DER WEG DER REPARATION
DER WEG DER REPARATION
VON VERSAILLES
ÜBER DEN DAWESPLAN
ZUM ZIEL
VON
CARL BERGMANN
4.2.0 |
LEERE SERSGESGROEE:HEIPESTICHRESERHERSTESGETERISZICHEREEEHEREEHESEUEEE RS nennen
RE URTER SOCIETÄTS-DRUCKEREI G.M.B.H,,
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COPYRIGHT 1926 BY FRANKFURTER SOCIETÄTS - DRUCKEREI G,M. B.H,
FRANKFURT AM MAIN
IE FETSVERZEICHNIS
VORWORT
Teil I
9
VON VERSAILLES ZUM LONDONER ULTIMATUM
. Kapitel: Das Wilson-Programm
. Kapitel: Die Vorschriften des Vertrages .
‚ Kapitel: Die Errichtung der Reparationskommission
‚ Kapitel: Die Sachlieferungen bis zur Konferenz von Spa .
. Kapitel: Die Konferenz von Spa . |
. Kapitel: Die Konferenz von Brüssel
an ra oo DD »
. Kapitel: Der Plan Seydoux und die Pariser Beschlüsse vom
29, Januar 1921 .
'
je)
. Kapitel: Die Londoner Konferenz 1, bis 7. März 1921 .
9, Kapitel: Die Festsetzung der Reparationsschuld und der Londoner
Zahlungsplan vom 5. Mai 1921 Be,
Teil I
17
23
40
44
52
66
76
88
95
DIE POLITIK DER ERFÜLLUNG UND DER KAMPF
| UM DAS MORATORIUM
10, Kapitel: Die Zahlung der ersten Milliarde Goldmark ,
11, Kapitel: Die Sachleistungen nach den Vorschriften des Vertrages
von Versailles Br
12, Kapitel: Das Wiesbadener Abkommen vom 6, und 7. Oktober 1921
13. Kapitel: Restitution und Substitution
109
114
122
128
14,
‚ Kapitel: Der Marksturz und die Vereinigten Staaten .
16,
17,
18,
19,
20,
21.
22,
23.
24,
25,
26,
21.
28,
29,
Kapitel: Der erste Antrag auf Stundung .
Kapitel: Von Cannes bis Genua Januar bis April 1922
Kapitel: Rapallovertrag und Reparation
Kapitel: Das Anleihekomitee der Reparationskommission
Kapitel: Der zweite Antrag auf ein Moratorium — Die Politik der
„produktiven Pfänder“
Kapitel: Die Nebenleistungen aus dem Vertrage von Versailles .
Kapitel: Die Zeit der Reparationspläne ,
Kapitel: Die Pariser Konferenz vom 2, bis 4, Januar 1923
Teil II
BE BESETZUNG DES RUHRGEBIETS
Kapitel: Gewalt und passiver Widerstand ,
Kapitel: Vergebliche deutsche Angebote — Vergebliche englische
ee ee
Kapitel: Die Einstellung des passiven Widerstandes .
Kapitel: Die Reform des deutschen Geldwesens und des Reichs-
haushalts — Die Micumverträge
Teil IV
DER DAWESPLAN
Kapitel: Die Aufgabe der Sachverständigen .
ee der Aufgabe... . 2 3 nn a.
Annuitäten 289 — Index 292 — Leistungen neben der Reparation
294 — Uebergangsjahre 295 — Transfersystem 299 — Dauer der
Zahlungen 303 — Sachleistungen 304 — Sicherheiten 306 — Gold-
notenbank 307 — Organisation 309
Kapitel: Die Annahme des Gutachtens und die Londoner Konferenz
vom 16. Juli bis 16. August 1924 nn nn,
Der Bericht des Dawes-Komitees 311 — Der Bericht des Mc Kenna-
Komitees 313 — Die Vorbereitung der Londoner Konferenz 315 —
Die Londoner Konferenz 320
130
135
146
158
165
176
185
188
206
238
253
258
271
284
DEE
30, Kapitel: Die deutschen Reparationsgesetze .
al,
Gesetz über die Industriebelastung und
ndustriebelastung 333 — 3. Gesetz
Gesellschaft und deren Satzung 337
des Reichshaushalts 339
1, Bankgesetz 331 — 2.
Gesetz zur Aufbringung der I
über die Deutsche Reichsbahn-
__ 4, Die verpfändeten Einnahmen
‘tel: Die Ausführung des Planes . Ne
Be 0 341 — Die Organe der ‚Pepsrahıon a
Das Verfahren bei den Sachleistungen 344 — Die Abgabe von er
deutschen Einfuhr (Reparation Recovery Act) 348 a Die Kein
der Reparationsleistüngen 352 — L Forderungen mit Vorrecht 3
__ IL Forderungen ohne Vorrecht 355 — Die Ergebnisse des ersten
Jahres 356
Teil V
DER AUSBLICK AUF DAS ZIEL
32. Kapitel: Das Transferproblem
33, Kapitel: Ein Weg zur Lösung .
SACHREGISTER
REPARATIONSDATEN
331
341
363
381
395
403
We
m
VORWORT
Am 1, September 1925 war der „Dawesplan ein Jahr lang
in Kraft, Unter diesem Namen kennt man allgemein das Ab-
kommen über die Reparation, das am 16. August 1924 in London
zwischen den alliierten Regierungen, Deutschland und der Repa-
rationskommission geschlossen ist, und das sich auf. das Gut-
achten des von der Reparationskommission berufenen Aus-
schusses von Sachverständigen vom 9, April 1924 gründet.
Der erste Jahresabschluß des Dawesplanes ist nicht allein
durch seine wirtschaftlichen und finanziellen Ergebnisse be-
merkenswert. Er hat auch eine weitgehende politische Bedeutung.
Denn gemäß den in London getroffenen Abreden sind bis zum
Ende dieses ersten Jahres alle die deutschen Gebiete wieder
freigegeben und militärisch geräumt worden, welche die Alliier-
ten seit dem Vertrage von Versailles strafweise besetzt hatten.
Damit ist endlich der vertragsmäßige Zustand wieder hergestellt,
Aus dem Ruhrgebiet und den Städten Düsseldorf, Duisburg und
Ruhrort sind die fremden Truppen abgezogen,
Das alles sieht heute schon beinahe selbstverständlich aus.
Welch eine verwirrende Fülle von Ereignissen aber darin liegt,
des werden wir uns erst dann wieder bewußt, wenn wir um die
kurze Spanne zweier Jahre zurückdenken. Damals herrschte
‚das Chaos, Deutschlands Wirtschaft und Geldwesen waren voll-
kommen zerrüttet. Die Bewegung des Abfalles, die in den be-
setzten Gebieten ungehemmte Bahn fand, drohte binnen kurzem
den Reichskörper zu zersprengen. Das Ende Deutschlands schien
besiegelt zu sein.
Und mit einem Schlage wurde. alles anders. Die politische
und wirtschaftliche Einheit Deutschlands ist gefestigter als je
seit dem Ende des Weltkrieges, sein Geldwesen ist geordnet, der
Reichshaushalt im Gleichgewicht. Der unselige Kampf um die
Reparation, der fünf Jahre hindurch die Welt in Atem gehalten
und die Gesundung Europas verhindert hat, ist durch die Einigung
der Sieger mit den Besiegten auf absehbare Zeit beigelegt, Das
Problem der Reparation hat wenigstens vorläufig eine praktische
Lösung gefunden. Der Umschwung der Dinge in den beiden letzten
Jahren ist so verblüffend, daß es noch immer vielen schwer fällt,
daran zu glauben, daß eine neue Zeit angebrochen ist, und daß nun
endlich die Hoffnung auf die Wiederkehr ruhiger und geordneter
Verhältnisse berechtigt wird. Das Heer der Zweifler in beiden
Lagern wird um so eher schwinden, je mehr die politische Ent-
spannung zwischen den Völkern zunimmt, In Locarno ist darin
soeben ein vielversprechender Fortschritt erzielt worden.
Die Regelung der Reparation, die weder im Wege der Ver-
. handlungen zwischen den beteiligten Mächten, noch durch An-
wendung brutaler Gewalt auch nur einen Schritt gefördert werden
konnte, solange in den Köpfen der politischen Führer der Sieger-
mächte laienhafte Vorstellungen von ungezählten Milliarden
spukten, ist in dem Augenblick gelungen, als die unerbittliche
Logik der wirtschaftlichen Gesetze die alliierten Regierungen
dazu brachte, den Rat wirtschaftlich kundiger Männer anzurufen
und zu befolgen. In dreimonatiger angestrengter Arbeit haben
die Sachverständigen des Daweskomitees ihre Aufgabe in einer
Weise gelöst, welche die höchste Anerkennung verdient, wenn-
gleich ihr Werk natürlich nicht beide Teile vollkommen zufrieden-
stellen konnte, Diese Leistung ist jedoch nur möglich gewesen,
weil die Sachverständigen nicht versucht haben, einen voll-
kommen neuen Weg für die Lösung der Reparationsfrage zu
finden, und weil sie einsichtig genug waren, auf den Erfahrungen
der Vergangenheit aufzubauen, In allen Teilen ihres Planes finden
wir Gedanken wieder, die bereits im Verlaufe der früheren Repa-
rationsverhandlungen von Sachverständigen der beiden Seiten
vorgebracht und begründet waren. Die Bausteine für das Werk
10
en ren sie jeweils mit den Ein-
Zr. ._ e | die . ie in Stücke
En aa Trümmer auf dem Schicksalswege der
Es ist das bleibende m u ar
rümmern die besten Dauste -
Berewes, a in en Bond zu ihrem kunstvollen
u So ist der Dawesplan ein Monument der voran-
Bee Festen für die Lösung des Problems erg
ee der Geschichte der Reparation ist ein voll-
REN Verständnis des Planes Baum ae Be
Aber nicht in der re zen une nn
ie i | e um di aralı
en "sa erg er herangezogen werden müssen,
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Nr tee zu überwinden. Das © >
Dawesplanes bietet auf dem mühevollen Wege nd i en er
ncigen haben selbet klärt, daß
nicht erreicht. Die Sachverständig | De,
' keine endgültige Lösung der Reparation ie Ben
Br er allem die Festsetzung der Bee Be et
land an Reparation zu en hat. ae wer er zn er
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nen Euer ——.. jährlich als Seragle" ae
zahlen hat, tatsächlich in das Ausland abgeführt ven men
ohne daß die Wirtschaft des Schuldners und der Emp
' . Schaden erleidet. inoN
der Reparation geht also weiter. Wir OR .
einem Punkte angelangt, von dem aus wir die zurüc ge vn
Strecke gut überschauen und den Rest des Weges sorgsa
| Öönnen. |
zn. es unternommen, in dem vorliegenden Werk eine
Uebersicht über die Entwicklung der Reparation bis zum Berner
Tage zu geben und auf Grund der vorliegenden agree. ”
Ziel anzudeuten, dem wir zur endgültigen Lösung des ei e
zustreben sollten. Dabei sind auch andere wichtige \ e
gestreift, die nicht zum Reparationsproblem gehören, aber m
11
griffen
geschlagen und lagen
Reparation verstreut.
ihm in engerer Beziehung stehen. Ich bin darauf jedoch nur so
weit eingegangen, als es nötig erschien, um diese Zusammenhänge
zu verstehen. Denn die Fülle des Stoffes zwingt zur straffen Be-
schränkung auf das eigentliche Thema,
Ich glaube, daß meine Arbeit einem Bedürfnis entspricht.
Zwar liegt bereits eine große Anzahl von verdienstlichen
Arbeiten und Untersuchungen über die Reparation vor. Die
Reparationskommission selbst hat wertvolles Material über ihre
Tätigkeit veröffentlicht. Vor allem ist über den Dawesplan, seine
Organisation und seine Wirksamkeit viel geschrieben worden. Es
fehlte bisher aber immer noch eine vollständige Geschichte der
Reparation, die den Ereignissen von Beginn an nachgeht und
zeigt, wie sie sich fortlaufend entwickelt haben und ineinander-
greifen.
Ich habe geglaubt, mich dieser Aufgabe unterziehen zu sollen,
weil ich — erst als Vertreter der deutschen Regierung bei der
Reparationskommission und später als deutscher Vertrauensmann
bei den Verhandlungen mit den alliierten Regierungen, der
Reparationskommission und dem Komitee der Sachverständigen
— von Anfang bis zu Ende die Entwicklung der Reparations-
frage genau verfolgen konnte.
Ich wollte sachlich, einfach und klar schreiben, nicht nur für
die Kenner der Reparation, denen ich immerhin manches
Interessante zu bringen hoffe, sondern für jedermann, der das
wichtigste wirtschaftliche Problem der Zeit nach dem Weltkriege
gründlich kennenlernen und verstehen möchte, Wenn mein Werk
aber von weiteren Kreisen gelesen werden soll, so mußte ich zwei
Klippen vermeiden: ich durfte das allgemeine Interesse nicht
mit allen Einzelheiten ersticken, welche auf Grund der weitver-
zweigten Bestimmungen des Vertrages von Versailles jahrelang
zwischen Deutschland und der Reparationskommission in mühe-
voller Arbeit erörtert worden sind, Vielmehr mußte ich sorgsam
darauf achten, eine große und klare Linie innezuhalten und alles,
was nicht für das Verständnis wesentlich ist, beiseite zu lassen.
Ich hoffe, daß meine Arbeit dadurch nicht an Vollständigkeit
verloren hat.
12
t noch größere Schwierigkeit lag in der
tschaftliche Problem der Reparation
Streit der ehemaligen en
eist so entstelli
inei _ und in der Oeffentlichkeit meis |
en iedem, der sich mit der Reparation
bat Be Vorwurf einseitiger Stellungnahme gemacht worden ist,
Ich Ei davon ausgegangen, daß eine Darstellung der Reparations-
schicke nur dann für die endgültige are en
| | Ä ' ichtet, irgendwe
ein kann, wenn sie darauf verzichtet, |
Zwecken zu dienen, und die Dinge ohne Vorurteil
d ohne Parteinahme behandelt. N in
> Was not tut, ist, die Wahrheit zu finden und die Wahrheit zu
Eine zweite, vielleich
Art der Darstellung. Das wir
ist derart in den politischen
sagen.
Bei der Durchsicht des vorliegenden Werkes hat mir mein
früherer Mitarbeiter, Oberregierungsrat Dr. Hans Meyer, er
seiner reichen Erfahrung heraus manch klugen Rat gegeben. c
möchte ihm an dieser Stelle für seine freundschaftliche Unter-
stützung herzlichen Dank sagen.
in, i tober 1925.
Berlin, im Oktober ._
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vorm
Anm 2 reeeeer
et
ERSTES KAPITEL
DAS WILSON-PROGRAMM
Das Wort Reparation ist seit dem Ende des Weltkrieges zu
einem ganz bestimmten Begriff geworden. Man versteht darunter
- die Verpflichtung der besiegten Staaten, in erster Linie Deutsch-
lands, die Kriegsschäden der Sieger wieder gutzumachen. Das
vorliegende Werk behandelt allein die Reparation, welche
Deutschland nach dem Vertrage von Versailles vom 28. Juni 1919
obliegt. Um die Bestimmungen dieses Vertrages richtig zu ver-
stehen, müssen wir etwas weiter zurückgreifen. Der Ursprung
der Reparation liegt in dem historisch gewordenen Friedens-
programm des Präsidenten der Vereinigten Staaten Wilson, auf
Grund dessen Deutschland sich im Oktober 1918 zur Ein-
gehung des Waffenstillstandes bereit erklärte, Zu den vierzehn
Punkten des Wilson-Programms gehörte die Forderung, daß die
besetzten Gebiete wiederhergestellt werden müßten. Im Laufe
* der Unterhandlungen über den Waffenstillstand ließ Wilson im
Namen der verbündeten Mächte durch die Note des Staats-
sekretärs Lansing vom 5. November 1918 erklären, die Wieder-
herstellung der besetzten Gebiete sei dahin zu verstehen, daß
Deutschland für jeglichen Schaden, welcher der zivilen Be-
völkerung der verbündeten Regierungen und ihrem Besitz durch
“ den Angriff Deutschlands zu Lande, zu Wasser und aus der Luft
zugefügt worden sei, Schadenersatz zu leisten habe. Dem hat
sich Deutschland unterworfen, und damit war von Rechts wegen
Seine Reparationspflicht genau begrenzt. Es wäre der Mensch-
heit viel Leid erspart geblieben, wenn die Friedensbedingungen
Bergmann, Der Weg der Reparation 2 17
der Alliierten diese mit Deutschland vereinbarten Grenzen nicht
überschritten hätten. Das Problem der Reparation wäre dann
nicht so unsagbar schwer geworden und viel früher lösbar ge-
wesen. So aber verließen die Alliierten den Boden des Wilson-
Programms in dem Augenblick, als sie erkannten, daß Deutsch-
land völlig wehrlos war und allen ihren Forderungen mit ge-
bundenen Händen gegenüberstand,
Die Reparationspflicht Deutschlands ist auf Verlangen von
Clemenceau schon in das Abkommen über den Waffenstillstand
vom 11, November 1918 aufgenommen worden, obwohl die
Reparation, wie Lloyd George damals richtig bemerkte, mit dem
Waffenstillstand nichts zu tun hatte, sondern in den Friedens-
vertrag hineingehörte,
Artikel 19 des Abkommens über den Waffenstillstand verlangte
unter der Ueberschrift „Finanzielle Bestimmungen” kategorisch
Schadenersatz und bestimmte, daß während der Dauer des
Waffenstillstandes Deutschland keine öffentlichen Werte be-
seitigen dürfe, die den Alliierten als Sicherheit für die Deckung
der Kriegsschäden dienen könnten, Er verlangte weiter sofortige
Zurückerstattung des Kassenbestandes der belgischen National-
bank und Rückgabe aller Dokumente, baren Gelder und Wert-
papiere, welche öffentliche und private Interessen in den besetzten
Gebieten beträfen, Daraufhin hat Deutschland innerhalb weniger
Tage mehr als 8,5 Milliarden Franken an beschlagnahmten Wert-
papieren und in Verwahrung genommenen Wertsachen zurück-
erstattet, Ferner wurde die Rückgabe des russischen und des
rumänischen Goldes verlangt, das von den Deutschen beschlag-
nahmt oder ihnen ausgeliefert war. Jede spätere Nachforderung
der Alliierten und der Vereinigten Staaten wurde ausdrücklich
vorbehalten,
Deutschland mußte eine gewaltige Menge Kriegsmaterial und
alle Unterseeboote ausliefern, es mußte die deutsche Hochsee-
flotte teils abrüsten, teils internieren lassen und wurde außerdem
zur Lieferung von 5000 Lokomotiven, 150 000 Eisenbahnwagen
und 5000 Lastkraftwagen sowie zur Abtretung der elsaß-loth-
ringischen Eisenbahnen mit ihrem gesamten Material verpflichtet.
18
Hierin lag die Vorwegnahme der Reparation von Transportmitteln
in Höhe von mehreren Milliarden Goldmark,.
In den Verträgen über die Verlängerung des ne.
stillstandes, der zunächst immer nur auf etwa einen Monat ab-
geschlossen wurde, sind die Reparationsansprüche weiter
ausgebaut worden.. Das Finanzabkommen von Trier =
13, Dezember 1918 verhängte eine förmliche Sperre über | eur
Metallbestand des Reiches und der Reichsbank, sowie 2 x ie
fremden Wertpapiere und Guthaben, die der Regierung un 2
öffentlichen Kassen gehörten. Die deutsche Regierung mußte .
sogar verpflichten, für fremde Wertpapiere und Guthaben, die
sich im Besitz von Privatpersonen oder Gesellschaften befanden,
ohne vorheriges Einvernehmen mit den Alliierten keine Ausfuhr-
erlaubnis zu erteilen. Der Versuch der französischen Regierung,
auf diese Weise durch einen besonderen Finanzkommissar eine
allgemeine Kontrolle über die deutschen Finanzen einzuführen,
scheiterte damals an dem Widerstand des amerikanischen Dele-
sierten Norman Davis. Ein weiteres Abkommen zu Trier vom
16, Januar 1919 legte Deutschland als Strafe für nicht recht-
zeitige Lieferung des Eisenbahnmaterials die Verpflichtung auf,
viele Tausende von landwirtschaftlichen Maschinen und Geräten
herzugeben.
In der Zeit des Waffenstillstandes bis zum Friedens-
schluß wurde es immer deutlicher, daß die Reparationsforde-
rungen der Alliierten über das Wilson-Programm weit hinaus-
gehen würden. Man verlangte nunmehr ganz offen den Ersatz
_ aller Kriegskosten der verbündeten Mächte. In einer Rede in
Bristol am 11. November 1918 stellte sich auch Lloyd George
grundsätzlich auf diesen Standpunkt, wobei er die englischen
Forderungen allein auf acht Milliarden Pfund Sterling bezifferte.
Bei den Beratungen der alliierten Kommission für Schadenersatz,
die vom 1. Februar 1919 ab in Paris tagte, begründeten die
drei englischen Delegierten: der australische Premierminister
Hughes, Lord Sumner und Lord Cunliffe, den Anspruch der
Alliierten auf den vollständigen Ersatz der gesamten Kriegs-
Rosten als Recht des Siegers nach internationalem Brauch. Die
e 19
Amerikaner bekämpften diese These, traten aber für den Ersatz
sämtlicher Kriegsschäden ein, Dieser Zwiespalt der Siegermächte
übertrug sich im März 1919 auf den Obersten Rat der Alliierten,
wie man die Sitzungen der vier Premierminister von Frankreich,
England, Italien und Amerika nannte, Frankreich lehnte es ab,
für das Ausmaß der Reparation die deutsche Leistungsfähigkeit
zugrunde zu legen. Die amerikanische Delegation bestand bis
zum Schlusse darauf, daß die Grenzen des Wilson-Programms
nicht überschritten werden dürften. Die Lage wurde so kritisch,
daß ein offener Bruch zwischen den Verbündeten und Amerika
kaum vermeidbar schien. Schließlich änderten Lloyd George und
Clemenceau ihre Taktik. Es gelang ihnen, Wilson persönlich zu
überzeugen, daß alle Reparationsforderungen, die sie stellten,
einschließlich des Ersatzes der Militärpensionen, als Schadens-
ansprüche der zivilen Bevölkerung anzusehen seien. So kam es
schließlich in Versailles zu einer Einigung der Sieger, bei der das
Wilson-Programm nur dem Schein nach aufrechterhalten, in
Wirklichkeit aber vollkommen aufgegeben war.
Die Hauptsache, nämlich der Gesamtbetrag der deutschen
Reparationspflicht, wurde trotz lebhaften Widerspruchs der
amerikanischen Delegierten nicht festgesetzt, sondern offen ge-
lassen. Es ist schwer, sich heute in die Verblendung hineinzudenken,
in welcher die Leiter der alliierten Mächte Deutschland
damals die Friedensbedingungen diktierten, ohne sich um die
Möglichkeit ihrer Ausführung Sorge zu machen, Sie und die
Welt mit ihnen hatten im Verlaufe der Kriegsjahre, in denen
unerhörte Beträge an Kriegsausgaben und Schulden aufgelaufen
waren, jeden Maßstab für finanzielle Dinge verloren, Man hatte
den alliierten Völkern immer wieder versichert, daß Deutschland
die gesamten Kriegslasten zu zahlen haben würde, und man fand
in Versailles weder die Einsicht noch den Mut, zu bekennen, daß
die hochgespannten Erwartungen auf die deutsche Kriegsent-
schädigung wesentlich heruntergeschraubt werden müßten. Diesen
Mangel an Erkenntnis und Entschlossenheit haben Sieger und
Besiegte in den Jahren des Kampfes um die Reparation gleich
teuer bezahlen müssen,
20
i rseschichte des Versailler Vertrages ist in zahlreichen
en von alliierter Seite eingehend dargestellt und
daher hier nur so weit angedeutet, als es zum Verständnis der
Reparationsgeschichte nötig ist. Wie weit das Kompromiß von
Versailles hinter den Forderungen der einzelnen Alliierten
zurückbleibt, ergibt sich besonders aus dem Vorprojekt für die
finanziellen Bedingungen, das der französische Finanzminister
Klotz am 12. April 1919 dem Obersten Rat vorlegte. Danach
sollte Deutschland auf seine Reparationsschuld eine re
von 24 Milliarden Goldmark leisten, und zwar 16 Milliar en
binnen drei Monaten, die restlichen 8 Milliarden binnen nr
Jahre nach dem Abschluß des Vertrages. Vom zweiten Jahre
an sollten Jahreszahlungen stattfinden, die mit 8 Milliarden be-
ginnen und jährlich mit 2 Prozent steigen sollten. Die Anzahl der
Leistungsjahre sollte durch eine interalliierte Kommission fest-
gestellt werden. ai üe)
Während die Alliierten sich in Paris gegenseitig mit ihren
Ansprüchen an Deutschland überboten, bereitete man sich in
Berlin, unbeirrt durch tägliche Straßenkämpfe und schwere
Nahrungssorgen, gleichfalls mit großem Eifer für die Friedens-
konferenz vor. Wenn das deutsche Volk auch nicht ohne Besorgnis
die Nachrichten aus dem Auslande verfolgte, nach denen in
öffentlichen Reden und Presseartikeln viele hundert Milliarden
Mark Kriegsentschädigung verlangt wurden, so hegte es doch
ein beinahe gläubiges Vertrauen darauf, daß der Präsident Wilson
seine vierzehn Punkte den Alliierten gegenüber durchsetzen und
dem geschlossenen internationalen Abkommen gemäß die Repa-
_ ration auf den Ersatz der Schäden in den zerstörten Gebieten
Frankreichs und Belgiens beschränken werde.
