. Daher wurde in Verhandlungen zwischen Deutschland und Rußland ein Vertrag entworfen, nach welchem das Deutsche Reich und die Sowjet-Republik gegenseitig auf den Ersatz ihrer Kriegskosten und Kriegsschäden jeder Art verzichteten. Der Entwurf sah ferner die sofortige Wiederaufnahme der diplomatischen und konsularischen Beziehungen der beiden Länder sowie den Grundsatz der Meistbegünstigung im beider- seitigen Wirtschaftsverkehr vor. Das war ein sehr zweckmäßiger und normaler Vertrag, frei von jeder Vereinbarung, die etwa be- rechtigten Interessen Dritter schädlich werden konnte. Vor a enthielt er — entgegen dem, was in den Zeitungen immer wieder fälschlich behauptet worden ist — keinerlei N politischer oder militärischer Art. Der Vertrag war fertig. _ ätte recht gut schon mehrere Wochen vor der Konferenz in gezeichnet werden können. Aus irgendwelchen Gründen diplo- Bergmann, Der Weg der Reparation 11 161 matischer Schwerfälligkeit verzögerte sich der Abschluß. In Genua nahmen die politischen Vertreter Deutschlands und Rußlands die Besprechungen über die Zeichnung des Vertrages wieder auf, Nun hatten die alliierten Sachverständigen schon vor Genua in London ein Memorandum vorbereitet, das Vorschläge für die Rege- lung der internationalen Beziehungen zu Rußland enthielt. Dabei war der Artikel 116 des Vertrages von Versailles nicht berück- sichtigt. Das erregte auf deutscher Seite begreifliches Mißtrauen. Es kam hinzu, daß die Unterkommission der Konferenz in Genua, welche die russischen F ragen behandelte, aus taktischen Gründen beschloß, daß zunächst die Alliierten allein, ohne Zuziehung der deutschen Vertreter, mit den russischen Delegierten sprechen sollten. Lloyd George glaubte offenbar, der Schwierigkeiten im diplomatischen Verkehr mit den ihm unbekannten Sowjetleuten und den deutschen Vertretern besser Herr werden zu können, wenn er erst einmal getrennt mit ihnen verhandele, Dabei übersah er aber, daß die Deutschen in diesem Vorgehen eine Falle wittern könnten, In der Tat entstand bei der deutschen Delegation die ernste Besorgnis, daß in den Vorbesprechungen der Alliierten mit den Russen das Londoner Memorandum der alliierten Sachver- ständigen, so wie es war, angenommen werden könnte und daß dann die Regelung der deutschen Sonderbeziehungen zu Rußland nicht mehr in der vereinbarten Weise möglich sein würde. Es heißt, daß Dr. Rathenau mehrfach vergebliche Versuche gemacht habe, Lloyd George zu sprechen, um ihm die Gefahren auseinanderzu- setzen, die der Ausschluß der Deutschen aus den russischen Ver- handlungen mit sich bringe, Ferner wird von deutscher Seite ver- sichert, daß mehrere alliierte Verbindungsleute darauf aufmerksam gemacht worden seien, daß Deutschland sich gezwungen sehe, ein ‚Sonderabkommen mit Rußland zu treffen, wenn es nicht zu den Beratungen der russischen F ragen rechtzeitig hinzugezogen würde. Wie dem auch immer sei: der deutschen. Delegation wurde plötz- lich das bestimmte Gerücht zugetragen, die Alliierten ständen im Begriffe, mit den Russen abzuschließen, ohne die deutschen Wünsche auf Beseitigung des gefährlichen Artikels 116 des Ver- trages von Versailles zu beachten. Das brachte Dr. Wirth zu der ‚162 Ueberzeugung, er müsse von der Bereitschaft der Russen, jetzt den Vertrag mit Deutschland zu zeichnen, sofort Gebrauch machen. Es ist eine Fabel, daß Dr, Rathenau die Triebfeder des Ver- trages von Rapallo gewesen sei. Er hat ernstliche Bedenken dagegen gehabt und sich erst dazu bestimmen lassen, mit den Russen abzuschließen, als ihm klar wurde, daß Dr. Wirth den Vertrag auch ohne ihn zeichnen würde. Nachher hat er allerdings stets die volle Verantwortung für den Abschluß auf seine Schultern genommen, So fuhr er am Ostersonntag 1922, während die ganze Konferenz feierte, zu den Russen nach Rapallo hinaus tınd brachte am Abend den gezeichneten Vertrag nach Genua zurück. Die Nachricht dieses Abschlusses wirkte in Genua wie ein Blitzschlag aus heiterem Himmel. Wer es nicht miterlebt hat, kann sich keine Vorstellung von der Aufregung und der Erbitterung in den Kreisen der Teilnehmer an der Konferenz machen. Das deutsche Vorgehen fand bei niemand: Verständnis, Auch die Neutralen, besonders aber die Italiener stellten mit aufrichtigem Bedauern fest, daß die Stimmung von Genua durch den Vertrag von Rapallo gründlich verdorben sei. Die Sympathie, welche das Auftreten der Deutschen in Genua bis dahin gefunden hatte, war mit einem Schlage in das Gegenteil verwandelt. Es herrschte allgemeine Empörung darüber, daß Deutschland in unbegründetem Argwohn gegen die Absichten der Konferenz hinter dem Rücken aller anderen Delegationen seine Interessen Rußland gegenüber eigensüchtig wahrgenommen und damit die gemeinsame Arbeit der Konferenz gesprengt habe, In Kreisen, die Deutschland wohlwollten, beklagte man es sehr, daß die Franzosen aus der unbequemen Isolierung, in die sie durch die engherzigen Richtlinien Poincares versetzt worden waren, so wundervoll herausgekommen seien. Denn nun konnten die Fran- zosen mit einem gewissen Recht behaupten, ihr tiefes Mißtrauen gegen die deutsche Verhandlungsehrlichkeit sei durch den Vorgang von Rapallo nur allzu sehr gerechtfertigt. | Bei den Mitgliedern der deutschen Delegation, deren Mehrzahl von der Tatsache der Zeichnung des Vertrages von Rapallo ebenso überrascht wurde wie die Außenwelt, waren die Ansichten sehr geteilt. Viele meinten, daß die politischen Vorteile, die der Vertrag 11* 163 mit Rußland vielleicht in Zukunft bringen könnte, nicht entfernt den Schaden aufwiegen würden, den das deutsche Ansehen in der Welt und die Aussicht auf eine baldige Regelung der Reparation durch den Vertrag gelitten hätten, In einer von allen alliierten Vertretern gezeichneten Note vom 18, April 1922 wurde Deutschland mit bitteren Worten der Vor- wurf illoyaler Handlungsweise gemacht, weil es im geheimen ein Abkommen mit Rußland getroffen habe, das gerade die Fragen behandele, die Deutschland sich verpflichtet hatte, in loyaler Zu- sammenarbeit mit den Vertretern der anderen Länder zu erörtern. Deutschland wurde bis zum Schluß der Konferenz von der Diskussion eines Abkommens mit Rußland ausgeschlossen. Eine Gegenäußerung der deutschen Regierung, die aufklären und ein- lenken sollte, war ohne Wirkung. Der politischen Maßregelung Deutschlands in Genua entsprach die gesellschaftliche Behandlung seiner Vertreter. Sie wurden, wo es irgend anging, auf Festen und bei sonstigen Zusammenkünften direkt geschnitten, auch von den Neutralen. Das besserte sich mit der Zeit, aber das bittere Gefühl der Aechtung blieb bis zum Schluß, | Die Konferenz von Genua fristete von da ab ihr Leben mit Arbeiten, die nur formale und akademische Bedeutung hatten, Mit dem Tage von Rapallo war jede Aussicht auf einen wirklichen Erfolg der Konferenz in politischen oder wirtschaftlichen Fragen verschwunden. Statt freudiger Zusammenarbeit beherrschte bitteres Mißtrauen das Feld der Konferenztätigkeit. Daran änderte auch die glänzende Schlußrede Rathenaus nichts. Der rauschende Bei- fall, den er damit erzielte, galt der rednerischen Leistung, nicht der Politik des Landes, das er vertrat. Ueber die Reparation konnte man seit Rapallo in Genua mit niemand mehr sprechen, Seydoux, in dessen Hotelzimmer wir bisher jeden Tag den oben geschilderten Reparationsplan ein- gehend besprochen hatten, ließ mir sagen, er könne mich jetzt ‚nicht mehr sehen, so leid ihm das auch persönlich tue, Derweilen feierte man zu Hause in Deutschland die mann- hafte Tat von Rapallo und den endlich gefaßten Entschluß der deutschen Regierung, eine aktive auswärtige Politik zu betreiben, Auf die Früchte des Vertrages von Rapallo warten wir noch heute, 164 | ACHTZEHNTES KAPITEL DAS ANLEIHEKOMITEE DER REPARATIONSKOMMISSION Das Verhältnis der deutschen Regierung zur Reparations- kommission hatte sich mittlerweile verschärft, doch gelang es persönlicher Einwirkung auf Mitglieder der Kommission, einen direkten Bruch zu verhindern. Eine Note der Kommission vom 13. April gab durch ungewohnt milde Tonart den Willen zur Einigung kund. Sie erklärte, daß die Erfüllung der für das Mora- torium gestellten Bedingungen auch im deutschen Interesse, vor allem zur Vorbereitung einer Anleihe nötig sei, und daß man der deutschen Souveränität nicht zu nahe treten wolle. Die Kom- mission wolle jeden praktischen Vorschlag prüfen, den > deutsche Regierung vorlege. Ein weiterer kurzer NV aber erregte neue Mißverständnisse, so daß die Lage Anfang Nai wieder sehr kritisch war. Abermals wurde es nötig, durch ap liche Beziehungen vermittelnd einzugreifen. Die deutsche ae gierung war letzthin ganz in den alten Fehler a en Verkehr mit der Reparationskommission im Wege des eo wechsels zu führen. Wenn die bestehende Spannung an noch zu beseitigen war, so konnte das nur durch = sprache mit einem verantwortlichen deutschen Vertreter geschel : ; Daher wurde in Genua angeregt, daß der deutsche Finanzminis ’ Hermes, der sich durch sein Auftreten in der a = Genua überall Sympathien erworben hatte, nach ee gehen Bi um in Einzelbesprechungen mit den Mitgliedern der -_ u. kommission eine Verständigung anzubahnen. Etwa gleichze: 165 sollten die Verhandlungen des internationalen Anleihekomitees in Paris beginnen, Ihr Erfolg hing davon ab, daß der Streitfall mit der Reparationskommission beigelegt wurde, In stiller und zäher Arbeit in Paris mußte ich den Frieden mit der Kommission vorbereiten. Die deutsche Regierung gab am 9, Mai 1922 eine zwischen Mitgliedern der Kommission und mir vereinbarte Erklärung ab. Sie änderte sachlich den deutschen Standpunkt nicht, gab aber den Wunsch zu erkennen, so weit wie möglich den Anschauungen der Kommission gerecht zu werden. Minister Hermes konnte nun am 13, Mai nach Paris kommen, Er stellte fest, daß. die. Kluft, die der frühere Notenwechsel gerissen hatte, schwer zu überbrücken sein würde, Die Kommission war der Ansicht, daß die deutsche Regierung nichts anderes bezweckt habe als eine Herausforderung. Wenn der Besuch von Dr: Hermes sie darüber eines besseren belehrte, so blieb noch immer: die Auf- gabe, die beiden in ihre enigegengesetzten Thesen verbissenen Parteien einander sachlich: näher. zu bringen. Nach zehn mühe- vollen Tagen war endlich die erlösende Formel gefunden! Deutsch- land sollte die Forderungen: der Kommission vom 21..März 1922 grundsätzlich anerkennen, dabei 'aber erklären, daß einige dieser Forderungen zurzeit nicht zu erfüllen seien, Die deutsche Re: gierung sollte sich dabei zum erstenmal verpflichten, ‚das An- schwellen .der 'schwebenden Schuld zu ‚beschränken, Gerade dieser Punkt, der eigentlich selbstverständlich sein mußte, gab zu: den schwersten Bedenken auf deutscher Seite Anlaß: Man stand in Berlin eben auf dem Standpunkt, daß es unmöglich ;sei, das, Anwachsen der schwebenden Schuld zu verhindern, solange die Reparationsfrage nicht befriedigend gelöst sei, Auf Vorschlag des ‚englischen Delegierten Bradbury wurde schließlich diese Verpflichtung dahin gemildert, daß sie nur gelten. sollte, wenn Deutschland eine angemessene Hilfe durch eine auswärtige An- leihe erhielte, Unter dieser Voraussetzung sollte die deutsche Regierung sich binden, die schwebende Schuld nicht über den Stand vom 31; März 1922 anwachsen zu lassen und eine etwaige Vermehrung nach drei Monaten 'zu beseitigen, notfalls durch neue Steuern, Die in Ausführung des Vertrages von Versailles 166 gezahlten Beträge sollten bei der Berechnung des Zuwachses der: schwebenden Schuld Deutschlands außer Betracht bleiben und aus der erwarteten ausländischen Anleihe abgedeckt werden. Die Berliner Regierung wehrte sich gegen diese in Paris ver- einbarte Formel mit Händen und Füßen. Sie sah darin eine Falle. Schließlich verlangte sie einen Zusätz des Inhalts, daß die ganze Abmachung :im Falle: höherer Gewalt nicht: gelten solle, Der ‚Zusatz wurde abgelehnt, weil er selbstverständlich war, aber auch weil: die Kommission befürchtete, daß er als Hintertür zum Ent- wischen' ats der Verpflichtung benutzt werden könnte. Man sieht, wie weit das gegenseitige Mißtrauen gediehen war. | u Die Kontrollrechte der Reparationskommission wurden dahin präzisiert, daß sie der Souveränität der deutschen ‚Regierung keinen Eintrag tun, die Verwaltung nicht stören und das Steuer-, geheimnis nicht verletzen sollten, Die Gesetze gegen die Kapital- flücht sollten im Benehmen mit dem Garantiekomitee erweitert und das aus dem Lande geflüchtete Kapital sollte mit Hilfe einer äußeren oder inneren Änleihe zur Rückkehr veranlaßt werden. Die Reichsbank war inzwischen durch Gesetz vom 23. Mai 1922 für vollkommen selbständig erklärt worden. Die Handelsstatistik sollte in derselben Weise wie:vor dem Kriege wieder aufge- nommen werden. © 1 ase and. SniIMEh ann. PA © Nach Berlin zurückgekehrt, brachte Dr. Hermes das Kabinett dazu, daß es die vorgeschriebene Erklärung an die Reparations- kommission in einer Note vom 28. Mai 1922 abgab. Bestimmend war dabei vor allem die Rücksicht auf das Anleihekomitee der Reparationskommission, das inzwischen erklärt hatte, es könne seine Arbeiten nur fortsetzen, wenn eine Einigung zwischen der Kommission und der deutschen Regierung zustande komme, Als Anhang zu der Note vom 28. Mai wurde ein Haushaltsplan ein- gereicht, Er zeigte einen Ueberschuß der Gesamteinnahmen über die inneren Ausgaben des Reiches von etwa 70 Milliarden Papier- mark -— damals eine Milliarde Goldmark —, die für die Ver- pflichtungen aus (dem: Vertrage von Versailles verwendet werden sollten, In einem weiteren Schreiben des. Reichskanzlers an .die Kommission vom 30, Mai: 1922 würde mitgeteilt, daß an Stelle der 167 von der Kommission verlangten 60 Milliarden neuen Steuern eine Zwangsanleihe in gleicher Höhe aufgelegt werden würde, auf welche schon im Laufe des Jahres 1922 40 Milliarden Mark ein- gehen sollten. Der Gesetzentwurf hierfür lag bereits dem Reichs- tage vor, a) Die Antwort der Kommission erging am 31. März 1922. Sie stellte fest, daß die deutsche Regierung mit den von ihr ergriffenen und weiter in Aussicht gestellten Maßnahmen sich ernstlich be- mühe, den Forderungen der Kommission nachzukommen, und bewilligte nunmehr ohne weitere Bedingungen den am 21. März in Aussicht gestellten Teilnachlaß der Zahlungen für das Jahr 1922, Die Kommission behielt sich aber jederzeit das Recht vor, den Nachlaß aufzuheben und damit den Zahlungsplan von London wieder in Kraft zu setzen, sobald Deutschland den übernommenen Verpflichtungen irgendwie nicht nachkommen würde. Verschiedene noch offene Fragen sollten durch eine weitere Mitteilung der Kommission an den Kanzler geregelt werden. So war denn nach vielen Mühen der monatelange Streit zwischen der Reparationskommission und der deutschen Regierung not- dürftig beigelegt. Ein rechtes Gefühl der Befriedigung über diesen Ausgang konnte auf keiner Seite aufkommen. Der Riß war ge- flickt, aber noch deutlich zu sehen, Die kleine Atempause für Deutschland war durch die Möglichkeit der Zurücknahme in Frage gestellt. Das von der Kommission angekündigte weitere Schreiben er- ging am 14, Juni 1922, Es beschäftigte sich mit einigen Einzel- heiten, vor allem mit der Selbständigkeit der Reichsbank, und brachte keine Ueberraschungen. Das Anleihekomitee der Reparationskommission war am 24. Mai 1922 unter dem Vorsitz von Delacroix in Paris zusammen- getreten. Mitglieder waren: J. Pierpont Morgan (Vereinigte Staaten), Sir Robert Kindersley (England), Sergent (Frankreich), D’Amelio (Italien), Delacroix (Belgien), Vissering (Holland) und ich. Die Arbeiten begannen mit einer allgemeinen Aussprache über die Möglichkeit einer internationalen Reparationsanleihe, Ueber die Notwendigkeit einer solchen Anleihe für die Gesundung 168 der Finanzen von Deutschland und von ganz Europa waren alle Mitglieder einig. Auch wurde allgemein anerkannt, daß die Stimmung der Anlagemärkte für den Absatz einer Reparations- anleihe günstig sei. Morgan betonte allerdings, daß der amerika- nische Markt zurzeit nur mit großem Widerwillen an europäische Werte herangehe, weil die öffentliche Meinung in Amerika der internationalen politischen Wirren überdrüssig und europamüde sei, Diese Atmosphäre unfreundlicher Gleichgültigkeit aber könne unter zwei Voraussetzungen leicht überwunden werden. Erstens müsse man Amerika überzeugen, daß die Anleihe von den alliierten Völkern gewünscht werde und ihnen zugute komme. Das könne sich nicht besser offenbaren als durch die tätige Mit- wirkung der Bankwelt in den alliierten und neutralen er: bei der Emission der Anleihe. Zweitens müsse Deutschland durc die Sicherheiten, die es für die Anleihe einräume, und die Ordnung seiner inneren finanziellen Lage den festen Willen zu er geben, daß es die Anleiheverpflichtungen auf sich nehmen wol e, um seinen Kredit in der Welt wieder herzustellen. Wenn diese beiden Vorbedingungen gegeben seien, würde die Reparations- anleihe auch in Amerika Erfolg haben. | Mit dieser Erklärung stand fest, daß eine internationale An- leihe für Deutschland nur zustande kommen konnte, ie m nächst einmal die gleichzeitig schwebenden Besprec ungen zwischen der deutschen Regierung und der BapikentioneSpEuEEEn einen guten Ausgang nahmen. Das wurde durch den w # . wechsel vom 28.131. Mai 1922 erreicht. Nunmehr konnte sic .. Komitee an seine eigentliche Aufgabe machen. Die Ber age waren dazu benutzt worden, genaue Auskunft über die . zielle und wirtschaftliche Lage Deutschlands zu gewinnen nen die verschiedenen Möglichkeiten der Ausstattung u ” Ai nationalen Anleihe zu besprechen. Dabei war ee _ Anfang herrschende kühle Zurückhaltung dem a gegenüber gewichen. Denn auch in die Kreise - | ar a hatte der Vertrag von Rapallo seine verderbliche ir ee in Von dem französischen Mitglied in die Debatte v. er Mißtrauen Frankreichs gegen die deutsche Verhandlungs 169 begründen, wurde der unglückselige Vertrag auch von Kindersley und Morgan mir gegenüber zur Sprache gebracht. Beide erklärten, daß sie es abgelehnt haben würden, dem Anleihekomitee beizu- treten, wenn der Vertrag von Rapallo bei ihrer Berufung in das Komitee schon vorgelegen hätte, Es war. für mich nicht leicht, die schlechte Stimmung im Komitee’ zu überwinden. 2 Nun aber tauchte eine neue Schwierigkeit auf: abgesehen von dem französischen Mitglied hielt das Komitee eine Anleihe nur dann für aussichtsreich, wenn die Reparation auf eine Reihe von Jahren hinaus geregelt würde, Man dürfe daher nicht einfach im Rahmen des Vertrages von Versailles und des Londoner Zahlungs- planes versuchen, mechanisch einen Teil der deutschen Verpflich- tungen im Anleihewege zu begleichen, sondern müsse feststellen, welche Reparationslast von Deutschland und von den: Anleihe- gläubigern als tragbar anerkannt würde. Ohne die Wiederher- stellung des deutschen Kredits nach innen und außen sei’ die Emission einer Reparationsanleihe nicht möglich.’ Die Arbeiten: des Komitees würden keinen praktischen Zweck haben, wenn die Frage ‘der Anleihe’nicht mit einer gründlichen Behandlung’ des’ gesamten Reparationsproblems verbunden würde, srie! Der französische Vertreter erklärte innerhalb und außerhalb der Sitzungen, daß er sich nicht für berechtigt halte, an einer Besprechung ‚der Reparationsfrage teilzunehmen. Er stützte sich dabei auf den französischen Wortlaut des Beschlusses der Reparationskommission vom 4; April 1922, der besagte, daß das Komitee studieren solle, unter welchen Bedingungen die deutsche Regierung im Rahmen der Verpflichtungen, so wie sie der Vertrag von Versailles und der Zahlungsplan vom 5. Mai 1921. festgestellt habe, auswärtige Anleihen für Zwecke der Reparation aufnehmen könne. Daraus folgerte er, offensichtlich auf Weisung von Poincars, daß an der festgesetzten deutschen Reparationsschuld nicht ge- rüttelt werden dürfe, und daß sich die Anleihepläne des Komitees streng innerhalb der Vertragsgrenzen zu halten hätten, Um allen Zweifeln über die Befugnisse des Komitees ein Ende zu machen, beantragten Morgan und Kindersley, eine offizielle Anfrage an die Reparationskommission zu richten. Nach eingehender Beratung 170 beschloß das Komitee gegen die Stimme des französischen Mit- gliedes, durch seinen Vorsitzenden: die Reparationskommission darüber zu befragen, ob das Komitee bei seinen Arbeiten die vertragliche Reparationsschuld Deutschlands als ‚unabänderlich ansehen müsse ‘oder ob es: die Freiheit habe, die Möglichkeit anderer Lösungen zu prüfen. Damit war der Konflikt zwischen der französischen Regierung und der Mehrheit des Komitees gegeben. Die Gefahr lag nahe, daß an dieser Klippe die Aufgabe des Komitees scheitern würde. Ich versuchte vergebens, das Komitee davon zu überzeugen, daß die Anfrage nicht erforderlich sei, weil das Komitee ja nur seine sachverständige Meinung darüber abzu- geben habe, unter welchen Bedingungen eine Anleihe möglich erscheine, Die. Reparationsvorschriften des Vertrages von Ver- sailles seien so unbestimmt und die Reparationskommission habe so weitgehende Vollmachten in der Handhabung der er bedingungen, daß eine Aenderung .des Vertrages von Versail es gar nicht in Frage zu kommen brauche, selbst wenn das Komitee zu der: Ansicht gelangen sollte, daß für die Zwecke einer Anleihe die laufenden Zahlungen Deutschlands ermäßigt ‚oder Baden schoben werden müßten. Meine Vorstellungen machten Eindruc “ aber die Mehrheit des Komitees’ bestand darauf, volle Klarheik über ihre von dem französischen Mitglied angezweifelten Pr nisse zu erhalten, Am: Tage darauf —.am 2. Juni 1922 Sr Poincar& in. der französischen Kammer folgende Erklärung ab; „Selbst ‘vor. der Reparationskommission. — oder daneben Bene sehe‘ich zur jetzigen Stunde die gefährlichsten Machensc alten gegen uns im Gange, um die internationale Anleihe: von RER neuen Minderung unserer Forderung abhängig zu machen. her e morgen noch habe. ich 'krali, meiner Verantwortung als En ee Regierung die französische Vertretung in der Bananen om. mission wissen lassen, daß sie das nicht annehmen. dürie. So kam der Streit in die Oeffentlichkeit. Am 7, Juni a die Reparationskommission mit Stimmenmehrheit gegen ae zösischen Vertreter, daß das Anleihekomitee bei seinen pr I vollkommen frei sei, alle möglichen Bedingungen für die or deutscher auswärtiger Anleihen zu studieren. Jede Anregung. 171 Komitees würde von großem Wert sein. Der Vorsitzende Dubois erklärte, daß er zwar gegen diesen Beschluß habe stimmen müssen, daß aber seiner Ansicht nach das Komitee durchaus befugt sei, dem Majoritätsbeschluß der Kommission Folge zu leisten, um seine Arbeiten auf einer breiteren Grundlage fortsetzen zu können, In der darauffolgenden Sitzung des Anleihekomitees wandte sich vor allem Kindersley mit scharfen Worten dagegen, daß der Chef der französischen Regierung die Arbeit des Komitees in der Oeffent- lichkeit kritisiert habe. Mit ihm erklärte Morgan, daß die Uneinig- keit zwischen den Alliierten, die bei dieser Gelegenheit so scharf zutage getreten sei, ein nutzbringendes Weiterarbeiten des An- leihekomitees unmöglich mache, Der französische Vertreter Sergent verlas eine sorgfältig formulierte Erklärung, in der er es ablehnte, an Beratungen teilzunehmen, die eine Revision der Reparations- schuld Deutschlands in sich schlössen. Das Komitee war damit gesprengt, bevor es seine wirkliche Arbeit begonnen hatte, Der Vorsitzende Delacroix und ich ver- suchten alles, um zu verhindern, daß das Komitee erfolglos auseinanderging. Ich wies darauf hin, daß eine Auflösung des Komitees oder seine Vertagung auf unbestimmte Zeit die schwersten Folgen für Deutschland, vor allem einen Sturz der Mark ins Bodenlose zur F olge haben müsse, Wenn das Komitee erkläre, daß eine Reparationsanleihe jetzt nicht möglich sei, würde auch das Moratorium in F rage gestellt werden, das Deutschland soeben erlangt habe, Denn dieses Moratorium sei darauf aufgebaut, daß Deutschland eine auswärtige Anleihe erhalte und dadurch befähigt werde, das Anwachsen der inneren Schuld und einen weiteren Fall der Mark zu verhindern, Wenn jetzt die Aussicht auf eine auswärtige Anleihe schwinde, werde der Pessimismus in Deutschland wieder überhandnehmen; die fortschreitende Entwertung der Mark werde Deutschland völlig zahlungsunfähig machen, Die Reparationskommission werde den Zahlungsplan von London wieder in Kraft setzen, und die alli- ierten Regierungen würden zu Sanktionen schreiten, deren Aus- wirkung nicht abzusehen sei. Ein solches Ergebnis sei umsomehr zu beklagen, als im übrigen die Lage Deutschlands gar nicht so 172 verzweifelt sei. Wenn man hoffen dürfe, daß innerhalb eines Jahres das Reparationsproblem der Lösung näher komme, und daß eine Anleihe im Bereich der Möglichkeit liege, könne man auch der allgemeinen Mutlosigkeit steuern und den weiteren Fall der Mark verhindern. Mit einer endgültigen Regelung der Repa- ration rechne im Augenblick doch niemand ernstlich. Man habe immer nur an eine vorläufige Lösung mit Hilfe einer Anleihe gedacht. Selbst eine kleinere Anleihe, mit der man die Bar- zahlungen für einige Jahre bestreiten könne, sei von größtem Wert. Dafür Sicherheiten zu geben, sei Deutschland recht wohl in der Lage, wenn es sich damit Schutz vor Sanktionen und eine Atempause zur Wiederherstellung seiner Währung und seines Kredites verschaffen könne. Alle diese Warnungen waren vergeblich. Die Mehrheit des Komitees sah in dem plötzlichen Angriff Poincares ‚den Beweis dafür, daß die öffentliche Meinung in Frankreich für eine ver- nünftige Behandlung des Reparationsproblems noch nicht reif sei. Es wurde ohne Umschweife gesagt, daß die aa oe Poincare es dem Komitee unmöglich machten, irgendeine An eihe, klein oder groß, in Aussicht zu nehmen. Ausschlaggebend seien dabei nicht so sehr die Bemerkungen an sich, wie die ungünstige Atmosphäre, die sie geschaffen hätten. So blieb nichts weiter übrig, als die Arbeiten des a 2 unbestimmte Zeit zu vertagen. Um die Wirkung des = ._ abzuschwächen, sollten in einem ausführlichen Bericht ie er sichten der Mehrheit des Komitees über die a » - Reparationsanleihe niedergelegt werden. Das Dokumen ; nz das Komitee am 10. Juni 1922 der Reparationskommission uni erstattete, ist bemerkenswert durch seinen Mut und seine heit, Die Schlußsätze seien hier angeführt: Wenn das Komitee auch keine Hoffnung darauf on En daß eine Anleihe bei der jetzigen Lage des gi pi = Kredites Aussicht auf Erfolg hat, so wünscht es a 2 a seine Ueberzeugung hervorzuheben, daß erhebliche Ines a Erfolg in allen Hauptmärkten der Welt ausgege e Mg können, sobald einmal die notwendigen Bedingungen 173 Wiederherstellung des deutschen Kredites verwirklicht sind, Die rein finanziellen Verhältnisse sind jetzt entschieden günstig für die Ausgabe solcher Anleihen, günstiger, als sie je nach dem Kriege gewesen sind, Das Komitee wünscht der Reparations- kommission zu versichern, daß es sein ernster Wunsch ist, alles zu tun, was in seiner Macht liegt, um solche Anleihen auszugeben, wenn die erwähnten Bedingungen gesichert werden können, Das Komitee ist fest überzeugt, daß es für die wirtschaftliche Wieder- erstellung der ganzen Welt eine unschätzbare Hilfe sein würde, wenn die deutschen Verpflichtungen allmählich von einer Schuld zwischen Regierungen in eine Schuld an private Gläubiger umge- wandelt werden könnten, Das Komitee glaubt in der Tat, daß die Wiederaufnahme normaler Handelsbeziehungen zwischen den Ländern und die Stabilisierung der Wechselkurse unmöglich sind ohne eine endgültige Regelung der Reparationszahlungen und anderer auswärtiger öffentlicher Schulden. Wenn daher zu irgend- einer Zeit die Kommission in der Lage ist, durch eine einstimmige Entscheidung die Einladung zu wiederholen, die jetzt nur von einer Mehrheit ausgeht, wird das Komitee gern wieder zusammen- treten und die Untersuchung aufnehmen, die jetzt unterbrochen worden ist. Das Komitee kann nicht darüber urteilen, ob die alliierten Regierungen in der Lage sein würden, die notwendigen Bedingungen anzunehmen, aber wenn das der Fall sein sollte, dann kann nur wiederholt werden, daß gute Hoffnung auf die Unterbringung beträchtlicher Anleihen besteht,‘ „Zum Schluß wünscht das Komitee zu betonen, daß einstweilen und sogar in der Zeit zwischen der Wiederholung einer solchen Einladung und dem Abschluß der nachfolgenden Verhandlungen Deutschlands finanzielle Lage offenbar mit schweren Gefahren bedroht sein kann. Langwierige* Verhandlungen über eine große und langfristige Anleihe können zu spät reifen, wenn nicht eine unmittelbare Hilfeleistung vorangeht, Aber wenn das Programm von neuem unter den erwähnten besseren Bedingungen behandelt wird und wenn eine wirkliche Aussicht auf eine endgültige _ Regelung besteht, dann ist das Komitee der Meinung, daß die Hemmungen, welche jetzt noch einer zeitweiligen Anleihe ent- 174 ER wahrscheinlich nicht unüberwindlich sein werden. Mit berechtigter Hoffnung auf eine endgültige Regelung innerhalb einer vernünftigen Zeit würde es viel leichter sein, eine kurz- fristige Anleihe abzuschließen, die genügt, den deutschen Kredit vor dem Zusammenbruch während der Verhandlungen zu retten. Das Komitee braucht kaum hinzuzufügen, daß es gern unter diesen Bedingungen jede Hilfe leisten wird, die in seiner Macht steht, sowohl in bezug auf eine beschränkte Anleihe wie im Hinblick auf das größere und bedeutungsvollere Problem.” Der Bericht wurde von allen Mitgliedern des Komitees außer dem französischen Vertreter unterzeichnet, Dieser berief sich in einer besonderen Erklärung ausdrücklich darauf, daß er ‚bei keinem Anleiheplan mitwirken könne, der irgendwelche nn rungen der vertraglichen Rechte Frankreichs im Auge habe, un daß er mit dem französischen Delegierten in der Reparations- kommission der Meinung sei, daß das Bankierkomitee nicht das Recht habe, Aenderungen der deutschen Vertragsschuld zu studieren. | | Der Bericht des Komitees machte in weiten Kreisen Deutsch- lands einen ausgezeichneten Eindruck, weil er im Gegensatz zu den Entscheidungen der Reparationskommission und der Ar Regierungen zum ersten Male die wirtschaftlichen Gesichtspu ” für eine Lösung der Reparationsfrage in den a ” e und das System der politischen Sanktionen verurteilte. er | ” nunft aber, die aus dem Bericht sprach, konnte nicht über in Tatsache hinwegtäuschen, daß die Ansicht der hr 7 Bankiers über die Reparation vor der politischen Gewalt " e zurückweichen müssen, und daß das Komitee En “ starren Haltung der französischen Regierung seine Bemühunge als nutzlos aufgab, 175 NEUNZEHNTES KAPITEL DER ZWEITE ANTRAG AUF EIN MORATORIUM DIE POLITIK DER „PRODUKTIVEN PFÄNDER" Deutschland stand vor einer neuen schweren Krise, Ihre Vor- boten zeigten sich in einem allmählich einsetzenden weiteren Fall der Mark. Die Hoffnung auf ein günstiges Ergebnis der Pariser Verhandlungen hatte ausgereicht, den Kurs des Dollar im April, Mai und Anfang Juni etwas unter 300 Mark zu halten, Unmittelbar nach dem Abbruch der Beratungen des Anleihekomitees stieg der Dollar über 300 Mark, Man wußte in Berlin, was das bedeutete, und man beschloß, die Mark aus den inzwischen von der Reichs- bank angesammelten Devisenbeständen zu stützen, Besonders eilrig setzte sich Rathenau dafür ein, Mit der Durchführung der Stützung wurde die Reichsbank betraut. Es gelang ihr, durch mäßige Abgabe von Devisen, hauptsächlich an der Berliner Börse, den Kurs einige Tage lang einigermaßen zu halten. Da sie sich aber scheute, mit wirklich großen Beträgen einzugreifen, konnte sie einen erheblichen Erfolg nicht erzielen, Das Publikum nahm die angebotenen Devisen der Reichsbank gierig aus der Hand, ohne im geringsten zu besorgen, daß die Stützungsaktion zu einem Rückgang des Dollar führen könne. Während die Operation im Gange war, fiel Rathenau den Schüssen verblendeter Mörder zum Opfer. Das allgemeine Ent- setzen, das diese Schreckenstat auslöste, legte sich lähmend auf die Entschlußkraft der deutschen Regierung. Mit Rathenau hatte das Kabinett Wirth seinen stärksten Kopf verloren, Wenn Rathenau 176 | = selbst auch den letzten Pariser Verhandlungen fernstand und es im Inneren schmerzlich empfand, daß man ihn seit dem Tage von Rapallo, wie er glaubte, in den Reparationsiragen beiseite- geschoben habe, so hatte er doch alles getan, die in Paris getroffene Einigung mit der Reparationskommission in Berlin zur Annahme zu bringen, Von nun an schwankten die Schritte der Regierung Wirth hin und her. In der ersten Juliwoche erreichte der Dollarkurs einen Stand von über 500 Mark. Daraufhin glaubte die deutsche Regierung, keine weiteren Barzahlungen an die Alliierten leisten zu können. In einer Note vom 12, Juli ersuchte Deutschland um völlige Be- freiung von den für das Jahr 1922 vorgesehenen Restzahlungen und erklärte, daß die verzweifelte Lage der deutschen Finanzen Barzahlungen auch für die Jahre 1923 und 1924 unmöglich mache. Auf Grund von Besprechungen, die kurz vorher in London geführt worden waren, rechnete Dr, Wirth auf die Unterstützung seines Antrags durch England. Die Reparationskommission setzte den Beschluß über den deutschen Antrag aus, bis das Garantiekomitee, welches damals in Berlin über die Festsetzung seiner Kontrollbefugnisse ver- handelte, seine Arbeiten abgeschlossen haben würde. Inzwischen wurde die Zahlung der am 15. Juli fälligen Rate von 50 Millionen Mark gefordert und von Deutschland auch geleistet. Aber auch nachdem sich das Garantiekomitee am 18. Juli mit der deutschen Regierung geeinigt hatte, kam die Reparationskommission noch nicht zu einem Beschluß über den deutschen Antrag. Es war nicht möglich, bei ihr das Verständnis dafür zu erwecken, daß Deutsch- land in seinem Kampfe für die Markwährung wenigstens eine wohlmeinende Geste der Kommission brauchte. Statt dessen er- klärte die Kommission immer wieder, ‚daß Deutschland selbst an dem weiteren Verfall der Währung schuld sei, weil es versäumt habe, rechtzeitig sein Budget in Ordnung zu bringen. Für jeden, der sehen wollte, ergab sich schon damals mit voller Klarheit, daß keinerlei Aussicht auf ein längeres Moratorium, ge- schweige denn auf eine Befreiung von den Reparationszahlungen bis Ende 1924 bestand. Der französische Einfluß in der Reparations- Bergmann, Der Weg der Reparation 12 177 kommission, deren Vorsitzender Louis Dubois hartnäckig jede Rücksichtnahme auf Deutschlands wirtschaftliche und finanzielle Not ablehnte, machte sich immer stärker fühlbar. Dubois wurde in seiner Haltung durch die Verbissenheit Poincares bestärkt. Dieser nahm jetzt den Kampf gegen das Moratorium mit schärferen Waffen auf. Die Pariser Presse leistete ihm nur zu gerne durch gehässige Ausfälle gegen Deutschland Gefolgschaft, Dabei hatte aufwies, Wiederum wurde versucht, die Entscheidung über den deutschen Antrag aus der Hand der Reparationskommission zu nehmen und durch unmittelbare Besprechungen zwischen den Chefs der alliierten Regierungen einen Ausweg zu finden, Zu diesem Zwecke - berief Lloyd George eine Konferenz der Alliierten auf den 7. August 1922 nach London ein, Die französische Regierung hatte dafür in fieberhafter Arbeit umfassende Vorbereitungen getroffen, Poincare über die bisher verlangten Sicherheiten hinaus neue produktive Pfänder verschaffe, Diese „Politik der produktiven Pfänder“ be- zweckte in der Hauptsache einen direkten Zugriff der Alliierten auf die staatlichen Kohlengruben im Ruhrgebiet und auf die rheinischen F orsten, sowie die direkte Erhebung von Zöllen im besetzten Gebiet, das durch eine besondere Zollgrenze gegen das unbesetzte Deutschland abgeschlossen werden sollte, Dieses von Poincare hartnäckig vertretene Programm hat eine interessante Vorgeschichte, Es ist nicht dem Kopf Poincares ent- SPprungen, sondern stammt von Seydoux, der erkannt hatte, daß es zur Leistung der Reparation zunächst unbedingt erforderlich sei, die deutschen F inanzen zu sanieren und die deutsche Währung 178 zu stabilisieren, Da nach seiner Ansicht die deutsche Regierung nicht mit dem nötigen Ernst an diese Aufgabe heranging, ent- warf er einen Plan, nach dem Deutschland durch Stellung von sicheren Unterpfändern gezwungen werden sollte, seine Finanzen und seine Währung gründlich zu reformieren. Dagegen sollte es auf angemessene Zeit einen Aufschub der Reparationszahlungen erlangen, um binnen dieser Frist das Werk der Sanierung durch- zuführen, Währenddessen würden die Alliierten die produktiven Pfänder fest in der Hand behalten, Zu einer solchen Politik glaubte Seydoux auch die Zustimmung Englands erlangen zu können, das immer schon mit Nachdruck auf die Notwendigkeit einer ver- nünftigen finanziellen Wirtschaft in Deutschland hingewiesen hatte. Der Plan wurde Poincare vorgelegt und fand seinen Beifall, Ein zweiter Berater Poincares aus dem französischen Finanz- ministerium aber erhob lebhaften Einspruch. Er erklärte, Deutsch- land brauche kein Moratorium, um seine Finanzen und seine Währung zu ordnen, Es könne das bei gutem Willen aus eigenen Kräften tun und darüber hinaus sogar noch Zahlungen leisten. Poincar& ging nach London nicht mit Seydoux, sondern mit seinem Berater aus dem Finanzministerium, Aus dem Plan von Seydoux verschwand nun der wichtigste Teil, der sich auf die Notwendig- keit der finanziellen Gesundung Deutschlands und das Mora- torium bezog. Es blieben nur noch die produktiven Pfänder selber übrig. Sie sollten dazu benutzt werden, die F ortsetzung der Reparationsleistungen von Deutschland zu erzwingen. Aus dem Pferd mit vier Beinen war ein Pferd mit zwei Beinen geworden, Das konnte natürlich nicht laufen, Das Programm Poincar&s wurde daher auch in der Londoner Konferenz von den Sachverständigen aller übrigen alliierten Länder als wirtschaftlich unbrauchbar ab- gelehnt. Ein englischer Gegenvorschlag vom 12, August 1922 sah | ein vollständiges Moratorium für alle Barzahlungen bis zum Ende des Jahres 1922 vor. Er verlangte dafür von Deutschland keine neuen Garantien, sondern nur strikte Durchführung der von der Reparationskommission bereits geforderten Maßnahmen, und wollte eine Aufsicht über die staatlichen Forsten und Kohlen- $ruben nur für den Fall herbeiführen, daß Deutschland seiner 12* 179 Pflicht zur Lieferung von Holz und Kohle nicht nachkommen würde, Dieser Vorschlag fand bei Poincare keine Gnade. Die englische Regierung suchte noch immer nach einem Aus- wege. Nachdem ich aber im Auftrage der deutschen Regierung bei einer vertraulichen Aussprache in London bestimmt erklärt hatte, daß Deutschland unter keinen Umständen einen alliierten Zugriff auf die staatliche Verwaltung der Bergwerke und Forsten be- willigen würde, gab sie die weiteren Bemühungen, mit Poincare zu einer Einigung zu kommen, als nutzlos auf. Die Konferenz von London wurde am 14, August ohne Ergebnis abgebrochen. Nunmehr war das Spiel von selbst wieder in die Hand der Reparationskommission gegeben. Mit den unnützen Besprechungen zwischen den alliierten Chefs hatte man einen kostbaren Monat verloren. Der Dollarkurs war mittlerweile von 500 auf 1000 Mark gestiegen. Im Schoße der Kommission wußte man nach wie vor keinen Rat. Bei der ablehnenden Haltung Frankreichs war ein Moratorium für Deutschland nicht zu erlangen. Irgendwie mußte man aber doch versuchen, mit der Tatsache fertig zu werden, daß Deutschland für den Rest des Jahres weitere Barzahlungen nicht würde leisten können. Die Kommission griff zunächst zu dem ver- zweilelten Notbehelf, die Entscheidung damit hinauszuschieben, daß sie Sir John Bradbury und den Präsidenten des Garantie- komitees Mauclere am 18, August nach Berlin mit dem Auftrage entsandte, von der deutschen Regierung einige „unerläßliche Aus- künfte“ einzuziehen. Der Besuch der beiden Herren wurde in Berlin mit einer gewissen Hoffnung aufgenommen, Man glaubte, durch eine Aussprache mit ihnen die Lösung des Reparationsproblems anbahnen zu können. Sie erklärten aber sogleich bei ihrem Ein- treffen, daß sie hierzu keinerlei Auftrag hätten, sondern daß sie nur versuchen wollten, die Schwierigkeiten der Barzahlungen des Jahres 1922 beizulegen. Beide gaben sich alle Mühe, die Formel der produktiven Pfänder für Deutschland schmackhaft zu machen und in irgendeiner Art dem Verlangen Poincares dadurch Rech- nung zu tragen, daß die staatlichen Forsten und Kohlengruben direkt oder indirekt als Unterpfand für Holz- und Kohlen- lieferungen Deutschlands herangezogen würden, Die deutsche 180 Regierung aber blieb bei ihrer Ablehnung. Sie schlug ihrerseits vor, die Holz- und Kohlenlieferungen praktisch dadurch zu sichern, daß sie für den Fall der Minderlieferung einen angemessenen Sicherheitsfonds, etwa in Höhe von 50 Millionen Goldmark, in Devisen zur Verfügung der Alliierten stellte. Dieser Vorschlag wurde von dem französischen Vertreter nach Einholung von Instruktionen aus Paris abgelehnt. Darauf erbot sich die deutsche Regierung, die Kohlenlieferungen, welche ja die Hauptrolle bei den Sachleistungen spielten, dadurch zu sichern, daß die deutsche Kohlenindustrie sich verpflichten solle, direkte private Lieferungs- verträge mit den alliierten Abnehmern abzuschließen, und zwar vorläufig bis zum 31. Dezember 1923. Damit sollte außer der Haftung der deutschen Regierung auch noch die a, Haftung der deutschen Lieferanten selber erreicht werden. Da dieser Gedanke bei der Abreise der beiden Delegierten der Repa- rationskommission aus Berlin noch nicht genügend durchgearbeitet war, wurde vereinbart, ihn mit der Reparationskommission weiter zu behandeln. Nun konnte die Reparationskommission ihre Entscheidung über den Antrag auf das Moratorium wirklich nicht mehr länger hinaus- schieben. Sie gab gemäß der Vorschrift des Vertrages von Versailles der deutschen Regierung Gelegenheit, sich über ihren Antrag mündlich zu äußern. Staatssekretär Dr. Schröder ging nach Paris und schilderte am 30. August der Reparationskommission in einer eindrucksvollen Rede die deutschen Verhältnisse. Er wies darauf hin, daß Deutschland bis Ende Juni 1922 die schwebende Schuld des Reiches gemäß den Forderungen der Reparationskommission eingeschränkt habe, In der Zeit vom 31. März bis 30. Juni habe die schwebende Schuld sich nur um 23 Milliarden Mark erhöht, die fast vollständig für Leistungen aus dem Versailler Vertrag aufsewendet worden seien. Auch hätten sich die Einnahmen aus Zöllen und Steuern aller Art viel besser entwickelt, als man bei den Verhandlungen im Mai habe annehmen können. Es seien in diesem Vierteljahr also nicht nur alle eigenen Ausgaben Deutsch- lands aus dem Budget bestritten worden, sondern man habe auch hoffen können, daß für die Reparation im Verlaufe des Jahres 1922 181 ein sehr erheblicher Betrag zur Verfügung stehen würde, Alle Anstrengungen Deutschlands seien aber durch höhere Gewalt ver- eitelt worden, nämlich durch die Enttäuschung über den Mißerfolg des Anleihekomitees und durch die Ermordung des Ministers Rathenau, Diese beiden Ereignisse hätten den Pessimismus in Deutschland und im Auslande in bezug auf die Finanzen des Reichs zu einer Panik gesteigert, die immer schlimmere Formen annehme., Die Entwicklung der Wechselkurse in den letzten Monaten werfe jedes Budget über den Haufen und mache alle Hoffnung auf Ein- dämmung der schwebenden Schuld für absehbare Zeit zunichte, Dr. Schröder wendete sich ferner nachdrücklich gegen die An- nahme, als habe die deutsche Regierung oder die deutsche Industrie selber die Entwertung der Mark vorsätzlich herbeigeführt. Er wies nach, daß durch den Fall der Mark das mobile deutsche Kapital so gut wie vernichtet sei, und daß die deutsche Industrie, der es angeblich so glänzend gehe, in Wahrheit nur ganz geringfügige Dividenden — fast ohne Ausnahme viel weniger als ein Prozent — auf ihr Kapital verteile. Die Katastrophe des Markkurses sei in der Hauptsache auf die außenpolitische Lage und auf die Ver- schleppung der Reparation zurückzuführen, Die Heilung könne nicht durch Zwang, Drohung oder Diktat, sondern nur durch Wiederherstellung des Vertrauens im Wege der Verständigung und der Zusammenarbeit kommen. Eine Beschlagnahme der deutschen staatlichen Bergwerke und Forsten werde die Reparations- zahlungen nicht sichern, sondern die Flucht aus der Mark und die völlige Zerrüttung der deutschen Finanzen nur beschleunigen. Die deutsche Regierung sei aber bereit, für die Kohlenlieferungen noch eine besondere Sicherheit in Form langfristiger privater Verträge der deutschen Kohlenindustrie zu bestellen. Ein Erfolg war diesen Ausführungen bei der Lage der Dinge nicht beschieden. Ein Antrag Bradburys, das Moratorium bis Ende 1922 ohne weitere Bedingungen zu bewilligen und baldmöglichst die Zahlungen für 1923 und 1924 festzusetzen, wurde mit drei Stimmen gegen eine abgelehnt. Die Reparationskommission konnte sich aber auch nicht dazu entschließen, den deutschen Antrag glatt zurückzuweisen, 182 In letzter Stunde sprang Belgien mit einem Vermittlungsvor- schlag ein. Da es kraft seiner Priorität die restlichen deutschen Zahlungen für 1922 allein zu empfangen hatte, so erklärte es sich bereit, an Stelle baren Geldes sechsmonatige deutsche Schatz- wechsel anzunehmen, die von der Reichsbank zu garantieren seien. Daraufhin faßte die Reparationskommission am 31, August folgen- den Beschluß: „Mit Rücksicht auf die Zerrüttung des deutschen Kredits und der deutschen Währung wird die Entscheidung über: den Mora- toriumsantrag noch ausgesetzt, bis die Reparationskommission ihre Pläne für eine radikale Umgestaltung der deutschen öffentlichen Finanzen, für eine dazu etwa nötige Ermäßigung der Reparalions- last sowie für die Ausgabe von auswärtigen und inneren Anleihen zwecks Besserung der deutschen Finanzlage ausgearbeitet hat. In der Zwischenzeit ist die Reparationskommission bereit, .— monatige in Gold zahlbare Reichsschatzwechsel für die bis ir 1922 zu leistenden Zahlungen anzunehmen. Die Garantien . die Schatzwechsel sind zwischen der deutschen Regierung un den zum Empfang der Zahlungen berechtigten Regierungen zu vereinbaren." | Die beiden belgischen Delegierten Delacroix und Ber mans führten am 9. September 1922 eine entsprechende Verstän in Berlin herbei. Die Reichsbank garantierte | die m. En Schatzwechsel der deutschen Regierung für die Baer .- zahlungen vom 15. August bis 15. Dezember 1922, im ganzen. 270 Millionen Goldmark. | Das war der Ausgang der langwierigen des Sommers 1922 über das Moratorium. Deutschland sah wir: are mehr von weiteren Barzahlungen für den Rest des J a e air Aber diese Zahlungen waren nur aufgeschoben. Sie ee Fälligkeit der Schatzwechsel vom 15, Februar bis eur m er 1923 geleistet werden, vermehrten also die deutsche Sc - _ für das nächste Jahr. Ueber die Regelung der a a dem 1. Januar 1923 war noch gar nichts a = on bis zum Schluß des Jahres nur noch vier Monate : - here diese Lebensfrage geregelt werden mußte, wenn anders 183 blickliche Erleichterung irgendeinen Zweck haben sollte, DerErfol bestand vorläufig nur darin, daß für einige Monate keine Dan mehr für die Reparation anzuschaffen waren. Aber um welchen Preis war dieser Vorteil erkauft? Die deutsche Währung war durch den neuerlichen Sturz der Mark vollkommen zerrüttet der ae es ‚Reichs wegen in Unordnung gebracht, Der Bellire riall der Finanzen ließ sich erzi atori Ü 1922 nur für ganz kurze Frist Eee erging ZWANZIGSTES KAPITEL | DIE NEBENLEISTUNGEN AUS DEM VERTRAGE VON VERSAILLES Während die deutsche Regierung mit der Reparationskom- mission über den Aufschub der Barzahlungen aus dem Londoner Zahlungsplan verhandelte, suchte sie von den alliierten Regie- rungen auf diplomatischem Wege eine Milderung der vertrag- lichen Leistungen zu erreichen, die außer der Reparation laufend zu entrichten waren. Wir haben von diesen Nebenleistungen schon im zweiten Kapitel gesprochen und müssen noch ein Wort darüber sagen, wie sie bis zum Abschluß des Moratoriums im Sommer 1922 be- handelt worden sind, | Bei ihren Beschwerden über die Nebenlasten konnte die deutsche F Regierung bis zu einem gewissen Grade auf das Verständnis und die Unterstützung der Reparationskommission rechnen. Denn was Deutschland darauf abzahlte, ging nur an einzelne Alliierte und benachteiligte alle anderen, die nichts davon bekamen. Das galt vor allem von den Besatzungskosten. Sie wurden, wie wir wissen, gemäß dem Beschluß der Reparationskommission vom 21. März 1922 auf die Sachleistungen des Jahres 1922 an- gerechnet, so daß Deutschland keine besonderen Zahlungen dafür 4 zu leisten hatte, Aber Verpflegungs- und Futtermittel für die ’ Besatzungstruppen mußten weiter geliefert werden; dazu kamen 3 die Requisitionen und die Kosten für militärische Anlagen und i Bauten und für die Unterbringung der Truppen sowie die Kosten der Rheinlandkommission. 184 185 Der Ausgleich der privaten Forderungen und Schulden aus der Zeit vor dem Kriege — das Clearingverfahren nach Artikel 296 des Vertrages von Versailles — erforderte schon im Jahre 1929 derartig hohe Zahlungen, vor allem an England, daß auch die Reparationskommission im gemeinsamen Interesse der Alliierten sich bemühte, die deutschen Leistungen für das Clearing auf längere Zeit zu verteilen, Ein Abkommen vom 10. Juni 1921 zwischen Deutschland und den am Ausgleichsverfahren beteiligten Staaten — England, Frankreich, Belgien, Italien, Griechenland und Siam — sah vor, daß Deutschland monatlich einen Pauschal. betrag von 2 Millionen Pfund Sterling abzahlen solle. Ueber die Auslegung des Abkommens entstand Streit, der sich längere Zeit hinzog, Im Juli 1922 erklärte Deutschland, daß es auch beim Clearing einen Aufschub haben müsse, Das führte zum Konflikt mit Poincare, und am 17, August kündigten die Alliierten das ganze Clearingabkommen, Seither hat Deutschland nichts mehr im Ausgleichsverfahren geleistet, Wie drückend diese Last für Deutschland war, ergibt sich aus folgenden Zahlen: Deutschland hat im $Sanzen für das Clearing die restlichen Verpflichtungen Deutschlands aus dem Clearing insgesamt noch etwa 230 Millionen Goldmark betragen. Mit besonders großer Sorge wurde in Deutschland die Tätig- keit der gemischten Schiedsgerichtshöfe des Vertrages von Versailles beobachtet, Wenn sie auch nur einen kleinen Teil der Ersatzansprüche anerkannten, die auf Grund von deutschen Maß- nahmen während des Krieges bei ihnen erhoben wurden, so drohte die Gefahr, daß Deutschland neben der eigentlichen Reparation noch eine zweite Entschädigung an eine Menge von Einzelpersonen würde leisten müssen, Und in den meisten Fällen waren diese privaten Ansprüche schon in den Forderungen enthalten, welche die alliierten Staaten für die Reparation angemeldet hatten, Im ganzen wurden be; den gemischten Schiedsgerichtshöfen —— darunter fällt nicht das besondere Schiedsgericht für Kriegs- schäden zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland — 186 SLR im Betrage von 8500 Millionen Goldmark erhoben. Bei dem langsamen Gange des Verfahrens läßt sich das End- ' Ü hland | is heute nicht übersehen. Barzahlungen hat Deutsc en bisher nicht geleistet. Und für die Zukunft ist die Gefahr einer nochmaligen Reparation abgewendet, da auch ’ Ä Deutschland durch die Ent- die Beträge, zu deren Zahlung a Fi Schiedsgerichtshöfe verpflichtet werden wird, aus seinen Leistungen unter dem Dawesplan zu entnehmen sind. 187 EINUNDZWANZIGSTES KAPITEL DIE ZEIT DER REPARATIONSPLÄNE Im Herbst 1922 wurde die politische Lage Europas ständig schlimmer, das Verhältnis zwischen Frankreich und England immer gespannter, Dieser Zustand vernichtete die Hoffnung auf eine baldige Regelung der Reparation. Fast jeden Sonntag hielt Poincar& in irgendeinem Orte Frankreichs eine Rede — seine „Sonntagspredigt” —, in der er mit hartnäckigem Haß aller Welt immer die gleiche Lehre von dem verbrecherischen Deutschland verkündete, das nur darauf hinarbeite, sich der Reparation zu entziehen und das notleidende Frankreich um die Frucht seiner vertraglich verbrieften Rechte zu bringen. Besonderes Aufsehen erregte eine Rede von Poincar& in Bar le Duc am 21. August 1922, die als Antwort auf die Note Balfours vom 1, August gemünzt war, Balfour hatte in dieser berühmt gewordenen Note erklärt, daß England bereit sei, bei einer vernünftigen Gesamtregelung der interalliierten Schulden und der Reparation auf seine Forde- rungen gegen die Alliierten und auf seinen Anteil an den Repa- rationszahlungen Deutschlands zu verzichten, Dagegen predigte Poincar&: Die interalliierten Schulden und die deutsche Repa- rationsschuld könnten gar nicht in einem Atem genannt werden, weil die Schulden zwischen den Alliierten eingegangen seien, um der gemeinsamen guten Sache gegen Deutschland zu dienen. Die deutsche Schuld aber sei entstanden aus Kriegsverbrechen, die gesühnt werden müßten, Deutschland habe den Zusammenbruch der Mark absichtlich herbeigeführt, um sich seinen Verpflichtungen zu entziehen. Ein Moratorium dürfe nur gegen ganz bestimmte 188 Rechnung, der angeblich nur wegen der Veröffentlichung der neue Pfänder in Betracht kommen, Frankreich werde keines der Rechte aufgeben, die es für den Ersatz seiner Kriegsschäden er- langt habe. . Diese Reden Poincarös, die sich ständig und eintönig wieder- holten, ließen klar erkennen, daß unter seiner Regierung Frank- reich einer vernünftigen Auffassung der wirtschaftlichen Weltlage nicht zugänglich sein würde. Dennoch gingen die Bemühungen um die Regelung der Reparation unablässig weiter. Kein Jahr hat so viel Reparationspläne an das Licht kommen sehen wie das Jahr 1922. Daß man an den 132 Milliarden des Londoner Zahlungs- planes nicht mehr festhalten konnte, war ‚auch in Frankreich jedermann klar geworden. Dem trug sogar ein französischer Plan ' | im August 1922 Balfour-Note nicht auf der Londoner Konferenz im. a wurde. Danach sollte Deutschland 50 Milliarden Gold- mark zahlen, in der Hauptsache durch internationale Anleihen. Der Restbetrag sollte gegen die interalliierten Schulden kom- pensiert werden, Ueberall ging man davon aus, daß der on ao Zahlungen; die man von Deutschland erwarten könne, _ au 50 Milliarden Jetztwert zu bemessen sei. Innerhalb dieses Ra _ wurden alle möglichen Vorschläge gemacht. Sie krankten ‘ er meist an dem Fehler, daß sie die Verzinsung und ee: einer bestimmten Schuld von Deutschland in einer Zeit a - = wegen der Zerrüttung der Finanzen die Zahlungsfähig -. er Reichs überhaupt nicht zu übersehen war. Die aa en brachten auch die Regelung der Reparation ın direkten ka Pi hang mit der Frage der interalliierten Schulden. Sie wo rn er Lösung durch einen umfassenden Verzicht Amerikas Fai Ns lands auf ihre Forderungen Kr ” Kun h er echende Ermäßigung der deutschen ratio % ra zeigte sich ar daß in Amerika keinerlei Neigung be stand, einen solchen Verzicht auszusprechen. Aus der Erkenntnis, daß es nicht möglich sein ei ne pe Wegen voranzukommen, entstanden Pläne, die - . . _ zu einer vernünftigen Lösung zu gelangen suchten. Ich ha 189 im Sommer 1922 einen Plan entworfen, der seinerzeit vom „Manchester Guardian“ veröffentlicht worden ist. Mir war klar, daß damals weder eine endgültige Regelung des Reparations- problems noch ein Moratorium erreichbar sei. Daher schlug ich vor, die Reparation vorläufig so zu regeln: „Deutschland macht Sachleistungen — einschließlich Kohle — in Höhe von 1 Milliarde Goldmark jährlich. Soweit die alliierten Regierungen ihren Anteil an den Sachleistungen innerhalb jedes einzelnen Jahres nicht voll ausnutzen, verfällt ihr Anspruch. Deutschland zahlt außerdem einen gewissen Prozentsatz seiner jährlichen Bruttoausfuhr an die Alliierten, aber so, daß die Aus- fuhr bis zur Höhe von mindestens vier Milliarden Goldmark für die Deckung des eigenen Einfuhrbedarfs von der Abgabe frei- bleibt. Von der Ausfuhr, die vier Milliarden übersteigt, zahlt Deutschland einen mit 10 Prozent beginnenden und allmählich bis zu 25 Prozent wachsenden Betrag als Reparation. Deutsch- land verpflichtet sich ferner, Zinsen und Tilgung auf jede inter- nationale Anleihe zu zahlen, die zu vernünftigen Bedingungen angeboten wird. Der Anleihedienst wird auf die jährlichen Ge- samtleistungen Deutschlands angerechnet, Das Abkommen gilt zunächst für drei Jahre, dient aber als Grundlage für eine end- gültige Lösung, wenn es zwei Jahre lang für beide Teile be- friedigend gearbeitet hat, Die Zahlungen nach diesem Schema umfassen die sämtlichen deutschen finanziellen Verpflichtungen aus dem Vertrage von Versailles," Der Plan ist gleich vielen anderen Vorschlägen unbeachtet ge- blieben. Neu an ihm war, daß er zum erstenmale dem Problem zu Leibe ging, wie Deutschland sich die zur Zahlung der Repa- ration an das Ausland nötigen Devisenbeträge beschaffen könne. Er schöpfte aus der einzig richtigen Quelle des Ausfuhrüber- schusses und benutzte der Einfachheit halber den im Londoner Zahlungsplan eingeführten Schlüssel der prozentualen Abgabe von der deutschen Ausfuhr, suchte ihn aber dadurch praktisch brauchbar zu machen, daß die Reparationszahlungen erst dann ein- setzen sollten, wenn die Ausfuhr einen bestimmten, für Deutsch- lands eigenen dringenden Devisenbedarf erforderlichen Mindest- 190. betrag überschreiten würde, Dafür sollten die Alliierten durch eine mit der Höhe der deutschen Ausfuhr steigende prozentuale Abgabe an der Besserung der deutschen Wirtschaft interessiert werden. Ende September 1922 setzte ein neuer Marksturz ein, der den Dollarkurs in Berlin bis zum 8. November auf über 9000 Mark trieb, Der Streit um das Moratorium ging weiter. In den Kreisen der Reparationskommission bemühte man sich krampfhaft, eine Formel zu finden, der auch die französische Regierung zustimmen könnte, Sir John Bradbury schlug zunächst vor, Deutschland solle — ohne formelle Aenderung des Londoner Zahlungsplanes — von Barzahlungen für 1923 und 1924 befreit werden, aber in Höhe der gestundeten Schuldbeträge fünfjährige Schatzscheine aus- stellen, welche die alliierten Mächte mit ihrer eigenen Garantie voraeien in Umlauf setzen würden. Die Sachleistungen sollten wie bisher weiterlaufen und gegen die deutschen Schatzscheine verrechnet werden, Damit wären die deutschen Barzahlungen für 1923 und 1924 auf fünf Jahre gestundet worden. Während der Ruhepause sollte Deutschland zur Goldwährung zurückkehren. Die Papiermark sollte mit Hilfe eines Reservefonds von 500 Millionen Goldmark, den die Reichsbank zur Verfügung zu stellen hätte, zum Kurs von 4000 Mark für den Dollar eingelöst werden. Der Rest des Reichsbankgoldes von 500 Millionen Goldmark sollte als Sicherheit für ausländische Handelskredite in das Ausland gebracht werden. Auch dieser Vorschlag wurde nicht weiter verfolgt. Ein französischer Gegenvorschlag zur Stabilisierung der Mark, von dem damals viel Aufhebens gemacht wurde, erblickte nicht das Licht des Tages. Die französischen Sachverständigen erstickten förmlich in dem Wust der Entwürfe, die nach den Weisungen Poincares ständig von Grund auf geändert werden mußten. Schließlich kam bei der ganzen Sache überhaupt nichts a In jener Zeit arbeitete man in der es Br jede Fühlung miteinander, meist sogar gegeneinander. hc . mand einen besseren Rat zu geben wußte, nach außen ae © der Eindruck erweckt werden sollte, als ob doch etwas geschehe, 191 einigte man sich vor lauter Verlegenheit wieder darauf, daß die Reparationskommission, diesmal in corpore, nach Berlin gehen sollte. Einen Plan nahm sie nicht mit, da sie keinen hatte, Ver- nünftige Vorschläge waren genug gemacht, aber die Entschluß- kraft fehlte, In der Reparationskommission tauchte die Idee auf, das Bankierkomitee wieder zusammenzurufen, zumal da J. P. Morgan sich noch in Europa aufhielt, Das Komitee sollte sofort ein internationales Syndikat bilden, um im Verein mit der deutschen Regierung Maßnahmen zur Stabilisierung der Mark zu ergreifen. Schon damals sprach man davon, daß ein Komitee von Sachver- ständigen die Zahlungsfähigkeit Deutschlands und die Frage der interalliierten Schulden untersuchen solle. Diese Ideen waren so weit gefördert, daß sie auch mit der französischen Regierung be- handelt wurden. Dabei gelang es angeblich, die Zustimmung des Präsidenten der Republik Millerand zu erhalten, während Poincare sich nach wie vor gegen