Es ist im Hinblick auf die spätere Entwickelung der Repa-
rationsfrage und zum Vergleich mit dem Dawesplan von Interesse
festzustellen, daß man im Reichsschatzamt, dem späteren Reichs-
finanzministerium in Berlin, bereits Ende Dezember 1918 mit
einer Reparationssumme von 30 Milliarden Goldmark rechnete.
Man war darauf gefaßt, daß dieser Betrag Deutschland beim
Friedensschluß auferlegt werden würde, und man beschäftigte
21
sich sehr eingehend mit dem Problem, auf welche Weise die
Zahlung möglich sein würde, Eine damals im Reichsschatzamt
entstandene Denkschrift kam zu dem Schluß, die Reparation
könne weder durch Barzahlungen, noch im Wege einer Anleihe,
noch endlich ohne schwere Gefahren für die Wirtschaft der
Alliierten und Deutschlands durch Sachlieferungen geleistet
werden. Vielmehr sei die einzig richtige Art der Reparation darin
zu erblicken, daß Deutschland verpflichtet werde, die entstandenen
Schäden durch eigene Arbeit wiederherzustellen, wobei außer
dem eigentlichen Wiederaufbau auch große Lieferungen von Roh-
stoffen, Baumaterialien und Schiffen in Betracht kommen könnten.
Mit solchen Ideen über die Reparation ging die 200 Köpfe
starke deutsche Delegation am 27. April 1919 zur Friedens-
konferenz nach Versailles, Dort wurde sie von der Außenwelt
sorgfältig abgeschlossen. Am 7. Mai wurden ihr endlich die
Friedensbedingungen übergeben. Jede Möglichkeit zur Verhand-
lung wurde von vornherein abgelehnt. Die Deutschen durften ihre
Bemerkungen zu den Bedingungen nur schriftlich machen. So sind
denn auch die Vorschriften über die Reparation bis auf gering-
fügige Aenderungen mehr formaler Art im Vertrage von Versailles
genau so geblieben, wie sie ursprünglich übergeben waren.
Daß die Alliierten in Versailles jede Verhandlung über den
Frieden unmöglich machten, hatte seinen Grund zunächst darin,
daß sie die deutsche Delegation als Vertreter eines verbreche-
rischen Volkes ansahen, das einfach abgeurteilt werden sollte und.
vor Verkündung des Urteils nur das Recht bekam, sich auf die
Anklage zu äußern. Ebenso sehr aber hat wohl auch die Be-
fürchtung mitgespielt, daß jede Verhandlung mit den Deutschen
den nur mühsam überbrückten Zwiespalt zwischen den einzelnen
Alliierten und Amerika wieder aufreißen würde,
22
ZWEITES KAPITEL
DIE VORSCHRIFTEN DES VERTRAGES
So unbestimmt der Vertrag von Versailles die Reparations-
pflichten Deutschlands gelassen hat, so umfangreich und ver-
wickelt hat er sie gestaltet. Ich will versuchen, sie im folgenden
so kurz wie möglich zusammenzufassen,
Der Vertrag bestimmt nur die Art und nicht die Höhe der
Schäden, für die Deutschland Ersatz zu leisten hat. Er macht
Deutschland grundsätzlich für alle Kriegsschäden der Alliierten
verantwortlich, weil es mit seinen Verbündeten ihnen den Krieg
aufgezwungen habe (Art. 231), beschränkt dann aber wegen des
deutschen Unvermögens zum Ersatz aller Kriegsschäden die Ver-
pflichtung auf eine Reihe bestimmter Schäden (Art. 232 und
Anhang I dazu). Dabei ist das Wilson-Programm — Schäden der
Zivilbevölkerung durch den Angriff Deutschlands zu Lande, zu
Wasser und aus der Luft — zwar zitiert, jedoch in demselben
Satze dadurch entwertet worden, daß Deutschland allgemein alle
Schäden ersetzen sollte, die in dem Anhang I zu Art. 232 auf-
gezählt sind. Darunter fallen auch die Pensionen und alle
sonstigen Aufwendungen der alliierten und assoziierten Re-
Sierungen für die Mitglieder ihrer Heere und deren Angehörige.
Die Festsetzung der Höhe aller dieser Schäden wurde einem
interalliierten Ausschuß, der Reparationskommission, zugewiesen.
Diese sollte bis zum 1. Mai 1921 den Gesamtbetrag der Schäden
bestimmen und ihn der deutschen Regierung als Gesamtsumme
ihrer Verpflichtungen bekannt geben, Gleichzeitig sollte die
_ Kommission einen Zahlungsplan aufstellen und angeben, in
23
welcher Weise Deutschland vom 1. Mai 1921 ab seine Gesamt-
schuld in einem Zeitraum von dreißig Jahren zu tilgen habe. Die
Kommission erhielt das Recht, nach Prüfung der Zahlungsfähig-
keit Deutschlands und nach Anhörung seiner Vertreter die Fristen
des Zahlungsplanes zu ändern und zu verlängern, aber sie durfte
ohne Ermächtigung der verschiedenen in der Kommission ver.
tretenen Regierungen keine Zahlung erlassen (Art. 233, 234).
Vor der endgültigen Feststellung der Reparationslast hatte
Deutschland bis zum 1. Mai 1921 nach näherer Bestimmung der
Reparationskommission den Gegenwert von zwanzig Milliarden
Goldmark abschlagsweise zu zahlen. Hieraus waren die Kosten
der Besatzungsheere vom 11. November 1918 ab vorzugsweise zu
bestreiten, Auf die zwanzig Milliarden konnte der Wert der
Nahrungsmittel und Rohstoffe angerechnet werden, die nach dem
Urteil der Regierungen der alliierten und assoziierten Mächte
nötig waren, um Deutschland zur Erfüllung seiner Reparations-
pflicht zu befähigen (Art. 235). Deutschland mußte der Repa-
rationskommission. sogleich Schuldverschreibungen auf den In-
haber in Höhe von hundert Milliarden Goldmark als Sicherheit
und Anerkenntnis seiner Schuld übergeben. Davon waren
zwanzig Milliarden, die schon am 1, Mai 1921 fällig wurden, als
Sicherheit für die erste Abschlagsrate von zwanzig Milliarden
bestimmt, Weitere Schuldverschreibungen über vierzig Milliarden
Goldmark waren von 1921 bis 1926 mit zweieinhalb Prozent zu
verzinsen und von 1926 ab mit fünf Prozent zu verzinsen und mit
einem Prozent zu tilgen. Ueber die restlichen vierzig Milliarden
hatte Deutschland eine Urkunde auszustellen, durch die es sich
zur Ausgabe weiterer vierzig Milliarden Goldmark fünfprozentiger
Schuldverschreibungen auf den Inhaber verpflichtete, wenn und
sobald die Reparationskommission sich überzeugt haben würde,
daß Deutschland Zinsen und Tilgung dieser : Werte aufbringen
könne, Aber sogar über alle diese Beträge hinaus konnte die.
Kommission noch weitere Ausgaben von Schuldverschreibungen
fordern (Anhang II $ 12 zu Art. 232).
Auf den Gesamtbetrag der von der Kommission festzustellen.
den Schuld waren vom 1. Mai 1921 ab fünf Prozent Zinsen zu
24
zahlen. Der Zinsfuß konnte von der Reparationskommission ge-
ändert werden (Anhang II $ 16). we
Abgesehen von Geldzahlungen wurden auch die ieh . -
lichen Hilfsquellen Deutschlands für die Reparation eb; " e
herangezogen (Art. 236). Diese als A Hure HR n vB
lieferungen” bekannt gewordenen Leistungen sind in en ale
hängen III bis VI zu den Reparationsbestimmungen wi
geregelt:
1. SCHIFFE (ANHANG II)
Alle deutschen Handelsschiffe von 1600 Bruttotonnen ar
darüber, ferner die Hälfte der Schiffe zwischen 1000 und 160
Bruttotonnen und ein Viertel der Fischdampfer und der sonstigen
Fischereifahrzeuge waren an die Siegermächte abzulieiern. Ferner
hatte Deutschland fünf Jahre lang Handelsschiife bis zu 200 000
Bruttotonnen jährlich für die Alliierten zu bauen. Es mußte
außerdem alle Flußfahrzeuge, die seit dem 1. August 1914 in
deutschen Besitz gekommen waren, den Siegermächten zurück-
geben und bis zu zwanzig Prozent des deutschen Bestandes an
Flußfahrzeugen an die Reparationskommission abliefern.
2. TIERE UND MATERIALIEN (ANHANG IV)
Deutschland wurde verpflichtet, alle Verluste der Sieger-
mächte an Tieren sowie an Maschinen, Werkzeugen und ähn-
lichen Handelsartikeln durch gleichartige Tiere und Gegenstände,
die in Deutschland vorhanden waren, zu ersetzen, sowie
Materialien zum Wiederaufbau, Maschinen, Heizungseinrichtungen,
Möbel usw. zu liefern, alles auf Grund von Listen, die von den
einzelnen Regierungen bei der Reparationskommission einzu-
reichen waren. Die Reparationskommission sollte entscheiden,
inwieweit Deutschland zur Lieferung imstande sei, und die Preise
festsetzen. An Frankreich und Belgien waren schon binnen drei
Monaten bestimmte Mengen von Tieren, vor allem Pferde und
Rinder (700 Zuchthengste, 4000 Stuten, 140 000 Milchkühe,
40000 Färsen, 4000 Stiere), zu liefern,
25
3. KOHLE UND KOHLENPRODUKTE (ANHANG V)
Deutschland mußte folgende Kohlenlieferungen übernehmen:
an Frankreich zehn Jahre lang sieben Millionen Tonnen
Kohlen jährlich, außerdem während der gleichen Zeit den Minder-
ertrag der im Kriege zerstörten nordiranzösischen Kohlengruben,
und zwar bis zu zwanzig Millionen Tonnen jährlich während der
ersten fünf Jahre und bis zu acht Millionen Tonnen jährlich
während der folgenden Jahre:
an Belgien zehn Jahre lang’ acht Millionen Tonnen Kohlen
jährlich;
an Italien zehn Jahre lang allmählich steigend bis zu achtein-
halb Millionen Tonnen Kohlen jährlich,
Die Höchstlieferung eines Jahres konnte somit im Laufe der
ersten fünf Jahre 43% Millionen Tonnen erreichen,
Als Preis für die Kohlenlieferungen wurde in der Regel der
deutsche Inlandspreis ab Grube, höchstens aber der englische
Ausfuhrpreis ab Grube vorgesehen, zuzüglich der Fracht bis zur
Grenze des Empfangslandes, Für Lieferungen auf dem Seewege
sollte entweder der deutsche Ausfuhrpreis fob deutscher Hafen
oder der englische Ausfuhrpreis fob englischer Hafen, aber immer
der geringere von beiden, maßgebend sein, Die Alliierten erhielten
das Recht, an Stelle von Kohle die Lieferung von Koks zu ver-
langen, wobei drei Tonnen Koks als vier Tonnen Kohle gelten
sollten,
Deutschland hatte ferner an F rankreich drei Jahre lang
35000 Tonnen Benzol, 50.000 Tonnen Steinkohlenteer oder ent-
sprechende Nebenprodukte und 30 000 Tonnen schwefelsaures
Ammoniak jährlich zu liefern,
Als Preis für den Koks und die Kohlenprodukte wurde der
deutsche Inlandspreis bestimmt.
Die Reparationskommission wurde ermächtigt, diese Liefe-
rungen zu ermäßigen,
26
A, CHEMISCHE PRODUKTE (ANHANG VI)
Deutschland wurde verpflichtet, Farbstoffe aa Ben
tische Waren zu liefern, und zwar bis zu fün zig A
en hland bei Inkrafttreten des Vertrages befindlic en
F en aa bis zur Höhe von fünfundzwanzig Be er
En Normalproduktion bis > 1. E ee Br
o- reis vor dem Krieg r in
nen Erhöhung der Herstellungskosten sein.
Der Vertrag von Versailles bestimmte, daß der op sur
dieser Lieferungen von der en 2 Pt
und auf Reparationskonto Ben ee ur n en En.
Weise war Deutschland der Wert der sonsti | os nn
’ ji Abtretungen gutzubringen.
es urr m za Wert = ARmame On ya er
ic n (Art. 238, 243). Darunter vers e man di
. ns aa a
d im Kriege beschlagna we
na nn Tiere und Gegens ea i
aller Art, soweit sie auf dem Gebiet Deutschlands oder sein
Verbündeten festgestellt werden können. | en
Auf Reparationskonto sollten außerdem gutgeschrieben wer ” /
a) der Wert der von Deutschland abgetretenen Seekabel,
soweit sie Privateigentum waren,
b) dieLieferungen auf Grund der Waffenstillstandsverträge,
abgesehen von Kriegsmaterial, in der Hauptsache Trans-
portmittel und landwirtschaftliche Maschinen,
c) der Wert der an Frankreich abgetretenen Kohlengruben
im Saargebiet,
d) alles, was von den Mächten, denen deutsche Gebietsteile
abgetreten wurden, als Entgelt für den Erwerb deutschen
Reichs- oder Staatseigentums oder auf Grund der Ueber-
nahme eines entsprechenden Teiles der deutschen Reichs-
schuld an die Reparationskommission abzuführen war,
21
e) der Wert der Rechte und Beteiligungen deutscher
Reichsangehöriger an öffentlichen Unternehmungen oder
Konzessionen in Rußland, China, Oesterreich, Ungarn,
Bulgarien, der Türkei und in den von Deutschland auf
Grund des Vertrages abgetretenen Gebieten, soweit die
Reparationskommission die Abtretung solcher Rechte
forderte (Art, 260).
Für den Rückerwerb von Elsaß-Lothringen hatte Frankreich
keinerlei Entschädigung an Deutschland zu leisten. Auch für die
elsaß - lothringischen Eisenbahnen vergütete es nichts. Damit
allein hat sich Frankreich eine Sonder-Reparation im Werte von
einigen Milliarden Goldmark im voraus gesichert,
Auch Belgien wurde von jeder Vergütung für Reichs- und
Staatseigentum in den abgetretenen deutschen Gebieten befreit.
Diese weittragenden Ausnahmen zugunsten von Frankreich
und Belgien erschwerten die deutsche Reparationslast um den
Wert des kostenlos abgetretenen Eigentums, Noch viel unbilliger
und härter aber war die Bestimmung des Vertrages, daß Deutsch-
land alle seine Kolonien hergeben mußte und für ihren unschätz-
baren Wert in keiner Weise entschädigt wurde,
Der Vertrag von Versailles hat die Ueberwachung aller Vor-
schriften über die Reparation in die Hand der Reparations-
kommission gelegt. Diese soll sich daher erst nach vollständiger
Tilgung der Reparationsschuld auflösen.
Die Kommission sollte nach dem Vertrage aus je einem Dele-
gierten und einem stellvertretenden Delegierten der Vereinigten
Staaten von Amerika, Englands, Frankreichs, Italiens, Japans,
Belgiens und Serbiens bestehen. An den Sitzungen der Kom-
mission sollten stimmberechtigt stets die Vertreter von Amerika,
England, Frankreich und Italien teilnehmen, ferner in der Regel
der Vertreter Belgiens, Japan sollte mitsprechen und mitstimmen
in Fragen, die Seeschäden oder Interessen Japans nach Art, 260
betreffen, Serbien in Fragen, die Oesterreich, Ungarn oder Bul-
garien angehen. Die Kommission hat ihren Sitz in Paris, kann
aber je nach Bedarf auch an anderen Orten zusammenkommen,
28
B E.
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Bi...
BE
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ie Si ind in der Regel geheim. Der jährlich neu zu
un ee gibt im Falle von Stimmengleichheit den
E chlag. In besonderen Fällen, vor allem bei Aufschub von
| we hen Zahlungen über das Jahr 1930 hinaus und bei Auslegung
E BE ionsvorschriften, mußte die Kommission einstimmig
entscheiden.
Die Kommission sollte Deutschland auf Antrag angemessenes
Gehör geben, vor allem über seine Zahlungsfähigkeit. Sie sollte
frei in jeder gesetzlichen. Regel nach Gerechtigkeit, Billigkeit
_ und Treu und Glauben entscheiden. i
Die Kommission erhielt in Sachen der Reparation weitgehende
Befugnisse, vor allem das Recht zur Auslegung ‚der eier
bestimmungen. Sie hatt&periodisch die Zahlungsfähigkeit Deutsch-
lands abzuschätzen. Dabei sollte sie das deutsche Steuersystem
daraufhin prüfen, daß erstens alle Einkünfte Deutschlands ein-
schließlich der für den Dienst seiner inneren Anleihen bestimmten
Einnahmen vorzugsweise für die Reparation verwendet würden,
und daß zweitens die deutsche Steuerlast im allgemeinen ver-
hältnismäßig ebenso schwer sei wie die Steuerlast irgendeiner
in der Kommission vertretenen Macht. Für die Reparation sollten,
abgesehen von Ausnahmen, die die Reparationskommission etwa
"bewilligte, der gesamte Besitz und alle Einnahmequellen des
Deutschen Reiches und der deutschen Staaten an erster Stelle
haften (Art. 248). |
Die Reparationskommission wurde ermächtigt, an Stelle von
Geldzahlungen von Deutschland jederzeit bewegliche und un-
bewegliche Sachen, Waren, Unternehmungen, Rechte und Kon-
_ zessionen, Schiffe, Schuldverschreibungen, Aktien oder andere
Papiere anzunehmen. Den Wert solcher Leistungen Deutschlands
hatte sie selber zu bestimmen ($ 19 Anhang II).
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(
Die Vorschriften des Anhangs II über die Rechte und Pflichten
der Reparationskommission können durch einstimmigen Beschluß
_ der in der Reparationskommission vertretenen Regierungen ab-
_ geändert werden. Das ist in bezug auf den erwähnten $ 19 später
_ im Londoner Zahlungsplan vom 5. Mai 1921 geschehen.
+
er
&
I 29
Für den Fall, daß Deutschland irgendeiner seiner Repara-
tionspflichten nicht nachkommt, hat nach dem Vertrage die Re-
parationskommission die Nichterfüllung unverzüglich jeder der
beteiligten Mächte anzuzeigen und ihr gleichzeitig Vorschläge für
die zu ergreifenden Maßnahmen zu machen. Wenn Deutschland
vorsätzlich seinen Verpflichtungen nicht nachkommt (manquement
volontaire), können die alliierten Mächte wirtschaftliche und
finanzielle Sperr- und Vergeltungsmaßregeln ergreifen und über-
haupt alle Schritte unternehmen, die sie durch die Umstände
für geboten halten. Deutschland darf diese Maßnahmen nicht als
feindliche Handlungen betrachten (SS 17, 18 Anhang II).
Das sind die vielgenannten Vorschriften des Vertrages über
„Sanktionen“, welche in der F olgezeit eine so unheilvolle Be-
deutung erlangt haben,
Neben der Reparation ist Deutschland durch den Vertrag von
Versailles noch einer ganzen Reihe anderer schwerer und un-
bestimmter Leistungen unterworfen worden, Diese stehen weder
untereinander noch mit der Reparation in Zusammenhang und
sind auch der Aufsicht der Reparationskommission nicht unter-
stellt,
So verpflichtete der Vertrag Deutschland zur Zahlung der
gesamten Unterhaltungskosten der Besatzungsheere vom Tage
des Waffenstillstandes, dem 11, November 1918, ab. Die Kosten
waren in Goldmark zu erstatten, soweit sie nicht aus Ankäufen
oder Requisitionen im besetzten Gebiet herrührten, Im letzteren
Falle hatte die deutsche Regierung sie in Markwährung zu be-
zahlen, Für die Besatzungskosten sollten der Besitz und die Ein-
nahmequellen des Deutschen Reiches und der Länder sogar vor-
zugsweise vor der Reparation haften (Art, 251).
Der Vertrag bestimmte ferner, daß Deutschland für die privaten
Vorkriegsschulden der Reichsangehörigen gegenüber den An-
gehörigen der alliierten Mächte aufzukommen habe, sofern diese
Mächte sich dem im Vertrage vorgesehenen Verfahren für den
Ausgleich solcher Schulden anschlossen, In dem Ausgleichsver-
fahren (Clearing) sollte monatlich abgerechnet werden. Ergab
sich dabei ein deutscher Schuldbetrag, so mußte die deutsche
30
’ iierten St hlen. Zeigte die
; ihn sogleich an den alliierten Staat zahlen.
N u $ aber einen Ueberschuß für Deutschland,
BE cltte er von dem alliierten Staat so lange einbehalten werden,
bis alle deutschen Verpflichtungen unter dem Vertrage von Ver-
sailles beglichen sein würden.
Der Vertrag hat weiter gemischte Schiedsgerichte .
aus deren Rechtsprechung für engen ne en
i | rwachsen konnten, Diese Greerichte sollt nt
elle Ansprüche auf Ersatz von Schäden entscheiden,
it: Staatsangehörige der alliierten Mächte auf Grund von
deutschen Kriessmaßnahmen erlitten hatten. ‚ /
Endlich mußte die deutsche Regierung auch die Verpflichtung
_ übernehmen, ihre Angehörigen für die Verluste zu entschädigen,
welche ihnen durch die Wegnahme des privaten nu: ae
tums in den alliierten Ländern entstanden waren. Denn >
alliierten Mächte haben sich im Vertrage von Versailles das Recht
vorbehalten, das den deutschen Reichsangehörigen bei Inkraft-
treten des Vertrages gehörende Eigentum, ihre Güter, Rechte und
Interessen innerhalb ihrer Gebiete einschließlich der Kolonien,
sogar in einem abgetretenen deutschen Gebiete, zurückzubehalten
und zu liquidieren. Die großen alliierten Mächte haben von diesem
Rechte weitgehenden Gebrauch gemacht und deutsches Eigentum
im Werte von vielen Milliarden Goldmark für sich liquidiert. Die
Entschädigung für das liquidierte Eigentum war von der be-
teiligten alliierten Macht einseitig festzusetzen. Soweit der Erlös
der Liquidation nicht zur Entschädigung der alliierten Macht oder
im Ausgleichsverfahren verwendet wurde, sollte er Deutschland
auf Reparationskonto gutgebracht werden, Bisher hat Deutsch-
land jedoch noch keine Gutschrift dafür erhalten.
Die Vorschriften des Vertrages von Versailles über die Pflicht
Deutschlands zum Ersatz von Schäden aller Art, der Alliierten
sowohl wie deutscher Privatpersonen, legten der deutschen Regie-
rung eine Reihe von Leistungen auf, deren Ausmaß in keiner
Weise begrenzt war. Selbst die eigentliche Reparationslast blieb
im Vertrage unbestimmt. Aus der Forderung, daß Deutschland
zunächst einmal Schuldverschreibungen in Höhe von hundert
31
Milliarden Goldmark ausstellen solle, konnte man nur erkennen,
daß die Alliierten mit der späteren Festsetzung einer noch höheren
Reparationsschuld rechneten, Aber so viel stand fest, daß Deutsch-
land bis zum 1. Mai 1921, also binnen zwei Jahren, die ungeheure
Summe von zwanzig Milliarden Goldmark in Geld und Sach-
lieferungen als Reparation leisten sollte. Dazu kam die Abtretung
gewaltiger Substanzwerte aus Reichs- und Staatseigentum und
aus der privaten deutschen Wirtschaft. Endlich aber traten zu
der Reparation, wie wir gesehen haben, noch die Besatzungs-
kosten, die Leistungen aus dem Ausgleichsverfahren, aus der
Rechtsprechung der gemischten Schiedsgerichte und die Pflicht
zur Entschädigung der Reichsangehörigen für die Wegnahme ihres
Vermögens in den alliierten Ländern. Alles dies mußte die
deutsche Schuld, deren Höhe ohnehin nicht abzusehen war, ins
Ungemessene vermehren, Das Schlimmste dabei aber war, daß
alle diese Nebenleistungen die Fähigkeit Deutschlands zur Repa-
ration schwer beeinträchtigten. Denn die Besatzungskosten hatten
ja-nach dem Vertrage vor der Reparation den Vorrang. Alles,
was Deutschland zahlen konnte, wurde zunächst einmal auf die
Besatzungskosten verrechnet. So ist es denn auch gekommen, daß
von den gesamten Leistungen, die Deutschland bis zum 1, Mai 1921
tatsächlich abgeführt hat, überhaupt nichts für die Reparation
übrig blieb.
Schon zu der Zeit, wo Barzahlungen für die Reparation von
Deutschland noch nicht verlangt wurden, mußte es gewaltige
Summen für seine monatlichen Schuldbeträge aus dem Aus-
gleichsverfahren an die einzelnen alliierten Staaten entrichten.
Diese seltsame Tatsache ist nur dadurch zu erklären, daß die
Reparationskommission, welche doch die deutsche Leistungsfähig-
keit überwachen sollte, keinerlei Vollmacht und kein Recht zur
Mitwirkung in bezug auf die Zahlungen besaß, welche unter
anderen Titeln des Vertrages von Deutschland verlangt wurden.
Erst im Herbst 1920 erhielten Mitglieder der Reparations-
kommission Kenntnis davon, daß Deutschland im Ausgleichsver-
fahren bereits sehr große Beträge an mehrere Mächte gezahlt
hatte.