alles sträubte, Die Reparationskommission hielt sich Anfang November etwa eine Woche lang in Berlin auf. Allgemein erwartete man, daß sie der deutschen Regierung wenigstens einige Fingerzeige geben würde, die in der verzweifelten Lage von Nutzen sein könnten. Aber ihr Vorsitzender Barthou drehte in Berlin den Spieß um. Er forderte die deutsche Regierung auf, selber einen Vorschlag für die Stabilisierung der Währung und die Ordnung des Haus- halts zu machen, und beschränkte sich auf die Kritik, Es traf sich, daß gerade in jenen Tagen die deutsche Regierung aus eigenem Antriebe eine Reihe internationaler Sachverständiger auf dem Gebiete der Währungsfragen nach Berlin berufen hatte, um ihren Rat über die Möglichkeit der Stabilisierung der Mark einzuholen, Anfänglich schien es, als ob dieser selbständige Schritt der deutschen Regierung bei der Reparationskommission eine gewisse Verstimmung auslösen würde, zumal da unter den Sach- verständigen Männer wie Keynes und Cassel waren, welche die Reparationspolitik der Alliierten scharf angegriffen hatten. Es gelang aber nicht nur, jede Reibung zu vermeiden, sondern auch die Arbeit der Sachverständigen für die Verhandlungen mit der Reparationskommission nutzbar zu machen, Am 4, November 1922 192 übergab die deutsche Regierung der Reparationskommission folgenden Plan: „Eine wirksame und dauernde Stabilisierung der Mark ist erst möglich, wenn die Reparationsfrage entsprechend der Leistungs- fähigkeit Deutschlands endgültig geregelt ist. Darauf kann jedoch nicht gewartet werden, weil die Lösung des Reparationsproblems bei aller Beschleunigung zu viel Zeit beansprucht. Jeder Zeit- verlust bedeutet eine neue Verschlechterung der Mark und macht die Finanzreform immer schwieriger. Es müssen deshalb schon jetzt unverzüglich alle Schritte unternommen werden, die geeignet erscheinen, der weiteren Zerrüttung der Mark Einhalt zu tun.” „Zur Stützung der Mark ist das Zusammenwirken Deutsch- lands mit der Kapitalkraft des Auslandes nötig. Deshalb soll unter Mitarbeit der Reichsbank ein internationales Syndikat zur Beschaffung eines Bankkredits von mindestens 500 Millionen Goldmark für die deutsche Regierung gebildet werden.” „Da die Erörterungen über das Zustandekommen eines solchen Bankkredits und über die Bedingungen hierfür Verhältnisse be- rühren, die zur Zuständigkeit der Reparationskommission ge- hören, so möchte die deutsche Regierung zunächst davon ab- sehen, einen bestimmten Antrag zu stellen. Sie glaubt, daß ge- eignete Vorschläge am besten durch eine gemeinsame Beratung von internationalen Finanzmännern vorbereitet werden können, und schlägt daher vor, daß die Reparationskommission ohne Verzug ein solches Komitee einberuft, um die Frage zu prüfen, ob und unter welchen Bedingungen die Gewährung von inter- nationalen Bankkrediten zum Zwecke der Festigung des Mark- kurses möglich erscheint. Wenn durch einen derartigen Bank- kredit die Vorbedingungen für eine wirksame Stützung der Mark gegeben sind, ist Deutschland entschlossen: a) seinen Haushalt im Gleichgewicht zu halten, b) eine Besserung der Handels- und Zahlungsbilanz durch wirtschaftliche Maßnahmen, insbesondere durch Steigerung der Produktion, herbeizuführen, c) die schwebende Schuld einzudämmen, d) innere Anleihen aufzunehmen. Bergmann, Der Weg der Reparation 13 193 Dieser etwas zaghafte Vorschlag wurde durch eine weitere Note vom 8. November erläutert und durch das Gutachten der Herren Vissering, Dubois und Brand unterstützt, Diese Sachver- ständigen verlangten, daß während der Tätigkeit des inter. nationalen Syndikats und bis zur vollständigen Rückzahlung der vom Syndikat geleisteten Vorschüsse Deutschland von jeder Bar- zahlung auf Grund des Vertrages von Versailles sowie von allen Sachlieferungen für Reparationszwecke vorübergehend befreit Gebiete auch während des Stabilisierungsprozesses zu über- nehmen, insoweit es möglich sei, diese Leistungen ohne Ver- mehrung der schwebenden Schuld aus dem Reichshaushalt oder durch innere Anleihen zu bestreiten. Die Reparationskommission nahm den Vorschlag stillschweigend entgegen und reiste nach Paris zurück. Eine Antwort darauf er- teilte sie auch später nicht, Die Note stellte weiterhin Richtlinien für die Ordnung des Reichs- haushalts auf und schloß mit dem Antrag, die Reparations- kommission möge schleunigst eine endgültige Festsetzung der deutschen Schuld herbeiführen und eine Konferenz von inter- nationalen Finanzleuten zur Beratung der geplanten Stützungs- aktion einberufen, Der Note beigefügt waren die Berichte der internationalen Sachverständigen über die Stabilisierung der Mark. Diese stimmten darin überein, daß Deutschland für einige Jahre 194 von allen Leistungen aus dem Vertrage von Versailles befreit werden müsse, Die Gruppe Brand, Cassel, Jenks und Keynes ver- trat aber nachdrücklich die Ansicht, daß die Stabilisierung der Mark in erster Linie von Deutschlands eigener Kraft, dem Einsatz seiner eigenen Mittel und dem entschlossenen Vorgehen seiner Regierung ausgehen müsse, Es sei verkehrt, die Hilfe des Aus- landes zur Grundlage des Stabilisierungsplanes zu machen. Einige technische Voraussetzungen für den Erfolg der Stabilisierung lägen schon vor: die große Goldreserve der Reichsbank, die Knappheit an Zahlungsmitteln und die Differenz zwischen der äußeren und inneren Kaufkraft der Mark. Diese Tatsachen machten es leicht, die Herrschaft über den Geldmarkt zu gewinnen, Bei einem Dollarkurs von 3500 Mark sei der Goldbestand der Reichs- bank mehr als doppelt so groß wie der Wert des Notenumlaufs, Das sei noch nie dagewesen. Noch keine Währung sei mil einer so großen unausgenutzten potentiellen Tragkraft zusammen- gebrochen. Das Gutachten der Herren Vissering, Dubois und Kamenka kam dagegen zu dem Schluß, daß zur vorläufigen Stabilisierung der Mark die finanzielle Hilfe des Auslandes von vornherein in großem Umfang notwendig sei, um das verlorengegangene Ver- trauen in die Zukunft der deutschen Währung wieder zu erwecken. Diese zweite Gruppe der Sachverständigen faßte eine allmähliche, sehr erhebliche Besserung der Mark ins Auge, während die angelsächsische Gruppe es für richtig erklärte, von vornherein einen festen niedrigen Stabilisierungskurs einzuführen und zu diesem Kurs sofort die Papiermark in Gold umzutauschen., Die gründliche und wertvolle Arbeit all dieser Sachver- ständigen hat damals leider keinerlei Nutzen gebracht. Die Repa- rationskommission gab der Note der deutschen Regierung vom 14, November 1922 keine Folge. Wenige Tage später wurde mir in Paris mitgeteilt, daß irgend- ein praktisches Interesse für die deutschen Finanzen in Amerika und England nur in dem Fall zu erwarten sei, daß die Repa- rationsschuld endgültig auf eine bestimmte Summe herabgesetzt würde. Der Gedanke des Moratoriums in Verbindung mit einer 195 vorläufigen Lösung der Reparation trat wieder in den Hinter- grund. Offenbar scheiterten alle die schönen Pläne an dem Wider. stand der französischen Regierung. . Von neuem wandte man sich der Frage zu, ob nicht eine end- gültige Lösung zu finden sei. Vor allem beschäftigte sich Sir John Bradbury damit. Auch die anderen Mitglieder der Reparations- kommission schlossen sich der Meinung an, daß man mit der Stabilisierung der Mark und dem Moratorium allein nicht vorwärts komme, sondern sich trotz aller Schwierigkeiten mit dem Ge- danken einer vollkommenen Regelung der Reparation befreunden müsse. Die Alliierten, insbesondere Frankreich, planten damals eine neue interalliierte Konferenz in Brüssel, um die Reparation im Zusammenhange mit der Frage der interalliierten Schulden zu behandeln. Die Einberufung der Konferenz aber wurde durch den Rücktritt des englischen Kabinetts unter Lloyd George verzögert. Auch brauchte man auf allen Seiten Zeit, um Vorschläge zur Lösung der beiden großen Probleme vorzubereiten, Ich erhielt den Rat, die deutsche Regierung zur Einreichung eines umfassen- den Reparationsprogramms zu bestimmen, da es für keinen der Alliierten möglich sein würde, mit einem Plan hervorzutreten, der eine wesentliche Herabsetzung der deutschen Schuld in sich schlösse, Die neue englische Regierung unter Bonar Law verhielt sich abwartend und ließ die Dinge an sich herankommen. Die Stimmung in England war gegen die Abhaltung der Konferenz von Brüssel, weil man fürchtete, daß Frankreich als Entgelt für eine geringfügige Herabsetzung der deutschen Reparation die Streichung seiner gesamten interalliierten Schulden verlangen würde, Die Engländer wollten sich nicht der Gefahr aussetzen, daß in Brüssel die sämtlichen Verbündeten von England fordern würden, es solle seine eigenen Ansprüche aus Darlehen während des Krieges und nach dem Kriege streichen und außerdem seinen Anteil an der Reparation aufgeben, während in der Reparations- frage Frankreich auf unvernünftig harten Bedingungen bestehen würde, deren Annahme wiederum nur durch Bedrohung mit Sanktionen von Deutschland zu erreichen war. Eine solche Lösung 196 wäre für die englische öffentliche Meinung unerträglich gewesen. Poincar& dagegen hatte sich in der Oeffentlichkeit dermaßen auf eine baldige Eröffnung der Brüsseler Konferenz festgelegt, daß er alle Hebel in Bewegung setzte, um die Bedenken Englands zu überwinden. Dabei wurde er von Mussolini, dem neuen Chef der italienischen Regierung, energisch unterstützt. Schließlich kam man überein, die neue Reparationskonferenz durch eine Be- sprechung der alliierten Premierminister in London vorbereiten zu lassen, Einen Erfolg versprach man sich davon freilich von vornherein nicht. Die bei der Reparationskommission immer noch gehegten Hoff- nungen, daß das Bankierkomitee für die Reparationsanleihe wieder zusammentreten könnte, waren inzwischen jäh vernichtet worden. J. P. Morgan hatte sich im Sommer und Herbst 1922 in Europa aufgehalten und stand im Begriff, von London aus nach New York zurückzureisen. Nun waren auf Veranlassung von Delacroix, der trotz aller Fehlschläge seine Bemühungen eifrig fortsetzte, Vissering und Dubois nach Abschluß ihrer Arbeiten für die Stabili- sierung der deutschen Mark von Berlin nach Paris gefahren, um die Bildung des internationalen Stützungssyndikats für die Mark weiter zu verfolgen. Delacroix führte sie in Paris mit den belgischen Ministern Theunis und Jaspar zusammen. Man trat auch an Poincar& heran, und es gelang tatsächlich, ihn dazu zu überreden, daß er J. P. Morgan nach Paris einladen ließ, um mit ihm über das Reparationsproblem zu sprechen. Das mag rg nicht ganz leicht gefallen sein, weil die Einladung als eine Zurüc - nahme der schroffen Aeußerung aulgefaßt werden konnte, mit der Poincar& im Juni die Bankierkonferenz auseinandergesprengt hatte, Morgan antwortete auf die nach London übermittelte ladung zunächst ausweichend, wohl um zu zeigen, daß er sich nicht beliebig heranzitieren lasse. Kurz vorher hatte Poincare nämlich im Senat und in der Kammer erklärt, daß die nd der Pariser Bankierkonferenz vom Juni nicht weiter bedauerlic sei, weil die Bankiers gern jederzeit wieder a Würden, wenn man sie nur riefe, denn sie hätten ja lediglich ihr Geldinteresse im Auge. Diese Bemerkung muß Morgan ganz be- 197 sonders verstimmt haben. Immerhin erklärte er sich nach einigem Zureden bereit, nach Paris zukommen. Es erging nun eine formelle Einladung an ihn, allerdings nicht von Poincar& persönlich, sondern durch den französischen Finanzminister, in der eine Begegnung zwischen Poincare und Morgan auf den 22. November fest ver- einbart war. Alles schien in bester Ordnung zu sein, als ein Tele- gramm von Morgan bei Poincar& eintraf, in dem unter anderem gesagt war, daß eine Besprechung über die Reparationsfrage nur dann Zweck haben würde, wenn Poincar& sich grundsätzlich darüber klar sei, daß Deutschland ein mehrjähriges Moratorium haben müsse, Darauf ließ Poincare antworten, daß seine Zeit am 22. November mit wichtigen Ministerratssitzungen dermaßen be- legt sei, daß er zu seinem Bedauern Morgan an dem festgesetzten Tage nicht sprechen könne, Damit war die Sache zu Ende. Morgan reiste von London direkt nach New York ab. Der Eindruck, den dieser zweite Zwischenfall in den Kreisen der Reparationskommission machte, war niederschmetternd, Man sah die wirtschaftliche Katastrophe nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa kommen, Der Stabilisierungsplan für die Mark hatte keine Aussicht auf Verwirklichung mehr, nachdem Morgan voller Aerger abgereist war. Immer mehr: vertrat das angelsächsische Kapital den Stand- punkt, kein Geld für Deutschland aufzuwenden, solange die Reparationsfrage nicht vollständig gelöst sei. Poincares politische Stellung aber wurde immer stärker, da er wegen seiner Erfolge in der französischen Orientpolitik die ganze Kammer hinter sich hatte und niemand wagte, ihn öffentlich anzugreifen. Nunmehr verstummten auch die Ratschläge, Deutschland solle selbst einen Plan für die endgültige Regelung der Reparation vorlegen. In Paris und London gab man offen zu, daß keine deutsche Offerte Aussicht auf Erfolg habe, solange Poincar& am Ruder sei. Wenn Deutschland die Stabilisierung der Mark durchführen wollte, so war es klar, daß es die Aufgabe nunmehr ohne aus- ländische Hilfe würde lösen müssen. Da aber die Stabilisierung ohne ein mehrjähriges Moratorium nicht möglich schien und von Poincar& kein Moratorium zu haben war, wenn Frankreich dafür 198 2 ’ nicht eine Gegenleistung in Form von erheblichen Zahlungen er- hielt, so mußte Deutschland, wenn es überhaupt noch praktisch Reparationspolitik treiben wollte, den Boden seiner letzten Note vom 14, November erheblich erweitern. Trotz der bitteren Ent- täuschungen, die die deutsche Regierung mit ihren Vorschlägen bisher erlebt hatte, entschloß sie sich doch dazu, ein neues An- gebot an die Alliierten zu machen. | Auch Deutschland hatte soeben seine Regierung gewechselt. Die durch innere und äußere Schwierigkeiten vollständig erschöpfte Regierung Wirth war gefallen. Sie wurde durch das Kabinett Cuno ersetzt, in welchem Hermes Finanzminister blieb. Dr. Cuno brachte aus seiner bisherigen Stellung als Generaldirektor der Hamburg - Amerika Linie weitreichende Beziehungen mit, vor allem zu amerikanischen Finanzkreisen. Hermes war durch se erfolgreichen Pariser Verhandlungen vom Mai 1922 rw : genoß bei den Alliierten Achtung und Vertrauen. Mit a Fat- kraft und frischem Entschluß trat das Kabinett an seine schwierige außenpolitische Aufgabe heran. In seinem Eifer, die Reparation durch eigene Vorschläge zu fördern, ließ es sich durch Warnungen von keiner Seite irre machen, Leider aber mußten alle An der Reparation und der französischen Regierung en < jeder Vorschlag, den Deutschland machen würde, ganz gleich- gültig, ob er vernünftig oder unvernünftig war, zwecklos . müsse, Poincare würde ihn schon deshalb ablehnen, weil er er von Deutschland kam. Bei dem Uebergewicht der politisc pie Macht Frankreichs war keine Aussicht dafür, Free in der Reparationsfrage umzustimmen oder zu überstimmen. Wol - man einen deutschen Vorschlag mit Aussicht auf Erfolg mac "es ” durfte man ihn nicht auf einer Konferenz vorlegen, wo er sofor nach seiner Verlesung zurückgewiesen worden wäre, sondern ga mußte ihn erst mit Sachverständigen der Allüierten, am a: Mitgliedern der Reparationskommission, sorgfältig ae je Der einfachste Weg wäre sicherlich gewesen, nei we Sachverständige der französischen Regierung beraru 2 dieser Weg, der früher offenstand und auch Br: w 2. er seit der Konferenz von Genua und dem Zwischenfall von Rap 199 verschlossen, Diejenigen F ranzosen, vor allem Seydoux, welche das Reparationsproblem kannten und vernünftig beurteilten, waren seit jener Zeit von Poincare kaltgestellt worden und für deutsche Vertrauensleute nicht mehr zu erreichen, Mit Poincar& selber aber die Dinge so zu behandeln, daß man einer praktischen Lösung näher kam, war ganz unmöglich. Er ließ sich grundsätzlich mit Deutschen nur auf ganz offizielle Audienzen ein, bei denen er nichts anderes sagte als: ‚Ich verlange die strikte Erfüllung des Vertrages von Versailles.“ Er hatte eben keinerlei Verständnis dafür, daß es nötig war, durch vernünftige Verhandlungen den Vertrag erst ausführbar zu machen. Durch alle diese Tatsachen aber ließ sich, wie gesagt, die neue deutsche Regierung nicht ent- mutigen, Bei der Begegnung der Premierminister von England, Frank- reich, Italien und Belgien in London ließ Reichskanzler Cuno am 9. Dezember 1922 mit einem Schreiben an Bonar Law einen Vor- schlag überreichen, der die Verpflichtungen Deutschlands aus dem Londoner Zahlungsplan für die nächsten J ahre regeln, aber auch der endgültigen Ordnung der Reparationsfrage die Wege ebnen sollte. Der Vorschlag, der auf Anregungen des Direktors der Deutschen Bank Wassermann zurückging, bezweckte in erster Reihe die Stabilisierung der Mark gemäß der deutschen Note vom 14, November, jedoch mit dem Zusatze, daß die deutsche Regierung entschlossen sei, den Versuch zur Stabilisierung mit eigenen Mitteln zu unternehmen, falls sich die Gewährung fremder Kredithilfe für den Augenblick als unmöglich erweisen sollte. Ferner schlug Deutschland vor, für die nächsten Jahre die laufen- den Reparationsverpflichtungen durch eine in Deutschland und im Auslande aufzulegende Goldanleihe zu begleichen. Der in Deutschland zu begebende Teil der Anleihe sollte mit 4 Prozent verzinst und mit % Prozent getilst werden. Die Zeichner sollten weitgehende Steuerfreiheit genießen, vor allem in bezug auf Erb- schaftssteuer und Kapitalertragssteuer. Außerdem sollte eine Amnestie wegen etwaiger Verstöße gegen die Kapitalfluchtgesetze zugesichert werden. Auf diese Weise hoffte man das im Ausland versteckte deutsche Kapital zur Rückkehr nach Deutschland und 200 zur Beteiligung an der Reparationsanleihe zu veranlassen. Der Erlös der äußeren Anleihe sollte der Reparation in voller Höhe zugute kommen, Von dem Erlöse der inneren Anleihe sollte die Hälfte an die Reparationskommission abgeführt werden, während die andere Hälfte bis zur Höhe von anderthalb Milliarden Gold- mark Deutschlands eigenen Bedürfnissen, insbesondere der Ord- nung der Währung und dem Ausgleich des Reichshaushalts dienen, mit einem etwaigen Mehrerirag aber ebenfalls der Reparation zu- fließen sollte. Gleichzeitig mit der Ausgabe der inneren Anleihe wollte die deutsche Regierung der Reparationskommission drei Milliarden deutsche Goldschatzanweisungen zur freien Verfügung übergeben. Diese sollten durch die deutschen Zolleinnahmen sicher- gestellt werden und das Vorrecht vor allen anderen Zahlungs- verpflichtungen aus dem Vertrag von Versailles erhalten. Dafür beantragte die deutsche Regierung Befreiung von allen Barzahlungen für zwei Jahre sowie von Sachlieferungen, die nicht aus dem deutschen Haushalt bestritten werden könnten. Für jede Milliarde Goldmark, welche die Reparationskommission aus dem Erlös der inneren Goldanleihe erhalten würde, sollte Reue land für ein weiteres Jahr von Barzahlungen frei sein. Die Regelung war für höchstens fünf Jahre gedacht. Das Angebot von Dr. Cuno wurde von Bonar Law in der Konferenz der Premierminister verlesen. Wie nicht anders zu = warten war, beantragte Poincar& sofort die Zurückweisung = deutschen Vorschlags ohne jede Diskussion, da er völlig —_ nehmbar sei. Dabei blieb es denn auch. Bonar Law teilte Dr. Cuno am 10. Dezember 1922 mit, daß sein Angebot bei der Pe wärtigen Lage nicht als befriedigend angesehen werden h jean Wieder einmal hatte der Starrsinn Poincares jede kiasran Besprechung des deutschen Vorschlags von ... ._ “ Dabei wäre dieser einer ernsthaften Behandlung woh 2 z - wesen, Das wurde mir damals in London von wi belgischen Mitgliedern der En er = is wer n, Das Angebot der Goldanleihe wa h en wenn . im einzelnen mehr ausgebaut ee Sie vermißten vor allem eine Erklärung dahin, daß die 201 Großindustrie das Angebot der Regierung unterstütze und den Erfolg’ der Anleihe zu einem Teile selber garantiere, Zu einer glatten. Zurückweisung des sorgfältig überlegten deutschen Vor- schlags lag jedenfalls kein ernsthafter Anlaß vor. Mussolini brachte dann noch einen italienischen Vorschlag für die Lösung der Reparationsfrage vor, der in der Konferenz eben- falls keinen Anklang fand. Da sachliche Ergebnisse nicht zu erzielen waren, beantragte Poincare die Ergreifung von Strafmaßnahmen gegen Deutsch- land, vor allem die Besetzung des Ruhrgebiets. Das wurde von der Konferenz abgelehnt. Darauf vertagte man sich mit dem Be- schluß, die Besprechung unter den Premierministern am 2. Januar 1923 fortzusetzen, In den beiden letzten Wochen des Dezember 1922 arbeitete die Berliner Regierung trotz des Mißerfolges in London fieberhaft an der Aufstellung eines umfassenden Angebotes für die voll- ständige Lösung der Reparationsfrage. Sie wollte den Alliierten durch die Tat beweisen, daß es ihr mit der Erfüllung ihrer Repa- rationspflicht bitterer Ernst sei. Zahlreiche Sachverständige aus Finanz und Industrie wurden zu den Beratungen hinzugezogen. Es sollte ein Plan ausgearbeitet werden, der die deutsche Leistungs- fähigkeit voll ausschöpfte. Bei diesen Besprechungen teilte ich die Grundzüge eines Planes von Sir John Bradbury mit, die ich soeben in London erfahren hatte. Er baute sich im wesentlichen auf den Ideen des Vorschlags auf, den England bald darauf der Pariser Konferenz vorlegte, und den wir noch näher behandeln werden. Man hatte mir in London nahegelegt, die deutsche Regierung solle den englischen Plan aufgreifen und zu dem ihrigen machen. Die deutschen Sachverständigen aber lehnten ihn als unausführbar ab. Sie selber kamen freilich auch nur sehr schwer zur Verständigung über einen eigenen Plan. Erst in den Weih- nachtstagen wurde das deutsche Angebot fertiggestellt. Dr. Cuno und sein Außenminister von Rosenberg wollten es noch vor dem Zusammentreffen der Alliierten in Paris veröffentlichen. Nur mit Mühe ließen sie sich endlich davon überzeugen, daß es unter den gegebenen Verhältnissen ganz aussichtslos war, mit irgend- 202 welchem: deutschen Angebot auch nur einen moralischen Erfolg zu erzielen. Es wäre von der französischen Presse sofort nieder- geschrien und von Poincare glatt abgelehnt worden. In Paris herrschte bei der Reparationskommission gleichfalls eifrige Tätigkeit. Sie war aber nicht aufbauender Natur, sondern beschränkte sich darauf, deutsche Verfehlungen festzustellen. Nach dem Mißerfolg der Londoner Konferenz wurde es immer klarer, daß die französische Politik darauf ausging, Sanktionen gegen Deutschland zu ergreifen. Das war nur möglich, wenn die Reparationskommission Verstöße Deutschlands gegen seine Repa- rationspflicht feststellte. Allerdings sah es zunächst so aus, als trete die von Poincar& ständig angedrohte Besetzung des Ruhr- gebietes in den Hintergrund. Er erklärte in der Kammer und vor den Vertretern der Presse, daß die militärische Besetzung der Ruhr nicht der einzig mögliche Weg sei, von Deutschland materielle Sicherheiten zu erhalten, daß er vielmehr seine Politik der produktiven Pfänder durch administrative Maßnahmen ım Rheingebiet zu verwirklichen suche, _ Schon am 20. Oktober 1922 hatte die französische Delegation bei der Reparationskommission beantragt, Deutschlands .. hafte Verfehlung in bezug auf die Holzlieferungen an Frankreic festzustellen. In der Tat waren die Lieferungen von Holz aus dem Vertrage von Versailles Gegenstand dauernden Streites mit der Kommission gewesen. Die Alliierten behaupteten, daß Deutsch- land dank seines Waldreichtums gerade in Holzlieferungen für den Wiederaufbau Großes leisten könne. Dagegen erklärte die deutsche Regierung, daß das Reich keine eigenen Holzbestände habe, sondern sich an die einzelnen Länder als Besitzer der Waldungen und an den Holzhandel wenden müsse, also ganz von der Marktlage abhängig sei. Wie bei allen re aus dem Vertrage von Versailles spielte auch beim Holz die Preis rage eine große Rolle. Als man schließlich über den Preis einig . worden war, stellte es sich heraus, daß die in dem Be e Kommission für 1922 festgesetzten Mengen nur mit Kan ” zögerung zu liefern waren. Die deutsche Regierung Min liche Angebote mit festen Preisen in. Papiermark ausgeschri 203 aber nicht damit gerechnet, daß infolge der starken Entwertung der Mark im Sommer 1922 niemand zu den festgesetzten Preisen das Holz liefern konnte, Auch hatte sie versäumt, ihr Preis- angebot rechtzeitig der Markentwertung anzupassen. So kam es, daß gegen Ende des Jahres nur ein. Teil der verlangten Holz- mengen geliefert war. Bei den Lieferungen an Frankreich blieben 20000 Kubikmeter Schnittholz und 130000 Telegraphenstangen im Werte von einigen Millionen Goldmark im Rückstand. Am 1. Dezember 1922 wurden deutsche Vertreter vor der Reparationskommission über die Holzlieferungen gehört. Sie er- klärten die Rückstände mit den Folgen der Markentwertung und mit verschiedenen technischen Schwierigkeiten, vor allem damit, daß die von den Alliierten verlangten Typen und Abmessungen im deutschen Holzhandel nicht gebräuchlich seien, versprachen aber Nachlieferung bis 1. April 1923, Die Art und Weise der Verhandlung mit den deutschen Vertretern war unerfreulich, Sie standen mit Recht unter dem Eindruck, als ob der Vorsitzende der Kommission Barthou ihnen mit jeder Frage einen Strick drehen wollte, und waren deshalb in ihren Aeußerungen befangen und gar zu vorsichtig. Die Atmosphäre war bereits mit Gewitter- schwüle geladen, Die Mehrheit der Kommission wollte auch gar keine Verständigung mehr, wenngleich Sir John Bradbury sein Bestes tat, um die Sache in Güte beizulegen. Am 26. Dezember 1922 kam es zum Urteilsspruch. Die Repa- rationskommission stellte einstimmig fest, daß Deutschland die Holzlieferungen an Frankreich für 1922 nicht vollständig erfüllt habe, Sie stellte ferner gegen den Widerspruch des englischen Delegierten fest, daß darin eine schuldhafte Verfehlung Deutsch- lands gegen seine Pflichten liege. Unter Stimmenthaltung des englischen Delegierten wurde beschlossen, dies den beteiligten Regierungen anzuzeigen, aber auch daran zu erinnern, daß die Reparationskommission in ihrer Note vom 21. März 1922 erklärt hatte: „Wenn die Reparationskommission im Laufe des Jahres 1922 findet, daß Sachlieferungen an Frankreich oder an andere Alliierte durch schuldhafte Verfehlung Deutschlands gegen den Vertrag nicht ausgeführt worden sind, werden Ende 1922 ent- 204 sprechende Zuschläge zu den Geldzahlungen von Deutschland als Ersatz der nicht ausgeführten Lieferungen gefordert werden.” Diese Mitteilung an die alliierten Regierungen konnte nur heißen, daß die Kommission ihnen den Weg angab, wie nach ihrer Meinung ein Verstoß Deutschlands gesühnt werden konnte und sollte, Je näher der Tag heranrückte, an dem sich die alliierten Finanzminister wieder in Paris treffen sollten, um so unruhiger wurde die Regierung in Berlin. Sie wollte ihren neuen Reparations- plan durchaus zur Kenntnis der alliierten Konferenz bringen. Am 30, Dezember sandte sie an ihre diplomatischen Vertretungen in Paris, London, Rom und Brüssel telegraphisch die Weisung, den alliierten Regierungen mitzuteilen, daß ein neuer deutscher Repa- rationsplan vorliege, der durch einen bevollmächtigten Vertreter der deutschen Regierung der Konferenz in Paris auf Wunsch mit- geteilt werden solle, Dies wurde der französischen Regierung durch den deutschen Botschafter am 1. Januar 1923 offiziell über- mittelt, Es ist wichtig, das festzustellen, weil Poincare in einer Rede am 23. April 1923 behauptet hat, das deutsche Angebot für die Pariser Januarkonferenz sei nachträglich erfunden. 205 ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL DIE PARISER KONFERENZ VOM 2.BIS 4 JANUAR 1923 Ich traf am 2, Januar 1923 in Paris mit dem Auftrag ein, mich zur Verfügung der Konferenz zu halten, falls sie die Absicht habe, den deutschen Plan kennenzulernen. Auf vertrauliche Er- kundigung bei der Reparationskommission erhielt ich den Rat, mit der Bekanntgabe des Planes noch zurückzuhalten und die Entwicklung der nächsten Tage abzuwarten. Zugleich sagte man mir, es bestehe wenig Aussicht, daß ich von der Konferenz über den deutschen Plan gehört würde; Frankreich würde vielleicht der deutschen Regierung anheimstellen, ihre Vorschläge schriftlich einzureichen, Es blieb mir daher, wenn ich nichts verderben wollte, nur übrig, ruhig zu warten, bis die Konferenz etwa den Wunsch äußern würde, den deutschen Plan kennenzulernen. Dazu ist es bei der Schnelligkeit, mit der die Konferenz abgebrochen wurde, nicht gekommen, Keine der alliierten Regierungen hat die Mitteilung, daß die deutsche Regierung bereit sei, ihren Plan vor- zulegen, irgendwie beantwortet, Bei Eröffnung der Konferenz am 2. Januar wurde von jeder beteiligten Regierung mit Ausnahme der belgischen ein Repa- rationsplan vorgelegt. Der englische Plan wollte die Reparation zugleich mit den europäischen interalliierten Schulden regeln. Die deutsche Schuld sollte auf der Grundlage der Vorschläge festgesetzt werden, die Sir John Bradbury bereits seit einiger Zeit ausgearbeitet hatte. Danach hatte Deutschland an Stelle der 132 Milliarden des Londoner Zahlungsplanes neue Obligationen in Höhe von 206 50 Milliarden Goldmark der Reparationskommission zu über- geben. Diese sollten mit 5 Prozent jährlich verzinslich und am 31, Dezember 1954 zu pari rückzahlbar sein. Die Zinsen waren für die ersten vier Jahre (bis zum 1. Januar 1927) ganz zu stunden, für die darauffolgenden vier Jahre nur mit 4 Prozent zu zahlen, Für den Kapitalwert der gestundeten Zinsen sollte Deutschland am 1. April 1933 weitere fünfprozentige Obligationen in Höhe von 17,31 Milliarden Goldmark ausgeben, die am 31. März 1965 zu pari rückzahlbar waren. Doch sollte ein auf Antrag der deutschen Regierung einzusetzendes Schiedsgericht vor dem 1. April 1933 darüber entscheiden, ob und inwieweit die Nach- zahlung der gestundeten Zinsen innerhalb der Leistungsfähigkeit Deutschlands liege. Danach stellten sich die jährlichen Gesamt- leistungen Deutschlands wie folgt: Für die ersten vier Jahre. . . nichts Für weitere vier Jahre . ‚ je 2 Milliarden Goldmark Für die folgenden zwei Jahre . je 2% Milliarden Goldmark Nach zehn Jahren 3% Milliarden Goldmark oder eine geringere Summe, je nach der Entscheidung des Schiedsgerichts, mindestens aber 2% Milliarden. Zur Ueberwachung der deutschen Finanzen war ein Finanzaus- schuß in Berlin vorgesehen, bestehend aus Vertretern Englands, Frankreichs, Belgiens und Italiens sowie einem amerikanischen und einem neutralen Mitglied. Der deutsche Finanzminister sollte den Vorsitz führen, aber nur bei Stimmengleichheit mitstimmen, Er sollte verpflichtet sein, dem Rat des Finanzausschusses in allen Fragen der Währungsgesetze, des Haushalts und der Steuer- gesetze, der allgemeinen Finanzverwaltung, der Kapitalflucht und des Devisenverkehrs Folge zu leisten. Der Finanzausschuß sollte die deutsche Verwaltung so weit wie möglich in deutschen Händen lassen und jede Initiative in Einzelheiten der Gesetzgebung ver- meiden. Er sollte das Recht haben, den Beginn der Jahres- leistungen von 2 Milliarden bis zu zwei Jahren vorzudatieren und auch die weiteren Zahlungen verschieden zu regeln, ohne jedoch 207 die deutsche Gesamtschuld zu erhöhen. Eine fortlaufende Tilgung der deutschen Schuld war im Plane nicht vorgesehen. Dafür war es Deutschland gestattet, die 50 Milliarden Obligationen auf Basis eines Rediskontsatzes einzulösen, der von ursprünglich 8, v. H. allmählich auf 5 v. H. herabging. Der Kapitalwert der gesamten deutschen Leistungen stellte sich hiernach, wie der Plan selber berechnete, auf 37 bis 39% Milliarden Goldmark. Damit sollten alle deutschen finanziellen Verpflichtungen aus dem Vertrage von Versailles, also nicht nur die Reparation, sondern auch Besatzungs- kosten, Schulden im Ausgleichsverfahren, Kosten der Kom- missionen usw. abgegolten sein. Die Sachlieferungen Deutschlands sollten während der ersten vier Jahre von den empfangenden Ländern bar bezahlt oder auf ein Mindestmaß — Koks an Frank- reich, Kohlen an Italien, vielleicht auch Farbstoffe — ermäßigt werden. Die Reparationskommission war aufzulösen oder nur noch als richterliche Instanz zu belassen. Deutschland hatte sofort seine Währung und seinen Haushalt zu ordnen, Bei Nichterfüllung der Bedingungen des Planes sollte es allen Maßnahmen unterworfen sein, die von den alliierten Mächten einstimmig als notwendig erachtet würden, einschließ- lich militärischer Besetzung weiterer deutscher Gebiete, Der englische Plan schiug ferner einen Ausgleich der inter- alliierten Schulden vor, die während des Krieges zwischen den europäischen Alliierten entstanden waren. Die amerikanischen Forderungen an Europa blieben natürlich außer Betracht, Aber auch die Anleihen, welche den Alliierten nach Kriegsschluß ge- geben waren, sollten in Kraft bleiben, Für die Streichung seiner Kriegsforderungen verlangte Eng- land: 1. die Aufhebung des belgischen Prioritätsrechts auf Repa- ration, 2, das Anerkenntnis Frankreichs und Italiens, daß die von ihnen während des Krieges in England hinterlegten Gold- depots als verfallen gelten sollten. Es handelte sich bei Frank- reich um etwa eine Milliarde Goldmark, bei Italien um etwa 400 Millionen Goldmark. Das Gold war während des Krieges im Einvernehmen zwischen den beteiligten Ländern nach Amerika verkauft worden, so daß in Wirklichkeit kein Depot mehr in Eng- 208 land bestand. Diese Tatsache wurde damit zum erstenmal öffent- lich bekanntgegeben. Uebrigens wird das französische Golddepot in England noch heute im Ausweis der Bank von Frankreich als Gold im Ausland aufgeführt. Außerdem sollte Frankreich seinen Anteil an den deutschen Obligationen, die zur Bezahlung der belgischen Kriegsschuld be- stimmt waren, an England abtreten. Ebenso sollte Italien 1% Milliarden Goldmark deutscher Obligationen an England übertragen, Auch für den Ausgleich der Schulden zwischen den sogenannten kleinen Alliierten waren Bestimmungen getroffen. Der französische Plan erklärte: Frankreich lehnt es ab, seinen Anteil an den Zahlungen ver- ringern zu lassen, die Deutschland nach dem Londoner Zahlungs- plan schuldet. Eine Ermäßigung der deutschen Schuld kommt nur dann in Frage, wenn andere Alliierte ihren Anteil an der Reparation zugunsten Frankreichs abändern oder ein Vorrecht für den Wiederaufbau der zerstörten Gebiete zugestehen. Frank- reich wird Zinsen oder Kapital seiner interalliierten Schulden erst bezahlen, wenn durch deutsche Leistungen sämtliche Aus- gaben für den Wiederaufbau der zerstörten Gebiete gedeckt sind. Diese Ausgaben entsprechen ungefähr dem französischen Anteil an den Obligationen A und B des Londoner Zahlungs- plans, also 52 Prozent von 50 Milliarden = 26 Milliarden Goldmark. | Unter dieser Voraussetzung ist Frankreich bereit, von seinem Anteil an den Obligationen C des Londoner Zahlungsplans einen Betrag in Höhe seiner Schuld an die Alliierten abzutreten. Es will auch den Rest der ihm zustehenden Obligationen C annul- lieren, wenn alle Alliierten dies gleichfalls tun. Ein Moratorium kann Deutschland nur auf zwei Jahre und nur in beschränktem Umfange zugestanden werden. Deutschland muß aber auch während des Moratoriums 1. die Kosten für die Besatzungs- truppen und für die interalliierten Kommissionen weiterzahlen, 2. die vertraglichen Sachlieferungen machen, 3. die sonstigen Zahlungen für die Ausgleichsämter, Schiedsgerichte usw. leisten Bergmann, Der Weg der Reparation 14 209 und die Rücklieferungen vornehmen und außerdem 4. bestimmte Barzahlungen für die Reparation leisten. Zur Sicherung dieser Leistungen werden Pfänder bestellt. Die Kohlenlieferungen werden durch eine interalliierte Kontroll- kommission in Essen unter französischem Vorsitz überwacht. Die Kontrollkommission erhält das Recht, dem Kohlensyndikat und der deutschen Verkehrsverwaltung Befehle zu erteilen. Die alliierten Regierungen können in den Staats- und Gemeindeforsten - des besetzten Gebietes Holz einschlagen lassen. Für die Sach- lieferungen darf unter Kontrolle der Rheinlandkommission im besetzten Gebiet und im Ruhrbezirk requiriert werden, soweit Deutschland mit den Lieferungen im Rückstand bleibt. Von der Ausfuhr aus dem besetzten Gebiet und dem Ruhrbezirk werden Abgaben in Devisen erhoben. Die Zolleinnahmen und die Kohlen- steuer im besetzten Gebiet und im Ruhrbezirk werden für Rech- nung der Alliierten beschlagnahmt; ein Teil davon ist in Devisen zu erheben. Der französische Plan berechnete die deutschen Jahres- leistungen für die Reparation während des Moratoriums auf mindestens eine Milliarde Goldmark. Tatsächlich würden sie viel höher gewesen sein, weil auch die Kosten für die Besatzung, für die Ausgleichsämter, für Rücklieferungen usw. von Deutschland zu tragen waren, Jeder Verstoß Deutschlands gegen das vorgesehene Pro- gramm sollte automatisch folgende Sanktionen nach sich ziehen: 1. Militärische Besetzung der Bezirke von Essen und Bochum und sonstiger Teile des Ruhrbeckens, die Marschall Foch bestimmen würde, 2. die Errichtung einer Zollgrenze östlich der gesamten besetzten Gebiete. Es ist nicht möglich, zu berechnen, welchen Jetztwert die deutsche Gesamtschuld nach den französischen Vorschlägen gehabt haben würde, da zu dem Mindestbetrag der eigentlichen Reparationsschuld von 50 Milliarden Goldmark noch die jähr- lichen Besatzungskosten von 220 Millionen Goldmark und die sonstigen der Höhe nach unbestimmten Nebenleistungen aus dem Vertrage von Versailles treten sollten. 210 Der italienische Plan schloß sich an die Gedanken an welche Mussolini, der in Paris nicht anwesend war, bereits 9 der Londoner Zusammenkunft im Dezember 1922 entwickelt hatte Für jede Ermäßigung der deutschen Schuld wurde ein ange messener Ausgleich der interalliierten Schulden durch England verlangt, Mit dieser Maßgabe sollte die Reparationsschuld auf >0 Milliarden Goldmark verringert werden, Gegen Gewährung eines zweijährigen Moratoriums sollte Deutschland unverzüglich eine Anleihe von mindestens 3 Milliarden Goldmark aufnehmen. Ein Teil davon war nach den Vorschlägen der im November 1922 nach Berlin berufenen Sachverständigen zur Stabilisierung und Besserung der Mark zu verwenden, der Rest unter die Repa- rationsgläubiger zu verteilen. Die deutschen Banken und die deutsche Industrie sollten die Unterbringung der Anleihe von 3 Milliarden Goldmark garantieren. Nach Ablauf des Mora- toriums und nach Wiederherstellung des deutschen Kredits sollte Deutschland die Reparationszahlungen mit Hilfe großer Anleihen aufnehmen. Für schnelle Abzahlung war ein stärkerer Rediskont vorgesehen. Auch der italienische Plan schlug, abgesehen von der allgemeinen Kontrolle der vertraglichen Sicherheiten, be- sondere Pfänder vor, nämlich unmittelbare Zollerhebung durch die Alliierten an der äußeren Rheinlandgrenze, Kontrolle der staatlichen deutschen Forstverwaltung und der Staatsbergwerke im Ruhrgebiet, Die Bekanntgabe des englischen Planes erregte innerhalb und außerhalb der Konferenz gewaltiges Aufsehen. Er stieß alle Alliierten vor den Kopf, weniger durch die vorgeschlagene Regelung der Reparation als durch die Opfer, welche er von den Verbündeten Englands verlangte. Belgien fühlte sich gekränkt durch die Zumutung, es solle seine Priorität aufgeben, die ihm das Recht auf die nächste Milliarde Goldmark aus der Reparation sicherte, Frankreich und Italien nahmen besonderes Aergernis an dem Verlangen, daß ihre Golddepots in England verfallen sein sollten, In der Konferenz waren alle nichtenglischen Vertreter sofort darüber einig, daß der englische Plan vollständig unannehmbar er 211 sei. Poincar& warf Bonar Law vor, daß sein Vorschlag in vielen Punkten gegen den Vertrag von Versailles verstoße, ja ihn voll- kommen umstürze, Auch erklärte er, daß der englische Plan die deutschen Zahlungen auf eine unerträglich niedrige Ziffer herab- setze, Bei sofortiger Abzahlung der Gesamtschuld komme Deutschland mit 27 Milliarden Goldmark weg. Dann würde Frankreich weniger erhalten, als seine eigene Schuld in Amerika betrage, und für den Wiederaufbau der zerstörten Gebiete würde nichts übrig bleiben. Ebenso scharfe Kritik übte Bonar Law an dem französischen Plan. Seine Durchführung würde den deutschen Kredit vollends zerstören und eine geregelte Reparation unmöglich machen. Man müsse wählen zwischen der Hoffnung auf künftige erhebliche Zahlungen Deutschlands, wie sie der englische Plan vorsehe, und der Gewißheit, daß nach einer kurzen Periode, in welcher unter dem französischen Plan einige beschränkte Zahlungen von Deutschland erzwungen werden könnten, die Möglichkeit der Reparation überhaupt zunichte gemacht werde, Das Moratorium, das Frankreich zugestehen wolle, sei in Wirklichkeit nicht des Namens wert, weil es von Anfang an Jahresleistungen von Deutschland fordere, die sich auf etwa 1% Milliarden Goldmark stellten. Die erregten Verhandlungen zwischen den Alliierten dauerten nur zwei Tage, Schon am 4. Januar wurde die Konferenz ergebnis- los abgebrochen. Die Vertreter der Alliierten wechselten schließ- lich höfliche Redensarten, in denen sie den negativen Ausgang der Zusammenkunft bedauerten und sich gegenseitig die Fort- dauer der freundschaftlichen Beziehungen zusicherten. In Wirk- lichkeit hatte jedoch die Konferenz von Paris die tiefgehende Zwietracht unter den Alliierten, vor allem zwischen Frankreich und England, zum offenen Ausdruck gebracht. Bedeutsam war die Schlußerklärung Poincares, daß Frankreich nunmehr seine Aktionsfreiheit wiedergewinne, um den Vertrag, den man unter- zeichnet habe, zur Ausführung zu bringen. In der allgemeinen Aufregung dachte keiner der Alliierten mehr daran, daß auch ein deutscher Reparationsplan bestand, zu 212 dessen Bekanntgabe ich in Paris anwesend war, Diesen Plan ohne Aufforderung vorzulegen, wäre nicht nur ein $rober taktischer Fehler, sondern auch den deutschen Interessen sehr schädlich gewesen. Schon der englische Plan, der immerhin von einer ‚deutschen Gesamtleistung von 50 Milliarden Goldmark ausging war von den übrigen Alliierten als unannehmbar bezeichall worden. Wie hätte es möglich sein können, einen besseren Ein- druck mit den deutschen Vorschlägen zu machen, die naturgemäß weit hinter dem englischen Plan zurückblieben! Der deutsche Plan für Paris, dessen Träger ich war, ist nie veröffentlicht worden, Er sei hier aber wenigstens in seinen Grundzügen angegeben: Deutschland erbot sich, alsbald eine internationale Anleihe von 20 Milliarden Goldmark aufzunehmen, die mit 5 Prozent zu verzinsen und mit 1 Prozent zu tilgen war. Aus dem Erlös der Anleihe war der Zinsendienst für die ersten vier Jahre zu be- streiten. Die Tilgung der Anleihe sollte nach vier Jahren beginnen. Ein Teil der Anleihe war in Deutschland selbst zu begeben. Davon sollte die Hälfte des Erlöses für die eigenen deutschen Bedürf- nisse, vor allem für die Stabilisierung der Mark Verwendung finden, Soweit die 20 Milliarden bis zum 31. Dezember 1926 nicht im Wege der Anleihe begeben sein würden, sollten sie von da ab mit 5 Prozent verzinst und mit 1 Prozent getilgt werden. Deutschland erklärte sich ferner bereit, falls seine Leistungs- fähigkeit es zulassen würde, nach dem 1. Januar 1927 eine weitere Anleihe von 5 Milliarden Goldmark für Reparationszwecke auszugeben, die ebenfalls mit 5 Prozent zu verzinsen und mit 1 Prozent zu tilgen war. Die Fähigkeit zu. dieser Leistung sollte dann erwiesen sein, wenn das Finanzkonsortium, welches die erste große Anleihe begeben haben würde, die weiteren 5 Milliarden im Ausland durch öffentliche Zeichnung auf den allgemeinen Kredit des Reiches hin zu normalen Bedingungen unterbringen könne, Nach dem 1, Januar 1931 würde Deutschland unter den gleichen Bedingungen eine dritte Anleihe von 5 Milliarden Gold- mark begeben. Deutschland versprach, dem Anleihekonsortium 213 . jede vernünftige Sicherheit einzuräumen. Die Einzelheiten darüber sollten der Verhandlung mit dem Anleihekonsortium vorbehalten bleiben. Deutschlands Industrie- und Bankwelt werde trotz ihrer Bedenken, ob das Angebot die Leistungsfähigkeit Deutschlands nicht schon überschreite, die Regierung bei der Durchführung des Planes unterstützen. Die Regierung werde die gesetzlichen Maß- nahmen treffen, die zur Heranziehung aller schaffenden Kräfte und Erwerbsstände des Volkes notwendig seien. Im übrigen stellte sich der Plan auf den Boden des deutschen Angebots vom 14. November 1922, Wären diese Vorschläge in der gereizten Stimmung, die im Verlaufe der Konferenz entstanden war, den Alliierten bekannt- gegeben worden, so konnte man nach allen Erfahrungen mit den früheren deutschen Angeboten bestimmt erwarten, daß die ent- | TEIL UI zweiten Alliierten in heller Empörung über die deutsche „An- maßung‘ sich wieder in gemeinsamem Strafzuge gegen Deutsch-_ DIE BESETZUNG DES RUHRGEBIETS land geeinigt haben würden. | 214 | | : : | z DREIUNDZWANZIGSTES KAPITEL GEWALT UND PASSIVER WIDERSTAND Sofort nach dem Abbruch der Konferenz von Paris sprach alle Welt von der Besetzung des Ruhrgebiets wie von einer nun unvermeidlichen Sache, Man hat sich in jenen Tagen nicht klar gemacht, welcher logische Unsinn darin lag, daß deutsches Gebiet von den Alliierten gewaltsam besetzt werden sollte, weil sie unter sich nicht zu einer Einigung über die Reparation und ihre internen Schuldverhältnisse kommen konnten, Deutschland selber war von Rechts wegen gar nicht im Spiele. Es handelte sich durch- aus nicht darum, daß die deutsche Regierung durch irgendeine Handlung oder Unterlassung den Zorn der alliierten Mächte heraufbeschworen hatte, der sich durch neue Strafmaßnahmen Luft machen mußte. Deutschland war überhaupt nicht aufge- fordert worden, sich auf der Konferenz irgendwie zu äußern. Ohne sein Zutun waren die politischen Gegensätze zwischen England und Frankreich auf der Pariser Konferenz zu feindseligem Aus- bruch gekommen. Daß Deutschland für diesen Streit zwischen den Alliierten, für den es doch nichts konnte, in so schrecklicher Weise büßen mußte, das ist eine der schlimmsten Ungerechtigkeiten, welche die Weltgeschichte aufzuweisen hat. Der Schwache stand dabei, als die Starken sich stritten, und bekam die Prügel. Belgische und englische Mitglieder der Reparationskommission überlegten schon am 5. Januar 1923 mit mir in Paris, was Deutschland im Falle der Ruhrbesetzung tun solle. Sie rieten mir, Deutschland solle die Reparationskommission um eine authentische Feststellung ersuchen, ob die Besetzung innerhalb 217 der alliierten Vertragsrechte liege. Ein solcher Spruch der Kom- mission müsse einstimmig sein und die Einstimmigkeit würde wahrscheinlich nicht erzielt werden. Wenn aber die Kommission sich der verlangten Feststellung entziehen würde, solle Deutsch- land seine zeitweilige Aufnahme in den Völkerbund beantragen und den Völkerbund zum Schiedsspruch auffordern. Es sei etwas anderes, ob Deutschland allein den Einmarsch für rechtswidrig erkläre oder ob es durch die öffentliche Meinung der Welt unter- stützt werde, Die deutsche Regierung hat von diesen Ratschlägen, deren Nutzen immerhin recht fraglich war, keinen Gebrauch gemacht. Frankreich wollte diesmal die sofortige Besetzung. Das ging aus allem hervor, Wie aber kam Poincare, der Zauderer, gerade jetzt zu dem Entschluß, die Drohung auszuführen, mit der er so lange gefuchtelt hatte, daß ihm zuletzt selber davor bange ge- worden war? Hier liegt ein psychologisches Rätsel vor, das schwer zu lösen ist. Nach dem Abbruch der Pariser Konferenz steckte Poincare in einer bösen Klemme, Durch den offenen Streit mit England war der Wagen der Reparation hoffnungslos fest- gefahren. Nun mußte Frankreich versuchen, die Reparation auf eigene Faust zu betreiben. Das schien nur auf dem Wege eines Gewaltstreichs möglich. Die Entscheidung über die Besetzung der Ruhr soll wie folgt gefallen sein: Poincare ging in seiner Not zu Millerand, dem Präsidenten der Republik, um sich Rat zu holen, Millerand, all- zeit unter dem Einfluß der lothringischen Hüttenleute um de Wendel, die in der Besetzung der Ruhr ein treffliches Mittel zum gesicherten Bezuge der für ihre Betriebe nötigen Mengen von Koks und Kohle sahen, erklärte Poincare, nun müsse er endlich Ernst mit der Ruhrbesetzung machen, die er so lange im Munde geführt habe, Poincar& aber schwankte noch immer. Erst als der Verkehrsminister Le Trocquer, ein nationalistischer Heißsporn, der ständig für die Besetzung eingetreten war, ihm an der Hand von Zahlen nachwies, daß der seit Monaten ausgearbeitete Plan einer französischen Zwangsverwaltung im Ruhrgebiet unter militä- rischem Schutz große und sichere Reparationsgewinne abwerfen 218 ME x u N PR — BJ iu x * > - N We PR. S Ban ut Bl, us £ 5 u a en EEE BE 7 15” 5 Se ae 2, RE. : 06.22 Kr u en . a ee ENTER müsse, ließ sich Poincar& zu dem gefürchteten Entschluß be- stimmen, Ich kann nicht verbürgen, daß sich der Vorgang genau so abgespielt hat. Die Geschichte ist mir aber von unterrichteter Seite erzählt worden und klingt recht wahrscheinlich. Wie dem auch sei, Frankreich beantragte bei der Reparations- kommission, schleunigst die Verfehlung Deutschlands in den Kohlenlieferungen festzustellen. Denn die Besetzung des Ruhr- gebiets mußte, wenn die Rechtsform gewahrt bleiben sollte, als eine Vertragsstrafe für den Verstoß Deutschlands gegen seine Reparationspflicht konstruiert werden. Dazu war nötig, daß die Reparationskommission eine solche Schuld feststellte und Anzeige an die alliierten Mächte erstattete, Diese waren dann auf Grund des $ 18 Anhang II zu Teil VIII des Vertrages von Versailles berechtigt, wirtschaftliche und finanzielle Sperr- und Vergeltungs- maßregeln zu ergreifen und überhaupt alle Schritte zu unter- nehmen, die sie durch die Umstände für geboten hielten. Die fran- zösische Regierung stand von jeher auf dem Standpunkt, daß zu diesen Maßnahmen auch die Besetzung weiteren deutschen Ge- bietes gehöre, und daß jede einzelne verbündete Regierung auf eigene Faust handeln könne, Wir werden auf diese Rechtsfrage später noch etwas näher einzugehen haben. Wie wir wissen, hatte die Reparationskommission wenige Tage zuvor eine Verfehlung Deutschlands in den Holzlieferungen festgestellt und zwar gegen die Stimme des englischen Dele- gierten. Auf diese Schuld allein aber ließ sich selbst nach Ansicht der französischen Regierung die Strafe der Ruhrbesetzung nicht aufbauen, da der Gegenstand zu geringfügig war. Außerdem konnte man die Holzlieferungen durch die Beschlagnahme des Ruhrgebiets nicht bessern. Im Ruhrgebiet gab es kein Holz, wohl aber viel Kohle, Und Frankreich wollte noch mehr Kohle, noch viel mehr Koks, als es bisher bekam. Daher mußte Deutschland auf dem Gebiet der Kohlenlieferungen für schuldig erklärt werden. Es war in der Kohlenfrage nach den Stürmen der ersten Jahre ziemlich ruhig geworden. Die Reparationskommission setzte letzt- hin das Lieferungsprogramm für die Kohlen in Höhe von etwa 219 1 700 000 Tonnen im Monat fest und Deutschland lieferte ständig etwa 10 Prozent weniger. Natürlich gab es von Zeit zu Zeit immer noch Beschwerden über mangelhafte Lieferung nach Menge und Sorten. Die deutsche Regierung erklärte dann regelmäßig, daß die einzelnen Kohlensorten, vor allem Koks, nicht in den ver- langten Mengen verfügbar seien. Dabei blieb es dann in den meisten Fällen und im allgemeinen wurde der Zustand von beiden Seiten als erträglich angesehen. Die Reparationskommission dachte bis zur Pariser Konferenz nicht daran, gerade aus der Kohlen- irage einen Konflikt herzuleiten. Für die ersten elf Monate des Jahres 1922 hatte, wie eine Denkschrift der französischen Regierung vom 2. Januar 1923 angab, die Reparationskommission für Frankreich und Luxemburg zusammen 13 864100 Tonnen angefordert, Davon hatte Deutschland 84,4 Prozent, nämlich 11 710365 Tonnen tatsächlich geliefert. Nach deutschen Angaben war mehr, nämlich 89 Prozent geleistet, In den letzten drei Monaten waren die deutschen Lieferungen noch über diesen Prozentsatz hinaus gestiegen. Trotz alledem mußte die Kohle dazu herhalten, den Rechtsgrund für die Ruhrbesetzung zu schaffen. Alle anderen Beschwerden über mangelhafte deutsche Lieferungen, welche die genannte französische Denkschrift auf- zählt, betrafen Dinge minderer Bedeutung — Stickstoff, Pflaster- steine und Wasserbauarbeiten gemäß dem großen Programm von Le Trocquer. Sie waren auch zu unbestimmt und zu wenig be- gründet, Man konnte vor der Welt die Besetzung des Ruhrgebiets mit seinen reichen Kohlenschätzen am besten durch ungenügende Belieferung Frankreichs mit deutschen Kohlen rechtfertigen, Die Reparationskommission stellte am 9, Januar 1923 gegen die Stimme des britischen Delegierten die schuldhafte Ver- fehlung Deutschlands in der Kohlenfrage fest. Formell war die Kommission in ihrem Recht, denn Deutschland hatte in der Tat nicht alle verlangten Mengen geliefert. Die Kommission hatte aber den beständigen Ausfall in den Lieferungen, der, wie gesagt, etwas mehr als 10 Prozent betrug, viele Monate hindurch still- schweigend geduldet. Sie war sich dessen bewußt, daß ihre An- forderungen sehr scharf an die Grenze der überhaupt möglichen 220 Leistung herangingen, Deshalb durfte sie sich nicht dazu her- geben, die Kohlenfrage auf einmal als Vorwand zu benutzen, um die militärische Besetzung des wichtigsten deutschen Industrie- gebietes zu rechtfertigen, Alle Mitglieder der Reparations- kommission ohne Ausnahme waren sich auch darüber klar, daß die Besetzung ein politisches Zwangsmittel war und zu einer wirtschaftlichen Katastrophe führen mußte, Gerade die Repa- rationskommission war durch den Vertrag von Versailles dazu berufen, die wirtschaftliche Gesundheit Deutschlands zu wahren, damit es in der Lage blieb, Reparation zu leisten, Sie wußte genau, was auf dem Spiel stand, als sie die Schuld Deutschlands in der Kohlenfrage feststellte, Sie erniedrigte sich damit von einer wirtschaftlich unabhängigen Behörde zu einem politischen Werk- zeug der französischen Regierung. Der britische Delegierte war das einzige Mitglied der Kommission, das offen gegen die Ent- scheidung Stellung nahm. Mehrere andere Mitglieder der Kommission standen dabei sicherlich in einem schweren Gewissenskampf. Sie mußten unter politischem Druck so handeln, wie es ihre Regierung verlangte, um die guten Beziehungen mit dem mächtigen Frankreich auf- rechtzuerhalten. Schon am 11. Januar 1923 rückten französische und belgische Truppen in das Ruhrgebiet ein. Der Einmarsch wurde der deutschen Regierung durch gleichlautende Noten Frankreichs und Belgiens mitgeteilt, Es hieß darin: Wegen der Verfehlung Deutschland in der Holz- und Kohlen- frage sei beschlossen worden, eine Kontrollkommission von Ingenieuren in das Ruhrgebiet zu entsenden, um die Tätigkeit des Kohlensyndikats zu überwachen, die strikte Durchführung des Lieferungsprogramms zu sichern und alle für die Bezahlung der Reparation erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, Die italienische Regierung habe gleichfalls beschlossen, sich durch Entsendung von Ingenieuren an der Mission zu beteiligen. Die ‚Alliierten hätten im Augenblick nicht die Absicht, zu einer militärischen Operation oder zu einer Besetzung politischer Art zu schreiten. Sie ließen nur die zum Schutze der Mission 221 nötigen Truppen einrücken, Im normalen Leben der Bevölkerung werde keine Störung und keine Veränderung eintreten. Die deutsche Regierung habe das größte Interesse daran, die Arbeit der Mission und die Unterbringung der Truppen zu erleichtern. Notfalls würden: jedoch Zwangs- und Strafmaßnahmen ergriffen werden, Die Kontrollkommission für die Bergwerke und Fabriken sei ermächtigt, im besetzten Gebiet Auskünfte aller Art von jeder- mann einzufordern, Bureaus, Gruben, Fabriken, Bahnhöfe usw. zu betreten und alle Dokumente, kaufmännischen Bücher und Statistiken einzusehen. Das Personal der deutschen Verwaltung und die Vertreter der deutschen Industrie- und Handelsverbände sollten sich zur Vermeidung schwerer Strafen der Mission zur Verfügung stellen und nach ihren Befehlen handeln. Vom 11, Januar 1923 ab würde die bisher vom Kohlensyndikat vorge- nommene Verteilung von Kohlen und Koks den Anordnungen der Kontrollkommission unterliegen. In erster Linie seien die alliierten Länder und das linksrheinische besetzte Gebiet zu be- liefern. Auch die neu besetzten Gebiete sollten ausreichend ver- sorgt werden. | Von den Bedürfnissen des unbesetzten Deutschland war keine Rede. Das Kohlensyndikat hatte die Ankunft der Kontrollkommission und der Truppen nicht abgewartet. Es war mit seinen gesamten Akten kurz vor dem Einmarsch nach Hamburg übergesiedelt. Die deutsche Regierung unterwarf sich, wie vorauszusehen war, den Anordnungen der besetzenden Mächte nicht. In ihrer Antwortnote vom 12, Januar erklärte sie, daß sie den Schleier zerreißen müsse, den Frankreich und Belgien über den wahren Charakter der Besetzung zu werfen suchten. Diese verletze das Völkerrecht und den Vertrag von Versailles. Die Schwere des Vertragsbruchs sei nicht damit zu verhüllen, daß man der Aktion einen friedlichen Namen gebe. Die Grenze des unbesetzten deutschen Gebiets sei durch eine Armee in kriegsmäßiger Zu- sammensetzung und Bewaffnung überschritten. Das kennzeichne eine militärische Aktion. Die deutsche Regierung erhebe gegen die Gewalt, die einem wehrlosen Volke angetan werde, vor der 222 ganzen Welt feierlichen Protest, Sie könne sich gegen Gewalt nicht wehren, lehne es aber ab, sich dem Friedensbruch zu fü n oder gar bei der Durchführung der französisch-belgischen Ab sichten mitzuwirken. Die Verantwortung für alle Folgen falle allein auf die Regierungen, die den Einmarsch vollzogen hätten Diese Folgen zeigten sich bereits in einer weiteren Entwertung der Mark und in einer sprunghaften Steigerung aller Preise in Deutschland. Solange der vertragswidrige Zustand und seine Folgen andauerten, sei Deutschland nicht in der Lage, Leistungen an die Mächte zu bewirken, die jenen Zustand herbeigeführt hätten, | | | Der deutsche Botschafter in Paris und der deutsche Gesandte in Brüssel verließen ihre Posten. Die diplomatischen Beziehungen mit Frankreich und Belgien wurden durch Geschäftsträger weiter- geführt, Durch Bekanntmachung vom 13, Januar 1923 wurden die Sachleistungen an Frankreich und Belgien eingestellt. Der Reichs- kohlenkommissar hatte am 11. Januar 1923 allen Zechen des Ruhrgebiets mitgeteilt, daß das Deutsche Reich für Lieferung und Transport von Reparationskohle an Frankreich und Belgien keine Zahlungen mehr leiste. Einige Tage darauf verbot er den Zechen ausdrücklich die Lieferung von Kohle und Koks an Frankreich und Belgien selbst für den Fall, daß die Alliierten die Lieferungen selbst bezahlen oder bevorschussen sollten. Am 19, Januar 1923 erging an alle Beamten des Reiches und der Länder im besetzten Gebiet die Weisung, den Befehlen der besetzenden Mächte keine F olge zu geben, sondern sich ausschließlich an die Vorschriften der eigenen Regierung zu halten. Am gleichen Tage ordnete der Reichsverkehrsminister an, daß das deutsche Eisenbahnpersonal in den besetzten Gebieten den Befehlen des französischen Ober- kommandeurs nicht nachzukommen habe, und daß es den Beamten und Arbeitern verboten sei, Kohle für Frankreich und Belgien zu befördern. | | Es war in der Tat ein Zustand des Krieges, nur daß dem Vorrücken der französischen und belgischen Truppen kein mili- tärischer Widerstand geleistet wurde, Die Besetzung beschränkte 223 sich nicht, wie ursprünglich wohl vorgesehen war, auf den Bezirk von Essen, den Mittelpunkt des Ruhrkohlengebiets, sondern wurde binnen wenigen Tagen nach Norden und Süden sowie auf die Bezirke von Bochum und Dortmund ausgedehnt, Schließ- lich war fast das gesamte Kohlengebiet der Ruhrgegend in den Händen der Franzosen und Belgier. War die Besetzung der Ruhr rechtmäßig oder nicht? Diese Frage ist von allen Seiten mit mehr oder weniger Leidenschaft erörtert worden, Das Recht der Besetzung wurde auf gewisse Bestimmungen des Vertrages von Versailles gestützt. Prüft man diese ohne Vorurteil, so ergibt sich, daß der Vertrag Frankreich und Belgien kein Recht zur Besetzung gibt. Der Einmarsch in fremdes Gebiet ist die schärfste Maßnahme gegen einen souveränen Staat. Er führt an sich den Kriegszustand herbei. Wenn der bekannte $ 18 Anhang II zu Teil VIII des Vertrages von Versailles davon spricht, daß bei einem Verstoße Deutsch- lands gegen seine Reparationspflicht außer wirtschaftlichen und finanziellen Zwangsmaßregeln auch sonstige Schritte unter- nommen werden dürfen, so kann die Besetzung weiterer deutscher Gebiete damit nicht gemeint sein. Von der Besetzung deutschen Gebiets handelt ein besonderer Abschnitt des Vertrages von Ver- sailles. Nirgends ist da von einer Besetzung über die im Vertrag bestimmten Grenzen hinaus die Rede. Daher ist es nicht möglich, anzunehmen, daß der $ 18, der in dem Abschnitt über Reparation steht, so nebenher in einer unklaren, allgemeinen Bestimmung auch die weitere Besetzung deutschen Gebiets hätte zulassen wollen. Ueberdies hat der Vertrag gerade die Reparation so aufgebaut, daß die Alliierten ihre Ansprüche gegen Deutschland nur gemeinsam geltend machen und verfolgen dürfen. Zu diesem Zwecke ist die Reparationskommission eingesetzt. Wenn Straf- maßnahmen gegen Deutschland ergriffen werden sollen, so müssen sie gemeinsam von den Alliierten beschlossen und durchgeführt werden, Allerdings sagt der $ 18, daß die „betreffenden Re- gierungen (gouvernements respectifs) derartige Maßnahmen ergreifen können. Darunter kann aber nur die Gemeinschaft der in der Reparationskommission vertretenen Regierungen gemeint "224 sein, nicht eine einzelne alliierte Macht, Ein Vorgehen auf eigene Faust würde das gesamte Reparationssystem des Vertrages von Versailles durchbrechen. Von den alliierten Mächten hat die* englische Regierung im Laufe der Zeit immer fester den Standpunkt eingenommen, daß die Besetzung der Ruhr mit dem Vertrage nicht vereinbar und daher rechtswidrig sei. Einen formellen Widerspruch hat sie jedoch zu keiner Zeit erhoben, Sie hat vielmehr aus politischen Rücksichten das französische und belgische Vorgehen gewähren lassen. Im Grunde aber fällt gerade auf England die Mitschuld daran, daß der Gedanke der Besetzung sich weiter entwickeln und verwirklichen konnte. Es muß daran erinnert werden, daß die Regierung von Lloyd George in den Konferenzen von Spa (Juli 1920) und von London (März 1921) sowie im Londoner Ultimatum vom 5. Mai 1921 die Drohung, weiteres deutsches Land, vor allem das Ruhrgebiet zu besetzen, dazu benutzt hat, um von Deutschland Reparationsleistungen zu erzwingen. Lloyd George ist nicht nur bei der Drohung geblieben, er hat sie auch wahr gemacht. Unter seiner Führung sind im März 1921 wegen der Haltung der deutschen Delegation auf der damaligen Lon- doner Konferenz die Städte Düsseldorf, Duisburg und Ruhrort besetzt worden. Und als Deutschland sich dem Ultimatum von London im Mai 1921 unterwarf und damit die Reparation — auf dem Papier — in Ordnung kam, sind zwar nach geraumer Zeit die außerdem noch über Deutschland verhängten Strafmaßnahmen wirtschaftlicher Art aufgehoben worden, aber die Besetzung der drei Städte blieb trotzdem bestehen, Den militärischen Einfall in das Ruhrgebiet haben das deutsche Volk und die deutsche Regierung mit einer Haltung beantwortet, die allgemein als passiver Widerstand bekannt geworden ist. Aus der Tatsache, daß dieser passive Widerstand nach einem halben Jahre zusammengebrochen ist, hat man später der Re- gierung von Dr. Cuno die schwersten Vorwürfe gemacht. Aber man muß gerecht sein. Man darf die Politik des passiven Wider- standes an sich nicht verurteilen. Daß die deutsche Regierung der französischen Gewalt sich nicht unterwarf, sondern entgegen- Bergmann, Der Weg der Reparation 15 225 trat, war sie nicht nur dem Rechtsgefühl des deutschen Volkes, sondern auch dem Ansehen Deutschlands in der Welt schuldig. Allgemeine Verachtung würde Deutschland getroffen haben, wenn es sich ohne Widerstand den Befehlen der französischen Gewalt- haber im Ruhrgebiet gefügt hätte. Deutschland, das sich durchaus im Recht fühlte, würde sich damit selbst ins Unrecht gestellt und die Besetzung des Ruhrgebiets als eine verdiente Strafe für die Nichterfüllung seiner Reparationspflicht hingenommen haben. In den Augen der Welt wäre es damit als ein Land ohne Ehrgefühl gerichtet gewesen. Mit einer glatten Unterwerfung unter die Fremdherrschaft hätte es jeden Anspruch auf politische Selb- ständigkeit verwirkt, Der deutsche Widerstand gegen die Besetzung war daher geboten. Es fragt sich nur, wie er am besten zu organisieren und durchzuführen war. In dieser Hinsicht allerdings hat die deutsche Regierung Fehler begangen. Bei richtiger Leitung hätte das deutsche Volk, das in einem Sturme vaterländischer Begeisterung opferwillig alle Drangsale und Entbehrungen auf sich nahm, den Widerstand gegen die fremde Gewalt besser und länger leisten und vielleicht auch zum guten Ende führen können. Von den Maßnahmen der Regierung im Anfang der Besetzung war manches unnötig und verfehlt. Richtig war es zum Beispiel, die Sachlieferungen für die Reparation einzustellen. Unklug aber war die Begründung, mit der das geschah. Man durfte daraus keine Vergeltung gegen Frankreich und Belgien machen. Man mußte vielmehr die Lieferungen an alle alliierten Länder mit der Begründung einstellen, daß der Einbruch in das Ruhrgebiet die deutsche Wirtschaft und besonders die Kohlenversorgung zer- rüttet und Deutschland damit unfähig zur Reparation gemacht habe. Das hätte der wirklichen Sachlage entsprochen und wäre im Ausland verstanden worden, Ob es richtig war, der deutschen Industrie die Lieferung von Kohle an Frankreich und Belgien ausdrücklich zu verbieten, auch wenn diese die Kohle bezahlten, ist mindestens zweifelhaft. Im ersten Schreck über den unerwarteten deutschen Widerstand hatte die französisch-belgische Mission den deutschen Zechen- 226 besitzern tatsächlich das Angebot gemacht, die Kohle bar zu bezahlen. Das Angebot anzunehmen, wäre ein Akt politischer Klugheit gewesen, Wenn es ehrlich gemeint war, hätte es die besetzenden Mächte an ihrem Geldbeutel, einer sehr empfind- lichen Stelle, getroffen und den wirtschaftlichen Fehler der Ruhr- besetzung von vornherein erwiesen, Und wenn das Angebot eine Finte war, so hätte es Frankreich und Belgien politisch ins Unrecht gesetzt, | Es fragt sich auch, ob es zweckmäßig war, die Eisenbahner im besetzten Gebiet zu geschlossenem Widerstand aufzurufen und alle Reichs- und Staatsbeamten in die Abwehr hineinzuziehen, Das forderte unmittelbar scharfe Gegenmaßregeln heraus und spielte den Gegnern den Betrieb des Eisenbahnnetzes und die Verwaltung des besetzten Gebiets in die Hände, Aus diesen Anordnungen der deutschen Regierung erwuchs der Zwang, für den Unterhalt der stillgelegten Industrien, der verjagten Eisenbahner und der deutschen Beamten im besetzten Gebiet fortlaufend gewaltige Summen aufzuwenden. So entstand eine Last, die selbst bei größter Sparsamkeit im Reich auf die Dauer nicht zu tragen war, die aber mit dem weiteren Verfall der Währung zu baldigem Zusammenbruch führen mußte, Die Zwangsmaßnahmen der besetzenden Mächte ließen nicht auf sich warten. Die interalliierte Rheinlandkommission — das Kontrollorgan der Alliierten im besetzten Gebiet — erließ am 13, und 18. Januar eine Reihe von Verordnungen, welche die Kohlensteuer, die Zölle, die Abgaben von Ein- und Ausfuhr sowie die Einkünfte aus den kommunalen und fiskalischen Wal- dungen mit Beschlag belegten und die Kohlenverteilung voll- kommen der französisch-belgischen Kontrollkommission unter- stellten. Weitere Verordnungen der Rheinlandkommission vom 20. und 25, Februar führten für die Verwaltung der beschlag- nahmten deutschen Einnahmen besondere interalliierte Behörden ein. Bald war das ganze besetzte Gebiet durch Zollgrenzen und Ausfuhrverbote wirtschaftlich vom: unbesetzten Deutschland ab- gesperrt. Gleichzeitig wurde die militärische Besetzung auch über das 15* | 227 Ruhrbecken hinaus so weit vorgeschoben, daß vom unbesetzten Deutschland zu der von englischen Truppen besetzten Kölner Zone kein direkter Zugang mehr blieb, Auch die süddeutschen Rheinhäfen wie Mannheim und Karlsruhe fielen in französische Hände. Die Weigerung der Reichsbahn, die internationalen Züge von Frankreich und Belgien weiterhin durch Deutschland zu leiten, führte Anfang Februar zur Besetzung der wichtigen Eisenbahn- knotenpunkte von Offenburg und Appenweier,. Dadurch wurde die Verbindung zwischen Nord- und Süddeutschland sehr erschwert. Systematisch wurden alle Beamten des besetzten Gebietes und die Angestellten der Eisenbahn, soweit sie den Befehlen der besetzenden Mächte keine Folge leisteten, mit ihren Familien in brutaler Weise ausgewiesen. Sehr viele von ihnen wurden wegen Widerstandes gegen die fremde Gewalt ins Gefängnis geworfen. Das gleiche Los erlitten auch zahlreiche Führer der Industrie. Alltäglich und zahlreich waren Verhaftungen und Aburteilungen durch das Kriegsgericht. Eine französisch-belgische Eisenbahn- regie ergriff Besitz von der Verwaltung und dem Betrieb der Eisenbahn im besetzten Gebiet mit Ausnahme der Kölner Zone, wo die deutschen Beamten verblieben. Um sich Mittel zur Be- zahlung der Besatzungskosten zu verschaffen, scheuten die fran- zösisch-belgischen Machthaber sich nicht, bei der Reichsbank und bei anderen privaten Banken Gelder wegzunehmen, Viele Geld- transporte aus dem unbesetzten Deutschland wurden abgefangen. In den Werken des besetzten Gebietes wurden die Warenvorräte, besonders an Kohle, Eisen und Stahl, beschlagnahmt. Da. die Kohlenförderung im Ruhrgebiet mehr und mehr zum Erliegen kam, richtete die französisch - belgische Mission auf mehreren großen Gruben einen eigenen Zwangsbetrieb ein. Eine lange Reihe von blutigen Zusammenstößen der Truppen mit der Bevölkerung auf der Straße, auf den Gruben und in den Fabriken verschärfte den Zustand immer mehr, Binnen kurzem stand das ganze wirt- schaftliche Leben im Rheinland und an der Ruhr still. Auch die Reparationskommission mußte sich an den Straf- maßnahmen gegen das unbotmäßige Deutschland beteiligen. Am 26. Januar stellte sie fest, daß die deutsche Regierung durch 228 Einstellung der Reparationslieferungen eine allgemeine Ver- fehlung gegenüber Frankreich und Belgien begangen habe, und daß der Londoner Zahlungsplan vom 5. Mai 1921 wieder in voller Kraft sei, Die größte Gefahr der Besetzung lag für ganz Deutschland in dem vernichtenden Einfluß, den.sie auf die Währung ausübte, Im November und Dezember 1922 schwankte der Preis des Dollars an der Berliner Börse im allgemeinen zwischen 7000 und 8000 Mark. Die Mark war also verhältnismäßig widerstandsfähig geblieben. Von Anfang Januar 1923 an aber schnellte der Preis des Dollars in Berlin derart in die Höhe, daß man am Ende des Monats 50 000 Mark für einen Dollar zahlen mußte. Wenn man die Dinge so weiter treiben ließ, war jeder Versuch des Widerstandes gegen den Einbruch ins Ruhrgebiet vergeblich. Es blieb nur die Wahl zwischen Unterwerfung auf Gnade und Ungnade und einer ent- schlossenen Anstrengung, die Mark als Lebensnerv der Wirt- schaft mit allen Kräften zu halten, Der Reichsfinanzminister Hermes, dem ich diese Notwendigkeit vortrug, entschloß sich so- fort zu einer durchgreifenden Stützungsaktion trotz der Fehl- schläge, welche die bisherigen Versuche der Reichsbank stets er- litten hatten, Auch der Reichskanzler Dr. Cuno erkannte sogleich das Gebot der Stunde und trat persönlich mit allem Nachdruck für die Stützung ein. Die Reichsbank, welche allein über die not- wendigen Mittel zur Intervention an den deutschen und fremden Börsen verfügte, warnur schwer für eine umfassende und energische Aktion zu gewinnen, da sie nicht an einen nachhaltigen Erfolg glaubte, In den übrigen Zweigen der Reichsverwaltung stand man den Absichten des Finanzministers teils lau, teils verständnislos gegenüber. Es war klar, daß ein wirklicher Erfolg nur dann zu erringen war, wenn es gelang, durch massenhaften Aufkauf von Reichsmark an deutschen und ausländischen Börsen den Geld- markt derart einzuengen, daß den Verkäufern der Reichsmark — und dazu gehörten bei der bestehenden Panik leider sehr viele Wirtschaftskreise Deutschlands — die Mittel zu weiteren Mark- verkäufen abgeschnitten wurden. Man mußte also damit anfangen, durch Hergabe großer Mengen von Devisen das gesamte Angebot 229 - En von Mark im Inland und Ausland aufzukaufen. Damit brachte man zwangläufig die Mark nicht nur zum Stillstand, sondern zu einer Aufwärtsbewegung, die so lange genährt werden mußte, bis auch das Publikum dazu überging, seine Devisen zu verkaufen und die Mark zu behalten. Die technischen Vorbedingungen zu einem großen Erfolg dieser Aktion waren durch den letzten starken Sturz der Mark von selbst geschaffen. Am 31, Januar 1923 betrug die gesamte schwebende Schuld des Reiches — die von der Reichsbank diskontierten Reichsschatzanweisungen — rund zwei Billionen Papiermark. Der gesamte Umlauf an Reichsbanknoten war ebenfalls zwei Billionen. Private Handelswechsel waren von der Reichsbank in Höhe von rund 700 Milliarden Papiermark dis- kontiert. Demgegenüber hatte die Reichsbank einen Goldbestand von 1005 Millionen Goldmark, nach dem Kurse vom 31, Januar gleich 12% Billionen Papiermark. Außerdem besaß die Reichsbank etwa 100 Millionen Goldmark an freien Devisen. Aus der Abgabe ‚ von der deutschen Ausfuhr flossen ihr täglich, auch in jener kritischen Zeit, ein bis zwei Millionen Goldmark neuer Devisen zu. Für die Reparation aber wurden, abgesehen von der monat- lichen Abzahlung der belgischen Schatzwechsel mit 50 Millionen Goldmark, damals keine Mittel benötigt. Die Reichsbank hatte also die Hände für die Markstützung frei und auch reichliche Mittel dafür. Nach dem Dollarkurse von Ende Januar konnte man theoretisch mit 180 Millionen Goldmark den gesamten Noten- umlauf der Reichsbank einlösen oder die schwebende Schuld des Reiches tilgen. Da die Notenpresse schon mit dem letzten ge- waltigen Marksturz nicht hatte Schritt halten können, war von selbst eine sehr starke Einschränkung der Umlaufsmittel und eine allgemeine Geldknappheit eingetreten, Jeder Aufkauf von Mark mußte den Mangel an Zahlungsmitteln verschärfen und die Wirt- schaft zum Verkauf der bisher sorgfältig gehüteten Devisen zwingen, Ein sofortiges Steigen der Mark war daher sicher, sobald die Reichsbank entschlossen mit starken Mitteln die Stützung unternahm. Im Reichsfinanzministerium wollte man aber mehr als einen Augenblickserfolg. Die einmal erreichte Besserung der Mark sollte 230 das wirtschaftliche Durchhalten im Ruhrkonflikt zu ermöglichen. mindestens einige Monate hindurch aufrechterhalten werden, um die übermäßig gestiegenen Warenpreise zu senken und dem Volke Nur in diesem Falle bestand eine Aussicht, den Widerstand gegen die Besetzung so zu leiten, daß bei geschickter Außenpolitik viel- leicht nach einigen Monaten vernünftige Verhandlungen mit den alliierten Mächten angeknüpft werden konnten. Den Ruhrkampf auf unabsehbare Zeit zu führen, bis Frankreich etwa seine Truppen aus dem Ruhrgebiet zurückzog, war natürlich sinnlos. Ziel der Ab- wehr mußte sein, die Gegner davon zu überzeugen, daß sie durch Gewalt nur sich selber wirtschaftlich und politisch schädigten, und daß sie nicht auf einen baldigen Zusammenbruch der deutschen Abwehr hoffen durften. Neben die börsentechnische Aktion der Reichsbank mußte also eine sorgfältige Finanzwirtschaft des Reiches treten. Das war der Kernpunkt der Markstützung und zugleich der schwierigste Teil des Problems. Eine durchgreifende Sanierung der Reichs- finanzen konnte in jenem Zeitpunkt nicht in Frage kommen. Die Abschnürung der Rhein- und Ruhrgebiete beraubte das Reich eines wesentlichen Teiles seiner Einkünfte und machte neue, schwere Ausgaben unvermeidlich. Steigende Fehlbeträge im Reichshaushalt waren deshalb zu erwarten; sie mußten aber durch Sparsamkeit an allen Enden auf ein Mindestmaß beschränkt werden. Die Erfahrungen des letzten Jahres hatten gelehrt, daß ein vernünftiges Wirtschaften überhaupt nur möglich war, wenn die Währung zunächst einmal ein paar Monate stabil blieb, Und um das zu erreichen, mußte man den Verkäufern der Mark im Inland und Ausland nicht nur den Glauben an die Festigung der Währung beibringen, sondern ihnen auch jedes Interesse daran nehmen, daß wieder eine Verschlechterung der Mark eintrat. Und dies Interesse war leider vorhanden, solange die Reichsbank nicht ihrer bisherigen Kreditpolitik ein Ende machte. Bei dem an- dauernden Fall der Mark hatten immer weitere Kreise des Handels und der Industrie begriffen, daß das beste Geschäft zu machen war, wenn man sich bei der Reichsbank durch Diskon- tierung von Handelswechseln einen Kredit in Papiermark ver- 231 schaffte, diese schleunigst in Waren oder wenn möglich in Devisen umsetzte und dann bei Fälligkeit des Wechsels die Schuld an die Reichsbank in der inzwischen weiter entwerteten Papiermark mit großem Nutzen zurückzahlte. Was so im großen bei der Reichsbank geschah, wurde natürlich im Verkehr mit allen öffent- lichen und privaten Geldinstituten, besonders bei den Banken zur Gewohnheit. Es dauerte merkwürdig lange, bis diese üble Geschäftspraxis allgemein erkannt und in der Oeffentlichkeit gebrandmarkt wurde. Sie war nur auszurotten, wenn das Reich sich kurzerhand entschloß, sofort mit der ganzen Papiergeld- wirtschaft zu brechen und die Währung auf die Goldbasis umzu- stellen. Vor diesem Radikalmittel, das seit einiger Zeit von ver- schiedenen Seiten dringend empfohlen wurde, waren Regierung und Reichsbank bisher immer zurückgeschreckt, weil sie von der plötzlichen Rückkehr zur Goldwährung für die deutsche Wirt- schaft schlimme Folgen befürchteten. Der Präsident der Reichs- bank Havenstein, in seinem Tun und Denken das Vorbild eines konservativen Ehrenmannes, hing mit Zähigkeit an der alten Markwährung. Er hoffte immer noch, daß sie eines Tages mit der Regelung der Reparation in Ordnung kommen werde, und konnte den Gedanken nicht fassen, daß die Reichsbank mit ihrer hergebrachten Kreditpolitik von großen Kreisen der Wirtschaft systematisch ausgebeutet würde. Als die Stützungsaktion für die Mark Ende Januar 1923 be- schlossen wurde, verlangte der Reichsfinanzminister Hermes von der Reichsbank, sie solle vorläufig Handelskredite nicht mehr in Papiermark, sondern nur noch in Goldrechnung gewähren. Das aber lehnte die Reichsbank, unterstützt durch den Widerspruch des Reichswirtschaftsministers, mit Rücksicht auf die Wohlfahrt von Industrie und Handel ab. Sie versprach nur, die Handels- kredite nach Möglichkeit einzuschränken. Havenstein wies dabei nicht mit Unrecht auf die Tatsache hin, daß das erschreckende Anwachsen des Banknotenumlaufs weniger auf die freigebige Kreditgewährung der Reichsbank an Private als auf die ständig schlimmer werdende Defizitwirtschaft des Reiches selbst zurück- zuführen sei. Er drängte seinerseits darauf, daß das Reich in 232 I a _ allen seinen Verwaltungszweigen strengste Sparsamkeit üben müsse, So gingen schließlich Reich und Reichsbank mit Energie und guten Vorsätzen in den Kampf um die Mark hinein, ohne jedoch für die Sicherung eines nachhaltigen Erfolges durchgreifende Maß- nahmen zu treffen, Die Stützung der Mark setzte am 31, Januar 1923 gleichzeitig in Berlin, Amsterdam und New York ein. Nach Schwierigkeiten im Anfang erzielte sie einen unerwarteten Erfolg. Als die Reichs- bank etwa 100 Millionen Goldmark an Devisen in den Markt geworfen hatte, überzeugten sich Inland und Ausland, daß die Aktion diesmal ernst gemeint sei. Der Preis des Dollars fiel in vierzehn Tagen von 50000 unter 20000 Mark, dann hielt er sich mit einigen Schwankungen bis zum 17. April 1923 ständig auf etwa 21 000 Mark. Dieser Umschlag war natürlich für Handel und Industrie mit manchen Schwierigkeiten und für viele, die mit dem weiteren Fall der Mark gerechnet hatten, auch mit schweren Verlusten verbunden. Da die Reichsbank jedes Markangebot auf- nahm, verschärfte sich die Geldknappheit in unerhörter Weise. An einigen Tagen konnten sich selbst die größten deutschen Banken keine Zahlungsmittel beschaffen. Aber das war unver- meidlich und mußte im Interesse der Allgemeinheit in den Kauf genommen werden. Der andauernde Druck auf den Geldmarkt führte bald dazu, daß die deutsche Wirtschaft große Beträge an Devisen hergab, welche die Reichsbank zu fallenden Preisen auf- nahm. Anfang März wurde berechnet, daß die Stützung dem Reiche und der Reichsbank im ganzen nur etwa 20 Millionen Goldmark an Devisen gekostet hatte. Dann hielt sich der Kurs der Mark eine Zeitlang von selber. Die Angriffe gegen die Mark hörten wegen völliger Erschöpfung der Gegner auf. Aber diese Ruhe sollte nicht von langer Dauer sein. Dem Kundisen blieb nicht verborgen, daß der Mark neue schwere Ge- Ehren drohten. Trotz der starken Besserung der Währung war die schwebende Schuld des Reiches von Ende Januar bis Ende März 1923 von 2 Billionen auf 6.6 Billionen Mark gestiegen. In der gleichen Zeit vermehrte sich der Notenumlauf der Reichsbank 233 von 2 Billionen auf 5.5 Billionen und der Betrag der von ihr ge- währten Handelskredite von 697 auf 2372 Milliarden, Das be- deutete eine völlige Umkehrung der Verhältnisse, Bei einem Dollar- kurs von 20000 Mark stellte der Notenumlauf von 5,5 Billionen Mark einen Wert von 275 Millionen Dollar, also mehr als den gesamten Goldschatz der Reichsbank dar. Die Geldknappheit war allmählich verschwunden. Reich und Reichsbank hatten der Wirt- schaft in dieser kurzen Frist mit verschwenderischer Hand ge- waltige Beträge in Reichsmark zur Verfügung gestellt. Eine eigens für diesen Zweck geschaffene Zentralstelle des Reichs zahlte in das besetzte Gebiet so ziemlich alles, was an Unterstützungen verlangt wurde, Die Reichsbahn forderte im täglichen Durchschnitt den Gegenwert von zwei Millionen Dollar als Betriebszuschüsse vom Reiche an. Gegen solche Mißwirtschaft erhob der Reichs- finanzminister, dem eine Kontrolle dieser Verwaltungen nicht zu- stand, immer wieder dringende Beschwerde. Aber seine warnende Stimme drang nicht durch, Auch der Reichskanzler Cuno ver- mochte gegen die Indolenz der übrigen Reichsstellen nichts aus- zurichten, Es hieß einfach, es sei nicht möglich, die Ausgaben für das besetzte Gebiet und für die Reichsbahn einzuschränken. Mit der wachsenden Flüssigkeit des Geldmarktes stiegen die Anforderungen von Devisen bei der Reichsbank immer mehr. Diese hielt an dem Dollarkurs von 21000 Mark unverrückt fest. Sie vermied ängstlich jede Schwankung. Bald wußte jedermann, daß der Dollar nicht mehr fallen würde, und daß eine große und sichere Gewinnchance darin lag, sich Devisen zu diesem Grund- preise bei der Reichsbank zu kaufen. Denn die Kreise des Handels und der Industrie sagten sich mit Recht, daß bei dem lawinen- artigen Anwachsen des Notenumlaufs und der schwebenden Schuld die Reichsbank eines Tages aus Mangel an Mitteln ge- zwungen sein würde, den Aufkauf von Reichsmark einzustellen und der steigenden Tendenz der Devisen freien Lauf zu lassen. Der Finanzminister Hermes versuchte noch weitere Mittel für die Markstützung zu gewinnen. Er gab 50 Millionen Dollar drei- jährige Dollarschatzanweisungen aus, deren Einlösung von der Reichsbank garantiert wurde, und die vom Publikum in Devisen 234 zu bezahlen waren, Aber die Emission dieses glänzend fundierten und bald sehr gesuchten Papiers war zunächst ein Fehlschlag. Nur etwas mehr als der vierte Teil der 50 Millionen Dollar wurde gezeichnet, und es bedurfte schärfsten Druckes, um durch die Uebernahme weiterer Beträge durch die Banken den Mißerfolg nach außen etwas zu verschleiern. Von diesem Zeitpunkt an — Ende März — wurde die Lage unhaltbar. Die Reichsbank gab täglich mehr als 20 Millionen Goldmark an Devisen ab, um den Markkurs zu stützen. Als jedoch am 18. April 1923 mehr als 60 Millionen Goldmark bei ihr angefordert wurden, erklärte sich die Reichsbank außerstande, die verlangten Devisen in voller Höhe zuzuteilen. An diesem Tage sprang der Dollarkurs auf 25000 Mark, um tags darauf den Kurs von 30 000 Mark zu erreichen. Damit war die Stützungsaktion im Grunde ge- scheitert. Das wurde freilich nach außen noch nicht zugegeben. Um den Kampf für die Mark fortzusetzen, mußte die Reichsbank von nun an ihren bis dahin unangetasteten Goldschatz durch Ver- pfändung und Verkauf im Auslande angreifen. Der erste Erfolg der Markstützung fand im Ausland große Beachtung. Man hatte der deutschen Regierung die Stärke dieses finanziellen Widerstandes nicht zugetraut. In der französischen Presse äußerten sich lebhaftes Befremden und wachsende Un- sicherheit darüber, ob die Besetzung zu dem gewünschten Erfolg, nämlich zur Unterwerfung Deutschlands unter den militärisch- politischen Druck Frankreichs, führen werde. Poincare und Theunis, die Häupter der besetzenden Mächte, trafen sich mehr- fach, um über die Fortsetzung der Ruhrpolitik zu beraten. Bei der ersten Zusammenkunft in Brüssel am 14. März wurde ziemlich farblos erklärt, daß das Ruhrgebiet nicht auf ein bloßes Ver- sprechen Deutschlands hin, sondern nur nach Maßgabe der Er- füllung der Reparationsverpflichtungen geräumt werden würde, Am 13, und 14, April fand eine neue Besprechung statt, diesmal in Paris. Jetzt wehte schon ein schärferer Wind. Die Beschlüsse von Brüssel wurden bekräftigt, zugleich aber wurden neue Druck- mittel angekündigt, bis Deutschland sich entschließen würde, 235 direkte Reparationsvorschläge zu machen, Das Programm für die Ausbeutung des besetzten Gebietes wurde wie folgt festgesetzt: Die in Deutschland beschlagnahmten Güter werden durch die französischen und belgischen Behörden verkauft und in eine Pfänderkasse — caisse de comptabilit& des gages — abgeführt, Daraus werden die Kosten der Besetzung und Eintreibung be- stritten, Der verbleibende Rest fließt der Reparationskasse zu, Alle diese Proklamationen dienten dazu, die Verlegenheit Frankreichs würdevoll zu decken, Im Grunde aber richteten sie sich an die deutsche Adresse, Aufgabe der deutschen Politik war es nun, Möglichkeiten zur Verhandlung zu eröffnen und auszu- nutzen. Das war insofern schwierig, als jedes neue deutsche Angebot an die Alliierten als Zeichen der Schwäche aufgefaßt werden konnte. Doch fehlte es nicht an Fühlern aus F rankreich und Belgien, um zu einer Verständigung zu gelangen. Direkte Verhandlungen mit der französischen Regierung waren freilich bei dem Starrsinn Poincares nicht gut möglich. Die deutsche Regierung war lange unschlüssig, ob sie es wagen dürfe, den An- stoß zu Verhandlungen zu geben, Sie arbeitete im stillen den Reparationsplan, den sie für die Pariser Konferenz vom Januar bereitgehalten hatte, weiter aus und ließ über die Schweiz und Belgien sondieren, ob auf der Grundlage dieser neuen deutschen Vorschläge eine Verständigung möglich sei, und ob die belgische Regierung deswegen an Frankreich herantreten würde, Belgien wagte das nicht, empfahl aber, Deutschland solle sich direkt an die französische Regierung wenden. Im ganzen waren die Aussichten auf eine Beilegung des Streites damals nicht schlecht. Auch Loucheur bemühte sich darum. Er reiste Anfang April nach London, besuchte unter anderen Lloyd George und lancierte durch den „Daily Telegraph“ einen eigenen Reparationsplan, Poincare aber, der erst die Reise hatte geschehen lassen, schüttelte diesen Versuch der Annäherung alsbald von sich ab. Er wußte auch zu hintertreiben, daß ein Reparationsplan Delacroix - Barthou zustande kam. Die Anregung zu dem Plan stammte von der belgischen Regierung, und Poincar& hatte am 13. April in Paris dem Ministerpräsidenten Theunis seine Zu- 236 stimmung dazu gegeben. Diese Quertreibereien machten das Ver- hältnis zwischen den Alliierten nicht besser. Auch in Frankreich wuchs die Unzufriedenheit mit der sterilen Politik Poincares zu- sehends. Die deutsche Regierung aber konnte in dieser kritischen Zeit den rechten Weg nicht finden. Erst als Lord Curzon am 20. April im englischen Unterhaus eine Rede hielt, deren Sinn so verstanden werden mußte, daß Deutschland neue Reparations- vorschläge machen und Garantien dafür bezeichnen sollte, rang sich Berlin zu dem schweren Entschlusse durch. 237 VIERUNDZWANZIGSTES KAPITEL SERGEBLICHE DEUTSCHE ANGEBOTE, VERGEBLICHE ENGLISCHE VERMITTELUNG Am 2, Mai 1923 sandte die deutsche Regierung eine Note mit einem neuen Angebot an die Hauptmächte der Alliierten und an die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika. Die Wirkung war verhängnisvoll, Um das Angebot zu begreifen, muß man die Geschichte seiner Entstehung kennen. Die Absicht war, als Gesamtleistung Deutsch- lands unter dem Vertrage von Versailles den Betrag von 30 Milliarden Goldmark anzubieten, der durch mehrere internatio- nale Anleihen und durch Sachleistungen aufgebracht werden sollte, Eine große Anleihe von 20 Milliarden sollte möglichst sogleich zur Ausgabe kommen. Ihre Zinsen für die ersten vier Jahre waren einstweilen aus dem Kapital zu nehmen, damit Deutschland eine Schonzeit für Geldzahlungen erhielt. Ueber die Nachzahlung der Zinsen und über die Begebung der späteren Anleihen sollte ein unparteiisches Schiedsgericht entscheiden. Falls die Alliierten das Angebot für zu niedrig erachteten, sollte gemäß dem Vorschlag, den der amerikanische Staatssekretär Hughes in einer Rede in Newhaven am 29, Dezember 1922 ge- macht hatte, ein Komitee von internationalen Sachverständigen die Leistungsfähigkeit Deutschlands für Reparationszahlungen festsetzen. Als Garantien waren in Aussicht genommen: 1. für die Sachlieferungen langfristige Lieferungsverträge der deutschen Industrie, 238 2. für die Geldzahlungen eine Generalhypothek auf die Deutsche Reichsbahn, die ein selbständiges Wirtschafts- gebilde werden sollte, sowie bestimmte Einnahme- quellen des Reiches wie Zölle, Tabaksteuer und Alkohol, In den Beratungen des Kabinetts Cuno wurde dieser ein- fache und bestimmte Plan aus innerpolitischen Bedenken, die von mehreren Ministern hartnäckig vertreten wurden, seltsam entstellt und verwässert. Kapitalbetrag und Zinsen wurden der- art verklausuliert, daß der wirkliche Wert der angebotenen ‚30 Milliarden wesentlich geringer erschien. Die Verpfändung der Eisenbahn und bestimmter Reichseinnahmen verschwand aus dem Entwurf des Angebots, Dafür erklärte sich die Regierung nur mit allgemeinen Worten zu besonderen Garantien bereit, die durch Verhandlung mit dem internationalen Anleihekonsortium und der Reparationskommission festzustellen seien. Ferner wollte die Regierung durch geeignete Maßnahmen auch auf gesetzlichem Wege dafür sorgen, daß die gesamte deutsche Wirtschaft zur Sicherung des Anleihedienstes herangezogen würde. Der Vor- schlag von Hughes, die Zahlungsfähigkeit Deutschlands von inter- nationalen Sachverständigen bestimmen zu lassen, war nur zag- haft angedeutet. Schon der Eingang der deutschen Note betonte scharf, daß der passive Widerstand fortdauern werde, bis die Räumung der über den Versailler Vertrag hinaus besetzten Gebiete und die Wiederherstellung vertragsmäßiger Zustände in den Rheinlanden erreicht sein würden. Und der Schluß wiederholte: Ausgangspunkt der Verhandlungen müsse sein, daß innerhalb kürzester Frist der status quo ante wiederhergestellt werde. Dazu gehöre auch, daß die verhafteten Deutschen in Freiheit gesetzt und den Ausge- wiesenen ihre Wohnstätten und Aemter zurückgegeben würden. Um dem französischen Verlangen nach politischer Sicher- stellung entgegenzukommen, besagte die Note noch, daß die deutsche Regierung nach wie vor zu jeder friedensichernden Ver- einbarung auf der Grundlage der Gegenseitigkeit bereit sei, ins- besondere zur schiedsrichterlichen Erledigung von Streitigkeiten zwischen Deutschland und Frankreich. 239 Im übrigen wurde das Angebot noch von der Stabilisierung | der deutschen Währung und von der Gleichberechtigung Deutsch- lands im internationalen Wirtschaftsverkehr abhängig gemacht, Diese letzteren Bedingungen waren schon in jedem früheren deutschen Angebot enthalten und zur Genüge bekannt. Die ganze deutsche Note war fast in jedem Wort ein Kom- promiß zwischen äußeren Notwendigkeiten und inneren Rück- sichten, Ihre letzte Form erhielt sie erst nach endlosen Beratungen. Dann aber wurde sie in nervöser und unnötiger Hast der Oeffent- lichkeit übergeben. Der erkrankte Finanzminister Hermes erhob in letzter Stunde Bedenken gegen Inhalt und Form der Note, drang aber damit nicht durch. Das Angebot erregte selbst in Deutschland vielfach Be- fremden. Im gesamten Ausland wurde es als unbrauchbar abge- lehnt. Frankreich und Belgien vergaßen darüber einen -Augen- blick ihre schwerwiegenden Differenzen in der Ruhrfrage und sandten schon unter dem 6. Mai nach einer weiteren Zusammen- kunft in Brüssel ihre gemeinsame Antwort, die offenbar von Poincare selber verfaßt war. Ganz im Stile seiner wöchentlichen Sonntagsreden behandelte er darin das deutsche Angebot mit jenem höhnischen Haß, dessen Tonarten er im Verkehr mit Deutschland so meisterlich beherrschte, Ihm war die deutsche Note von Anfang bis zu Ende nichts „als der kaum verhehlte Ausdruck einer systematischen Auflehnung gegen den Vertrag von Versailles“, an den Deutschland durch seine Unterschrift gebunden sei. Die Erklärung, daß Deutschland den passiven Widerstand fortsetzen werde, beantwortete Poincar& damit, daß der Widerstand nicht von der Bevölkerung ausgehe, sondern daß die deutsche Regierung selber blutige Zusammenstöße, Angriffe gegen die französische Besatzung, Sabotageakte und gemeine Ver- brechen im Ruhrgebiet organisiert habe. Die französische und die belgische Regierung erklärten nun- mehr offiziell, daß sie keinen deutschen Vorschlag in Erwägung ziehen würden, solange der Widerstand im Ruhrgebiet andauere, und daß sie das neu besetzte Gebiet nur nach Maßgabe und im Verhältnis der geleisteten Reparationszahlungen räumen würden. 240 Verbindlich in der Form, aber sachlich sehr bestimmt war die Ablehnung, welche das deutsche Angebot am 13, Mai von Eng- land und Italien erfuhr. Beide Regierungen brachten ihre tiefe Enttäuschung über Form und Inhalt der deutschen Vorschläge zum Ausdruck. Die Höhe des Angebots sei unbefriedigend, die Sicherheiten zu unbestimmt. Das Angebot, zu dem sich die deutsche Regierung so spät und so schwer entschlossen hatte, war damit vollkommen fehlge- schlagen. Es hatte den außenpolitischen Konflikt verschärft, die innerlich bereits uneinigen Alliierten wieder zusammen- gebracht und Poincare die Parole verschafft, daß Deutschland durch Aufgabe des passiven Widerstandes sich unterwerfen müsse, ehe man zu Verhandlungen kommen könne. Damit war das Kabinett Cuno am Ende, Es durfte nach seinen feierlichen Erklärungen den passiven Widerstand nicht aufgeben, auch wenn er ins Verderben führte. | | Die Lage Deutschlands wurde nun verzweifelt. Der völlige Abschluß des besetzten Gebietes durch Paß- und Zollgrenzen verschärfte täglich die wirtschaftliche Not. Die Markentwertung setzte sich trotz aller weiteren Stützungsversuche der Reichsbank in erschreckender Weise fort. Ebenso schnell stiegen Warenpreise und Löhne zu schwindelnden Höhen. Der drohende Zusammenbruch Deutschlands begann aber auch die Alliierten ernstlich zu beunruhigen. Während Poincar& mit dumpfer Entschlossenheit unentwegt darauf ausging, Deutschland zur Unterwerfung zu bringen und inzwischen aus dem besetzten Gebiet so viel wie möglich an Geld und Leistungen heraus- zupressen, bemühte sich die belgische Regierung schon seit einiger Zeit, das Ruhrabenteuer zu einem vernünftigen Ende zu bringen. Da die Aufstellung eines belgisch-französischen Reparationsplans, wie schon erwähnt, von Poincar& systematisch hintertrieben wurde, ließ die belgische Regierung selbständig einen Plan ausarbeiten, der unter der Bezeichnung ‚Belgische Studien” be- kannt geworden ist. Die Studien beschäftigten sich nicht mit der Festsetzung der Gesamtschuld Deutschlands, sondern mit einer Berechnung der Beträge, welche aus bestimmten Einnahmequellen Bergmann, Der Weg der Reparation 16 241 des Reiches jährlich für die Reparation gewonnen werden könnten. Danach sollten abwerfen- 1, die an eine Betriebsgesellschaft zu verpachtende Reichs- bahn aueh Sp ann - - 1000 Millionen Goldmark 2. Verbrauchsmonopole a. 4830 R Ki davon Tabak 450 Millionen Bar 2... 'O0g Alkohol . 600 Zucker . 130 Dale. au mn h Verschied. 80 % 3 Kohlenlieferungen a Ne sr * u ur ul la a zusammen jährlich . . , 2870 Millionen Goldmark Die Studien rechneten ferner mit einer Abgabe an die Repa- rationskasse von 25 Prozent der Gewinne der deutschen Industrie- und Handelsunternehmungen, Für die Aktiengesellschaften allein schätzten sie diesen Betrag auf 250 Millionen Goldmark. Trotz aller dieser Leistungen — so erklärten die Verfasser — sei der Reichshaushalt leicht im Gleichgewicht zu halten. Die Belgischen Studien wurden der- französischen Regierung am 9, Juni 1923 übergeben. der Regierung ausgeschieden, Sein Nachfolger wurde Baldwin, Mit ihm wurde die Haltung Englands in der Reparationsfrage tatkräftiger. Als die deutsche Regierung, völlig ratlos, wie sie nach dem Fiasko ihrer Note vom 2, Mai die zerrissenen Fäden der internationalen Verhandlung wieder aufnehmen sollte, keine geeignete Form fand, um ihren mißverstandenen Reparationsplan zu erläutern, entstand unter englischem Einfluß das deutsche Memorandum vom 7. Juni 1923, Das Memorandum, das den Alliierten und den Vereinigten Staaten von Amerika mit gleich- lautenden Noten zuging, ist kurz und klar. Es ergänzt mit er- freulicher Bestimmtheit die deutsche Note vom 2, Mai durch den Vorschlag bestimmter Garantien für .die Reparation, Die 242 Reichsbahn sollte hiernach selbständig werden und Schuldver- schreibungen mit erster Hypothek auf das Reichsbahnvermögen in Höhe von 10 Milliarden Goldmark ausgeben, die vom 1. Juli 1927 ab mit 5 Prozent zu verzinsen waren. Damit war eine Jahresleistung von 500 Millionen durch die Reichsbahn sicher- gestellt. Der gleiche Betrag sollte vom 1, Juli 1927 ab durch eine erste Hypothek von 10 Milliarden Goldmark auf den gesamten Grundbesitz der Industrie, der Banken, des Handels, des Ver- kehrs und der Landwirtschaft Deutschlands beschafft werden. Außerdem wurden die Zölle auf Genußmittel und die Verbrauchs- steuern auf Tabak, Bier und Zucker sowie die Erträgnisse des Branntweinmonopols als Sicherheit angeboten, Der Ertrag dieser Zölle und Abgaben war mit 800 Millionen Mark im letzten Jahre vor dem Kriege angegeben. Das Memorandum verwies die näheren Erörterungen über Deutschlands Zahlungsfähigkeit auf münd- liche Verhandlungen und wiederholte das Ersuchen, hierzu eine Konferenz zu berufen. Poincars, getreulich gefolgt durch die ihm ergebene Pariser Presse, vertrat nach der deutschen Note vom 2, Mai verbissen den Standpunkt, vor Einstellung des passiven Widerstandes dürfe über die Reparation nicht einmal unter den Alliierten gesprochen ‘werden, Kurz vor dem zweiten deutschen Angebot vom 7. Juni aber mußte er doch dem belgisch-englischen Druck nachgeben und in eine weitere persönliche Besprechung mit Theunis in Brüssel willigen. Als Ergebnis wurde wie üblich verkündet, daß auch dies- mal die belgische und die französische Regierung in der Behand- lung der Ruhrfrage vollkommen einig seien und ihre früheren Be- schlüsse ohne Einschränkung aufrechterhielten. Tatsächlich hatte Sich jedoch der Unterschied zwischen der französischen und der belgischen Richtung in Brüssel wesentlich verschärft, Belgien be- ‚trachtete die Ruhrbesetzung nur als Mittel zum Zweck, um durch den Druck auf Deutschland eine Lösung der Reparationsfrage herbeizuführen und alsdann das Ruhrgebiet wieder freizugeben. Poincar& wollte zwar auch Deutschland zur Ergebung zwingen, dann aber Rhein und Ruhr behalten und das System ihrer wirt- schaftlichen Ausbeutung durch allierte Organe unverändert weiter- 16* 243 führen. Deshalb waren ihm jetzt Verhandlungen über dieReparation ungelegen. Theunis erreichte in Brüssel aber doch wenigstens die Zustimmung Poincares zur Uebergabe der Belgischen Studien an England und zur Aufnahme von Besprechungen zwischen den Alliierten. Das deutsche Memorandum vom 1. Juni war für Poincare natürlich ein rotes Tuch. Schon am selben Tage erteilte er seinen Botschaftern in London, Rom und Brüssel den Auftrag, zu er- klären, daß die deutsche Note völlig unannehmbar sei. Sie ent- halte erstens keine Verpflichtung zur Aufgabe des passiven Wider- standes, zweitens biete sie keine bestimmten Beträge an, drittens wolle sie die Reparationskommission durch internationale Sach- verständige und eine Konferenz ersetzen, viertens spreche sie nur von theoretischen Pfändern, die den Gläubigern nicht ausge- händigt würden und keine Sicherheit böten. Jedoch ließ sich Poincar& durch Belgien und England dazu bewegen, von einer sofortigen Antwort an Deutschland abzusehen und die nötigen Schritte mit den Verbündeten zu beraten. Innerlich aber blieb er ganz der Alte. Durch eine Note vom 10. Juni ließ er in London und Brüssel erklären, Deutschland müsse erst den passiven Widerstand aufgeben, ehe man ein Reparationsprogramm auf- stellen könne. Alsdann aber müsse Deutschland eine Anzahl seiner Einkommenquellen den Alliierten direkt überlassen, Und dafür stellte er folgende Liste auf: 1. Die Eisenbahnen links vom Rhein seien einer Gesellschaft zu übergeben, an der Frankreich, Belgien, England und vielleicht auch die Rheinländer teilnehmen sollten; 2. die deutsche Großindustrie müsse bestimmte Kohlen- gruben im Ruhrgebiet dem Reiche übertragen, damit sie ebenfalls durch eine interalliierte Gesellschaft betrieben würden; 3. die Sachlieferungen seien in bestimmtem Umfange wieder aufzunehmen; 4. die Zölle seien in Gold zu erheben und den Alliierten zu übergeben; 244 3. eine Ausfuhrabgabe von 26 Prozent in Devisen sei von den großen deutschen Produktionsverbänden zu erheben und an die Alliierten abzuführen; 6. im besetzten Gebiet sollten die Alliierten die Zölle und die Ausfuhrabgabe selbst erheben; | 7. das Ruhrgebiet werde nur nach Maßgabe der Zahlungen geräumt werden, die Deutschland für die Reparation leiste, Die englische Regierung stand vor einer schwierigen Ent- scheidung. Nach wie vor hielt sie daran fest, daß die ganze Ruhr- besetzung vertragswidrig sei. Nachdem sie aber die Besetzung ohne Protest zugelassen hatte, mußte sie sich mit den Tatsachen | abfinden. Anwendung von Gewalt Frankreich gegenüber war aus- geschlossen. Ein offener Bruch mit Frankreich hätte die Ord- nung der Dinge in Europa unabsehbar verzögert. England mußte daher versuchen, in Güte mit Poincar& voranzukommen und die Aufgabe des deutschen Widerstandes in einer Weise herbei- zuführen, die für Deutschland erträglich war und die Lösung der Reparationsfrage näher brachte, Daher lehnte die englische Regie- rung die französische Anregung, sie solle im Namen der Alliierten Deutschland zur Aufgabe des passiven Widerstandes auffordern, nicht grundsätzlich ab, Sie ersuchte jedoch am 13. Juni die französische Regierung um genaue Auskunft über die Tragweite ihrer Forderungen, vor allem darüber, was Poincar& eigentlich unter der Aufgabe des passiven Widerstandes verstehe. Zugleich wies sie auf ihre eigenen Bedenken gegen die französischen Forderungen hin. Darauf sandte Poincar& unter dem 29. Juni eine Antwort, die in der Geschichte der Reparation einen be- sonderen Platz verdient, Poincare leistet sich darin das folgende Urteil über Deutschland: „Die Engländer haben von Deutschland eine ganz falsche an fassung. Man darf mit den Deutschen nicht auf gleichem Fu ’e verhandeln und nicht erwarten, daß sie einen von ihnen freiwillig übernommenen Vertrag ausführen. Deutschland hat stets ver- sucht, sich seinen Verpflichtungen zu entziehen, weil es bisher von seiner Niederlage nicht überzeugt ist. Frankreich hat zu oft erfahren, daß Deutschland als Nation sich nur unter dem Drucke 245 der Not dazu bequemt, sein Wort zu halten, und nur wenn es fühlt, daß es mit einem Stärkeren zu tun hat; das aber hat es seit 1919 nicht gefühlt. Die Alliierten haben von Deutschland niemals etwas erlangt, außer wenn sie einig waren und mit Gewalt drohten. Nach der Konferenz von Spa hat Deutschland unter dem Drucke der drohenden Ruhrbesetzung einige Monate lang Kohlen in normaler Weise geliefert. Es hat aber sofort die Lieferungen wieder eingeschränkt, als es glaubte, von der Gefahr eines Ein- marsches befreit zu sein. Auch im Mai 1921 hat Deutschland den Londoner Zahlungsplan unter den Drohungen der Alliierten an- genommen. Als aber nach Zahlung der ersten Milliarde die wirt- schaftlichen Sanktionen wieder aufgehoben wurden, hat Deutsch- land immerfort ein Moratorium und: Herabsetzung seiner Schuld verlangt. Um diesem Zustand ein Ende zu machen, sind die Belgier und Franzosen in das Ruhrgebiet eingerückt. Wenn Eng- land jetzt als Vermittler erscheint, wird Deutschland sicher er- klären, daß es der Stärkere gewesen ist und den Alliierten seinen Willen aufgezwungen hat. Es wird seine künftigen Versprechen nicht besser halten als die früheren, Deutschland muß erst merken, daß es wirklich besiegt ist. Englands Furcht, daß die Ruhr- besetzung den völligen Ruin Deutschlands herbeiführen werde, ist grundlos: nur die Fassade ist zerstört, weil Deutschland seinen Kredit und seine Zahlungsmittel absichtlich vernichtet hat. Die ganze Welt weiß, daß die Deutschen den Gegenwert ihrer Aus- fuhr systematisch in Devisen im Ausland behalten, daß die Steuern zugunsten einer habgierigen, alles an sich raffenden Großindustrie nicht erhoben werden, daß der Zusammenbruch der Mark die deutsche Ausfuhr begünstigt und alle inneren Schulden Deutsch- lands tilgt, wobei das von seinen Renten lebende Bürgertum ver- schwindet und gezwungen wird, sich produktiv zu betätigen, daß alle Gewinne der Landwirtschaft, der Industrie und des Handels in Sachwerten angelegt werden und das deutsche Kapital ver- mehren. Wenn Deutschland will, kann es leicht seine Ausgaben mit seinen Einnahmen in Einklang bringen und wird dann ohne andere Schulden als die Reparation am freiesten von Lasten und am reichsten auf der ganzen Welt dastehen, 246 Da Deutschland ohne Zwang nichts leistet, muß der Zwang an- halten und ohne Schwäche durchgeführt werden. Darum ja keine Maßnahmen, die unter dem Vorwand der Aufgabe des passiven Widerstandes auf einen verringerten Druck der Besetzung hin- zielen. Das Pfand darf nicht eher freigegeben werden, als bis Deutschland seinen sämtlichen Verpflichtungen nachgekommen ist, Der Druck muß vor allem auf der deutschen Industrie lasten, da sie die Seele des Widerstandes ist und eine ständige Gefahr für die französische und belgische Industrie bildet. Die durch Aus- beutung des besetzten Gebietes erschlossenen Einnahmequellen müssen dauernd beibehalten werden. Mit der Bezahlung seiner eigenen Kriegsschulden kann Frankreich erst beginnen, wenn seine zerstörten Gebiete wieder aufgebaut und die Lasten des Wiederaufbaues aus seinem Budget verschwunden sind.” In seiner Begleitnote an die englische Regierung wies Poincare besonders darauf hin, daß England früher selbst die Besetzung weiteren deutschen Gebietes gebilligt und mitgemacht habe, Im übrigen gab er auf die einzelnen Punkte der englischen Anfragen vom 13. Juni keine bestimmte Auskunft. Mit diesem fanatischen Ausbruch Poincare&s war in der Reparation nicht weiter zu kommen. Auch Belgiens Antwort auf die englische Note vom 13. Juni war eine Enttäuschung. Deshalb entschloß sich die englische Regierung, selber den Entwurf einer Antwort der Alliierten an Deutschland vorzuschlagen. In seiner Note an Frankreich und Belgien vom 20. Juli sagte Lord Curzon: Nach der Ansicht von England und Italien seien die deutschen Vorschläge vom 7. Juni einer sorgfältigen Prüfung wert. Die internationale Lage verschärfe sich von Tag zu Tag. Die ‚Be- setzung des Ruhrgebietes, möge sie rechtmäßig sein oder nicht, verfehle den gewollten Zweck. Der ständige Fall der deutschen Währung mache es Deutschland unmöglich, seine Verpflichtungen aus dem Londoner Zahlungsplan zu erfüllen. Es müsse etwas ge- schehen, um das wirtschaftliche Leben Deutschlands wieder herzustellen. Wenn der passive Widerstand ein Hindernis sei, so wolle England der deutschen Regierung die Aufgabe des Wider- standes vorschlagen. Das aber verspreche nur Erfolg, wenn man 247 bereit sei, die deutsche Zahlungsfähigkeit zu prüfen und die Lage - im Ruhrgebiet so zu gestalten, daß das Land wieder produktions- fähig werde, England empfehle daher: 1, Aufgabe des passiven Widerstandes; 2. Wiederaufnahme der Zivilverwaltung im Ruhrgebiet und seine schrittweise Räumung; 3. Berufung unparteiischer Sachverständiger mit der Aufgabe, die Alliierten und die Reparationskommission über die deutsche Zahlungsfähigkeit und die Art der Zahlung zu beraten. Mitwirkung eines amerikanischen Sachverständigen und Anhörung deutscher Sachverständiger; 4. Beratung derReparationskommission durch Sachverständige in bezug auf wirtschaftliche Sicherheiten und Bürgschaften, die Deutschland den Alliierten zu geben habe; 5. baldige interalliierte Besprechungen über einen umfassen- den Plan für allgemeine und endgültige Regelung der Reparation; 6. Räumung aller deutschen Gebiete, die über die im Versailler Vertrag bestimmten Grenzen hinaus besetzt seien, sobald die wirtschaftlichen Garantien wirksam würden. Ein Entwurf der Antwort an die deutsche Regierung lag der englischen Note vom 20. Juli bei. Er war aus lauter Vorsicht sehr allgemein gehalten, um den Zwiespalt zwischen den Alliierten " möglichst zu verdecken, England ermunterte Deutschland darin zur Fortsetzung des zuletzt beschrittenen Weges, machte aber die Aufgabe des passiven Widerstandes zur Vorbedingung für jedes Entgegenkommen der Alliierten und betonte, daß neben Bürgschaften auch eine internationale Kontrolle der deutschen Finanzverwaltung vorzusehen sei, Zwischen Frankreich und England saß nun Belgien in der Klemme. Es hätte gern den unerträglichen Zustand im Ruhrgebiet beendigt gesehen, konnte aber von-Frankreich nicht los, dem es sich letzthin durch die Aufnahme einer Anleihe für die Stützung des belgischen Franken noch mehr verschrieben hatte. Belgien mußte sich krampfhaft anstrengen, zwischen seinen großen Ver- bündeten so zu lavieren, daß es auf keiner Seite Anstoß erregte. 248 Die belgische und die französische Antwort auf den englischen Vorschlag vom 20, Juli wurden gleichzeitig am 30, Juli in London überreicht. Belgien betonte, daß die deutsche Schuld nur herab- gesetzt werden könne, wenn man entweder die interalliierten Schulden streiche oder den zerstörten Gebieten ein Vorzugsrecht auf Reparation einräume, Im übrigen erklärte es sich bereit, auf die englischen Reparationsideen einzugehen. Frankreichs Antwort aber bekundete nach wie vor die Hals- starrigkeit des unerbittlichen Gläubigers: „Auge um Auge, Zahn um Zahn! Genau nach dem deutschen Vorbild von 1871 wird das Ruhrgebiet als Unterpfand erst freigegeben, wenn Deutschland gezahlt hat. Das Reich soll in eine solche Notlage gebracht werden, daß es sich dazu bequemt, die Durchführung des Vertrages von Versailles dem Zustande der Besetzung vorzuziehen. Der deutsche Widerstand muß be- dingungslos, ohne Gewährung von Vorteilen eingestellt werden. Die Zahlungsfähigkeit Deutschlands ist bei der derzeitigen Ver- wirrung seiner Wirtschaft überhaupt nicht festzustellen. Außer- dem ist es sinnlos, sie ein für allemal zu bestimmen, da sie sich stetig ändert. Die deutsche Regierung wird keinen Betrag als gerecht und als möglich anerkennen. Und wenn sie das doch tut, wird sie am nächsten Tage das Gegenteil sagen. 1871 hat kein Mensch auf der Welt danach gefragt, ob Frankreich den Ver- trag von Frankfurt für gerecht und ausführbar hält. Und die Prüfung der deutschen Zahlungsfähigkeit durch unparteiische Sachverständige? Was heißt unparteiisch? Wer hat die Sachver- ständigen zu wählen? Wie soll ihr Verhältnis zur Reparations- kommission sein? Lloyd George selber hat im Januar 1921 die Beschlüsse der Sachverständigen aus der Brüsseler Konferenz abgelehnt und erklärt, daß er keinen Wert auf sie lege. Man kann jetzt nicht festsetzen, was im Ruhrgebiet zu geschehen hat, wenn der passive Widerstand aufhört. Das hängt ganz von der Haltung des Reiches und der Bevölkerung ab.“ | Lord Curzon verhehlte seine schwere Enttäuschung über belgische und: besonders die französische Antwort er r empfand es bitter, daß Poincar& sich mit keinem Wort zu dem 249 englischen Entwurf der Antwort an Deutschland äußerte, Am 2. August kündigte er im Oberhause die Veröffentlichung des gesamten Notenwechsels zwischen den Alliierten an, um der Welt die ganze Tragweite des Problems und die Dringlichkeit seiner Lösung zu offenbaren. Die belgische Regierung bemühte sich in weiteren Noten an England, ihre Haltung begreiflich zu machen. Sie schlug eine mündliche Aussprache über die Reparation zwischen den alliierten Ministern an der Hand der Belgischen Studien vor. Die franzö- sische Regierung schwieg sich aus, Unter dem 11, August sandte Lord Curzon an Frankreich und Belgien eine weitere N ote, in der er das ganze Problem noch- mals ausführlich und im einzelnen erörterte und die Differenzen zwischen den Alliierten vom englischen Gesichtspunkte aus scharf analysierte, Er lehnte es ab, die Zustimmung Frankreichs Englands zu bezahlen. Die zerstörten Gebiete hätten keinen be- $ründeten Anspruch auf bevorzugte Befriedigung vor anderen Kriegsschäden, wie sie England durch Vernichtung von Schiffen erlitten habe, | Die Reparationskommission in ihrer jetzigen Zusammensetzung, ohne Beteiligung Amerikas — das sagt die englische Note aus- drücklich —, sei in der Praxis ein Werkzeug französisch-belgischer Politik geworden. Man dürfe die unparteiischen Sachverständigen nicht nur aus alliierten Ländern aussuchen, sondern müsse auch Vertreter der Vereinigten Staaten, neutraler Mächte und Deutsch- lands zuziehen, Die Reparationskommission sowohl wie die alliierten Hauptmächte hätten wiederholt festgestellt, daß es der deutschen Regierung nicht möglich gewesen sei, gewisse, ihr im Vertrage aufgezwungene Verpflichtungen zu erfüllen. Die höchsten juristischen Autoritäten in England hätten die britische Regierung dahin beraten. daß die rechtlichen Einwen- dungen Deutschlands gegen die Ruhrbesetzung wohl begründet seien. Die britische Regierung habe bei früheren Gelegenheiten die Drohung mit der Besetzung des Ruhrgebiets nicht ausgesprochen 250 wegen Verletzung von Reparationsvorschriften, sondern eben nur als eine Drohung, genau so wie eine Kriegsdrohung. Aber auch die Drohung mit Krieg sei nutzlos, weil der Zahlungswille Deutsch- lands, der damit erzwungen werden solle, nichts bedeute, wenn seine Zahlungsfähigkeit durch die Ruhrbesetzung vernichtet sei. Frankreich habe nach dem Kriege 1870/71 nur vier Milliarden Goldmark zahlen müssen. Die Reparationsansprüche aus dem Weltkriege seien dreiunddreißigmal so groß. Die Parallele mit 1871 lasse sich auch deshalb nicht ziehen, weil Frankreich infolge seines Kredits damals die nötigen Anleihen mit Leichtigkeit habe aufbringen können, während es Deutschland vollkommen un- möglich sei, ausländische Anleihen zu bekommen. England erkläre sich abermals bereit, seine gesamten An- sprüche an die Alliierten und an Deutschland auf 14.2 Milliarden Goldmark herabzusetzen, eine Summe, die den Wert der kapitali- sierten Schuld Großbritanniens an die Vereinigten Staaten dar- stelle. England werde auch hiervon den Alliierten noch so viel nachlassen, als es auf die 14.2 Milliarden von Deutschland er- halten werde. | Die Methode der französischen und der belgischen Regierung, die Reparation beizutreiben, sei zum Mißerfolg verurteilt, weil trotz aller Beschlagnahmen im Ruhrgebiet bei großen Kosten weniger Erträge erzieit worden seien als im Jahre zuvor. Die Sache könne schließlich so weit getrieben werden, daß England im Interesse beschleunigter Regelung der Reparation zu ge- sondertem Handeln schreiten müsse. Niemals zuvor war der tiefe Riß zwischen England und Frank- reich so scharf und gründlich beleuchtet worden wie in vn englischen Note vom 11. August. Niemals auch hatten sich ie beiden Alliierten vor aller Welt so ernste Wahrheiten gesagt er in dem ganzen denkwürdigen Notenwechsel. Er gibt ” Schwierigkeiten des Reparationsproblems und in die versc . ". Denkart der beiden Völker tieferen Einblick als lange Abhand- lungen. Er wirft ein grelles Licht auf Vorgänge, deren K hang bis dahin mehr oder weniger dunkel geblieben war. Un 251 deshalb schien es mir nötig, die wichtigsten und interessantesten Stellen aus dem Notenwechsel hier getreulich wiederzugeben. Poincare antwortete am 20, August mit einer Note, die an Ausführlichkeit, Offenheit und Schärfe nichts zu wünschen übrig läßt. Er führte als geschickter Advokat den Nachweis, daß Lloyd George die Besetzung weiteren Gebietes ebenfalls als Druckmittel für die Bezahlung der Reparation angedroht und angewendet habe, Er versuchte ferner mit Scheingründen nachzuweisen, daß Deutschland sich konsequent den Reparationszahlungen entzogen und den Zusammenbruch seiner Geldwirtschaft selber herbeige- führt habe. Den französischen Beschluß, im Ruhrgebiet zu bleiben, bis Deutschland seine Gesamtschuld bezahlt habe, begründete er unter anderem mit der Phrase, daß andernfalls das Wort von Lloyd George wahr werde, das er am 3. März 1921 in der Londoner Konferenz ausgesprochen habe: es würden die Sieger die Kosten der Niederlage bezahlen und die Besiegten die Früchte des Sieges ernten. Auch dieser politische Schriftsatz Poincar&s läßt bei aller Dialektik jedes wirtschaftlicheVerständnis vermissen, Er klammert sich mit formal-juristischer Logik an die Forderung, die Poincare stets im Munde führte: „Der Vertrag von Versailles muß ausgeführt werden.“ Damit schloß der äußerst lehrreiche, aber praktisch vollkommen nutzlose Notenaustausch zwischen den Alliierten im Sommer 1923, Der Versuch der englischen Regierung, die Alliierten wieder zu einem gemeinsamen Vorgehen in der Reparationsfrage zu bringen, war fehlgeschlagen. Deutschland erhielt auf seine Note vom 7. Juni, in der es auf englisches Betreiben ein sehr weitgehendes Angebot gemacht hatte, überhaupt keine Antwort. Poincar& war auf der ganzen Linie Sieger geblieben, 252 FÜNFUNDZWANZIGSTES KAPITEL DIE EINSTELLUNG DES PASSIVEN WIDERSTANDES Mittlerweile griff der Verfall der Währung und der Wirt- schaft Deutschlands in verhängnisvoller Weise um sich. Das zeigt sich am besten an der Bewegung der Wechselkurse. Der offizielle Preis für einen Dollar an der Berliner Börse war: Mitte Juni : 2. Die 100 000 Mitte Jan onen S 200 000 am 8. August, . . 5.000 000 Mitte September . . . „100.000 000 am 9, Oktober. . über „1000000000 Ein Halten bei diesem Absturz gab es nicht mehr: die deutsche Mark war zur völligen Wertlosigkeit verurteilt. Trotzdem be- mühten sich Regierung und Reichsbank noch immer vergeblich, einen Damm gegen die Markvernichtung aufzubauen. Schon im Juni hatte alle Welt den Glauben daran verloren, daß diese Stützungsversuche noch etwas nützen könnten. Der Unterhalt des besetzten Gebietes, der beinahe ausschließlich auf Reichskosten betrieben wurde, verschlang Summen, die, in Papiermark be- rechnet, immer unermeßlicher wurden, Das Defizit der Reichs- betriebe, vor allem der Eisenbahn, wuchs in gleicher Weise. Trotz aller neuen Steuererlasse bildeten die Reichseinnahmen nur einen verschwindenden Teil der Ausgaben. Jede Woche und schließlich beinahe jeden Tag mußten die Gehälter und Löhne in den Staats- und Privatbetrieben erhöht werden. Längst konnte die Notenpresse dem Bedarf an Zahlungsmitteln mit dem Druck von neuen Noten nicht mehr folgen. Industrie und Landwirtschaft 253 und ebenso der Handel weigerten sich schließlich, ihre Waren überhaupt noch gegen Papiermark zu verkaufen. Daraus ent- standen Unruhen und blutige Zusammenstöße,. Das Gespenst allgemeiner Hungersnot drohte in den Städten. Alle Versuche der Regierung, durch immer schärfere Devisen- vorschriften der Verschleuderung der Mark ein Ende zu setzen, blieben ohne jede Wirkung. Nun entschloß man sich endlich dazu, neben der wertlosen Papiermark neue wertbeständige Umlaufs- mittel auszugeben, Durch Verordnung vom 14. August wurde eine Goldanleihe von 500 Millionen Goldmark geschaffen, deren Ab- schnitte auf Dollars und Teilbeträge von Dollars lauteten und als Zahlungsmittel in den Verkehr gebracht wurden, Die Regierung schritt weiter am 25. August zu einer Zwangsabgabe von Devisen. Hierauf gingen bis zum 27, Dezember 137 Millionen Goldmark ein. Ende September 1923 hatte die Reichsbank aus ihrem Gold- vorrate, der noch am 15. April über 1000 Millionen Goldmark betragen hatte, mehr als 550 Millionen Goldmark verloren. Davon waren über 100 Millionen für die Einlösung der am 15. Mai und 15. Juni fälligen letzten beiden belgischen Schatzwechsel ausge- geben. 