32
“
Besonders bedenklich war die Vorschrift des Vertrages, nach
welcher Deutschland auch auf Grund von Entscheidungen der
4 gemischten Schiedsgerichte Schäden ersetzen sollte, In Wirklich-
keit wurden bei weitem die meisten Schäden, deren Ersatz die
Angehörigen der alliierten Mächte fordern konnten, als Repa-
rationsansprüche angemeldet und in die gemeinsame große Rech-
nung der Alliierten einbezogen. Die Einführung der gemischten
Schiedsgerichte mußte einen Anreiz dazu geben, durch besondere
Klage beim Schiedsgericht Ansprüche gegen das Deutsche Reich
zu erheben, um auf diese Weise unmittelbar einen Schadenersatz
zu erhalten, der im gewöhnlichen Reparationsverfahren nur auf
dem Wege über die einzelnen alliierten Staaten zu erreichen war.
Es ist sicher, daß die Schiedsgerichte dazu benutzt worden sind,
um neben der allgemeinen Reparation noch eine private Repa-
ration zu betreiben. Damit entstand für Deutschland die Gefahr,
daß es zur Reparation in vielen Fällen doppelt herangezogen
wurde,
Die Häufung von Ersatzansprüchen gegen Deutschland, die
voneinander völlig unabhängig waren, zeigt, daß der Vertrag von
Versailles keineswegs einheitlich durchdacht und verfaßt wurde.
Der schwerste psychologische Fehler, den die Verfasser des
Vertrages begangen haben, ist der, daß sie sich gar nicht klar
machten, bis zu welcher Höhe eigentlich die deutsche Zahlungs-
fähigkeit gehen könne, und daß sie nicht wenigstens eine be-
stimmte Stelle mit der Ueberwachung der gesamten deutschen
Leistungen betrauten, Die ungemessene Schuldverpflichtung aus
dem Vertrage mußtejeder auch noch so zahlungswilligen deutschen
Regierung von vornherein den Mut nehmen, energische Schritte
zur planmäßigen Abtragung der Schuld zu unternehmen. Solange
ein Schuldner nicht weiß, was er im ganzen zu zahlen hat und ob
er die Last tragen kann, wird es ihm unmöglich sein, seine Kräfte
zur Zahlung voll zu entfalten. Es ist die Schuld des Vertrages
selbst, daß es bei der Durchführung der Reparation über kurz
oder lang zu den im Vertrage vorgesehenen „Sanktionen
kommen mußte,
Der Vertrag von Versailles verlangt keinerlei direkte Arbeits-
Bergmann, Der Weg der Reparation 3 33
leistung für den Wiederaufbau, Das ist eine seltsame und auf-
fallende Erscheinung, die in Widerspruch mit der Forderung
steht, daß Deutschland seine wirtschaftlichen Hilfsmittel unmittel-
bar der materiellen Wiederherstellung der zerstörten Gebiete
dienstbar machen müsse, Alle Angebote, die Deutschland in dieser
Hinsicht im Verlaufe der Zeit gemacht hat, sind von den Alliierten
als unannehmbar zurückgewiesen oder so behandelt worden, daß
sie ohne praktisches Ergebnis bleiben mußten. Die Erklärung
dafür liegt darin, daß man die Konkurrenz der deutschen Arbeits-
betätigung in den zerstörten Gebieten und die Berührung von
deutschen Arbeitern mit der heimischen Bevölkerung fürchtete,
Man muß der deutschen Friedensdelegation in Versailles
. nachrühmen, daß sie die grundlegenden Mängel der von den
Alliierten diktierten F riedensbedingungen gleich richtig erkannt
und in ihren Noten an die interalliierte Friedenskonferenz scharf
hervorgehoben hat. Die deutsche Delegation hat sich dabei nicht
mit einer Kritik begnügt, sondern sie hat auch Gegenvorschläge
gemacht, welche vielleicht nicht in allen Punkten annehmbar
waren, aber doch eine geeignete Grundlage für Verhandlungen
boten, wenn die Alliierten in Versailles überhaupt daran gedacht
hätten, sich auf Besprechungen mit den Deutschen einzulassen.
Die deutschen Antwortnoten und Gegenvorschläge auf die
Friedensbedingungen sind fast gar nicht beachtet worden. Sie
enthalten aber viel wertvolles Material, das der Vergessenheit
entrissen werden und in einer allgemeinen Darstellung der Repa-
rationsgeschichte seinen Platz finden muß. Deshalb sei einiges
aus ihnen hier im Wortlaut wiedergegeben,
Im Mittelpunkt der deutschen Note vom 29, Mai 1919 an den
französischen Ministerpräsidenten Clemenceau steht folgendes
Angebot:
„Deutschland ist bereit, die ihm nach dem vereinbarten
Friedensprogramm obliegenden Zahlungen bis zur Höchst-
summe von 100 Milliarden Gold zu leisten, und zwar
20 Milliarden Mark Gold bis zum 1, Mai 1926, alsdann die
restlichen 80 Milliarden Mark Gold in unverzinslichen
Jahresraten. Diese Raten sollen grundsätzlich einen be-
34
stimmten Prozentsatz der deutschen Reichs- und Staatsein-
nahmen ausmachen, Die Rate wird dem früheren Friedens-
budget nahekommen., In den ersten zehn Jahren soll die Rate
je eine Milliarde Mark Gold nicht übersteigen. Der deutsche
| Steuerzahler soll nicht weniger belastet sein als der des
2 höchstbelasteten in der Reparationskommission vertretenen
Staates.”
Das Angebot war allerdings an die Bedingung geknüpft, daß
die Abtretung deutscher Gebiete auf ein bestimmtes Maß be-
schränkt werde und daß vor allem Oberschlesien beim Reiche
verbleibe, Es beweist aber auf jeden Fall, daß Deutschland schon
damals zu einer außerordentlich weitgehenden Reparation ent-
schlossen war.
In derselben Note heißt es weiter:
„Deutschland ist bereit, seine gesamte wirtschaftliche
Kraft dem Dienst der Wiederherstellung zu widmen. Es
wünscht, bei der Wiederherstellung der zerstörten Gebiete
"in Belgien und Frankreich werktätig mitzuarbeiten. Für den
Produktionsausfall der zerstörten Gruben Nordfrankreichs
sollen während der ersten fünf Jahre bis zu 20 Millionen
- Tonnen Kohlen jährlich, während der nächsten fünf Jahre
bis zu acht Millionen Tonnen Kohlen jährlich geliefert werden.
Deutschland wird weitere Kohlenlieferungen für Frankreich,
Belgien, Italien und Luxemburg ermöglichen.
Ferner ist Deutschland zu bedeutenden Leistungen von
Benzol, Steinkohlenteer, schwefelsaurem Ammoniak, sowie
Farbstoffen und Arzneimitteln bereit.
Deutschland glaubt, zur beschleunigten Erfüllung seiner
Entschädigungspflicht in der Ueberlassung von industriellen
7 Beteiligungen, insbesondere an Kohlengruben zur Sicherung
| der Kohlenbezüge, einen geeigneten Weg zu sehen.”
ER Auch die folgenden Ausführungen der deutschen Note vom
B 29. Mai 1919 sind von Interesse, zumal im Hinblick auf die spätere
Besetzung des Ruhrgebiets und auf die Aeußerungen der Sach-
£ _ Verständigen, die den Dawesplan geschaffen haben:
ee | 35
„Nach den jammervollen Jahren gegenseitiger Bekämpfung
und Verwüstung müßten jetzt die Völker der Erde sich zu
friedlicher gemeinsamer Arbeit zusammentun, um durch
gegenseitige Hilfe die Lasten leichter tragen und den Wieder-
aufbau der Welt schneller fördern zu können.
Der Entwurf der Friedensbedingungen, den die gegne-
rischen Regierungen uns vorgelegt haben, ist diesen Weg
nicht gegangen. Im Gegenteil, sie geben sich der Hoffnung hin,
daß ein ausgepreßtes, durch alle Mittel der politischen und
wirtschaftlichen Disqualifizierung niedergehaltenes Deutsch-
land ihren Völkern mehr werde leisten, ihnen mehr Lasten
werde abnehmen können als jenes Deutschland, das wir auf-
richten wollen,
Die Besatzungskosten können außerordentlich hoch und
für die geschwächte Finanzkraft Deutschlands unerträglich
sein. Heute betragen die Kosten der fremden Besatzungs-
truppen, soviel bisher ersichtlich, mehr, als früher der Unter-
halt von Heer und Marine in Deutschland nach dem
Friedenshaushalt betrug. Die Kosten einer weiteren Be-
setzung Deutschland aufzubürden, wäre unbillig, denn es
würde sich bei den Besatzungstruppen um Teile der feind-
lichen Friedensheere handeln, deren Unterhalt auch von den
feindlichen Mächten bestritten werden müßte,
Eine militärische Besetzung wäre um so unheilbringender,
als jede Okkupation auch wirtschaftlich überaus schädliche
Wirkungen nach sich zieht, die nur gar zu leicht durch Ein-
griffe der Besatzungstruppen in das Verwaltungs- und wirt-
schaftspolitische Gebiet noch bedenklich erhöht werden
könnten.
Die Steuerkraft Deutschlands und seine Zahlungsfähigkeit
hängen davon ab, daß die Deutschland verbleibenden Steuer-
gebiete einheitlich verwaltet werden; die Autorität der
deutschen Regierung aber in bezug auf Steuereintreibung,
Zolleinnahmen usw, kann nur wiederhergestellt werden, wenn
sich keine Okkupationsarmee mehr im Lande befindet, Schon
die Zeit des Waffenstillstandes hat im linksrheinischen Ge-
4 “ =
a
BETT
biete zu chaotischen Zuständen in bezug auf Einfuhr und
Geldgeschäfte geführt. Eine langjährige Besetzung, ver-
bunden, wie geplant, auch noch mit der Einführung eines be-
sonderen Zollregimes, würde Deutschland der Möglichkeit
einer zielklaren Wirtschafts- und Finanzpolitik berauben,
In dem Friedensvorschlage wird sehr häufig von einer
Entschädigungspflicht des Reiches für Privatbesitz ge-
sprochen, der zugunsten der alliierten und assoziierten
Mächte expropriiert werden soll, ohne zu bedenken, daß
auch aus währungstechnischen Gründen dieser Methode eine
Grenze gesetzt werden muß, Die Unterbringung von deutschen
Staatsanleihen wird sowohl innerhalb wie außerhalb Deutsch-
lands für die nächste Zeit nicht in großen Beträgen möglich
sein, eine Entschädigung wird daher nur erfolgen können
durch starke Notenausgabe, Die schon heute übergroße In-
flation würde, wenn die vorgeschlagenen Friedensbedingungen
durchgeführt werden sollen, unausgesetzt weiter steigen. Auch
die großen Naturallieferungen ins Ausland können nur er-
folgen, wenn das Reich den Produzenten den Wert ersetzt;
also wiederum Notenvermehrung. Solange diese Lieferungen
dauern, wäre daher von einer Stabilisierung der deutschen
Währung selbst auf dem jetzigen Niveau keine Rede. Die
Entwertung der Mark müßte immer weitere Fortschritte
machen, Die Währungsunsicherheit würde. aber nicht nur
Deutschland treffen, sondern die gesamten exporttreibenden
Länder, denn Deutschland mit seiner stets weiter sich ent-
wertenden Währung würde ein Element der Unruhe sein
und unausgesetzt Waren zu Schleuderpreisen auf den Markt
werfen müssen.
In dem Vorschlage für die Friedensbedingungen haben
sämtliche Länder, die gegen Deutschland sich im Kriege be-
finden, mechanisch ihre mannigfachen Wünsche addiert; eine
einheitliche Grundauffassung ist in keiner Weise vorhanden,
Widersprüche häufen sich von Kapitel zu Kapitel. Eine
Revision ist nötig, um zu vermeiden, daß durch diese mecha-
nische Addition der Wirtschaftskörper, von dem Leistungen
37
verlangt werden, zusammenbricht. Eine organische Lösung
könnte nur im Zusammenhang mit allen einschlägigen Fragen
von allen Beteiligten gemeinsam gefunden werden,
Die Vorschläge der alliierten und assoziierten Regierungen
sind in ihrer jetzigen Form und Höhe positiv unausführbar.
Sie würden auch, wenn sie Deutschland aufgezwungen werden
könnten, die Hoffnungen unserer jetzigen Gegner aufs aller-
schwerste enttäuschen. Schon bei der ersten Rate von
‚20 Milliarden Mark, deren unmittelbare Bezahlung der Ent-
wurf der Friedensbedingungen vorsieht, würde sich das
zeigen, Nach Abzug der inzwischen aufgelaufenen Kosten der
militärischen Besetzung und der sehr erheblichen Beträge,
die allein für die notdürftigste Versorgung Deutschlands mit
Lebensmitteln und Rohstoffen erforderlich sind, würde nur
wenig — wenn überhaupt etwas — für die Zwecke der Ent-
schädigung verbleiben,”
Diese prophetischen Bemerkungen haben sich im Verlauf der
Dinge fast in allen Punkten bewahrheitet.
Die wirtschaftlichen und finanziellen Sachverständigen, welche
Deutschland in Versailles vertreten haben, brachten außer den
nötigen Fähigkeiten für eine vernünftige Regelung der Reparation
auch den ernsten Willen dazu mit, Es wäre den Alliierten sehr
wohl möglich gewesen, schon in Versailles durch gemeinsame
Arbeit mit der deutschen Delegation die richtigen Grundlagen des
Friedens zu finden, Aber alle deutschen Anstrengungen in jenen
Schicksalstagen mußten vergeblich bleiben, weil politische Ver-
blendung jede Verhandlung mit Deutschland ausschließen und
nur den Zwang herrschen lassen wollte,
Die deutschen Gegenvorschläge wurden durch die Mantelnote
des Präsidenten Clemenceau vom 16. Juni 1919 beinahe ohne
Ausnahme zurückgewiesen, Noch an demselben Tage verließ die
deutsche Delegation Versailles, um ihrer Regierung in Weimar
einstimmig die Ablehnung der Friedensbedingungen zu empfehlen,
Sie kam zu diesem Entschluß, weil sie keine Möglichkeit sah, die
Forderungen der Alliierten zu erfüllen. Mit der Delegation hielt
die große Mehrzahl der deutschen Volksvertretung den Vertrag
38
er, .
et:
Dr .
2
yon Versailles für unausführbar. Trotzdem fand sich in Weimar
eh schweren Kämpfen eine Mehrheit dafür, den Vertrag, so wie
er vorlag, anzunehmen, weil angesichts der Drohung des Vor-
marsches der alliierten Heere in das unbesetzte Deutschland Lu
u Unterzeichnung des Vertrages als das einzige Mittel erschien,
% E den Zerfall des Reiches und die Herrschaft des Bolschewismus
abzuwenden.
4 So wurde unter dem Druck der Alliierten der Vertrag von
a: Versailles am 28. Juni 1919 von einer neuen deutschen Regierung
gezeichnet und schon am 16. Juli 1919 durch Reichsgesetz
bestätigt. |
u Ohne die Ratifizierung des Vertrages in den alliierten Ländern
abzuwarten, leitete Deutschland durch die in Versailles ver-
ebene Abord nung der Friedensdelegation mit dem französischen
Minister Loucheur eine Reihe von Verhandlungen ein, die sich auf
_ die Teilnahme Deutschlands bei den Arbeiten für den Wieder-
3 aufbau, auf die Versorgung Deutschlands mit Lebensmitteln und
auf den Beginn der Kohlenlieferungen an Frankreich bezogen.
39
DRITTES KAPITEL
DIE ERRICHTUNG
DER REPARATIONSKOMMISSION
Da die Reparationskommission vor der formellen Ratifikation
des Vertrages in den alliierten Ländern nicht errichtet werden
konnte, bildete sich unter Vorsitz von Loucheur zunächst ein
Organisationskomitee der Reparationskommission, Die deutsche
Regierung schuf alsbald zum dauernden Verkehr mit der Repa-
rationskommission ein besonderes Organ, die Kriegslasten-
kommission, deren Vorsitzender ständig nach Paris delegiert
wurde,
Erst am 10, Januar 1920 trat der Vertrag von Versailles in
Kraft. Der lange Aufschub ist dem Umstand zuzuschreiben, daß
es dem Präsidenten Wilson nicht gelang, beim Kongreß den Bei-
tritt der Vereinigten Staaten zum Vertrage durchzusetzen, Die
Alliierten hatten immer noch auf die Annahme des Vertrages
durch den Kongreß gewartet, mußten ihn aber schließlich ohne
die Mitwirkung der Vereinigten Staaten in Kraft setzen. Daher ist
Amerika auch in der Reparationskommission nicht offiziell ver-
treten. Allerdings haben von Anfang an zwei „inoffizielle Beob-
achter” der amerikanischen Regierung in der Kommission mit-
gearbeitet, aber nur mit beratender Stimme, Roland W. Boyden
und James A. Logan haben in ihrer schwierigen Stellung als
„Beobachter“ Jahre hindurch bei den Verhandlungen aus-
gezeichnete Dienste geleistet. In vielen Fällen sind sie bei Streit-
fragen als Schiedsrichter herangezogen worden. Jedoch war diese
40
| Tätigkeit kein genügender Ersatz für eine offizielle und gleich-
berechtigte Mitwirkung von amerikanischen Delegierten in der
Kommission. Die Vorschriften des Vertrages setzen die Beteiligung
der Vereinigten Staaten an der Kommission voraus. Ueberall im
Vertrage sind die amerikanischen Mitglieder der Kommission an
erster Stelle genannt, Fünf stimmberechtigte Mitglieder sollten in
der Kommission sitzen. Wenn Amerika ausfiel, so blieben nur
vier. Tatsächlich haben auch von jeher, abgesehen von wenigen
Fällen, in denen die Japaner beteiligt waren, immer nur vier Mit-
glieder, nämlich die Delegierten von Großbritannien, Frankreich,
Italien und Belgien, die Beschlüsse der Kommission herbeigeführt.
Es leuchtet ein, daß das Fernbleiben von Amerika das Verhältnis
der Stimmen und der Kräfte in der Kommission wesentlich be-
einflußt hat. Der Vorsitz in der Kommission war den Vereinigten
Staaten zugedacht. Das hätte sowohl der politischen und wirt-
schaftlichen Macht der Vereinigten Staaten, wie auch dem im
Vertrage festgelegten Grundsatz entsprochen, daß das Verfahren
der Kommission von Gerechtigkeit, Billigkeit und Treu und
Glauben geleitet werden solle. Unter allen am Kriege beteiligten
- Mächten standen die Vereinigten Staaten dem Streit der Gegner
am wenigsten parteiisch und voreingenommen gegenüber. Unter
ihrem Vorsitz wäre das Prinzip der ausgleichenden Billigkeit am
besten durchzuführen gewesen. Unparteilichkeit in der Leitung
war um so nötiger, als die Reparationskommission mit sehr weit-
reichenden Befugnissen versehen war, die in der Theorie wenig-
stens einer Diktatur über Deutschland gleichkamen. Die Stimme
des amerikanischen Delegierten würde, soweit der Vertrag nicht
Si _ ausdrücklich Einstimmigkeit verlangte, in allen wichtigen Fällen
den Ausschlag gegeben haben. Der Ausfall Amerikas hat dazu
geführt, daß Frankreich den Vorsitz und damit den maßgebenden
Einfluß in der Kommission erhielt. Das war bis zu einem gewissen
4 Grade berechtigt, weil Frankreich den größten Schaden erlitten
_ und für sich allein den größten Anteil an der Reparation zu
_ fordern hatte, Es hatte aber den wesentlichen psychologischen
- Nachteil, daß damit der natürliche Gegensatz zwischen der Kom-
y mission und Deutschland auf das stärkste betont wurde. Die Ge-
41
fühle des Hasses, der Erbitterung und der Furcht, welche Frank-
reich nach einem Kriege von mehr als vier J ahren. im eigenen
Lande gegen Deutschland hegte, mußten sich notwendig in den
Beratungen der Kommission widerspiegeln, sobald der ent-
scheidende Einfluß gerade F rankreich zufiel. Dadurch wurden
aber auch die Stellung und die Gefühle Deutschlands gegenüber
der Kommission ungünstig beeinflußt. Bei einem Vorsitz der Ver-
einigten Staaten hätte die überwiegende Mehrzahl des deutschen
Volkes daran glauben können, daß Recht und Billigkeit wirklich
die leitenden Grundsätze der Kommission sein würden, Bei dem
Ueberwiegen Frankreichs war es nur zu verständlich, daß
Deutschland alsbald in der Kommission einen Feind sah, aus
dessen Machtbereich es zu entkommen suchte, sobald sich irgend-
eine Gelegenheit dazu ergab. Wir werden in der Folge auf diese
Erscheinung noch häufig zurückkommen. Jedenfalls steht fest,
daß infolge der Ablehnung des Vertra ges von Versailles durch
Amerika die Reparationskommission mangelhaft und falsch
zusammengesetzt und in ihrer Tätigkeit von vornherein ge-
lähmt war.
Deutschland hat es seinerzeit aus allgemeinen politischen
Gründen für richtig gehalten, gegen die vertragswidrige Zu-
sammensetzung der Reparationskommission keinen Widerspruch
zu erheben und aus dem Ausscheiden Amerikas Einwendungen
gegen die Tätigkeit der Kommission nicht herzuleiten,
Fast fünf Jahre lang hat die Reparationskommission ohne
offizielle Beteiligung Amerikas gearbeitet. Unter diesen Um-
ständen konnte sie die überragende Stellung, die ihr im Vertrage
zugedacht war, von Anfang an nicht einnehmen. Weder Deutsch-
land noch den alliierten Mächten gegenüber hat sie ihre Selb-
ständigkeit wahren können, Statt in ihrem Schoße die ver-
schiedenen Interessen der einzelnen Alliierten auszugleichen
und auf dem Boden wirtschaftlicher Vernunft einheitlich zu
entscheiden, hat die Kommission unter politischem Druck in
allen wirklich wichtigen Streitfragen die Entscheidung den
alliierten Regierungen überlassen müssen, die von Konferenz zu
Konferenz immer tiefer in die vertraglichen Rechte der Kom-
42
mission eingriffen, Während der ganzen Zeit der Eee
| var die Reparationskommission ohne Bedeutung und eigen B
1 ohne Beschäftigung. Erst mit der Berufung des rn "
Sachverständigen, welche den Dawesplan geschaffen ha “ 3
R. die Kommission wieder die Initiative ergritien und o- ei
4 bleibendes Verdienst erworben. Dabei hat sie allerdings “ ._.
4 schöpferische Tätigkeit zugunsten des Komitees verzic . ü «
4 Entsagen war nötig, weil das Reparationsproblem gar Rn
Be hervorragende amerikanische Mitarbeit der Lösung 2 e Hr
bracht werden konnte, und weil der amerikanische Ein " er
3 in der Kommission selber, wohl aber im Kreise der Sachvers “
digen geltend zu machen war, So ist nach langen Irrwegen en ö
lich das erreicht worden, was den Verfassern des Vertrages ei
4 Versailles vorschwebte: die Regelung der Reparation unter
_ amerikanischer Führung.
43
VIERTES KAPITEL
DIESACHLIEFERUNGEN
BIS ZUR KONFERENZ VON SPA
Da der Vertrag von Versailles für die Zahlung der ersten
20 Milliarden Goldmark eine Frist bis zum 1. Mai 1921, also von
fast zwei Jahren, gelassen hatte, blieb die F rage der Barleistungen
auf Reparationskonto zunächst im Hintergrund,
Das Organisationskomitee der Reparationskommission und später
die Kommission selber stellten ihre Tätigkeit in der Hauptsache
darauf ab, von Deutschland so bald wie möglich Sachlieferungen
zu erhalten. Die deutsche Regierung bemühte sich in erster Linie
darum, eine Organisation zu schaffen, in der deutsche Unter-
nehmer und Arbeiter beim Wiederaufbau der zerstörten Gebiete
tätig sein sollten, Zu diesem Zwecke wurde in Berlin die Stelle
eines Reichskommissars für den Wiederaufbau eingerichtet und
im Herbst 1919 sogar ein besonderes Ministerium für den Wieder-
aufbau geschaffen, Aus den Verhandlungen des Jahres 1919 über
die deutsche Mitarbeit am Wiederaufbau ist so gut wie gar nichts
herausgekommen. Frankreich nahm vor allem daran Anstoß, daß
die deutschen Arbeiter in Frankreich gewerkschaftlich organi-
siert sein sollten. Auch wurde die Beteiligung deutscher Unter-
nehmer kurzweg abgelehnt, Nur die Herstellung der nord-
französischen Kohlengruben, die bei dem Rückzug der deutschen
Heere im Herbst 1918 zerstört worden waren, wurde zwischen
Loucheur und dem deutschen Aufbaukommissar eine Zeitlang
ernsthaft behandelt. Das deutsche Angebot für die Instandsetzung
44
4 der Gruben wurde aber schließlich wegen ungünstiger Bedingungen
von Frankreich abgelehnt. | ;
Es mag sein, daß bei mehr Energie und weniger büro-
kratischer Schwerfälligkeit eine Einigung zwischen den fran-
zösischen Interessenten und den deutschen Unternehmern zu
erzielen gewesen wäre, Jedenfalls ist es bedauerlich, daß eine so
. gute Gelegenheit zur direkten Beseitigung angerichteter Kriegs-
4 schäden ungenutzt vorbeiging.