450 Millionen Goldmark in barem Gold aber hatte die ebenso hartnäckige wie erfolglose Fortsetzung der Mark- stützungsaktion verschlungen. Um dem erschreckenden Mangel an Umlaufsmitteln zu steuern, ließ die Regierung die Ausgabe von Notgeld nicht nur in Papier- geld, sondern auch auf Goldbasis zu. Man schätzt die erlaubte und unerlaubte Ausgabe von Papiernotgeld auf etwa 200 Trillionen Mark und die Ausgabe des wertbeständigen Notgeldes auf etwa 200 Millionen Goldmark. Auch die Reichsbahn gab damals etwa 114 Trillionen Papiermark und 150 Millionen Goldmark als Eisen- bahnnotgeld aus. Endlich schufen verschiedene deutsche Länder und preußische Provinzen Goldanleihen im Betrage von etwa 50 Millionen Goldmark, die gleichfalls als Umlaufsmittel dienten. Die Erbitterung des Volkes über den völligen Mißerfolg der äußeren Politik und über die Verschärfung der Zustände im Reiche führte am 12. August den Sturz der Regierung Cuno herbei, Ein neues Kabinett unter Stresemann sicherte sich die Mitwirkung 254 der sozialdemokratischen Partei. Diese entsandte Dr, Hilferding auf den schwierigen und undankbaren Posten des Finanzministers. Um der finanziellen Mißwirtschaft ein Ende zu machen, suchte Hilferding sogleich die von ihm schon seit längerer Zeit vertretene Politik der schleunigen Rückkehr zur Goldwährung in die Tat umzusetzen. Dazu gehörte aber nicht nur die Ausgabe von Gold- anleihe und von Goldgeld, sondern auch die Einstellung der ver- hängnisvollen Praxis der Reichsbank, immer noch Papierkredite an Industrie und Handel zu geben. Vor allem aber mußte, wenn das ganze Reich vor dem wirtschaftlichen Chaos bewahrt bleiben sollte, mit der planlosen Verschwendung von Geld in den be- setzten Gebieten gebrochen werden. Hörte aber die finanzielle Unterhaltung der besetzten Gebiete auf Reichskosten auf, so war damit auch der passive Widerstand zu Ende. Es ist der deutschen Regierung sehr schwer geworden, das Bekenntnis der Niederlage in diesem Kampfe abzulegen. Die Not war schließlich stärker als der Stolz. Nachdem der Kanzler Stresemann bereits öffentlich erklärt hatte, der passive Widerstand sei ein Fehlschlag gewesen, verkündete die Reichsregierung am 26. September formell, daß der Widerstand aufgegeben sei. Hinzugefügt wurde freilich, daß diese Erklärung keine Kapitulation vor Frankreich bedeute, So groß die Erwartung gewesen war, daß dieser Schritt zu Verhandlungen mit den Alliierten führen werde, so groß war die Enttäuschung. Die diplomatischen Versuche der neuen Regierung, wenigstens die Zustände in den besetzten Gebieten zu erleichtern, waren vergeblich. Frankreich ließ sich auf nichts ein, weder auf Verhandlungen noch auf die Freilassung der politischen Ge- fangenen und die Rückkehr der aus dem besetzten Gebiet Ver- triebenen. Poincare erklärte, er müsse sich erst davon überzeugen, daß der passive Widerstand wirklich zu Ende sei. Nun entstanden in Deutschland ernste politische Wirren. Bayern trat in offenen Gegensatz zur Reichsregierung. Be- waffnete Scharen unter Ludendorff und Hitler versuchten eine nationalistische Gegenrevolution anzuzetteln. Das führte sofort zu kommunistischen Unruhen in Sachsen und Thüringen. Letztere wurden mit Hilfe der Reichswehr bald niedergeschlagen. In 255 München kam es am 9, November zu einem Putsch, der durch das Eingreifen der Reichswehr mit der Gefangennahme von Hitler schon am folgenden Tage sein Ende fand. Im Rheinland wurde sowohl zu Aachen wie zu Koblenz von Separatisten die Errichtung der selbständigen Rheinrepublik proklamiert. Auch in der Pfalz entstand eine gleichartige Bewegung. Sie breitete sich unter dem Schutze der französischen Besatzungstruppen zunächst rasch aus, Ueberall aber setzte sich die reichstreue Bevölkerung gegen die separatistischen Minderheiten zur Wehr, und bis zum Ende des Jahres gelang es allerorten, den Aufstand vollkommen nieder- zuschlagen. Das politische Eingreifen Englands gegen den Separa- tismus war dabei von Bedeutung. Deutschlands wirtschaftlicher Zusammenbruch schien im Ok- tober 1923 unvermeidlich. Die französische Regierung verhielt sich bei alledem durchaus passiv, Sie stellte nicht einmal mehr das Verlangen, daß die deutsche Regierung ihre Unterwerfung formell bekunde, sondern sie zog es vor, die Dinge weiter treiben zu lassen. Damals herrschte fast überall, besonders auch in Amerika die feste Ueberzeugung, daß Poincar& kein anderes Ziel habe, als die völlige Auflösung Deutschlands herbeizuführen. Es war klar, daß mit jedem Tage die Aussicht auf -Reparation immer mehr verschwand. Daraus folgerte man allgemein, daß es Frank- reich gar nicht mehr auf Reparation, sondern nur auf den politischen Zerfall Deutschlands ankam, um auf diese radikale Art völlige Sicherheit vor Deutschland zu erreichen. Vielfach . wurde behauptet, die Ueberwindung der deutschen Gegenwehr sei Poincar& zu plötzlich und zu früh gekommen. Er hätte mit diesem Triumph lieber gewartet, bis der Zeitpunkt der fran- zösischen Parlamentswahlen näher gerückt wäre, Denn in den Monaten, welche zwischen der Aufgabe des passiven Wider- standes und den französischen Wahlen lagen, mußte die Wahrheit über das Ruhrabenteuer herauskommen, Wenn sich dann zeigte, daß der politische Sieg Poincar&s auch für Frankreich schwere wirtschaftliche und finanzielle Nachteile brachte, so konnte die 256 Enttäuschung des französischen Volkes leicht den Sturz der Re- gierung Poincar& zur Folge haben. Ich glaube nicht, daß so tiefe und bestimmte Absichten hinter der Politik von Poincar& zu suchen sind. Poincar&s Stärke war starrsinniges Beharren bei einmal gefaßten Ideen und Beschlüssen, Er war nur im Verneinen groß. Er scheute sich nach der deutschen Niederlage, einen positiven Entschluß zu treffen, weil er in der veränderten Situation nicht aus noch ein wußte. Vorläufig gefiel er sich in der Rolle des siegreichen Diktators. Er zögerte auch, die weitere Entscheidung in den Reparationsfragen wieder der dazu berufenen Reparationskommission zu übertragen, weil er dann mit dem Widerstand Englands und vielleicht auch mit den Bedenken Italiens und Belgiens zu rechnen hatte. So blieb an Rhein und Ruhr vorläufig alles beim alten. Unter solchen Verhältnissen konnte auch das Kabinett Strese- mann keinen Bestand haben, Denn es hatte den passiven Wider- stand ja gerade aufgegeben, um wieder zu wirtschaftlich erträg- lichen Zuständen zu gelangen. Das Kabinett trat am 3. Oktober zurück. Die sozialistischen Minister schieden aus. Anstelle von Dr. Hilferding wurde Dr. Luther Reichsfinanzminister. Stresemann führte mit einem Rumpfkabinett in diktatorischer Form bis zum 23. November die Geschäfte weiter. Dann bildete sich aus den Mittelparteien eine neue Regierung mit Marx als Reichskanzler, Stresemann als Außenminister und Luther als Finanzminister, Bergmann, Der Weg der Reparation 17 257 SECHSUNDZWANZIGSTES KAPITEL DIE REFORM DES DEUTSCHEN GELDWESENS UND DES REICHSHAUSHALTS DIE MICUMVERTRÄGE Inmitten aller dieser Wirren wurde in Deutschland eine gründliche Währungs- und Finanzreform durchgeführt. Am 15. Oktober 1923 erging die Verordnung über die Errichtung der deutschen Rentenbank. Sie machte der Papierwirtschaft des Reiches ein Ende. Die Reichsbank wurde der Sorge für die Reichsfinanzen enthoben und ganz selbständig gemacht. Sie durfte fortan keine Schatzanweisungen des Reiches diskontieren, Die bisherigen Schulden des Reiches bei der Reichsbank wurden mit Hilfe eines zinslosen Darlehens der Rentenbank an das Reich von 300 Millionen Rentenmark abgelöst. Die Fehlbeträge im Reichs- haushalt, die bis zur Herstellung des Gleichgewichts der Ein- nahmen und Ausgaben entstehen würden, sollte das Reich aus verzinslichen Krediten der Rentenbank bestreiten. Diese durften einschließlich des zinslosen Darlehens von 300 Millionen den Ge- samtbetrag von 1200 Millionen Rentenmark nicht übersteigen. Die Einführung der Rentenmark war ein seltsames Experiment. Man mußte mit der Papierwirtschaft aufhören, weil sie durch die Vernichtung der Mark ad absurdum geführt worden war. Man wollte zur Goldwährung zurückkehren, hatte aber dafür keine genügende Unterlage an Gold und besaß auch keinerlei Kredit im Inland und Ausland mehr. Mit diesem Problem hatten sich in Deutschland schon seit langer Zeit Berufene und Unberufene abgequält. Es lagen Projekte vor für Goldnotenbanken auf reiner Goldwährung und auf der sogenannten goldgeränderten Währung. 258 Der Plan der Rentenbank stammt von Helfferich, Er brachte schon Anfang August 1923 dem Finanzminister Hermes im Kabinett Cuno einen vollständigen Entwurf, der abgesehen von wenigen Punkten einige Monate später fast unverändert Gesetz . geworden ist, Der einzige wirklich grundlegende Unterschied des Rentenbankgesetzes von dem Helfferichschen Entwurf liegt darin, daß Helfferich die Einheit der neuen Währung nicht auf die Goldmark abstellen wollte, sondern auf den Wert eines Pfundes Roggen. Schon bei den ersten Besprechungen im Finanzministerium wurde ihm gesagt, daß der Roggenpreis keine g&ignete Grund- lage für eine Währung sei, weil er bekanntlich schon im Verlaufe eines einzigen Jahres erheblich schwankt. Helfferich wußte sehr wohl, daß es theoretisch allein richtig sei, die Goldmark als Grundlage zu nehmen. Er erwartete aber von der Roggenmark ein besonderes Vertrauen der Landwirtschaft in die neue Währung, da das Land mit dem Begriff der Goldmark nichts anfangen konnte und das Gold selbst fehlte, während Roggen das Haupt- erzeugnis des deutschen Landbaus ist. Nun hatte der Plan von Helfferich gerade den Zweck, während einer Uebergangszeit wieder ein Zahlungsmittel zu schaffen, gegen das die Land- wirtschaft ihre Erzeugnisse verkaufen würde, Darüber, daß die Roggenwährung nur ein Schritt auf dem Wege zur Goldwährung sein könne, war sich Helfferich natürlich klar. Seine Konstruktion der Rentenbank zeugt von genialer Auf- fassung. Die produktiven Stände Deutschlands: Landwirtschaft, Industrie,-Gewerbe und Handel einschließlich der Banken wurden zugunsten der Deutschen Rentenbank mit einer Schuld in Höhe von vier Prozent ihres für die Zwecke des Wehrbeitrages im Jahre 1913 geschätzten Vermögens, im ganzen mit 3200 Millionen Goldmark, belastet. Die Last ruhte auf den Grundstücken in Form einer erststelligen Grundschuld. Wo nicht genügend Grundbesitz vorhanden war, trat an die Stelle der Grundschuld eine Schuld- verschreibung des belasteten Unternehmens. Diese Schuld war mit 6 Prozent jährlich zu verzinsen, Zinsen und Kapital waren bei Fälligkeit nach dem Goldwert in Rentenmark zu zahlen. Auf diese Weise wurden die Schuldner, das heißt die gesamte deutsche 17% 259 | Wirtschaft, daran interessiert, die Rentenmark auf der Höhe der Goldmark zu halten, Denn je mehr die Rentenmark unter den Goldwert sinken würde, um so mehr Rentenmark mußte der Schuldner an Zinsen und Kapital an die Rentenbank abführen. Das Grundkapital der Rentenbank betrug 2400 Millionen, ihre Grundrücklage (Reserve) 800 Millionen Rentenmark. Kapital und Reserven gegenüber stand als Aktivum der Rentenbank ihre Forderung von 3200 Millionen, die zur Hälfte auf die Landwirt- schaft, zur anderen Hälfte auf Industrie. Gewerbe und Handel entfiel, Die Eigentümer der belasteten Grundstücke und die Unter- nehmer der belasteten Betriebe waren der Höhe ihrer Schuld entsprechend an dem Kapital der Rentenbank beteiligt. Die Rentenbank sollte bis zur Höhe ihrer Forderung an die deutsche Wirtschaft fünfprozentige Rentenbriefe über 500 Goldmark oder ein Vielfaches davon ausstellen. Diese Rentenbriefe sollten als Deckung der von der Rentenbank als Zahlungsmittel auszugeben- den, auf Rentenmark lautenden Rentenbankscheine dienen. Der Wert aller in Umlauf gesetzten Rentenbankscheine durfte den Gesamtwert der ausgestellten Rentenbriefe nicht überschreiten. Die Rentenbank wurde verpflichtet, ihre Rentenmark jederzeit auf Verlangen so einzulösen, daß auf 500 Rentenmark ein Renten- brief über 500 Goldmark zu geben war. Die Rentenbank sollte Bankgeschäfte nur mit dem Reich, der Reichsbank und den Privatnotenbanken machen. Abgesehen von den erwähnten Krediten an das Reich durfte die Rentenbank der Reichsbank und den Privatnotenbanken zum Zwecke der Kredit- versorgung der Privatwirtschaft Kredite bis zum Betrage von 1200 Millionen Rentenmark gewähren. Aus dem Gewinn der Rentenbank waren vorweg 40 Prozent des Reingewinns einem Tilgungskonto zuzuführen. Alsdann sollte ein Betrag bis zu 6 Pro- zent der gemachten Einlagen den Anteilseignern zufallen, bezw. auf deren Schuldzinsen verrechnet werden. Ein etwaiger Rest- betrag war zur Verstärkung des Tilgungskontos zu verwenden. Die Verwaltung der Rentenbank sollte ganz in den Händen der Anteilseigner liegen. 260 > Die Rentenbank begann ihre Tätigkeit am 15, November 1923 mit der Ausgabe der Rentenbankscheine. Damals betrug die schwebende Schuld des Reichs bei der Reichsbank etwas über 191 Trillionen Papiermark. Vom 20. November ab gelang es, den Kurs des Dollars auf 4.2 Billionen Papiermark festzuhalten, Im Ausland war kurz vorher die Bewertung der Mark noch weit geringer gewesen, Durch den geschickten Aufkauf von Papiermark im Ausland wurde dann auf einem Dollarkurs von 4.2 Billionen das Gleichgewicht wiederhergestellt. Dieser Kurs ist nach einigen Schwankungen, die im Januar 1924 einsetzten, ständig aufrecht erhalten worden. Damit hat sich auch das Problem, ein festes Wertverhältnis zwischen der Rentenmark und der Papiermark zu schaffen, das den Erfindern der Rentenmark zunächst viel Kopf- zerbrechen gemacht hatte, von selbst gelöst. Denn nunmehr erhielt die Rentenmark, welche nach dem Gesetz einer Goldmark gleich ist, einen Börsenpreis von einer Billion Papiermark. Zu diesem Preise ist die Hauptmasse der schwebenden Schuld des Reiches bei der Reichsbank insgesamt mit etwa 200 Millionen Rentenmark eingelöst worden. So hat die Einführung der Rentenmark mit einem Schlage die Papiermark vorläufig stabilisiert. Gesetzliches Zahlungsmittel blieb die Papiermark nach wie vor. Die Rentenmark erhielt diesen Charakter nicht, wenngleich sie an allen öffentlichen Kassen als Zahlungsmittel anzunehmen war. Der große Erfolg der Renten- mark ist umso bemerkenswerter, als sie bei ihrer Einführung von den berufenen Vertretern des Bankgewerbes fast durchweg auf das heftigste bekämpft worden war. Es stand aber hinter der Rentenmark vor allem das Vertrauen der Landwirtschaft, die in der neuen Währung das Werk ihres politischen Vertreters Helfferich sah und stützte, Ein schlagender Beweis dafür, daß das Vertrauen des Volkes von wesentlicher Bedeutung für die Geschicke der Landeswährung ist. Die Einführung der Rentenmark war aber nur eine der nötigen Voraussetzungen für die Währungs- und Finanzreform. Sie hätte nur vorübergehend Erfolg haben können, wenn nicht gleichzeitig 261 im Steuerwesen und in den Ausgaben des Reiches grundlegende Aenderungen eingetreten wären. Durch Verordnung vom 11. Oktober wurde kurzerhand be- stimmt, daß alle Reichssteuern auf Gold umzustellen seien. Durch drei Steuernotverordnungen wurden weitere tief in die Wirtschaft einschneidende Steuermaßnahmen getroffen. Das Kontrollrecht des Finanzministers über die einzelnen Reichsressorts wurde wesentlich erweitert, Die Ausgaben wurden stark eingeschränkt, vor allem durch einen sehr scharfen Abbau der Beamtenschaft. Etwa 25 Prozent der Reichsbeamten wurden entlassen, Eisenbahn und Post wurden in ihren Finanzen ganz auf eigene Füße gestellt. Sie führten Goldtarife ein und erhielten keinerlei Unterstützung vom Reiche mehr. | Trotz aller dieser Maßnahmen war es ein kühnes und gefähr- liches Unterfangen, das Gleichgewicht im Reichshaushalt lediglich durch die Kredithilfe der Rentenbank herzustellen. Es blieben dem Reiche nach Ablösung seiner Schuld von 200 Millionen bei der Reichsbank von dem Gesamtkredit der Rentenbank noch 1000 Millionen Rentenmark. Davon verbrauchte das Reich schon bis Ende Dezember 800 Millionen, weil die Einnahmen zunächst noch stark hinter den nötigen Ausgaben zurückblieben. Von An- fang Januar 1924 an aber gelang es, ohne weitere Benutzung des Rentenbankkredits Ausgaben und Einnahmen des Reichs im ‚Gleichgewicht zu halten. Bald wurden sogar Ueberschüsse erzielt. Die Reichsfinanzen waren Ende 1923 besonders dadurch be- lastet worden, daß man trotz der Einstellung des passiven Wider- standes sich auch nach dem 15. November genötigt sah, die Unter- stützung der Erwerbslosen im besetzten Gebiet fortzuführen, Dafür wurde ein Höchstbetrag von 100 Millionen Rentenmark ausge- setzt, der natürlich nur für kurze Zeit helfen konnte, So stand die Regierung vor der Frage, wie nach Aufgabe des passiven Wider- standes die Wirtschaft in den besetzten Gebieten aufrecht erhalten werden sollte. Rhein und Ruhr hatten im letzten Jahr fast aus- schließlich von den Geldsendungen der Regierung gelebt. Industrie und Handel waren durch die Zwangsmaßnahmen der Besetzung lahmgelegt. Die Arbeit in den Bergwerken und Fabriken stand still. 262 Die Aufgabe des passiven Widerstandes war eine unvermeid- liche Folge des allgemeinen: Finanzelends. Sie hatte keinen Sinn, wenn das Reich seine Zahlungen in das besetzte Gebiet doch nicht einstellte, Was aber sollte an Rhein und Ruhr geschehen, wenn die Unterstützung durch das Reich vollkommen aufhörte? Frankreich lehnte es ab, sich auf Verhandlungen mit Deutsch- land über die Ordnung der Verhältnisse im besetzten Gebiet ein- zulassen, Somit konnte die Arbeit in den stillgelegten Betrieben nur dann wieder beginnen, wenn die deutschen Unternehmer sich mit den fremden Machthabern einigten, das heißt sich ihren Be- dingungen unterwarfen. Ein solcher Entschluß mußte das Ein- geständnis der deutschen Niederlage besiegeln. Er verleugnete die bisherige Abwehrpolitik der Regierung. Alle Opfer und Leiden des Volkes im Ruhrkampf wurden damit vergeblich. Unter dem Machtwort der Besatzung die Arbeit wieder aufzunehmen, war daher unlogisch und unpolitisch. Die Welt war darauf gefaßt, daß Deutschland in seiner Verzweiflung die Aufgabe des passiven Widerstandes etwa so begründen würde: „Der ungleiche Kampf ist aus. Wir sind am Ende unserer Kräfte, Ihr habt durch den Einfall in das Ruhrgebiet das wirt- schaftliche Zentrum Deutschlands vernichtet und die Zahlung von Reparationen unmöglich gemacht. Wir müssen die besetzten Gebiete ihrem Schicksal überlassen. Tut mit ihnen, was ihr wollt, und seht zu, wie ihr auf eure Kosten die verzweifelte Lage wieder in Ordnung bringt.” | Dieser Weg, den die besetzenden Mächte mehr als alles fürchten mußten, wurde nicht eingeschlagen. Der Trieb zur Selbst- erhaltung war stärker als Logik und Stolz. Wenn die Arbeiter im rheinisch-westfälischen Industriegebiet kein Geld und keine Lebensmittel mehr bekamen, würde Verzweiflung sie zum Auf- ruhr getrieben haben. Die Verantwortung für blutige Unruhen und für den Untergang weiter Volkskreise wollte niemand über- nehmen. Die Industrie scheute sich aus guten Gründen, ihr Eigen- tum den besetzenden Mächten vollkommen auszuliefern. Ferner war zu befürchten, daß die Bewegung des Abfalls vom Reich, die ohnehin offen ausbrach, aus der allgemeinen wirtschaftlichen 263 Katastrophe so viel Kraft ziehen würde, daß die besetzten Ge- biete auf lange Zeit vom Reiche auch politisch abgetrennt wurden. Das etwa waren die Gründe, aus denen man sich schweren Herzens entschloß, den bitteren Weg der Unterwerfung unter die iremde Gewalt zu gehen. Da die deutsche Regierung mit mehr- fachen Verhandlungsversuchen von F rankreich glatt abgewiesen worden war, überließ sie es der Industrie des besetzten Gebietes, auf eigene Faust die Dinge zu ordnen. Mehrere Unternehmungen, zuerst die Phoenix-Gruppe, in der holländisches Kapital maß- gebend vertreten war, verhandelten mit den französischen Macht- habern, um ihre beschlagnahmten Vorräte an Eisen- und Stahl- produkten zum Verkauf frei zu bekommen. Dem folgte nach und nach fast die ganze Schwerindustrie, Die Verhandlungen wurden mit der Mission Interallige de Contröle des Usines et des Mines (Micum) geführt. Die Micum verlangte zunächst, die deutsche Industrie solle die von ihr geforderten Abgaben an die Besatzungs- mächte ohne jede Entschädigung leisten. Dagegen stellte sich die Industrie auf den Standpunkt, daß sie nur auf Grund des Ver- trages von Versailles Leistungen machen könne, die demgemäß der deutschen Regierung auf Reparationskonto gutzuschreiben seien. Die Regierung in Berlin wurde von dem Gange der Verhand- lungen ständig unterrichtet. Sie erkannte durch die Schreiben des Reichskanzlers vom 1. November und 21. November an die Ver- treter der Schwerindustrie (die sogenannte Sechserkommission) an, daß sie verpflichtet sei, die Micumlasten des besetzten Ge. bietes zu vergüten, Bedingung dafür war, daß diese Leistungen auf Reparationskonto gutgeschrieben werden würden. Die Ver- gütung sollte nach Ordnung der Reichsfinanzen stattfinden. Bis dahin sollten die Zechen berechtigt sein, gewisse Steuern auf die Lieferungen an die Micum zu verrechnen. Nach vielfachem Hin und Her wurde endlich am 23. November zwischen der Micum und der Sechserkommission ein Vertrag ge- zeichnet, der im wesentlichen auf folgendes hinauskam: 1. Die Bergwerke zahlen binnen sechs Monaten an die Micum für den Zeitraum bis zum 1, November 1923 einen Teilbetrag 264 der deutschen Kohlensteuer, im ganzen nicht mehr als 15 Millionen Dollar; 2. die Kohlenvorräte aus der Förderung bis zum 1, Oktober 1923 bleiben für die Alliierten beschlagnahmt. Die neue Förderung wird Eigentum der Bergwerke. Diese haben für jede Tonne der von ihnen verkauften Kohle eine Abgabe von zehn Francs zu zahlen; 3. die Bergwerke nehmen in einem bestimmten Verhältnis zu ihrer gesamten Erzeugung die Kohlen- und Kokslieferungen an die Alliierten wieder auf. Die Lieferungen an Frankreich und Belgien sollten 18 Prozent der geförderten Kohle und bis zu 35 Prozent des erzeugten Koks betragen. Für die Lieferung von Nebenprodukten der Kohle galten besondere Abmachungen; 4. die Bergwerke liefern die für den Bedarf der Besatzungs- armeen benötigte Kohle ohne Entschädigung; 5. die beschlagnahmten Vorräte an Eisen und Stahlwaren und an Nebenprodukten der Kohle werden im allgemeinen nach Maßgabe der auf die rückständige Kohlensteuer gezahlten Beträge freigegeben. Ihre Ausfuhr aus dem besetzten Gebiet wird aber kontrolliert und unterliegt Abgaben, die gegen früher ermäßigt werden; die gelieferten Mengen von Kohle, Koks und Neben- produkten werden gemäß dem Vertrage von Versailles auf Reparationskonto gutgeschrieben. Die zu zahlenden Steuern und Gebühren werden vorbehaltlich der Rechte der Repa- rationskommission in die französisch-belgische Pfänder- kasse[caisse des gages) eingezahlt. Hieraus werden einst- weilen die Kosten der Ruhrbesetzung bestritten; 7. das Abkommen soll bis zum 15. April 1924 gelten. Der Micumvertrag erregte durch seine Härte in der ganzen Welt Aufsehen. Ganz abgesehen von den Barzahlungen, die den Bergwerken auferlegt wurden, schien es undenkbar, daß die Ruhr- industrie die von ihr verlangten Kohlenmengen für die Reparation liefern könnte. Alles zusammengerechnet (auch die vertrags- 265 a mäßigen Lieferungen an Italien kamen noch hinzu) stellten sich die verlangten Mengen auf 30 bis 40 Prozent der Gesamtförderung. Die Kohlenindustrie selbst erklärte, daß sie den Vertrag nur aus bitterer Not eingegangen sei, um das besetzte Gebiet vor dem völligen Zusammenbruch zu bewahren. Sie wolle deshalb den Versuch machen, dem Vertrage nachzukommen, glaube aber, daß sie nach einigen Wochen am Ende ihrer Mittel und Kräfte sein werde. Keinesfalls könne sie den Vertrag bis zum 15, April 1924 durchhalten, Gleichartige Verträge kamen auch mit der rheinischen Braun- kohlenindustrie und der Rheinschiffahrt zustande, Nach dem Vorbild der Micum trat alsbald auch die interalliierte Rheinland- kommission mit den verschiedensten Wirtschaftskreisen des besetzten Gebiets in Verhandlungen. Sie schloß mit ihnen Ver- träge für den Absatz und die Ausfuhr von chemischen Produkten, Stahl und Eisen, Leder, Papier, Textilwaren, Zucker, Holz, Wein usw. Die einzelnen Industrien verpflichteten sich darin zu bestimmten Abgaben an die Besatzungsmächte, So wurde in derselben Zeit, in der Deutschland auf die eigene Kraft des Landes angewiesen und ohne jede fremde Kredithilfe das bisher so gefürchtete Wagnis der Rückkehr zu einer festen Währung und der Ordnung des Reichshaushalts entschlossen unternahm, im besetzten Gebiet durch Zwangsverträge mit der Industrie das System der produktiven Pfänder organisiert, das schon seit langem das Ziel der französischen Politik gewesen war. Kein Sachkundiger glaubte Mitte November 1923 daran, daß die deutsche Regierung das Experiment der Rentenmark, welches der althergebrachten . Währungstheorie geradezu ins Gesicht schlug, länger als einige Wochen durchhalten werde. Ebenso- wenig dachte jemand im Ernst daran, daß das System der Micum- verträge, das anscheinend den Rest der Lebenskraft aus der rheinisch-westfälischen Wirtschaft herauszog, auf längere Zeit hinaus wirksam bleiben könne, In beiderlei Hinsicht hat sich die Welt getäuscht. Die mit so geringen Hoffnungen unternommene deutsche Finanz- und Währungsreform wurde ein dauernder, voller Erfolg. Das System 266 ER der Micumverträge aber hat, so schwere Opfer es auch der deutschen Wirtschaft auferlegte, bis zur endgültigen Regelung der Verhältnisse an Rhein und Ruhr auf Grund des Londoner Ab- kommens vom 16. August 1924 bestanden und den Alliierten, sogar nach Abzug der Besatzungs- und Verwaltungskosten, erheb- liche Einkünfte gebracht. Durch die Tatsache, daß Deutschland aus eigener Kraft seine Währung und seinen Haushalt zu einer Zeit der allerschlimmsten finanziellen und wirtschaftlichen Not geordnet hat, wird einwand- frei die These widerlegt, mit der bis dahin die überwiegende Mehrheit der Wirtschaftskundigen in aller Welt jeden früheren Versuch der Markstabilisierung bekämpft und abgetan hatte. Die Mark zu stützen und das Gleichgewicht im Reichshaushalt anzu- streben, galt ganz allgemein als verkehrt und aussichtslos, solange nicht die Reparationsfrage geregelt sei. Nun denn: Niemals sah das Reparationsproblem so schwarz und unlösbar aus wie im Herbst 1923, als die Rentenmark einge- führt und die Finanzen des Reichs saniert wurden. Daß der Dawesplan kommen, und daß die Gewaltpolitik ein Ende nehmen würde, davon hatte damals kein Mensch eine Ahnung. Das große Reformwerk gelang, obwohl anscheinend alle Vorbedingungen wirtschaftlicher und finanzieller Art dazu fehlten. Es gelang, weil bitterste Not das ganze deutsche Volk endlich belehrt hatte, daß es vor allen Dingen eine feste Währung haben müsse, um über- haupt weiterleben zu können. Diese Ueberzeugung hatte bei einem großen Teil des, Volkes bisher gefehlt. Im Gegenteil: viele deutsche Wirtschaftskreise befanden sich in den Jahren der allmählichen Markentwertung ganz wohl, weil ihre Geschäfte gut gingen und ihre Verdienste in Papiermark groß aussahen. Sie erklärten eine plötzliche Rückkehr zur Goldwährung oder, was praktisch aul dasselbe hinauslief, eine Stabilisierung der Papiermark, die nicht etwa ganz von selbst kommen würde, für eine große, wirtschaft- liche Gefahr. Bei solchen. Widerständen im eigenen Volke, die bis in die Regierungskreise hineinreichten, war die Papiermark vor dem völligen Untergang nicht zu retten. Erst als das ganze Volk sich von der Verderblichkeit der Inflation überzeugt hatte, war es 267 möglich, eine feste Währung in Deutschland einzuführen. Mit dieser Erkenntnis war die schwere Aufgabe schon halb gelöst, Nur so kann man sich das Wunder der Rentenmark erklären. Eines allerdings ist sicher: Die deutsche Währungs- und Finanzreform blieb auf die Dauer schweren Gefahren ausgesetzt, wenn ihr nicht von außen durch die Regelung der Reparation bald Hilfe kam. Und das geschah. Endlich siegte nach so vielen Fehl- schlägen die wirtschaftliche Notwendigkeit über den politischen Starrsinn. Das Verdienst daran, daß noch gerade zur rechten Zeit die Verhandlungen wieder aufgenommen werden konnten, gebührt in erster Linie den belgischen und englischen Delegierten und dem amerikanischen „Beobachter bei der Reparationskommission. Diese Männer arbeiteten auch in den schlimmsten Zeiten ruhig und unermüdlich weiter, um die Fehler und Torheiten der großen Politik wieder gutzumachen. ; 268 TEIL WV DER DAWESPLAN SIEBENUNDZWANZIGSTES KAPITEL DIE AUFGABE DER SACHVERSTÄNDIGEN Am 20. September 1923 hatte eine erste kurze Aussprache zwischen Poincar& und Baldwin in Aix les Bains stattgefunden. Zum Staunen der Welt wurde als Ergebnis verkündet, daß die beiden Regierungen in Sachen der Reparation vollkommen einig seien. Das war aber nur eine Redensart. Sachlich war in Aix nichts besprochen worden und alles blieb beim alten. | Am 30. Oktober regte die britische Regierung bei den Ver- einigten Staaten unter Bezugnahme auf den bekannten Vorschlag des Staatssekretärs Hughes an, die wirtschaftliche Fähigkeit Deutschlands zur Reparation alsbald durch Sachverständige untersuchen zu lassen, weil nur auf diesem Wege das europäische Wirrsal zu ordnen sei. Die Regierung in Washington stimmte $rundsätzlich zu. Darauf wandte sich England an Frankreich, Belgien und Italien. Diese erklärten ebenfalls, daß sie im Prinzip einverstanden seien, Aber der Entwurf, den die englische Re- gierung für die Einladung zu einer solchen Konferenz von Sach- verständigen einsandte, wurde von Poincar& dahin abgeändert, daß nur die gegenwärtige Zahlungsfähigkeit Deutschlands geprüft werden dürfe. Auch verlangte er, die Sachverständigen dürften sich mit der Frage, ob die Ruhrbesetzung zu Recht erfolgt sei, nicht beschäftigen. Staatssekretär Hughes erklärte dem franzö- sischen Botschafter, der ihm diese Forderungen übermittelte, daß die politische Seite der Ruhrbesetzung die Sachverständigen nichts anginge, Insofern gab er dem französischen Verlangen nach, da- ‚gegen lehnte er es ab, die wirtschaftliche Untersuchung zeitlich zu beschränken. | 271 Poincare verschanzte sich mit allerlei formalen Gründen dahinter, daß nach dem Vertrage von Versailles die Prüfung der Sachverständigen keinen längeren Zeitraum umfassen dürfe als bis zum Jahre 1930, weil über diesen Zeitpunkt hinaus selbst die Reparationskommission nur bei Einstimmigkeit befugt sei, Deutschland Stundungen zu bewilligen. In Verbindung mit anderen Vertragsbestimmungen ergebe sich hieraus, daß die Reparationskommission die Prüfung der deutschen Zahlungs- fähigkeit nicht ein für allemal vornehmen dürfe, sondern von Zeit zu Zeit wiederholen müsse. Die amerikanische Regierung er- klärte eine derart beschränkte Tätigkeit der Sachverständigen für nutzlos und schädlich und lehnte die Mitwirkung amerika- nischer Sachverständiger ab. Nun hatte eine Konferenz ohne Beteiligung Amerikas bei der Uneinigkeit der Aliüierten keinen Sinn. Gegen den Widerspruch Frankreichs etwa mit England und den anderen Verbündeten die Konferenz abzuhalten, kam für Amerika nicht in Frage. Damit schien im November 1923 der, ganze Plan gescheitert zu sein. Jetzt entschloß sich die Reparationskommission, den Gedanken in etwas veränderter Form wieder aufzunehmen, alle Fragen der hohen Politik auszuscheiden und die rechtlichen Bedenken Poincares zu umgehen, Ein äußerer Anlaß dazu lag vor, da die deutsche Regierung am 24. Oktober den Antrag gestellt hatte, gemäß Art, 234 des Versailler Vertrages eine Untersuchung der wirtschaftlichen Hilfsquellen und der Zahlungsfähigkeit Deutsch- lands anzustellen und deutsche Vertreter darüber zu hören. Am 2, November teilte die deutsche Regierung der Reparations- kommission offiziell mit, daß sie wegen ihrer finanziellen Notlage die Sachlieferungen vorläufig nicht mehr bezahlen könne, Wie bekannt, hatte Deutschland gleich nach der Ruhrbesetzung die Lieferungen an Frankreich und Belgien eingestellt. Der Zu- sammenbruch der Mark hatte dann am 11. August dazu geführt, mit den Leistungen an alle anderen Alliierten aufzuhören, auch mit den Zahlungen aus dem englischen Recovery Act. Weil aber die Sachlieferungen auf Grund des Vertrages mit der Micum von der Industrie des besetzten Gebietes wieder aufgenommen werden 272 bare} —— P} 2. 4 n. 5 Fe: — a PS Bis TERN - » % 4 E Er ii ‚ - i er Ks Be ae IE RE el A NEE RE L- Sale en . 2; - er Er Fun fie - F 5 R EAN La aan N er =; K sollten, hielt es die deutsche Regierung für nötig, anzuzeigen, daß sie diese Lieferungen zurzeit nicht bezahlen könne, Die Reparationskommission ging auf den deutschen Antrag vom 24. Oktober ein, Der deutsche Staatssekretär Fischer erhielt am 27. November Gelegenheit, in einer eindrucksvollen Rede vor der Reparationskommission den verhängnisvollen Zustand der deutschen Finanzen und der deutschen Wirtschaft zu schildern. Die Kommission beschloß am 30. November, zwei Komitees von Sachverständigen zu ernennen. Das eine sollte Mittel und Wege untersuchen, wie der deutsche Haushalt ins Gleichgewicht gebracht und die deutsche Währung stabilisiert werden könne, Das zweite. sollte eine Untersuchung darüber anstellen, wie groß das ins Aus- land gebrachte deutsche Kapital sei und wie es nach Deutschland zurückgeführt werden könne, Auf diese Formel hatten sich die Mitglieder der Reparations- kommission geeinigt, um die Zustimmung aller beteiligten Mächte, vor allem Frankreichs zu sichern. Der englische Vorschlag, daß auch neutrale und deutsche Sachverständige in den Komitees mitwirken sollten, fiel dabei unter den Tisch. So, wie der Beschluß lautete, mußte er selbst in den Ohren von Poincare völlig unver- dächtig klingen. Von der Prüfung der deutschen Zahlungsfähigkeit, der Festsetzung der Reparationsschuld und der Ruhrbesetzung war mit keinem Wort die Rede, Was Poincar& an dem Beschluß besonders gefallen konnte, war die Untersuchung der deutschen Kapitalflucht ins Ausland, ein Steckenpferd, auf dem er in allen seinen Reden herumritt. Die den Sachverständigen zugedachten Aufgaben lagen ohne jeden Zweifel innerhalb der Befugnisse der Kommission. Sie waren aber auch weit genug gefaßt, um bei großzügiger Auslegung das Ziel zu erreichen, auf das einige Mit- glieder der Reparationskommission, vor allem Delacroix, schon seit dem Frühjahr 1922 hinarbeiteten. Auf dem Umwege über das Gutachten von internationalen Sachverständigen, fern von politischen Einflüssen und Schwierigkeiten, wollte man eine ver- nünftige Lösung des Reparationsproblems herbeiführen. Diese Absicht war bisher stets an Poincare gescheitert. Nun wurde sie ihm unter einer geschickten Maske nochmals vorgeführt. Bergmann, Der Weg der Reparation 18 273 Ob Poincare sich damals darüber klar geworden ist, was der Beschluß der Reparationskommission bedeutete, ist eine inter- essante Frage, Im Grunde hatte er trotz der feindseligen Schärfe, die er stets gegen Deutschland zur Schau trug, kein bestimmtes politisches Ziel, vielmehr schwankte er dauernd zwischen dem Verlangen nach Reparation und dem Wunsche der Vernichtung Deutschlands hin und her. Schließlich wurde ihm wohl selber bange vor dem Unheil, das er mit seiner Ruhrbesetzung ange- richtet hatte. So mag ihm vielleicht eine Form willkommen ge- wesen sein, die seiner bisherigen Politik gegenüber wenigstens den Schein wahrte. Tatsache ist jedenfalls daß Poincar& dem Beschlusse der Kommission seine Zustimmung gab. Von den übrigen Alliierten waren Schwierigkeiten nicht zu erwarten. James A, Logan, nach dem Ausscheiden von Roland W, Boyden der alleinige amerikanische Beobachter bei der Reparations- kommission, vermittelte in kluger Weise die Genehmigung der Vereinigten Staaten zur Teilnahme amerikanischer Sachver- ständiger. Vorher schon hatte die deutsche Regierung durch ihre Botschafter in London und Washington ihr Einverständnis mit der Absicht der Kommission erklärt. Die wirtschaftliche Notlage Deutschlands wurde damit nicht sogleich erleichtert. Auch in der Politik blieb die ersehnte Ent- spannung vorläufig aus. Im Dezember stellte die deutsche Re- gierung bei der Reparationskommission den Antrag, für einen in Amerika aufzunehmenden Kredit von 70 Millionen Dollar zur Einfuhr von Brotgetreide das Vorrecht vor den Reparations- forderungen zu bewilligen. Belgien und Frankreich widersprachen dem mit der Begründung, daß Deutschland sein in das Ausland geflüchtetes Kapital zu dem genannten Zweck heranziehen solle. Der Antrag wurde daher abgelehnt und der amerikanische Kredit kam nicht zustande, Es zeigte sich bald, daß die Reparations- kommission mit ihrer Ablehnung diesmal das Richtige getroffen hatte, Waren, vor allem Getreide, gab es in Deutschland genug. Die Not bestand darin, daß es an gutem Geld fehlte, mit dem man die Waren hätte kaufen können. Die Rentenmark brachte darin bald eine gründliche Besserung. | 274 Im Dezember 1923 versuchte die deutsche Regierung noch- mals, auf diplomatischem Wege mit Belgien und Frankreich zu einem modus vivendi im besetzten Gebiet zu gelangen. Die Be- _ sprechungen verliefen ohne rechtes Ergebnis. Störend wirkte vor allem die französische Forderung, daß die seit dem Ruhreinfall unterbrochene Militärkontrolle in Deutschland wieder in Wirk- samkeit treten solle, Die deutsche Regierung lehnte das ab. Immerhin trat sie wieder in geregelte diplomatische Beziehungen mit Frankreich und Belgien. Auf den seit dem Tode des Bot- schafters Dr. Mayer verwaisten Posten in Paris kam Dr. v. Hoesch, der sich als Geschäftsträger während der Ruhrbesetzung an schwieriger Stelle glänzend bewährt hatte. Das zur Untersuchung des deutschen Haushalts und der deutschen Währung berufene erste Komitee trat am 14, Januar 1924 in Paris zusammen. Es bestand aus folgenden Mitgliedern: Charles G. Dawes, Vorsitzender, Amerika Owen D. Young, Amerika Robert M, Kindersley, England J. C. Stamp, England J. Parmentier, Frankreich Edgar Allix, Frankreich Alberto Pirelli, Italien Federico Flora, Italien E. Francqui, Belgien Maurice Houtart, Belgien. Das zweite Komitee, welches die deutsche Kapitalflucht untersuchen sollte, vereinigte sich erst am 21. Januar in Paris. Seine Mitglieder waren: Reginald Mc Kenna, Vorsitzender, England Henry M. Robinson, Amerika Andre Laurent-Atthalin, Frankreich Mario Alberti, Italien : Albert E. Janssen, Belgien. Beide Komitees waren mit einer Unterbrechung von 14 Tagen, _ die sie in der ersten Hälfte des Februar in Berlin zubrachten, 275 18% unausgesetzt in Paris tätig. Am 9, April erstatteten sie gleich- zeitig ihren Bericht an die Reparationskommission. Das Gutachten des ersten Komitees ist die Grundlage für die Regelung der Reparation geworden, die am 16, August 1924 auf der Londoner Konferenz erreicht wurde, Man kann die Arbeit, welche diese Männer in weniger als drei Monaten geleistet haben, nicht genug bewundern. Sie wurden von der Reparations- kommission zu einer Zeit berufen, als die deutsche Wirtschaft unter dem Drucke der Ruhrbesetzung völlig zusammenzubrechen schien. Die politischen Beziehungen zwischen den Alliierten waren aufs äußerste gespannt. Alle Versuche, durch Verhandlungen in der Reparationsfrage irgendwie voranzukommen, waren ge- scheitert. Die Hoffnung der Reparationskommission, mit Hilfe der Sachverständigen einen Ausweg aus der verzweifelten Lage zu finden, stand auf schwachen Füßen. Immerhin, es war das letzte Mittel, das sich bot, und es mußte versucht werden. Wer sich das alles vor Augen hielt, konnte staunen über den frohen Mut, mit dem zumal die amerikanischen Mitglieder des Komitees an ihre Aufgabe herangingen. Das waren Männer, die in den Vereinigten Staaten ein hohes Ansehen genossen und von denen man viel erwartete, Wenn sie scheiterten, so setzten sie ihren großen Ruf aufs Spiel. Und doch waren sie von Anfang an überzeugt, daß ihre Arbeit glücken würde, Vielleicht führte gerade dieser Optimismus über alle Schwierigkeiten hinweg zum Ge- lingen. Vielleicht war auch die Zeit reif, wo nach endlosen Fehl- schlägen schließlich der Erfolg kommen mußte. Wenn aber wirklich alles gut ging, was war bestenfalls von der Arbeit der Sachverständigen zu erwarten? Niemand wagte beim Zusammentritt des Komitees zu hoffen, daß es die Repa- rationsleistungen Deutschlands gründlich regeln und eine ver- nünftige Beilegung des Ruhrkonflikts herbeiführen würde. Es schien ja schon unmöglich, die verschiedenen Ansichten der ein- zelnen Mitglieder, die sich in der Mehrzahl nicht einmal persönlich kannten und deren Heimatländer in scharfen politischen und wirtschaftlichen Gegensätzen lebten, unter einen Hut zu bringen. 276 . Pe a 5.4 - En N ER 7 ” ” Und wenn das auch erreicht wurde, was dann? Welchen prak- tischen Wert konnte ein noch so vortreffliches Gutachten über die Finanzen und die Währung Deutschlands haben? Denn genau genommen ging die Aufgabe des ersten Komitees nicht weiter als bis zur Erstattung eines Gutachtens darüber, was nötig sei, um Deutschlands Haushalt und Währung in Ordnung zu bringen. Die Währungsfrage war, wie wir wissen, schon im November 1922 von einer Reihe erster internationaler Sachverständigen beant- wortet worden, ohne daß man daraus irgendeine praktische Folgerung gezogen hätte, An das heiße Reparationsproblem zu rühren oder es gar in den Kreis der Untersuchung zu ziehen, dazu hatten die Sachverständigen nach dem Wortlaut ihres Auftrages keine Ermächtigung. Nach allem, was vorangegangen war, mußte man daher befürchten, daß bei einer Besprechung der eigent- lichen Reparationsfragen im Komitee die Meinungen aufeinander- platzen würden. Möglich, daß ein vorsichtig gewundenes und schön klingendes, aber unbrauchbares Gutachten dabei heraus- kam. Wie oft hatte nicht Poincare aller Welt verkündet, er werde es nicht zulassen, daß die Rechte Frankreichs von unverant- wortlichen internationalen Sachverständigen verhandelt oder gar verkürzt würden! Wer hätte ahnen können, daß er diesmal seine starren Grundsätze verleugnen und sich einem Urteil von Sach- verständigen anschließen würde, das die bisherige französische Reparationspolitik in Grund und Boden verwarf? Und wer hätte vorausgesagt, daß sein bis zum Ueberdruß wiederholtes Wort, Frankreich werde auch nach Deutschlands Unterwerfung die Pfänder im Ruhrgebiet und am Rhein festhalten, durch das Gut- achten der Sachverständigen zu einer leeren Redensart gemacht werden würde? Wer endlich konnte annehmen, daß die Besetzung des Ruhrgebiets, die laut den feierlichen Beschlüssen Frankreichs und Belgiens nur nach Maßgabe der deutschen Reparations- zahlungen abgebaut werden sollte, binnen kurzer Frist ihr Ende finden würde? Wie die Dinge lagen, konnte man der Arbeit der Sachverständigen wirklich nur mit bangen oder mit spöttischen Zweifeln entgegensehen. In der Tat gab es im Kreise der beiden Komitees anfangs 277 einige Verwirrung, ehe sie eine klare Richtschnur für die Durch- führung ihrer Aufgaben fanden. Verhältnismäßig leicht hatte es das zweite Komitee, Ueber die Frage der deutschen Kapitalflucht war schon viel geschrieben. Praxis und Wissenschaft waren einig darin, daß die Höhe des deutschen Kapitals im Auslande genau nicht zu ermitteln war und daß es durch Zwangsmaßnahmen keinesfalls nach Deutsch- land zurückgeführt werden konnte, Die Schwierigkeit der Aufgabe des zweiten Komitees bestand eigentlich nur darin, daß es einen weitverbreiteten Irrglauben auszuräumen hatte. Zumal in Frank- reich, aber auch in Amerika wurden immer wieder phantastische Zahlen über das ins Ausland geflüchtete deutsche Kapital kol- portiert. Aus solchen durch nichts bewiesenen Angaben zog man vielfach den Schluß, die deutsche Regierung könne mit Leichtig- keit viele Milliarden für die Reparation auf einmal zahlen, wenn sie sich nur ernsthaft bemühen wolle, das geflüchtete Kapital wieder nach Deutschland hineinzubringen. Dieses Argument wurde ausgenutzt, um in politischen Reden und in Zeitungsartikeln den bösen Willen Deutschlands darzutun, In der gleichen Richtung bewegten sich die Angriffe, welche der neue deutsche Unternehmungsgeist im Auslande erfuhr, Besonderen Anstoß erregten die Käufe und Anlagen von Hugo Stinnes in Europa und Uebersee. Aus dem Maße seiner durch die Inflation begünstigten kaufmännischen Energie folgerte man ohne weiteres, daß für die Zwecke des Handels und der Industrie ungeheure deutsche Kapitalien im Auslande verfügbar sein müßten, Ebenso irreführend wirkte die Eröffnung zahlreicher deutscher Banken und Bankfirmen im Auslande, vor allem in Holland. Die fremde Kritik bedachte nicht, daß der deutsche Handel durch den Verlust aller seiner früheren Stützpunkte in den alliierten Ländern ge- zwungen war, sich für das Geschäft mit dem Auslande neue Ver- bindungen zu schaffen, Dafür kam infolge seiner Lage zunächst Holland in Betracht. Auch die leidige Tatsache, daß die Ent- wertung der Mark in Deutschland eine große Anzahl von neuen Reichen hervorgezaubert hatte, die mit vollen Händen und schlechten Manieren das schnell verdiente Geld wieder aus- 278 ‘ streuten und sich besonders im Auslande unbeliebt machten, wurde übel vermerkt. Alle diese unvermeidlichen Erscheinungen einer fieberkranken Wirtschaft beutete man aus, um Deutschlands schlechten Willen und seine versteckten Reichtümer vor aller Welt anzuklagen. Es war zu begrüßen, daß endlich einmal von ernsthaften Kennern der internationalen Wirtschaft gründlich untersucht werden sollte, wie es denn eigentlich mit den deutschen Schätzen im Auslande stehe, Das Komitee McKenna kam bald zu dem Schluß, daß die direkte Ermittelung der deutschen Guthaben im Auslande, etwa durch Umfrage bei den Banken und sonstigen Geldinstituten, nicht möglich sei. Dem standen das Geschäftsgeheimnis und das eigene Interesse der ausländischen Banken im Wege. Auch wäre das Er- gebnis solcher Umfragen selbst bei gewissenhafter Auskunft un- vollständig geblieben, weil das Kapital für sein Anlagebedürfnis viele Wege kennt, die nicht über die Banken führen. Mc Kenna entwarf deshalb ein sinnreiches Schema, um die deutschen Gut- haben indirekt zu ermitteln, Es gibt in der volkswirtschaftlichen Literatur mehrere Schätzungen über die Höhe des deutschen . Kapitals im Auslande vor dem Kriege. Davon ging Mc Kenna ap Er zog alle Verluste ab, die Deutschland durch den Krieg ur nach dem Kriege an seinem Auslandskapital erlitten hatte, un zählte alles hinzu, was es nach dem Kriege, insbesondere durch Markverkäufe ins Ausland, wieder an neuem Kapital gewonnen hatte, Auf dieser theoretisch zutreffenden, praktisch freilich sehr unsicheren Grundlage bauten sich die Arbeiten des zweiten Komitees auf. Beim ersten Komitee lagen die Dinge viel verwickelter. Es mußte sich zuerst einmal darüber einig werden, ob und ehe die Reparation in seine Arbeiten einbeziehen sollte. Er. ® energische und gründliche Leute hätten aus Scheu ve 4 waltigen Verantwortung leicht dazu kommen können, die “ 4 Br stellten Aufgaben eng aufzufassen und allgemeine Leitsä £ gi über aufzustellen, was Deutschland tun müsse, um sein u g i in Ordnung zu bringen und Ueberschüsse für die Repara - Z erzielen. So ähnlich war es auf der Finanzkonferenz des VÖ er- 279 bundes in Brüssel 1920 und bei der Konferenz in Genua 1922 ge- gangen. Damit war natürlich niemandem geholfen. Wollte das Komitee wirklich etwas Bedeutsames leisten, so mußte es allen Schwierigkeiten zum Trotz das Problem der Reparation mutig anpacken und zum Hauptpunkt seiner Arbeit machen. Die dem Komitee gestellte Aufgabe war also wie folgt aufzufassen: Was kann Deutschland für die Reparation leisten, ohne das Gleichgewicht des Reichshaushalts und den Bestand der Währung zu gefährden? Offiziell durfte die Aufgabe nicht so lauten, weil die Ein- berufung der Sachverständigen dann an dem Widerspruch der französischen Machthaber gescheitert wäre, Es ist ein großes Ver- dienst des Komitees, daß es sich zu dieser kühnen Umstellung durchgerungen hat. Auch kann nicht genug anerkannt werden, daß die französischen und belgischen Delegierten in offenem Gegensatz zu der bisher bekundeten Politik ihrer Regierungen die Schwenkung geschlossen mitgemacht haben. Nun aber galt es, eine zweite gefährliche Klippe zu vermeiden. Ueber die Höhe der Reparation, die man von Deutschland fordern sollte, herrschte unter den Alliierten seit Jahren erbitterter Streit. Es war sicher, daß auch die Meinungen der Sachver- ständigen gerade darin weit auseinandergehen würden. Wenn die Alliierten sich früher über einen Plan aus ihrer Mitte nicht einigen konnten, hatten sie regelmäßig die deutsche Regierung aufge- fordert, selber anzugeben, wieviel Deutschland jährlich an Repa- ration zahlen könne, Auf diese Weise waren letzten Endes alle jene deutschen Angebote entstanden, die dann von den Alliierten mit Schimpf und Schande verworfen und mit den berüchtigten Sanktionen beantwortet wurden. Alles kam darauf an, daß die Sachverständigen nicht etwa auf denselben Ausweg verfielen. Das Komitee wäre sonst in eine gefährliche Sackgasse geraten. Die deutsche Regierung konnte unmöglich weiter gehen als in ihrem letzten Angebot vom 7. Juni 1923, das von Frankreich und Belgien für ungenügend erklärt war. Inzwischen aber hatte sich die Lage in Deutschland so viel schwieriger gestaltet, daß es für ein neues deutsches Angebot überhaupt keine Grundlage mehr gab. Zum 280 Glück bestand während der ganzen Tätigkeit des Komitees zwischen den Sachverständigen und deutschen Vertrauensleuten eine enge private Fühlung, so daß alle diese Dinge vertraulich besprochen werden konnten. So wurde mancher Mißgriff ver- mieden und manches auf den richtigen Weg gebracht. Deutsch- land wurde diesmal nicht gefragt, wieviel es zahlen könne. Die Vorarbeiten der beiden Komitees in Paris bezweckten vor allem, die Mitglieder untereinander bekannt zu machen und in allgemeiner Aussprache ein gemeinsames Programm zu finden. Die sachliche Beratung konzentrierte sich zunächst auf die Währungsfrage. Dr. Schacht, der neue Präsident der Reichsbank, wurde nach Paris gebeten. Mit ihm besprach das erste Komitee das Währungsproblem, die Lage der Rentenbank und das Projekt einer Goldnotenbank, Das zweite Komitee befragte ihn über die Kapitalflucht, Ein bestimmtes Ergebnis wurde bei den Vorbesprechungen in Paris noch nicht erzielt. Nur zeigte sich schon, daß die Ueber- führung der deutschen Reichsbahn in die Form einer Privat- gesellschaft, die in den belgischen Studien eingehend behandelt war, das besondere Interesse der Sachverständigen fand. Dieses Projekt war in doppelter Hinsicht bedeutsam. Erstens sollte und konnte aus der Reichsbahn ein erheblicher Teil der Reparation gewonnen werden. Zweitens bot, wie es schien, ein internationales Interesse an der Reichsbahn die einzige Möglichkeit, Frankreich zur Aufgabe seiner Pfänderpolitik zu bestimmen und damit die besetzten Gebiete wirtschaftlich wieder mit dem übrigen Deutsch- land zu vereinigen. Dabei galt es, die Franzosen davon zu über- zeugen, daß sie durch die Garantie der von einer Gesellschaft betriebenen Reichsbahn ein besseres Unterpfand erhielten als durch den kostspieligen Apparat der militärischen Besetzung, ‘durch Micumverträge und sonstige Zwangsmittel im besetzten Gebiet. Man war auch in deutschen Kreisen darauf gefaßt, daß anstelle der bisherigen Reichsverwaltung eine private Betriebsgesellschaft mit Kapitalbeteiligung des Auslandes treten müsse. Nur so konnte man hoffen, Frankreich und Belgien den Ersatz ihrer bisherigen 281 Pfänder durch die Reichsbahn schmackhaft zu machen. Auch mit diesem gewaltigen Opfer wäre die Wiedergewinnung von Rhein und Ruhr für Deutschland nicht zu teuer erkauft worden, Wir werden jedoch sehen, daß die Umgestaltung der Reichsbahn schließlich eine für das nationale deutsche Empfinden bei weitem erträglichere Form gefunden hat. Anfang Februar begaben sich die Sachverständigen nach Berlin. Sie traten mit den maßgebenden Regierungsstellen in Verbindung, suchten aber auch durch private Unterhaltungen mit Vertretern der verschiedenen Wirtschaftskreise Einblick in die deutschen Verhältnisse zu gewinnen, Das zweite Komitee wandte sich an die Großbanken, um für das Schema von McKenna die nötigen Angaben über die Be- wegung des deutschen Auslandskapitals zu ermitteln, Das erste Komitee arbeitete sich in die Einzelheiten des Reichshaushalts für 1924 ein. Daneben setzte es die Besprechungen mit Dr. Schacht über die Goldnotenbank fort. Es war eine seltsame Fügung, daß das Komitee bei Ankunft in Berlin seine eigentliche Aufgabe schon beinahe gelöst fand. Die deutsche Währung war mit Hilfe der Rentenmark vorläufig auf der Goldbasis stabilisiert. Das Gleichgewicht im Reichshaus- halt war dank der Energie des Reichsfinanzministers Dr, Luther bereits hergestellt. Vom Januar 1924 an zeigten die laufenden Ausweise des Reichshaushalts einen Ueberschuß der Einnahmen, der in Wirklichkeit noch größer war, als dies nach außen hin erschien. Das Reich verwandte nämlich einen erheblichen Teil seiner Einnahmen dazu, das ständige Angebot in der deutschen Goldanleihe von 1923 aufzunehmen. Die kleinen Stücke dieser Anleihe waren als Umlaufsmittel im Verkehr. Dieser aber stieß die Goldanleihe nach der Einführung der Rentenmark und nach der Stabilisierung der Papiermark wieder ab. Von einem Disagio der Goldanleihe befürchtete man Erschütterungen der soeben geordneten Währung. Daher entschloß sich das Finanzministerium dazu, die zurückströmenden Goldanleihestücke zum Nennwerte einzulösen, Dafür wurden schon im Januar und Februar mehrere hundert Goldmillionen aufgewendet. Auch das im Umlauf be- 282 findliche Notgeld wurde eingelöst. Ende Mai 1924 waren fast die gesamte Goldanleihe von 500 Millionen und die Hauptmasse des Notgeldes, im ganzen 625 Millionen Goldmark, aus laufenden Reichsmitteln zurückgekauft. Das war eine Leistung, die bei den Mitgliedern des Komitees Erstaunen und Befremden weckte. Sie fanden es nicht in der Ordnung, daß ein Staat, der eben erst an- fing, sich aus dem finanziellen Zusammenbruch zu erheben, eine fundierte Schuld von 500 Millionen Goldmark aus laufenden Ein- nahmen zurückzahlte, So war es begreiflich, daß die Sachverständigen bei ihrem Aufenthalt in Berlin von der Zahlungsfähigkeit Deutschlands eine sehr hohe Meinung bekamen. Was mußte ein Land, das trotz des Verlustes aller Einnahmen aus dem besetzten Gebiete seine zerrütteten Finanzen so schnell ordnete und gleich anfing, in sroßem Maße Schulden zu tilgen, was mußte ein solches Wunder- land für die Reparation leisten können, wenn erst einmal die politische Lage gebessert und die wirtschaftliche Einheit Deutsch- lands wieder hergestellt war? Es wurde damals allen Ernstes behauptet, die Sachverständigen wollten Deutschland eine jähr- liche Reparationslast von vier Milliarden Goldmark auferlegen. Und doch zeigte sich gerade in jenen Tagen, wie unsicher die Grundlage der deutschen Währung noch war. Plötzliche starke Verkäufe von Rentenmark — man sagte: aus dem besetzten Gebiet — warfen den deutschen Wechselkurs im Ausland um 20 Prozent zurück, Daran knüpfte sich allerlei Gerede über Un- stimmigkeiten zwischen dem ersten Komitee und Dr. Schacht in Sachen der Goldnotenbank. Durch eine geschickte Bekannt- machung des Komitees wurde die Gefahr beschworen. Der Kurs der Mark stellte sich wieder auf die Goldparität ein. 283 ACHTUNDZWANZIGSTES KAPITEL DIE LÖSUNG DER AUFGABE Mit der Rückkehr nach Paris gegen Mitte Februar begannen die Arbeiten der Sachverständigen festere Umrisse anzunehmen. Das erste Komitee griff nunmehr seine Aufgabe im weitesten Sinne an. Es ging entschlossen dazu über, einen eigenen Repa- rationsplan aufzustellen, Wie die Mitwirkung der französischen Vertreter im Komitee, wie vor allem die Zustimmung Poincares zu einer solchen Erweiterung des Problems erreicht wurde, dar- über läßt sich nach der Art der Sache Genaueres nicht sagen. Ein Sroßes Verdienst daran hat Seydoux, der im Laufe der Zeit seinen früheren starken Einfluß in der französischen Regierung wieder- gewonnen hatte, Wenn man bedenkt, wie Poincarö es immer wieder abgelehnt hatte, die Reparation in die Hände von Sachverständigen zu legen, und wie eifersüchtig er darüber wachte, daß kein Un- berufener in die verbrieften Rechte des französischen Volkes ein- griff, so wird man das Wunderbare an seiner plötzlichen Schwen- kung voll empfinden, Zur Erklärung hat man den Sturz des französischen Franken herangezogen, der sich gerade in jener Zeit ereignete, Das eng- lische Pfund Sterling, das Anfang Januar 1924 in Paris noch 85 Francs galt, stieg bis zum 9, März auf 120 Francs. Diese panik- artige Bewegung wurde durch eine energische Stützungsaktion mit Hilfe eines englischen und eines amerikanischen Syndikats unter der Führung von J, P. Morgan & Co, zum Stillstand und zu scharfem Rückschlag gebracht, Es ist sicher, daß die fremden 284 Bankiers, welche Frankreich mit Kredit unterstützten, dafür als Bedingung gefordert haben, daß Frankreich gewisse Maßnahmen zur Gesundung seiner Finanzen treffe, Es ist aber nicht richtig, daß eine dieser Bedingungen — wie vielfach behauptet wurde — darin bestanden habe, daß die französische Regierung das Gut- achten der Sachverständigen in der Reparationsfrage annehme. Durch den nachhaltigen Erfolg in der Francs-Stützung stärkte sich die Stellung der französischen Regierung erheblich. Auch die Ausbeutung der besetzten deutschen Gebiete durch die Micum- verträge und durch den Betrieb der französisch-belgischen Eisen- bahnregie begann nunmehr beträchtliche Einkünfte abzuwerfen. Alles in allem schien die Stellung Poincare&s im März 1924 fester als je zu sein. Wie war es nur möglich, daß dieser Politiker, dessen Stärke in seiner verbissenen Konsequenz lag, sich gerade damals zur Umkehr entschloß, als er nach außen hin auf der Höhe seiner Macht stand? Sollte er einsichtig genug gewesen sein, zu erkennen, daß alle seine Erfolge sich bald in ihr Gegenteil kehren würden, wenn die Konferenz wieder einmal unverrichteter Dinge auseinanderging und die Verzweiflung über Deutschland und Frankreich hereinbrach? Sollte er schon im März geahnt haben, daß das französische Volk, das seiner Führung nur wider- willig durch dick und dünn gefolgt war, sich innerlich längst von der Politik der Gewalt abgewandt hatte und bereit stand, ihn ‚bei den kommenden Wahlen über Bord zu werfen? Poincar& hat den Sachverständigen bis zum Abschluß ihrer Arbeiten keine Schwierigkeiten mehr bereitet. Die französische Mitarbeit konnte natürlich nur gesichert werden, wenn en Sachverständigen im Komitee den französischen Ideen über ie deutsche Zahlungskraft und die Stellung von Sicherheiten einiger- maßen entgegenkamen, Darüber war man sich im Komitee einig, daß Deutschland wirkliche Reparation nur für den Fall leisten könne, daß es seine wirtschaftliche Einheit und Bewegungsfreiheit Bier erhielt, Mit diesem Grundsatz war das System der = duktiven Pfänder unvereinbar. Vor allem mußte die a die das wichtigste Unterpfand für die Reparation werden u er wieder unter eine einheitliche Verwaltung kommen. Die große 285 a a a Mehrheit des Komitees verlangte daher, daß mit dem Sonder- betrieb der Rhein- und Ruhrbahnen durch eine alliierte Regie vollständig aufgeräumt werden müsse, Das war ein Schritt, zu dem Frankreich nur allmählich