4 Schon im Juli 1919 betrieb Loucheur die Lieferung von be-
stimmten deutschen Waren, vor allem von Kohle, Die deutsche
“ Regierung ließ sich bereitwillig darauf ein, obwohl es Ihr gutes
n Recht gewesen wäre, bis zum Inkrafttreten des Versailler Ver-
u trages jede Leistung auf Grund dieses Vertrages zu verweigern.
Deutschland wollte damit zeigen, daß es den besten Willen zur
Reparation hatte und die Erfüllung der übernommenen Pflicht
vor die Wahrung juristischer Formen setzte, Darum haben in
Versailles sofort nach Zeichnung des Vertrages die deutschen
_ und französischen Vertreter über eine Reihe von Sachlieferungen
1 verhandelt, Diese betrafen außer Kohle noch Ammoniak, Benzol,
: Eckerrübensamen, Saathafer usw. Saathafer für die zerstörten
Gebiete ist in ziemlich erheblichen Mengen noch im Herbst 1919
— also vor Inkrafttreten des Versailler Vertrages — an Frank-
reich geliefert worden.
- Das Hauptinteresse aber richtete sich, wie gesagt, auf die
Lieferung von Kohle, Nach eingehender Vorarbeit wurde am
29. August 1919 in Versailles ein Protokoll gezeichnet, in welchem
Deutschland unbeschadet der Vorschriften des Vertrages über
den Beginn der Kohlenlieferungen: sich bereit erklärte, schon
vom 1, September 1919 ab Kohle zu liefern. Die vorzeitig ge-
lieferten Mengen sollten auf die nach Inkrafttreten des Vertrages
fälligen Pflichtlieferungen angerechnet werden. Als Gegengabe
für die Vorleistung erklärte das Organisationskomitee, daß es
_ der Reparationskommission vorschlagen würde, die monatlichen
Kohlenlieferungen vom Inkrafttreten des Friedensvertrages ab
bis zum 30, April 1920 nur in Höhe von 1660000 Tonnen fest-
4 zusetzen. Für den Fall, daß die deutsche Kohlenförderung monat-
45
lich 9 Millionen Tonnen übersteigen würde, sollten die Repa-
rationslieferungen um 60 Prozent der Mehrförderung erhöht
werden. Eine Pflicht zur Vorlieferung bestimmter Monatsmengen
wurde von Deutschland in dem Protokoll nicht übernommen.
Da die Kohlenfrage sehr bald zu schweren Konflikten mit
den Alliierten führte, ist bezweifelt worden, ob es ratsam war,
mit den Lieferungen schon vor Inkrafttreten des Vertrages zu
beginnen. Es ist zuzugeben, daß die deutsche Regierung sich auf
den Rechtsboden stellen und jede Lieferung vor Inkrafttreten
des Vertrages ablehnen konnte, Das wäre auch deshalb von Be-
deutung gewesen, weil nach dem Vertrage alle Lieferungen nach
dem 1. Januar 1920 von der Reparationskommission mit einer
Frist von 120 Tagen anzukündigen waren. Von Rechts wegen
hätte die Kommission frühestens am 10, Januar 1920, dem Tage
des Inkrafttretens des Vertrages, Kohle anfordern dürfen, und
die Lieferung hätte erst 120 Tage danach, d. h. am 10, Mai 1920,
beginnen müssen.
Hinzu kam, daß die Lage der Kohlenversorgung in Deutsch-
land, wie in allen Ländern Europas unmittelbar nach dem Kriege
sehr ungünstig war. Der ständige Kohlenmangel, unter dem die
Völker während der letzten Jahre des Krieges gelitten hatten,
besserte sich nach dem Friedensschluß zunächst nicht. Für die
Erholung der deutschen Wirtschaft war es notwendig, die ge-
samte Kohlenproduktion Deutschlands für das eigene Land zu
verwenden, Allerdings hatte sich die deutsche Regierung schon
während des Waffenstillstandes in dem sogenannten Luxemburger
Protokoll vom 25, Dezember 1918 verpflichtet, die Eisenindustrie
Lothringens sofort mit Kohle und Koks zu beliefern. Däbei
handelte es sich aber nicht um besonders große Mengen. Wenn
Deutschland sich daher zu einer vorzeitigen Lieferung von Kohle
und Koks an die Alliierten entschloß, so bedeutete das ein großes
Opfer für die heimische Wirtschaft und eine erhebliche An-
strengung für die Reparation, welche die volle Anerkennung
der Alliierten verdient hätte, Freilich lag in dem Protokoll vom
29. August 1919 auch für Deutschland ein gewisser Schutz gegen
übermäßige Anforderungen der Reparationskommission, weil
46
Re wenigstens bis zum 30, April 1920 voraussichtlich nicht mehr als
4660000 Tonnen im Monat an die Alliierten zu liefern waren,
während bei voller Ausnützung der Vorschriften des Vertrages
die Alliierten monatlich bis zu 3% Millionen Tonnen hätten
fordern können. Uebrigens konnte man im August 1919 nicht
4 voraussehen, daß sich die Ratifikation des Versailler Vertrages so
| n lange hinziehen würde. Es war daher im deutschen Interesse _
. ganz vernünftig, mit den Lieferungen beizeiten anzufangen, um
nicht eines Tages von unerfüllbaren Anforderungen überrascht
zu werden.
Dank der sachverständigen Mitarbeit des deutschen Kohlen-
'syndikats, dessen Direktor Luebsen an den Verhandlungen mit
den Alliierten hervorragend beteiligt war, kamen die Kohlen-
lieferungen mit dem 1. September 1919 in Fluß. Sie stiegen bald
auf etwa 700000 Tonnen im Monat und beliefen sich bis zum
10, Januar 1920 im ganzen auf mehr als 2% Millionen Tonnen.
Da der Kohlenbedarf Frankreichs aber auch mit diesen erheb-
lichen Mengen nicht voll gedeckt werden konnte, so hörten die
Beschwerden über zu geringe deutsche Lieferungen nicht auf, Bei
einer Besprechung in Essen im Dezember 1919 wurde eine monat-
liche Lieferung von 1 Million Tonnen vereinbart. Diese Zitter
wurde jedoch im Januar wegen Streiks und Hochwassers im Rhein
_ hei weitem nicht erreicht.
Nach dem Inkrafttreten des Friedensvertrages teilte die
_ Reparationskommission der deutschen Regierung mit, daß die
Kohlenlieferungen einstweilen gemäß dem Protokoll vom
29. August 1919 weiter laufen sollten. Bereits am 10. Februar
1920 aber setzte die Kommission die monatlichen Mengen
ei; R nach Anrechnung der geleisteten Vorlieferungen auf 2234 000
Tonnen fest. Zu gleicher Zeit wurde Deutschland benachrichtigt,
ER aus der Kohlenförderung von Oberschlesien, das bis zur
r Volksabstimmung über die Zugehörigkeit zu Deutschland oder
Polen unter der Kontrolle der Internationalen Oberschlesischen
a Abstimmungskommission stand, monatlich 200000 Tonnen an
a Oesterreich, 250000 Tonnen an Polen und 20000, später 40 000
R: Tonnen an Italien zu liefern seien, und daß Deutschland aus
„
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R
Oberschlesien nur die Kohlen erhalten solle, welche nach dem
eigenen Verbrauch von Oberschlesien noch übrig bleiben würden.
Diese gewaltige Erhöhung des Lieferungsprogramms widersprach
dem mit Loucheur geschlossenen Abkommen.. Aber Loucheur war
inzwischen mit dem Sturz des Kabinetts Clemenceau aus der
französischen Regierung ausgeschieden, An seine Stelle trat als
. Präsident der Reparationskommission zunächst Jonnart, dann bis
zum 19, Mai 1920 Poincare.
' Die Lage wurde verschärft durch eine Note des französischen
Ministerpräsidenten Millerand vom 8, Februar 1920, in welcher
er über die Mängel der deutschen Kohlenlieferung bittere Klage
führte, Deutschland erklärte der Reparationskommission, daß die
neuerdings verlangten Kohlenlieferungen nicht ausführbar seien.
Im Anschluß daran fanden in Paris vor der Kommission ein-
gehende Besprechungen statt, in deren Verlauf die Kommission
am 31, März 1920 die Lieferung für April auf 1440000 Tonnen
festsetzte, Inzwischen hatte sich die Lage der Förderung und des
Verkehrs in Deutschland nicht gebessert. Das Hochwasser
des Rheins dauerte auch im Februar an, Im März entstanden
unter der Rückwirkung des bekannten Kapp-Putsches schwere
kommunistische Unruhen im Ruhrgebiet, Die Folge davon war,
daß die Lieferungen im März und April nicht wesentlich stiegen.
Am 29, April setzte die Reparationskommission die Kohlen-
lieferung für Mai auf 1925000 Tonnen, für Juni auf 2062 000
Tonnen und für Juli auf 2175000 Tonnen fest. Diese Ziffern
waren unvernünftig hoch, Sie wurden von den Mitgliedern der
Reparationskommission, die zusammen mit der deutschen Ver-
tretung die Kohlenfrage eingehend behandelt hatten, keineswegs
gebilligt. Inwieweit die offizielle Anforderung der Reparations-
kommission auf politische Einflüsse zurückzuführen war, kann
dahingestellt bleiben, Tatsache ist, daß die Kommission selber
keine vollständige Erfüllung ihres Kohlenprogramms, sondern
nur ein allmähliches Anwachsen der Lieferungen erwartete, Als
ich Ende Mai 1920 einem Mitglied der Reparationskommission
mitteilen konnte, daß die Lieferung für den Monat Mai voraus-
sichtlich 1 Million Tonnen betragen werde, erhielt ich zur Ant-
48
wort, das sei sehr erfreulich, und wenn meine Erwartung. sich
erfülle,. werde die Reparationskommission offiziell erklären,
Deutschland habe eine dankenswerte Anstrengung gemacht.
Hier sei ein Wort über den deutschen Verkehr mit der Repa-
rationskommission eingeschaltet. Er trug bei Beginn der Be-
ziehungen durchaus den Charakter eines kriegsgerichtlichen Ver-
fahrens, bei dem der deutsche Vertreter als Angeschuldigter er-
schien und als solcher behandelt wurde, Nach einer derartigen
Sitzung unter Poincar& — im Februar 1920 — erklärte ich einigen
Mitgliedern der Kommission, daß ich mir diese Behandlung nicht
gefallen ließe und bei Wiederholung den Sitzungssaal verlassen
_ würde, Ich hätte den Posten als deutscher Vertreter bei der
_ Reparationskommission übernommen, um in geschäftlich ruhiger
_ Aussprache die schwere Aufgabe der Reparation allmählich
möglich zu machen, Das sei in offiziellen Sitzungen und in dem
Stile gerichtlicher Verhandlungen nicht zu erreichen. Für ver-
— nünftige Besprechungen sei ich immer zu haben, aber nicht für
Gerichtssitzungen, Das half sofort. Immer mehr entwickelte sich
zwischen den meisten Mitgliedern der Kommission und mir ein
zwangloser und offener Verkehr, bei dem beide Parteien ver-
suchten, den Bedürfnissen und dem Standpunkt des Vertrags-
gegners gerecht zu werden. Nur die hohe Politik hat immer wieder
die Fäden zerrissen, die so gesponnen wurden, und die wir in
zäher Arbeit mühsam wieder zusammenknüpfen mußten, wenn
E sich das politische Gewitter mit Blitz und Donner ausgetobt hatte.
Mitten in diese Entwicklung hinein fiel eine Note der Repa-
rationskommission vom 29, Mai 1920, wonach die Lieferung
von oberschlesischer Kohle an Polen unter gewissen Bedingungen
um 200 000 Tonnen auf 450 000 Tonnen im Monat erhöht werden
sollte, Anlaß dazu gaben die erhöhten Bedürfnisse Polens, das
damals im Krieg mit der Sowjetregierung lag. Damit wurde aber
mw der ohnehin schwache Bezug Deutschlands an oberschlesischer
De Kohle noch weiter in unerträglicher Weise eingeschränkt. Die
deutsche Regierung war der Ansicht, daß die Reparations-
— kommission nicht berechtigt sei, Lieferungen aus Oberschlesien
BE "vorzuschreiben, und griff eigenmächtig zu der Gegenmaßnahme,
Bergmann, Der Weg der Reparation 4 49
die Reparationslieferungen aus dem Ruhrgebiet um täglich 10 000
Tonnen zu kürzen. Trotz aller Warnungen der deutschen Ver-
treter in Paris verblieb die Regierung bei dieser Maßregel auch
dann, als die Reparationskommission offiziell anfragte, ob die
Kürzung der Liefermengen, von der sie unter der Hand gehört
habe, den Tatsachen entspreche, Als dies unter Hinweis auf die
deutsche Notlage bestätigt werden mußte, brach der offene Kon-
flikt aus, Die Kommission teilte auf Grund der Sanktions-
paragraphen 17 und 18 des Anhangs II zu Teil VIII des Ver-
trages von Versailles den alliierten Regierungen am 30, Juni 1920
mit, daß Deutschland vorsätzlich seine Pflicht zur Lieferung
von Kohle nicht erfüllt habe, Die Alliierten setzten den Vorfall auf
das Programm der Konferenz in Spa.
Bei den Kohlenverhandlungen im März und April 1920 in
Paris wurden, abgesehen von den Kohlenmengen, noch zwei
strittige Fragen besonders eingehend besprochen, Die eine betraf
den Preis für die Reparationskohle, Etwa ein Drittel der für
Frankreich bestimmten Kohle wurde mit Rheinkähnen nach
Rotterdam gebracht, um von da auf Seeschiffe umgeladen zu
werden, Deutschland beanspruchte hierfür den im Vertrage von
Versailles für die Verschiffung von Kohle zur See festgesetzten
deutschen oder englischen Ausfuhrpreis, der infolge der damals
besonders starken Markentwertung sich um ein Vielfaches höher
stellte als der deutsche Inlandpreis. In der Reparationskom-
mission trat die Mehrzahl der Mitglieder dem deutschen Stand-
punkt bei. Die französische Delegation aber wollte den lächerlich
billigen deutschen Inlandpreis möglichst für alle Kohlenbezüge
ausnutzen und weigerte sich, die Verschiffung über Rotterdam
als Seeweg anzuerkennen, |
Der zweite Punkt betraf die Kohlentransporte auf dem Rhein
selbst, Das deutsche Kohlensyndikat, das die Verfrachtung bis
zur Grenze des Empfangslandes für deutsche Rechnung vor-
zunehmen hatte, bestand darauf, daß es die Rheintransporte ein-
heitlich in seiner Hand behalten müsse, um die glatte Lieferung
zu gewährleisten, Es erklärte sich bereit, nach allgemeinen ge-
schäftlichen Grundsätzen auch französische Schleppkähne für
‚50
porte.
4 den Transport zu chartern. Demgegenüber verlangten die franzö-
_ sischen Interessenten eine prozentuale Teilung der Kohlentrans-
Beide Streitfragen haben die Kohlenverhandlungen seiner-
#. zeit ungünstig beeinflußt. Sie sind innerhalb der Reparations-
kommission nie zum völligen Austrag gekommen, sondern wurden
im Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich erst durch
. das Wiesbadener Abkommen vom 7. Oktober 1921 geregelt. Da-
bei sind die französischen Wünsche im wesentlichen befriedigt
worden.
” > EUpE
FÜNFTES KAPITEL
DIE KONFERENZ VON SPA
Bald nachdem der Vertrag von Versailles in Kraft gesetzt war,
traten auf Betreiben von Lloyd George die Premierminister der
alliierten Hauptmächte miteinander in Verbindung, um die im
Vertrage offen gebliebene Höhe der Reparationsschuld fest-
zustellen. Lloyd George, der in Versailles seine gemäßigten An-
sichten bei den Franzosen nicht hatte durchsetzen können,
glaubte, daß jetzt die Zeit gekommen sei, durch Aussprache
zwischen den alliierten Mächten und unter Teilnahme Deutsch-
lands das Problem endgültig zu regeln. Unter dem Vorsitz des
italienischen Ministerpräsidenten Nitti fand vom 19, bis 26. April
1920 eine erste Besprechung der Alliierten in San Remo statt,
die im Streit der verschiedenen Ansichten ein materielles Er-
gebnis zwar nicht zeitigte, wohl aber dazu führte, daß die deutsche
Regierung am 26. April zu einer Konferenz in Spa eingeladen
wurde, Die Form der Einladung ist so bezeichnend, daß sie hier
zitiert werden soll. Als Anlaß diente das Ersuchen des deutschen
Reichswehrministers an den Obersten Rat, ein Heer von 200 000
Mann anstatt der im Vertrage vorgesehenen 100000 Mann zu
unterhalten. Das Ersuchen wurde mit folgender Bemerkung ab-
gelehnt:
„Deutschland hat seine Verpflichtungen nicht erfüllt, Das be-
zieht sich sowohl auf die Zerstörung des Kriegsmaterials, wie auf
die Herabsetzung der Heeresbestände, die Kohlenlieferungen, die
Reparation und die Kosten für das Besatzungsheer. Es hat wegen
der Anschläge, die wiederholt auf Mitglieder alliierter Missionen
52
verübt wurden, weder Genugtuung geleistet, noch sich ent-
schuldigt. Es hat auch noch nicht, wie es im Protokoll des
Friedensvertrages vorgesehen ist, Maßnahmen getroffen, um seine
Reparationsschuld zu bestimmen und um Vorschläge zu machen,
damit der von Deutschland zu zahlende Gesamtbetrag festgesetzt
werden kann, trotz des dringenden Interesses, das eine Regelung
dieser Art für alle Parteien hat. Deutschland scheint noch nicht
4 einmal geprüft zu haben, wie es seinen Verpflichtungen nach-
kommen kann, wenn sie fällig werden,
Die Alliierten leugnen die Schwierigkeiten nicht ab, denen die
deutsche Regierung gegenübersteht, und suchen ihr nicht eine
allzu engherzige Interpretation des Friedensvertrages aufzu-
zwingen, aber sie sind einig in der Erklärung, daß sie die Fort-
setzung der Verstöße gegen den Friedensvertrag von Versailles
nicht dulden können, daß dieser Vertrag ausgeführt werden muß,
daß er die Grundlage der Beziehungen Deutschlands zu den
Alliierten bildet, und daß die Alliierten entschlossen sind, alle
Maßnahmen zu ergreifen, selbst wenn es notwendig sein sollte,
auch zur Besetzung eines neuen Teils des deutschen Gebiets zu
schreiten, um die Ausführung des Vertrags sicherzustellen. Die
E "Alliierten erklären übrigens, daß sie nicht die Absicht haben,
irgendeinen Teil des deutschen Gebiets zu annektieren. Die
Alliierten glauben, daß die durch die Verletzungen des Friedens-
vertrages aufgeworfenen Fragen und die zur Sicherstellung der
Ausführung notwendigen Maßnahmen besser durch einen Mei-
‚= Be Rgeaustausch zwischen den Regierungschefs geregelt werden
_ können als durch Noten, Die Alliierten haben deshalb beschlossen,
i die Chefs der deutschen Regierung zu einer direkten Konierenz
ni = .. D ”
mit den Chefs der alliierten Regierungen einzuladen.”
Man sieht genau, wie in die Note von allen Beteiligten etwas
E _ hineingebracht worden ist: Vorwürfe und Drohungen, dem franzö-
E ‚sischen Verkehrston mit Deutschland entsprechend, zugleich aber
"in der milderen Tonart der übrigen Verfasser des Schreibens ein
# _ wohlmeinender Appell an die bessere Einsicht des „Schuldigen”.
Bir.
Bar}.
Die Konferenz von Spa war ursprünglich auf den 25. Mai
3 angesetzt, wurde aber, wohl auch wegen der deutschen Wahlen
53
zum Reichstag, bis zum 5, Juli 1920 vertagt. Die alliierten Premiers
trafen sich inzwischen mehrfach in Hythe — 15, Mai und 19, Juni
1920 —, ohne zu einer grundsätzlichen Einigung über die
Reparation zu gelangen. Man entschloß sich jedoch dazu, eine
Kommission von Sachverständigen zu ernennen, die ein Schema
auszuarbeiten hatte, wonach Deutschland jedes Jahr eine gewisse
Mindestsumme und je nach seiner erhöhten Zahlungsfähigkeit
Zuschläge dazu zahlen sollte,
Größere Bedeutung hatte die nächste Zusammenkunft der
alliierten Häupter in Boulogne am 20, Juni 1920, Hier kam es
auf Grund der Arbeiten der Sachverständigen zu einem Plan,
der lange Zeit geheimgehalten wurde. Die Hauptpunkte des
Planes von Boulogne waren:
a) Deutschland zahlt
1. vom 1. Mai 1921 ab 42 Jahre lang eine feste Annuität
von 3 Milliarden Goldmark,
2. vom 1, Mai 1926 ab 37 Jahre lang eine Zusatzannuität
von 3 Milliarden für 5 Jahre und von 4 Milliarden für
die folgenden 32 Jahre, also im ganzen
. vom 1. Mai 1921 bis 30. April 19263 Milliarden ( 5 Jahre)
vom 1. Mai 1926 bis 30. April 1931 6 Milliarden ( 5 Jahre)
vom 1.Mai 1931 bis 30. April 1963 7 Milliarden (32 Jahre)
das macht zusammen 269 Milliarden Goldmark in
42 Jahren.
b) Die Reparationskommission hat das Recht, die Zusatz-
zahlungen teilweise zu verschieben. Deutschland erhält bei
Vorauszahlung der Annuitäten einen Rediskont zuge-
billigt, der mit 8 Prozent beginnt und sich in sechs Jahren
auf 5 Prozent ermäßigt, wobei jedoch wiederum die Re-
parationskommission ermächtigt ist, den vollen Rediskont-
satz von 8 Prozent aufrechtzuerhalten,
c) Deutschland soll für die Reparation internationale Anleihen
aufnehmen. Die Reparationskommission kann von dem
Erlös der Anleihen 20 Prozent für Deutschlands eigenen
Bedarf anweisen, Sie errichtet eine internationale Kom-
34
mission für die deutsche auswärtige Schuld. Als Sicherheit
für die Anleihen sollen dienen |
1. deutsche Industriepapiere bis zu fünf Milliarden Gold-
mark und sonstige auf Vorschlag Deutschlands von der
Reparationskommission gebilligte Wertpapiere,
2, sämtliche deutsche Zölle, Die Zollsätze können nur mit
Genehmigung der Reparationskommission geändert
werden. Die Zölle werden an einen von der Repa-
rationskommission zu bestimmenden Generaleinnehmer
gezahlt. Die Reparationskommission hat das Recht, die
Zollsätze zu erhöhen,
e:. Die alliierten Premierminister trafen sich vor Spa erst noch in
Brüssel am 2. und 3, Juli 1920.
_ Mit ihrem Entschluß, die Reparationsschuld im Verhandlungs-
a res: festzusetzen, griffen die alliierten Regierungen in die durch
_ den Vertrag von Versailles der Reparationskommission zuge-
BE chenen Rechte ein. Es ist nichts Näheres darüber bekannt
R geworden, ob die Mitglieder der Kommission bei ihren Regierungen
| Eaind Die Konsequenzen daraus hat jedenfalls allein Poincare ge-
B zogen, der am 19. Mai sein Amt als Präsident und Mitglied der
| “ - Reparationskommission niederlegte, Wie seltsam! Derselbe Poin-
care, der in der Folge als Ministerpräsident die französischen
iesierten in der Reparationskommission stets nach seinem
Willen beeinflußte und lenkte, hat damals seinen Austritt aus
# der Kommission öffentlich damit begründet, daß die alliierten
E Regierungen die Kommission ihrer Vertragsrechte berauben
wollten, Freilich, damals schien es, als ob die alliierten Regie-
_ rungen die Reparation durch Ermäßigung der deutschen Schuld
zu regeln suchten, während Poincar& zu jeder Zeit die starre Auf-
_ echterhaltung der vertragsmäßigen Rechte Frankreichs verfocht.
Sein Nachfolger in der Kommission wurde Louis Dubois.
K Die Tatsache, daß die wichtigste Aufgabe der Kommission
über ihren Kopf hinweg von den alliierten Regierungen selbst
aufgegriffen und damit aus der ruhigeren Atmosphäre der Kom-
_ Mission in die Wirbel der hohen Politik hineingerissen wurde,
55
_ wegen dieser Schmälerung ihrer Befugnisse vorstellig geworden _
hat sehr viel dazu getan, das Ansehen der Kommission herab-
zusetzen und den Anschein zu erwecken, daß sie mehr oder
weniger ein politisches Werkzeug in den Händen der alliierten
Mächte sei. In dem Kreise der Reparationskommission ist man
sich darüber sicherlich klar gewesen. Ihre Mitglieder haben auch
nicht alle einfach die Hände in den Schoß gelegt. Einige von
ihnen haben sich ernstlich bemüht, die Entwicklung der Repa-
rationsfrage in geordnete Bahnen zu leiten und die einmal fest-
‚gesetzte Konferenz von Spa in steter Fühlung mit der deutschen
Vertretung in Paris sachverständig vorzubereiten,
Ich habe gerade in jener Zeit oft und eingehend mit den
meisten Mitgliedern der Kommission über die Lage gesprochen.
Sie glaubten nicht daran, daß in Spa für die Reparation etwas
Praktisches herauskommen würde, Die Mehrzahl wünschte mög-
lichst bald einen Pauschalbetrag festzusetzen, der die gesamte
Schuld Deutschlands darstellen sollte, Die öffentliche Meinung
Frankreichs, beherrscht durch die Richtung Foch-Poincare, stand
dem jedoch im Wege. Immerhin hoffte man in der Reparations-
kommission, daß es mit der Zeit und mit Hilfe gründlicher Aus-
sprache gelingen würde, den französischen Standpunkt zu ändern.