gebracht werden konnte, weil hier auch die Frage der politischen Sicherheit hineinspielte, Bis zuletzt wurde von französischer Seite versucht, für die Bahnen des besetzten Gebietes einschließlich des Ruhrgebietes eine eigene Verwaltung unter alliiertem Einfluß zu bilden. Man berief sich dabei auf das Vorbild Bayerns, das in der deutschen Eisenbahn- verwaltung ebenfalls eine Sonderstellung einnahm, Den Ausschlag für die Entscheidung der Sachverständigen gab ein eingehender Bericht, den zwei hervorragende Fachleute, der Engländer Sir William Acworth und der F ranzose Gaston Leverve, im Auftrage des Komitees über die deutschen Eisen- bahnen erstatteten, Sie erklärten darin, daß die Reichsbahn, aber nur bei Einschluß der Rhein- und Ruhrbahnen, unter einheitlicher kaufmännischer Leitung in der Form einer Gesellschaft nach einigen Jahren des Uebergangs einen Reingewinn von einer Milliarde Goldmark jährlich abwerfen werde. Dieser materiellen Sicherheit gegenüber verlor die F rage, ob das internationale Kapital an der Reichsbahn interessiert werden solle, wesentlich an Bedeutung. Aus den Verhandlungen, bei denen auch deutsche Vertrauensleute gehört wurden, kristallisierte sich schließlich folgendes Kompromiß: An der Form einer kaufmännischen Gesellschaft wird fest- gehalten. Aber das. Stammkapital der Gesellschaft verbleibt beim Deutschen Reich, Im Verwaltungsrat erhalten das Reich und die Reparationsgläubiger je die Hälfte der Sitze. Damit die Leitung der Reichsbahn immer mehr von kaufmännischem Geiste durchzogen wird, soll sich privates Kapital mit Vorzugsaktien an der Gesellschaft beteiligen. Aus dem Erlös der Vorzugsaktien werden die Mittel für die Kapitalausgaben der Reichsbahn ge- wonnen. Für die Zwecke der Reparation wird die Reichs- bahn mit einer großen Anleihe belastet, die auf dem gesamten Bahneigentum an erster Stelle hypothekarisch zu sichern ist. Vor- 286 aussetzung für den ganzen Plan aber ist die Rückgabe der Eisen- bahnen im besetzten Gebiet an die Verwaltung der Gesellschaft. Bei der Ermittelung weiterer Quellen für die Reparation folgte das Komitee den Grundzügen der Belgischen Studien. Neben den Erträgen der Zölle sollte eine Reihe von indirekten Steuern, näm- lich die Abgaben auf Branntwein, Tabak, Bier und Zucker für die Reparation nutzbar gemacht werden. Dabei war grundsätzlich zu entscheiden, ob etwa aus dem Reichshaushalt im voraus die not- wendigen inneren Ausgaben bestritten werden müßten und nur die etwaigen Ueberschüsse der genannten Abgaben an die Reparationskasse abzuführen seien. Dafür traten die englischen Sachverständigen ein. Sie wollten ein einheitliches Budget haben, das sowohl den eigenen Bedarf des Reiches wie die Reparation zu umfassen hätte, Das aber war nur durchzuführen, wenn man die gesamten Einnahmen und Ausgaben des Reiches in allen Zweigen des Haushalts einer scharfen alliierten Kontrolle unter- warf. Eine solche Finanzkontrolle war von Deutschland bei den Kämpfen um die Reparation stets als unerträglich und unzweck- mäßig abgelehnt worden. Die englische Idee scheiterte im Komitee an dem Widerstand der Franzosen und Belgier. Sie wollten sich nicht mit Ueber- schüssen begnügen, sondern verlangten einen direkten Zugriff auf den Ertrag bestimmter Abgaben. So wurde auch im Komitee be- schlossen. Die große Masse der Einnahmen blieb zur freien Ver- fügung des Reiches, während bestimmte Einnahmezweige, näm- lich die Zölle und die Verbrauchssteuern, in erster Linie der Reparation zugewiesen wurden, Die interalliierte Kontrolle sollte sich auf diese einzelnen Einnahmen beschränken. Ein weiteres Objekt für die Reparation fand das Komitee in der Reichsabgabe aus dem Eisenbahnverkehr, der sogenannten Verkehrssteuer. Diese Abgabe ist in den vom Publikum erhobenen Tarifen mit eingeschlossen, tritt also nach außen nicht in Er- scheinung und legt dem Verkehr keine besondere neue Last auf. ‚Die Sachverständigen glaubten, daß das Reich diese Steuer nach einer Uebergangsfrist von einem Jahre werde entbehren können. Die Verkehrssteuer ist einfach zu handhaben und bedarf keiner 287 Kontrolle, da sie von der Reichsbahn direkt an die Reparations- kasse abgeführt werden kann. Endlich blieb die Frage zu entscheiden, ob auch die deutschen Erwerbsstände direkt zur Reparationsleistung herangezogen werden sollten, Einen Anspruch darauf hatten die Alliierten nach dem Vertrage von Versailles nicht. Der Gedanke war jedoch seit langer Zeit eingehend erörtert worden, besonders in Frankreich, wo man mit Vorliebe eine Beteiligung der Alliierten an den Erträgen der deutschen Industrie forderte, Zwei Gründe wurden dafür ins Feld geführt. Einmal glaubte man den von der franzö- sischen Eisenindustrie geforderten Einfluß auf die deutsche Kohlenwirtschaft zu sichern, wenn ein Teil des Kapitals der deutschen Industrie in Form von Aktien oder sonstigen Anteil- scheinen der Reparation zufloß. Zweitens war es in aller Leute Munde, daß Deutschland nur als Staat verarmt und vorläufig wenig leistungsfähig sei, daß aber die deutsche Industrie sich gerade an dem Niedergang der Mark derart bereichert habe, daß sie verpflichtet sei, einen Teil ihrer Gewinne für die Reparation abzugeben. Wir haben gesehen, daß die Garantie der Reparation durch die deutsche Industrie bereits in früheren Plänen eine Rolle spielte, In ihrem letzten Vorschlag vom 7. Juni 1923 hatte die deutsche Regierung selbst angeboten, durch eine erststellige Hypothek von 10 Milliarden Goldmark die gesamte deutsche Wirtschaft zur Garantie einer Jahresleistung von 500 Millionen Goldmark heranzuziehen, Seitdem waren neue private Vorschläge aufgetaucht, die dasselbe Ziel durch Abgabe von 30 Prozent des Aktienkapitals der deutschen Industrie zu erreichen suchten. Der Plan wurde außerhalb Frankreichs besonders von dem Deutschen Arnold Rechberg und dem Belgier Barnich vertreten, Die Sachverständigen haben die Idee einer alliierten Be- teiligung an der deutschen Industrie fallen lassen, ohne jedoch auf die direkte Belastung der Industrie zu verzichten, Sie kamen immer wieder darauf zurück, daß die deutsche Industrie durch die Entwertung der Mark so gut wie schuldenfrei geworden sei und dadurch im Wettbewerb auf den verschiedenen Absatz- 288 gebieten der Welt einen Vorsprung vor den mit Goldschulden belasteten Industrien des Auslandes besitze, Um das Gleich- gewicht in der Konkurrenz wieder herzustellen, sollte die deutsche Industrie mit einer besonderen Reparationsschuld beschwert werden, und zwar in Höhe ihrer Vorkriegsschuld, die etwa fünf Milliarden Goldmark betragen hatte, Vorkämpfer für diese Idee war der italienische Delegierte Pirelli. Die Amerikaner und Eng- länder schlossen sich ihm noch aus einer anderen Erwägung an. Sie wollten den Vorwurf vermeiden, daß die Sachverständigen als Vertreter des Kapitalismus die ganze Reparationslast durch indirekte Abgaben aus Verbrauch und Verkehr auf die Schultern der breiten Massen legten. Die deutsche Landwirtschaft blieb von einem direkten Beitrag zur Reparation verschont. Der Landbesitz war durch die Ent- wertung der Mark zwar gleichfalls entschuldet, es schien den Sachverständigen jedoch zweifelhaft, ob man ihn ohne Schädigung der deutschen Wirtschaft mit einem Teile der Reparation be- lasten könne. Um sich von vornherein die Zustimmung der Industrie zu sichern, zog das Komitee Dr. Buecher, Geschäftsführer des Zentralverbandes der deutschen Industrie, zu vertraulichen Be- sprechungen heran. Dabei wurde ein grundsätzliches Einver- ständnis erreicht. So hatte das .Komitee die einzelnen Quellen der Reparation für seinen Plan gefunden, Als schwerste Aufgabe blieb noch übrig, die jährliche Gesamtsumme festzusetzen, mit der Deutsch- land belastet werden sollte, Hier galt es, die wirtschaftlichen Mög- lichkeiten mit den politischen Forderungen auszugleichen. Daß Deutschland einer Schonungsfrist bedurfte und in den ersten Jahren nur allmählich ansteigende Leistungen tragen konnte, stand fest. Wie groß aber sollte die Jahreslast in normalen Zeiten sein? ANNUITÄTEN Der englische Plan vom Januar 1923 sah eine regelmäßige Annuität von 2% Milliarden Goldmark vor, die vom Jahre 1923 ab auf 3% Milliarden Goldmark erhöht werden konnte, falls ein Bergmann, Der Weg der Reparation 19 ES 289 unparteiisches Schiedsgericht dies mit der deutschen Leistungs- fähigkeit für vereinbar erklärte, Seitdem hatte die verhängnisvolle Besetzung des Ruhrgebietes die Zahlungskraft Deutschlands erheb- lich geschwächt, Die englischen Sachverständigen befürworteten daher eine normale Annuität von nicht mehr als 2 Milliarden Goldmark. Sie drangen jedoch mit ihrer Ansicht gegen die weiter- gehenden französischen Forderungen nicht durch. In dem Kampfe, der sich um die Höhe der Annuität entspann, gaben die amerika- nischen Vertreter den Ausschlag. Gegen Ende März waren sie so weit, einer Jahresleistung von etwa 3 Milliarden Goldmark zuzu- stimmen, Ihr Gedankengang war: „Deutschland ist industriell wundervoll ausgerüstet, Es hat seine staatliche und private Wirtschaft vollständig entschuldet. Seine praktische Intelligenz ist im ganzen genommen der anderer Völker überlegen. Nach Regelung der Reparation wird ein großer Aufschwung in Deutschland einsetzen, mit dem es alle Kon- kurrenten auf dem Weltmarkt schlägt, Dieser wirtschaftlichen Kraft müssen auch die Zahlungen Deutschlands entsprechen, Es soll verhältnismäßig ebenso hoch besteuert werden wie die Länder der Alliierten. Das ist ein Grundsatz, den auch jeder vernünftige Deutsche als gerecht anerkennt, Wird er auf das innerlich schuldenfreie Deutschland angewendet, so sind aus den Ueber- schüssen des deutschen Haushalts für die Reparation gewaltige Summen verfügbar. Etwa 3 Milliarden können von der deutschen Wirtschaft beiseite gestellt werden, natürlich zunächst nur in deutscher Währung. Ob dieser Betrag ins Ausland. übergeführt werden kann, hängt von dem Umfang des deutschen Außen- handels ab. Ueber die Möglichkeit der Zahlung ins Ausland soll ein internationales Komitee entscheiden, das sich aus F inanz- sachverständigen zusammensetzt. Politische Einflüsse werden dabei ausgeschaltet, Solange die Reparationsgelder in Deutsch- land verbleiben, befruchten sie die deutsche Wirtschaft, schaffen billiges Geld und geben deutschem Handel und Wandel neuen Aufschwung. Darum liegt auch in einer jährlichen deutschen Ge- samtleistung von 3 Milliarden Goldmark noch keine Gefahr für Deutschland.“ 290 h u aD Sobald ich von diesen Absichten erfuhr, ging ich zu Owen Young. Ich erklärte ihm, daß die Festsetzung einer Annuität von drei Milliarden Goldmark verderblich wirken müsse, Das sei gerade die Zahl, die uns von den ersten Verhandlungen an stets verfolgt habe. Sie bilde den Kern des Londoner Ultimatums vom 5. Mai 1921 und trage die Schuld am Zusammenbruch unserer Währung. Wenn die Sachverständigen zu solchen Ziffern kämen, dann würden alle Hoffnungen, die man in Deutschland auf ihren Spruch gesetzt habe, mit einem Schlage vernichtet sein. Das jetzt erwachte Vertrauen würde allgemeiner Verzweiflung Platz machen, Die deutsche Währung würde von neuem zugrunde gehen. Auch die innerpolitische Lage würde unhaltbar werden. Im Innern seien die Amerikaner selber überzeugt, daß derart hohe Reparationszahlungen nicht durchführbar seien. Wollten sie aus politischen Rücksichten den französischen Forderungen ent- gegenkommen, so sollten sie lieber von dem Besserungsschein, als dem kleineren Uebel, Gebrauch machen. Es sei immer noch erträg- licher, bei einer wesentlichen Besserung in den Finanzen und der Wirtschaft Deutschlands mehr zahlen zu müssen, als von vorn- herein mit einer festen Belastung zu rechnen, die nach der Üeber- zeugung aller Kundigen die Zahlungskraft Deutschlands bei weitem übersteige. Diese Aussprache fand am 20, März 1924 statt. Bald darauf einigten sich die Sachverständigen auf. eine normale Jahres- leistung Deutschlands von 2% Milliarden Goldmark. Davon sollten fließen: 1250 Millionen aus Zöllen und Verbrauchsabgaben, 660 . aus der Eisenbahn (5 Prozent Zinsen und 1 Prozent Tilgung auf elf Milliarden Obli- gationen), 290 s“ aus der Verkehrssteuer 300 aus der Industrie (5 Prozent Zinsen und 1 Prozent Tilgung auf fünf Milliarden Obli- gationen) 2500 Millionen. | 19: 291 Man sieht, daß in dieser Jahresleistung 1 Prozent Tilgung auf 16 Milliarden Obligationen der Eisenbahn und der Industrie ent- halten ist. Die Annuität von 2% Milliarden schließt daher auch 160 Millionen an jährlicher Kapitalrückzahlung ein. Durch die Tilgung fällt nach sechsunddreißig Jahren die Be- lastung der Eisenbahn mit 660 Millionen und der Industrie mit 300 Millionen aus der Annuität weg. Was dann aus den Zahlungen des Haushalts und aus der Verkehrssteuer werden soll, haben die Sachverständigen im Dunkeln gelassen, INDEX Daß die französischen Sachverständigen im Komitee nicht länger auf den früheren, viel höheren Ziffern Frankreichs be- standen haben, spricht für ihre wirtschaftliche Einsicht und für den Mut ihrer Ueberzeugung. Immerhin wurde die Einigung auf 2” Milliarden nur dadurch möglich, daß man durch die Ein- führung des Besserungsscheines der Phantasie der alliierten Gläubiger gewisse Hoffnungen auf spätere Erhöhung der deutschen Leistungen machte, | An dem Problem des Besserungsscheines hatten sich seit der Konferenz von Spa schon viele gelehrte Leute den Kopf zerbrochen. Es war bisher noch nicht gelungen, einen Gradmesser (Index) zu ‚linden, an dem die Hebung des Wohlstandes der Volkswirtschaft praktisch und zuverlässig abzulesen war. Deshalb war die ganze Idee in der letzten Zeit in den Hintergrund geraten. Sie wurde auch grundsätzlich von vielen Seiten bekämpft, weil sie die Repa- rationslast der Zukunft unsicher gestaltete und damit ein weiteres großes Moment der Unruhe in die Entwicklung der deutschen Wirtschaft trug. Die Sachverständigen aber griffen den Gedanken sogleich wieder auf und führten ihn durch. Der Index, den sie im wesent- lichen unter dem Einfluß von Sir Josiah Stamp aufgestellt haben, ist ein verwickeltes Gebilde, Er wird ermittelt aus sechs ver- schiedenen Faktoren, nämlich: 1. der Gesamtsumme der deutschen Ein- und Ausfuhr, 2. der Gesamtsumme der Einnahmen und Ausgaben des 292 Reichshaushaltes zuzüglich Preußens, Sachsens und Bayerns, aber abzüglich der Jahresleistungen aus dem Vertrage von Versailles, | 3, dem Gewicht der im Eisenbahnverkehr beförderten Güter- mengen, 4, dem Wert des Gesamtverbrauchs in Deutschland an Zucker, Tabak, Bier und Branntwein, 5. der Gesamtbevölkerung Deutschlands, 6. dem Verbrauch von Kohle auf den Kopf der Bevölkerung, Die Grundziffern des Index werden für die Faktoren unter 2, 5 und 6 aus dem Durchschnitt der drei Jahre 1927, 1928 und 1929, für die anderen Faktoren aus dem Durchschnitt der sechs Jahre 1912, 1913, 1926, 1927, 1928 und 1929 errechnet. Vom sechsten Jahre der Ausführung des Dawesplanes, d. h. vom Jahre 1929/30 ab, sollen nun jährlich die Leistungen des Reichshaus- haltes für die Reparation erhöht werden, sofern die sechs Indexfaktoren in dem betreffenden Jahre eine Zunahme im Ver- gleich mit den Grundziffern des Index anzeigen. Die prozentuale Veränderung jedes der sechs Faktoren gegenüber der Vergleichs- basis wird getrennt berechnet; das arithmetische Mittel aus diesen sechs Zahlen ergibt den eigentlichen Index, d. h. den Prozentsatz, der für die Aenderung der Leistungen des Reichshaushalts maß- gebend ist. In den fünf Jahren 1929/30 bis 1933/34 wird die Index- ziffer nur auf 1,250 Milliarden, d.h. auf die Hälfte der normalen Annuität für die Reparation angewendet. Von 1934 an trifft der Index aber die gesamte Normalzahlung des Jahres von 2.500 Milliarden. Zeigt der Index in irgendeinem Jahre eine Abnahme gegenüber der Vergleichsbasis, so bleibt die Normalzahlung unver- ändert, die Abnahme muß jedoch bei späteren Zunahmen berück- sichtigt, d. h. von den etwaigen neuen Zuschlägen in Abzug ge- bracht werden. Die Indexrechnung wird sich bei der praktischen Anwendung wohl noch schwieriger gestalten, als sie schon auf den ersten Blick aussieht, In dieser Voraussicht haben die Sachverständigen die Festsetzung aller Einzelheiten einem Komitee überwiesen, das 293 ga Pi aus zwei Deutschen und zwei von der Reparationskommission zu ernennenden Mitgliedern bestehen soll, Die normale Jahresleistung für die Reparation kann abge- sehen vom Index auch in dem Falle abgeändert werden, daß sich die Kaufkraft des Goldes im Vergleich zu dem Jahre 1928 um mindestens zehn Prozent ändern sollte, Der Anspruch auf Ab- änderung kann sowohl von der deutschen Regierung wie von der Reparationskommission und den in ihr vertretenen Regierungen geltend gemacht werden. Falls eine Verständigung nicht zu erreichen ist, soll ein vom Völkerbund zu ernennendes Komitee entscheiden. Die hiernach veränderte Leistung bleibt bestehen, bis wiederum nach Ansicht einer der Parteien eine Veränderung der Kaufkraft des Goldes von mindestens zehn Prozent ent- standen ist. LEISTUNGEN NEBEN DER REPARATION In der von den Sachverständigen festgesetzten Jahresleistung sollen die sämtlichen Beträge einbegritfen sein, zu deren Zahlung Deutschland den Alliierten und Assoziierten Mächten aus Anlaß des Weltkrieges verpflichtet ist. Mit dieser klaren Bestimmung des Planes ist einer der gröbsten Fehler des Vertrages von Versailles beseitigt. Was die Erfüllung der Reparationspflicht bislang unmöglich machte, war nicht allein die Höhe der Schuld, wie sie im Londoner Ultimatum vom 5. Mai 1921 festgesetzt war, sondern ebenso sehr die Tatsache, daß neben- her noch eine Reihe anderer Leistungen zu entrichten war, deren Höhe man auch nicht annähernd schätzen konnte, Hierher ge- hörten vor allem die direkten und indirekten Kosten, welche die Besatzungsheere mit Zahlungen, Requisitionen, Quartierlasten, Kasernenbauten, Beschlagnahme von Grundbesitz usw. ver- ursachten. Dazu kamen weiter die Lasten des Ausgleichsver- fahrens, die trotz der großen Summen, die Deutschland bereits dafür gezahlt hatte, noch lange nicht beglichen waren, Unüber- sehbar vor allem war die Inanspruchnahme Deutschlands aus der Rechtsprechung der gemischten Schiedsgerichte. Ferner waren die Kosten der zahlreichen Kommissionen zu bestreiten, die der 294 Vertrag von Versailles zur Aufsicht über Deutschland eingesetzt hat. Und endlich verpflichtete der besondere Friedensvertrag, den Deutschland am 25. August 1921 mit den Vereinigten Staaten von Amerika geschlossen hatte, die deutsche Regierung zur Vergütung von Kriegsschäden amerikanischer Untertanen, die im Wege des Schiedsgerichts festzustellen waren. ' Hier überall hat der Spruch der Sachverständigen einen erfreulichen Wandel geschaffen, Es gibt außer der festgesetzten Annuität, welche normal 2% Milliarden Goldmark beträgt, keine Nebenleistungen mehr aus dem Vertrage von Versailles und aus Anlaß des Weltkrieges überhaupt. Die Sachverständigen haben deshalb auch bestimmt, daß alle Kosten für Aufsichtsorgane, die aus ihrem eigenen Reparationsplan erwachsen, ebenfalls aus der festen deutschen Jahresleistung zu entnehmen sind. ÜBERGANGSJAHRE Die Annuität von 2% Milliarden wird erst nach Ablauf von vier Jahren erreicht, Bis dahin läuft eine Art Schonungsfrist. Damit ist der viel umstrittene Gedanke des Moratoriums verwirklicht, "Freilich sieht das Moratorium ganz anders aus, als Deutschland es gefordert und als auch der englische Plan vom Januar 1923 es vorgesehen hatte. | Eine vollkommene Befreiung von der Reparation für einige Jahre tritt nicht ein. Das ist abermals ein Kompromiß zwischen den wirtschaftlichen Nöten Deutschlands und denen der Alliierten. Frankreich und Belgien hatten sich mit der Besetzung des Ruhrgebietes, ganz abgesehen von den Gewinnen, die sie in barem Gelde aus den Eisenbahnen, den Forsten und aus den Zwangsverträgen mit der Industrie zogen, ganz erhebliche Sachleistungen gesichert, vor allem an Kohle und Koks. Wollte man Frankreich zur Freigabe der Wirtschaft an Rhein und Ruhr bewegen, so mußte man auch dafür sorgen, daß die Sachlieferungen weitergingen, wenn auch in beschränktem Umfange. Ein solches Entgegenkommen hatten übrigens auch die deutschen Reparationsvorschläge versprochen. Wie aber war das Bedürfnis Deutschlands nach einer längeren 295 Ruhepause mit der Fortsetzung erheblicher Sachlieferungen zu vereinbaren? Die Frage, wie die Sachleistungen in den ersten Jahren finanziert werden könnten, hat den Sachverständigen viel Arbeit gemacht. Die Lösung, die sie schließlich vorgeschlagen haben, läßt ihr Dilemma deutlich erkennen. Sie haben sich damit geholfen, daß sie die Zahlungen der Eisenbahn und der Industrie in viel schnellerem Tempo für die Reparation heranzogen als die Zahlungen aus dem Reichshaushalt. Hier finden wir das Dogma der Alliierten wieder, daß die schuldenfreie Eisenbahn und die schuldenfreie Industrie nur in geringem Maße schonungsbedürftig und von vornherein leistungsfähig seien. Der Reichshaushalt selber genießt unter dem Dawesplan ein ziemlich durchgreifendes Moratorium. Er ist in den ersten zwei Jahren vollkommen frei von der Reparation. Im dritten Jahre führt er aus den verpfändeten Zöllen und Steuern nur 110 Millionen, im vierten Jahre 500 Millionen an die Reparationskasse ab. Die Zahlungen dieser beiden Jahre können sich aber bis zur Höhe von 250 Millionen Goldmark nach oben oder unten ändern, je nachdem sich die verpfändeten Zölle und Steuern entwickeln. Bringen diese im dritten Jahre (1926/27) mehr als eine Milliarde, im vierten Jahre (1927/28) mehr als 174 Milliarde, so ist der dritte Teil eines solchen Ueberschusses als weiterer Beitrag für die Reparation zu zahlen. Betragen die Einkünfte weniger als die ge- nannten Summen, so wird der dritte Teil des Fehlbetrages von der Reparationszahlung des Haushalts abgezogen. Alle diese Aende- rungen aber halten sich innerhalb der Grenze von 250 Millionen. Erst im fünften Jahre beginnt die normale Reparationsleistung des Haushalts mit 1250 Millionen Goldmark. Die Eisenbahn soll nach dem Gutachten der Sachverständigen ihre Reparationsschuld von elf Milliarden Goldmark im ersten Jahre schon mit 3 Prozent im zweiten Jahre mit . . . 4 Prozent im dritten Jahre mit . .*. , 5 Prozent verzinsen. Im vierten Jahre tritt dazu die jährliche Tilgung der h 296 Schuld mit 1 Prozent, so daß von da ab die volle Jahresleistung der Eisenbahn von 660 Millionen Goldmark läuft, Von der Industrie wird im ersten Jahre nichts, im zweiten Jahre nur die Hälfte der Zinsen auf die Schuld von fünf Milliarden, also 2% Prozent = 125 Millionen Mark beansprucht. Vom dritten Jahre an zahlt die Industrie die vollen Zinsen mit 250 Millionen und vom vierten Jahre an auch die Tilgung mit 1 Prozent, im ganzen 300 Millionen jährlich. Die Verkehrssteuer wird im ersten Jahre der Regierung be- lassen. Im zweiten Jahre fließt sie in Höhe von 250 Millionen, vom dritten Jahre ab in Höhe von 290 Millionen an die Reparations- kasse. Etwaige Ueberschüsse der Verkehrssteuer verbleiben dem Reiche. Um die Lücke auszufüllen, welche hiernach bei dem Aufbau der Reparationszahlungen im ersten Jahre entstehen würde, haben die Sachverständigen die Ausgabe einer Anleihe von 800 Millionen Goldmark vorgeschlagen. Ihr Erlös wurde dazu bestimmt, bereite Mittel für Sachleistungen, Besatzungskosten und sonstige not- wendige Ausgaben des ersten Jahres zu schaffen. Diese große Reparationsanleihe sollte Deutschland vom Ausland gegeben und aus den jährlichen deutschen Reparationsleistungen verzinst und getilgt werden, Die Gläubiger der Anleihe sollten als Sicherheit den ersten Anspruch auf die deutschen Jahreszahlungen, also ein Vorrecht vor allen Forderungen der Alliierten erhalten. Die Anleihe sollte nicht nur den Zwecken der Reparation dienen, sondern zu gleicher Zeit auch der deutschen Währung zu- gute kommen. Ihr Erlös war in Gold oder Devisen in eine neu zu errichtende Goldnotenbank einzuzahlen. Letztere hatte nach An- weisung des Generalagenten für die Reparation der deutschen Regierung die Zahlungen zu erstatten, welche die Regierung für Sachlieferungen und sonstige Zwecke der Reparation einstweilen auslegte, Der gesamte Erlös der Anleihe sollte somit in fremdem Gelde der deutschen Wirtschaft zufließen und die deutsche Währung stärken. | Im einzelnen hat das Bild der Uebergangsjahre noch einige Aenderungen erhalten. So wurde die wirkliche Leistung der 297 EDER U UBER Reichsbahn im ersten Jahre auf 200 Millionen Mark beschränkt, aber zum Ausgleich schon im zweiten Jahre stark erhöht. Die folgende Aufstellung gibt einen genauen Ueberblick über die Entwicklung der Reparationszahlungen bis zur normalen Annuität. Es sind zu zahlen: Im 1. Jahre: aus der Eisenbahn 200 Mill. Goldmark aus der Reparationsanleihe 800 El 1000 Mill. Goldmark Im 2. Jahre: aus der Eisenbahn 595 Mill. Goldmark aus der Verkehrssteuer. . 250 aus der Industrie. . . . 125 aus dem Verkauf von Vor- zugsaktien der Eisenbahn 250 > 1220 Mill. Goldmark Bl Ur) Im 3. Jahre: aus der Eisenbahn 550 Mill. Goldmark aus der Verkehrssteuer. . 290 n aus der Industrie”... u... 250 u aus dem Reichshaushalt . 110 Bl 1200 Mill. Goldmark Im 4, Jahre: aus der Eisenbahn aus der Verkehrssteuer. . 290 “N aus der Industrie. . . . 300 . aus dem Reichshaushalt . 500 „ 1750 Mill. Goldmark Im 5, Jahre: aus der Eisenbahn 660 Mill. Goldmark aus der Verkehrssteuer . . 290 aus der Industrie 5. / 2172800 aus dem Reichshaushalt . 1250 5 2500 Mill. Goldmark ” l IR 298 660 Mill Goldmack Die Zahlungen für das dritte und vierte Jahr können sich je nach den Erträgen der verpfändeten Zölle und Steuern bis zur Höhe von 250 Millionen Mark nach oben oder unten ändern, TRANSFERSYSTEM Alles, was Deutschland für die Reparation zahlt, soll in Gold- mark oder mit dem Gegenwert in deutscher Währung bei der neuen Goldnotenbank zugunsten des „Agenten für Reparations- zahlungen“ entrichtet werden. Diese Zahlung bildet den endgültigen Akt, durch den sich die deutsche Regierung ihrer finanziellen Verpflichtungen unter dem Dawesplan entledigt. Hier haben wir die grundlegende Neuerung, den entscheidenden Sprung vorwärts zur Lösung des Problems. Bisher war jeder Plan davon ausgegangen, daß die Festsetzung der Schuld in Goldmark Deutschland verpflichte, die jeweils fälligen Beträge in fremder Währung — Dollars, Pfund Sterling, Francs, Lire usw. — nach Weisung der Reparationskommission selbst anzuschaffen, also das deutsche Geld durch Verkauf in fremdes Geld umzuwandeln, Wir haben gesehen, daß darin der tiefste Grund für den Zusammen- bruch der Mark lag. Niemand konnte sagen, wie und wann Deutsch- land imstande sein würde, seine Reparationsschuld in fremdem Gelde abzuzahlen. Der Versuch, die erste Milliarde Goldmark unter dem Londoner Zahlungsplan ins Ausland zu legen, hatte die Markwährung aufs schwerste erschüttert. Von deutscher Seite war schon immer betont worden, es sei dem verarmten Lande unmöglich, Milliardenbeträge Jahr für Jahr ohne jede Gegen- leistung in das Ausland zu zahlen, zumal da die deutsche Handels- bilanz stark passiv geworden sei. Kein Mensch aber hatte bisher die Kühnheit besessen, den Knoten des Problems mit dem Vor- . schlag durchzuhauen, daß die Schuld Deutschlands durch Zahlung in seiner eigenen Währung beglichen werden solle und daß es Sache der Gläubiger sei, die Reparationszahlungen in fremdes Geld umzuwandeln. | Wer ist der Vater dieser neuen Idee? Sie ist nicht erst aus den Beratungen des Daweskomitees entstanden, Sie findet sich schon in dem Bericht, den das vom Völkerbund eingesetzte Finanz- 299 komitee am 20, Dezember 1923 über den finanziellen Wieder- aufbau Ungarns erstattet hat. Dort heißt es, daß es zum Schutze der Währung nötig sei, daß alle Zahlungen Ungarns aus dem Friedensvertrage in ungarischen Kronen bei der Bank von Ungarn eingezahlt würden und daß der Präsident der Bank diese Gelder so bald wie möglich in fremde Währung überführen solle, ohne aber den Wert der Krone zu gefährden, Die SachverständigendesDawesplanesfandenalsoden Transfer. gedanken bereits vor. Sie griffen ihn entschlossen auf und be- Sründeten ihn ausführlich, In ihrem Berichte sagen sie: Es bestehe ein großer Unterschied zwischen dem, was Deutsch- land in seinem eigenen Gelde für die Reparation erübrigen könne, und zwischen dem, was es davon nach anderen Ländern zu über- weisen imstande sei. Auf die Dauer dürften die den Allierten ge- zahlten fremden Gelder nicht die Beträge übersteigen, welche die deutsche Zahlungsbilanz zu überweisen gestatte, ohne Währung und Haushalt zu gefährden, Mit dem Begriff der Handelsbilanz sei allerdings praktisch nicht viel anzufangen, Sie beruhe nur auf Schätzungen, zumal bei den wichtigen Posten der unsichtbaren Ein- und Ausfuhr, Wenn man aber auch die Grenzen der wirt- schaftlichen Bilanz nicht genau bestimmen könne, so seien sie doch von der Wirklichkeit gezogen. Um die Währung eines Landes dauernd zu sichern, müsse nicht nur der Haushalt im Gleich- gewicht sein, sondern es müßten auch die Einnahmen von außen so groß sein wie die Zahlungen, die das Land nach außen zu machen habe, einschließlich der Beträge für die Reparation, Daher könne die Reparation nur aus Ueberschüssen der deutschen Wirt- schaft gezahlt werden. Der Jahresbetrag, den Deutschland nach der Leistungsfähig- keit seines Haushalts zahlen könne, werde in Goldmark fest- gesetzt. Zugleich .aber werde Schutz dagegen geschaffen, daß durch die Umwandlung der gezahlten Markbeträge in fremdes Geld die Stabilität der deutschen Währung zerstört und die Reparation in Zukunft gefährdet werde, Auf diese Weise seien nur die Höchstsummen angegeben, welche die Alliierten aus der Reparation erlangen können. Stelle sich heraus, daß nur ein Teil 300 dieser Summen in fremde Währung übertragen werden könne, so werde die Einschränkung bedingt durch die tatsächliche Entwick- lung der Wirtschaft und nicht durch irgendwelche Schätzung, Die Einschränkung erfolge also nur insoweit, als sie wirklich not- wendig sei. Die Reparationszahlungen, welche nicht in fremde Währung übertragen werden könnten, ständen unter gewissen Be- dingungen den Alliierten als Anlage innerhalb Deutschlands zur Verfügung. So kämen beide Parteien zu ihrem Recht. Es wäre ge- wagt und unbillig, die Möglichkeiten der künftigen Entwicklung der Wechselkurse vorauszusagen und Deutschlands Reparations- last im voraus durch Schätzung feststellen zu wollen, Nur die Er- fahrung könne lehren, inwieweit die Umwandlung in fremde Währung möglich sei. Inzwischen werde der deutsche Steuer- zahler nach Gebühr belastet, und damit entstehe für die Alliierten ein Guthaben in Goldmark, das je nach der Lage der Wechsel- kurse in fremdes Geld umgewandelt werden könne, Nach diesen Grundsätzen ist das Transfersystem im einzelnen wie folgt ausgebaut: | Die in Goldmark gezahlten Reparationsbeträge werden von einem Ausschuß, dem sogenannten Transferkomitee, verwaltet. Er besteht aus sechs Mitgliedern. Den Vorsitz hat der Agent für Reparationszahlungen. Die übrigen fünf Mitglieder sollen in Devisengeschäften erfahren sein. Die Vereinigten Staaten, Frank- reich, England, Italien und Belgien stellen je ein Mitglied, das nach Vorschlag der Zentralbank des betreffenden Landes von der Reparationskommission ernannt wird. Das Transferkomitee hat mit dem Präsidenten und dem Kommissar ‘der neuen deutschen - Goldnotenbank Fühlung zu halten. Das Komitee verfügt im Benehmen mit der Reparations- kommission über die von Deutschland gezahlten Beträge 1, für Bezahlung von Sachlieferungen und der Abgabe unter dem Reparation Recovery Act, 2. für die Umwandlung der Markbeträge in fremde Währung, beides soweit es nach dem Urteil des Transferkomitees möglich ist, ohne die Stabilität der deutschen Währung zu gefährden, | 301 3. für die Anlage fremder Gelder innerhalb Deutschlands in festverzinslichen Werten, soweit das Komitee dies für zweckmäßig hält. Darüber hinaus kann das Komitee nach Weisung der Reparations- kommission und auf Ersuchen des Landes, welchem der Anspruch zusteht, Reparationsbeträge in Mark an Private überweisen, um Ankäufe in Deutschland zu machen, Solche Anlagen dürfen aber keinen vorübergehenden Charakter tragen und sich nur auf eine Liste von Sachen erstrecken, die zwischen dem Transferkomitee und der deutschen Regierung von Zeit zu Zeit unter Berücksich- tigung der wirtschaftlichen Lage Deutschlands festgesetzt wird. Die deutsche Regierung und die deutsche Goldnotenbank sind verpflichtet, die Tätigkeit des Transferkomitees bei der Umwand- lung von Markbeträgen in fremdes Geld auch mit ihrer Diskont- politik zu unterstützen, Wenn das Komitee von der deutschen Regierung oder irgendeiner Gruppe in der Umwandlung von Geldern vorsätzlich gestört werden sollte, so kann es derartigen Manövern mit geeigneten Schritten entgegentreten, Es wird dann auch frei von den Einschränkungen, die ihm für die Ansammlung von Markbeträgen oder für die Anlage von Geldern in deutschen Werten gesetzt sind. Soweit die Reparationsbeträge im gewöhnlichen Geschäfts- gang des Transferkomitees, das heißt durch Bezahlung von Sach- leistungen, sonstigen Ausgaben und durch Umwandlung in fremde Währung keine Verwendung finden, bleiben sie bis zum Betrage von zwei Milliarden Goldmark als Depositen in der Bank liegen. Ueber zwei Milliarden Mark hinaus kann das Transferkomitee das Reparationsdepot zu festverzinslichen Anlagen in Deutsch- land benutzen. Wenn jedoch die sämtlichen Guthaben und An- lagen des Reparationsfonds in Deutschland (Bankguthaben, Dar- lehen, Wertpapiere usw.) die Summe von fünf Milliarden Gold- mark übersteigen, werden die Abgaben aus dem Haushalt ein- schließlich der Verkehrssteuer so weit und so lange herabgesetzt, bis keine weitere Anhäufung des Reparationsfonds über fünf Milliarden hinaus stattfindet. 3 302 Die Sachverständigen haben selber erkannt, daß ihr Transfer- system ganz neuartige Schwierigkeiten mit sich bringt, die nur durch Erfahrung behoben werden können, Sie schildern ihr Dilemma wie folgt: Wollten sie die jährliche Reparationsleistung mit einer Ziffer begrenzen, die ganz sicher innerhalb der Fähigkeit Deutschlands liest, Ausfuhrüberschüsse zu erzielen, so wären sie zu einem so niedrigen Betrage gekommen, daß ihr Vorschlag für die Gläubiger unannehmbar und für Deutschland unverantwortlich günstig ge- wesen wäre, Auf der anderen Seite hätten sie die Schuld auch ohne jede Rücksicht auf den deutschen Ausfuhrüberschuß fest- setzen und Zahlung verlangen können, ohne etwaige Schwierig- keiten in den Wechselkursen zu beachten. Letzteren Weg wollten sie nicht gehen, weil er zu Unsicherheit in der Zukunft und zum Unheil führen müßte, Nach ihrer Ueberzeugung muß ein jeder Plan, der den Alliierten die höchstmögliche Reparation von Deutschland verschaffen will, mit einer verständnisvollen und sorgfältigen Handhabung der Wechselkurse verbunden sein. So sind sie zu ihrem Vorschlag gekommen. DAUER DER ZAHLUNGEN Die den Sachverständigen ursprünglich gestellte Aufgabe ging bekanntlich nur dahin, Mittel und Wege für die Herstellung des Gleichgewichts im Reichshaushalt und für die Stabilisierung der Währung anzugeben. Es ist nun sehr interessant, dem Gedanken- ang zu folgen, mit dem sie ihren Reparationsplan entwickelt und begründet haben: Haushalt und Währung können nur in Ordnung gebracht werden, wenn festgestellt wird, welche Reparationsleistungen aus dem Haushalt zu bestreiten sind. Es wäre falsch, die Reparation nur für einige wenige Jahre zu bestimmen, innerhalb deren Deutschland eine gesunde Währung und einen ausgeglichenen Haushalt erreichen soll. Denn das einmal erreichte Gleichgewicht im Haushalt und in der Währung geht verloren, wenn nach wie vor Unsicherheit darüber herrscht, was Deutschland in den späteren Jahren für die Reparation zu zahlen hat. Die Anstrengung ist 303 Zukunft Deutschlands abhängt. Ohne solches Vertrauen wird weder das deutsche Kapital im Ausland heimwandern, noch wird das Ausland: durch Zeichnung der Reparationsanleihe und Ge. währung von Krediten die nötige Hilfe leisten, Nicht einmal die Steuern können dann richtig eingezogen werden. Aber das Ver- trauen kommt erst wieder, wenn Deutschland und die Außenwelt eine Sicherheit dafür bekommen, daß für geraume Zeit weder die deutschen Finanzen noch die Beziehungen zum Ausland durch neuen Streit gefährdet werden, Unter „geraumer Zeit” muß eine Periode verstanden werden, welche das Kapital für Anleihen und Anlagen als ausreichend ansieht, Nun ist es nicht möglich, die Reparationsschuld ein für allemal genau festzusetzen, Auch sollen die Alliierten an dem Anwachsen des deutschen Wohlstandes einen Anteil haben, Zıı diesem Zweck ist der Index eingeführt. Die Sachverständigen haben sich nicht für zuständig erklärt, zu bestimmen, für welche Dauer von J ahren oder bis zu welchem leistungen festzusetzen, da dies gleichbedeutend wäre mit der Festsetzung einer neuen deutschen Kapitalschuld, Doch haben sie die Anwendung ihres Planes auch für die endgültige Regelung der verschiedenen internationalen Kriegsschulden empfohlen, so- weit die deutsche Schuld dabei in Betracht kommt, SACHLEISTUNGEN Die Sachleistungen sind vom Daweskomitee wie fol $t analysiert worden: Sachleistungen sind in ihrer finanziellen Auswirkung nicht wesentlich verschieden von Geldzahlungen, Auch sie dürfen auf die Dauer den Ueberschuß der deutschen Produktion über den deutschen Verbrauch nicht übersteigen, sonst gefährden sie die Währung oder machen fremde Anleihen nötig. Mit dieser Maß- 304 R gabe aber sind die im Versailler Vertrag fes tgesetzten Sach- . leistungen auszuführen, Sie können nicht ohne große Schädigung der interessierten alliierten Mächte beseitigt werden, Auch regen sie, wenn sie sich in vernünftigen Grenzen halten, die deutsche Erzeugung an und wirken als ein Stimulus für größeren Ausfuhr- überschuß, Zugleich geben sie den Alliierten ein Vorzugsrecht auf die Erfassung des Ueberschusses in der deutschen Ausfuhr und erweitern die Möglichkeiten für die Abführung der Reparations- zahlungen an die Gläubiger. Die Sachlieferungen dürfen aber nicht wirtschaftsfeindlich werden. Sie müssen beschränkt bleiben auf natürliche Erzeugnisse Deutschlands wie Kohle, Koks, Farben : u. s. w. und in zweiter Linie auf solche Exportartikel, für die nicht vorher ein großer Prozentsatz ihres Wertes nach Deutschland eingeführt werden muß. In den ersten zwei Jahren sind die Zahlungen Deutschlands so begrenzt, daß auch die Sachleistungen sich von selber in engem Rahmen halten, Für die F olgezeit aber muß die Reparations- kommission zusammen mit dem Transferkomitee sorgfältig das Programm der Sachlieferungen prüfen, um Schwierigkeiten im Wechselkurse zu vermeiden. Da die Leistungen der beiden ersten Jahre fast ausschließlich zu Zahlungen innerhalb Deutschlands Verwendung finden müssen, werden die alliierten Regierungen sich zu überlegen haben, ob sie nicht das System fortsetzen sollen, wonach die Kosten der Besatzung in erster Linie aus dem Erlös der Sachlieferungen zu bestreiten sind, welche die Besatzungs- mächte erhalten, Die von Deutschland den Gläubigerstaaten gelieferten Waren dürfen nur für den eigenen Bedarf der Empfangsländer einschließ- lich ihrer Kolonien und Schutzgebiete verwendet werden. Die Weiterausfuhr aus diesen Ländern ist nur auf Grund einstimmigen Beschlusses des Transferkomitees mit Zustimmung der deutschen Regierung gestattet. Unter Sachlieferungen fallen auch die Zahlungen, die in Deutschland aus der Anwendung der Exportabgabe (Reparation Recovery Act) entstehen. Bergmann, Der Weg der Reparation 20 & 305 SICHERHEITEN Den Sicherheiten für die Reparation gelten folgende Be- trachtungen des Komitees: Die deutschen Zahlungen müssen automatisch und gewohn- heitsmäßig erfolgen, unabhängig von der Haltung der jeweiligen politischen Leitung Deutschlands in Sachen der Reparation, Um so geringer wird die Reibung und um so größer wird das wirt- schaftliche Gleichgewicht des deutscshen Haushalts sein. Letzten Endes liegt die beste Sicherheit darin, daß Regierung und Volk in Deutschland ein Interesse daran haben, gutwillig eine Last auf sich zu nehmen, die nach der Ansicht der Welt innerhalb der ‚deutschen Zahlungsfähigkeit liegt, und diese Last, die schwer ist und schwer sein soll, so bald wie möglich abzutragen. Aber moralische Sicherheit genügt in Geschäften nicht, vor allem nicht bei den gemachten Erfahrungen und beim gegenwärtigen Zustand der deutschen Finanzen. Greifbare und fruchtbringende Pfänder liegen auch im Lebensinteresse von Deutschland selber, Es wird erst frei von einem großen Teil seiner politischen Wirren, wenn ihre Hauptquelle durch ein System verstopft wird, das die Zahlung der Reparation nicht länger von fortlaufenden Entscheidungen der Regierung abhängig macht. Eine allgemeine Finanzkontrolle über Deutschland ist abzu- lehnen. Damit würden die Aufsichtsorgane die Verantwortung für alle Finanzschwierigkeiten übernehmen und darin gerade könnte ein Vorwand für die Entstehung solcher Wirren liegen. Die allge- meine Kontrolle muß vielmehr für den Fall vorbehalten bleiben, daß Deutschland absichtlich seine Verpflichtungen nicht erfüllt, Die vorgeschlagenen Sicherungen sollen eine Verbindung von eigenem Interesse und indirektem Druck darstellen. Zu diesem Zweck werden bestimmte Einkünfte der Kontrolle der deutschen _ Gläubiger als Pfand zugewiesen, nämlich Zölle, Alkohol, Tabak, Bier und Zucker. Ihre Erträge gehen unmittelbar in die Hände der Kontrollinstanz. Letztere führt daraus zuerst die den Alliierten geschuldeten Beträge ab und Deutschland erhält den Rest für ° seine eigenen Zwecke, Obwohl Deutschland in den beiden ersten Jahren von Zahlungen aus dem Budget frei ist, setzt die Kontrolle 306 . sofort ein, weil es gut ist, die Wirksamkeit des ganzen Planes öffentlich und endgültig zu erweisen, Der Ertrag der verpfändeten Einkünfte ausschließlich der Zölle ist von deutschen Behörden für das Jahr 1928/29 auf 1.7 Milliarden Mark geschätzt worden. Die technischen Berater der Sachverständigen schätzen den Ertrag auf 2,146 Milliarden, Daher ist ein weiter Spielraum gegenüber den geforderten normalen Zahlungen aus dem Haushalt von 1.25 Milliarden gegeben. Der ganze Ueberschuß soll Deutschland gehören. Es hat daher alles Interesse daran, den: Ertrag zu steigern. Mit jedem Zuwachs des Ertrages aber steigt auch die Sicherheit der Alliierten, die ja zuerst daraus befriedigt werden. Das alles gilt für die Zahlungen aus dem Haushalt. Die Leistungen der Eisenbahn und der Industrie werden nach geschäft- lichen Grundsätzen durch Schuldverschreibungen und erste Hypo- theken gesichert. — — | | | Wir werden uns mit den Sicherheiten noch im einzelnen be- schäftigen, wenn wir das Londoner Abkommen vom 16. August und die damit zusammenhängenden deutschen Gesetze besprechen. GOLDNOTENBANK Die Vorschläge der Sachverständigen für die deutsche Währung konzentrierten sich von Anfang an auf die Errichtung einer Gold- notenbank, die mit einem angemessenen Kapital versehen und einer gewissen internationalen Aufsicht unterworfen sein sollte, Der Zustand der Beharrung, welcher, von kurzen Schwankungen abgesehen, schon vom 15. November 1923 an sowohl für die Rentenmark wie für die Papiermark erreicht war, konnte die Sachverständigen nicht in ihrer Ueberzeugung erschüttern, daß eine große Goldnotenbank in Deutschland errichtet werden müsse, Gleich vom Beginn ihrer Tätigkeit ab führten sie eingehende Ver- handlungen mit Dr. Schacht, dessen Ansichten zunächst nicht in allen Punkten mit denen des Komitees übereinstimmten. Dr. Schacht legte vielmehr Wert auf die sofortige Gründung einer Golddiskontbank, um die notwendigen Bedürfnisse des deutschen auswärtigen Handels zu finanzieren. Auf die Goldnotenbank der Sachverständigen wollte er nicht warten. Allmählich fand aber 20* 307 auf beiden Seiten eine Angleichung der Ideen statt. Man einigte sich dahin, die Diskontbank so zu organisieren, daß sie in der neuen Goldnotenbank leicht aufgehen könne. Noch während der Arbeiten des Komitees schritt Dr. Schacht zur Gründung der Golddiskontbank (Gesetz vom 19, März 1924). Sie erhielt ein Kapital von 10000 000 Pfund Sterling. Davon übernahm die Reichsbank die Hälfte mit voller Einzahlung. Die restlichen 5000000 wurden zunächst von einem Syndikat deutscher Banken übernommen und mit 25 Prozent einbezahlt, Später hat die Reichsbank sämtliche Aktien angekauft. Die Diskontbank er- hielt das Recht zur Ausgabe von 5000000 Pfund Sterling Bank- noten, wovon sie jedoch keinen Gebrauch machte. Für die von ihr diskontierten Handelswechsel sicherte sie sich in England einen Rediskontkredit von 5000000 Pfund Sterling, in Amerika einen solchen von 25000 000 Dollar. Auch diese Kredite sind kaum in Anspruch genommen worden. Durch die Entwicklung der Dinge nach der Annahme des Dawesplanes verlor die Diskontbank bald ihre Bedeutung. Für die neue Goldnotenbank haben die Sachverständigen folgende Organisationsgrundsätze vorgeschrieben: Entweder wird sie neu errichtet oder die Reichsbank wird dazu ausgebaut. Sie erhält — abgesehen von den noch bestehenden kleinen Notenbanken in Baden, Bayern, Sachsen und Württem- berg — das ausschließliche Notenrecht in Deutschland für fünfzig Jahre, Das gesamte zurzeit kursierende deutsche Papiergeld muß aus dem Verkehr gezogen werden, Die Rentenbank wird allmählich liquidiert. Die Banknoten der neuen Bank erhalten eine normale Deckung von 33% Prozent in Gold und Devisen. Vorläufig findet keine freie Einlösung der Noten in Gold statt. Die neue Bank wird wie die Reichsbank nur eine Bank für die Banken, Sie diskontiert Primawechsel und handhabt die offizielle Diskont- politik sowie den Giroverkehr für Banküberweisungen. Sie wird Depotstelle für das Deutsche Reich und nimmt seine Finanz- geschäfte wahr, darf aber nur kurzfristige Vorschüsse in be- stimmter Höhe an die Regierung geben, Letztere nimmt teil an 308 den Gewinnen der Bank. Sonst aber ist diese vollkommen frei von Kontrolle oder Einmischung der Regierung. Alle Zahlungen für die Reparation gehen auf ein besonderes Konto bei der neuen Bank. Sie dürfen von den Gläubigerstaaten nur unter Bedingungen abgezogen werden, welche den deutschen Wechselkurs und die Interessen der Gläubigerstaaten und der deutschen Wirtschaft gleichmäßig schützen, — — Ueber die Verwaltung der Bank wird aus Anlaß des neuen deutschen Bankgesetzes später zu sprechen sein. ORGANISATION Die Sachverständigen haben die Ausführung ihres Planes nicht einfach der Reparationskommission überlassen, sondern eine Orga- nisation vorgeschlagen, die zwar von der Reparationskommission ausgeht und ihr verantwortlich ist, im übrigen aber in ihren einzelnen Abteilungen selbständig arbeitet. Danach ist je ein Kommissar zu bestellen für die Goldnotenbank, die Reichsbahn und die verpfändeten Einnahmezweige des Haushalts. Neben den Kommissaren steht der Agent für Reparationszahlungen. Er soll die Verbindung zwischen der Reparationskommission und den Kommissaren herstellen und darauf achten, daß unter ihnen keine Reibungen und kein Kompetenzstreit entstehen. Er soll verhüten, daß doppelte Arbeit geleistet wird, kurz die harmonische Zu- sammenarbeit bei der Ausführung des Planes sichern, Diese Aufgaben verschaffen dem Agenten die wichtigste Stellung in der Organisation. Jedoch kann jeder Kommissar bei Meinungsverschiedenheiten mit dem Agenten an die Reparations- kommission appellieren, Der Plan sieht ferner einen Treuhänder — Trustee — für die Schuldverschreibungen der Reichsbahn und der Industrie vor. Tatsächlich ist später je ein Trustee für beide Arten von Schuld- verschreibungen bestellt worden. Der Agent und die Trustees werden von der Reparationskommission ernannt, ebenso der Kommissar für die verpfändeten Einkünfte. Der Kommissar für die Reichsbahn dagegen wird von den auswärtigen Mitgliedern des 309 Mr Verwaltungsrats der Gesellschaft gewählt, in ähnlicher Weise auch der Kommissar für die Bank, Um die Zusammenarbeit zu erleichtern, sollen die Kommissare, der Agent und die Trustees einen Rat (Coordinating Board) bilden, der jedoch keine Ent- scheidungen treffen und in der Hauptsache dem Agenten die nötigen Unterlagen für seine Weisungen liefern soll. Die Ausgaben dieser Organisation sollen sich in mäßigen Grenzen bewegen und werden in jedem Falle aus der deutschen Jahresleistung bestritten. 310 NEUNUNDZWANZIGSTES KAPITEL DIE ANNAHME DES GUTACHTENS UND DIE LONDONER KONFERENZ. VOM 16. JULI BIS 16. AUGUST 1924 DER BERICHT DES DAWES KOMITEES Am 9, April 1924 wurden die Berichte der beiden Komitees an die Reparationskommission in englischer und französischer Sprache veröffentlicht. Der Bericht des Daweskomitees umfaßt mit allen Anlagen einen stattlichen Band von 124 Druckseiten. Er zerfällt in drei Teile. Der erste Teil enthält die Vorschläge und die Grundzüge des Planes, Der zweite Teil beleuchtet die finanziellen, wirt- schaftlichen und steuerlichen Verhältnisse Deutschlands und be- handelt die Kontrolle der für die Reparation zu verpfändenden Einkünfte des Reiches. Der dritte Teil bringt in Anlagen aus-' gearbeitete Einzelpläne für die Bank (Anlage I), für den Index {Anlage II), für die Reichsbahn (Anlagen III und IV), für die Industrieobligationen (Anlage V), für das Transfersystem (An- lage VI). | ‘Der eigentliche Bericht, zumal sein erster Teil, ist eine er- staunliche Leistung. Er ist glänzend geschrieben. Alle seine Aus- führungen atmen den frischen Geist gesunder wirtschaftlicher Erkenntnis, Sie halten sich sorgfältig fern von politischen Rück- sichten und Erwägungen. Aus dem Ganzen spricht eine Kraft der Ueberzeugung, die unwiderstehlich wirkt. | | An der Spitze des Berichts steht die Erklärung, daß Deutsch- E land nicht wieder gesunden kann, solange Teile des Landes 31T finanziellen und wirtschaftlichen Eingriffen von außen unter- liegen. Alle Vorschläge des Berichts haben deshalb zur Voraus- setzung, daß die wirtschaftliche Einheit und Freiheit innerhalb der gesamten Reichsgrenzen wiederhergestellt werden. Mit politischen Sicherheiten und Strafmaßnahmen oder mit Fragen der militärischen Besetzung sich zu beschäftigen, lehnt der Bericht ab. Er stellt aber fest, daß fremde Eingriffe, soweit sie die wirtschaftliche Tätigkeit Deutschlands hemmen, aufhören müssen, Die Kontrollen, die das Komitee selber vorschlägt, sollen für die Ausführung des Planes genügen, solange Deutschland nicht in flagranter Weise dagegen verstößt, | Und nun kommt, ganz in der Gedankenreihe von Owen Young, die Lehre von Deutschlands Pflicht und Deutschlands Kraft: „Es muß Reparation leisten, nicht nur zum Nutzen der Ge- schädigten, sondern zu seinem eigenen Heil. Seine Wirtschaft kann nicht gedeihen, wenn die benachbarten Länder nicht auch in gesunden Verhältnissen leben und zu normalem Verkehr unter- einander zurückkommen. Und Deutschland ist stark: es hat ein wachsendes und gewerbfleißiges Volk, große technische Erfahrung, reiche Naturschätze, eine entwickelte und fortschreitende Land- wirtschaft, es ist hervorragend in industrieller Wissenschaft, Seit 1919 hat das Land seine industrielle Ausrüstung ohne Scheu vor Ausgaben stets verbessert, vor allem seine Eisenbahnen, Telephon- und Telegraphenanlagen, Häfen und Kanäle, Die deutsche Industrie hat sich völlig neue Einrichtungen geschaffen, die vielfach mehr produzieren können als vor dem Krieg. Daher ist Deutschland wohl versehen mit Hilfsquellen und Betriebs- mitteln. Wenn die zeitige Kreditknappheit überwunden ist, wird es im normalen Wettbewerb der Welt wieder eine bevorzugte Stellung haben. Es gehört kein besonderer Optimismus dazu, um anzunehmen, daß Deutschlands Schaffenskraft ausreicht, seinen eigenen Bedürfnissen gerecht zu werden und daneben die in dem Plan vorgesehene Reparation zu leisten.” Die Schlußworte des Berichts sagen: „Der Plan ist ein unteilbares Ganzes. Will man Erfolg haben, so darf man nicht einzelnes aus den Vorschlägen zur Annahme 312 aussuchen und anderes verwerfen. Auch darf der Plan keine Ver- zögerung erleiden. Er kann erst anfangen zu arbeiten, wenn Deutschlands wf£#tschaftliche Einheit wiederhergestellt ist, Je länger dies hinausgeschoben wird, um so mehr verzögert sich die Wirksamkeit des Planes, Deutschlands Wiederaufrichtung ist kein Endzweck in sich selbst, sondern nur ein Teil des großen Problems der Wieder- herstellung Europas. Wenn auch der Plan bei der Lage der Dinge es nicht unter- nehmen konnte, das gesamte Reparationsproblem zu lösen, so zeigt er doch den Weg zu einer Regelung, die sich über genügend lange Zeit erstreckt, um das Vertrauen wiederherzustellen. Er ist so aufgebaut, daß er eine endgültige und umfassende Einigung über alle Fragen erleichtert, die zur Reparation gehören oder mit ihr verwandt sind, sobald es die Umstände erlauben werden.“ DER BERICHT DES MC KENNA-KOMITEES Ueber die Grundlage der Arbeiten des zweiten Komitees haben wir bereits gesprochen, Sein Bericht ist ziemlich kurz. Er kommt nach genauer Prüfung aller Faktoren, welche auf das deutsche Kapital im Auslande seit 1914 eingewirkt haben, zu dem Er- gebnis, daß am Ende des Jahres 1923 das gesamte Eigentum und alle Guthaben der Deutschen im Auslande nicht weniger als 5,7 Milliarden Goldmark und nicht mehr als 7,8 Milliarden Goldmark betragen haben können. Als wahrscheinlich zutreffend wird die mittlere Ziffer von 63% Milliarden Goldmark genannt. Dazu kommt der deutsche Besitz an fremden Zahlungsmitteln, der nach der Ansicht des Komitees zum gleichen Zeitpunkt nicht geringer als 1.2 Milliarden Goldmark gewesen ist. Dabei darf man freilich den ausländischen Sachbesitz in Deutschland nicht außer Betracht lassen. Das Komitee schätzt ihn auf 1 bis 1% Milliarden Goldmark. In einem Anhang zum Bericht werden Einzelheiten der Be- rechnungen gegeben, welche das Komitee angestellt hat. Sie er- strecken sich auf alle Posten, die für die Schwankungen ‚des deutschen Besitzes im Ausland maßgebend gewesen sind. Leider 313 ist es aber nicht möglich, aus diesen Angaben das Schlußergebnis nachzurechnen, weil bei mehreren Posten die Zahlen fehlen. Trotz der großen Mühe, die sich das Komitee gegeben hat, und trotz der Vielseitigkeit des verwendeten Materials wird man sich doch fragen müssen, ob seine Schätzungen wirklich als zu- treffend anzusehen sind. Jedenfalls darf nach der Entwicklung des Geldmarktes in Deutschland seit der Wirksamkeit des Dawesplanes wohl mit Recht daran gezweifelt werden, daß Ende 1923 das Eigentum und die Guthaben der Deutschen im Ausland die erstaunlich hohe Summe von insgesamt acht Mil- liarden Mark erreicht haben sollen, Auf die Frage, wie däs geflüchtete Kapital nach Deutschland zurückzubringen ist, antwortet der Bericht: „Wie in anderen Ländern ist die deutsche Kapitalflucht vor allem dadurch verschuldet, daß es die Regierung unterlassen hat, ihren Haushalt zu ordnen, daß sie infolgedessen große schwebende Schulden eingegangen ist und selbst Papiergeld ausgegeben hat. Ein weiterer Grund liegt bei den Spekulanten und mißtrauischen Kapitalisten, die ihre Mark gegen fremde Währung verkauft haben. Ferner haben die Exporteure von Waren den Erlös ihrer Verkäufe in möglichst großem Umfang im Ausland zurückgehalten. Bei Deutschland kam nun noch die Stellung des Volkes zu den Zahlungen an die Kriegsgläubiger dazu. Es fand neue und sinnreiche Wege, um die gesetzlichen Schranken zu umgehen und die wirklichen Eigentumsverhältnisse an Guthaben im Ausland zu verbergen. Dem so starken Anreiz zur Kapitalflucht gegenüber mußte jeder Gesetzeszwang ver- sagen. Weder Gesetz noch schwere Strafen haben Kapital.im Ausland aufgedeckt oder die Kapitalflucht verhindert, Ob dabei die Regierung ihr möglichstes getan hat, die Gesetze und Ver- ordnungen durchzuführen, spielt im Ergebnis keine Rolle, Der einzige Weg, die Flucht des Kapitals zu verhindern und es zur Rückkehr zu ermutigen, besteht darin, die Wurzel des Uebels auszurotten. Die Inflation muß für immer aufhören. Wenn die Ausgabe von Zahlungsmitteln nur innerhalb der wirklichen Grenzen der heimischen Erfordernisse auf solider Grundlag- 314 erfolgt, wird der Deutsche, der Kapital im Ausland besitzt, nicht mehr zu fürchten haben, daß er Verlust erleidet, wenn er es nach Hause bringt, Der Spekulant kann dann aus Markverkäufen keinen Nutzen mehr erwarten. Einen Vorgang bietet die Ent- wicklung in Oesterreich. Gesetzliche Beschränkungen, die bisher im ganzen nutzlos gewesen sind, werden in dem Augenblick völlig überflüssig, wo kein Anreiz mehr vorliegt, das Gesetz zu umgehen. Man muß sogar fürchten, daß Gesetze, welche die Rückkehr des Kapitals bezwecken, den gegenteiligen Erfolg haben können.” „Wenn das Werk des ersten Komitees, der Reparationsplan, durchgeführt wird, dann kehrt sicher ein erheblicher Teil des deutschen Kapitals auf dem gewöhnlichen Handelswege zurück. In der Uebergangszeit bis zur Stabilisierung und bis zur Wieder- kehr des Vertrauens sollten für eine beschränkte Zeit Amnestie für Kapitalflucht und besondere Vorteile für die Zeichnung von Anleihen der Regierung in fremder Währung angeboten werden. Wohlüberlegte Maßnahmen dieser Art würden die Rückkehr des Kapitals und die endgültige Wiederherstellung des finanziellen Gleichgewichts in Deutschland zum Vorteil der Reparation be- _ schleunigen.