Ich wurde vertraulich aufgefordert, mit deutschen Vorschlägen
für die Regelung der Reparation zu kommen. Auf die Frage, ob
wir uns denn in Deutschland überhaupt schon ein ziffernmäßiges
Bild über ein Angebot gemacht hätten, habe ich damals erklärt,
daß man hie und da überlegt habe, ob Deutschland für die Repa-
ration eine Jahreszahlung von einer Milliarde Goldmark auf
30 Jahre aufbringen könne, Darauf wurde mir erklärt, ein solches
Angebot dürfe gar nicht laut werden, es würde nur allgemeine
Entrüstung erregen und einer verständigen Behandlung der Dinge
schaden. Tatsächlich wurde damals von Deutschland ein solches
Angebot für Spa vorbereitet, Glücklicherweise kam es zur
Nennung von bestimmten Ziffern in Spa nicht. Es war klar, daß
damals die Kommission nicht daran dachte, die Lösung des
Finanzproblems aus der Hand zu geben und dem Obersten Rat
der Alliierten zu überlassen. Sie erwartete vielmehr, daß die
Konferenz von Spa dazu helfen würde, eine direkte F ühlung und
56
2 ein besseres Verhältnis mit der deutschen Regierung herzustellen,
ohne an den Aufgaben der Reparationskommission etwas Wesent-
jiches zu ändern. In Deutschland war man freilich stets gern
bereit, die Kommission beiseite zu schieben und in ee
4 fragen unmittelbar mit den alliierten Regierungen zu mn n.
Ich selbst habe stets vor dieser Politik gewarnt, weil die Alliierten
letzten Endes ihre Beschlüsse doch immer nur im ar
mit der Reparationskommission fassen würden und die eigentliche
Arbeit in der Reparation nicht von den politischen Chels, sondern
von den sachverständigen Mitgliedern der Reparationskommission
4 geleistet werden müsse. Daher sei es zwecklos und era
a unklug, die Kommission durch Nichtachtung zu N ir
Erfahrungen der Folgezeit haben mir leider nur allzu sehr Rec
R. gegeben,
Eine gemeinsame vertrauliche Unterredung, die Dr. Carl
e Melchior und ich am 9. Juni 1920 mit mehreren Mitgliedern der
4 Reparationskommission hatten, ergab, daß ein deutsches AARON
eh Spa wohl nötig sei, aber mit Vorsicht behandelt werden
2 _ müsse. Man sagte uns: Würden die deutschen Vertreter in Spa
erklären, daß infolge der zerrütteten politischen und wirtschaft-
E lichen Lage Deutschlands zur Zeit kein Angebot gemacht werden
EE könne, so bestehe die Gefahr, daß Deutschland erneut in den
Verdacht der Hinterhältigkeit und der passiven Resistenz
gerate, Dadurch würden die extremen nationalistischen Kreise,
4 besonders in Frankreich und England, gestärkt werden. Ein
formuliertes Angebot der deutschen Vertreter müsse sich anderer-
a seits in den Grenzen der voraussichtlichen deutschen Leistungs-
E fähigkeit halten. Die Zahlen des Angebots würden sich sicher
“ so weit von den Ziffern entfernen, die man ın Frankreich und
E. England stets proklamiert habe, daß mit einer brüsken re
4 weisung und mit einer Zuspitzung der Lage zu rechnen sei, Viel-
Jeicht könne ein Ausweg darin liegen, daß man deutscherseits ein
B: "bestimmtes Mindestangebot mache, für den Fall der Besserung
der Verhältnisse in Deutschland aber die Leistungen erhöhe.,
So entstand die Idee des „Besserungsscheins”. Es wurde aus-
“ "führlich besprochen, wie man einen Schlüssel für die Beteiligung
57
der Alliierten an einer Besserung der deutschen wirtschaftlichen
Lage finden könne. Am zweckmäßigsten erschien es, eine Art
Spezialindex aufzustellen, dem bestimmte Faktoren der deutschen
Wirtschaftsstatistik zugrunde zu legen seien, z.B. der Ertrag
der Einkommensteuer, Ueberschüsse der Staatsbahnen, Ueber-
schüsse der Ausfuhr über die Einfuhr usw., alles in Verbindung
mit dem jeweiligen Kursstand der Mark.
Wir wurden davor gewarnt anzunehmen, daß die Stimmung
in England für uns wesentlich günstiger sei als in Frankreich.
Wenn auch die regierenden Kreise und die führenden Männer
des Wirtschaftslebens in England die gesamte Lage einsichtsvoll
beurteilten, so sei doch die öffentliche Meinung kaum von der
französischen verschieden.
Daß in der Beurteilung der Lage große Vorsicht geboten sei,
ergab sich auch aus Gesprächen, die wir etwa gleichzeitig mit
kenntnisreichen Amerikanern führten, Sie empfahlen uns, in Spa
nicht etwa sofort mit einem bestimmten Angebot herauszu-
kommen, sondern zunächst unsere wirtschaftlichen und finan-
ziellen Verhältnisse genau so zu schildern, wie sie tatsächlich
seien, und erst auf Drängen der Alliierten uns zu einem Angebot
bewegen zu lassen. Die Alliierten hätten sich von dem Elend
der deutschen Zustände mehr und mehr überzeugt und würden
einigermaßen verwundert sein, wenn wir bei diesen Verhältnissen
mit einem bestimmten Angebot hervortreten würden, Das würde
die mißtrauischen Alliierten leicht zu der Annahme bringen, daß
wir sie hineinlegen wollten, und daß wir in der Lage seien, erheb-
lich mehr zu leisten, als wir von vornherein anböten, Ferner sei es
nötig, die bisherigen deutschen Leistungen auf Grund des Ver-
sailler Vertrages nicht nur von der negativen Seite zu schildern,
wie wir das bisher immer getan hätten, nämlich unter Hinweis
darauf, wie durch alle diese Leistungen und Abgaben die deutsche
Volkswirtschaft gelähmt und zur Reparation untauglich gemacht
worden sei, sondern wir müßten auch ihre positive Seite unter-
streichen, d. h. nachweisen, wie sich die einzelnen Alliierten an
. den deutschen Leistungen bereichert, und welche Stütze sie damit
ihrem eigenen wirtschaftlichen Leben auf Kosten Deutschlands
58
B gegeben hätten. In diesem Lichte gesehen würden die ..
desindustriereichenElsaß-Lothringen, der AgrargebietevonPosen
E und Westpreußen, der Verlust der deutschen Handelsilotte, der
Kolonien, aller deutschen Eigentumsrechte und Beteiligungen im
4 Auslande, die Ablieferung von Eisenbahnmaterial, Kohlen, Vieh,
E Pferden usw. als enorme Leistungen erscheinen, die, an ihrem
E, wahren Wert gemessen, schon eine Kriegsentschädigung dar-
E ‚stellten, wie sie noch nie da war. | |
Be Diese vertraulichen Beziehungen, mit deren Hilfe der Boden
- für eine verständige Aussprache der beiden Parteien in Spa sorg-
4 sam vorbereitet werden sollte, wurden durch die Bombe des
— Kohlenkonfliktes gesprengt. in
n; Um das Unheil voll zu machen, entstand gleichzeitig eine
3 ungeheuere Aufregung, vor allem bei den englischen ne
B: der Reparationskommission, darüber, daß einige hollän isc e
EB Schiffe, deren Auslieferung die Alliierten auf Grund eines
Ei: besonderen Artikels des Versailler Vertrages verlangten, ihren
R deutschen Hafen verließen und nach Holland fuhren. Die Schiffe
waren in Deutschland gebaut, aber noch während des Baus im
Kriege an holländische Reedereien verkauft worden. Trotzdem
hatte Deutschland im Vertrage von Versailles sich verpflichten
müssen, nach Vorschrift der Reparationskommission alle Maß-
R: regeln zu ergreifen, um den Alliierten das volle Eigentumsrecht
an den Schiffen zu verschaffen. Das war nach den Begriffen des
Be lkerrechts Holland gegenüber natürlich unmöglich. Immerhin
hatte Deutschland, nachdem bereits ein Schiff unter holländischer
Flagge aus einem deutschen Hafen ausgelaufen war, Er
dafür zu sorgen, daß die übrigen Schiffe im deutschen afen
B blieben, bis die Eigentumsfrage geklärt sei. Darüber waren
e mehrere Monate verstrichen, ohne daß die Reparationskommission
weitere Schritte in der Sache getan hatte, und eines schönen
E: Tages liefen auch die übrigen Schiffe aus. Die ‚deutsche ken
tretung in Paris wurde von der Reparationskommission zur Ver-
4 antwortung gezogen. Ihre Erklärung, daß die deutsche Regierung
= ‚nicht wisse, ob die Schiffe mit ordnungsmäßigen Papieren aus-
E gelaufen seien, und daß sie im übrigen über holländische Schiffe
59
keine Macht habe, wurde als Affront betrachtet, Kurz, es kam
in der Kommission zu den leidenschaftlichsten Ausfällen digen
Deutschland. Einige Monate später wurde uns von einem Mitglied
der Kommission unter der Hand erklärt, daß sich bei näherer
Untersuchung ergeben habe, Deutschland sei in der Sache voll-
kommen im Recht gewesen, Man hat dann nichts mehr davo
gehört, ji
: Zum Ueberfluß stellten gerade zu jener Zeit deutsche Be
hörden die im Gange befindliche Lieferung von Pferden an Belsien
ein, ohne sich vorher mit dem belgischen Vertreter der Repa
rationskommission darüber zu benehmen, Es war mit der Ba
lich verärgerten Kommission nun nicht mehr vernünftig zu ver
handeln,
Alles das ereignete sich ven
| ige Tage vor der Konfer |
Spa. In Deutschland hatte soeben die Regierung A Dei
ie Kabinett unter dem Kanzler Fehrenbach hatte noch keine
nung, wie schlecht die Aussichten für Spa geworden waren
Es erwartete bestimmt, bei der Konferenz mit den alliierten Regie-
rungen ausführlich über die ion spre
formuliertes Angebot sera en een
. In der Einladung zur Konferenz hatten die Alliierten darauf
ingewiesen, daß Deutschland es versäumt habe, zur Förderun
der Reparationsarbeit Unterlagen und Vorschläge zu ee
Das Protokoll des Vertrages von Versailles hatte dafür eins Fri
a vier Monaten von der Zeichnung des Vertrages ab vorgesehen
ie deutsche Regierung war der Meinung, daß auch diese Fri t
vom Inkrafttreten des Vertrages an laufe, und hatte de halb
erst im Mai 1920 den alliierten Regierungen und der ea
kommission zwei Dokumente mit den deutschen Fesistellengen
über die in Belgien und Frankreich angerichteten Kriegsschäden
zugehen lassen. Darin waren die Schäden in Frankreich auf
7319 240 000 und in Belgien auf 2 187 992 000 Goldmark beziffert
Ferner hatte die deutsche Regierung erklärt, daß sie der Ai,
ae ao Obersten Rates entsprechend ihre Vorschläge zur
| eparalion auf der Konferenz in Spa vorlegen wolle. Zur Vor-
bereitung übergab sie den alliierten Regierungen Dönksshilien
60
über die Zahlungsfähigkeit Deutschlands, über die Steuerbelastung
in Deutschland und ein ausführliches Gutachten deutscher Sach-
verständiger über die Wirtschaftslage.
Deutschland war in Spa vertreten durch den Reichskanzler
* Fehrenbach, den Minister des Auswärtigen Dr, Simons und eine
Reihe weiterer Minister, sowie durch zahlreiche wirtschaftliche und
finanzielle Sachverständige. Die Konferenz fand unter dem Vorsitz
des belgischen Ministerpräsidenten Delacroix statt. Von den
Alliierten beteiligten sich Belgien, England, Frankreich, Italien
und Japan, In der Tagesordnung wurde die militärische Abrüstung
. und die Aburteilung der sogenannten Kriegsschuldigen voran-
gestellt, Es läßt sich denken, daß dieses Programm die Stimmung
für die Aussprache über die wirtschaftlichen Fragen nicht gerade
verbesserte.
Die deutsche Delegation war in ihrem Quartier oberhalb Spa
vollkommen isoliert. Sie traf mit den alliierten Vertretern nur im
_ Konferenzsaal zusammen und wurde mit eisiger Kälte behandelt.
‚Vier Tage lang erörterte man in immer steigender Erregung die
Entwaffnungsfragen, bis endlich ein Protokoll zustande kam, wo-
nach die Alliierten die Fristen des Vertrages für die Herabsetzung
= _ des deutschen Heeres auf 100000 Mann bis zum 1, Januar 1921
verlängerten, aber für etwaige Verstöße gegen die militärischen
Vorschriften die Besetzung der Ruhr oder anderer deutscher Ge-
biete als Sanktion androhten. Das führte zu einer leidenschaft-
lichen Kontroverse über das Recht der Alliierten, solche im Ver-
sailler Vertrage nicht vorgesehenen militärischen Maßnahmen zu
ergreifen.
In der Frage der Kriegsschuldigen einigte man sich schnell auf
die Zeichnung eines ziemlich harmlosen Protokolls. Dann kam es
endlich unter allgemeiner Spannung zur Aussprache über die
Kohlenfrage.
Die deutschen Vertreter wurden aufgefordert, sich über die
Gründe der mangelhaften Kohlenlieferung zu äußern. Diese wenig
beneidenswerte Aufgabe fiel mir zu. Nach meiner kurzen Dar-
legung brach der Sturm in Gestalt einer temperamentvollen Rede
Bu: .. 6 D ” ..ıu „
des französischen Ministerpräsidenten Millerand los. Aus Anlaß
61
der eigenmächtigen Kürzung der Kohlenlieferungen aus der Ruhr
erhob er eine einzige scharfe Anklage gegen das deutsche Ver-
halten in der Kohlenfrage, Daß Deutschland trotz schwerer wirt-
schaftlicher Bedrängnis mit den Kohlensendungen vorzeitig be-
gonnen und sehr erhebliche Mengen geliefert hatte, dafür gab es
vor diesem politischen Tribunal kein Verständnis, Zum Schlusse
teilte Millerand mit, daß der Oberste Rat beschlossen habe,
Deutschland solle den Reparationskohlen ein absolutes Vorrecht
vor allen Lieferungen für den eigenen deutschen Bedarf geben
und sich einer strengen Kontrolle der deutschen Kohlenverteilung
unterwerfen. Am folgenden Tage hatte Minister Simons Gelegen-
heit, den deutschen Standpunkt darzulegen. Er konnte erklären,
daß die gerügte Kürzung der Kohlenlieferungen von der neuen
deutschen Regierung bereits vor der Konferenz von Spa wieder
aufgehoben worden sei. Als Vertreter der deutschen Unternehmer
und der deutschen Arbeiter kamen die Herren Hugo Stinnes und
Hue zu Worte, Die Rede von Stinnes, welche mit den Worten
begann: „Ich habe mich erhoben, um allen meinen Gegnern ins
Auge sehen zu können”, und in der er vom „Wahnsinn der Sieger”
sprach, erregte gewaltiges Aufsehen. Sie hat durch ihre übertrieben
schroffe Form der deutschen Sache in Spa sehr geschadet, sie er-
klärt sich aber aus der tiefen Erbitterung, die bei der deutschen
Delegation darüber herrschte, daß wegen eines einzigen politischen
Fehlgriffs — denn darum handelte es sich — die gesamte deutsche
Haltung in der Reparationsfrage in Grund und Boden verurteilt
wurde.
Das Verhältnis zwischen Alliierten und Deutschen spannte
sich bis zur Unerträglichkeit. Auf einem Platz in der Stadt Spa
schlug ein belgischer Offizier einem unschuldigen deutschen
Zeitungskorrespondenten mit der Reitpeitsche ins Gesicht, Es
schien, als ob die ganze Konferenz in die Luft fliegen würde, Aber
die Verhandlungen wurden fortgesetzt. Die Alliierten erklärten,
daß sie die Kohlenforderungen zunächst auf zwei Millionen Tonnen
monatlich ermäßigen wollten. Als die deutsche Delegation eine
solche Leistung für unausführbar erklärte und mit geringeren
Gegenvorschlägen kam, wurde abermals die Besetzung des Ruhr-
62
"d
gebiets angedroht. In privater Besprechung mit Dr. Simons ließ
Lloyd George keinen Zweifel darüber, daß im Falle der deutschen
Weigerung die alliierten Heere in das Ruhrgebiet einmarschieren
würden, Bei den inneren Kämpfen, die sich daraus in der deutschen
Delegation entwickelten, verfocht ein Teil der Sachverständigen
unter Stinnes die Meinung, daß es richtig sei, es auf die Besetzung
des Ruhrgebietes ankommen zu lassen, weil die Alliierten späte- _
stens nach einigen Monaten unverrichteter Sache wieder abziehen
würden. Demgegenüber drang aber die Ansicht durch, es sei
_ unverantwortlich, die unbesetzten Teile Deutschlands im kommen-
den Winter dem Hunger, der Kohlennot und damit der Gefahr
des politischen Zerfalls auszusetzen, während es im Ruhrgebiet
selbst unter der Herrschaft der Alliierten um die Versorgung mit
Lebensmitteln und Kohle wahrscheinlich gar nicht so schlecht
bestellt sein würde. Inmitten einer unbeschreiblichen Aufregung
wurde dann am 16, Juli ein Kohlenprotokoll gezeichnet. Noch die
letzte Stunde war kritisch, weil die Deutschen sich hartnäckig
weigerten, einen Passus zu unterschreiben, der besagte, daß bei
ungenügender Kohlenlieferung die Alliierten das Ruhrgebiet be-
setzen würden, Schließlich einigte man sich dahin, daß die
deutschen Vertreter bei ihrer Unterschrift wegen dieser Be-
_ stimmung einen Vorbehalt machten.
In dem Protokoll von Spa verpflichtete sich Deutschland, vom
1. August 1920 ab auf sechs Monate den Alliierten monatlich
zwei Millionen Tonnen Kohle zur Verfügung zu stellen. Für die
E: Kohle war der deutsche Inlandpreis auf Reparationskonto gut-
_ zuschreiben, ferner aber auf jede Tonne eine besondere Prämie
: von fünf Goldmark in bar zur Anschaffung von Lebensmitteln für
# die deutschen Bergleute zu zahlen. Hiervon ausgenommen blieben
die Lieferungen über See, die sich auch weiterhin nach den Vor-
hriften des Vertrages richteten. Die Verteilung der oberschle-
_ sischen Kohle, die in Spa eine erhebliche Rolle gespielt hatte,
sollte durch eine besondere Kommission entschieden werden.
Ebenso sollte eine Kommission in Essen untersuchen, wie die Lage
. _ der Bergleute in Nahrung und Kleidung verbessert werden könnte.
Das Wichtigste aber war, daß die Alliierten sich bereit erklärten,
63
für die auf Grund dieses Protokolls zu liefernden Kohlen Deutsch-
land einen Barvorschuß zu gewähren, der die Differenz zwischen
dem niedrigen deutschen Inlandpreise und dem Ausiuhrpreise
ausgleichen sollte, Die Zinsen des Vorschusses wurden späterhin
auf sechs Prozent, die Rückzahlung auf den 1. Mai 1921 festgesetzt.
Während der Ausführung des Protokolls von Spa wurde zur
Kontrolle der Kohlenlieferungen eine Delegation der Reparations-
kommission in Berlin eingerichtet,
Unmittelbar nach Zeichnung des Protokolls löste sich die
Konferenz von Spa auf, Zwölf volle Tage hatte sie in Anspruch
genommen, und wichtige Staatsgeschäfte riefen Millerand nach
Paris zurück. Ueber Reparation, den Hauptgegenstand der Konfe-
renz, hatte man fast gar nicht gesprochen. In einer Sitzung erklärte
Dr, Simons, daß Deutschland ein großes Interesse an der Fest-
setzung der Schuld schon vor dem 1, Mai 1921 habe, daß es aber
aus Mangel an Geld vorläufig nur Sachlieferungen machen könne,
Er brachte einen Plan für die Organisation der Sachlieferungen
in Deutschland vor, der eine gerechte Verteilung der Aufträge
unter Industrie und Handwerk bezweckte, Er machte ferner einen
Vorschlag für den Wiederaufbau der zerstörten Gebiete, der auf
die Gründung eines internationalen Siedlungswerkes durch ein
Syndikat von Unternehmern hinauslief, Praktisch anzufangen war
mit beiden Vorschlägen wenig; sie sind auch nicht weiter beachtet
worden, Endlich überreichte die deutsche Delegation noch so-
genannte Finanzvorschläge, in denen darauf hingewiesen war, daß
die bis zum 1. Mai 1921 zu zahlenden 20 Milliarden durch die bis-
herigen deutschen Leistungen mehr als gedeckt seien. Eine gleich-
zeitig übergebene Zusammenstellung dieser Leistungen schloß mit
etwas über 20 Milliarden Goldmark ab. Im übrigen beschränkten
sich die deutschen Finanzvorschläge auf allgemeine Grundsätze:
die deutschen Jahresleistungen sollten aus festen Mindestbeträgen
einschließlich der Sachlieferungen und aus Zuschlägen auf Grund
eines Indexverfahrens bestehen, Wenn die gesamten deutschen
Leistungen einen bestimmten Höchstbetrag erreicht haben würden,
sollte Deutschland von weiteren jährlichen Zahlungen befreit sein.
Bestimmte Zahlen waren sorgfältig vermieden, Ihre Festsetzung
64
sollte einer gemischten Sachverständigenkommission überlassen
werden, Dieser Finanzplan — ein Verlegenheitsprodukt — wurde
in einer einzigen kurzen Sitzung einer Unterkommission be-
sprochen. Dem Drängen der Alliierten auf Nennung von Zahlen
wurde nicht stattgegeben.
Bei dem plötzlichen Abschluß der Konferenz von Spa haben
‚sicherlich alle Beteiligten erlöst aufgeatmet. Sie war ein lehr-
reiches Beispiel dafür, wie wirtschaftliche Fragen nicht behandelt
werden sollen. Die verbitterte Stimmung auf beiden Seiten hätte
E bei jedem Teilnehmer den festen Entschluß herbeiführen sollen,
niemals wieder eine Reparationskonferenz zu veranstalten, so-
lange man vollständig im Dunkeln tappte. Leider ist diese Lehre
aus der Konferenz von Spa nicht gezogen worden. Vielmehr wurde
auf Vorschlag des vielgewandten und nervenfesten Lloyd George
beschlossen, die weitere Aussprache über die Reparation einer
neuen internationalen Konferenz in Genf vorzubehalten.
Wenn auch in Spa kein Fortschritt in der Reparationsfrage
selbst gemacht, sondern die Aussicht auf eine Verständigung nur
verschlechtert wurde, so erzielten die Alliierten wenigstens etwas,
nämlich eine Einigung unter sich, wie sie sich das Fell des Bären
— die Reparationsleistungen — künftig teilen würden. Es wurde
bestimmt, daß Frankreich 52 Prozent, England 22 Prozent, Italien
10 Prozent, Belgien 8 Prozent und alle übrigen Beteiligten die
restlichen 8 Prozent erhalten sollten, Außerdem wurde das Recht
Belgiens auf vorzugsweise Befriedigung aus der Reparation — die
sogenannte belgische Priorität —, das ihm grundsätzlich in Ver-
sailles von den Alliierten zugestanden worden war, mit zwei
- Milliarden Goldmark fest begrenzt.
Bergmann, Der Weg der Reparation 5 65
SECHSTES KAPITEL
DIE KONFERENZEN VON BRÜSSEL.
Vom 24, September bis zum 8, Oktober 1920 fand in Brüssel
eine internationale Finanzkonferenz statt, die der Völkerbund
einberufen hatte, Ihr Zweck war, die finanzielle Weltkrise zu
untersuchen und Mittel zu ihrer Heilung zu erörtern, Auch
Deutschland hatte eine Einladung erhalten, Frankreich aber traf
rechtzeitig seine Maßnahmen, um zu verhindern, daß über Repa-
rationsfragen diskutiert würde, Der Völkerbundsrat mußte schon
am 5. August 1920 beschließen, daß auf der Konferenz keine der
Fragen erörtert werden dürfe, die zwischen den Alliierten und
Deutschland schwebten. Damit war es der Konferenz unmöglich
gemacht, sich mit der Reparation, dem wichtigsten finanziellen
Weltproblem, zu beschäftigen. Die Konferenz nahm einen äußer-
lich glänzenden und durch keinen Zwischenfall getrübten Verlauf.
Man besorgte vielfach, daß Deutschland die Gelegenheit benutzen
würde, die Vertreter der neutralen Mächte für seinen Standpunkt
in der Reparationsfrage zu gewinnen, und man hielt es nicht für
ausgeschlossen, daß sich bei den Neutralen Neigung für ein
Zusammengehen mit Deutschland zeigen würde, Daher auch das
formelle Verbot an die Mitglieder des Völkerbundes, die Repa-
ration zur Sprache zu bringen, Aber meine Rede für die deutsche
Delegation, die ebenso wie die Vertreter der anderen Staaten eine
Erklärung über die Finanzlage ihres Landes abzugeben hatte,
rechtfertigte diese Besorgnis nicht, Sie schilderte die Verhältnisse
in Deutschland den Tatsachen entsprechend mit dunklen Farben,
vermied es aber, auf den Vertrag von Versailles einzugehen. Sie
ließ die Hoffnung durchblicken, daß bei verständigem Zusammen-
wirken der Nationen die deutschen Verhältnisse sich bessern
66
würden, und stellte die bereitwillige Mitarbeit Deutschlands am
Wiederaufbau Europas in bestimmte Aussicht. Lebhafter Beifall
von allen Seiten belohnte diese Ausführungen, wohl weniger wegen
ihres Inhalts als aus dem Gefühl der Erleichterung darüber, daß
ein für die Konferenz so gefährlicher Augenblick glatt vorüber-
gegangen war. Die Konferenz faßte eine Reihe kluger Beschlüsse
für die Herstellung des finanziellen Gleichgewichts der Welt, die
aber bei den gegebenen Verhältnissen einstweilen fromme Wünsche
bleiben mußten.