“ DIE VORBEREITUNG DER LONDONER KONFERENZ Schon am 11. April 1924 teilte die Reparationskommission der deutschen Regierung mit, daß sie das Gutachten der Sachver- ständigen als eine praktische Grundlage für die schnelle Lösung des Reparationsproblems betrachte. Sie sei daher geneigt, den Plan anzunehmen, soweit ihre eigene Kompetenz in Frage komme, und den Regierungen die Annahme der Punkte zu empfehlen, die von ihnen entschieden werden müßten. Die Kommission könne aber erst dann handeln, wenn das Reich sich bereit erkläre, seine Mitwirkung bei der Ausführung des Gutachtens zuzusichern. Am 16. April erklärte die deutsche Regierung mit kurzen Worten ihre volle Zustimmung. Darauf bestätigte die Reparations- _ _kommission den alliierten Regierungen und den Vereinigten _ Staaten in einem Rundschreiben vom 17. April, daß sie be- 315 schlossen habe, das Gutachten anzunehmen, und den beteiligten Regierungen empfehle, die zu ihrer Zuständigkeit gehörenden Punkte gleichfalls im Sinne des Planes zu entscheiden. Die Kommission werde die deutsche Regierung auffordern, sogleich die nötigen Maßnahmen für die Ausführung des Planes zu treffen, Das gleiche werde die Kommission selber tun. England, Belgien und Italien gaben am 24. April ihr Einver- ständnis. Für Frankreich schickte Poincar& am 25. April eine gewundene Note, die sich zwar in Ausdrücken der Anerkennung für die Arbeit der Sachverständigen und der Reparations- kommission erschöpfte, aber um den heißen Brei der Zustimmung vorsichtig herumging. Erst solle Deutschland die nötigen Maß- nahmen treffen, dann solle die Reparationskommission diese Maß- nahmen genehmigen und dann erst würden die alliierten Regie- rungen unter sich zu prüfen haben, was zu tun sei. Frankreich werde dabei das größte Entgegenkommen zeigen, aber nur soweit es seine Lebensinteressen gestatteten. Das war wieder ganz der alte Poincare: Nur ja keinen Ent- schluß fassen, der etwas Neues bringt! Ablehnen konnte er den Plan nicht mehr gut. Aber die Annahme wenigstens wollte er so weit hinausschieben, wie es irgend ging, und erst einmal ab- warten, wie die Dinge liefen. Mit seiner Note war wenig anzufangen. Zwar verhinderte sie die Reparationskommission nicht, die Ausführung des Planes weiter vorzubereiten, aber sie ließ die endgültige Stellungnahme Frankreichs doch noch ganz im ungewissen. Zum Glück halfen die politischen Ereignisse, Bei den französischen Kammerwahlen am 11. Mai siegten unerwartet die Parteien der Linken. Die Regierung Poincar& stürzte, An ihre Stelle trat ein Kabinett der Linken unter Herriot. Von nun an zeigt die Entwicklung der Dinge einen straffen Zug. Auf der einmal betretenen Bahn gab es kein Schwanken mehr. In gerader Linie ging alles vorwärts. Die Reparationskommission, durch politischen Druck nicht mehr behindert, leistete tüchtige Arbeit. Bradbury, Delacroix und Seydoux wirkten harmonisch zusammen. | 316 Nach dem Gutachten der Sachverständigen lag es der deutschen Regierung ob, Gesetzentwürfe für die Gründung der Goldnoten- bank, für die Umwandlung der Reichsbahn in eine Gesell- schaft und für die Aufbringung von fünf Milliarden Schuldver- schreibungen der deutschen Industrie vorzubereiten. Die Grund- züge dafür waren im Dawesbericht und in seinen Anlagen vor- geschrieben. Die Sachverständigen hatten aber vorgesehen, daß ihre Vorschläge auf allen drei Gebieten von Organisationskomitees weiter ausgearbeitet werden sollten. Diese Komitees traten nun zusammen, Dr. Schacht als Präsident der Reichsbank und Sir Robert Kindersley bearbeiteten die Gründung der Bank. Sir William Acworth und Mr. Leverve, die Verfasser des Berichts über die Reichsbahn, bildeten mit zwei deutschen Vertretern — dem Staatssekretär Vogt und mir — das Komitee für die Gründung der Bahngesellschaft. Der Zusammentritt des Industriekomitees ver- zögerte sich wegen Schwierigkeiten in der Auswahl der alliierten Vertreter. Schließlich gehörten ihm an von deutscher Seite Staats- sekretär Trendelenburg und Dr. Buecher, von alliierter Seite die Herren Allix und Bianchini, Als neutrales Mitglied wurde vom Komitee der bekannte schwedische Bankier Marcus Wallenberg zugezogen, Verhältnismäßig am einfachsten lag die Aufgabe der Gründung der Bank. | Das Komitee für die Reichsbahn hatte umfangreiche und schwierige Materien zu bearbeiten. Es galt, das Verhältnis der Bahngesellschaft zu der Reichsregierung in den Fragen der Auf- sicht und der Tarifhoheit sowie zu den einzelnen Ländern zu regeln, welche im Jahre 1920 durch Staatsverträge ihre Eisen- bahnen an das Reich übertragen und sich gewisse Rechte vor- behalten hatten, Nicht geringere Schwierigkeiten verursachte bei der Umstellung des Reichsbetriebs in die Form eines Privat- betriebs die Personal- und Beamtenfrage. In allen diesen Dingen gelangte man zur Einigung, ohne daß es nötig war, das im Dawes- bericht vorgesehene fünfte, neutrale Mitglied zuzuziehen. Für das nationale Empfinden der Deutschen war die Ueber- tragung des Eisenbahnbetriebs auf eine Gesellschaft, in deren 317 Verwaltung auch Ausländer sitzen sollten, ein schwerer Schlag. Die Arbeit des Organisationskomitees aber hat in wichtigen Punkten dem deutschen Interesse Rechnung getragen und manche Bedenken zerstreut. Die deutsche Mehrheit im Verwaltungsrat der Gesellschaft ist für alle Fälle gesichert. Etwaige Streitig- keiten zwischen der Gesellschaft und dem Reich entscheidet zu- nächst ein besonderes deutsches Gericht, und erst in zweiter Instanz, aber nur in besonderen Fällen, der ursprünglich als Schiedsrichter vorgesehene internationale Gerichtshof. Endlich ist die Gefahr beseitigt, daß etwa die deutschen Eisenbahnen in fremde Hände fallen könnten, wenn die Zinsen und die Tilgung der Reparationsschuldverschreibungen nicht gezahlt werden sollten. Derals Vertreter des Treuhänders fungierende Eisenbahnkommissar hat im schlimmsten Falle nur das Recht, den Betrieb der Bahn ganz oder zum Teil an eine andere Gesellschaft zu verpachten, jedoch nur dann, wenn der Schiedsrichter festgestellt hat, daß diese Maßnahme nötig und geeignet ist, die Durchführung des Dienstes der Reparationsschuldverschreibungen zu sichern. Das Eigentum an den Eisenbahnen bleibt daher unter allen Umständen dem Reiche erhalten. Das Organisationskomitee für die Schuldverschreibungen der Industrie hatte mit einem ganz neuartigen Problem zu tun. Die fünf Milliarden Obligationen auf die einzelnen deutschen Industrien zu verteilen war eine schwere Aufgabe. Ursprünglich waren die Sachverständigen im Daweskomitee überwiegend der Ansicht ge- wesen, daß es zweckmäßig sei, jedes einzelne Unternehmen in bestimmter Höhe zu belasten, die Schuldverschreibungen jedoch von einer zentralen Gesellschaft ausgeben zu lassen, welche die Zinsen und die Tilgungsraten der Kapitalschuld von den einzelnen Unternehmen einzuziehen und den Gläubigern gegenüber den Dienst der Gesamtobligationen zu übernehmen hätte. Zuletzt aber entschied sich das Daweskomitee dahin, daß grundsätzlich jedes industrielle Unternehmen seine eigenen Obligationen ausgeben und dem Treuhänder abliefern solle. Dem Organisationskomitee wurde überlassen, bei kleineren Unternehmen Ausnahmen zu machen. Diese Frage bildete den Mittelpunkt der Schwierigkeiten. 318 Schließlich wurde eine Lösung gefunden, nach welcher die große Masse der fünf Milliarden in Form von Gesamtobligationen einer Zwischenstelle (Industriebank) und nur 500 Millionen als Einzel- obligationen der größeren deutschen Unternehmen auszugeben sind. Von Bedeutung war ferner die Frage, auf welche wirtschaft- lichen Kreise sich die Belastung erstrecken und wie die im Dawes- bericht verlangte hypothekarische Sicherung gefunden werden könne. Wir werden über alles dies noch zu sprechen haben. Während der Arbeit der drei Organisationskomitees suchten die treibenden Kräfte in der Reparationskommission einen Weg zu finden, wie der Plan zum bindenden Vertrage zwischen den Alliierten und Deutschland erhoben werden könne. Es entstand der Gedanke eines gemeinsamen Protokolls, in dem alle Teile den Plan anzunehmen hätten und in dem sich Deutschland verpflichten solle, innerhalb einer bestimmten Frist die Gesetze für die Reichs- bank, die Reichsbahn und die Industrieobligationen zu erlassen. Ueber die Kontrolle der verpfändeten Einnahmen sollte gleich- falls ein Protokoll gezeichnet werden. Darauf sollten Frankreich und Belgien sich verpflichten, bis zu einem bestimmten Tage die Maßnahmen im besetzten Gebiete zu ergreifen, die nötig seien, um die finanzielle und wirtschaftliche Einheit Deutschlands wiederherzustellen. | Aus diesen Erwägungen erwuchs der Gedanke einer Konferenz, zu der sich zunächst die Alliierten und Vertreter der Vereinigten Staaten am 16. Juli in London zusammenfinden sollten. Bei einem Besuche des britischen Ministerpräsidenten Mac- donald in Paris am 9, Juli wurde durch ein Memorandum bekannt- gegeben, Frankreich und England seien darin einig, daß der Plan ' schleunigst in Kraft treten müsse und daß auf der Konferenz in London alle beteiligten Regierungen die Annahme des Planes be- stätigen sollten. Die Rechte der Reparationskommission dürften nicht beeinträchtigt werden, wohl aber solle, wenn möglich, ein Amerikaner in die Reparationskommission eintreten, falls eine Verfehlung Deutschlands zu konstatieren sei. Auch solle der Agent für die Reparationszahlungen zugezogen werden, wenn die Reparationskommission nicht zu einer einheitlichen Entschließung 319 kommen könne, Für den Fall eines böswilligen Verstoßes Deutsch- lands gegen den Plan würden sich die Alliierten über Gegenmaß- regeln zu verständigen haben. Die Reparationskommission solle zur Londoner Konferenz einen Plan für die wirtschaftliche Frei- gabe des besetzten Gebietes vorbereiten. Für die Fragen des Transfers und der Sachlieferungen solle eine besondere Orga- nisation geschaffen werden, welche die beteiligten Regierungen zu beraten habe, ebenso für Fragen der Auslegung und der Durch- führung des Dawesplanes. | Damit waren bereits alle die Materien angeschnitten, die bald darauf in London entschieden werden sollten. DIE LONDONER KONFERENZ Die Londoner Konferenz wurde am 16. Juli feierlich eröffnet. England, Belgien und Frankreich waren durch ihre Premier- minister selber, Italien und Japan durch besondere Delegierte vertreten, Für die Vereinigten Staaten nahmen nichtoffiziell der Londoner Botschafter Kellogg und James A. Logan teil. Von den kleineren Alliierten waren Portugal, Griechenland, Rumänien und Jugoslawien beteiligt. Man schritt sofort zur Errichtung von drei Komitees. Als Grundlage ihrer Arbeiten sollte das englisch-französische Memo- randum vom 9, Juli dienen, Das erste Komitee unter dem Vorsitz des Schatzkanzlers Snowden behandelte die Frage etwaiger Ver- fehlungen Deutschlands gegen den Plan. In dem zweiten Komitee unter dem Vorsitz des englischen Ministers Thomas wurde das Programm für die Wiederherstellung der finanziellen und wirt- schaftlichen Einheit Deutschlands ausgearbeitet. Das dritteKomitee unter Sir Robert Kindersley hatte festzustellen, in welcher Weise die deutschen Zahlungen den Gläubigerstaaten zu überweisen seien, Die Arbeiten des zweiten und dritten Komitees waren in der Hauptsache technischer Art. Von erfahrenen Sachverständigen geleitet, machten sie schnelle Fortschritte. Im ersten Komitee da- gegen kam es sehr bald zu einem ernsten Konflikt zwischen Eng- land und Frankreich, Hier stand im Mittelpunkt die Frage, was 320 geschehen solle, wenn bei einem böswilligen Verstoß Deutsch- lands gegen den Plan die Alliierten sich über die zu treffenden Maßnahmen — Sanktionen — etwa nicht einigen würden. In dem Plan selber war dieser Punkt wegen seiner eminent politischen Bedeutung ausdrücklich der gemeinsamen Entscheidung der Gläubigerstaaten überlassen worden. Nun erklärte Frankreich, daß jede Regierung in bezug auf die Sanktionen volle Handlungs- freiheit wiedergewinne, falls eine Einigung darüber nicht zu er- zielen sei. Dieser Standpunkt, auf den sich Herriot inzwischen auch vor der französischen Kammer öffentlich festgelegt hatte, wurde in der Konferenz von England energisch bekämpft. Nicht minder schwierig war die Frage zu entscheiden, wer einen solchen Verstoß Deutschlands festzustellen habe, Hier hielten die Franzosen starr an der Reparationskommission fest, während die Engländer in Sachen des Planes die Kommission für nicht zuständig erklärten. Von amerikanischer und belgischer Seite wurde eine Reihe von Vermittlungsvorschlägen gemacht. Sie waren schon so gut wie angenommen. Da erklärten aber die englischen und amerikanischen Bankiers, mit denen in London über die Aus- gabe der im Plane vorgesehenen Reparationsanleihe von 800 Millionen Goldmark gesprochen wurde, daß sie keine ausreichende Sicherheit für die Anleihe sehen würden, solange die Reparations- kommission über eine Verfehlung Deutschlands entscheide und so- lange nicht Frankreich ein für allemal auf selbständige Sanktionen 'in der Art militärischer Maßnahmen usw, verzichte, Auch in der Zuziehung eines amerikanischen Mitgliedes zur Reparations- kommission, in der Beteiligung des Reparationsagenten und von Vertretern der Anleihegläubiger bei der Beratung über eine deutsche Verfehlung — alles dies und noch anderes wurde vor- geschlagen — sahen die Bankiers keine genügenden Garantien für die Anleihe. Selbst die Erklärung, daß die Anleihe das absolute Vorrecht vor jeder anderen Reparationsforderung erhalten solle, genügte den Bankiers nicht. Ebenso hartnäckig erklärte aber auch Frankreich, daß es auf das Recht des selbständigen Eingreifens zur Wahrung seiner Ver- tragsrechte im äußersten Notfalle nicht verzichten könne, Der Bergmann, Der Weg der Reparation 21 321 Konflikt wurde so scharf, daß die Konferenz zu scheitern drohte, Erst die letzten Tage des Juli brachten eine Wendung zum Besseren. Die Vertreter der Vereinigten Staaten in der Konferenz erkannten, daß die amerikanischen Bankiers mit ihren Forde- Tungen zu weit gegangen waren, und gaben vor der Konferenz eine feierliche Erklärung dahin ab, daß Amerika auf das Gelingen der Konferenz den größten Wert lege. Gleichzeitig schlug Logan vor, die Frage der Garantien für die Reparationsanleihe aus den Beratungen der Konferenz einstweilen auszuschalten und durch eine besondere Besprechung zwischen der Reparationskommission, der deutschen Regierung und den internationalen Banken zu regeln. Das brachte die Verhandlungen wieder in Fluß, Frank- reich machte für die Feststellung einer etwaigen deutschen Ver- fehlung einen neuen Vorschlag, wonach die Reparationskommission nur bei Einstimmigkeit unter Zuziehung eines amerikanischen Ver- treters die Verfehlung endgültig feststellen könne. Bei Meinungs- verschiedenheiten innerhalb der Kommission sollte jedes Mitglied das Recht haben, gegen die Entscheidung der Kommission an ein Schiedsgericht von drei Unparteiischen unter Vorsitz eines Amerikaners zu appellieren, Der Vorschlag wurde von dem ersten Komitee am 31, Juli angenommen. Nun erst erging die Einladung an die deutsche Regierung, Ver- treter zur Konferenz zu entsenden. Auch das war bisher ein Punkt des Streites gewesen. Frankreich hatte die Ansicht vertreten, daß Deutschland gemäß den Vorschriften des Vertrages von Versailles nur anzuhören sei, aber an den Beratungen der Konferenz selber nicht gleichberechtigt teilnehmen dürfe. Nachdem aber ein be- sonderes rechtskundiges Komitee festgestellt hatte, daß die Aus- führung des Dawesplanes in manchen Punkten über den Vertrag von Versailles hinausgehe und daher Deutschland nicht auf- gezwungen werden dürfe, war die deutsche Teilnahme an der Konferenz gesichert, Die militärische Räumung der Ruhr stand nicht auf der Tages- ordnung der Konferenz, weil sie keinen unmittelbaren Gegenstand des Planes bildete. Von Deutschland aus wurde die Räumung der Ruhr im Zusammenhange mit dem Reparationsplan laut und 322 “ dringlich gefordert, Mit dem F ortschreiten der Konferenz wurde es immer klarer, daß man in London auch über diese wesentliche Frage notgedrungen sprechen müsse, Auf nachdrückliches An- raten von Macdonald erklärte sich schließlich auch Herriot be- reit, die militärische Räumung außerhalb der Tagesordnung der Konferenz zu behandeln. Von Iranzösisch-belgischer Seite wurde vorgeschlagen, die Frist für die militärische Räumung auf zwei Jahre festzusetzen, Die Räumung sollte aber sofort eintreten, wenn Deutschland 1% Milliarden Goldmark von den unter dem Plane vorgesehenen Eisenbahn- und Industrieobligationen zurück- kaufe, Mit jedem Rückkauf eines Teilbetrages dieser 1% Milliarden sollte ein entsprechendes Stück des besetzten Gebietes geräumt werden, Dies unwürdige Ansinnen wurde von allen Seiten ab- gelehnt und fiel unter den Tisch, Im zweiten Komitee hatten sich die Alliierten über die Art der wirtschaftlichen Räumung des besetzten Gebietes und über die verschiedenen Fristen für die Beseitigung der willkürlichen Zollgrenzen und der Micumverträge sowie der französisch- belgischen Eisenbahnregie im wesentlichen geeinigt. Nur in einem Punkte machten die Franzosen einen wichtigen Vorbehalt, An- geblich zur Sicherheit der Besatzungstruppen, in Wirklichkeit aber aus Prestigegründen, nämlich um ihren politischen Rückzug zu bemänteln, verlangten sie, daß bei der Auflösung der Regie ein Trupp von mehreren tausend französisch-belgischen Eisen- bahnern im Betriebe der deutschen Bahn, am besten in einer Grenzdirektion wie Trier, bleiben sollte. Die Forderung war mit dem Geiste des Dawesplans unvereinbar und praktisch völlig nutzlos. Die deutsche Delegation traf in London am 5. August ein, Sie wurde geführt vom Reichskanzler Marx, dem der Minister des Aus- wärtigen Stresemann und der F inanzminister Dr. Luther zur Seite standen, Die Lage auf der Konferenz hatte sich inzwischen so weit geklärt, daß in allen drei Komitees ein gemeinsames Programm der Alliierten festgelegt war. Offen standen noch die zwei Haupt- fragen der militärischen Räumung des Ruhrgebietes und des Ver- bleibs von Regiebeamten im Betriebe der deutschen Eisenbahnen. 21% 323 Aber auch da war schon von den rührigen Amerikanern vor- gearbeitet worden. Neben Kellogg und Logan bemühte sich auch in London wieder Owen D. Young in aller Stille und mit größtem Erfolg um eine verständige Einigung auf allen Gebieten. Mit ihm wirkte im gleichen Sinne der ebenfalls in London anwesende amerikanische Botschafter in Berlin, Alanson B. Houghton, Ein glücklicher Zufall wollte, daß auch der Staatssekretär Hughes in jenen kritischen Tagen auf Urlaub in London weilte, Beobachter des Verlaufes der Konferenz konnten der deutschen Delegation schon bei ihrem Eintreffen mitteilen, daß es gelingen würde, die militärische Räumung des Ruhrgebiets innerhalb eines Jahres zu erreichen und Frankreich zum völligen Verzicht auf die Belassung von Regiebeamten im Eisenbahnbetrieb zu be- wegen, In’ganz Deutschland aber forderte man die Räumung der Ruhr in viel kürzerer Frist. Sie zu erreichen, war eine der Haupt- aufgaben der deutschen Delegation. | Die Dinge liefen jedoch nicht so glatt, wie man gehofft hatte, Die deutschen Vertreter hielten es für nötig, ihre Vorschläge zur Abänderung der Beschlüsse des zweiten und dritten Komitees eingehend schriftlich zu begründen. Die Verhandlung darüber ergab langwierige technische Auseinandersetzungen, die von beiden Seiten sachlich und gründlich geführt wurden, aber alle Teilnehmer an der Konferenz auf das äußerste ermüdeten, In dieser Atmosphäre war es nicht möglich, die Räumung des Ruhr- gebiets zu beschleunigen. Bei den langwierigen Debatten in den einzelnen Komitees wurden zwar noch verschiedene deutsche Forderungen durchgesetzt. Diese Teilerfolge boten aber keinen Ersatz dafür, daß es nicht gelang, die einjährige Frist für die Räumung des Ruhrgebiets abzukürzen. Der Entschluß, sich mit diesem Ergebnis abzufinden, wurde den Deutschen dadurch etwas erleichtert, daß Frankreich sich bereit erklärte, nach der Zeich- nung des Londoner Abkommens sofort den Bezirk von Dortmund sowie die zugleich mit dem Ruhrgebiet besetzten sonstigen Landes- teile — Offenburg, Appenweier und die Häfen von Karlsruhe und Mannheim, Wesel und Emmerich — zu räumen. Endlich sollten 324 ein Abkommen gezeichnet, in welchem beide Teile sich ver- auch die Reste der Londoner Sanktionen von 1921 beseitigt werden: Frankreich stellte die Räumung von Düsseldorf, Duisburg und Ruhrort gleichzeitig mit der Räumung des Ruhrgebiets in Aussicht. Während der Konferenz wurden in besonderen Verhandlungen zwei Materien geregelt, die ebenfalls zum Dawesplan gehörten, Alliierte und deutsche Sachverständige einigten sich über ein Protokoll, welches die Zahlungen aus dem Reichshaushalt und die Befugnisse des Kommissars für die verpfändeten Reichsein- nahmen im einzelnen bestimmte. Ferner wurde am 9. August zwischen der Reparationskommission und der deutschen Regierung pflichteten, die zur Ausführung des Dawesplans nötigen Maß- nahmen zu treffen. Am 16. August 1924 war die Londoner Konferenz beendet. Das Schlußprotokoll stellte die Annahme des Dawesplanes durch alle beteiligten Regierungen und durch die Reparationskommission fest, Die formelle Unterzeichnung der verschiedenen Abkommen sollte am 30. August in London stattfinden. Bis dahin mußten die von den Organisationskomitees entworfenen und von der Repa- rationskommission inzwischen gebilligten Gesetze über die Reichs- bank, die Reichsbahn-Gesellschaft und die Industrie-Obligationen vom Deutschen Reichstag angenommen sein. Für das Inkrafttreten des Dawesplanes war in der Konferenz ein genauer Plan vereinbart. Zunächst hatte die Reparations- kommission zu konstatieren, daß die deutschen Gesetze für die Durchführung des Planes verkündet seien, und daß der Agent für Reparationszahlungen seine Tätigkeit aufgenommen habe. Diese Feststellung geschah am 1. September 1924. Das Amt des Agenten übernahm für die Uebergangszeit Owen D. Young. An seine Stelle trat am 31. Oktober als ständiger Generalagent S, Parker Gilbert. Binnen fünf Wochen nach der ersten Feststellung mußte die Reparationskommission weiter erklären, daß die volle Organisation für den Plan eingerichtet, daß die Reichsbank und die Reichs- bahr-Gesellschaft konstituiert, daß die Zertifikate für die Eisen- bahn- und die Industriebonds an die Treuhänder übergeben, und 325 daß Verträge abgeschlossen seien, welche die Zeichnung der Reparationsanleihe von 800 Millionen Goldmark gewährleisteten. Die Erklärung erfolgte plangemäß am 13, Oktober. Am 28. Oktober endlich konnte die Reparationskommission feststellen, daß die französische und die belgische Regierung dem Londoner Abkommen gemäß die nötigen Maßnahmen für die Wiederherstellung der finanziellen und wirtschaftlichen Einheit Deutschlands durchgeführt hätten. ‚ Schrittweise wurden alle Eingriffe in die Verwaltung und Gesetzgebung der besetzten Gebiete seit dem 11, Januar 1923 beseitigt. Die deutschen Behörden, vor allem die Zollverwaltung, traten wieder in Funktion. Am 9, September fiel die Zollinie zwischen dem besetzten und dem unbesetzten Gebiet. Alle Berg- werke, Kokereien und die sonstigen wirtschaftlichen Unter- nehmungen, die von den Besatzungsmächten zwangsweise aus- gebeutet waren, wurden an die Eigentümer zurückgegeben. Ferner waren alle Einrichtungen der Besatzungsmächte für die Erhebung und Verwaltung von Abgaben und die Beschränkungen des Ver- kehrs im besetzten Gebiet aufzuheben. Damit fanden auch die un- seligen Micumverträge ihr Ende. Sie waren seit dem 15. April 1924 mehrfach verlängert worden, schließlich auch mit einigen Milde- rungen in den Geldabgaben. Aber die Zwangslieferungen von Kohle und Koks gingen bis zum Inkrafttreten des Dawesplanes weiter, Während der Uebergangsperiode bis zum 28. Oktober 1924 hatte die deutsche Regierung monatlich ein Zwölftel der im Dawes- plan vorgesehenen ersten Annuität von 1000 Millionen Mark, d.h. rund 83 Millionen Mark an den Generalagenten abzuführen. An- gerechnet wurden darauf die Abgaben, welche die französisch- belgische Verwaltung im besetzten Gebiete seit dem 1. September noch erhob, ferner die Eingänge aus dem Reparation Recovery Act und die deutschen Leistungen für die Besatzungsheere. Alle diese Zahlungen sind später der deutschen Regierung aus dem Erlös der Reparationsanleihe wieder vergütet worden. Die An- ordnung war nötig, um während der Uebergangszeit den Fortgang der Sachlieferungen zu sichern. So war es auch möglich, trotz 326 der ziemlich langen Uebergangszeit das erste Reparationsjahr bereits mit dem 1. September 1924 beginnen zu lassen. Von diesem Tage an ist der Dawesplan in Kraft. Die Freigabe der Regiebahnen im besetzten Gebiet war im Londoner Abkommen besonders geregelt. Danach sollte der Betrieb der Regie innerhalb sechs Wochen nach Inkrafttreten des Dawesplans allmählich auf die neue Reichsbahn-Gesellschaft übertragen werden. Tatsächlich ist die volle Uebergabe der Regie- strecken im ganzen am 16. November 1924 erfolgt. So wurden in London die wirtschaftlichen Eingriffe der Alliierten, die dem Ruhrabenteuer entsprangen, systematisch be- seitist. Um alles auszuräumen, kamen die Alliierten und Deutsch- land auch überein, für alle politischen Vergehen aus der Zeit der Ruhrbesetzung gegenseitig Amnestie zu bewilligen. Im Anschluß an das Abkommen zwischen der deutschen Regierung und der Reparationskommission vom 9. August wurden in London die Grundlinien für das Verfahren bei Sachleistungen gezogen: Regel wird von nun an der freie Verkehr und die kaufmännische Gewohnheit. Für die Lieferungen hat die Reparationskommission nach Beratung mit dem Transferkomitee von Zeit zu Zeit Pro- gramme aufzustellen. Dabei sind die wirtschaftliche Lage und der eigene Bedarf Deutschlands zu beachten. Innerhalb dieser Grenzen können auf Reparationskonto alle Arten von deutschen Lieferungen und Leistungen verrechnet werden, auch wenn nach dem Vertrage von Versailles Deutschland dazu nicht verpflichtet ist. Immer aber muß ein frei geschlossener Vertrag zwischen, dem deutschen Lieferanten und dem alliierten Abnehmer vorliegen. Die deutsche Regierung bleibt nur verantwortlich für die Liefe- rung von 1. Kohle, Koks und Braunkohlebriketts, 2. schwefelsaurem Ammoniak, 3. Farbstoffen (bis zum 15. August 1928), wenn die Lieferung dieser Waren nicht im freien Verkehr ge- schieht oder von deutscher Seite absichtlich hintertrieben wird. 327 Die alliierten Länder haben die Wiederausfuhr der von Deutsch- land gelieferten Waren zu verhindern, Die Ausarbeitung des Verfahrens im einzelnen wurde einem Sonderkomitee aus alliierten und deutschen Sachverständigen unter Mitwirkung eines neutralen Schiedsmannes übertragen, Das Londoner Abkommen hat ferner einige Fragen geklärt, die im Verhältnis zwischen der deutschen Regierung und dem Transferkomitee zu Zweifeln Anlaß geben konnten. Nach dem Dawesplan kann, wie wir gesehen haben, das Transferkomitee aus den Geldern des Reparationsfonds Markbeträge an Privat- entscheiden. Das Transferkomitee hat einzugreifen, wenn etwa durch finanzielle Manöver versucht wird, den Transfer zu verhindern. Gehen darüber im Transferkomitee die Meinungen so auseinander, daß die Stimmen gleich verteilt sind, so soll ebenfalls ein unab- hängiger und unparteiischer Schiedsrichter entscheiden. Sonst gibt im Transferkomitee immer die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag. Wenn der Reparationsfonds die Grenze von fünf Milliarden Goldmark oder einen etwa vom Transferkomitee bestimmten geringeren Höchstbetrag erreicht hat und das Transferkomitee etwa durch Mehrheitsbeschluß entscheidet, daß keine finanziellen Manöver zur Verhinderung des Transfer vorliegen oder bestimmte Maßnahmen gegen solche Manöver nicht ergriffen werden sollen, so kann jedes Mitglied der Minderheit des Komitees ebenfalls ein Schiedsgericht anrufen. | Endlich ist ein Schiedsgericht auch für den F all vorgesehen, daß nach der Meinung einer alliierten oder der deutschen Re- gierung bei der technischen Durchführung des Dawesplans Mängel auftreten, die abgestellt werden können, ohne die wesentlichen 328 Grundsätze des Planes zu verletzen. Hier soll die Reparations- kommission nach Prüfung der Frage durch die alliierte Organi- sation in Berlin eine einstimmige Entscheidung fällen. Kommt diese nicht zustande oder wird sie von der deutschen Regierung nicht angenommen, so kann jede der Parteien ein unparteiisches Schiedsgericht von drei Sachverständigen anrufen. Das alles sind Beispiele dafür, wie der mit der Bestellung der beiden Komitees betretene Weg, in Reparationsfragen die Ent- scheidung von unparteiischen Sachverständigen anzurufen, im Londoner Abkommen zielbewußt ausgebaut worden ist. Alle mög- lichen Streitfragen, die in London wegen der Ausführung des Planes auftauchten, sind der Entscheidung durch Schiedsrichter anvertraut, Dabei sind Verfahren und Besetzung des Schieds- gerichts jeweils bis ins einzelne vorgesehen. Das ist überhaupt das Kennzeichen der Londoner Konferenz, daß sie im bewußten Gegensatz zu allen früheren Zusammen- künften der Alliierten das System der Gewalt in Sachen der Reparation nach Möglichkeit beseitigt und die Lösung von Zweifeln dem unparteiischen Schiedsspruch von Sachverständigen über- lassen hat, falls eine gütliche Einigung der Parteien nicht möglich sein sollte, Der gleiche Grundsatz ist nach hartnäckigem Kampf zwischen Frankreich und England sogar auf die Tätigkeit der Reparations- kommission übertragen worden. Wir wissen, daß durch den Rückzug Amerikas aus dem gemeinsamen Friedensvertrage das Uebergewicht in der Kommission an Frankreich fiel. In seinen Händen lag die tatsächliche Gewalt in allen Reparationsfragen. Nur deshalb kam es zur Besetzung der Ruhr, Der Dawesbericht legte die erste Sroße Bresche in das Boll- werk der Reparationskommission. In London wurde der Wall ihrer Macht ganz eingerissen. Den Ansturm führten die alliierten Bankiers mit ihrer Weigerung, die Reparationsanleihe aufzulegen, solange die Rechte der Anleihegläubiger nicht gegen willkürliche Maßnahmen der Kommission oder der in ihr vertretenen alliierten Regierungen gesichert schienen. 329 Der Streit wurde schließlich so geschlichtet: Bei allen Fragen, die den Dawesplan betreffen, wird ein Bürger der Vereinigten Staaten als gleichberechtigtes Mitglied an den Beratungen der Reparationskommission teilnehmen, Dies gilt so lange, wie die Vereinigten Staaten nicht offiziell in der Kommission vertreten sind. Jede Entscheidung der Kommission über Verstöße Deutschlands gegen seine Pflichten aus dem Ver- trage von Versailles oder dem Dawesplan muß einstimmig sein, um rechtswirksam zu werden. Bei Beschlüssen, die nur mit Stimmenmehrheit gefaßt werden, kann jedes Mitglied der Kom- mission ein Schiedsgericht von drei unparteiischen und unab- hängigen Personen anrufen. Vorsitzender des Schiedsgerichts ist ein Bürger der Vereinigten Staaten. Verstößt Deutschland etwa gegen seine Reparationspflicht, so dürfen Sanktionen nur ergriffen werden, wenn eine krasse Ver- fehlung (manquement flagrant) festgestellt ist. Ein solcher Fall tritt dann ein, wenn Deutschland böswillig mit einem erheblichen Teil der geschuldeten Leistungen im Rückstand bleibt. Dann sollen die alliierten Mächte miteinander beraten, um die Art der Sanktionen zu bestimmen und um sie schnell und wirksam durch- zuführen. Kommt es hiernach zu Sanktionen, so sollen die be- sonderen Sicherheiten gewahrt bleiben, die für den Dienst der Reparationsanleihe bestellt sind. Alle Meinungsverschiedenheiten hierüber, die nicht gütlich beigelegt werden können, sind dem ständigen internationalen Gerichtshof im Haag zu unterbreiten. Im übrigen bleiben die Rechte der alliierten Regierungen aus dem Vertrage von- Versailles vorbehalten. Das ist in kurzen Worten der Inhalt des Abkommens, mit dem in London die heiß umstrittene Sanktionsfrage geregelt worden ist. Auch die Bankiers für die Reparationsanleihe haben sich dabei beruhigt, obwohl sie diese Kautelen immer noch nicht für ge- nügend hielten. Man muß schließlich auch anerkennen, daß mit dem vorliegenden Abkommen die Gefahr des eigenmächtigen Eingriffs einer alliierten Macht in das Reparationsverfahren so gut wie ganz beseitigt ist. 330 DREISSIGSTES KAPITEL DIE DEUTSCHEN REPARATIONSGESETZE Die deutschen Gesetze zur Ausführung ‚des Dawesplanes wurden am 29, August 1924 vom Reichstag angenommen und am 30. August verkündet. Da sie neben den schweren finanziellen Lasten, die der Dawesplan dem deutschen Volke auferlegt, auch die Mitwirkung des Auslandes in wichtigen Zweigen der Wirt- schaft einführen, ist es begreiflich, daß der Annahme der Gesetze ein harter innerpolitischer Kampf vorausging. Das bezog sich vor allem auf die Reichsbahn. Ihre Umwandlung in die Form einer Gesellschaft bedeutete eine Aenderung der deutschen Verfassung, zu deren Annahme eine Mehrheit von zwei Dritteln der im Reichstag abgegebenen Stimmen gehörte. Bei der Abstimmung über das Reichsbahngesetz kam aber auch diese Mehrheit zustande. Die Vorschriften der Gesetze sind auf dem Dawesplan auf- gebaut und uns daher in den Hauptsachen schon bekannt. Soweit sie im übrigen die Reparation unmittelbar betreffen, seien sie hier kurz zusammengefaßt. 1. BANKGESETZ Für die Zwecke des Dawesplanes ist keine neue Goldnoten- bank errichtet, Vielmehr wurde die bisherige Reichsbank ent- sprechend ausgebaut, was einschneidende Aenderungen des alten deutschen Bankgesetzes vom 14, März 1875 bedingte. Die Reichs- bank ist von der Regierung vollkommen unabhängig. Sie hat ihren gesamten bisherigen Notenumlauf aufzurufen und gegen neue Reichsmarknoten im Verhältnis von einer Billion alter Mark 331 gegen eine Reichsmark umzutauschen. Das Kapital der Reichs- bank soll mindestens 300 Millionen, höchstens 400 Millionen Reichsmark betragen. Die Bank wird verwaltet durch das Reichs- bankdirektorium, dessen Präsident und Mitglieder sämtlich Deutsche sind. Daneben ist ein aus 14 Mitgliedern bestehender Generalrat gebildet. Er besteht zur Hälfte aus Deutschen. Die andere Hälfte setzt sich aus je einem britischen, französischen, italienischen, belgischen, amerikanischen, holländischen und einem schweizerischen Mitglied zusammen. Den Vorsitz im Generalrat führt der Präsident des Reichsbankdirektoriums. Der Generalrat hat mit der eigentlichen Verwaltung der Bank nichts zu tun. Er ernennt den Präsidenten und den Kommissar, der ein Ausländer sein muß, und faßt Beschluß über alle Vorschläge, die ihm von dem Präsidenten und dem Kommissar gemacht werden. Der Kommissar hat im wesentlichen darauf zu achten, daß die gesetz- lichen Vorschriften über die Notenausgabe und über ihre Deckung durch Gold innegehalten werden. Alle Noten der Reichsbank müssen den Stempel des Kom- missars tragen. Sie sind regelmäßig mit mindestens 40 Prozent in Gold oder Devisen zu decken, davon muß mindestens drei- viertel Gold sein. Die Deckung kann nur durch Beschluß des Generalrats herabgesetzt werden. In diesem Fall ist eine Noten- steuer an das Reich zu zahlen. Der Geschäftskreis der Bank ist der einer zentralen Noten- bank und deckt sich im allgemeinen mit den Aufgaben der früheren Reichsbank. Die Bank darf dem Reiche nur bis zu 100 Millionen Reichsmark und höchstens auf drei Monate Kredit gewähren, der am Ende des Geschäftsjahres stets abgedeckt sein ‚muß, Bei der Reichsbank ist ein Sonderkonto für die Reparations- zahlungen eingerichtet, dessen Guthaben ohne Zustimmung der Bank die Summe von zwei Milliarden Reichsmark nicht über- steigen darf. Die Noten der Bank sind grundsätzlich in Gold einlösbar. Die Einlösung ist jedoch ausgesetzt, bis sie von dem Reichsbank- Direktorium und dem Generalrat übereinstimmend beschlossen werden wird. 332 Das neue Bankgesetz ist am 11. Oktober 1924 in Kraft ge- treten. Am 15. Oktober erschien der erste Ausweis der Reichsbank in Reichsmark, der Einheit der neuen deutschen Goldwährung. Mit dem Bankgesetz zugleich ist das Gesetz über die Ein- ziehung der Rentenbankscheine ergangen. Das Kapital der Rentenbank ist auf zwei Milliarden Renten- mark herabgesetzt und wird lediglich von der Landwirtschaft aufgebracht. Die Belastung der Industrie und des Handels zu- gunsten der Rentenbank ist aufgehoben. Die Rentenbankscheine sind binnen zehn Jahren zu liquidieren. Bei der Reichsbank ist hierfür ein Tilgungsfonds gebildet. In ihn müssen jährlich von der . Rentenbank mindestens 60 Millionen Mark, vom Reiche ebenfalls 60 Millionen Rentenmark und der Gewinnanteil an der Reichs- bank abgeführt werden, bis der Bestand des Tilgungsfonds 1200 Millionen Rentenmark erreicht hat. Alsdann sind die im Umlauf befindlichen Rentenbankscheine mit einer Frist von sechs Monaten zum Umtausch in gesetzliche Zahlungsmittel aufzurufen. Die Hauptaufgabe der Rentenbank besteht von nun an in der Pflege des landwirtschaftlichen Kredites. Zu diesem Zwecke ist durch Gesetz vom 18, Juli 1925 die Rentenbankkreditanstalt gegründet worden. 2. GESETZ ÜBER DIE INDUSTRIEBELASTUNG UND GESETZ ZUR AUFBRINGUNG DER INDUSTRIEBELASTUNG Wir haben schon davon gesprochen, daß die Verteilung der Reparationslast von fünf Milliarden Goldmark auf die einzelnen Betriebe der deutschen Industrie große Schwierigkeiten bot. Um ihnen zu begegnen, ist die Sache in zwei Gesetzen geregelt. Das eine betrifft die Träger der Last nach außen, d. h. die Zweige der Industrie, welche für ihren Anteil an der Last Schuldver- schreibungen ausstellen, diese mit ihren Grundstücken hypo- thekarisch sichern und den Gläubigern für Zinsen und Tilgung der Schuld haften, Das ist ein ziemlich enger Kreis. Er umfaßt nur solche Betriebe, deren Grundbesitz eine genügende Sicher- heit für die Schuld bietet. Ausgeschieden sind deshalb aus diesem Kreise die Betriebe des Bank-, Versicherungs-, Gast-, 333 Schank- oder Beherbergungsgewerbes und des Handels. Auch das Verkehrsgewerbe gehört im allgemeinen nicht dazu, wohl aber die Betriebe der Schiffahrt, Privatbahnen, Kleinbahnen und Straßenbahnen. Der Kreis umfaßt ferner nicht Betriebe des Reichs und der Länder sowie Unternehmen, deren Erträge aus- schließlich dem Reiche oder den Ländern zufließen. Frei bleibt endlich jeder, dessen Betriebsvermögen 50 000 Goldmark nicht übersteigt. Damit ist aber nur der äußere Rahmen für die Ver- teilung der Industrieschuld gegeben. In Wirklichkeit werden fast alle Betriebe der Industrie und des Handels herangezogen, um die jährliche Belastung von 300 Millionen Goldmark aufzubringen. Das ist die Regelung nach innen. Ihr dient das Gesetz zur Auf- bringung der Industriebelastung. Danach werden zur Verzinsung und Tilgung der fünf Milliarden Goldmark auch alle die Unter- nehmen verpflichtet, die im Belastungsgesetz ausgeschieden sind, mit Einschluß der Betriebe des Reichs, der Länder und der Ge- meinden. Befreit sind nur Unternehmen, deren Betriebsvermögen 20 000 Goldmark nicht übersteigt, sowie grundsätzlich alle Be- triebe der Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Gärtnerei und Vieh- zucht, des Weinbaues und der Fischerei. Wir haben also vor uns zwei konzentrische Kreise, Der kleinere trägt die Schuld gegenüber den Reparationsgläubigern, der größere gegenüber dem Reich. Dieselbe Last muß daher zweimal umgelegt werden, auf die Teilnehmer eines jeden Kreises be- sonders. Und daraus entsteht im einzelnen ein sehr verwickeltes Verfahren, das seine praktische Eignung erst noch erweisen muß. Die ganze Regelung wird nur dadurch möglich, daß eine Zwischenstelle eingeschoben ist, die Bank für deutsche Industrie- oblisgationen. Sie nimmt die Jahresleistungen von allen zur Auf- bringung verpflichteten Betrieben entgegen, verwaltet sie und führt sie auf das Konto des Generalagenten bei der Reichsbank für Rechnung des Treuhänders ab. Die nach außen haftbaren Betriebe — der kleinere Kreis — zahlen an die Bank in Wirklich- keit nicht die Gesamtsumme an Zinsen und Tilgung, die sie nach dem Nennbetrage ihrer Haftung schulden, sondern nur die ge- ringere Jahresleistung, die sich aus der Verteilung der ganzen 334 Last auf den großen Kreis aller Verpflichteten ergibt. Durch Ver- ordnung vom 13, Dezember 1924 ist die Reparationsschuld der haftbaren Betriebe auf 17,1 Prozent ihres Betriebsvermögens festgesetzt, später aber auf 15,73 Prozent ermäßigt worden. In dieser Höhe hatte jedes Unternehmen Einzelobligationen auszu- stellen und der Bank zu übergeben. Seine tatsächliche Jahres- leistung berechnet sich aber nicht auf den Nennbetrag dieser Obligationen, sondern wird durch die Verteilung der Jahreslast von 300 Millionen Goldmark innerhalb des großen Kreises bestimmt. Diese Verteilung ist noch nicht durchgeführt und deshalb lassen sich ziffernmäßige Angaben darüber, wie hoch ein jedes Unter- nehmen in Wirklichkeit belastet sein wird, zur Zeit nicht machen. Die Einzelobligationen lauten auf Goldmark und auf den Namen der Industrie-Bank. Sie sind vom 1. September 1925 an ein Jahr lang mit 2% Prozent, dann mit 5 Prozent zu verzinsen und vom 1. September 1927 an mit 1 Prozent jährlich zu tilgen. Die Industrie-Bank stellt gegen diese Obligationen fünfprozentige auf den Inhaber lautende Industriebonds aus, und zwar in zwei Serien von je 2% Milliarden Goldmark, Eine Serie bleibt bis zum 1, September 1925, die andere bis zum 1. September 1926 unver- zinslich. Dann tragen sie beide 5 Prozent Zinsen. Sie werden ab 1, September 1927 mit 1 Prozent jährlich getilgt. Der Dawesplan schreibt vor, daß grundsätzlich die Einzel- obligationen auf den Markt kommen sollen. Um dem gerecht zu werden, ist im Gesetz bestimmt, daß der Treuhänder 500 Millionen der Einzelobligationen verkaufen kann. Hierzu werden die größten deutschen Unternehmen herangezogen, deren Belastung zusammen 1” Milliarden Goldmark beträgt. Sie haben auf Verlangen des Treuhänders ihre bei der Bank hinterlegten Einzelobligationen gegen neue Stücke einzutauschen, die auf den Inhaber lauten. Der Treuhänder darf immer nur die Hälfte der Obligationen eines einzelnen Unternehmers verkaufen, im ganzen, wie gesagt, nicht mehr als 500 Millionen Goldmark. Die Bank liefert daher dem Trustee, der insgesamt 5 Milliarden Obligationen zu verwalten hat, 4% Milliarden Industriebonds und 750 Millionen Einzel- obligationen aus. Wenn der Treuhänder von den letzteren 500 335 Millionen verkauft hat, werden die restlichen 250 Millionen an die Bank zurückgegeben und durch Industriebonds ersetzt. Die Obligationen der Schiffahrts- und Bahnunternehmen sind nicht veräußerlich. Jeder Unternehmer hat das Recht, seine Einzelobligationen, solange sie in der Hand des Treuhänders sind, zum Nennbetrage oder zu einem mit dem Treuhänder vereinbarten Preise zurück- zukaufen. Der Treuhänder muß dem Unternehmer, dessen Obligationen er veräußern will, einen Monat lang Gelegenheit zum Rückkauf geben. Die Belastung der Unternehmer wird auf Grund der Ver- mögenssteuer von Jahr zu Jahr, nach fünf Jahren aber höchstens alle zwei Jahre neu umgelegt. Eine förmliche Hypothek für die Reparationslast wird nicht bestellt, vielmehr hat man dafür die Form der öffentlichen Last gewählt, die keiner Eintragung im Grundbuch bedarf und bei der Zwangsversteigerung nicht erlischt, sondern ohne weiteres auf den Erwerber übergeht. Diese Hypothek des öffentlichen Rechts geht der Regel nach allen anderen Rechten am Grundstück im Range vor. Kapital, Zinsen und Tilgungsraten der Obligationen werden von der deutschen Regierung gewährleistet, Es haften dafür im besonderen die für die Reparation verpfändeten Einnahmen des Haushalts. | Für Streitigkeiten, die zwischen der Regierung und der Bank auf der einen Seite und der Reparationskommission oder dem Treuhänder entstehen, ist ein unparteiisches Schiedsgericht vorgesehen, Die Bank für deutsche Industrieobligationen hat ein Kapital von zehn Millionen Goldmark und ihren Sitz in Berlin. Der Vor- stand ist deutsch, der Aufsichtsrat besteht einschließlich des Präsidenten aus 15 Mitgliedern. Sieben werden von der Reichs- regierung, drei von der Reparationskommission und vier von den fremden Mitgliedern des Generalrats der Reichsbank gewählt. Der Präsident muß Deutscher sein, Die Einzelobligationen über fünf Milliarden Goldmark, ausge- stellt von 60500 belasteten Unternehmen, sind von der Regierung am 336 28. Februar 1925 derBank fürRechnung des Trustee übergeben wor- den. Die Bank hat die entsprechenden Industriebonds ausgestellt. 3. GESETZ ÜBER DIE DEUTSCHE REICHSBAHN-GESELLSCHAFT UND DEREN SATZUNG Der Betrieb der Reichseisenbahnen ist für die Zwecke der Reparation bis zum 31. Dezember 1964 an die Deutsche Reichs- bahn-Gesellschaft übertragen. Die Konzession endet aber auf jeden Fall mit dem Zeitpunkte, in welchem alle Reparations- schuldverschreibungen und die Vorzugsaktien der Gesellschaft eingelöst sind; sie kann sich daher entsprechend verkürzen oder verlängern, Das Eigentum an den Reichseisenbahnen mit allem Zubehör einschließlich des rollenden Materials verbleibt dem Reich. Dagegen werden Eigentum der Gesellschaft die Betriebs- vorräte, die Kassenbestände und die Bankguthaben, Die Reparationslast der Reichsbahn von 11 Milliarden Gold- mark wird durch einen gleichen Betrag von Schuldverschreibungen der Gesellschaft gesichert, Diese haben kraft Gesetzes eine erst- stellige Gesamthypothek auf allen Grundstücken der Reichs- eisenbahnen und der Gesellschaft nebst deren Zubehör. Die Schuldverschreibungen werden vom 1. September 1927 an mit 3 Prozent verzinst und mit 1 Prozent getilgt, Von da ab läuft die normale Jahreslast der Gesellschaft mit 660 Millionen Mark. Die Reparationszahlungen der Gesellschaft werden von der Reichsregierung gewährleistet. Für diese Garantie haften auch die verpfändeten Einnahmen des Reichshaushalts, Die Gesellschaft hat ein Kapital von 2 Milliarden Goldmark Vorzugsaktien und 13 Milliarden Goldmark Stammaktien. Letztere gehören sämtlich dem Reich. Die Vorzugsaktien lauten auf den Inhaber. Ihr Erlös soll in der Hauptsache den Zwecken der Gesell- schaft dienen, vor allem für Erweiterungen und Verbesserungen, die nicht aus dem Betriebe zu bestreiten sind. Das Reich hat nach dem Dawesplan Anspruch auf den Erlös der ersten 500 Millionen Mark Vorzugsaktien, um sich daraus die Mittel zu seinen eigenen Leistungen im zweiten Reparationsjahr zu verschaffen. Die Ge- Bergmann, Der Weg der Reparation 22 337 sellschaft hat dem Reich zu diesem Zwecke bereits 500 Millionen Mark Vorzugsaktien zur Verfügung gestellt. Die Organe der Gesellschaft sind der Verwaltungsrat und der Vorstand. Dieser führt die Geschäfte der Gesellschaft unter der Aufsicht des Verwaltungsrates. Er besteht aus dem General- direktor und mehreren Direktoren, die sämtlich Deutsche sein müssen. Der Verwaltungsrat besteht aus achtzehn Mitgliedern. Sie werden zur Hälfte von der Reichsregierung, zur Hälfte vom Treuhänder ernannt. Unter den vom Treuhänder bestellten Mit- gliedern befinden sich fünf Deutsche, Im Verwaltungsrat sitzen daher vierzehn Deutsche neben vier Ausländern. Nach Ausgabe der Vorzugsaktien sind ihren Inhabern vier der Regierungsstellen im Verwaltungsrat einzuräumen, wobei auf je 500 Millionen Gold- mark ausgegebene Vorzugsaktien ein Sitz entfällt. Die Vertreter der Vorzugsaktien müssen Deutsche sein. . Der Präsident des Verwaltungsrats ist Deutscher. Er wird jährlich vom Verwaltungsrat mit einer Mehrheit von drei Vierteln der abgegebenen Stimmen gewählt. Er soll aus den Vertretern der Vorzugsaktien entnommen werden, sobald diese drei Sitze im Verwaltungsrat haben. Die Inhaber der Reparationsschuldverschreibungen werden durch den Treuhänder vertreten, Zur Wahrung ihrer Rechte ist ein Eisenbahnkommissar bestellt, der von den ausländischen Mit- gliedern des Verwaltungsrats gewählt wird. Der Kommissar nimmt an den Sitzungen des Verwaltungsrats ohne Stimmrecht teil. Er hat jedoch nur das Recht der Einsicht und der Auskunft, solange der Dienst der Schuldverschreibungen nicht gefährdet ist. Gerät ‚die Gesellschaft mit ihren Leistungen für die Reparation in Ver- zug, so erweitern sich die Rechte des Kommissars. Er kann dann einen Wechsel in der Person des Generaldirektors fordern. Bleibt die Gesellschaft mehr als sechs Monate im Verzug und wird der Fehlbetrag der Schuld auch von der Reichsregierung nicht ersetzt, so kann der Kommissar die Eisenbahnen selbst in Betrieb nehmen und schließlich auch das Betriebsrecht weiter verpachten. In letzte- rem Falle muß aber erst eine Entscheidung des im Gesetz vorge- sehenen unparteiischen Schiedsgerichts dahin ergangen sein, daß 338 1 Monatsraten zu decken. Alles übrige erstattet er binnen einer die geplante Verpachtung nötig und geeignet ist, die Durchführung des Dienstes der Reparationsschuüldverschreibungen zu sichein. | Die Reichsregierung hat im öffentlichen Interesse die Aufeich über den Betrieb und über die Tarife der Gesellschaft, Sie darf dieses Recht jedoch nicht so ausüben, daß die Gesellschaft etwa gehindert wird, die Einnahmen zu erzielen, die für den Dienst der Schuldverschreibungen und der Vorzugsaktien erforderlich sind, Die bisherigen Beamten, Angestellten und Arbeiter der Reichs- bahnen sind von der Gesellschaft übernommen. Ihre Rechte und Pflichten sind durch ein besonderes Personalgesetz und durch eine Personalordnung geregelt. 5 4. DIE VERPFÄNDETEN EINNAHMEN DES REICHSHAUSHALTS Es bleibt noch ein Wort darüber zu sagen, welche Rechte nach dem Protokoll von London dem Kommissar für die verpfändeten Einnahmen zustehen. | Die deutschen Dienststellen führen schon jetzt diese Ein- nahmen spätestens am 20, eines jeden Monats an den Kommissar ab. Der Einfachheit halber sind damit nur die zehn größten Zoll- kassen, die Oberfinanzkassen und die Branntweinmonopolver- waltung befaßt. Bis zum 31. August 1926 hat aber Deutschland noch keine Zahlung aus dem Haushalt zu leisten. Daher wird in den ersten zwei Jahren der Kommissar regelmäßig die auf sein Konto eingezahlten Beträge sofort wieder zur Verfügung der deutschen Regierung stellen. Vom dritten Jahre ab behält er von den monatlichen Zahlungen jedesmal ein Zehntel der Jahres- leistung aus dem Haushalt zurück. Er überweist davon die fälligen Monatsraten, das heißt ein Zwölftel der Jahresleistung, an den Generalagenten und sammelt aus dem Rest einen Reservefonds an. Wenn dieser 100 Millionen Goldmark erreicht hat, behält er immer nur so viel zurück, als nötig ist, um die jeweils fälligen Woche nach Eingang der sämtlichen monatlichen Einnahmen an die deutsche Regierung zurück. Aus dem Reservefonds werden etwaige Fehlbeträge der Monatsraten aufgefüllt. Solange die Zahlungen aus dem Haushalt in der festgesetzten 22* 339 Höhe eingehen, hat der Kommissar nur ein Recht auf Einsicht und Auskunft, das allerdings weit geht. Er ist auch rechtzeitig von den Entwürfen der Gesetze und Verordnungen zu unterrichten, welche die verpfändeten Einnahmen betreffen. Die Rechte des Kommissars erweitern sich, wenn drei Monate hindurch die an ihn abgeführten Beträge weniger als je ein Zehntel der Jahresrate betragen oder wenn die Einnahmen bei unveränderter Lage der Gesetze wesent- lich hinter der gleichen Periode des Vorjahres zurückbleiben, In diesen Fällen ist er befugt, dem Reichsminister der Finanzen Vorschläge zu machen und durch seine Vertreter oder Sachver- ständige den Ursachen des Rückganges nachzuforschen. Wenn die Einnahmen aus den verpfändeten Steuern längere Zeit nicht ausreichen sollten, um trotz Erschöpfung des Reservefonds die fälligen Monatsraten zu decken, oder wenn der Finanzminister die Vorschläge des Kommissars nicht ausführt und die Einnahmen unbefriedigend bleiben, muß die Reichsregierung vorübergehend andere indirekte Steuern verpfänden. Wenn alles nichts hilft, kann der Kommissar im Einverständnis mit dem Generalagenten fordern, daß eine Aenderung der Organisation bei den Einnahme- quellen eintritt, deren Rückgang den Fehlbetrag herbeigeführt hat. Dabei kann er verlangen, daß diese Steuerzweige eine selb- ständige und vom Reiche unabhängige Verwaltung erhalten. Eine solche Aenderung der Verwaltung darf aber erst eintreten, wenn der unparteiische Schiedsrichter, der alle Meinungsverschieden- heiten zwischen Regierung und Kommissar schlichtet, dahin ent- schieden hat, daß die Maßnahme notwendig und geeignet ist, die Eingänge aus den Steuern so zu heben, daß die jährliche Haus- haltszahlung sichergestellt wird. Das alles ist nach dem Muster der Reichsbahn gestaltet. B Im einzelnen sind die Vorschriften des Protokolls sehr ver- wickelt, Man sieht ihnen ordentlich den harten Kampf an, der in London um sie geführt worden ist. Die Steuersätze auf Branntwein, Tabak, Bier und Zucker sollen ohne Einwilligung des Kommissars nicht herabgesetzt werden. Der Kommissar hat sich jeder Einmischung in die Zolltarifpolitik der deutschen Regierung zu enthalten. 340 y EINUNDDREISSIGSTES KAPITEL DIE AUSFÜHRUNG DES PLANES DIE REPARATIONSANLEIHE Nach Abschluß der Londoner Konferenz blieb es in der An- leihefrage eine Zeitlang recht still, Die englischen und amerika- nischen Bankkreise, welche während der Konferenz eine stärkere Sicherung der Anleihe gegen politische Zwischenfälle gefordert hatten, verhielten sich abwartend, Erst gegen Ende September kam es zu Besprechungen über die Anleihe in London, die auf der Seite der Geldgeber von der Firma J, P. Morgan & Co. und der Bank von England, auf deutscher Seite von Dr. Schacht und Dr. Luther geführt wurden, Die Verhandlungen waren kurz, die Bedingungen wurden mehr oder weniger diktiert, Am 10, Oktober wurde das Abkommen über die Anleihe ge- zeichnet. Die Bedingungen waren: 7 Prozent Zinsen, ein Ausgabe- kurs von 92 Prozent, Rückzahlung am 15. Oktober 1949 mittels eines Tilgungsfonds, in Amerika zu 105 Prozent, in den anderen Ländern zu pari. Die Banken übernahmen die Anleihe in Amerika zu 87 Prozent, in Europa zu 87% Prozent abzüglich Stempelsteuer. Da der Reinerlös für die Reparation 800 Millionen Mark betragen sollte, mußte der Nennbetrag der Anleihe erheblich höher ge- nommen werden, Inzwischen ist auch das englische Pfund Ster- ling, auf das der größte Teil der europäischen Anleihetranchen lautet, auf die Goldparität gestiegen, Daher stellt sich der Kapital- betrag der gesamten Reparationsanleihe, in Goldmark umge- rechnet, zur Zeit auf etwa 960 Millionen. 341 IndenVereinigten Staaten wurden vonder Anleihe 110 Millionen Dollars, in England 12 Millionen Pfund, in Holland, Schweden, der Schweiz, Frankreich, Belgien und Italien kleinere Beträge ausgegeben. Die zur Aufrundung des Reinertrages auf 800 Millionen Goldmark noch fehlenden 360000 Pfund Anleihe wurden in Deutschland durch die Reichsbank übernommen. Am 13, Oktober 1924 räumte die Reparationskommission dem Dienst der Anleihe ein unbedingtes Vorrecht auf alle Zahlungen unter dem Dawesplan, auf die verpfändeten deutschen Einnahmen des Haushalts und auf alle Vermögenswerte oder Einkünfte Deutschlands ein, die dem Pfandrecht der Alliierten nach dem Vertrage von Versailles unterliegen. Ihrerseits erkannte die deutsche Regierung den Dienst der Anleihe als eine direkte und unbedingte Verpflichtung des Reiches an. Die Ausgabe der Anleihe, die in New York und Londen am 14, Oktober stattfand, war ein glänzender Erfolg. Der Börsen- kurs stieg sofort um einige Prozent. Seither hat er in London und New York den Nennwert überschritten, Am 31. Oktober 1924 bestätigte auch das Transferkomitee bei seiner ersten Sitzung in Berlin das Vorrecht der Anleihe und beschloß, daß die für ihren Dienst erforderlichen Goldmarkbeträge ohne Rücksicht auf die Wechselkurse in fremde Währung umge- wandelt werden können. Der gesamte Erlös der Anleihe ist in fremder Währung der Reichsbank zugunsten des Generalagenten zugeflossen, In Uebereinstimmung mit dem Dawesplan hat die Reichsbank diese Devisen für sich erworben und den Gegenwert in Reichsmark einem Konto des Reiches gutgeschrieben, das unter der Kontrolle des Generalagenten steht. Er allein kann darüber verfügen. Für die Anleihe sind drei Treuhänder bestellt. An ihrer Spitze steht der Generalagent, der auch den Anleihedienst versieht, DIE ORGANE DER REPARATION Dem Londoner Abkommen gemäß ernannte die Reparations- kommission am 10, Oktober 1924 den Bostoner Anwalt Thomas N. Perkins zum Mitglied der Reparationskommission für die 342 Durchführung des Dawesplans, Sie ernannte gleichzeitig die Mit- glieder des Transferkomitees und bestellte die Inhaber der Aemter, deren Besetzung ihr nach dem Dawesplan oblag. Die dauernde Organisation für die Ausführung des Planes besteht zurzeit aus folgenden Personen: Generalagent für Reparation: S, Parker Gilbert (Amerika), Kommissar für die Reichsbank: G. W. Bruins (Holland), Kommissar für die Reichsbahn: Gaston Leverve (Frankreich), Kommissar für die verpfändeten Einnahmen: Sir Andrew Mc Fadyean (England), | Treuhänder für die Eisenbahn-Obligationen: Leon Delacroix (Belgien), Treuhänder für die Industrie-Obligationen: Bernardino Nogara (Italien). Das Transferkomitee setzt sich aus dem Generalagenten als Vor- sitzendem und aus folgenden Mitgliedern zusammen: Joseph E. Sterrett (Amerika), Jean Parmentier (Frankreich), Henry Bell (England), Pasquale Jannaccone (Italien), Rense Tilmond — für den ausgeschiedenen Minister Janssen (Belgien). Die neue Organisation für den Dawesplan schränkt die Tätigkeit der Reparationskommission stark ein. Ein Abbau der Kommission war umso nötiger, als ihre Kosten etwa 50 Millionen Francs jähr- lich betrugen. Im November 1924 beschloß die Kommission daher, alle nunmehr überflüssigen Teile ihrer Verwaltung aufzuheben. Die Hauptdelegierten haben ihren ständigen Sitz nicht mehr in Paris, sondern versammeln sich nur noch zu bestimmten Sitzungen. Ihre Vertreter bilden in Paris ein ständiges Direktions- komitee, das in Verbindung mit dem Generalsekretariat die laufen- den Geschäfte der Kommission wahrnimmt. Die meisten Neben- stellen, vor allem für die Restitution und die Finanzangelegen- heiten, sind abgeschafft oder sehr verkleinert. _ | 343. DAS VERFAHREN BEI DEN SACHLEISTUNGEN Nach Abschluß des Londoner Abkommens war es die erste Sorge des Generalagenten, Ordnung in den Gang der Sach- leistungen zu bringen. Während der Zeit der Micum-Verträge und der sonstigen Zwangsleistungen des besetzten Gebietes herrschte das Chaos. Auch die Verrechnung der Sachleistungen bei der Reparationskommission war vollkommen durcheinandergeraten. Im ersten Jahre des Dawesplanes standen dem Generalagenten monatlich 83% Millionen Goldmark zur Verfügung. Daraus mußte er die gesamten Ausgaben unter dem Vertrage von Versailles be- streiten, Um klar zu sehen, führte er ein System von monatlichen Programmen für Lieferungen und Leistungen ein. Dabei stellte sich gleich heraus, daß es nötig war, die Anforderungen der Alliierten herabzusetzen. Auf Betreiben des Generalagenten wurde schon am 18. September 1924 das Programm der Kohlenlieferungen um 10 Prozent ermäßigt. Nunmehr galt es, ein geordnetes Verfahren für das gesamte Feld der Sachleistungen zu finden. Das im Londoner Abkommen vorgesehene Sonderkomitee trat mit vier deutschen und vier alliierten Mitgliedern — je ein Vertreter von Belgien, England, Frankreich, Italien — am 6, November 1924 in Paris zusammen. Es beschloß bald, zur Schlichtung der Meinungsverschiedenheiten das neutrale Mitglied zuzuziehen. Hierfür wurde wiederum der in Reparationssachen erprobte Markus Wallenberg ausersehen, der auch den Vorsitz im Komitee übernahm. Nach eingehenden Arbeiten erstattete das Komitee am 9, März 1925 der Reparations- kommission seinen Bericht nebst einem Entwurf für das Verfahren bei den Sachleistungen. Dieser ist mit einigen Aenderungen vom Transferkomitee und von der Reparationskommission angenommen worden und am 1. Mai geltende Vorschrift geworden. Das Verfahren findet auf alle Sachleistungen Deutschlands Anwendung. Es regelt sowohl die freien Reparationsverträge zwischen deutschen Lieferanten und alliierten Bestellern wie die sogenannten Zwangslieferungen unter dem Vertrage von Versailles, soweit das Londoner Abkommen sie noch in Kraft gelassen hat. 344 Das Komitee war bestrebt, ein einfaches und rasch arbeitendes Verfahren für die Aufstellung der Programme und die Ge- nehmigung der Verträge zu schaffen, Die Reparationskommission und die deutsche Regierung errichten je ein technisches Bureau in Paris, die eng zusammenarbeiten sollen, Grundsätzlich können alle Waren und Dienste, die aus der deutschen Wirtschaft stammen, den Gegenstand von Sachleistungen bilden. Bestimmte Waren, hauptsächlich fremde Rohstoffe, Edelmetalle, Grund- stoffe der Eisen-, Leder- und Papierindustrie, Rohholz und die meisten landwirtschaftlichen. Erzeugnisse, sind jedoch von den Reparationsleistungen ausgeschlossen. Andere Waren dürfen nur in Höhe bestimmter Kontingente geliefert werden. Endlich soll eine große Anzahl von Waren, zu deren Herstellung ein starker Prozentsatz ausländischer Rohstoffe gebraucht wird, nur zum Teil vom Generalagenten bezahlt werden, während der Wert der in ihnen enthaltenen fremden Rohstoffe vom Käufer direkt an den Lieferanten in bar zu entrichten ist. Für die verschiedenen Gruppen hat das Komitee ausführliche Listen ausgearbeitet. Die Aufstellung der Lieferprogramme ist wie folgt geregelt: ti. Dia Programme für Kohle, Koks und Braunkohlenbriketts werden von der Reparationskommission vorläufig jeweils auf drei Monate festgesetzt. Die Verteilung nach Sorten erfolgt nach den Wünschen der Empfangsländer, denen Deutschland nach Mög- lichkeit Rechnung trägt. Normalerweise sollen Steinkohle und Koks aus dem Ruhrgebiet und dem Aachener Revier, Braunkohle aus dem Kölner Revier kommen, Die Lieferungen können auch auf Grund freier Verträge zwischen alliierten Bestellern und deutschen Lieferanten ausgeführt werden, Solche Abschlüsse werden von der Gesamtmenge der offiziellen Vierteljahrsprogramme abgezogen. Das Bureau der Reparationskommission hat sich zu vergewissern, daß das Transferkomitee keinen Einspruch gegen die Ausführung der Programme erhebt. 2, Für schwefelsaures Ammoniak und andere synthetische Düngemittel hat das Sonderkomitee selbst ein vorläufiges Pro- gramm bis 1. April 1927 aufgestellt. Danach sind jährlich an Frankreich 20 000 Tonnen, an Belgien 2000 Tonnen und an Italien 345 3000 Tonnen Stickstoff durch das deutsche Stickstoff-Syndikat zu liefern. | 3, Für Farbstoffe und pharmazeutische Produkte haben die alliierten Besteller mit der Interessengemeinschaft der deutschen chemischen Fabriken ein Abkommen über alle Lieferungen bis zum 15. August 1928 getroffen. 4, Bei den kontingentierten Waren werden alle sechs Monate Programme für die Lieferungen in den jeweils folgenden achtzehn Monaten festgesetzt, Die Programme werden von dem alliierten und dem deutschen Bureau in Paris vorbereitet, dem Transfer- komitee vorgelegt und von der Reparationskommission genehmigt. Die Kontingente für Holz und Rohzucker hat das Sonder- komitee selbst bis zum 1. April 1927 bestimmt. 