Immerhin ist die Konferenz von Brüssel für die Reparation
insofern bedeutsam, als sie den deutschen Teilnehmern die erste
Gelegenheit bot, mit den Vertretern der alliierten Mächte wieder
auf gleichem Fuße zu verkehren. Das ist gerade in der Repa-
rationsgeschichte’ein nicht zu unterschätzendes Moment. Bei den
Konferenzen in Versailles und in Spa wurden die deutschen Ver-
: treter als Angeklagte behandelt, die man zur Verantwortung zieht
und mit denen man auch in einem entsprechenden Tone verkehrt.
Dies Urteil ist nicht übertrieben. Man braucht nur die offiziellen
Noten durchzulesen, die der Oberste Rat von Versailles in jenen
Zeiten in verschwenderischer Fülle auf die deutsche Regierung
losgelassen hat. Da findet sich die gleiche Tonart. Solche Behand-
lung erzeugt auch in dem, der von Hause aus den besten Willen
zur Erfüllung der ihm auferlegten Pflichten mitbringt, eine Er-
bitterung, die seine Lust zur Leistung wesentlich mindert.
Im Herbst 1920 standen die erhöhten Kohlenlieferungen und
die Regelung der Kohlenvorschüsse im Vordergrund des Interesses,
Durch Anspannung aller Kräfte gelang es Deutschland in den drei
E: Monaten August bis Oktober, die verlangten Kohlenmengen mit
rund sechs Millionen Tonnen voll zu liefern, Damit war die Ge-.
fahr der Ruhrbesetzung vorläufig abgewendet, In den Monaten
November bis Januar konnte die Menge von zwei Millionen
| _ Tonnen monatlich nicht voll geliefert werden. Für die gesamten
sechs Monate ergab sich ein Fehlbetrag von mehr als 600 000
. Tonnen, der aber weiter keine bösen Folgen nach sich zog.
Die Regelung der in Spa beschlossenen Vorschüsse für die
E Kohlenlieferungen wurde der Reparationskommission überlassen,
er 67
In einem Abkommen mit der Kriegslastenkommission vom
27. Oktober 1920 wurde der Betrag der Vorschüsse einheitlich auf
40 Goldmark für die Tonne Kohle festgesetzt. Am 28, Dezember
1920 wurde dann auch die schwierige Frage der Rückzahlung der
Vorschüsse geregelt. Ich hatte von vornherein erklärt, daß eine
Rückzahlung in bar bis zum 1. Mai 1921 nicht in Frage kommen
könne, und daß ich lieber auf die Vorschüsse überhaupt verzichte,
wenn eine solche Rückzahlung verlangt würde. Schließlich einigte
man sich dahin, daß die Vorschüsse am 1. Mai 1921 gegen die bis
dahin gemachten deutschen Sachlieferungen verrechnet werden
sollten. Das war ein für Deutschland sehr günstiges Abkommen.
Auf diese Weise bekam es für die Kohlenlieferungen im ganzen
über 360 Millionen Goldmark ausbezahlt. Dagegen wurde aller-
dings ein entsprechender Betrag für Sachleistungen nicht auf
Reparationskonto gutgeschrieben. Aber da diese Sachleistungen
ohnehin gemacht werden mußten, und ihre Gutschrift bei der
völlig unbestimmten, aber sicherlich ungeheuren Höhe der ge-
samten Reparationsschuld nicht sonderlich ins Gewicht fiel,
kamen die Vorschüsse der Alliierten praktisch auf eine Bar-
zahlung für die Kohlen hinaus, die gerade in eine Zeit fiel, wo
Deutschland auf eine starke Einfuhr von Lebensmitteln und Roh-
stoffen angewiesen war und einen besonders großen Devisen-
bedarf hatte, Auch die Festsetzung von 40 Goldmark für die
- Tonne erwies sich in der Folgezeit als vorteilhaft für Deutschland.
Während nämlich bis zum Herbst 1920 überall Kohlenknappheit
herrschte, trat allmählich ein Umschwung ein, der die Kohlen-
preise sehr stark warf. Der Unterschied zwischen den Kohlen-
preisen im deutschen Inland und auf dem Weltmarkt, der bei Ab-
schluß des Abkommens noch mehr als 40 Goldmark betragen
hatte, ging daher bald weit unter diesen Betrag zurück. Das An-
gebot von Reparationskohle wurde schließlich so stark, daß ein
Teil dieser zum Verbrauch in den Empfangsländern bestimmten
Lieferungen wieder auf den Weltmarkt kam. Auf die deutsche
Beschwerde gegen solchen Mißbrauch der Sachlieferungen ent-
schied die Reparationskommission am 25. Februar 1921, daß jedes
Empfangsland mit der Reparationskohle tun könne, was es wolle.
68
Die Sachverständigen des Dawesplanes haben dagegen drei Jahre
später dem deutschen Standpunkt recht gegeben.
Das wachsende Angebot von Kohle auf dem Weltmarkt erklärt
auch die Tatsache, daß die Reparationskommission nach Ablauf der
Spa-Lieferungen ihre monatliche Anforderung zwar zunächst noch
auf 2200000 Tonnen bezifferte, tatsächlich aber bald auf 1700000
Tonnen heruntersetzte, Den Anlaß dazu gaben Unruhen in Ober-
schlesien, welche den deutschen Kohlenbezug aus diesem Gebiet
noch mehr erschwerten. Die Reparationskommission ermäßigte aber
e- _ ihr Kohlenprogramm aus politischen Rücksichten nicht offiziell,
sondern nur indirekt, nämlich so, daß sie einen Teil davon, 1700000
Tonnen, als besonders dringlich bezeichnete, während sie auf die
Lieferung des Restes stillschweigend verzichtete, Die deutschen
Lieferungen hielten sich von da ab immer etwas unter der als dring-
lich angeforderten Menge, ohne daß, von Einzelfällen abgesehen,
die Reparationskommission Klage darüber führte. Und doch sollten
später gerade die Fehlbeträge der Kohlenlieferungen als Grund
für die Ruhrbesetzung herangezogen werden.
Die Einberufung der in Spa beschlossenen Konferenz von Genf
verzögerte sich, Lloyd George drängte, Frankreich wich aus. Im
November 1920 beschloß der Oberste Rat, die Reparationsfrage zu-
nächst durch eine Besprechung von Sachverständigen der Alliierten
mit deutschen Sachverständigen vorzubereiten. Zum Ort der Zu-
sammenkunft wurde Brüssel bestimmt. Man blieb also bei der
einmal versuchten Taktik, das Problem außerhalb der Reparations-
kommission lösen zu wollen. Der Eingriff in die Rechte der Kom-
mission wurde aber diesmal dadurch gemildert, daß die alliierten
Mächte, mit Ausnahme von Frankreich, ihre Vertreter in der Repa-
rationskommission als Sachverständige nach Brüssel entsandten.
Das offizielle Programm der Konferenz bestand darin, von der
deutschen Regierung über die finanziellen und wirtschaftlichen
BE Verhältnisse des Reichs erschöpfende und authentische Auskunft
zu erlangen und Mittel und Wege zu besprechen, mit denen man
_ einer Lösung des Reparationsproblems näher kommen könne. Die
_ Höhe der Schuld selbst sollte nicht erörtert werden, auch wurde
e ein bestimmtes Angebot von Deutschland nicht erwartet.
69
Die Sachverständigen traten am 16, Dezember in Brüssel unter
der Leitung von Delacroix zusammen, der kurz vorher an Stelle
des zum belgischen Finanzminister ernannten Delegierten Theunis
Mitglied der Reparationskommission geworden war. Deutschland
entsandte außer mir den Reichsbankpräsidenten Havenstein, als
Vertreter des Finanzministeriums Staatssekretär Schroeder und
einige seiner ersten wirtschaftlichen Sachverständigen. England
war durch Sir John Bradbury und Lord d’Abernon, Frankreich
durch Seydoux und Cheysson, Italien durch d’Amelio und
‘"Giannini, Belgien durch Delacroix und Lepreux vertreten. Auch
Japaner nahmen an der Konferenz teil. Gegenstand der Be-
sprechung bildeten zunächst die Lage des Reichshaushalts und die
Valutafrage. Eine lange und pessimistische Rede des Präsidenten
Havenstein enttäuschte die Alliierten, die eine positive deutsche
Mitarbeit erwarteten, und drohte gleich im Anfang die Be-
sprechungen auf ein totes Gleis zu bringen. Nach vertraulicher
Fühlungnahme mit der Gegenseite erwies es sich als nötig, alsbald
ein Programm über die nach deutscher Ansicht möglichen Repa-
rationsleistungen zu entwerfen. Ich führte daher am nächsten
Tage folgendes aus: Deutschland habe ein wesentliches Interesse
daran, daß die Reparationsschuld so bald wie möglich und in
vernünftiger Weise, d, h. innerhalb der deutschen Zahlungsfähig-
keit festgestellt werde, Die moralische Seite der Festsetzung sei
von größter Bedeutung. Unermeßlicher Schaden würde entstehen,
wenn man eine theoretische Summe ohne Rücksicht auf die Mög-
lichkeit der Leistung verlange, Das müsse Deutschland zur Ver-
zweiflung treiben. Den Rahmen der deutschen Ideen stellten die
in Spa gemachten Vorschläge dar. Von der Gesamtsumme der
Reparation müßten die bisherigen deutschen Leistungen ab-
gerechnet werden. Für den Rest der Schuld seien 30 Annuitäten
festzusetzen, wie dies im Versailler Vertrage vorgesehen sei.
Geldzahlungen könne Deutschland aus den bekannten Gründen
nicht machen, sondern vorläufig nur Sachlieferungen, Ein ganz
besonderes Interesse hätten die Materiallieferungen für den
Wiederaufbau der zerstörten Gebiete, Die Bestimmungen des
Versailier Vertrages über diese Lieferungen seien zu kompliziert.
710
Deutschland sei zu praktischer Mitarbeit bereit und hoffe, bald
eine Verständigung erreichen zu können, damit der Wiederaufbau
R. schnell vonstatten gehe. Ein bestimmter Plan dafür sei im Augen”
blick nicht zu entwickeln, aber man könne sich vorstellen, daß
etwa die deutsche Regierung einen erheblichen Markkredit er-
öffne, um einen Fonds zu schaffen, aus welchem private Be-
stellungen der Geschädigten bei deutschen Lieferanten bezahlt
werden würden, Die Einzelheiten seien am besten in einer be-
sonderen Kommission zu erörtern.
Vorbedingung für die Möglichkeit der Zahlungen in Geld sei
die Ordnung der deutschen Währung und des Reichshaushalts.
Ob Deutschland dies aus eigener Kraft vollbringen könne, sei
zweifelhaft. Die Möglichkeit einer Kreditoperation in größerem
Umfange für die Stabilisierung der deutschen Währung sei ge-
geben, weil die innere Ordnung und die Arbeitsfreudigkeit in
Deutschland schon wiederkehrten, Sobald Haushalt und Währung
in Ordnung seien, werde Deutschland zu zahlen beginnen. Frei-
lich seien vorher gewisse Hindernisse zu beseitigen, die in einigen
Vorschriften des Versailler Vertrages lägen: die Besatzungskosten
zehrten in ihrem jetzigen Umfange wahrscheinlich alles auf, was
Deutschland überhaupt zahlen könne, Sie müßten daher im Inter-
esse beider Teile stark vermindert werden, Ferner sei die ober-
schlesische Frage da. Der Verlust von Oberschlesien würde die
deutsche Zahlungsfähigkeit erheblich schwächen, Besonders dring-
lich sei es, daß das deutsche Privateigentum in den alliierten
Ländern freigegeben werde, weil andernfalls das Gleichgewicht
im deutschen Handel schwerlich wiederherzustellen sei. Das im
Versailler Vertrag vorgesehene System des Clearingverkehrs für
die privaten Schulden führe in der Praxis zu großen Schwierig-
keiten, Deutschland müsse außerdem die wirtschaftliche Gleich-
berechtigung in der Welt wieder erlangen, vor allem aber von der
steten Bedrohung mit wirtschaftlichen Repressalien frei werden.
Endlich sei es auch nötig, für den deutschen Handel genügend
Schiffsraum zu belassen. Alle diese Fragen bedürften einer ein-
a gehenden Prüfung.
Obwohl diese Darlegungen nichts besonderes Neues brachten,
71
wurden sie doch auf der Gegenseite mit Befriedigung aufgenommen
und als ein wesentlicher Fortschritt in der deutschen Haltung an-
gesehen, Die Stimmung der Konferenz blieb bis zum Schluß die
denkbar beste, Alle Fragen, die ich aufgegriffen hatte, wurden in
den folgenden Tagen von den deutschen Sachverständigen in den
Sitzungen eingehend erörtert, Alliierte und Deutsche verkehrten
auch außerhalb der Sitzungen in ungezwungener Weise mit-
einander, Alles ließ erhoffen, daß diese Konferenz von Sach-
verständigen frei von jedem politischen Druck nun endlich den
richtigen Weg weisen würde,
Am 22, Dezember 1920 wurde die Konferenz bis zum 10, Januar
1921 vertagt, damit in der Zwischenzeit die verschiedenen Gegen-
stände gründlich studiert werden könnten, Für jede Frage sollte
sich ein alliierter Berichterstatter mit einem deutschen Vertreter
in Verbindung setzen. Im Anschluß an das bereits überreichte
deutsche Material war von den Alliierten ein umfangreicher
Fragebogen ausgearbeitet, der von der deutschen Delegation im
einzelnen schriftlich beantwortet werden sollte,
Zum erstenmal hatte eine Zusammenkunft von alliierten und
deutschen Vertretern stattgefunden, die bei jedem der Beteiligten
einen günstigen Eindruck hinterließ und — überall eine gute
Presse fand,
Der wahre Grund für die Vertagung der Brüsseler Konferenz
lag in folgendem:
Gleich bei Beginn der Tagung wurde mir vom Vorsitzenden
vertraulich mitgeteilt, daß einer der englischen Vertreter beab-
sichtige, im stillen den Zweck der Besprechungen wesentlich zu
vertiefen, Er wolle schon in Brüssel eine feste Grundlage für das
Reparationsprogramm errichten und ziffernmäßige Vorschläge er-
örtern, die alsdann den verbündeten Regierungen vorgelegt werden.
sollten, Dieser plötzliche Programmwechsel wurde mir von jenem
englischen Delegierten dahin erklärt, daß man die augenblicklich
günstige politische Konstellation und die Geneigtheit der maß-
gebenden französischen Kreise benutzen müsse, zu einer baldigen
Lösung der Reparationsfrage zu gelangen, Wenn Deutschland in
Anlehnung an den Plan von Boulogne (s. S. 54) mit einem An-
712
gebot jährlicher Sachleistungen von ungefähr zwei Milliarden
Goldmark und einer Geldannuität von einer Milliarde Goldmark
käme, so würde eine geeignete Grundlage für die Reparationsver-
handlungen zu schaffen sein. Die Sachleistungen sollten Deutsch-
land möglichst hoch angerechnet werden, so daß sie ausreichen
würden, die vorgesehenen zwei Milliarden zu decken,
Ich war zuerst sehr skeptisch, weil mein englischer Gewährs-
mann, ganz abgesehen von der Höhe der Zahlungen, die Möglich-
keiten einer Einigung viel zu optimistisch beurteilte und an-
scheinend von dem ehrgeizigen Wunsche getrieben wurde, unter
der Hand eine husarenmäßig schnelle Lösung des großen Problems
zustande zu bringen. Aber auch von französischer Seite wurde mir
bestätigt, daß die „positive Richtung‘ letzthin in Frankreich stark
an Boden gewonnen habe. Es setze sich immer mehr die Ueber-
zeugung durch, daß es notwendig sei, mit Deutschland zur wirt-
schaftlichen Zusammenarbeit zu kommen, wenn man die Gefahr
des baldigen Zusammenbruchs der europäischen Zivilisation ab-
wenden wolle, Es gelte jetzt, die öffentliche Meinung in Frank-
reich zu überzeugen, daß Deutschland den festen Willen habe,
sogleich etwas Erhebliches für Frankreich zu leisten. Die Leistung
könne zur Zeit zwar nicht in Geld, wohl aber in Materialien und
Arbeit bestehen. Ob sich eine wirkliche Mitarbeit Deutschlands
am Wiederaufbau entwickeln könne, hänge von ungelösten poli-
tischen und sozialen Fragen ab. Vorläufig handle es sich um eine
= vernünftige praktische Regelung der Sachlieferungen.
Auf diesen vertraulichen Mitteilungen fußte meine oben wieder-
gegebene Konferenzrede,
Gleichzeitig erfuhr ich, daß es der Reparationskommission vor-
aussichtlich möglich sein würde, zum 1. Mai 1921 eine Schadens-
summe festzusetzen, die sich wesentlich unter den bisherigen
Schätzungen halten würde. Da der Gesamtbetrag der von.
den Alliierten angemeldeten Schadensansprüche auf 200 ‚bis
300 Milliarden hinauslaufe, denke man daran, gewisse zweifel-
hafte Vorschriften des Versailler Vertrages zugunsten von Deutsch-
land auszulegen und damit den Gesamtbetrag des Schadens auf
etwa 100 Milliarden Goldmark hinabzuschrauben.
73
Es war nicht möglich, sich allen diesen Eröffnungen gegenüber
rein rezeptiv zu verhalten, Ich erklärte, daß der Plan von Boulogne
wegen seiner ungeheuerlichen Zahlen und wegen der Art der ver-
langten Sicherheiten unannehmbar sei, Als man darauf hinwies,
daß die 269 Milliarden Mark Annuitäten des Planes von Boulogne
nur einem Jetztwerte von 85 Milliarden entsprächen, fragte ich,
warum man dann bei der erschreckend hohen Ziffer bleibe und
nicht viel lieber von den 85 Milliarden ausgehe, natürlich nicht als
Betrag der deutschen Schuld, sondern nur als Summe des am
1. Mai 1921 festzustellenden Schadens, Diese Bemerkung fiel auf
fruchtbaren Boden. Ich sagte dann ohne Widerspruch der alliierten
Vertrauensleute, auch dies sei noch eine für Deutschland uner-
schwingliche Summe, immerhin hätten wir damit wenigstens einen
Anhaltspunkt, und es sei dann viel leichter möglich, sich zu einigen,
als wenn man immer noch den Hunderten von Milliarden Gold-
mark ins Gesicht sehen müsse, Der Meinungsaustausch schloß
mit der Erkenntnis, daß man den Kreis der besprochenen Ge-
danken zunächst auf beiden Seiten verarbeiten müsse. Um Zeit
hierfür zu gewinnen, wurde die Konferenz vertagt. Inzwischen
wollte man in Paris die Besprechungen im kleinsten Kreise weiter-
führen, Die Konferenz in Genf sollte erst zusammentreten, wenn
die Sache so weit spruchreif sei, daß die Minister der beteiligten
Staaten ein Abkommen unterzeichnen könnten,
Ich berichtete damals nach Berlin: „Der durch das Drängen
einiger alliierten Vertreter in schnelle Fahrt gebrachte Wagen
kann nun nicht mehr ohne Schaden aufgehalten werden. Es gilt,
ihn auf der gefährlichen Bahn in vorsichtiger Weise weiter-
zuführen, Ich halte den in Brüssel erzielten Fortschritt für be-
deutend. Wenn morgen die Konferenz auf den Januar vertagt
wird, können wir wohl sagen, daß sie trotz aller Fährlichkeiten
besser verlaufen ist, als wir wagen konnten, zu hoffen.“
Unmittelbar nach Weihnachten wurden diese Besprechungen
in Paris wieder aufgenommen. Dabei stellte sich gleich heraus,
daß die Alliierten unter sich über die Art des Vorgehens keines-
falls einig waren, Ich hörte von maßgebender Seite, daß die
französische Regierung der Absicht, schon in Brüssel einen Repa- -
74
rationsplan aufzustellen und die Annuitäten der Höhe nach zu
E | | 1 "anzösischen er
bestimmen, vollkommen fernstehe, Die französischen Vertret
hätten die strikte Order, nur die nötigen Vorbereitungen für die
spätere Konferenz in Genf und für die Entscheidung der Repa-
rationskommission und der alliierten Regierungen zu treffen, Des-
halb habe es auch keinen rechten Zweck, die Konferenz in Brüssel
schon am 10, Januar wieder aufzunehmen.
Anfang Januar 1921 legte mir ein Mitglied der Reparations-
kommission als seine eigene Idee einen förmlichen Reparations-
plan vor. Er ging von einer Schadenssumme von 85 Milliarden
Goldmark aus, auf die in weitestem Maße die bisherigen
Leistungen und Abtretungen Deutschlands angerechnet werden
sollten, Der verbleibende Rest war in der Weise zu belegen, daß
Deutschland dreißig Jahre lang jedes Jahr drei Milliarden Gold-
mark und außerdem bei einer Besserung der deutschen Wirt-
schaftslage entsprechende Zuschläge nach einem bestimmten Index
zahlen sollte, Die Sachlieferungen spielten bei der Abdeckung der
Annuitäten eine große Rolle. Auch sollten einige der auf der
Brüsseler Konferenz gestellten deutschen Bedingungen erfüllt
werden. Vor allem war damit gerechnet, daß das von den Alliierten
beschlagnahmte deutsche Eigentum freigegeben oder, soweit es
schon liquidiert war, auf die deutsche Schuld angerechnet werden
würde. Dieser Plan wurde nicht nur von mir, sondern auch von
englischer und französischer Seite abgelehnt; von England haupt-
sächlich wegen der Verknüpfung mit der Freigabe des deutschen
Eigentums, das England auf jeden Fall behalten wollte,
Nunmehr kam Seydoux mit einem Gegenvorschlage: „Deutsch-
land zahlt fünf Jahre hindurch eine Annuität von drei Milliarden
Goldmark. Während dieser Frist wird möglichst bald der Gesamt-
betrag der Reparationsschuld festgesetzt.‘
Im Besitze dieses Vorschlages reiste ich am 7. Januar 1921 nach
Berlin, um der deutschen Regierung zu berichten, Die Wiederauf-
nahme der Konferenz in Brüssel wurde inzwischen weiter ver-
schoben. |
15
SIEBENTES KAPITEL
DER PLAN SEYDOUX UND DIE PARISER
BESCHLÜSSE VOM 29. JANUAR 1921
Durch die Besprechungen in und nach Brüssel hatten sich die
Ereignisse überstürzt. Während bis dahin niemand sich getraute,
mit einem Reparationsplan hervorzutreten, war jetzt ein konkreter
Vorschlag für die vollständige Lösung des Problems bereits
zwischen den Parteien durchgesprochen, freilich aber auch schon
wieder beiseite gelegt. Nun schlug Seydoux im Namen der
Alliierten eine Zwischenlösung für fünf Jahre vor. Das war etwas
ganz Neues. Man mußte sich zunächst im Schoße der deutschen
Regierung darüber klar werden, ob man von der bisher befolgten
Politik der schleunigen Feststellung der gesamten Reparations-
schuld abgehen und sich auf ein Provisorium einlassen solle,
Bei beiden Wegen gab es viele Für und Wider. Die Erfahrung
hatte gezeigt, daß bei der Ungewißheit über das Ausmaß der
Reparationsschuld der Kredit des Reiches im In- und Ausland so
gut wie verschwunden war, und daß aus demselben Grunde das
Mißtrauen gegen die Markwährung besonders in Deutschland
immer größer wurde. Die Mark hatte sich im Frühjahr 1920 von
dem beständigen Fall seit Friedensschluß kräftig erholt, dann
aber mit dem Fehlschlag der Konferenz von Spa wieder zu-
sehends verschlechtert, Es war daher im Interesse einer durch-
greifenden Gesundung der Wirtschaft logisch ganz richtig, dem
Uebel an die Wurzel zu gehen und sogleich eine vollständige
Regelung der Reparation anzustreben, Auf der anderen Seite aber
stand schon damals die Erkenntnis, daß es noch für lange Zeit
16
unmöglich sein würde, eine Einigung der Alliierten mit Deutsch-
land auf eine bestimmte Reparationssumme zu erzielen. Ein-
sichtige Kreise beider Parteien sprachen offen aus, daß in dieser
Richtung ein unüberbrückbarer Zwiespalt zwischen Frankreich
4 und Deutschland klaffe, In Frankreich herrschte die große
Angst, daß bei Festsetzung der Schuld in erträglichen Grenzen
E Deutschland zu billigen Kaufes aus dem Versailler Vertrage los-
kommen und in zehn oder zwanzig Jahren dem geschwächten
e Frankreich wirtschaftlich und politisch wieder ein furchtbarer
: Gegner werden würde, Man weigerte sich auch, als Maßstab für
die Höhe der Reparationsschuld die deutsche Zahlungsfähigkeit
E: zu einem Zeitpunkt anzunehmen, wo Deutschlands wirtschaftliche
R _ Kraft gering sei und die Gefahr bestehe, daß die Möglichkeiten
künftiger Entwicklung unterschätzt würden. Der Leitartikler des
„Temps“ schrieb am 18. Januar 1921: „Die öffentlichen Finanzen
Deutschlands sind in einem schauderhaften Zustand, aber die
Entwicklung der deutschen Industrie und des deutschen Handels
nimmt schon wieder einen mächtigen Aufschwung. Es würde
daher unvernünftig sein, schon heute das Deutsche Reich auf zu
schwere Zahlungen festzulegen, die es zum Bankerott bringen
würden, Aber es wäre noch viel unerträglicher, auf die Summe
zu verzichten, welche Deutschland später nach Maßgabe seiner
wachsenden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit wird zahlen
können.”
Das klingt sehr vernünftig, ist aber bei Lichte besehen der
E kurzsichtige Standpunkt des Rentiers, der ängstlich darauf be-
dacht ist, ja nichts von seinen Forderungen aufzugeben, und der
nicht überlegt, daß er es durch seine Hartnäckigkeit dem zur
Zeit zahlungsunfähigen Schuldner schwer oder unmöglich macht,
wieder auf die Beine zu kommen und überhaupt etwas zu zahlen.
So verkehrt aber auch die französische Auffassung war, man
mußte mit ihr rechnen, Da Frankreich als größte militärische
a ; Macht Europas und als Hauptgläubiger Deutschlands sich einer
3 & Einigung über die Schuldsumme verschloß, so war es für Deutsch-
land nicht ratsam, das Angebot einer Zwischenlösung grund-
4 sätzlich abzulehnen, Denn ein Arrangement auf fünf Jahre ent-
71
fernte wenigstens für geraume Zeit den unerträglichen Druck, den
die andauernde Reparationskrise auf Deutschland und die ganze
Welt ausübte, Man konnte hoffen, daß im Laufe der fünf Jahre
die psychischen und sentimentalen Nachwehen des Krieges immer
mehr schwinden und vernünftigen wirtschaftlichen Erwägungen
Platz machen würden. Man konnte während dieser Ruhepause
auch Erfahrungen darüber sammeln, ob es Deutschland überhaupt
möglich sein würde, derartig große Zahlungen ohne Gegenwert an
das Ausland zu leisten, und man konnte, was beinahe noch
wichtiger war, ausfindig machen, ob solche Leistungen den
Empfangsländern wirklich den erhofften Nutzen bringen würden.
Denn schon die berühmten Goldschiffe des Pizarro waren dem
Wohlstande Spaniens nicht förderlich, und der Zahlung der
fünf Milliarden Franken Kriegsentschädigung aus dem deutsch-
französischen Kriege folgte 1873 ein wirtschaftlicher Krach in
ganz Deutschland, dessen Folgen lange Jahre anhielten, Es ist
nicht abwegig, anzunehmen, daß auch die Reparationszahlungen
ähnliche Erfahrungen zeitigen und auf die Dauer den Empfängern
selbst unangenehm werden können,
Trotz alledem sprachen andere sehr gewichtige Gründe
gegen das Eingehen auf eine provisorische Lösung. In der angel-
sächsischen Welt, vor allem in Amerika, weigerte man sich grund-
sätzlich, vor endgültiger Regelung der Reparation irgend etwas
zur Wiederherstellung des europäischen Kredits zu tun. In
Deutschland aber lehnte man die Zahlung der geforderten großen
Beträge für die nächsten Jahre ohne Festsetzung der Gesamt-
schuld mit der Begründung ab, daß die gewaltige Anstrengung
doch nichts nützen, sondern für die späteren Jahre nur noch
schlimmeren Druck der Alliierten bringen werde. Dies Argument
klang dem deutschen Volke besonders plausibel.
In den Berliner Beratungen im Januar 1921 wurden alle diese
Gedankengänge eingehend erörtert. Die Industrie unter F ührung
von Stinnes erklärte geschlossen, daß man keine provisorische
Regelung wolle, sondern eine endgültige Lösung haben müsse, So
kehrte ich nach Paris mit dem Auftrage der Regierung zurück,
gegen das Provisorium von Seydoux Stellung zu nehmen.
78
Dann aber erhielt Dr. Simons den Besuch des französischen
Botschafters und des englischen Geschäftsträgers in Berlin, die
beide im Namen ihrer Regierungen die Annahme der Zwischen-
lösung für fünf Jahre empfahlen. Daraufhin mußte ich in neue
Besprechungen mit Seydoux und Lord d’Abernon eintreten, Ich
- machte geltend, daß die Annuität von drei Milliarden Goldmark
viel zu hoch gegriffen sei und daß sie wesentlich ermäßigt werden
müßte, wenn man zu einer Einigung gelangen wolle, Die Gegen-
seite machte nun den Vorschlag, man könne mit zwei Milliarden
anfangen und die Zahlungen nach einem bestimmten Wohlstands-
index steigen lassen, Ich konnte den Vorschlag nicht annehmen,
erklärte aber, daß er vielleicht eine Grundlage zu Verhandlungen
biete, wenn er von den alliierten Sachverständigen ihren Regie-
rungen empfohlen werde, Für eine Verständigung aber sei nach
wie vor nötig, daß Oberschlesien bei Deutschland verbleibe und
daß auch die anderen in Brüssel besprochenen deutschen Be-
dingungen zugestanden würden, vor allem Herabsetzung der
Besatzungskosten und Freigabe des deutschen Eigentums.
Soweit waren wir gekommen, als der Oberste Rat am 24. Januar
1921 unerwartet zu einer Konferenz in Paris zusammentrat. Außer
‚anderen Fragen sollten wiederum die Entwaffnung Deutschlands
und die Reparation behandelt werden. Die alliierten Sachver-
ständigen für die Brüsseler Konferenz legten dem Obersten Rat
eine Denkschrift vor, in der das in Brüssel gesammelte Material
sorgfältig und verständig verarbeitet war. Sie nahmen den Plan
Seydoux für ein Provisorium 1921—1926 in der Weise auf, daß
die Annuität von drei Milliarden Goldmark im Durchschnitt der
fünf Jahre erreicht werden sollte und daß ein erheblicher Teil
der Jahresleistungen durch Sachlieferungen abzutragen sei. Sie
empfahlen ferner die Beschränkung der Besatzungskosten auf
240 Millionen Goldmark im Jahre und den Verzicht auf weitere
Lieferungen von deutschen Schiffen. Deutschland sollte seine
Finanzen in Ordnung bringen und seine Zölle als Pfand für die
genannten Zahlungen bestellen, Die alliierten Sachverständigen
brachten also in die Konferenz von Paris ein vollständiges Pro-
&ramm mit, das besonders von der französischen Regierung ver-
19
treten wurde, Nach dem Sturz des Kabinetts Leygues hatte der
neue Ministerpräsident Briand sich von der Kammer ermächtigen
lassen, im Obersten Rat lediglich eine provisorische Regelung
auf fünf oder möglichst nur auf drei Jahre zu vertreten. Die Fest-
setzung einer Gesamtsumme für die Reparation (forfait) wurde
hierbei ausdrücklich abgelehnt, weil sie den Interessen Frank-
reichs widerspreche,
In der Konferenz aber kam es ganz anders, Der französische
Finanzminister Doumer hielt eine merkwürdige Rede, in der er
von einer Schuld Deutschlands von 212 Milliarden Goldmark
ausging und Annuitäten von 12 Milliarden Goldmark verlangte.
Das richtete in den Köpfen der Teilnehmer allgemeine Verwirrung
an. Heftige Auseinandersetzungen zwischen Engländern und
Franzosen folgten, Es scheint, daß Lloyd George von der allseitig
angenommenen Idee des Provisoriums ganz plötzlich abgesprungen
ist und daß er dabei auch von Loucheur, der neuerdings wieder
als Minister in das französische Kabinett eingetreten war, unter-
stützt wurde. Die belgischen Delegierten Theunis und Jaspar
führten schließlich eine Einigung zwischen den streitenden Alli-
ierten herbei. Aber auch sie standen den Dingen nicht objektiv
gegenüber, denn sie waren verärgert zur Konferenz gekommen,
weil soeben ihre Verhandlungen mit Deutschland über den Rück-
kauf der von den Deutschen im Kriege nach Belgien gebrachten
Markbeträge fruchtlos verlaufen waren. R
Das Ergebnis dieser seltsamen Konferenz waren die soge-
nannten Pariser Beschlüsse vom 29, Januar 1921. Auch hierbei
wurden, wie üblich, die Reparationsforderungen von politischen
Drohungen wegen Nichterfüllung militärischer Vorschriften des
Vertrages eingerahmt. Die Pariser Beschlüsse verlangten von
Deutschland vom 1. Mai 1921 an folgende Jahresleistungen:
2 Milliarden Goldmark für die nächsten 2 Jahre,
3 Milliarden Goldmark für weitere 3 Jahre,
4 Milliarden Goldmark für weitere 3 Jahre,
5 Milliarden Goldmark für weitere 3 Jahre,
6 Milliarden Goldmark für weitere 31 Jahre,
ferner für die gesamten 42 Jahre eine jährliche Abgabe in Höhe
80
von 12 Prozent des Wertes der deutschen Ausfuhr. Für vorzeitige
Zahlung der Annuitäten wurde ein Rediskont bewilligt, und
zwar acht Prozent bis 1. Mai 1923, dann sechs Prozent bis
zum 1. Mai 1925 und von dann ab fünf Prozent. Für jedes aus-
wärtige Kreditgeschäft des Reichs, der Staaten, der Provinzen und
der Kommunen war die Zustimmung der Reparationskommission
einzuholen, Als Sicherheit wurden gefordert die deutschen Land-
und Seezölle sowie alle Einfuhr- und Ausfuhrabgaben. Die deutsche
Regierung sollte einen Generaleinnehmer für die Zölle einsetzen,
dessen Ernennung durch dieReparationskommission zu genehmigen
war.
Dieser Plan erregte allgemeines Befremden. Die alliierten
Sachverständigen selbst waren. wie vor den Kopf gestoßen. All
ihre Arbeit war vergebens gewesen; ihre Vorschläge waren von
der Konferenz einfach nicht beachtet worden. Das Seltsamste an
dem Plane aber war, daß die englische und die französische Re-
gierung, die vorher nicht scharf genug eine Festsetzung der
deutschen Gesamtschuld (forfait) hatten ablehnen können, ja die
soeben ihre diplomatischen Vertreter zum deutschen Außen-
minister geschickt hatten, um ihn zur Annahme des Provisoriums
zu bestimmen, daß diese selben Regierungen nunmehr innerhalb
weniger Stunden einen endgültigen Reparationsplan beschlossen,
ohne über die Gründe ihrer veränderten Stellungnahme auch nur
ein Wort der Erklärung zu sagen. Daher ist vielfach behauptet
worden, es sei den Alliierten mit den Pariser Beschlüssen über-
haupt nicht ernst gewesen, und nur die deutsche Regierung habe
die Torheit begangen, die Beschlüsse ernst zu nehmen.
Die wirklichen Ursachen des plötzlichen Frontwechsels, den
der Oberste Rat damals vorgenommen hat, sind bis heute nicht
vollkommen klar geworden. Wahrscheinlich liegen sie tief im rein
Menschlichen, wie so oft bei großen politischen Entscheidungen.
Es scheint so, daß die Gegensätze zwischen Frankreich und
England in jenem Augenblick nur auf dem Rücken von Deutsch-
land ausgeglichen werden konnten, dadurch nämlich, daß man
dem Besiegten eine Last aufpackte, die für den Anfang nicht
allzu drückend aussah, in den späteren Jahren aber einen Um-
Bergmann, Der Weg der Reparation 6 81
fang annahm, der auch die weitestgehenden Ansprüche Frank-
reichs befriedigte. Lloyd George mag sich wie schon so oft gedacht
haben, daß es taktisch zunächst einmal darauf ankomme, einen
derartigen Plan durchzudrücken und daß später die Zeit schon
Rat bringen werde,
Amüsant ist es, die Leitartikel des „lemps“, des Sprachrohrs
der französischen Regierung, aus den Tagen vor und nach der
Konferenz nachzulesen und miteinander zu vergleichen, Man
wird daraus ersehen, daß es doch eines eleganten Eiertanzes be-
durfte, um den Lesern klarzumachen, warum Frankreich vor der
Konferenz nur ein Provisorium haben durfte und nach der
Konferenz durchaus auf einer Gesamtregelung bestehen mußte,
Bezeichnend ist auch, daß unmittelbar nach der Konferenz der
vorher so milde und sanftmütige „Temps“ mit dem Gros der fran-
zösischen Zeitungen die sofortige Anwendung von Gewaltmaß-
regeln gegen Deutschland verlangte, vor allem eine Zollsperre
zwischen dem besetzten und dem unbesetzten Gebiete.
Der Oberste Rat teilte am 29, Januar der deutschen Regierung
seine Beschlüsse mit und schlug vor, daß deutsche Vertreter sich
Ende Februar mit den alliierten Delegierten in London treffen
‚sollten. Der deutsche Botschafter in Paris und ich gaben der
deutschen Regierung einmütig den Rat, jede Verhandlung über
die Pariser Beschlüsse abzulehnen. Die eigenmächtige Festsetzung
der Schuld Deutschlands durch den Obersten Rat war ein Bruch
des in Spa gegebenen Versprechens, daß über die Reparation
mit Deutschland auf einer Konferenz in Genf verhandelt werden
solle. Die Pariser Beschlüsse verletzten auch die Vorschrift des
Versailler Vertrags, nach welcher es der Reparationskommission
oblag, die deutsche Schuld zum 1, Mai 1921 festzustellen. Deutsch-
land konnte sich also getrost auf den Boden des Versailler Ver-
trages zurückziehen und jede Aussprache über die Pariser Be-
schlüsse verweigern, Von bester französischer Seite wurde mir
später gesagt, man habe den Kopf darüber geschüttelt, daß
Deutschland diese einfache und klare Haltung nicht angenommen
habe, sondern nach London gegangen sei, obwohl es sich doch
sagen konnte, was seiner dort harren würde, Wie dem auch sei,
82
Deutschland nahm die von England ausgehende offizielle Ein-
ladung vom 8. Februar 1921 nach London sofort an. Es zeigte sich
auch hier wieder, daß jede Berliner Regierung glaubte, sie würde
durch Aussprache mit den Chefs der alliierten Regierungen selber
mehr erreichen als bei dem Verfahren vor der Reparations-
kommission. Dabei hat sicherlich der Gedanke mitgespielt, derart
wichtige Verhandlungen dürften nicht der ständigen deutschen
Vertretung in Paris überlassen, sondern müßten vom Berliner
Kabinett persönlich geführt werden. Schließlich war auch bei der
mangelhaften Zusammensetzung der Reparationskommission und
bei den bisherigen Erfahrungen mit ihr keine Gewähr dafür ge-
boten, daß sie den deutschen Verhältnissen das nötige Verständ-
nis entgegenbringen werde.
Zugleich mit der Annahme der Einladung nach London brach
in der gesamten deutschen Presse ein Entrüstungssturm über
die Ungeheuerlichkeit der Pariser Beschlüsse los. Die deutsche
Regierung tat nichts, um dem entgegenzutreten, vielmehr hielt der
deutsche Außenminister bei einer Reise durch Süddeutschland
Mitte Februar 1921 in Stuttgart und in Karlsruhe Reden, in denen
er nicht nur die Pariser Beschlüsse scharf ablehnte, sondern auch
die Frage der Schuld am Kriege wieder anschnitt. Das war
natürlich keine diplomatische Vorbereitung für eine mündliche
Verhandlung mit der Gegenpartei.
Die Rolle der Brüsseler Sachverständigen war ausgespielt.
Ein englischer Vertreter meinte damals, es sei doch ganz nützlich,
nochmals nach Brüssel zu gehen, weil sich da unter den Sach-
verständigen leicht Anregungen für die Londoner Konferenz
bieten würden. Ich lehnte dies ab, da Deutschland erst in London
zu den Pariser Beschlüssen Stellung nehmen werde und vorher
weder die Alliierten über eine etwaige Aenderung der Beschlüsse
diskutieren noch die deutschen Vertreter in eine sachliche Be-
ratung eintreten könnten.
Auch die Berufung einer Konferenz in Genf war nunmehr
gegenstandslos geworden.
Inzwischen bereitete man in Berlin mit fieberhaftem Eifer
Material für die Londoner Konferenz vor. Eine große Anzahl
6* 83
erster deutscher Sachverständiger erstattete ein Gutachten über
die wirtschaftlichen Wirkungen der Pariser Beschlüsse, Es be-
leuchtete in knappen Sätzen das Problem der Zahlung von Land
zu Land, zählte die verschiedenen Wege dafür auf und kam zu
dem Ergebnis, daß die deutsche Ausfuhr die unmögliche Höhe
von 40 Milliarden Goldmark jährlich erreichen müßte, um den
normalen Anforderungen der Pariser Beschlüsse zu genügen, Das
Gutachten ist ein sehr wertvoller Beitrag zur Reparationsfrage
und gerade im Hinblick auf den späteren Dawesplan und dessen
Vorschriften für den Transfer auch heute noch lesenswert, Eine
weitere Denkschrift diente als Antwort auf die Kritik der
Brüsseler Sachverständigen am deutschen Haushalt und an den
deutschen Steuern. Aber die deutsche Regierung beschränkte sich
nicht auf negative Arbeit, sie wollte positive Vorschläge machen.
Ueber diese Gegenvorschläge hat man in Berlin den ganzen Monat
Februar beraten.
Ich vertrat damals in Berlin folgende Ansicht: Die Pariser
Beschlüsse sind unannehmbar. Eine Einigung über eine ver-
nünftige Gesamtsumme ist vorläufig nicht zu erzielen. An den
Ziffern der Gegner Abstriche zu machen, ist zwecklos. Also
muß der deutsche Vorschlag — wenn durchaus einer gemacht
werden soll — auf einer ganz anderen Grundlage ruhen, Er muß
so sein, daß die Gegenseite ihn nicht kurzerhand ablehnen kann.
Deshalb soll Deutschland entschlossen auf den Boden der Vor-
schläge der Brüsseler Sachverständigen treten, nach denen
Deutschland für fünf Jahre je drei Milliarden Goldmark zu
zahlen. hatte. Diese 15 Milliarden sind so zu finanzieren, daß je
eine Milliarde für fünf Jahre durch Sachleistungen gedeckt wird,
Dann bleiben noch je zwei Milliarden für fünf Jahre, die im
Anleihewege aufzubringen sind, Diese zehn Milliarden Goldmark-
Annuitäten, zu acht Prozent rediskontiert, geben einen Jetztwert
von acht Milliarden, deren Finanzierung auf den internationalen
Märkten versucht werden muß, Etwa eine bis zwei Milliarden
wären in Deutschland selber unterzubringen. Die Anleihe könnte
mit nicht mehr als fünf Prozent verzinst werden, wenn sie in allen
Absatzländern steuerfrei gemacht wird. Als Sicherheit wären die
84
deutschen Zölle und gewisse Exportabgaben zu bestellen. Voraus-
setzung des Vorschlags ist, daß auf Grund der bevorstehenden
Abstimmung Oberschlesien bei Deutschland verbleibt, und daß
auch die sonstigen bereits in Brüssel betonten deutschen Forde-
rungen in bezug auf Besatzungskosten, Privateigentum usw.
berücksichtigt werden,
Ich drang mit dem Vorschlag nicht durch. Die Bedenken gegen
eine provisorische Lösung waren in Berlin zu groß. Man glaubte, es
würde möglich sein, mit einem deutschen Gesamtplan wenigstens
die Grundlage zu Verhandlungen zu schaffen, Man griff eine
französische Berechnung auf, wonach der Jetztwert der 226
Milliarden Goldmark Annuitäten der Pariser Beschlüsse bei einem
Rediskont von acht Prozent nur etwa 53 Milliarden Goldmark
betrug, und nahm in Anlehnung daran den Betrag von etwa
50 Milliarden zum Ausgangspunkt der deutschen Offerte, Den
Wert aller bisherigen deutschen Leistungen und Abtretungen
brachte man mit etwa 20 Milliarden in Abzug. So gelangte man
zu 30 Milliarden, die durch internationale Anleihen zu tilgen
wären. Ich habe diese Idee als abwegig bekämpft, weil 30Milliarden
Goldmark deutscher Anleihen auch in einer Reihe von Jahren
nicht zu begeben seien. Besonders gefährlich aber schien es mir,
in London 30 Milliarden als Gesamtschuld zu nennen. Das mußte
‘bei der Stimmung im Lager der Alliierten verderblich wirken.
Immerhin war es nicht ungeschickt, von dem Jetztwert der
Annuitäten von Paris auszugehen, um aus dem ungeheuren Wust
der Milliarden zu einigermaßen diskutablen Ziffern zu gelangen.
Schließlich kam in Berlin folgende Kombination zustande:
Die Ziffer der Alliierten von 53 Milliarden wird grund-
sätzlich angenommen, Davon gehen jedoch ab die gesamten bis-.
herigen Leistungen Deutschlands auf Grund des Vertrages von
Versailles, soweit sie auf Reparationskonto gutzuschreiben sind.
Der Wert dieser Leistungen ist so bald wie möglich in ange-
messener Höhe festzusetzen. Die zwölfprozentige Abgabe von
der deutschen Ausfuhr wird abgelehnt, An ihre Stelle tritt ein
Besserungsschein, d. h. die Verpflichtung Deutschlands, einen
_ angemessenen Teil seines späteren Zuwachses an Nationalein-
85
kommen für die Zwecke der Reparation an die Alliierten zu
zahlen. Hierfür ist binnen zwei Jahren ein geeignetes Index-
schema aufzustellen.
Die feste Entschädigung von 53 minus x Milliarden — des
noch zu ermittelnden Wertes der Vorleistungen — ist vom 1. Mai
1921 ab mit 5 Prozent zu verzinsen, Sie soll im Wege der inter-
nationalen Anleihe finanziert werden, Da es aber nicht möglich
ist, so gewaltige Beträge in absehbarer Zeit auf dem Weltmarkt
zu begeben, soll zunächst ein Teilbetrag finanziert werden, und
zwar im Verlaufe von fünf Jahren 8 bis 10 Milliarden durch An-
leihe und 5 Milliarden durch Sachleistungen. Als Sicherheiten
kommen außer Zöllen einzelne Verbrauchsabgaben wie Zucker-
steuer, Branntweinsteuer und Tabaksteuer in Betracht. Solange
Deutschland die für den Anleihedienst erforderlichen Beträge
regelmäßig bezahlt, bleibt es von jeder Einmischung in die Ver-
waltung der als Sicherheit bestellten Abgaben frei.
Den Entwurf für diesen Vorschlag habe ich noch vor London
in den Kreisen der Reparationskommission vertraulich be-
sprochen. Man fand ihn nicht schlecht, wies aber darauf hin,
daß die Anrechnung der Vorleistungen auf Schwierigkeiten stoßen
werde und daß die deutschen Vorstellungen über die Höhe dieser
Vorleistungen phantastisch seien. In Berlin dagegen wollte man
durchaus das Angebot so fassen, daß eine Gesamtschuld von
30 Milliarden Goldmark nicht überschritten würde. Daher wurde
die Bemerkung eingefügt, daß die deutsche Regierung die Vor-
leistungen auf 20 Milliarden schätze, aber die Festsetzung des
wahren Wertes dem Spruch von Sachverständigen überlasse.
Auch wurden als Ausgangspunkt für die Gesamtschuld nicht 53,
sondern rund 50 Milliarden genannt. Im übrigen lautete der Vor-
schlag, den die deutsche Delegation unter der Führung des
Außenministers Dr. Simons auf die Reise nach London mitnahm,
genau so, wie ich ihn bei der Reparationskommission vorher ver-
traulich mitgeteilt hatte, ohne ernstliche Bedenken dagegen zu
hören. Vor allem war ein Besserungsschein ausdrücklich vorge-
sehen, In dieser Form konnte man nach der Ansicht mehrerer
Mitglieder der Reparationskommission das deutsche Angebot
86
unbedenklich in London vorlegen, wenn auch nicht zu erwarten
war, daß die Alliierten ihm gleich zustimmen würden.
Aber wiederum kam es anders. Bei der Ankunft in London
erfuhr Dr. Simons von deutscher Seite, daß sein Vorschlag einen
großen taktischen Fehler habe: er biete den Alliierten gleich zu
viel. Das sei die Meinung von Leuten, die Lloyd George sehr nahe
ständen, Es empfehle sich daher, nicht sofort den ganzen deutschen
Vorschlag zu bringen, sondern eine Reserve für den Fall zu lassen,
daß die Gegenseite mehr haben wolle, als von Deutschland ange-
boten werde, Trotz dringender Warnungen aus dem Kreise der
Delegation ließ sich Dr. Simons auf diesen Wink ein, weil ihm
daran lag, den Intentionen von Lloyd George zu entsprechen. In
der Nacht vor der Konferenz wurde der Passus über den
Besserungsschein aus dem deutschen Angebot vorläufig gestrichen.