5. Alle anderen Waren können frei und unbeschränkt geliefert werden, soweit die deutsche Wirtschaft dadurch nicht beein- trächtigt wird. - | Die Alliierten haben das Recht, aber nicht die Pflicht, die in den Programmen vorgesehenen Warenmengen abzunehmen, Alle freien Verträge über Lieferungen sind vom Bureau der Reparationskommission zu genehmigen. Das deutsche Bureau er- hält rechtzeitig Kenntnis und kann Einspruch erheben. Streitfälle zwischen den Bureaus werden von dem amerikanischen Mitglied der Reparationskommission endgültig entschieden. | Ein besonderes Verfahren ist für sogenannte außergewöhnliche Verträge vorgesehen. Darunter fallen: a) Verträge über vollständige Einrichtungen, öffentliche Arbeiten und den Bau von Schiffen; | b) Verträge über Lieferungen und Zahlungen, die sich über mehr als vierundzwanzig Monate erstrecken; c) Verträge über Waren, für die keine Programme oder Kon- tingente bestehen, wenn die jährlichen Zahlungen 12 Millionen Goldmark überschreiten, | Alle diese Verträge werden durch die vereinigten Bureaus unter Vorsitz des amerikanischen Mitgliedes der Reparations- kommission geprüft. Alsdann ist die Zustimmung des Transter- 346 komitees und die Genehmigung der Reparationskommission ein- zuholen. Die Sachleistungen werden auf Grund von Wechseln oder Anweisungen, die der deutsche Lieferant bzw. die deutsche Regierung einreicht, aus der Kasse des Generalagenten bezahlt. Nach dem Londoner Abkommen ist die Wiederausfuhr der Reparationswaren verboten. Auch hierfür hat das Sonderkomitee Vorkehrungen im einzelnen getroffen, ebenso für Verstöße gegen das Verfahren und Betrug. Die gesamte Vorschrift kann vom 1. April 1927 ab alle zwei Jahre revidiert werden. Das Komitee hat auch entschieden, daß ein gewöhnlicher, im freien Handel ab- geschlossener Vertrag nicht ohne Zustimmung des deutschen Ver- käufers in einen Vertrag auf Reparationskonto umgewandelt werden kann. | Auf die Einzelheiten der Listen und der sehr ausführlich ge- haltenen Vorschriften, besonders für die Lieferung, den Transport und die Bezahlung von Kohle und Koks, können wir im Rahmen dieses Buches nicht eingehen. In ihnen spiegelt sich der jahrelange Kampf zwischen der Reparationskommission und der deutschen Regierung um die Sachleistungen wider. Die dabei gemachten Erfahrungen sind in der Vorschrift natürlich weitgehend berück- sichtigt. | Immerhin wird sich erst zeigen müssen, ob mit den neuen Be- stimmungen wirklich ein Verfahren gefunden ist, unter dem die Sachleistungen nach den Regeln des Handelsgebrauches glatt und in großem Maßstabe vonstatten gehen. Ein wirklich freier Ver- kehr auf Reparationskonto wird sich nach wie vor kaum ent- wickeln. Das ist bei der Einmischung und der Kontrolle so vieler offizieller Organe nicht gut möglich. Vielleicht ist es jetzt im deutschen Interesse nicht mehr nötig, gegen die Ausdehnung und den Mißbrauch von Sachleistungen so weitgehende Vorsorge zu treffen. Die Vorsicht war durchaus berechtigt, solange in den Zeiten der Inflation die deutsche Wirtschaft schwer unter Waren- mangel litt und solange kein fester Plan für die jährlichen Repa- rationsleistungen bestand, alle Sachlieferungen vielmehr in dem Danaidenfaß der 132 Milliarden verschwanden. Das alles ist aber anders geworden. Jetzt hat Deutschland bis zur vollständigen 347 Ordnung der Weltmärkte und seiner eigenen Wirtschaft selber ein lebhaftes Interesse daran, auf Reparationskonto Waren zu liefern, deren Absatz auf den Weltmärkten stockt. DIE ABGABE VON DER DEUTSCHEN EINFUHR (REPARATION RECOVERY ACT) Der Dawesplan stellt die Abgabe von der deutschen Einfuhr in den alliierten Ländern auf eine Stufe mit den Sachleistungen. Es war daher die Aufgabe des Transferkomitees, auch diese deutschen Leistungen in das System des Dawesplanes einzube- ziehen und sich die Aufsicht darüber zu sichern, | Wie wir wissen, wurde die Erhebung der Abgabe auf der Londoner Konferenz vom März 1921 beschlossen und auch nach Inkrafttreten des Londoner Ultimatums vom 5. Mai 1921 von Eng- land in Höhe von 26 Prozent der deutschen Einfuhr erhoben. Während der Ruhrbesetzung konnte Deutschland am 25. Februar 1924 ein Abkommen mit England schließen, das wegen der großen deutschen Finanznot die Abgabe auf 5 Prozent herabsetzte. Aber schon am 29. August 1924 führte die englische Regierung den alten Satz von 26 Prozent wieder ein, um sich gegenüber den Alliierten, welche Sachleistungen von Deutschland bezogen, eben- falls den unmittelbaren Zugriff auf einen Teil der deutschen ' Zahlungen unter dem Dawesplan zu verschaffen. Frankreich hatte im April 1921 gesetzliche Maßnahmen zur Erhebung der Einfuhrabgabe beschlossen, aber nicht durchgeführt. Vom 1. Oktober 1924 ab legte die französische Regierung, trotz der Vorstellungen Deutschlands, gleichfalls eine Abgabe von 26 Prozent auf die deutsche Einfuhr, wobei der englische Recovery Act zum Vorbild diente, Andere Staaten wie Belgien und Italien hatten die gleiche Absicht, sind aber bisher nicht zur Durchführung ge- schritten. | Die deutsche Regierung vertritt grundsätzlich den Standpunkt, daß die Einfuhrabgabe mit dem Grundgedanken des Dawesplanes in Widerspruch steht, weil sie die wirtschaftliche Gleichberech- tigung und die Bewegungsfreiheit Deutschlands beeinträchtigt und geeignet ist, die deutsche Währung zu gefährden. Auch der 348 Generalagent erhob starke Bedenken gegen den Recovery en Ihn störte vor allem die Tatsache, daß die Erhebung der Abgabe sich völlig außerhalb der Kontrolle des Transferkomitees vollzog. Das englische Verfahren bestand darin, daß die Zollbehörden von jeder deutschen Warensendung, die nach England kam 26 Prozent des Verkaufspreises einzogen und es dem Importe überließen, sich den Gegenwert der Abgabe von der deutschen Regierung oder nach Inkrafttreten des Dawesplanes aus der Kasse des Generalagenten wieder zu holen, Das Transferkomitee stand also immer vor einer vollendeten Tatsache, Es war ihm bei dem willkürlichen Eingriff Englands und später auch Frankreichs in die Reparation nicht möglich, die ihm zukommende Aufsicht aus- zuüben, Auch wurde dem Transferkomitee damit die ordnungs- mäßige Verteilung der deutschen Leistungen unter die Alliierten erschwert. Denn die englischen und französischen Zollbehörden zogen natürlich die 26 Prozent ohne Rücksicht darauf ein, ob die Abgabe sich innerhalb des vertragsmäßigen Anteils ihrer Regierung an den Reparationsgeldern hielt. In der Tat ergab der englische Recovery Act monatlich immer etwas mehr als den Betrag, den die englische Regierung jeweils vom Generalagenten aus der deutschen Annuität zu fordern hatte. Was England recht war, mußte den anderen Alliierten billig sein. Wurde dieses Mittel, direkte Reparationen von Deutschland einzutreiben, von allen Seiten schrankenlos angewendet, dann mußte das Transferkomitee fürchten, daß ihm die deutsche Annuität unter den Händen zer- floß, und daß die deutsche Währung wieder in Gefahr geriet. Das Transferkomitee verschloß sich aber auch den Nachteilen nicht, welche dem deutschen Handel aus dem Verfahren bei der Erhebung der Abgabe unnütz erwuchsen. Der Eingriff der Zoll- behörden in die Einfuhr war ebenso störend und lästig für den alliierten Käufer wie für den deutschen Verkäufer. Es war klar, daß der Käufer, um solchen Schwierigkeiten zu entgehen, sich möglichst nach Bezugsquellen aus anderen Ländern umsah. Wenn es aber schließlich dem deutschen Importeur trotzdem gelang, seine Waren in England oder Frankreich abzusetzen, so hatte er damit zu rechnen, daß er den Gegenwert der Abgabe in jedem 349 einzelnen Fall erst nach geraumer Zeit auf dem Wege eines um- ständlichen Geschäftsganges von der deutschen Regierung oder vom Generalagenten zurückerhielt,. | ihr für die Abgabe verauslagten Summen. Im Dezember begannen die Verhandlungen mit England, Sie führten am 25, März 1925 zum Abschluß eines Protokolls zwischen der britischen und der deutschen Regierung, das die Zustimmung des Transferkomitees und der Reparationskommission fand. Das Abkommen der beiden Regierungen wurde am 3. April gezeichnet und am 7. April vom englischen Parlament genehmigt. Vom 1. Mai 1925 an ist das neue Verfahren in England in Kraft. Die Abgabe von 26 Prozent wird danach nicht mehr bei der Einfuhr einer jeder Warensendung erhoben, sondern von den eng- lischen Zollbehörden nur statistisch festgestellt, Die Zahlung selbs gesamten deutschen Ausfuhr nach England vertreten, haben sich dem Reichsfinanzminister gegenüber verpflichtet, jeden Monat 30 Prozent des Wertes ihrer im Vormonat nach Großbritannien aus- 350 ww. geführten Waren in Pfund Sterling an die Reichsbank abzuliefern, Dabei ist angenommen, daß diese Zahlung hinreicht, um 26 Prozent Für den Fall, daß die Einzahlungen der deutschen Exporteure bei der Reichsbank nicht ausreichen sollten, um die Abgabe von aus etwaigen Ueberschüssen aufzufüllen, die sich aus den Ein- zahlungen der deutschen Exporteure bei der Reichsbank ergeben. zurückvergütet wird. In der Praxis ist nämlich das deutsch-eng- lische Abkommen noch mehr vereinfacht worden. Die Reichsbank kauft den Exporteuren die abgelieferten Pfunddevisen sofort ab und läßt sich die Ueberweisung der Pfunde nach England vom Generalagenten für eigene Rechnung vergüten. 351 Aber das neue Verfahren beseitigt doch die grundsätzlichen Bedenken nicht, die von der deutschen Wirtschaft gegen die Ab- gabe selber erhoben werden. Auch die französische Regierung hat sich dazu entschlossen, die Verwaltung der von ihr erhobenen Abgabe von 26 Prozent auf deutsche Waren unter die Aufsicht des Transferkomitees zu stellen. Vom 1. Mai 1925 ab hinterlegt sie den Erlös aus der Ab- gabe bei der Bank von Frankreich für Rechnung des General. agenten. Dieser läßt ihn der Regierung wieder auszahlen, soweit der entsprechende Betrag innerhalb des französischen Anteils an der Reparation bei ihm dafür verfügbar ist. Mit dieser Maßgabe erfolgt dann auch die Rückvergütung an die deutschen Exporteure, Im Gegensatz zu England ist es also in Frankreich bei dem alten lästigen Verfahren geblieben, wobei die Abgabe von jeder ein- zelnen Warensendung erhoben wird. DIE VERTEILUNG DER REPARATIONSLEISTUNGEN Am 27. Oktober 1924 trafen sich die Finanzsachverständigen der alliierten Regierungen und der Vereinigten Staaten in Paris, um die Frage der Verteilung der deutschen Reparationsleistungen nach langer Pause wieder aufzunehmen, Diesmal war ihre Auf- gabe besonders schwierig. Auch die Vereinigten Staaten erhoben Anspruch darauf, für ihre Kriegsforderungen an Deutschland aus den Annuitäten des Dawesplanes befriedigt zu werden. Zu gleicher Zeit aber mußte die Reparationsrechnung aus der Zeit vor dem Dawesplane, d. h. bis zum 1, September 1924, in Ordnung ge- bracht werden, Und darin bestand wegen der Ruhrbesetzung ein heilloser Wirrwarr. England hatte immer die Ansicht vertreten, die Besetzung sei unrechtmäßig. Frankreich und Belgien hatten die Ausbeutung der besetzten Gebiete auf eigene Faust betrieben, Die Reparationskommission war dabei so gut wie ausgeschaltet, Alle Streitfragen, die aus dieser Lage entstanden waren, galt es zu schlichten, Trotz wochenlanger Arbeit kamen die Sachverständigen zu keinem bestimmten Vorschlag. In dem Bericht über ihre Verhand- lungen, der interessante Aufschlüsse gibt, beschränkten sie sich 352 * darauf, den Standpunkt der einzelnen Regierungen zu den ver- schiedenen Fragen festzustellen. Am 6. Januar 1925 traten die alliierten Finanzminister selber und als Vertreter der Vereinigten Staaten der damalige Botschafter in London, Mr. Kellogg, zur Konferenz in Paris zusammen, Sie erreichten am 14, Januar eine Verständigung, die als das Pariser F inanzabkommen bekannt ge- worden ist. Fe Wie es nicht anders sein konnte, wurde in den meisten Punkten ein Kompromiß zwischen den widerstreitenden Interessen ge- funden, Das traf vor allem auf die Verrechnung der Einnahmen und Ausgaben aus der Zeit der Ruhrbesetzung vom 11. Januar 1923 bis 1. September 1924 zu. Die Frage der Rechtmäßigkeit des Ruhrunternehmens wurde nicht weiter erörtert. Sonst hätte ja England bei der Verteilung des Ertrages nicht mitwirken können. Frankreich und Belgien hatten die folgende Abrechnung vor- gelegt: Eingänge: in Millionen Goldmark Geldstrafen und Requisitionen , . 4550 Sachleistungen . .. Daniele igee zusammen , 491,90 Bareinnahmen: Kohlensteuer er Zölle BE I a E Sonstige Abgaben . °. . . ,°.2..101.— Forsten : ...- ,; N er Pässe usw. neh an ao 3.— Reingewinn der Regiebahn. . . . 67— | im ganzen . 490,— Davon ab Kosten: Verwaltung I RUN IE. Transport von Kohle und Betrieb von Fabriken . . 54.— Militärische Kosten . . . 14.2 7142 Reinertrag der Bareinnahmen . 306.— Bergmann, Der Weg der Reparation 23 353 Dagegen machte England geltend, daß nach dem alliierten Finanzabkommen vom il, März 1922 die Besatzungskosten aus den Sachleistungen zu bestreiten seien und nicht aus den Bar- einnahmen, so daß die Reineinnahmen in bar um 114 Millionen steigen würden, die der belgischen Priorität zu gute kämen. Die Konferenz der Finanzminister hat es der Reparations- kommission überlassen, die Abrechnung der einzelnen Posten zu prüfen. Sie hat aber dafür bestimmte Richtlinien aufgestellt: Sach- leistungen und Bareinnahmen sollen gesondert verrechnet werden. Von dem Wert der Sachleistungen sind die militärischen Aus- gaben im Ruhrgebiet nur insoweit abzusetzen, als sie die normalen Unterhaltskosten in der heimischen Garnison übersteigen. Mit dem Nettobetrage der Sachleistungen, der sich so ergibt, werden die Empfangsländer auf Reparationskonto belastet. Von den Bareinnahmen aller Art dürfen nur die zivilen Kosten der Erhebung und Verwaltung, des Transports von Kohlen und des Betriebes der Gruben und Kokereien in Abzug gebracht werden. Der Ueberschuß mit Ausnahme eines bereits für amerikanische Besatzungskosten hinterlegten Betrages von etwa 14% Millionen Dollar ist an Belgien für Rechnung seiner Priorität abzuführen. Die deutschen Leistungen unter dem Dawesplan werden gemäß demPariser Finanzabkommen nach folgendenGrundsätzen verteilt: I. Forderungen mit Vorrecht a) Allem voran geht der Dienst der Reparationsanleihe. Abge- sehen vom ersten Reparationsjahre, wo er sich noch nicht voll auswirkt, beansprucht er nach der Angabe des Generalagenten bis zu 93 Millionen Goldmark jährlich; b) die Kosten der Reparationskommission mit der Organisation für den Dawesplan dürfen im ersten Jahre bis zu 9:4 Millionen Goldmark, später nur 7% Millionen Goldmark betragen. Davon sind für die Organe des Dawesplanes 3,7 Millionen Goldmark vorgesehen. Dieser Betrag darf erhöht werden, wenn es für den Ausbau der Schiedsgerichte nötig ist; c) die Interalliierte Rheinlandkommission soll im ersten Jahre nicht mehr als 10 Millionen Goldmark, die militärische 354 Be ea nicht mehr als 8 Millionen Goldmark ver- rauchen, Die Beträge für die folgend | ä eure genden Jahre werden später d) sodann werden den Vereinigten S „.d) sod: gten Staaten zur Erstattung der EEE Kosten ihres Besatzungsheeres jährlich 55 Millionen re vom 1, September 1926 an gezahlt, bis der Gesamt- etrag beglichen ist. Diese Abmachung tritt an die Stelle des sogenannten Wadsworth-Vertrages vom 25. Mai 1923, wonach die auf 255 ‚Millionen Dollar bezifferten amerikanischen Besatzungs- kosten in zwölf Jahresraten von 83 Millionen Goldmark vom 31. Dezember 1923 an aus der Reparation zu bezahlen waren; e) für die rückständigen Besatzungskosten von Frankreich und England aus der Zeit vor dem 1. Mai 1921 sind besondere Zuweisungen aus den Annuitäten beginnend mit 15 und steigend bis zu 30 Millionen Goldmark vorgesehen; | f) für die laufenden Besatzungskosten des ersten Reparations- jahres zahlt der Generalagent im voraus eine Pauschalsumme von 160 Millionen Goldmark. Davon entfallen auf Frankreich 110 Millionen, auf Belgien und England je 25 Millionen Gold- mark. Die etwa überschießenden Kosten hat jede Macht aus ihrem Anteil an der Annuität selber zu tragen. Sie darf sie jedoch ihrem Gesamtanspruch an der Reparation hinzurechnen., Für die späteren Jahre soll eine neue Regelung eintreten, die noch vor dem 1. September 1925 zu erörtern ist. Il. Forderungen ohne Vorrecht Der Betrag der deutschen Annuität, der nach Befriedigung der F orderungen mit Vorrecht übrig bleibt, wird wie folgt verwendet: a) 5 Prozent zur Begleichung der belgischen Kriegsschuld. Hiervon erhalten vorläufig Frankreich 46 Prozent, England 42 Prozent und Belgien selbst für Rechnung seiner Schuld an Amerika 12 Prozent; | b) für Restitutionen werden ausgesetzt in den ersten vier Jahren 1 Prozent des zu verteilenden Gesamtbetrages, in den späteren Jahren 1 Prozent der ersten Milliarde nach Akad der Vorrechte und 2 Prozent vom Rest der Annuität, Die Zuweisung 23* 355 sun ee u es ee ee Me ee A wird auf die Mächte verteilt, welche mit Deutschland Ver. träge über die Ablösung der Restitution durch Pauschalbeträge (Substitution) geschlossen haben; c) belgische Priorität. Der genaue Restbetrag der Priorität wird von der Reparations- kommission ermittelt. Im ersten Jahre erhält Belgien jedenfalls seinen Anteil von 8 Prozent weiter, im zweiten Jahre ebenfalls 8 Prozent monatlich, bis die Priorität vollständig bezahlt ist. Alsdann wird der belgische Anteil an der Reparation von 8 Prozent auf 4,5 Prozent herabgesetzt, Mit diesem Zeitpunkt, spätestens vom 1, September 1926 ab werden die aus dem ursprünglichen belgischen Anteil freiwerdenden 3% Prozent an Frankreich und England im Verhältnis von 52 zu 22 über ihre in Spa festgesetzten Anteile hinaus gezahlt; d) die Vereinigten Staaten erhalten von der Annuität nach Abzug der Vorrechte einen Anteil von 2% Prozent, jedoch nicht mehr als 45 Millionen Goldmark im Jahr. Sie sind mit 2% Prozent auch an der Verteilung und der gemeinsamen Verwertung der Eisenhahn- und Industrieobligationen und aller anderen Wert- papiere beteiligt, die unter dem Dawesplan ausgegeben werden; e) im übrigen verbleibt es bei den Prozentsätzen von Spa. Diese betragen, wie wir bereits wissen, für Frankreich 52 Prozent, für England 22 Prozent, für Italien 10 Prozent, für Serbien 5 Prozent. Die Finanzkonferenz hat außerdem noch eine Reihe von Einzelheiten geregelt. Darunter ist wichtig, daß für die restlichen Forderungen der Alliierten aus dem Ausgleichsverfahren (clearing) in den ersten vier Jahren keine besonderen Beträge zurückgestellt werden, Die interessierten Mächte sind vielmehr zur Befriedigung ihrer Ansprüche auf das deutsche Privateigentum verwiesen, das sie nach den Bestimmungen des Vertrages von Versailles liqui- dieren dürfen. DIE ERGEBNISSE DES ERSTEN JAHRES Mit dem 31, August 1925 war das erste Jahr der Ausführung des Dawesplanes abgeschlossen. Seine Ergebnisse liegen ziffern- mäßig vor. ) 356 Ueber den Eingang der ersten Annuität ist nicht viel zu sagen. Sie setzt sich zusammen aus dem Erlös der Reparationsanleihe, die bei ihrer Ausgabe im Herbst 1924 rund 801 Millionen Gold- mark in die Reparationskasse geliefert hat, und aus dem Beitrag der Reichsbahn-Gesellschaft von 200 Millionen Goldmark, der pünktlich gezahlt ist. Von Interesse aber ist es, die Erträge fest- zustellen, welche die Zweige der deutschen Wirtschaft und des Reichshaushaltes, die nach dem Dawesplan von nun an die jähr- lichen Leistungen aufbringen müssen, im ersten Reparationsjahr abgeworfen haben. Die Reichsbahn-Gesellschaft hat ihren Betrieb erst am1. Oktober 1924 begonnen, In den elf Monaten bis zum 31. August hatte sie folgendes Betriebsergebnis: | | | Reichsmark Betriebseinnahmen . . . . . 2. .2..,4033 050 000 Nach Bestreitung der Betriebsausgaben ver- | bleiben ui mn. ea SEN Davon gehen ab; Reichsmark Außerordentliche Ausgaben . 268 016 000 FT iD a ie 7 700 000 Dienst der Reparationsanleihe 200 095 000 475 811 000 Somit bleibt ein Ueberschuß von . . . . 289 255 000 der zu Rückstellungen verwendet wird. Dieses Ergebnis wurde erreicht, obwohl der Güterverkehr im Zu- sammenhang mit den allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnissen in Deutschland daniederlag und die Ausgaben der Gesellschaft für Gehälter, Löhne und Pensionen sehr stark anwuchsen. Bei einer normalen Entwicklung des Verkehrs in der Folgezeit ist zu hoffen, daß auch der künftighin wesentlich höhere Beitrag der Gesellschaft zu der Reparationslast — 1925/26 schon 595 Millionen und von 1927/28 an ständig 660 Millionen Goldmark — aus dem Betrieb der Gesellschaft aufgebracht werden kann. Die Reichssteuer auf den Eisenbahnverkehr — Verkehrs- steuer — wird im zweiten Reparationsjahre mit 250 Millionen, 357 vom dritten Jahre an mit 290 Millionen zur Reparation heran- gezogen, Sie hat im ersten Jahre insgesamt 280 Millionen Gold- mark erbracht. Die deutsche Industrie war im ersten Jahre noch nicht be- lastet, Ihre Zahlungen setzen im zweiten Jahre mit 125 Millionen ein, steigen im dritten Jahre auf 250 Millionen und betragen vom vierten Jahre an ständig 300 Millionen Goldmark, Wie sie sich wirtschaftlich auswirken werden, darüber läßt sich zurzeit nichts sagen. Da diese Last aber eine erste Hypothek auf die gesamte deutsche Wirtschaft mit Ausnahme der Landwirtschaft darstellt, wird sie unter allen Umständen aufgebracht werden müssen. Die unter dem Dawesplan verpfändeten Reichseinnahmen haben im ersten Jahre folgende Erträge abgeworfen: Zölle: . . . . .. .453.— Millionen Reichsmark Tabaksisier . . '. 584,70 I i massamer 0.2.0230 a „ Zuckersteuer . . . 264.— * ” Branntweinmonopol. 164.40 i insgesamt . 1699.10 Millionen Reichsmark Sie verbleiben im zweiten Jahre noch ganz dem Reich und werden erst vom fünften Jahre ab mit der vollen Höhe von 1250 Millionen Goldmark für die Reparation herangezogen. Wenn nicht außergewöhnlich ungünstige Verhältnisse ein- treten, ist zu erwarten, daß sie über die Reparationsquote hinaus noch erhebliche Einnahmen für den Reichshaushalt selber ab- werfen werden, Nach dem Bericht des Generalagenten sind die Eingänge des ersten Reparationsjahres von 1000 Millionen Goldmark wie folgt verwendet worden: Für Forderungen mit Vorrecht: Dienst der Anleihe . 77,50 Millionen Goldmark Kosten der Kommissionen . 26,50 A h Besatzungskosten. . . . . 187.40 . a im ganzen . 291.40 Millionen Goldmark % 358 Der Generalagent hatte am 31. August 1925 insgesamt 893 Millionen Goldmark ausgezahlt, während die restlichen 107 Millionen noch unverrechnet in seiner Kasse lagen. Einschließlich des noch nicht verteilten Betrages entfallen von den Zahlungen des ersten Jahres auf: Frankreich . . . . .. 00000 Ge Ensland., : ©, . 00 on e Italien. .. .......0.0000 20 ee N Belgien... 2, ea 00 x Serbien...) US SR ee Für Sachleistungen waren am 31. August im ganzen ausgegeben . . . . . . 420 Millionen Davon haben beansprucht: Kohle, Koks und ihre Nebenprodukte . . 217.20 Millionen Transportkosten 0 A # Chemische Dünge- Imsttel: 0 0 ee u Farbstoffe und phar- mazeutische Waren 26.20 R Verschiedene Liefe- rungen. . » 2, 00 RS Die Einfuhrabgabe (Reparation Reco- very Act) hat erfordert. . . . . . 180 Millionen wovon für England . . 155 Millionen für Frankreich . . . . 23 “ Aus den Ziffern der Ergebnisse des ersten Reparationsjahres lernen wir manches: Sachleistungen und Einfuhrabgabe haben zusammen fast den gesamten Betrag der Annuität erreicht, der nach Abzug der bevorrechteten Forderungen zur Verteilung blieb. Eine Ueber- 359 weisung von baren Geldern hat sich daher im ersten Jahre so gut wie ganz erübrigt, | | Die Pflichtlieferungen aus dem Vertrage von Versailles an Kohlen, Farbstoffen und Düngemitteln stellen bei weitem den größten Teil der Sachleistungen dar. | Im sogenannten freien Verkehr sind sonstige Waren aus Deutschland nur in der verhältnismäßig geringen Höhe von 18,40 Millionen geliefert und davon hat Serbien mit 30 Millionen den Hauptanteil erhalten, der große Gläubiger Frankreich nur 20 Millionen Goldmark. TEILV DER AUSBLICK AUF DAS ZIEL ZWEIUNDDREISSIGSTES KAPITEL DAS TRANSFERPROBLEM Die Leistungen Deutschlands für die Reparation sind durch den Dawesplan genau begrenzt. Die normale Annuität von 2” Milliarden Goldmark kann sich vom 1. September 1929 an bei einer Besserung der deutschen Wirtschaft nach dem Schlüssel des Index erhöhen. Nach etwa sechsunddreißig Jahren fällt durch die Tilgung der Eisenbahn- und Industrieschuld ein erheblicher Teil der Annuität in Höhe von 960 Millionen Goldmark hinweg. Was dann mit dem Rest der Annuität geschehen soll, darüber sagt der Dawesplan nichts. Soweit also die deutsche Leistung in Betracht kommt, könnte das Reparationsproblem auf absehbare Zeit als gelöst gelten. Denn Deutschland erfüllt seine Pflicht damit, daß es die jeweils fälligen Beträge in seiner eigenen Währung, der Reichsmark, in die Kasse des Generalagenten einzahlt, Die Frage ist nur, ob Deutschland in der Lage sein wird, jahr- aus, jahrein die von ihm verlangten Zahlungen aufzubringen. Nach den Ergebnissen des ersten Reparationsjahres wird man sagen müssen, daß Aussicht dafür vorhanden ist, wenn die allgemeinen Verhältnisse in Deutschland und in der Welt sich in Ruhe weiter- entwickeln. Eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür ist, daß die neue deutsche Währung stabil bleibt, daß also die Reichsmark nicht eine Entwertung erleidet, welche etwa die Reparationslast des Haushalts und der Wirtschaft erheblich erschweren könnte. Dafür zu sorgen, ist die erste Aufgabe der Reichsbank. Zugleich muß aber auch das Transferkomitee darüber wachen, daß durch den Reparationsdienst die deutsche Währung nicht gefährdet wird. 363 “ Re Das erste Reparationsjahr gibt in dieser Hinsicht noch keinen Anlaß zu Befürchtungen. Durch eine energische und vorsichtige Diskont- und Kreditpolitik und dank der Reparationsanleihe steht die Reichsbank heute stark da. Nach ihrem Ausweis vom 31. August verfügte sie über einen Bestand an Gold in Höhe von 1138 Millionen Reichsmark. Das bedeutet gegenüber dem Tief- punkte des Goldbestandes der alten Reichsbank von 444 Millionen im Jahre 1923 einen Zuwachs von 694 Millionen Reichsmark. Seit der Errichtung der neuen Reichsbank am 11. Oktober 1924 ist der Goldbestand um 543 Millionen Reichsmark gewachsen. Daneben zeigt der Ausweis Devisen in Höhe von 357 Millionen Reichsmark, die zur weiteren Deckung der Reichsbanknoten dienen. Der ge- samte Umlauf von 2594 Millionen Reichsbanknoten war daher am 31, August 1925 durch Gold allein mit 43.9 Prozent, durch Gold und Devisen zusammen mit 57.7 Prozent gedeckt. Die Reichsmark hat seit anderthalb Jahren in ihrer inter- nationalen Bewertung so gut wie gar nicht mehr geschwankt. Sie ist zur Zeit mit der Goldmark vollkommen identisch. Auch der Reichshaushalt befindet sich am Schlusse des ersten Reparationsjahres in günstiger Lage. Das Gleichgewicht zwischen Ausgaben und Einnahmen ist erhalten geblieben. Mehr als das: das Reich erzielte schon in dem am 31. März 1925 abgelaufenen Rechnungsjahre — das freilich noch immer nicht abgeschlossen ist — gegenüber dem Voranschlag einen Ueberschuß, so daß eine Reihe von Verpflichtungen nach innen und außen befriedigt werden konnte, Das neue Rechnungsjahr verläuft bisher ähnlich. Die ersten fünf Monate des Haushalts bis zum 31. August 1925 zeigen gegenüber dem Voranschlag von 2669 Millionen Reichs- mark einen Mehreingang an Steuern und sonstigen Einnahmen von insgesamt 392 Millionen Reichsmark, das heißt von etwa 15 Prozent. Allerdings war dieses Ergebnis nur dadurch möglich, daß die Wirtschaft mit Steuern in einem Maße und in einer Weise belastet wurde, die auf die Dauer nicht zu tragen sind. Bis zu einem gewissen Grade hat die notwendige Steuerreform bereits begonnen. Sie muß fortgesetzt werden und dann erst wird sich zeigen, ob die eigenen Bedürfnisse des Reichshaushalts aus den > 364 Einnahmen gedeckt werden können, welche nicht für die Rep: ration verpfändet sind. Von dieser Frage hängt es im wesentlichen ab, ob Deutschland auf die Dauer imstande sein wird, den Verpflichtungen unter dem Dawesplan nachzukommen. Das aber ist, wie die Sachverständigen selber in ihrem Plane ausgeführt haben, nur die eine Seite der Reparation. Es kommt nicht nur darauf an, daß Deutschland seine Last in Reichsmark trägt und zahlt. Für die Alliierten ist vor allem wichtig, die deutsche Zahlung so zu erhalten, daß es ihnen möglich ist, sie für ihre Zwecke zu verwerten, Dazu ist nötig, daß die in der Reparationskasse ruhenden Reichsmark entweder zur Bezahlung deutscher Leistungen an die Gläubigerländer benutzt oder in eine fremde Währung übertragen werden, Soweit auf diesen beiden Wegen der Reparationsfonds keine Verwendung findet, bleiben die Gelder in ihm liegen und häufen sich nach und nach an. Das verschafft zwar der deutschen Wirtschaft billiges Geld, muß aber schließlich zu schweren Unzuträglichkeiten führen. Die Alliierten werden es nicht in Ruhe ansehen, daß die Reichs- mark im Reparationstopf die Höchstgrenze von 5 Milliarden Gold- mark erreichen. Sie werden noch größere Schwierigkeiten machen, wenn etwa — wie der Dawesplan es vorsieht — die deutsche Jahresleistung so weit herabgesetzt werden soll, wie es nötig ist, um die 5 Milliarden des Reichsmarkfonds nicht weiter an- schwellen zu lassen, | Sie werden vielmehr alle Mittel versuchen, zu ihrem Gelde zu kommen. Es gehört nicht viel Phantasie oder Menschenkenntnis dazu, sich auszumalen, was für Streitigkeiten dann zwischen den einzelnen Alliierten, in der Reparationskommission und innerhalb des Transferkomitees entstehen werden. Vor allem wird Deutsch- land darunter zu leiden haben. Man wird seiner Regierung oder bestimmten deutschen Wirtschaftsgruppen vorwerfen, daß sie dem Transfer Hindernisse bereiten. | Dieses sogenannte Transferproblem ist das große Rätsel, über das sich Berufene und Unberufene seit geraumer Zeit den Kopf zerbrechen, Der Dawesplan hat die Aufgabe, die Uebertragung der Reparationsgelder durchzuführen, in die Hände des Transter- 365 komitees gelegt. Es besteht nur aus Vertretern der Gläubiger- staaten. Deutschland ist dabei nicht beteiligt. Daher ist es aus- schließlich Sache der Gläubiger, alle für den Transfer erforder- lichen Maßnahmen zu treffen, Die deutsche Regierung und die Reichsbank sollen aber die Arbeit des Komitees nach Kräften erleichtern und dürfen nichts tun, was die Möglichkeiten des Transfer beeinträchtigen könnte, Der Dawesplan sagt selber, daß es nötig sein wird, die Repa- rationsgelder in den ersten zwei Jahren fast ausschließlich in Deutschland wieder auszugeben, So lange käme also der Transfer von Geld, d, h, die Umwandlung von Reichsmark in fremde Währung grundsätzlich nicht in Betracht. Von dieser Regel ist natürlich zunächst der Dienst der Reparationsanleihe ausge- nommen, Für ihn müssen die nötigen Devisen ohne Rücksicht auf die deutsche Währung beschafft werden. Ferner sind mäßige Beträge für Verwaltungsausgaben — etwa 30 Millionen Goldmark — in fremder Währung aus der Repa- rationskasse zu bestreiten, Abgesehen davon ist es die Politik des Generalagenten und des Transferkomitees, in den ersten zwei Jahren alle Ausgaben aus der Reparationskasse in Reichsmark und innerhalb Deutschlands zu machen, Gegen diesen Grundsatz arbeiten jedoch die englischen und französischen Maßnahmen aus den Reparation Recovery Acts — den Einfuhrabgaben auf deutsche Waren. Damit werden der deutschen Wirtschaft jährlich einige hundert Millionen Goldmark in Devisen entzogen, die der deutsche Ausfuhrhandel über die Reichsbank oder direkt an die Regierungen der beiden Länder abführt, um den Gegenwert in Reichsmark aus der Reparationskasse wiederzuerhalten, Die Wirkung ist genau die gleiche, als ob das Transferkomitee selber mit seinen Reichs- mark die Devisen im freien Markte ankaufte, Wir haben also doch schon jetzt damit zu rechnen, daß für die Zwecke der Anleihe, der Verwaltung und der Einfuhrabgaben mindestens 300 Millionen Goldmark jährlich in fremde Währung übertragen werden. Im dritten Reparationsjahre, wo die Annuität 1200 Millionen Goldmark beträgt, wird die Transferfrage nicht wesentlich anders liegen als jetzt. Erst im vierten Jahre, also in zwei Jahren von 366 %* heute ab, wird das Programm wirklich ernsthaft werden. Die Schwierigkeiten werden noch wachsen, wenn vom 1. September 1928 ab die volle Annuität von 2500 Millionen Goldmark zu zahlen ist. Man macht sich das Problem am besten an Zahlen klar. Heute werden, wie gesagt, unter dem Dawesplan rund 300 Millionen Goldmark transferiert, Dazu kommen etwa 400 bis 300 Millionen Goldmark für Sachleistungen. Die Besatzungskosten, Kommissionen usw, erfordern weitere rund 200 Millionen Gold- mark. Damit ist über die erste Annuität von 1000 Millionen ver- fügt, Nehmen wir einmal an, diese Posten bleiben, wie sie sind. Dann würden von der vollen Annuität von 2500 Millionen für den eigentlichen Transfer, d, h, für den Ankauf von Devisen gegen Reichsmark noch 1500 Millionen Goldmark jährlich in der Repa- rationskasse übrig sein. Wenn man erwägt, daß die jährliche Zahlung Englands zur Verzinsung und Tilgung seiner Schuld an die Vereinigten Staaten nur 500 Millionen Goldmark ausmacht, aber doch schon eine schwere Belastung für Budget und Währung darstellt, so erscheint die Frage, ob das ungleich ärmere Deutsch- land imstande sein wird, neben den Reparationsleistungen, die es schon heute ausführt, später jährlich dreimal so viel wie England an seine Gläubiger in fremdem Gelde zu überweisen, in einem recht ernsten Licht. Viele hervorragende Kenner der Volkswirtschaft sind der Ansicht, daß die Uebertragung der deutschen Reparationsschuld in diesem Ausmaß nicht möglich sein wird, und daß bei einem ernsthaften Versuche des Transferkomitees, derartig hohe Be- träge fremder Währung durch Markverkäufe anzuschaffen, die deutsche Währung wiederum zusammenbrechen müßte, Diese Stimmen kommen nicht nur aus Deutschland und den an der Reparation unbeteiligten Ländern, sondern in immer größerer Zahl auch aus den Gläubigerländern, mit Einschluß der Ver- einigten Staaten. Mehr und mehr setzt sich in der ganzen Welt die Ueberzeugung durch, daß letzten Endes jedes Land Zahlungen an das Ausland, für die es keine Gegenleistung erhält, nur aus dem Ueberschusse seiner Produktion leisten kann, das heißt nur in Höhe des Betrages, den es in Waren oder Leistungen in das 367 Ausland absetzen kann, nachdem der notwendige Bedarf des In- landes befriedigt ist. Will man die Möglichkeiten solcher Ueber- schüsse abschätzen, so darf man sich freilich nicht auf die reinen Zahlen der offiziellen Handelsstatistik beschränken, Man muß vielmehr die Begriffe Einfuhr und Ausfuhr in ihrem weitesten Sinne auffassen und in die Handelsbilanz alle Posten einstellen, die in Zahlen nicht ohne weiteres zu greifen sind, wie inter- nationaler Frachtverkehr, Reiseverkehr, Einkünfte aus Anlagen im Ausland usw. Nur durch Ausfuhr deutscher Güter oder durch Leistung deutscher Dienste ins Ausland werden deutsche Guthaben im Ausland geschaffen. Nur so werden Devisen verfügbar, die für die Umwandlung der Reichsmark des Reparationsfonds in fremde Währung in Betracht kommen, Die Devisen dürfen dazu aber nur insoweit benutzt werden, als sie nicht zur Bezahlung des wich- tigsten deutschen Einfuhrbedarfs nötig sind. Der Ankauf von Devisen für die Reparation ohne Rücksicht auf den deutschen Einfuhrbedarf muß, wie die Geschichte der Reparation deutlich zeigt, die deutsche Währung gefährden und schließlich verwüsten. Das alles haben die Verfasser des Dawesplanes klar erkannt und deshalb haben sie dem Transferkomitee auch vorgeschrieben, daß es bei seiner Tätigkeit in erster Linie darauf achten muß, daß die deutsche Währung stabil bleibt. Es ist nun interessant, festzu- stellen, daß diese Erkenntnis jetzt auch in den alliierten Ländern überall’ da, wo von dem Transfer gesprochen oder geschrieben wird, als oberster Grundsatz gilt. Systematisch wird mit dem Irr- glauben aufgeräumt, daß der Dawesplan durch die Festsetzung der deutschen Annuität die ganze Reparation geregelt habe, und daß die Umwandlung von Reichsmark in die Währung der alliierten Länder nur eine Sache bankmäßiger Technik sei. Es wird dabei stark betont, daß der Dawesplan die Transferfrage absichtlich olfengelassen und nur die Maschinerie dazu in Gestalt der Organisation für die technische Durchführung des Transfer ge- schaffen habe, Wie sehr das Transferproblem zur Zeit das allgemeine Interesse im internationalen Geschäftsleben anzieht, läßt sich am besten 368 x daran erkennen, daß es den Hauptgegenstand in der Tagung der Internationalen Handelskammer vom 21. bis 27, Juni 1925 in Brüssel gebildet hat. Die Gründung dieser Organisation wurde im Jahre 1919 auf einer Wirtschaftskonferenz der amerikanischen Handelskammer in Atlantic City beschlossen, Sie hatte zunächst einen rein alliierten Anstrich. Nach und nach sind ihr jedoch die Handelskammern fast aller wichtigen Länder beigetreten. Ihr Zweck ist, den internationalen Handelsverkehr zu erleichtern, den Fortschritt und die Aufrechterhaltung des Friedens zu fördern. und freundschaftliche Beziehungen zwischen den Völkern zu sichern. Sie hält alle zwei Jahre Kongresse ab. Bekannt ist vor allem der Kongreß in Rom vom März 1923, wo Beschlüsse über den Wiederaufbau der Welt, über Reparation und interalliierte Schulden gefaßt wurden. Im Anschluß daran errichtete die Handelskammer ein „Komitee für den wirtschaftlichen Wieder- aufbau“ unter dem Vorsitz des amerikanischen Bankpräsidenten Fred J. Kent. Nach der Annahme des Dawesplanes wurde das. Komitee erweitert. Zu ihm gehören auch Mitglieder der Komitees von Dawes und Mc Kenna: Mario Alberti, Alberto Pirelli, Henry M. Robinson, Sir Josiah Stamp, Owen D. Young. Das Komitee wandte sein Hauptinteresse der Erforschung des Transferproblems zu. Es beauftragte Sir Josiah Stamp, Alberto Pirelli und Graf Andre Chalendar, den Transfergedanken eingehend zu studieren und dabei besonders die Frage zu berücksichtigen, ob die Repa- ration dazu benutzt werden könne, wirtschaftliche Unternehmungen großen Stils durchzuführen. Der Bericht von Stamp, Pirelli und Chalendar wurde der Konferenz der Internationalen Handels- kammer in Brüssel unter dem Titel „Reparationszahlungen und künftiger internationaler Handel“ vorgelegt. Er zerfällt in einen ersten allgemeinen Teil, der von allen drei Berichterstattern unter- zeichnet ist, und in einen besonderen Teil, der nur die Unter- schrift von Stamp trägt. Diese Zweiteilung rührt davon her, daß es bei dem großen Rätsel des Transfer wohl möglich ist, sich über allgemeine Thesen zu einigen, daß aber die Meinungen sofort aus- einandergehen, sobald es sich um bestimmte Vorschläge für die Durchführung des Transfer handelt. Solche Vorschläge hat Stamp Bergmann, Der Weg der Reparation 24 369 in dem besonderen Teile des Berichts gemacht und im einzelnen begründet. An dem Transferproblem fesselt die Aufmerksamkeit des Aus- landes vor allem die Frage, welche Rückwirkung es auf die Wirt- schaftsordnung der Welt haben müßte, wenn Deutschland seine Ausfuhr soweit ausbreitet, daß aus ihr die zur Uebertragung der 2* Milliarden Goldmark nötigen Devisen gewonnen werden können, Schon jetzt, wo die deutsche Handelsbilanz, im weitesten Sinne genommen, noch passiv ist und die Zahlung von Devisen aus dem Reparationsfonds auf einen mäßigen Betrag beschränkt bleibt, wird die deutsche Energie bei der Konkurrenz auf den Weltmärkten allgemein gefürchtet, Wird aber erst einmal der Transfer von Reparationsgeldern in großem Umfange nötig, dann muß die Ausfuhr Deutschlands sich in einer Weise entfalten, der die großen Industriestaaten der Welt nur mit schwerer Sorge ent- gegensehen. Nun sind aber gerade diese Staaten zugleich die Hauptgläubiger Deutschlands aus der Reparation. Wenn sie den Transfer sichern wollen, so müssen sie die deutsche Ausfuhr be- günstigen. Tun sie das aber, so handeln sie gegen die Interessen ihrer eigenen Ausfuhrindustrien. Dies Dilemma ist es, was der Be- handlung der Transferfrage im Ausland eine besondere Note gibt. Wir haben uns daher mit folgender Fragenkette zu be- schäftigen: Wie läßt sich die deutsche Erzeugung steigern, damit aus ihr die für den Transfer der Annuität von 2% Milliarden Goldmark nötigen Devisen zu gewinnen sind? Welche Widerstände würde ein so stark gesteigerter Absatz deutscher Güter und Leistungen in der Welt finden? Wie sind solche Schwierigkeiten zu überwinden oder zu ver- meiden? Das sind die gleichen Fragen, die schon die deutschen Sachverständigen in ihrem Gutachten über die wirtschaftlichen Wirkungen der Pariser Beschlüsse vom 29, Januar 1921 eingehend erörtert hatten. Damals handelte es sich freilich um jährliche Reparationslasten bis zu 6 Milliarden Goldmark, wozu noch 370 12 Prozent der deutschen Ausfuhr kamen, und da lautete die Antwort ganz einfach: „Unmöglich!” Aber von den Zahlen ganz abgesehen, haben die wirtschaft- lichen Grundsätze, zu denen sich die Sachverständigen im Früh- jahr 1921 bekannten, auch für den Dawesplan ihre Bedeutung behalten. Für die Brüsseler Tagung der Internationalen Handelskammer hat Sir Josiah Stamp die Beantwortung der genannten Fragen unternommen. In seiner scharfsinnigen und tiefgründigen Weise stellt er ganz im Einklang mit dem früheren Urteil der deutschen Sachverständigen fest, daß der Transfer nur geringe Aussichten hat, wenn man von den Zahlen des deutschen Handels vor dem Kriege ausgeht und dazu noch die wirtschaftlichen Verluste Deutschlands im Kriege und nach dem Kriege in Betracht zieht, Stamp lehnt jedoch diese Grundlage als ungeeignet ab, Er ver- sucht nachzuweisen, daß der deutschen Ausfuhr jetzt eine größere Entwicklung offensteht, weil die Verhältnisse ganz anders ge- worden sind. Dafür zählt er eine Reihe von Gründen auf: 1. Der Wert des Goldes ist um 60 Prozent gesunken. Die Zahlung von 2% Milliarden Goldmark erfordert in Zukunft eine entsprechend geringere Leistung, weil bei den stark gestiegenen Preisen viel weniger Waren dazu gehören, einen Wert von 2”* Milliarden darzustellen, als vor dem Kriege, 2, Der Ausbau der deutschen Industrieanlagen, vor allem der Wasserkräfte, macht es Deutschland möglich, viel mehr zu pro- . duzieren als früher. 3. Die wirtschaftlich wenig produktive Kriegsindustrie ist in Deutschland zum großen Teil weggefallen. Es kann mit den so freigewordenen Kräften neue Werte für die Ausfuhr schaffen, 4. Die deutschen Arbeitskräfte haben durch den Wegfall der bei der Markentwertung ruinierten Rentnerklasse einen großen Zuwachs gewonnen, 5. Deutschland besitzt auch jetzt noch im Ausland Eigentum und Guthaben, deren Erträge dem Transfer zugute kommen. er 371 6. Eine wichtige Erwerbsquelle liegt darin, daß die deutsche Industrie ihre technische und wirtschaftliche Erfahrung durch Leistungen und Patentabgaben im Ausland verwerten wird. 7. Endlich gibt schon die Tatsache der großen Verschuldung ins Ausland einen kräftigen Antrieb dahin, daß Deutschland selbst alle Mittel in Bewegung setzt, die Schuld abzutragen. Kapital, das unter anderen Verhältnissen im Inland angelegt werden würde, geht so ins Ausland und schafft daselbst neue deutsche Guthaben. Trotz alledem kommt auch Stamp zu dem Schluß, daß die Aus- breitung der deutschen Ausfuhr von Waren und Leistungen auf normalem Wege wahrscheinlich nicht dazu ausreichen wird, den Transfer der gesamten 2% Milliarden des Dawesplanes zu sichern. Denn dem Absatz deutscher Werte im Ausland sind natürliche Grenzen gesetzt. Selbst wenn es Deutschland gelänge, seine Pro- duktion so zu steigern, wie es nötig wäre, um einen Ueberschuß von 2% Milliarden zu erzielen, würde es nicht möglich sein, ihn zu verwerten. Das liege in der Eigenart der deutschen Ausfuhr begründet. Sie bestehe in der Hauptsache nicht aus Waren, die alle Welt braucht und glatt zu stetigen Preisen aufnimmt, wie Weizen und Vieh, sondern aus industriellen Fertigwaren, deren Markt beschränkt ist und deren Massenangebot sofort die Preise drücken und bald gar keine Nachfrage mehr finden würde. Damit würde aber der deutsche Handel schwer geschädigt und der ge- samte Weltmarkt in Verwirrung gebracht. Alle Länder, die mit Deutschland in der Ausfuhr von Fertigwaren wetteifern, würden sich im Interesse ihrer eigenen Industrie dagegen wehren, daß die deutsche Ausfuhr hemmungslos ausgreife, ohne Rücksicht auf die bestehende Ordnung in den verschiedenen Absatzgebieten der Welt zu nehmen. Die Richtigkeit dieser Erwägungen leuchtet ohne weiteres ein. Je mehr sich die deutsche Ausfuhr entwickelt, um so größere Widerstände wird sie im Auslande finden. Der Kampf, den die französische Industrie von jeher gegen die Lieferung deutscher Waren nach Frankreich auf Reparationskonto geführt hat, wird sich in der ganzen Welt in weit größerem Maßstabe wiederholen. Schon jetzt sind die meisten Länder, an ihrer Spitze die Ver- 372 * einigten Staaten von Amerika, sorgsam darauf bedacht, ihre eigene Industrie durch hohe Schutzzölle gegen die Unterbietung aus Ländern mit billigeren Arbeitskräften zu schützen. Eine solche Handelspolitik ist aber, wenn sie zum allgemeinen System erhoben wird, der ärgste Feind der Reparation, weil sie es Deutschland . von vornherein unmöglich macht, durch Hebung seiner Ausfuhr die für den Transfer nötigen Devisen zu erwerben. In einer viel beachteten Ansprache an den Brüsseler Kongreß hat Stamp dieses Thema noch eindringlicher behandelt und folgende Lehren daraus gezogen: „Jeder Staat, dem daran liegt, im allgemeinen Interesse des Landes Reparation einzuzieben und damit die Steuerlast des Landes zu erleichtern, handelt verkehrt, wenn er zu gleicher Zeit versucht, die Grenzen gegen die Einfuhr von Waren aus dem Schuldnerland durch Schutzzölle und sonstige Schranken abzu- schließen. Das Interesse des ganzen Volkes an der Reparation ist nun einmal im Widerstreit mit dem Einzelinteresse der Industrien, die sich von der fremden Konkurrenz beeinträchtigt fühlen. Der Schuldner hat keine Wahl. Er kann seine Schuld nur durch den Ertrag seiner Ausfuhr begleichen. Je größer die Schuld, desto mehr muß er die Ausfuhr steigern. In dem Maße, wie seine Waren vom Weltmarkt ausgeschlossen werden, sinkt seine Fähig- keit, die Schuld zu bezahlen. Daher muß der Gläubiger zwischen zwei Dingen wählen. Entweder muß er seine Industrie schützen und auf Reparation verzichten, oder er muß, wenn er Reparation haben will, die Bedenken seiner Industrien zurückstellen.” Bei der Warnung allein läßt es Stamp nicht bewenden. Weil die Konkurrenz auf den Weltmärkten die deutsche Ausfuhr und damit die Reparation bedroht, suchte er nach Mitteln, der Kon- kurrenz aus dem Wege zu gehen. Er lehrt: „Wenn der Strom der Waren aus Deutschland durch die alten “Kanäle fließt, die für ganz andere Verhältnisse bestimmt waren, wird er sie überfluten und zerstören. Man muß daher für den Abfluß der deutschen Waren neue Kanäle schaffen und für die Verwendung der deutschen Arbeit im Ausland neue Wege finden. Das ist nur möglich bei internationaler Zusammenarbeit nach einem 373 bestimmten Programm. Es kommt nicht darauf an, neuen Bedarf für Gebrauchsgüter zu finden, um unmittelbaren Bedürfnissen zu genügen, sondern es soll Nachfrage nach solchen deutschenGütern und Leistungen entstehen, die dauernde Kapitalwerte schaffen In den Berichten für die Brüsseler Konferenz der Inter- nationalen Handelskammer sind folgende vier Methoden dafür angegeben, wie der Reparationsfonds an die Gläubiger überwiesen werden kann: 1. Ausbreitung der deutschen Ausfuhr auf den allgemeinen Weltmärkten in der hergebrachten Weise ohne besondere Organi- sation oder Mitarbeit der Gläubigerländer. Das sei der ideale und wünschenswerte Weg, der direkte Geldzahlungen für die Repa- ration möglich macht. 2. Abkommen zwischen den einzelnen Gläubigerländern und Deutschland über Sachleistungen. } 3. Internationale Zusammenarbeit bei großen Unternehmungen von öffentlichem Interesse, 4. Verkauf von Eisenbahn-, Industrie- und sonstigen deutschen Schuldverschreibungen auf den internationalen Märkten und Kauf von deutschen Werten zu dauernder Anlage in Deutschland durch nichtalliierte Privatpersonen, Das biete den Vorteil, daß sogleich ein Teil des Kapitals der Reparationsschuld überwiesen und getilgt werden könne. Allerdings führten derartige Anlagen in deutschen Werten eine neue Verschuldung Deutschlands herbei, die wiederum verzinst und getilgt werden müsse, Aber die daraus entstehende Last verteile sich auf viele Jahre und könne später übertragen werden, wenn die Reparationsschuld nicht mehr so stark wie jetzt auf Deutschland drücke. An dieser Aufstellung ist neu die Methode zu 3, die Lehre von den sogenannten Assisted Schemes. Sie soll die deutsche Ausfuhr und die deutsche Arbeit nach solchen Gebieten ableiten, wo sie keiner Konkurrenz begegnen und alliierten Interessen nicht schädlich sind. Dieser Gedanke ist in der letzten Zeit besonders in Amerika auf fruchtbaren Boden gefallen, Stamp hat ihn in 374. * seinem Bericht an den Kongreß von Brüssel genauer untersucht. Er stellt sich die Sache so vor: In neutralen Ländern, die noch wenig entwickelt sind, oder in Kolonien der alliierten Länder sollen mit Hilfe von Reparations- geldern große Unternehmungen durchgeführt werden, wie Eisen- bahn- und Hafenbauten, Wasserkraftanlagen, Stromregulierungen usw., die auf andere Weise nicht oder nicht so bald zustande- kommen könnten. Vorbedingung soll dabei sein, daß das Land, dessen Entwicklung die geplanten Anlagen dienen, selbst 60 oder 70 Prozent des dazu nötigen Kapitals beschafft, und daß nur die verbleibenden 40 oder 30 Prozent vom Ausland kommen. In solchen Fällen würde die alliierte Regierung, welche ein Interesse an dem Unternehmen hat — zum Beispiel England — ihre zur Zeit nicht anders verwendbaren Markguthaben in der Reparations- kasse dazu benutzen, deutsche Waren und deutsche Arbeit für das Unternehmen heranzuziehen und mit Reichsmark zu bezahlen. In Höhe dieser Leistungen würde dann das alliierte Land einen angemessenen Anteil an dem Kapital des neuen Unternehmens erhalten; Dieser Anteil könnte später veräußert werden, wenn das Unternehmen die entsprechenden Gewinne abwirft. Das etwa ist in kurzen Zügen der Grundgedanke der Assisted Schemes. Es hat gewiß etwas Verlockendes, sich auszumalen, wie mit Hilfe der Reparation weite Landstriche der Welt, die heute noch öde und unfruchtbar daliegen, wirtschaftlich aufgeschlossen werden, Es ist auch wohl möglich, daß sich eine solche Gelegen- heit von Zeit zu Zeit bietet, wenn alle dazu nötigen Voraus- setzungen vorliegen. Daß dies aber ein Programm werden soll, um einen erheblichen Teil der Reparationsschuld abzutragen, ist doch wohl nur ein Traum und nicht einmal immer ein schöner Traum, Erweisen sich derart große Unternehmen nach eingehen- der Prüfung als wirtschaftlich gesund und in der Zukunft rentabel, so nimmt sie in der Regel der interessierte Staat in die Hand und finanziert sie durch Ausgabe eigener Anleihen, oder es findet sich das Privatkapital bereit, sie selbständig durchzuführen, Bestehen aber an der Ertragsfähigkeit der Unternehmen ernstliche Zweifel, so wird in den meisten Fällen ein Zuschuß von 30 oder 40 Prozent 375. der Anlagekosten durch Reparationsgelder auch nicht genügen, die Ausführung des Unternehmens zu ermöglichen. Es kommt dabei weniger darauf an, das Kapital für den Bau der Anlage selbst zusammenzubringen, als Sicherheit dafür zu haben, daß sich der Betrieb des Unternehmens lohnt. Und wenn das nicht nachzuweisen ist, werden die 60 oder 70 Prozent des Kapitals, die von dem interessierten Lande selber aufzubringen sind, ebenso. wenig bereitstehen, als wenn das Land die gesamten Kosten selber bestreiten müßte, Kommt aber trotzdem das Unternehmen zu- stande, so besteht die Gefahr, daß die Zuschüsse von beiden Seiten verloren gehen. Dann nützt das Unternehmen weder dem eigenen Lande noch den Staaten, welche einen Teil ihrer Repa- rationsforderungen dazu hergeben wollen, Man vergleicht die Förderung solcher Kulturpläne durch die Reparation ganz richtig mit der Anzucht von Pflanzen im Treibhaus. Hier und da muß man sich davor hüten, durch übermäßige Zufuhr von Wärme und Nährstoffen ein zu schnelles und ungesundes Wachstum zu erzielen, | Aber auch das deutsche Interesse kann in solchen F ragen nicht außer acht bleiben, Es ist klar, daß die deutschen Waren und die deutsche Arbeit, die herangezogen werden sollen, nur im Wege der freien Vereinbarung und niemals durch Zwang zu gewinnen sind, In den Fällen, wo sich deutscher Unternehmungsgeist für große Anlagen im Ausland einsetzt,.wird es ihm weniger darauf an- kommen, Waren zu verkaufen oder Arbeiten gegen Bezahlung auszuführen, als vielmehr darauf, sich dauernd an den Unter- nehmen zu beteiligen. Diese Möglichkeit ist bei den Assisted Schemes grundsätzlich ausgeschlossen, Die deutsche Leistung wird mit der Bezahlung aus Reparationsgeldern abgelohnt. Der Gewinn, den sie dem Unternehmen bringt, fällt einem alliierten Staate zu. Auf diese Weise läßt sich die deutsche Mitwirkung bei solchen Plänen nicht systematisch heranziehen, Freilich können die Um- stände so liegen, daß ein größeres deutsches Interesse an einem solchen Unternehmen nicht besteht. Aber das werden immer nur vereinzelte Fälle sein. Ein allgemeines Schema zur Anwendung im großen Stile kann man daraus nicht machen, 376 Aehnliche Bedenken sind auch im Schoße des Wiederauf- baukomitees der Internationalen Handelskammer laut geworden. Pirelli hat bei den Assisted Schemes ausdrücklich den Vorbehalt gemacht, daß er bezweifele, daß die deutsche Ausfuhr durch künst- liche Mittel in großem Maßstabe und auf praktische und nützliche Weise angeregt werden könne, Das Wiederaufbaukomitee selber hat zwar auch die Methode der Assisted Schemes für möglich er- klärt, aber hinzugefügt, daß der Gedanke noch gründlicher Prüfung bedürfe, und daß das letzte Wort darüber jetzt noch nicht ge- sprochen werden könne, Der Bericht von Stamp, Pirelli und Chalendar empfahl, eine ständige Organisation für das Studium der Assisted Schemes zu schaffen. Der Vorschlag ist aber von dem Komitee nicht weiter verfolgt worden. Der Kongreß der Handelskammer hat schließlich in Brüssel in bezug auf die Transferfrage keine bestimmte Stellung ein- genommen, sondern nur eine Resolution ganz allgemeiner Art ge- faßt, die besagt: | „Die Transferfrage bietet offensichtlich große Schwierigkeiten, die nur durch wirtschaftliche Erfahrung und beständiges Studium der Ereignisse überwunden werden können. Es ist wenig wahr- scheinlich, daß das Problem durch irgendwelche bestimmte Mittel gelöst werden kann, sondern der Erfolg wird wahrscheinlich nur auf verschiedenen Wegen zu erreichen sein. Das ist Aufgabe des Transferkomitees. Es muß dabei von allen Regierungen und von den geschäftlichen Verbänden der Welt unterstützt werden. Die Internationale Handelskammer verpflichtet sich zu solcher Mit- wirkung.‘ Auch der Generalagent Gilbert hat vor der Konferenz in Brüssel über die Transferfrage gesprochen. Nach seiner Ansicht ist die Zeit noch nicht reif, sich auf bestimmte Theorien festzulegen. Es würde töricht sein, wenn irgend jemand jetzt versuchen wollte, vorauszusagen, welcher Betrag einmal nach drei oder vier Jahren an die Reparationsgläubiger überwiesen werden kann. Natürlich müsse man sich klar darüber sein, daß Schwierigkeiten entstehen können, aber das biete keinen Anlaß zur Mutlosigkeit oder zu 377 düsterer Voraussage, Es gelte vielmehr, durch verständige Zu- sammenarbeit die Schwierigkeiten zu überwinden, Es sei ein gutes Zeichen, daß die Welt die Art und den Umfang des Problems so zeitig erkenne, Den von Stamp und anderen vorgetragenen Schwierigkeiten hat Gilbert die Momente entgegengehalten, welche die Lösung des Problems wesentlich erleichtern können. In erster Linie glaubt er an die natürlichen Kräfte der wirt- schaftlichen Entwicklung. Sie würden, wenn man nicht zu viel künstliche Experimente damit mache, schon in den nächsten Jahren einen Erfolg bringen können, der alles übertrifft, was man zurzeit für möglich hält, Das zeige sich schon daran, was diese Kräfte seit Ende des Krieges für die Wiederherstellung der Welt getan haben, Ferner müßten die Sachlieferungen erst einmal voll erprobt werden. Bisher hätten sie sich nicht entwickeln können, weil sie in den Gläubigerstaaten aus Konkurrenzbedenken Widerstand fanden und besonders weil vor dem Dawesplan in allen Repa- rationssachen Unordnung und Stillstand herrschten, Gewisse An- zeichen für eine Ausbreitung der Sachleistungen seien schon vor- handen. Man müsse sich weiter auch auf die Kräfte verlassen, welche die Tätigkeit des Transferkomitees in Bewegung setze, das die weitesten Vollmachten für seine Arbeit habe. Dazu komme, daß der Dawesplan nicht starr, sondern elastisch sei, Er könne dem Wechsel der Verhältnisse angepaßt werden, da für die Auslegung seiner Vorschriften ein Schiedsgerichtsverfahren vorgesehen sei. Was nach Gilbert am meisten nottut, ist allgemeine Aufklärung der Welt über die Eigenart des Reparationsproblems. Darin sieht er den Hauptwert der Mitarbeit der Internationalen Handels- kammer. Er fordert aber als materielle Unterlage eine zuver- lässige Statistik über die Wirtschaftslage und rechtzeitige und vollständige Angaben über den Haushalt, mit denen zum Beispiel Deutschland noch stark im Rückstande sei. Das gespannte Interesse, dem das Transferproblem in der ganzen Welt begegnet, gilt nicht der Reparation allein, Es richtet 378: sich in den alliierten Ländern, die untereinander und vor allem an die Vereinigten Staaten verschuldet sind, mit mindestens der gleichen Stärke auf die Behandlung der interalliierten Schulden. Denn im Grunde steht es mit ihnen ebenso wie mit der Reparation, Ihre Zahlung ist ebenfalls nur insoweit möglich, als das Schuldner- land den Ueberschuß seiner Produktion an den Gläubigerstaat ab- führen kann. Da nun alle diese Länder Reparationsforderungen an Deutschland besitzen, schließlich aber alle interalliierten Schulden bei den Vereinigten Staaten als dem großen Gläubiger der ganzen Welt zusammenlaufen, so wird die Transferfrage dazu benutzt, Reparation und interalliierte Schulden miteinander zu verquicken, Der Zweck ist durchsichtig: Das Schicksal der Forderungen an die Alliierten soll von der Zahlung der Reparation abhängig gemacht werden. Die Vereinigten Staaten — auf sie kommt es vor allem an — sollen nur in dem Maße von ihren alliierten Schuldnern bezahlt werden, wie diese wiederum Zahlungen unter dem Dawesplan er- halten, Oder aber — das ist noch einfacher — die Schulden und die Reparation werden so weit wie möglich gegeneinander aus- geglichen, und die Vereinigten Staaten werden an Stelle der Alliierten direkt der Hauptgläubiger Deutschlands aus der Reparation, Das ist schon seit mehreren Jahren, seitdem es alliierte Repa- rationspläne gibt, der Standpunkt vor allem von Frankreich und Italien gewesen. Die Vereinigten Staaten haben sich aus nahe- liegenden Gründen entschieden geweigert, darauf einzugehen. Auch heute noch lehnt die öffentliche Meinung in Amerika diesen Gedankengang ab. Aber wenn man auch der Meinung ist, daß die interalliierten Schulden unabhängig von der Reparation geregelt werden können, so haben doch unstreitig die wirtschaftlichen Grundsätze, welche der Dawesplan für die Reparation ausspricht, dieselbe Geltung für die Begleichung der interalliierten Schulden. Ein bekannter französischer Journalist hat dies witzig so aus- gedrückt, daß der Transfer — ein neu entdeckter Bazillus im Körper Deutschlands — auch im Organismus der alliierten Länder zu finden sein müsse, wenn sie ihre Schulden aus dem Kriege 379 bezahlen wollten. Auch hier müsse das Prinzip der Zahlung im eigenen Lande und in der eigenen Währung gelten. In dem schon erwähnten Bericht von Stamp, Pirelli und Chalendar wird gesagt, bei einer allgemeinen Schuldenregelung zwischen den Staaten werde es so kommen, daß alle Zahlungen von Deutschland an die Alliierten dazu dienen, die Schulden dieser Alliierten an andere Alliierte oder an die Vereinigten Staaten zu begleichen. Da die Vereinigten Staaten letzten Endes die Gläubiger aller alliierten Staaten seien, so bildeten letztere nur Durchgangsstellen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten. Die Reparation könne daher in der Hauptsache direkt von Deutschland nach Ameriba gezahlt werden, und damit werde das T ransierproblem zu einer deutsch-amerikanischen Angelegenheit. Die Resolution des Brüsseler Kongresses spricht sich auch zu diesem Punkte vorsichtiger und allgemeiner aus: „Die grundlegenden Erwägungen, die sich auf das Transfer- problem beziehen, gelten mit gleicher Kraft auch in Anwendung auf die interalliierten Schulden. Versuche, übermäßige Beträge zur Tilgung von Schulden zu transferieren, müssen notwendig den Haushalt und die Währung des Schuldnerlandes antasten und seine finanziellen Verhältnisse stören. Gegen solche Schwierig- keiten ist besondere Vorkehr zu treffen. Die inneren und äußeren wirtschaftlichen Verhältnisse der betroffenen Länder sind ge- bührend zu beachten.” 380 DREIUNDDREISSIGSTES KAPITEL EIN WEG ZUR LÖSUNG Der Streit der Ansichten über die Möglichkeiten des Transfer wird noch lange Zeit weitergehen. Den zahlreichen Stimmen im Ausland und im Inland, die da sagen, Deutschland werde seiner- zeit die volle Annuität von 2% Milliarden Goldmark an seine Gläubiger überweisen können, werden auch fernerhin viele ernste Vertreter der Wissenschaft und der Praxis mit guten Gründen entgegnen, daß dies ganz unmöglich sei. Die Tagung der Internationalen Handelskammer in Brüssel hat uns in der Erkenntnis der praktischen Möglichkeiten für den Transfer nicht viel weiter gebracht. Das Wort des Dawesplanes, daß in dieser Frage nur die Erfahrung Lehrmeister sein kann, wird seine Wahrheit behalten. Es hat keinen Zweck, von vorn- herein ein bestimmtes System aufzubauen, in das man die Mög- lichkeiten des Transfer einordnet. Daß die Internationale Handels- kammer die Transferfrage ebenfalls in diesem Sinne weiter be- handeln will, ist zu begrüßen. Ihre Arbeiten werden jetzt noch mehr Nutzen bringen können, weil Deutschland letzthin der Handelskammer beigetreten ist und nunmehr auch deutsche Ver- treter in dem Komitee für den wirtschaftlichen Wiederaufbau mit- wirken können, Denn die Transferfrage ist für Deutschland genau so lebenswichtig wie für die Alliierten, und eine verständnisvolle deutsche Mitarbeit ist bei jedem Mittel nötig, das in bezug auf den Transfer Erfolg versprechen soll. Diese Tätigkeit der internationalen Wirtschaftskreise muß im engsten Anschluß an das Transferkomitee vor sich gehen. Ihm 381 steht nach dem Gesetz die Verantwortung und die Initiative zu. Es kann ja auch bei seiner täglichen Beschäftigung mit der Reparationsfrage die meisten praktischen Erfahrungen sammeln und verwerten, Wenn es hiernach heute noch nicht möglich ist und in der nächsten Zeit ebensowenig möglich sein wird, ein Urteil darüber abzugeben, wie der Transfer sich gestalten wird und welche Be- träge man für die Reparation aus Deutschland herausziehen kann, so gibt uns doch die gründliche wissenschaftliche Vorarbeit, die Stamp und andere geleistet haben, wertvolle Anhaltspunkte. Wir können heute schon zu den einzelnen Methoden, die in Brüssel für die Hebung der deutschen Ausfuhr genannt worden sind, folgendes sagen: Mit künstlichen Mitteln, etwa durch das systematische Auf- spüren von neuen Äbsatzgebieten für deutsche Ware und deutsche Arbeit, ist die deutsche Ausfuhr nicht wesentlich zu heben. Die Industrie eines Landes und der Welthandel lassen sich nicht in bestimmte Bahnen leiten, auch wenn noch so viel kluge und er- fahrene Leute für diesen Zweck zusammenarbeiten. Das gilt in erster Reihe von der Methode der Assisted Schemes. Es besteht aber auch keine große Aussicht dafür, daß die deutsche Ausfuhr sich auf natürliche Weise jemals so weit ent- falten wird, um Ueberschüsse zu liefern, die auch nur annähernd der Annuität von 2% Milliarden gleichkämen. Die Welt ist beim normalen Verlauf der Dinge nur in beschränktem Maße und inner- halb bestimmter Zahlengrenzen zur Aufnahme von deutschen Waren fähig. Länder, die bisher ein großes Absatzgebiet für die deutsche Industrie waren, machen sich, je länger je mehr, durch eigene Produktion selbständig. Der Wettbewerb zwischen den großen Ausfuhrländern wird immer stärker. Trotz aller wohl- gemeinten Warnungen der Wirtschafter werden sich die Gläubiger- länder nicht davon abhalten lassen, ihre Industrien durch Zoll- tarife und Sperrmaßnahmen gegen Unterbietung von außen zu schützen, Auffallend ist, daß bei den neueren Untersuchungen über den Transfer meist nur davon gesprochen wird, wie die deutsche Aus- 382 fuhr gehoben werden kann, um einen Ueberschuß der Produktion zu schaffen. Es wird nicht genügend betont, daß ein Ueberschuß auch durch Beschränkung der Einfuhr zu erzielen ist. In dem wiederholt erwähnten Gutachten über die deutsche Wirtschaftslage, das die deutschen Sachverständigen für die Londoner Konferenz vom März 1921 erstattet hatten, war schon darauf hingewiesen, daß durch Ersparnisse in der deutschen Ein- fuhr die Handelsbilanz erheblich gebessert werden könne, Natür- lich ist richtig, daß Deutschland die Einfuhr wichtiger Rohstoffe im bisherigen Ausmaß und vielleicht noch darüber hinaus nicht entbehren kann. Wohl aber wäre es denkbar, die Einfuhr von Lebensmitteln durch die Hebung der eigenen landwirtschaftlichen Produktion wesentlich zu beschränken, Noch sind weite Moor- strecken in Deutschland fruchtbar zu machen, die heute völlig brach liegen. Der Landbau kann noch viel intensiver und ertrag- reicher betrieben werden. Für die Einführung arbeitsparender Maschinen und für den Ersatz von Zugtieren durch Motoren bietet die deutsche Landwirtschaft noch ein weites Feld, Stick- stoff, das wichtigste Düngemittel, wird in Deutschland schon jetzt in solchen Mengen künstlich erzeugt, daß er den eigenen Bedarf des Landes deckt und in steigendem Maße die Ausfuhr gestattet. Das Ziel, Deutschland in bezug auf die Ernährung von der Ein- fuhr unabhängig zu machen, ist nicht unerreichbar, abgesehen vielleicht von der Versorgung mit Fleisch. Jedenfalls wäre es wohl möglich, auf diese Weise eine Besserung der deutschen Handels- bilanz um mehrere hundert Millionen Goldmark herbeizuführen. Auf den Aufschwung der Sachleistungen wird man keine großen Hoffnungen für den Transfer setzen dürfen. Wir haben schon mehrfach über die Gründe gesprochen, welche die Sachleistungen bisher in verhältnismäßig engen Grenzen gehalten haben. Diese Hemmungen liegen in der Natur der Sache und sind nicht zu be- seitigen, Die Lieferung von Kohlen an die Alliierten ist von dem Höchst- punkt von 2 Millionen Tonnen monatlich, den sie im Jahre 1920 erreichte, ständig gefallen. Sie betrug im Sommer 1925 im Monats- durchschnitt nur wenig mehr als 1 Million Tonnen. In einem ge- 383 wissen Umfange — Koks nach Frankreich und Kohle nach Italien — werden diese Reparationslieferungen noch eine Zeitlang be- stehen bleiben, aber sie werden sicherlich nicht mehr wachsen. Die F arbenlieferungen, zu denen Deutschland verpflichtet ist, nehmen am 15. August 1928 ein Ende. Künstliche Düngemittel werden auf Reparationskonto nur so lange geliefert werden als Deutschland in ihrer Herstellung einen Vorsprung hat. Der Wiederaufbau der Ländern wehren werden. Gegen diese inneren Widerstände hilft keine noch so lose Form des Verfahrens bei Sachleistungen, Der freie Handelsver- auf Reparationskonto durch deutsche Unternehmer wird in den alliierten Ländern immer wieder auf Schwierigkeiten der gleichen Art stoßen, In einzelnen F ällen werden solche Arbeiten zustande- kommen. Großartige Pläne aber, wie sie seinerzeit der franzö- sische Arbeitsminister Le Trocquer für Wasserbauten in Frank- reich auf Reparationsrechnung entworfen hat, werden sich wohl nie verwirklichen lassen. Nach alledem scheint es in der Tat, daß weder die Ausfuhr von deutschen Waren noch die Verwendung deutscher Arbeit im Auslande sich jemals so steigern lassen wird, daß die ständige Uebertragung der gesamten deutschen J ahreszahlungen unter dem Dawesplan an die Gläubigerländer damit gewährleistet werden allgemeinere Anwendung der Einfuhrabgabe auf die deutschen Waren (Reparation Recovery Act) dazu dienen werde, sehr viel 384 größere Transfermöglichkeiten als jetzt zu eröffnen, Denn diese Abgabe beeinträchtigt ihrer Natur nach die deutsche Ausfuhr, auch wenn sie in noch so leichten F ormen erhoben wird, Deshalb kann sie zwar den einzelnen Gläubigerstaaten im Augenblick als direkter Zugriff auf die deutsche Ausfuhr willkommen sein, sie wird sich aber auf die Dauer als reparationsfeindlich erweisen, weil sie der Hebung der deutschen Produktion hindernd im Wege steht. Als letzter Weg für die Durchführung des Transfer war der Konferenz in Brüssel der Verkauf von deutschen Schuldver- ganz anderer Art als alle die Mittel, von denen wir bisher ge- sprochen haben, Ihre Anwendbarkeit und ihr Erfolg hängen nicht unmittelbar von der deutschen Produktion an Waren und Leistungen ab, sondern gründen sich auf den deutschen Kredit und auf das Maß des Vertrauens, das man im Ausland und im Inland auf den allgemeinen Fortschritt der deutschen Wirt- schaft setzt, Das ist der altgewohnte Weg der Anleihe, Er eignet sich seinem Wesen nach weniger dazu, die jährlich wiederkehrenden Reparationsleistungen Deutschlands unter dem Dawesplan in das Ausland zu überweisen, sondern ist recht eigentlich dazu be- stimmt, das Kapital der Reparationsschuld selbst in großen Posten durch Zahlung des Anleiheerlöses an die Reparationsgläubiger zu tilgen. Der Zweck dabei ist, die politische Schuld Deutschlands an die Siegerstaaten in eine Schuld an private Gläubiger umzu- wandeln, um die Reparation schnell durchzuführen. Es gilt also, das anlagesuchende Kapital des Auslandes und den deutschen Besitz an Guthaben in fremder Währung für deutsche Reparations- anleihen zu interessieren, Der Erfolg wird um so größer sein, je mehr das allgemeine Vertrauen in die Sicherheit der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse Deutschlands zunimmt, Dieses Ziel hat schon den Verfassern des Vertrages von Versailles vorgeschwebt; es findet sich wieder in dem Londoner Ultimatum vom 5, Mai 1921, und es bildet das Rückgrat eines jeden deutschen Angebots für die Reparation. Nach allen diesen Bergmann, Der Weg der Reparation 25 385 Plänen sollte die deutsche Schuld im Wege der Aufnahme von Anleihen abgetragen werden, Auch der Dawesplan hat sich die Anleihe-Idee zu eigen ge- macht, aber nur für einen Teil der Reparationsschuld, nämlich nur insoweit, als sie auf der Reichsbahn und auf der deutschen Industrie lastet. Weiter zu gehen und für die gesamte Reparations- schuld die Ausgabe von Anleihen vorzusehen, war dem Dawes- plan nicht möglich. Er hätte dann ja die Höhe der gesamten Reparationsschuld festsetzen müssen, was, wie wir wissen, nicht seine Aufgabe sein durfte, Er hat sich notgedrungen darauf be- schränken müssen, das Endziel der Reparation, die Gesamt- anleihe, sozusagen verhüllt und verschämt anzudeuten. Die Jahresleistungen können aber erst dann in eine Kapitalschuld umgewandelt werden, wenn sich die Alliierten dazu entschlossen haben, die seit dem Londoner Zahlungsplan vom 5. Mai 1921 noch immer unveränderte Reparationsschuld endgültig mit einem ver- nünftigen Gesamtbetrage festzusetzen. Dazu muß es im Interesse der beiden Seiten über kurz oder lang kommen, Die Alliierten wollen ja doch die Reparation, das heißt den Ersatz ihrer Kriegs- schäden, Je früher sie den Ersatz bekommen, um so besser für ihre Finanzen und für ihre Wirtschaft. Von den deutschen Jahres- leistungen unter dem Dawesplan haben sie verhältnismäßig wenig. Sie sind zwar für Deutschland eine gewaltige Last, aber für die einzelnen Alliierten in ihren finanziellen Nöten nur Tropfen auf einen heißen Stein. Sie können den Schaden nur sehr langsam wieder gutmachen. Der Dawesplan hat sie als einen Notbehelf ein- geführt, um für eine gewisse Uebergangszeit geordnete Verhältnisse in der Welt wiederherzustellen. Aber schließlich hat die Reparation nur dann einen Zweck, wenn sie in absehbarer Zeit geschieht so- lange die Schäden und die Folgen der Schäden noch bestehen. Diese verschwinden von Jahr zu Jahr immer mehr. Die Reparation wird widersinnig, wenn sie in der Hauptsache erst zu einer Zeit erfolgt, wo keine Schäden mehr zu ersetzen sind. Die Zahlungen Deutschlands an die Alliierten verlieren auch rein rechnerisch von Jahr zu Jahr mehr an Wert. Was zum Beispiel nach dreißig Jahren gezahlt wird, stellt heute nur einen geringen Bruchteil des 386 Betrages dar, über den die Leistung lautet. Alles drängt im Interesse der Alliierten dahin, die Zeit der Reparationszahlungen Deutschlands möglichst kurz zu bemessen und die ständigen Jahresleistungen in eine feste, durch Anleihe zu tilgende Kapital- schuld zu verwandeln, Für Deutschland liegen die Dinge, wenn möglich, noch klarer, Es kann zu normalen wirtschaftlichen Verhältnissen erst dann kommen, wenn es genau weiß, was es im ganzen zu zahlen hat und wie lange es daran abzahlen muß. Erst wenn das deutsche Volk das weiß und überzeugt ist, daß die verlangte Leistung seine Zahlungsfähigkeit nicht übersteigt, wird es alle seine Kräfte an- spannen, sich der Reparationsschuld so schnell wie möglich zu entledigen und seine volle Selbständigkeit wieder zu gewinnen, Alles das klingt selbstverständlich und ist schon oft gesagt worden, kann aber nicht eindringlich genug wiederholt werden. Weshalb diese einfachen Gedanken bisher noch nicht in die Tat umgesetzt worden sind, wissen wir, Während der ganzen Dauer der Repa- rationsverhandlungen bis zur Annahme des Dawesplans haben stets politische Beweggründe die wirtschaftliche Einsicht über- schattet, Die Leiter der alliierten Mächte, die bei Ende des Welt- krieges ihren Völkern zunächst den Ersatz der gesamten unge- heuren Kriegskosten durch Deutschland versprochen hatten, haben sich bis zuletzt gescheut, durch entschlossenes Anpassen an die Wirklichkeit die von ihnen so lange genährten Illusionen über die deutsche Zahlungskraft zu zerstören, Wenn die Welt erst einmal so weit sein wird, die Reparations- frage nicht mehr politisch, sondern rein wirtschaftlich zu be- trachten, werden sich die Alliierten dazu entschließen müssen, die Reparationsschuld so festsetzen zu lassen, daß Deutschland in der Lage ist, den Gesamtbetrag im Wege der Anleihe zu mobili- sieren und regelmäßig Zinsen und Tilgung auf diese Anleihen in das Ausland zu zahlen. Die Reparationsschuld darf aber auch nicht höher bemessen werden als der Betrag an Anleihe, den das Kapital des Auslandes und Inlandes bereit ist in deutschen An- leihen anzulegen. Denn Anleihen, die keinen Käufer finden, nützen 25% = 387 den Alliierten nichts. Sie können immer nur ein politisches Aus- hängeschild ohne jeden wirtschaftlichen Zweck sein. Mit diesen Grundsätzen würden wir zu folgendem Ergebnis kommen: Die Reparationsschuld darf nicht größer sein als der Gesamt- betrag der Anleihen, die Deutschland in einem bestimmten Zeit- raum — etwa in zehn Jahren — zu angemessenen Bedingungen auf den Kapitalmärkten der Welt unterbringen kann. Den richtigen Maßstab dafür wird wiederum der Jahresbetrag geben, den nach dem Urteil des anlagesuchenden Kapitals Deutschland in das Ausland zu zahlen vermag. Die Möglichkeiten des Transfer sind heute noch ein voll- kommenes Rätsel, Aber die Erfahrungen der nächsten zwei Jahre werden uns viel lehren. Dann wird es an der Zeit sein, der Unge- wißheit über die Reparationsschuld durch einen Schiedsspruch ein Ende zu machen, Der Schiedsspruch müßte vom Transferkomitee des Dawesplanes ausgehen. Er müßte auf Grund der Erfahrungen mit dem Transfer ein für allemal den Höchstbetrag der Reparation festsetzen, den Deutschland im Wege der Anleihe binnen zehn Jahren abzutragen hat. Die Höhe und der Zeitpunkt einer jeden einzelnen Reparationsanleihe würden gleichfalls vom Transier- komitee je nach der Lage des Anleihemarktes zu bestimmen sein. Die Bedingungen der Anleihen wären jeweils zwischen Deutsch- land und dem Uebernahmekonsortium unter Aufsicht des Transter- komitees zu vereinbaren. Der Betrag der Höchstschuld, der innerhalb der Frist von zehn Jahren nicht durch Anleihe begeben werden kann, müßte ver- fallen, so daß nach Ablauf der zehn Jahre die deutsche Repa- rationsschuld unter allen Umständen als vollständig getilgt zu gelten haben würde. Eine derartige Lösung bietet mancherlei Vorteile. Sie beseitigt nach dreijähriger Durchführung des Dawesplanes in seiner jetzigen Gestalt den heutigen Schwebezustand, bei dem niemand weiß, wie groß die deutsche Schuld ist und wann sie getilgt sein wird. Da sie einen Höchstbetrag festsetzt, den Deutschland nach dem Urteil von Sachverständigen voraussichtlich ins Ausland zahlen 388 kann, wird für die Wiederkehr sicherer und normaler Zustände in der Welt der Boden geebnet. Deutschland gewinnt endlich eine genaue Uebersicht über seine Wirtschaft und seinen Haushalt. Die Reparationsgläubiger erhalten anstatt jährlicher Zahlungen in Reichsmark, mit deren Abführung ins eigene Land sie nicht bestimmt rechnen können, einen gesicherten Anspruch auf Be- friedigung aus dem Erlöse großer deutscher Anleihen, deren Aus- gabe sich nach der jeweiligen Lage der Anlagemärkte richtet. Das maßgebende Urteil darüber, wieviel von dem Höchstbetrag der Reparationsanleihen ausgegeben werden kann, behalten die Gläubigerstaaten dem Transferkomitee, das heißt sich selber vor. Diese Lösung würde endgültig, aber immer noch elastisch sein. Es darf auch keine starre Lösung geben. Denn niemand kann selbst nach einigen Jahren bestimmt vorhersagen, welchen Gesamtbetrag an deutschen Anleihen der Weltmarkt aufnehmen wird. Und ebensowenig ist die Frage zu beantworten, welche Zahlungen des Schuldners die Wirtschaft des Gläubigerlandes vertragen kann, ohne selbst ernstlichen Schaden zu nehmen. Man darf diese letztere Erwägung nicht mit einer billigen Phrase oder mit einem Achselzucken abtun. Zahlungen von Land zu Land, die viele Milliarden erreichen sollen, sind nicht mit gewöhnlichen Ge- schäften zu vergleichen, wo es niemandem schadet, wenn er seine Forderungen einkassiert. Gewiß wird das Gläubigerland sich der großen Zahlungen des Schuldners eine Weile erfreuen. Es kann mit ihrer Hilfe die Lage seines Haushalts bessern und seine Steuern ermäßigen. Aber auch das hat schließlich seine Grenze, Sie liegt da, wo es keinen Sinn mehr hat, die Steuern weiter herab- zusetzen, und wo der beständige Zustrom von Gold und Gold- werten zu einer allgemeinen Teuerung der gesamten Lebens- bedingungen im Lande führt. Damit entsteht die Gefahr, daß die Anspannung der eigenen Wirtschaft des Gläubigerlandes im Wettbewerb auf den Gütermärkten der Welt nachläßt und daß seine Tüchtigkeit hinter der des Schuldnerlandes zurückbleibt, das darauf angewiesen ist, alle Kräfte zu üben und frisch zu er- halten, um die Schuld abzuzahlen, Alle diese wirtschaftlichen und moralischen Momente werden 389 sich in der Zukunft auswirken, Sie können dahin führen, daß die Gläubigerstaaten ein wesentliches Interesse daran haben, ihre An- sprüche aus der Reparation nicht bis zum letzten auszunutzen. Das eben Gesagte gilt in gleicher Weise für die Zahlung der interalliierten Schulden. Nach und nach werden die alliierten Länder untereinander und jedes für sich mit den Vereinigten Staaten von Amerika nach dem Vorbild der bereits geschlossenen Verträge Einzelabkommen treffen, welche dazu bestimmt sind, die durch den Weltkrieg hervorgerufenen Schuldverhältnisse zwischen den verschiedenen Ländern zu regeln. Die wirtschaft- lichen Wirkungen dieser Abkommen sind heute nicht zu über- sehen. Ob sie in der ursprünglichen Form durchzuführen sein werden, ist fraglich. Vielleicht endet doch einmal alles in einem allgemeinen Ausgleich der Reparation mit den Schulden der Alliierten, so daß in der Hauptsache Amerika als Gläubiger und Deutschland als Schuldner übrig bleibt. Gerade im Hinblick auf solche unabsehbare Möglichkeiten müssen bei der endgültigen Festsetzung der Reparationsschuld alle Türen offen stehen. Unter den Dawesplan fallen bekanntlich auch die Reparations- ansprüche der Vereinigten Staaten von Amerika an Deutschland aus dem besonderen Friedensvertrag vom 25. August 1921, Sie werden daher, wenn die Gesamtschuld durch Anleihe beglichen werden soll, gleichfalls im Anleihewege abzutragen sein. Da sie im Gegensatz zu den Forderungen der anderen Alliierten durch den Spruch des Gemischten Schiedsgerichts in Washington demnächst fest bestimmt werden und nur einen mäßigen Betrag erreichen, voraussichtlich nicht über 200 Millionen Dollar, wäre es sehr wünschenswert, daß die Anleihe hierfür — das Einverständnis der übrigen Gläubigerländer vorausgesetzt — bald begeben würde, ohne die endgültige Festsetzung der gesamten Reparationsschuld abzuwarten. Im Hinblick auf diese Lösung sollte sich der Kongreß der Vereinigten Staaten von Amerika alsbald dazu entschließen, das in den Vereinigten Staaten beschlagnahmte deutsche Eigentum sofort und bedingungslos freizugeben. Für die deutsche Wirtschaft mit ihrem heutigen Kapitalmangel bedeutet die Freigabe sehr viel, Amerika hat an der weiteren 390 Fesselung des deutschen Eigentums kein anderes Interesse, als daß es damit eine zusätzliche Sicherheit für die Befriedigung seiner Reparationsansprüche besitzt, obschon die im Dawesplan vorgesehenen Sicherheiten auch für Amerika ebenso wie für die anderen Gläubiger genügend sein sollten, An der Uebernahme der Reparationsanleihen wird sich Deutsch- land bei wachsendem Wohlstand selber immer mehr beteiligen. Es hat das größte Interesse daran, einen Teil der Anleihen im eigenen Lande unterzubringen und aus einer äußeren in eine innere Schuld zu verwandeln. Es kann dies natürlich nur in dem Maße tun, wie seiner Wirtschaft Guthaben im Auslande zur Verfügung stehen. Die Anlage solcher Guthaben in Reparationsanleihe erleichtert das Transferproblem und kommt auch der deutschen Wirtschaft zu- gute, weil Zinsen und Tilgung der Anleihe, die mit deutschen Mitteln gezeichnet wird, in Deutschland selber bleiben. Je mehr dies geschehen kann, um so schneller wird die deutsche Wirt- schaft zur völligen Gesundung zurückkehren. Was hier als endgültige Lösung der Reparationsfrage vorge- schlagen wird, deckt sich im wesentlichen mit früheren Angeboten Deutschlands an die Alliierten. Alle deutschen Vorschläge für die Reparation gründeten sich auf die Ausgabe von Anleihen zur Be- gleichung der Schuld. Auf der Londoner Konferenz vom März 1921 bot die deutsche Regierung 30 Milliarden Goldmark an, wovon 8 Milliarden sofort im Wege der Anleihe aufgebracht werden sollten. Das Angebot wurde als Verhöhnung des Versailler Ver- trages betrachtet; die Antwort darauf waren schwere Sanktionen wirtschaftlicher und militärischer Art. Vom Herbst 1922 ab ver- dichteten sich die deutschen Pläne für eine Gesamtlösung immer mehr zu dem Angebot von 30 Milliarden, die nach und nach durch Anleihen auf den Weltmärkten beschafft werden sollten. Ihre Ausgabe sollte nur durch die deutsche Zahlungskraft und durch die Aufnahmefähigkeit der Märkte für deutsche Werte bedingt sein, Diese Vorbehalte entsprechen im Wesen genau den Ein- schränkungen, die der Dawesplan durch seine Transfervorschriften für die deutschen Zahlungen vorgesehen hat. Der Weg zur endgültigen Lösung der Reparalionsfrage würde 391 demnach zu der Stellung zurückführen, die Deutschland lange vor der Besetzung der Ruhr eingenommen hat, und für die es so schwer hat büßen müssen. Das Ziel der Reparation wird wahrscheinlich in der Ver- schmelzung des Dawesplans mit den früheren deutschen Anleihe- angeboten bestehen. Für die Ausgabe der Reparationsanleihen werden die Sicherheiten, die der Dawesplan eingeführt hat, vor- treffliche Dienste leisten. Die erste Hypothek auf die Reichsbahn und auf die deutsche Industrie, die Zölle und die verpfändeten Steuern werden eine ausgezeichnete Garantie der Reparations- anleihe bilden, solange überhaupt noch besondere Sicherheiten für die Anleihen des Deutschen Reiches gefordert werden. Die äußerste Grenze für den Höchstbetrag der Reparations- schuld ist schon durch die Annuitäten des Dawesplanes gegeben. Man berechnet den heutigen Kapitalwert aller dieser Zahlungen auf 30 bis 40 Milliarden Goldmark, je nach der Höhe der Zinses- zinsen, die der Rechnung zugrunde liegen. In diesem Rahmen würde also nach dem Dawesplan die Kapitalschuld der Reparation liegen, vorausgesetzt, daß alle Annuitäten jeweils in voller Höhe an die Gläubiger überwiesen werden können, Bei der großen Un- sicherheit, die heute darüber besteht und die auch im Verlauf der Jahre nicht weichen wird, scheint es unerläßlich, in der end- gültigen Regelung, die wir uns nach etwa zwei weiteren Jahren denken, den Höchstbetrag der im Wege der Anleihe zu begeben- den Schuld erheblich niedriger als 30 Milliarden Mark zu setzen, wenn anders die Alliierten eine genügende Sicherheit dafür haben wollen, daß die Reparationsanleihen bis zur Höhe des Gesamt- betrages und ungefähr zu ihrem Nennwert begeben werden können. Ueberspannen sie ihre Gesamtforderung, so laufen sie Gefahr, daß schon die erste Anleihe nur schwer und mit Verlust unterzubringen ist. Ein Mißerfolg der ersten Anleihe aber würde das Ergebnis der folgenden Emissionen schwer beeinträchtigen. Der Dawesplan wird in seinen Grundzügen weiter bestehen und wirksam bleiben können, Nur werden die jährlichen Leistungen Deutschlands nach und nach ihren Charakter als direkte Zahlung an die Gläubigerstaaten verlieren, da sie in immer steigendem 392 Maße für den Dienst der einzelnen Anleihen Verwendung finden müssen, Grundsätzlich zu revidieren ist die Höhe der normalen Jahresleistung Deutschlands unter dem Dawesplan. Sie wird bei Feststellung der endgültigen Reparationsschuld nach dem Betrage zu bemessen sein, der für die Zinsen und die Tilgung der Gesamt- schuld erforderlich ist. Alle ziffernmäßigen F aktoren, die hierbei mitsprechen, sind heute unbekannt und erst durch die Erfahrung der nächsten Jahre zu ermitteln. Wie dies etwa geschehen kann, dafür gibt uns der Dawesplan einen Anhalt. Er hat die normale Jahresleistung der Reichsbahn für die Reparation auf660 Millionen, ihre Kapitalschuld auf 11 Milliarden Goldmark festgesetzt. Die Jahresleistung stellt 5 Prozent Zinsen und 1 Prozent jährliche Tilgung auf die Kapitalschuld dar, Diese Berechnung könnte ohne weiteres auf die Jahresleistung für die gesamte Reparationsschuld übertragen werden. Die so festgesetzte Annuität wäre nach den Bestimmungen des Dawesplanes weiter zu zahlen und zu ver- walten. Bei der Ausgabe einer jeden Reparationsanleihe würden für ihren Dienst 5 Prozent Zinsen und 1 Prozent Tilgung aus der Annuität entnommen werden. Solange die Kasse des Reparations- agenten nicht vollständig für den Anleihedienst in Anspruch ge- nommen wird, könnte sie noch Zahlungen für Besetzungskosten, Sachleistungen, Einfuhrabgaben (Reparation Recovery Act) usw. leisten. Aber alle diese Ausgaben werden sich im Laufe der Zeit von selbst verringern und schließlich ganz verschwinden, Sach- leistungen und Einfuhrabgaben haben für die Reparationsgläubiger nur so lange Wert, als diese auf jährliche Zahlungen angewiesen sind. Wenn erst der Erlös der Reparationsanleihen den Gläubiger- staaten zufließt, werden alle die Hilfsmittel entbehrlich, die heute noch dazu dienen müssen, die jährlichen Zahlungen Deutschlands in das Ausland zu überführen, Im klaren Lichte der wirtschaftlichen Erkenntnis, das seit dem Dawesplane den Weg der Reparation erhellt, zerrinnen die nebel- haften Gebilde, denen die vom Kriegstaumel noch befangene Welt so viele Jahre durch Leid und Not vergeblich nachgejagt ist. Der Sinn für die harte Wirklichkeit ist überall erstarkt, das Milliarden- fieber geschwunden, 393 Vom sicheren Horte des Dawesplanes aus erspähen wir nun im Dunste der Zukunft das langersehnte, schwer umkämpfte Ziel, Und siehe: es liegt auf dem Wege, den wir schon hinter uns haben, Viele des Weges Kundige wiesen es den Völkern, als sie in ihrer Verblendung daran vorübereilten. Aber ihre Rufe verhallten un- gehört in dem Getümmel, und die rasende Fahrt ging weiter durch Elend und Jammer. Jetzt endlich können wir, an Erfahrung reich, dem Ziele ruhigen und festen Schrittes zustreben. 394 BAKHREGELS:TER Abkommen: über den Waffenstillstand vom 11, 11. 1918 S, 18 Finanzabkommen von Trier vom 13. 12, 1918 S, 19 von Trier vom 16, 1. 1919 S, 19 über das Ausgleichsverfahren vom 10. 6. 1921 S. 186 Wiesbadener vom 6. und 7. 10, 1921 S, 51, 122 ff, 144 Cuntze’Bemelmans vom 28, 2, 1922 und 2, 6. 1922 S. 125 Gillet/Ruppel vom 15. 3, und 6., 9, Juni 1922 S, 126 D’Abernon, Lord, Englischer Botschafter in Berlin S. 70, 79, 91, 9 Acworth, Sir William, Englisches Mitglied des Verwaltungsrats der Deut- schen Reichsbahn-Gesellschaft S. 286, 317 Agent für Reparationszahlungen S, 299, 309, 310, 325, 326, 342, 343 Alberti, Mario, Italienisches Mitglied des zweiten Sachverständigenkomitees a Mo Alkoholabgabe S. 111, 239, 306 Allix, Edgar, Französisches Mitglied des ersten Sachverständigenkomitees 3.235, 317 D’Amelio, Italienisches Mitglied der Reparationskommission S, 70, 160, 168 Amerika, Friedensvertrag mit — vom 25. 8, 1921 S. 136, 295 Ammoniaklieferungen S. 26, 35, 45, 116, 327, 345 Anleihekomitee S. 165 ff., 182, 192 Assisted Schemes S. 374 ff,, 382 Aufbauvertretung Paris S. 117, 120 Ausfuhrabgabe S. 81, 85, 92, 93, 102#f., 111, 112, 121, 132, 148, 245 Ausgleichsverfahren S. 30, 32, 71, 131, 186, 208, 294, 356 Baldwin, Englischer. Premierminister S. 242, 271 Balfour, Lord, S. 188 Bank für Deutsche Industrieobligationen, S. 319, 334, 336 Bank von England, S. 132, 341 Bar le Duc, Rede Poincares in — S. 188 Barnich, Georg, Direktor des belgischen Solvay-Instituts S. 288 Barthou, Louis, Vorsitzender der Reparationskommission, S. 159, 192, 204, 236 Belgische Kriegsschulden, S. 99, 355 Belgische Markguthaben, S. 80 Belgische Nationalbank, S. 18 395 Belgische Priorität, S. 65, 142, 183, 356 Belgische Studien, S, 241, 242, 244, 250, 287 Bell, Henry, Englisches Mitglied des Transferkomitees, S. 343 Bemelmans, Belgisches Mitglied der Reparationskommission, S. 125, 183 Benzollieferungen, S, 26, 35, 45, 116, 125 Besatzungskosten, S. 24, 30, 32, 36, 52, 71, 79, 85, 99, 100, 142, 149, 153, 185, 208, 209, 228, 294, 297, 393 Besserungsschein, S. 57, 85, 86, 87, 98, 105, 291, 292 Bianchini, Treuhänder für Industrieobligationen, S. 317. . Bonar Law, Englischer Premierminister, S, 196, 200, 201, 212, 242 Boulogne, Plan von — S, 54, 73, 74 Boyden, Roland W., Amerikanischer Beobachter in der Reparationskom- mission, S. 40, 274 Bradbury, Lord, Englisches Mitglied der Reparationskommission, 5. 70, 166, 180, 182, 191, 196, 202, 204, 206, 316 | Brand, Teilhaber der Firma Lazard Brothers & Co., London, S. 194, 195 Branntweinsteuer, S. 86, 243 Brest-Litowsk, Friede von — S$, 161 Briand, Französischer Premier- und Außenminister, S. 80, 91, 93, 143, 147, 151 ‚Bruins (Holland), Kommissar für die Reichsbank, S. 343 Buecher, Dr., Präsidialmitglied des Reichsverbandes der Deutschen In- dustrie, S. 289, 317 Cannes, S. 145 ff,, 152, 156 Cassel, Gustav, Schwedischer Professor der Volkswirtschaft, S. 192, 195 Chalendar, Andre, Graf, S, 369, 377, 380 Cheysson, Französischer Sachverständiger für Reparationsfragen, S, 70. Clearing s. Ausgleichsverfahren Clemenceau, G., Französischer Ministerpräsident, S. 18, 20, 34, 38, 48 Coordinating Board, S. 310 Cuno, Dr., Reichskanzler, S. 199 ff,, 225, 229, 234, 239, 241, 254 Cuntze, Dr., Reichskommissar für Reparationslieferungen, S. 125 Curzon, Lord, Englischer Außenminister, S. 91, 237, 247, 249, 250 Davis, Norman, Amerikanischer Delegierter zur Konferenz von Versailles, Ss, 19 Dawes, Charles G., Vorsitzender des ersten Sachverständigenkomitees, S. 275, 369 Dawesplan, S, 43, 69, 84, 99, 100, 187, 269 ff, Devisenbeschaffungsstelle, S. 351 Delacroix, Leon, Belgischer Ministerpräsident a. D,, Belgischer 1. Dele- gierter der Reparationskommission, Treuhänder für die Eisenbahn- obligationen, S, 61, 70, 160, 168, 172, 183, 197, 236, 273, 316, 343 Dordogne, S. 127 | Doumer, Französischer Finanzminister, S. 80 Dubois, Leopold, Präsident des Schweizer Bankvereins, S. 194, 195, 197 Dubois, Louis, Vorsitzender der Reparationskommission, S. 55, 172, 178 Eisenbahn s, Reichsbahn Eisenbahnregie, französisch-belgische, S. 228, 285, 323, 327 396 Entwaffnung, S, 61, 79, 143 Essener Kohlenkommission, S. 63, 210 Farbstofflieferungen, S, 27, 97, 100, 115, 116, 121, 208, 327, 346, 360, 384 Federal Reserve Bank, New York. S. 130 Fehrenbach, Reichskanzler, S. 60, 61 Finanzabkommen von Trier vom 13, 12. 1918, S, 19 Finanzkonferenz von Brüssel vom 24. 9, — 8, 10. 1920, S. 66, 67 Finanzkonferenz von Paris 14, 1. 1925, S, 100 Fischer, David, Staatssekretär im Reichsfinanzministerium, S, 273 Flora, Federico, Italienisches Mitglied des ersten Sachverständigenkomitees, S. 275 Foch, Französischer Marschall, S, 56, 93, 210 a E,, Belgisches Mitglied des ersten Sachverständigenkomitees, 219 Friedenskonferenz, S, 22, 34 Garantiekomitee, S, 202,103, 111,:112..198 148, 149, 152, 154 165 177, 180 Gemischte Schiedsgerichte, S, 31, 33,.186,.:209%: 294 Generalrat der Reichsbank, S, 332 Genf, S. 65, 69, 74, 15,..82,: 83 Genua, S. 146, 156ff,, 199 Giannini, Italienischer Sachverständiger, S. 70 Gilbert S. Parker, Agent für Reparationszahlungen S. 325, 343, 377, 378 Gillet-Ruppel-Abkommen, S. 126 Golddiskontbank, S. 307, 308 Goldnotenbank, S. 281ff,, 297, 299, 301, 302, 307, 309, 317 Hachenburg, Professor, S. 132 Harding, Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, S. 98 Havenstein, Reichsbankpräsident, S. 70, 133, 232 Helfferich, Dr. Staatsminister a. D., S. 259, 261 Hermes, Dr., Reichsfinanzminister a, D., S. 159, 165 if,, 199, 229, 232, 234, 240, 259 ß Herriot, Französischer Ministerpräsident, S. 316, 321, 323 Hilferding, Reichsminister, S. 255, 257 Hitler, S. 255 v. Hoesch, Dr., Deutscher Botschafter in Paris, S. 275 Holzlieferungen, S. 117, 121, 180, 181, 203, 204, 219, 221 Horne, Sir Robert, Englischer Finanzminister, S, 146 Houghton, Alanson B., Amerikanischer Botschafter, S, 324 Houtart, Maurice, Belgisches Mitglied des ersten Sachverständigenkomitees, S. 275 Hue, Deutscher Bergarbeitervertreter und Abgeordneter, S. 62 Hughes, Amerikanischer Staatssekretär, S, 238. 239; 271,324 Hughes, Australischer Premierminister, S. 19 Index, Wohlstands-, S, 79, 292 ff, 311 Industriebank s. Bank für deutsche Industrieobligationen Industrieobligationen, S. 311, 318, 325 Interalliierte Schulden, S. 160, 188, 189, 196, 206 Änternationale Finanzkonferenz in Brüssel vom 24. 9,—8, 10, 1920, S. 66 397 Internationale Handelskammer, S, 369, 371, 374, 377, 378, 381 Internationale Oberschlesische Abstimmungskommission, S. 47 Internationaler Gerichtshof im Haag, S. 330 Jannacone, Pasquale, Italienisches Mitglied des Transferkomitees, S, 343 Janssen, Albert E, Belgisches Mitglied des zweiten Sachverständigen- komitees, Belgischer Finanzminister, S, 275, 343 Japan, S.:. 28, 41,61, 70.88 Jaspar, Belgischer Außenminister, S. 80, 197 Jenks, Professor, Amerika, S., 195 Jonnart, Präsident der Reparationskommission, S. 48 Kalilieferungen, S., 121 Kamenka, Präsident der Azow-Donbank, S. 195 Kapitalflucht, S. 167, 200, 275, 278, 281, 314, 315 Kapitalsteuer, S, 111 Kapp-Putsch, S, 48 Karlsruhe, Rede des Reichsministers Simons in —.S. 83, 90 Kellogg, Botschafter der Vereinigten Staaten in London, später Ameri- kanischer Staatssekretär des Aeußern, S, 320, 324, 353 Kent, Fred. J., Amerikanischer Bankpräsident, S. 369 Kerr, Philipp, Kabinettschef von Lloyd George, S. 91 Keynes, John Meynard, Professor, England, S. 130, 192, 195 Kindersley, Sir Robert, Inhaber der Firma Lazard Brothers, London, Eng- lisches Mitglied des ersten Sachverständigenkomitees, S. 168, 170, 172, 215, 317, 320 Klotz, Französischer Finanzminister, °S. 21 Kohlenlieferungen, S. 26, 35, 45ff., 59 ff, 67ff., 99, 100, 114, 116, 121, 143, 180, 181, 208, 210, 218, 219, 221, 223, 226, 327, 360, 383 Kohlenprotokoll vom 29, 8, 1919, S, 45 Kohlenprotokoll vom 16. 7. 1920, S. 63, Kohlensteuern, S. 111, 210, 227, 265 Kohlensyndikat, S. 47, 50, 210, 222 Kohlentransporte, S. 50 Kolonien, S. 28, 31, 59 Konferenzen: San Remo, 19, bis 26. April 1920, S. 52 Hythe, 15. Mai 1920 und 19, Juni 1920, S. 54 Boulogne, 20. Juni 1920, S. 54 Brüssel, 2. und 3. Juli 1920, S. 55 Spa, 5. Juli 1920, S.50 ff.. 225 Brüssel, Internationale Finanzkonferenz 24. September bis 8. Oktober 1920, S. 66, 67 Brüssel 16. Dezember 1920, S, 70, 120 des Obersten Rats in Paris 24, bis 29, Januar 1921, S, 79 London, 1. bis 7. März 1921, S.83, 88 if., 225 Paris, Interalliierte Finanzkonferenz, 13. August 1921, S. 142 Washington, Internationale Entwaffnungskonferenz, 12. Novem- ber 1921, S. 143 Cannes, 6.—13, Januar 1922, S. 146 ff. 398 Konferenzen: Paris, Alliierte Finanzministerkonferenz, 8, bis 11, März 1922 S. 153 Genua, 10. April 1922, S. 158 £f, London, 7. August 1922, S. 178 Paris, 2, bis 4. Januar 1923, S, 206 ff, London, 16. Juli bis 16. August 1924, S, 315 ff, Paris, Interalliierte Finanzkonferenz, 14, Januar 1925, S, 100 Kontrollkommission, militärische, S, 100, 155 Kriegslastenkommission, S, 40, 68 Kriegsschuldfrage, S,61, 83, 90, 92 Lansing, Amerikanischer Staatssekretär, S, 17 Laurent-Atthalin, Andre, Französisches Mitglied des zweiten Sachverstän- digenkomitees, S. 275 Lepreux, Belgischer Bankdirektor, S, 70 Leverve, Gaston (Frankreich), Kommissar für die Reichsbahn, S, 286, 317, 343 Leygues, Französischer Premierminister, S. 80 Lloyd George, Englischer Premierminister, S. 18 £f,, 32, 63, 65, 69, 80, 82, 87, 89, 91, 93, 134, 146, 147, 156, 158, 162, 178, 1°6, 225, 236 Logan, James A., Amerikanischer Beobachter in der Reparationskommission, S. 40, 274, 320, 322, 324 Londoner Zahlungsplan, S, 29, 95, 101 ff., 109, 111, 112, 116, 121, 123, 124, 132, 135, 136, 138 ff, 143, 144, 152, 153, 168, 170, 172, 206, 229, 294, 299 Loucheur, Französischer Minister, S.39, 40, 44, 45, 48, 80, 91, 92, 122, 146, 236 Lubersac, Marquis de, Präsident der französischen Genossenschaften für den Wiederaufbau, S. 126 Ludendorff, S, 255 Luebsen, Direktor des Kohlensyndikats, S, 47 Luther, Dr., Reichskanzler, S. 257, 282, 323, 341 Luxemburg, S.35, 46 Macdonald, Englischer Premierminister, S. 319, 323 Marx, Reichskanzler, S. 257, 323 Mauclere, Französisches Mitglied der Reparationskommission, S, 111, 180 Mayer, Dr., Deutscher Botschafter in Paris, S. 275 Mc. Fadyean, Sir Andrew, Kommissar für die verpfändeten Einnahmen, S. 343 Mc. Kenna, Reginald, Vorsitzender des zweiten Sachverständigen-Komitees, S. 275, 279, 282, 313, 369 Melchior, Dr. Carl, Teilhaber des Bankhauses M.M. Warburg, Hamburg, S. 57 Wer Dr. Hans, Oberregierungsrat, Deutsche Kriegslastenkommission, Paris, st3 „Micum” Mission Interalliee de Contröle des Usines et des Mines, S, 258, 264, 265, 267, 272, 285, 323, 326, 344 Millerand, Präsident der Französischen Republik, S. 48, 61, 62, 64, 192, 218 Morgan, J. P., Amerikanischer Bankier, S,. 139, 144, 168 ff., 172, 192, 197, 198, 284, 341 Mussolini, Italienischer Ministerpräsident, S, 197, 202, 211 Newhaven, S. 238 Nitti, Italienischer Ministerpräsident, S. 52 399 Nogara, Bernardino, Treuhänder für die Industrieobligationen, S, 343 Nordfranzösische Kohlengruben, S. 26, 35, 44 Oberschlesien, S.35, 47, 48, 69, 71, 79, 85, 112, 134 Oberschlesische Abstimmungskommission, S. 47 Oberster Rat der Alliierten, S.20, 21, 52, 56, 60, 62, 69, 79, 80#f., 101, 145 if,, 158 Organisationskomitee der Reparationskommission, S.40, 45 Pariser Beschlüsse vom 29, Januar 1921, S. 76, 80, 82, 84, 88, 90, 121 Pariser Finanzabkommen vom 14, Januar 1925, S. 353 Parmentier, J., Französisches Mitglied des ersten Sachverständigenkomitees, Mitglied des Transferkomitees, S. 275, 343 Perkins, Thomas N., (Boston), Amerikanisches Mitglied der Reparations- kommission für die Durchführung des Dawes-Planes, S. 342 Pharmazeutische Produkte, S. 27, 115 Phönix-Gruppe, S. 264 Pirelli, Alberto, Italienisches Mitglied des ersten Sachverständigenkomitees, S, 275, 289, 369, 377, 380 Poincare, Präsident der Reparationskommission, Französischer Minister- präsident, S.48, 49, 55, 56, 151, 155, 158, 159, 163, 170f£, 178 #f,, 186, 188, 189, 191, 192, 197 if,, 212, 218, 235 ff., 241, 243 ff,, 247, 249, 252, 255 ff., 271 ff, 277, 284, 285, 316 Privateigentum, beschlagnahmtes, S. 71, 75, 79, 85, 101 Produktive Pfänder, S. 176, 178, 277 Protokoll über Vorlieferungen von Kohle vom 29. August 1919, S. 45 Rapallo, Vertrag von — S. 158ff., 169, 170, 199 Rathenau, Dr. Walter, Reichsminister, S.109, 122, 124, 134, 135, 145 it. 149, 155, 156, 159, 162 ff,, 176, 182 Rechberg, Arnold, Deutscher Industrieller, S, 288 Reichsbahn, S.18, 28, 132, 150, 228, 234, 239, 242, 243, 262, 282, 285 ff., 309, 311, 312, 317, 319, 325, 327, 331,:337,:397,:396, 392,38 Reichsbank, S. 19, 97, 109, 111, 139, 150, 167, 168, 176, 183, 229 ff., 255, 258, 281, 308, 318, 319, 325, 331, 342, 363, 366 Reichskohlenkommissar, $. 223 Reichskommissar für den Wiederaufbau, S.44, 117 Reichsministerium für Wiederaufbau, S. 44, 109 Reichsverband: der Deutschen Industrie, S. 132 Reichswirtschaftsrat, S. 132 Rentenbank, S. 258 ff., 281, 308, 333 Reparation Recovery Act, S.93, 103, 111, 121, 133, 272, 301, 305, 326, 348, 349, 366, 384, 393 Restitution, S. 27, 128, 129 Rheinlandkommission, S, 185, 210, 227, 354 Robinson, Henry N., Amerikanisches Mitglied des zweiten Sachverständigen- Komitees, S. 275, 369 Rosen, Dr., Deutscher Außenminister, S. 155 Rosenberg, Dr. von, Deutscher Außenminister, S. 202 Rotterdam, S. 50 400 Ruhrbesetzung, S,35, 43, 61 ff., 67, 69, 90, 93, 94, 104, 105, 202, 203, 216 ff, 250, 252, 274, 324, 330 Ruppel, Ministerialdirektor, Deutsche Kriegslastenkommission, Paris, S. 95, 126 Rußland, S.28, 158, 161 fi. Saargruben, S. 27, 101 Sachlieferungen, S. 25, 44, 64, 68, 71, 79, 84, 86, 98, 111£,, 138, 142—146, 152, 153, 160, 181, 194, 201, 209, 210, 223, 226, 238, 272, 296, 297, 301, 304 if,, 320, 325 Sanktionen, S, 30, 33, 50, 61, 82, 89 bis 95, 97, 104, 148, 153, 172, 173, 175, 202, 203, 210, 222, 228, 321 Schacht, Dr. Hjalmar, Präsident der Reichsbank, S. 281 ff,, 307, 308, 317, 341 Schiffslieferungen, S. 22, 25, 79, 116 Schmidt, Reichswirtschaftsminister, S. 159 Schroeder, Dr., Staatssekretär im Reichsfinanzministerium, später Präsident der Preußischen Staatsbank, S, 70, 101, 181, 182 Sergent, Französischer Finanzsachverständiger, S, 168, 172 | Seydoux, Direktor der Handelsabteilung im französischen Auswärtigen Amt, S, 70, 75, 76, 78, 79, 120, 121, 125, 152, 161, 164, 178, 179, 200, 284, 316 Simons, Dr., Reichsminister des Auswärtigen, S, 61ff,, 79, 86 ff. Snowden, Englischer Schatzkanzler, S, 320 Sowjetrepublik, S. 161 Spa, Konferenz vom Juli 1920, S. 50, 52—65, 82 Stamp, Sir Josiah, Englisches Mitglied des ersten Sachverständigenkomitees, S, 275, 292, 369, 371 #., 377, 378, 380, 382 Sterret, Joseph E., Amerikanisches Mitglied des Transferkomitees, S. 343 Stickstofflieferungen, S. 121, 220 Stinnes, Hugo, Deutscher Industrieller, S. 62, 63, 78, 126, 278 Stresemann, Dr., Reichskanzler, Außenminister, Ss. 254.:255, 257,. 323 Stuttgart, Rede des Reichsministers Simons in — S. 83 Substitutionen, S. 128, 129 Sumner, Lord, Mitglied der Friedenskonferenz, S, 19 Tabaksteuer, S.86, 111, 239, 306 Teerlieferungen, S. 26, 116 Theunis, Belgischer erster Delegierter in der Reparationskommission, später Beigischer Premierminister, S. 70, 80, 197, 235, 236, 243, 244 Thomas, Englischer Minister, S. 320 Tilmond, Rene, Belgisches Mitglied des Transferkomitees, S. 343 Transferfrage, S.84, 299 #., 311, 320, 370, 377, 379, 381, 391 Transferkomitee, S. 301, 302, 305, 328, 348, 349, 363, 365, 368, 388, 389 Trendelenburg, Staatssekretär im Reichswirtschaftsministerium, S. 317 Trier: Finanzabkommen vom 13. Dezember 1918, 5.39 Abkommen vom 16. Januar 1919, S. 19 Trocquer, Le, Französischer Verkehrsminister, S. 218, 220, 384 Trustee, S. 309, 310 Truyere, S. 127 Umsatzsteuer, S. 111 Bergmann, Der Weg der Reparation 26 401 Verkehrssteuer, S, 287, 291, 292, 297 ££, Versailles: Reise der deutschen Delegation am 27, April 1919, S, 22 Vertrag vom 28, Juni 1919, 5:17; 39 Bestätigung des Vertrages durch Reichsgesetz vom 16, Juli 1919, S. 39 Inkrafttreten des Vertrages am 10, Januar 1920, S, 40 Viehlieferungen, S.59, 100, 116, 127, 129 Vissering, Präsident der Niederländischen Staatsbank, S, 168, 194, 195, 197 Vogt, Johannes, Staatssekretär, Direktor bei der Deutschen Reichsbahn- gesellschaft, S, 317 Völkerbund, S, 66, 218, 294, 299 Vorschüsse für Kohlenlieferungen, S.68, 99 Wadsworth-Vertrag vom 25. Mai 1923, S, 355 Waffenstillstand, Abkommen vom 11, November 1918, S,18, 36, 100 Wallenberg, Marcus, Schwedischer Bankier, S, 317, 344 Wasserbauten an der Rhöne, Truyere, Dordogne, S, 127 Wassermann, Oscar, Direktor der Deutschen Bank, S, 200 «Weinberg, Carl von, Deutscher Industrieller, S, 115 Wendel, de, Französischer Hüttenbesitzer, S, 218 Wiesbadener Abkommen vom 7, Oktober 1921, S, 31, 122 ff, 126, 144 Wilson, Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, S, 17, 20, 21, 40 Wilson-Programm, 47, 0 23 Wirth, Dr., Reichskanzler, S, 105, 109, 154 f£,, 159, 163, 176, 177, 199 Young, Owen D,, Amerikanisches Mitglied des ersten Sachverständigen- Komitees, S, 215, 291, 312 324, 325, 369 Zollkontrolle, S, 81, 154, 306 Zuckerrübensamen-Lieferungen, S. 45 Zuckersteuer, S, 86, 111, 306 Zwangsanleihe, S, 157 402 1918 5. November 11. November 11. Dezember 13. Dezember 25. Dezember 1919 16. Januar £; Februar Te „12. April ‚27. April 7, Mai 29, Mai 16, Juni 28. Juni SS EINNEHE 16, Juli 29, August 1. September 1920 10. Januar 8, Februar 31, März 19..April bis 26, April 26. April 15. Mai 19, Mai 29, Mai 26 REPARATIONSDASL. Note des Staatssekretärs Lansing S, i7 Abkommen über den Waffenstillstand S, 18, 30 Rede von Lloyd George in Bristol S, 19 Finanzabkommen von Trier S, 19 Luxemburger Protokoll S. 46 Abkommen von Trier S, 19 Tagung der alliierten Kommission für Schadenersatz in Paris S, 19 : Vorprojekt für finanzielle Bedingungen des französischen Finanzministers Klotz S, 21 Abreise der deutschen Delegation nach Versailles S, 22 Uebergabe der Friedensbedingungen S. 22 Deutsche Note an Clemenceau S, 34, 35 Mantelnote des Präsidenten Clemenceau S. 38 Vertrag von Versailles S. 17, 39 Bestätigung des Vertrages von Versailles durch Reichsgesetz S. 39 Zeichnung eines Protokolls über Kohlenlieferungen in Ver- sailles S,45, 46, 47 Beginn der deutschen Kohlenlieferungen S.45 Inkrafttreten des Vertrages von Versailles S, 40 Note von Millerand wegen Kohlenlieferungen S, 48 Besprechung wegen Kohlenlieferungen S, 48 Besprechung in San Remo S, 52 Einladung zur Konferenz in Spa S, 52 Zusammenkunft der alliierten Premierminister in Hythe S, 54 Poincare legt sein Amt als Präsident der Reparations- kommission nieder S, 55 Note der Reparationskommission wegen Lieferung ober- schlesischer Kohle an Polen S, 49 403 19, Juni Zweite Zusammenkunft der alliierten Premierminister in | „6. Oktober Hythe S, 54 | bis Wiesbadener Abkommen S.,51, 122 20. Juni Zusammenkunft der alliierten Premierminister in Boulogne | 7, Oktober | E54 | 12.November Internationale Entwaffnungskonferenz in Washington S, 143 30, Juni Mitteilung der Reparationskommission an die alliierten 29. Dezember Sitzung der Reparationskommission wegen des deutschen Regierungen, daß Deutschland seine Pflicht zur Kohlen- Stundungsantrages S. 134 lieferung verletzt habe S, 50 404 2. u. 3, Juli Zusammenkunft der alliierten Premierminister in Brüssel 1922 S:58 6, Januar | 5, Juli Konferenz in Spa S.54 | <a a Konferenz in Cannes S, 146 AU JOH Zeichnung eines Kohlenprotokolls in Spa S. 63 | ag u Te, Eck , dr 1. August Beginn der Kohlenlieferungen It, Protokoll von Spa S. 63 3. Januar na Sn SMMISSION,, IN, OSBHER UBER ENGER 24, September ; 28, Januar Note Deutschlands über ein Reformprogramm für den Haus- bis Internationale Finanzkonferenz in Brüssel S. 66 halt S. 149 8. Oktober a 27. Oktober Abkommen mit der Kriegslastenkommission über Kohlen- 6 ri Vorläufiges Abkommen Cuntze-Bemelmans S. 125 vorschüsse S, 68 2. 7 ku a =‘ t all 16, Dezember Sachverständigenkonferenz in Brüssel S. 70 11 _ USAMIENOR SUN Acer RIARLIBIN NN IE Er 22, Dezember A a der Brüsseler Konferenz auf den 10, Januar 1921 11. März Einigung der: Alliierten über das Wieshidener An. s 5,123 | 11. März Finanzabkommen der Alliierten S. 354 1921 15. März 24. Januar Konferenz des Obersten Rates in Paris S. 79 und | 29, Januar Pariser Beschlüsse S. 76, 80, 82, 88, 89, 370 6. Juni Gillet-Ruppel-Abkommen S, 126 "8, Februar Einladung zur Konferenz nach London S, 83 5 n T. März Beginn der Londoner Konferenz S. 88 ade i er 2M3,; Rede Lloyd Georges auf der Londoner Konferenz S.89, 252 21. März Antwort der Reparationskommission auf die deutsche Note ii vom 28, Januar 1922 setzt die deutschen Leistungen für 1922 5, März Begegnung im Hause von Lord Curzon S. 91 n ‘fest S. 153, 157, 166, 168, 185, 204 7. März Schluß der Londoner Konferenz S. 90 . | 2 31, März Genehmigung des Wiesbadener Abkommens durch die Re- 8. März Besetzung von Düsseldorf, Duisburg und Ruhrort S. 93 IE 6 24, Aprit- Reparationsangebot der deütschen Regierung an Amerika ee OR u. ‚Arm RAS 4, April Beschluß der Reparationskommission, ein Sachverständigen- S. 98 Se komitee für deutsche Anleihen im Ausland zu berufen 27. April Abschluß der Arbeiten der Reparationskommission zur Fest- S, 159, 170 setzung der Reparationsschuld 5. 99 7. April Deutsche Antwort auf die Note vom 21, März S, 157 29. April | „10, April Beginn der Konferenz von Genua S. 159 - eg Zusammenkunft des Obersten Rates in London S. 101 9, Mai Erklärung der deutschen Regierung wegen Aulsihaksen al S. 166 1,Mai Fälliskeitstermin für 20 Milliarden Goldmark S.24, 32, 44, 13. Mai Minister Herkies geht nach Part © 166 64, 80, 82, 99 2 24. Mai Zusammentritt des Anleihekomitees in Paris S. 168 3. Mai er nd gg Staaten, daß das deutsche An- 31. Mai Antwort der Reparationskommission auf die deutsche Note gebot abgelehnt sei >, vom 28, Mai S, 168 5.Mail Londoner Zahlungsplan S.29, 95, 101, 170, 172, 229, 291, 2. Juni Endgültiges Abkommen Cuntze-Bemelmans S, 125 294, 348, 385 10, Juni Bericht des Anleihekomitees S$, 173 | 10. Juni Abkommen über das Ausgleichsverfahren S. 186 14, Juni Note der Reparationskommission wegen Selbständigkeit der 28. Juni Note des Garantiekomitees S. 111 Reichsbank S, 168 13. August Konferenz der alliierten Finanzminister in Paris S. 142 12, Juli Ersuchen Deutschlands um Befreiung von Restzahlungen 25. August Friedensschluß mit Amerika S. 136, 295, 390 für 1922 S, 177 405 18, Juli 1. August 7. August bis 14, August 17. August 18. August 21. August „30. August wnkbie A, September 30, August 31, August 28, September 4, November 8, November 14. November 1. Dezember 9. Dezember 10, Dezember 26. Dezember 29. Dezember 1923 1. Januar bis 4, Januar 2. Januar 2. Januar 9, Januar 41. Januar Pe —— 12, Januar 13, Januar 406 Einigung mit dem Garantiekomitee S, 177 Note Balfours S, 188 Konferenz der alliierten Premierminister in London S. 178, 180 Die Alliierten kündigen das Clearingabkommen S, 186 Bradbury und Mauclere reisen nach Berlin S, 180 Rede Poincarös in Bar le Duc S. 188 |Stinnes-Lubersae-Abkonmen S, 126 Rede des Staatssekretärs Schroeder vor der Reparations- kommission in Paris S. 181 Beschluß der Reparationskommission über den Moratoriums- antrag S. 183 Denkschrift des Staatssekretärs Schroeder S, 101 Uebergabe eines deutschen Angebotes an die Reparations- kommission $. 193 Note zur Erläuterung des deutschen Angebotes vom 4, November 1922 und Gutachten von Sachverständigen S. 194 Note der deutschen Regierung betr, das Moratorium S$, 194, 195, 199, 200, 214 Sitzung in der Reparationskommission wegen Holzlieferungen S. 204 Uebergabe eines deutschen Angebotes an die alliierten Premierminister in London S$, 200 Bonar Law lehnt das deutsche Angebot vom 9, Dezember ab S. 201 Entscheidung der Reparationskommission wegen Holzliefe- rungen S. 204 Rede des amerikanischen Staatssekretärs Hughes in New- haven S. 238 Der deutsche Botschafter in Paris teilt der französischen Regierung mit, daß ein neuer deutscher Reparationsplan vorliegt S. 205 Besprechung der Premierminister in Paris S. 202, 206 Denkschrift der französischen Regierung betr. Kohlenliefe- rungen S. 220 Feststellung der schuldhaften Verfehlung Deutschlands in der Kohlenfrage S. 220 Französische und belgische Truppen rücken in das Ruhr- gebiet ein S. 221, 222, 223, 326 Note der deutschen Regierung wegen Ruhrbesetzung S. 222 Bekanntmachung der Einstellung von Sachleistungen an Frankreich und Belgien S. 223 ; 26. Januar Feststellung einer allgemeinen Verfehlung Deutschlands durch die Reparationskommission $. 228 14, März Zusammenkunft von Poincar& und Theunis in Brüssel betr, Ruhrbesetzung S. 235 13, April bis Zusammenkunft von Poincar& und Theunis in Paris S, 235 14, April 20, April Rede Lord Curzons im englischen Unterhaus wegen neuer Reparationsvorschläge und Garantien Deutschlands S, 237 2. Mai Note der deutschen Regierung mit einem neuen Angebot an die Alliierten S. 238, 243 6. Mai Antwortnote Frankreichs und Belgiens auf das deutsche An- gebot vom 2. Mai 1923 S, 240 13, Mai Antwortnote von England und Italien auf das deutsche An- gebot vom 2, Mai 1923 S. 241 25. Mai Wadsworth-Vertrag S, 355 7. Juni Deutsches Memorandum in Ergänzung der Note vom 2, Mai 1923 S. 242, 243, 244, 247, 252, 280, 288 9. Juni Uebergabe der belgischen Studien an die französische Regie- rung S, 242 10, Juni Note Poincare&s an England und Belgien betr, Aufgabe des deutschen Widerstandes S, 244 20, Juli Note Lord Curzons an Frankreich, Belgien, Italien und Japan S,247, 248 2. August Lord Curzon kündigt im Oberhause die Veröffentlichung des gesamten Notenwechsels zwischen den Alliierten in der Ruhrfrage an S. 250 11. August Einstellung der Sachleistungen an alle Alliierten S, 272 12. August_ Sturz der Regierung Cuno S. 254 20,September Aussprache zwischen Poincar& und Baldwin in Aix les Bains S. 271 26. September Aufgabe des passiven Widerstandes S, 255 “3,-Oktober Rücktritt des Kabinetts Stresemann S, 257 15. Oktober Verordnungen über die Errichtung der deutschen Renten- bank S. 258 24. Oktober Antrag der deutschen Regierung gemäß Art, 234 des Ver- sailler Vertrages S. 272, 273 30, Oktober Anregung der britischen Regierung, die wirtschaftliche Fähigkeit Deutschlands zur Reparation durch Sachverständige untersuchen zu lassen S, 271 he Schreiben des Reichskanzlers an die Vertreter der Schwer- industrie wegen Micumlasten S, 264 2. November 9. November Putsch in München S. 256 23.November Zeichnung des Micum-Abkommens S$, 265 30, November Die Reparationskommission beruft zwei Komitees von Sach- verständigen S. 273 1. November 407 # Ph Pe Pi 1924 14, Januar 21, Januar 25, Februar 19, März 9, April 16. April 17, April 24, April 25. April 11, Mai bis 16, August 5, August 9, August ‚46. Juli \ 16. August 29, August 29, August 1, September 9, September 1. Oktober 1, Oktober 10, Oktober 10, Oktober 11. Oktober 14, Oktober 28, Oktober 31. Oktober 408 Zusammentritt des ersten Komitees zur Untersuchung des deutschen Haushalts und der Währung in Paris S. 275 Zusammentritt des zweiten Komitees in Paris zur Uhnter- suchung der deutschen Kapitalilucht S. 275 Abkommen zwischen Deutschland und England über Herab- setzung der 26prozentigen Einfuhrabgabe auf 5 Prozent S. 348 Gesetz über Gründung der Golddiskontbank S. 308 Bericht der beiden Sachverständigen - Komitees an die Reparationskommission S. 276 Zustimmung der deutschen Regierung zum Sachverständigen- gutachten S, 315 Rundschreiben der Reparationskommission an die Alliierten betr. Annahme des Sachverständigengutachtens S, 315 England, Belgien, Italien geben ihr Einverständnis zum Gut- achten S. 316 Note Poincares betr. Gutachten S. 316 Kammerwahlen in Frankreich. Sturz der Regierung Poincare S, 316 Londoner Konferenz S, 311, 319, 325 Eintreffen der deutschen Delegation in London S, 323 Abkommen zwischen Reparationskommission und deutscher Regierung über die Ausführung des Dawesplanes S. 325, 327 Schlußprotokoll der Londoner Konferenz S. 325 England führt die 26prozentige Einfuhrabgabe wieder ein S. 348 Annahme der deutschen Gesetze zur Ausführung des Dawes- planes durch den Reichstag S., 331 Beginn des ersten Reparationsjahres S. 325, 327 Die Zollinie zwischen besetztem und unbesetztem Gebiet fällt S. 326 | Frankreich führt die 26prozentige Einfuhrabgabe ein S. 348 Die Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft beginnt ihren Betrieb 5.337 Abkommen über die Reparationsanleihe S, 341 Thomas N, Perkins wird zum Mitglied der Reparations- kommission für die Durchführung des Dawesplans ernannt S, 342 Inkrafttreten des neuen Reichsbankgesetzes S, 333, 364 Ausgabe der Reparationsanleihe in New York und London S, 342 Feststellung der Reparationskommission, daß alle Maß- nahmen für die Wiederherstellung der finanziellen und wirt- - schaftlichen Einheit Deutschlands durchgeführt sind S. 326 S, Parker Gilbert übernimmt das Amt des Generalagenten S, 325 16, November 13, Dezember 1925 6, Januar 14, Januar 24, März bis 25. März 21. Juni bis 27. Juni 18, Juli Uebergabe der Regiestrecken an die Reichsbahngesellschaft S. 327 | Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Industriebelastung S. 335 Zusammentritt der alliierten Finanzminister in Paris S, 353 Pariser Finanzabkommen S,. 353 Protokoll zwischen britischer und deutscher Regierung über Einfuhrabgabe S. 350 Tagung der Internationalen Handelskammer in Brüssel S, 369 Gesetz über die Gründung der Rentenbank-Kreditanstalt 5.333 BERICHTIGUNG Seite 168, sechste Zeile von oben, muß es heißen: 31. Mai statt 31. März 409 FOLITISCHE MEMOIREN nn FRIEDRICH PAYER Von Bethmann Hollweg bis Ebert Erinnerungen und Bilder Halbleinenband Mk. 7 — Werk der Memoiren-Literatur der letzten Jahre halte, Ebert, Reichspräsident. CONRAD HAUSSMANN Schlaglichter Reichstagsbriefe und Aufzeichnungen Ganzleinenband Mk. 8— Conrad Haußmanns politisches Wirken wird als einer der wenigen Lichtblicke in einer der trübsten Zeiten der deutschen Geschichte dem Gedächtnis der Nachwelt er- halten bleiben. Augsburger Post-Zeitung. ALEXANDER VON HOHENLOHE Aus meinem Leben Mit einer Reihe interessanter Bildtafeln Ganzleinenband Mk. 10.— Man geht wohl nicht fehl, wenn man diesen schönen und liebenswürdigen Memoiren einen außerordentlichen Erfolg prophezeit. Anschaulich und packend wie ein Roman, bieten sie zugleich — und wären es nur die Kapitel über die el- sässische Verwaltung nachdem 70er Krieg— dem Geschichts- forscher ein reichhaltiges und wichtiges Material. Annette Kolb. OTTO VON CORVIN Ein Leben voller Abenteuer Herausgegeben und eingeleitet von H. Wendel 2 Bände Ganzleinen Mk. 15.— Wunderbar, was dieser eine Mensch alles erlebt und er- tragen, genossen und geleistet hat! Ein einzelnes Menschen- leben erscheint für diese Fülle fast zu klein. Mir wenigstens ist kein anderer Romanheld bekannt, der nur annähernd so viel und vielerlei durchlebte: was sind Wilhelm Meisters Lehr- und Wanderjahre an buntem Wechsel der Begeben- heiten gegen die Leehrjahre dieser letzten einer Reihe von unternehmenden Kriegernaturen. Johannes Proelß. = EN ee... En m $: I KR 5 { | Fr - AMERIKANISCHE PROSPERITÄT AMERIKANISCHE WIRTSCHAF TSFORMEN AMERIKANISCHE WELT schildert AMERIKA :. p UROPA ERFAHRUNGEN EINER REISE von ARTHUR FEILER Broschiert Mk. 8— Ganzleinen Mk. 10.— AMERIKANISCHE ORGANISATIONEN AMERIKANISCHE PRAXIS AMERIKANISCHE PROBLEME behandelt EINWEG AUS DEM WIRRWARR (4 BUSINESS MAN LOOKS AT THE WORLD) von EDWARDA. FILENE Broschiert Mk. 4.— Ganzleinen Mk. 6.— N LTR IE ERRANG A ERRELTEERERSHRIEH Dahl GEDRUCKT IN DER FRANKFURTER SOCIETÄTS-DRUCKEREI G M B H FRANKFURT AM MAIN REN N: > 4» + 2. IM) kb 5.6, ?