87
ACHTES KAPITEL
DIE LONDONER KONFERENZ
1, BIS 7, MÄRZ 1921
Die Zusammenkunft mit den Alliierten in London fand am
1, März 1921 statt. Die Chefs der Regierungen von England,
Frankreich, Italien und Belgien waren mit den zuständigen
Ministern und einer großen Anzahl von Sachverständigen er-
schienen, außerdem auch Vertreter von Japan. Dr. Simons erhielt
das Wort. Anstatt das schriftliche deutsche Angebot vorzulegen,
gab er eine gewissenhafte Darlegung der Schwierigkeiten, unter
denen der deutsche Vorschlag entstanden sei. Er knüpfte daran
eine eingehende Kritik der Pariser Beschlüsse, die wirtschaftlich
unausführbar seien. Eigentlich sei es der deutschen Regierung
unmöglich, bei der Lage der heimischen Verhältnisse einen festen
Vorschlag zu machen, trotzdem aber habe sie sich dazu ent-
schlossen, um baldigst zu einer Lösung des Reparationsproblems
zu gelangen. Er halte es nicht für richtig, auf lange Jahre hinaus
Annuitäten festzusetzen, sondern wolle von einem festen Gegen-
wartswert ausgehen, und zwar von 50 Milliarden Goldmark. So
viel seien bei einem Diskontsatz von 8 Prozent die gesamten
Annuitäten der Pariser Beschlüsse jetzt wert. Darauf müßten die
deutschen Vorleistungen in Anrechnung kommen, welche er auf
über 20 Milliarden Goldmark schätze, Dann ergäbe sich ein Rest-
betrag von etwa 30 Milliarden, der im einzelnen noch nachzu-
prüfen sei. Dr. Simons sprach auch bei seinen weiteren Aus-
führungen immer von diesen 30 Milliarden. Er erklärte, daß davon
vorläufig 8 Milliarden im Wege der internationalen Anleihe
88
finanziert werden sollten, und setzte unter immer steigender Un-
ruhe der Versammlung auseinander, wie er sich die Finanzierung
der restlichen 22 Milliarden denke. Diese Art der Darstellung,
welche die verpönten 30 Milliarden sozusagen in die Köpfe der
Versammlung einhämmerte und die Schuldsumme anscheinend
immer weiter zusammenschrumpfen ließ, machte im Verein mit
den Schwierigkeiten der Uebersetzung des verwickelten deutschen
Vortrags auf die alliierten Zuhörer einen ungünstigen Eindruck.
Dr. Simons sah sich daher veranlaßt, kurz abzubrechen, um zur
Verlesung seiner formulierten Vorschläge überzugehen. Das aber
erklärte Lloyd George als Vorsitzender sehr schroff für unnötig.
Die Sitzung endigte daher mit der einfachen Uebergabe der
deutschen Gegenvorschläge.
Die Aufregung bei den Alliierten war ungeheuer. Die gesamte
Presse der Alliierten und besonders die englischen: Blätter aller
Richtungen verurteilten das Auftreten der deutschen Delegation
in Grund und Boden. Man sprach in vollem Ernst von einer
deutschen Herausforderung und alle Welt schrie sofort nach
Sanktionen. Es liegt etwas Tragikomisches darin, daß man der
deutschen Delegation, die unter der peinlich gewissenhaften, sorg-
samen und würdigen Führung von Dr. Simons wochenlang uner-
müdlich gearbeitet hatte, um den Alliierten annehmbare Vor-
schläge zu machen, die Absicht einer dreisten Herausforderung
zuschieben konnte, Hier zeigte es sich in besonders krasser Form,
daß weder der Deutsche sich der Denkart anderer Völker anzu-
passen versteht noch die Welt die Eigenart der deutschen Gründ-
lichkeit und Schwerarbeit zu würdigen weiß. Was in Wirklichkeit
vorlag, war ein taktisches Mißgeschick des deutschen Ministers,
das bei ruhiger und sachgemäßer Besprechung im kleinen Kreise
sicher zu vermeiden war. So aber wurde Dr. Simons genötigt, sich
vor einer großen und feierlichen Versammlung zu verantworten.
Seine Befangenheit wurde ohne weiteres zum Verbrechen ge-
stempelt,
Bis zum 3, März blieb die deutsche Delegation ohne Fühlung
mit den Alliierten, Dann wurde sie zur zweiten Sitzung vor-
geladen. Lloyd George hielt eine donnernde Anklagerede gegen
89
Deutschland, Er nannte die deutschen Vorschläge eine klare Ver-
höhnung des Vertrages von Versailles. Der Geist der deutschen
Delegation ergebe sich aus den Reden, die Dr. Simons in Deutsch-
land gegen die Pariser Beschlüsse gehalten habe. Besonders ernst
sei seine Rede von Karlsruhe, in der er die deutsche Verantwort-
lichkeit für den Krieg abgelehnt habe, Das sei das wahre Gesicht
Deutschlands. Seine jetzigen Vorschläge folgten zwangläufig
daraus. Deutschland habe noch nicht begriffen, daß es Reparation
zu leisten habe. Die deutsche Behauptung, daß die alliierten
Forderungen eine unerträgliche Bedrückung darstellten und das
deutsche Volk versklavten, sei falsch. Die Alliierten wollten nur
einen Teil ihres Schadens ersetzt haben. Es sei Zeitvergeudung,
auf die deutschen Vorschläge einzugehen. Die Alliierten hätten
nur zu sagen, daß wegen der vielfachen Verstöße der deutschen
Regierung gegen den Versailler Vertrag, bei der Aburteilung der
Kriegsverbrecher, der Entwaffnung, der Bezahlung von zwanzig
Milliarden Goldmark für die Reparation usw., jetzt mit Strafmaß-
nahmen vorgegangen werden müsse, Wenn Deutschland nicht bis
zum 7, März erkläre, daß es die Pariser Beschlüsse annehme oder
andere befriedigende Vorschläge mache, so würden die Alliierten
zu folgenden Sanktionen schreiten: Sie würden
1. die Städte Düsseldorf, Duisburg und Ruhrort besetzen,
2. einen Teil des Kaufpreises für die Einfuhr deutscher Waren
in den alliierten Ländern einbehalten,
3. die deutschen Zölle im besetzten Gebiet in Beschlag nehmen
und eine Zollgrenze zwischen besetztem und unbesetztem
Gebiet errichten.
Wieweit sich bei dieser Strafrede ehrliche Entrüstung mit poli-
tischem Theater mischte, ist schwer zu beurteilen. Für den ge-
sunden Menschenverstand ist es kaum faßbar, daß die alliierten
Chefs etwa geglaubt haben könnten, die deutsche Delegation werde
unter dem Drucke der angedrohten Sanktionen sich bereit finden,
entweder die Pariser Vorschläge anzunehmen oder bessere eigene
Vorschläge aus der Tasche zu ziehen. Wenn es wirklich die Ab-
sicht war, nach dem berühmten Vorbild von Versailles und Spa
ein deutsches Zugeständnis unter schwerem Druck zu erreichen,
90
so haben die Alliierten in London die Sachlage gänzlich verkannt.
Es war der deutschen Delegation einfach nicht möglich, dem Ver-
langen der Alliierten zu entsprechen. Es blieb ihr nichts weiter
übrig, als den Sanktionen entgegenzusehen.
In dieser verzweifelten Lage, die nur durch eine Reihe von auf-
gebauschten Irrtümern entstanden war, wurde versucht, mit der
Gegenseite persönlich Fühlung zu nehmen. Ich ging zu Philipp
Kerr, dem damaligen Privatsekretär von Lloyd George, und setzte
ihm unter vier Augen auseinander, daß die deutsche Haltung von
den Alliierten gänzlich mißverstanden sei, Kerr begriff sogleich
und schlug eine Zusammenkunft zwischen Lloyd George und
Dr. Simons’vor. Um keinen Argwohn bei Frankreich zu erwecken,
wurde auch Briand benachrichtigt. So fand in aller Stille am Vor-
mittag des 5. März im Hause von Lord Curzon eine Begegnung
statt, an der Lloyd George und Lord d’Abernon, Briand und
Loucheur, Dr, Simons und ich teilnahmen, Die alliierten Vertreter
hörten Dr, Simons zunächst mit kühler Zurückhaltung an. Ihr Ton
wurde aber allmählich wärmer, besonders als ich ausführte, daß
es bei dem Unterschied in den Ansichten über die deutsche
Zahlungsfähigkeit jetzt nicht möglich sei, zu einer endgültigen
Lösung zu kommen, sondern daß man auf das Provisorium der
Brüsseler Sachverständigen zurückgehen müsse, Lloyd George
griff die Anregung mit Freude auf und beraumte sogleich eine
Besprechung zwischen alliierten und deutschen Sachverständigen
an, Loucheur, der diese Sitzung leitete, erklärte aber, daß ein
Provisorium jetzt nicht mehr möglich sei, weil die öffentliche
Meinung in den alliierten Ländern eine endgültige Lösung ver-
lange, Ein Arrangement auf fünf Jahre habe keinen Wert, weil
man nicht wisse, was nach Ablauf der fünf Jahre geschehen werde.
Man müsse auf dreißig Jahre Annuitäten haben, mindestens in
Höhe von drei Milliarden jährlich. Da die deutschen Vertreter sich
zu einem solchen Abkommen außerstande erklärten, wurde die
Besprechung abgebrochen. Die deutsche Delegation arbeitete
trotzdem einen Vorschlag für ein Provisorium von fünf Jahren
aus, der über Sonntag von den Alliierten auf dem Landhause in
Chequers eingehend beraten wurde, In der Nacht dieses Sonn-
91
tags (6. März) kamen Lord d’Abernon und Loucheur zur deutschen
Delegation. Sie erklärten, daß das Provisorium abgelehnt sei, und
stellten zwei neue Vorschläge zur Wahl: entweder Zahlung von
je drei Milliarden jährlich auf dreißig Jahre und 25 Prozent Ab-
gabe vom Werte der deutschen Ausfuhr oder aber Abgabe von
40 Prozent des Wertes der deutschen Ausfuhr auf dreißig Jahre,
mindestens aber drei Milliarden jährlich, Keiner der beiden Vor-
schläge war für Deutschland annehmbar,
Das Schicksal nahm seinen Lauf, Am nächsten Morgen fand
die entscheidende Sitzung statt. Dr. Simons griff nochmals auf
den Vorschlag des Provisoriums zurück und wies darauf hin, daß
noch vor einigen Wochen sowohl die alliierten Sachverständigen
wie die alliierten Regierungen selbst das Provisorium gefordert
und das Definitivum abgelehnt hätten, Er erklärte sich bereit,
für die ersten fünf Jahre die festen Annuitäten in Höhe der
Pariser Beschlüsse anzunehmen und daneben einen vollwertigen
Ersatz für die zwölfprozentige Abgabe von der deutschen Aus-
fuhr anzubieten. Wenn innerhalb der fünf Jahre keine Ver-
ständigung über die Gesamtschuld erreicht werde, dann solle es
bei den Bestimmungen des Versailler Vertrages verbleiben. In
geschickter Weise betonte Dr. Simons, daß es ungerecht sei,
Deutschland aus dieser Haltung den Vorwurf einer hartnäckigen
und vorsätzlichen Weigerung zu machen, für die es bestraft werden
müsse, Er fand treffliche Worte für die Notwendigkeit der
deutschen Mitwirkung beim Wiederaufbau Belgiens und Frank-
reichs und wies an der Hand der Vorschriften des Versailler Ver-
trages die Rechtswidrigkeit der angedrohten Sanktionen nach. Er
schloß damit, daß jede Zwangsmaßnahme, die ihren Zweck ver-
fehle, neue Zwangsmaßnahmen hervorrufen und vom Frieden weg
zu einem neuen Zustande der Gewalt führen müsse, Nötig sei es
für alle, aus der ungesunden Atmosphäre der Gewalt in die heil-
same Atmosphäre freiwilliger Mitarbeit zu gelangen. Wie man
auch die Schuldfrage entscheiden möge, es handele sich um eine
gemeinsame Not, die nur durch gemeinsame Anstrengung behoben
werden könne. Deutschland sei bereit, sich mehr als die anderen
Länder anzustrengen.
92
Diese ausgezeichnete Rede machte sichtlich Eindruck, Aber
es war zu spät. Die Alliierten waren zu weit gegangen, um noch
umkehren zu können, Die Gewalt war in aller Oeffentlichkeit so
laut angedroht worden, daß sie nun auch ausgeübt werden mußte,
Als Lloyd George erklärte, daß die Sanktionen zur Ausführung
kommen müßten, sah und hörte man ihm an, wie wenig er mit dem
Herzen dabei war. Er wußte so gut wie die anderen Mitglieder
der Konferenz, daß in London Vernunft und Recht geopfert
wurden, um einen der großen Menge gefälligen Ausweg aus einer
Zwangslage zu finden, die sich die alliierten Regierungen mit
ihrer Gewaltpolitik gegen Deutschland ohne Not selbst geschaffen
hatten.
Das Angebot eines Provisoriums durch Dr. Simons in London
ist sowohl von: deutscher Seite wie bei den Alliierten heftig kriti-
siert worden, Briand erklärte der französischen Kammer und der
Presse, daß Dr. Simons innerhalb dreier Tage sein ursprüngliches
Angebot um das Dreifache erhöht und damit Deutschlands
schlechten Willen erwiesen habe, Diese Behauptung ist grund-
falsch. Nach dem ursprünglichen deutschen Angebot in London
sollten in den ersten fünf Jahren durch Sachleistungen und An-
leihen Annuitäten von zusammen 15 Milliarden Goldmark gezahlt
werden. Der letzte deutsche Vorschlag in London nahm die
Pariser Ziffern für fünf Jahre an, d, h. feste Annuitäten von zu-
sammen 13 Milliarden, dazu 12 Prozent der Ausfuhr im Werte
von etwa 3,5 Milliarden, insgesamt 16.5 Milliarden Goldmark.
Der Unterschied in der Höhe der beiden Angebote ist deshalb
nicht besonders groß,
Wieder einmal hatte die hohe Politik in der Lösung der
Reparationsfrage vollkommen versagt. Die Sanktionen traten so-
fort in Kraft, Marschall Foch setzte seine Truppen schon am
Morgen des 8, März 1921 in Bewegung. Düsseldorf, Duisburg und
Ruhrort wurden besetzt, die Zollgrenze zwischen besetztem und
unbesetztemi Gebiet errichtet, die deutschen Zölle an der West-
$renze mit Beschlag belegt. England schritt zum Erlaß des
_ German Reparation (Recovery) Act, nach welchem bis zu 50 Pro-
zent — der Satz ist später auf 26 Prozent ermäßigt worden —
93
des Wertes der deutschen Einfuhr nach England für die Repa-
ration einbehalten wurden, Andere alliierte Staaten erließen
gleichartige Gesetze, die aber vorläufig nicht zur Ausführung
gelangten,
Daß die alliierten Regierungen aus dem Versailler Vertrag
kein Recht auf die Anwendung der Londoner Sanktionen her-
leiten konnten, ist von verschiedenen Seiten so überzeugend nach-
gewiesen worden, daß wir darauf nicht weiter einzugehen
brauchen. Aber ich muß schon hier darauf hinweisen, daß die
Sanktionen von London den Grund für die spätere Besetzung der
Ruhr gelegt haben.
94
NEUNTES KAPITEL
DIE
FESTSETZUNG DER REPARATIONSSCHULD
UND DER LONDONER ZAHLUNGSPLAN
VOM 5. MAI 1921
Nach der Konferenz von London ging es in den Reparations-
fragen drunter und drüber. Es ist schwer, sich in dem Wirrwarr
der folgenden Ereignisse zurechtzufinden.
Bei der Reparationskommission war man über die Londoner
Vorgänge sehr bestürzt. Vernünftige Besprechungen waren unter
dem frischen Eindruck der Sanktionen fast unmöglich. Aber
dennoch boten einsichtige Mitglieder der Kommission mir bald
ihre Hand, um abseits von den Wirren der Politik zu einer
Verständigung zu kommen, Die Gelegenheit dazu ergab sich bei
den Arbeiten zur Feststellung der deutschen Reparationsschuld
gemäß dem Vertrage von Versailles. Vom Februar 1921 an
fanden zwischen der Reparationskommission und einer deutschen
Kommission unter Dr. Ruppel in Paris eingehende Besprechungen
darüber statt, deren Einzelheiten wir übergehen können. Hervor-
zuheben ist aber, daß die Zusammenarbeit der beiden Kom-
missionen trotz des Widerstreites der Interessen sehr gut von
statten ging und manchen Nutzen brachte, Damals wurde mir von
alliierter Seite geraten, Deutschland möchte sich an die Re-
parationskommission mit dem Vorschlag wenden, die beiden
Kommissionen sollten nicht nur über die Höhe der Schäden,
sondern auch über die Art und Weise beraten, in welcher Deutsch-
95
land seiner Zahlungspflicht nachkommen könne. Daraus würde
sich dann zwanglos die Möglichkeit ergeben, im Benehmen mit
Deutschland einen Zahlungsplan aufzustellen, ohne daß von
vornherein ein bestimmter deutscher Vorschlag gemacht werden
müsse, Ich habe diese Anregung bei der deutschen Regierung
nachdrücklich vertreten, aber ohne Erfolg. Vielleicht war es bei
der allgemeinen politischen Aufregung schon zu spät dazu, zu-
mal auch die Reparationskommission nach der Konferenz von
London sich auf höheres Geheiß offiziell auf den Buchstaben des
Versailler Vertrages versteifte und hintereinander eine Reihe von
Forderungen erhob, die allesamt unerfüllbar waren, Die Kom-
mission glaubte damit der Oeffentlichkeit nachweisen zu müssen,
daß sie die ihr im Vertrage von Versailles zugewiesenen Aufgaben
pflichtmäßig erledigt habe,
In erster Reihe handelte es sich um die 20 Milliarden Gold-
mark, welche Deutschland bis zum 1. Mai 1921 zu zahlen hatte,
Wie erwähnt, war schon in Spa eine deutsche Aufstellung der ge-
machten Zahlungen, Lieferungen und Abtretungen vorgelegt
worden, die darauf hinauslief, daß Deutschland bereits mehr als
die 20 Milliarden geleistet habe. Auf eine weitere Mitteilung
der deutschen Regierung vom 20. Januar 1921, die zu ungefähr
dem gleichen Ergebnis kam, antwortete die Reparationskom-
mission am 26, Februar 1921, daß sie noch nicht in der Lage sei,
endgültig festzustellen, wieviel von den bisherigen deutschen
Leistungen auf die 20 Milliarden anzurechnen sei, Schon jetzt
aber könne sie erklären, daß höchstens acht Milliarden für die
Anrechnung in Betracht kämen. Deshalb seien noch 12 Milliarden
bis zum 1, Mai 1921 zu zahlen. Deutschland solle sich äußern,
wie es diesen Betrag begleichen wolle, Als die deutsche Re-
gierung dabei beharrte, daß sie schon mehr als 20 Milliarden
gezahlt habe, verlangte die Reparationskommission am 15, März
kategorisch die Zahlung von 12 Milliarden Goldmark. Zunächst
sei bis zum 23, März, d. h, innerhalb von acht Tagen eine
erste Anzahlung von einer Milliarde Goldmark in französischen
Franken, Pfund Sterling und Dollars zu leisten. Bis zum 1. April
seien Vorschläge zur Bezahlung der restlichen 11 Milliarden
96
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einzureichen, wobei auch die Lieferung von Waren und von
Wertpapieren sowie die Ausgabe einer Anleihe in Betracht
kommen könne. Der Schriftwechsel über diese ungeheuerliche
Forderung nahm solche Formen an, daß die Reparationskom-
mission wieder mit der Anwendung der bekannten Sanktions-
paragraphen des Versailler Vertrages drohte. Als auch das nichts
half, verlangte die Reparationskommission den Abtransport des
gesamten Gold- und Silberbestandes der Reichsbank an die
Stellen der Reichsbank in Köln oder Koblenz. Wenn die Regierung
sich dem widersetze, so werde die Auslieferung des Goldes und
des Silbers an die Reparationskommission verlangt werden, Alle
diese Forderungen wurden als Ultimatum gestellt, auf das binnen
wenigen Tagen zu antworten war. Die deutsche Regierung lehnte
die Uebertragung des Metallbestandes der Reichsbank als unmög-
lich ab, weil letztere ein selbständiges, vom Reiche unabhängiges
Institut sei, Sie erklärte ferner, daß die Wegschaffung des Goldes
aus der Reichsbank in Berlin den letzten Rest des deutschen
Kredits zerstören und damit die Reparation unmöglich machen
würde, Daraufhin verlangte die Reparationskommission die Aus-
lieferung von einer Milliarde Mark in Gold bis zum 30. April.
Am 29, April teilte die deutsche Regierung mit, daß sie der
Regierung der Vereinigten Staaten Vorschläge für die Lösung
des Reparationsproblems übermittelt habe, wobei auch in Aus-
sicht genommen sei, der Reparationskommission sofort die eine
Milliarde Goldmark in folgender Weise zu zahlen:
150 Millionen in Gold, Silber und Devisen sowie
850 Millionen in dreimonatigen Schatzanweisungen fremder
Währung.
Die Reparationskommission antwortete lediglich mit der formellen
Anzeige an die alliierten Mächte, daß Deutschland seine Ver-
pflichtung zur Zahlung der zwanzig Milliarden nicht erfüllt habe
und mit mindestens 12 Milliarden im Verzuge sei.
Inzwischen war die deutsche Regierung in ihrer Not aul
die seltsamsten Mittel verfallen, aus der verzweifelten Lage
herauszukommen. Sie wendete sich an den päpstlichen Stuhl,
natürlich ohne jeden Erfolg. Sie wollte auch auf den Vorschlag
Bergmann, Der Weg der Reparation 7 97
eines neutralen Mittelsmannes eingehen, der ein Angebot von 50
Milliarden Goldmark direkt an die Iranzösische Regierung be-
zweckte, Schließlich tat sie den gefährlichen Schritt, den Prä-
sidenten der Vereinigten Staaten als Schiedsrichter anzurufen,
Präsident Harding lehnte das ab, erklärte sich aber bereit, neue
deutsche Vorschläge zu prüfen und, falls sie ihm zweckmäßig
erschienen, an die Alliierten weiterzugeben, Darauf richtete am
24, April 1921 die deutsche Regierung an die Vereinigten Staaten
das bereits erwähnte Angebot, Sie erklärte sich darin bereit, eine
Reparationsschuld von 50 Milliarden Goldmark Jetztwert anzu-
erkennen und diese Summe, wenn gewünscht, auch in Annuitäten
bis zur Gesamthöhe von 200 Milliarden Goldmark zu zahlen,
Die Verzinsung der 50 Milliarden sollte mit vier Prozent be-
Sinnen und später nach Maßgabe der deutschen Leistungsfähig-
keit ausgestaltet werden. Ein möglichst hoher Betrag sollte
unmittelbar durch eine internationale Anleihe flüssig gemacht
werden. Außerdem sollten die alliierten Mächte in Form eines
Besserungsscheines an der künftigen Hebung der deutschen
Finanz- und Wirtschaftslage beteiligt werden. Deutschland er-
bot sich nochmals, mit aller Kraft am Wiederaufbau der zer-
störten Gebiete mit Arbeit, Materialien und sonstigen Hilfs-
mitteln teilzunehmen und auch darüber hinaus Sachleistungen für
die Alliierten zu machen, Eine Milliarde Goldmark sollte sofort
in der oben beschriebenen Weise an die Reparationskommission
gezahlt werden, Falls die Vereinigten Staaten von Amerika und
‚die Alliierten es wünschen sollten, würde Deutschland bereit
sein, nach Maßgabe seiner Leistungsfähigkeit Schulden der
Alliierten an die Vereinigten Staaten auf sich zu nehmen, Außer-
dem erklärte sich Deutschland zur Stellung jeder erforderlichen
Garantie bereit,
Am 3, Mai 1921 teilte die Regierung der Vereinigten Staaten
Deutschland mit, daß die alliierten Regierungen das Angebot
zurückgewiesen hätten,
Es ist heute kaum verständlich, wie die damalige deutsche
Regierung den Mut aufbringen konnte, ein derartig weitgehendes
Angebot zu machen, das nach dem Urteil jedes Kundigen die
98
E
deutschen Zahlungsmöglichkeiten bei weitem überschritt, Hätten
die Alliierten das Angebot aufgegriffen und zur Grundlage von
Verhandlungen gemacht, so war Deutschland von vornherein mit
einem Zahlungsversprechen gebunden, das die Aufstellung aller
späteren Reparationspläne unnötig machte, Jedenfalls werden
die Alliierten auch nach dem Dawesplan nie das erhalten, was
Deutschland damals selbst angeboten hat. Vielleicht haben die
Alliierten das Angebot keiner ernsthaften Prüfung gewürdigt, weil
sie inzwischen schon mit der Aufstellung ihres eigenen Zahlungs-
planes beschäftigt waren. )
Am 27. April 1921 schloß die Reparationskommission ihre
Arbeiten für die Festsetzung der deutschen Reparationsschuld ab.
Sie gelangte zu einem Gesamtbetrage von 132 Milliarden Gold-
mark. Davon sollten in Abzug kommen:
a) die bereits für die Reparation geleisteten Beträge, |
b) die Beträge, die nach und nach als Gegenwert des in den
abgetretenen Gebieten liegenden Eigentums des Reiches
und der Länder auf Reparationskonto gutzuschreiben seien,
c) alle Beträge, die etwa noch von den früheren Bundes-
genossen Deutschlands eingehen und auf Reparationskonto
gutgebracht würden,
Zu den 132 Milliarden sollte noch die belgische Kriegsschuld
an die Alliierten treten, zu deren Uebernahme Deutschland nach
dem Vertrage von Versailles verpflichtet war.
Von allen Leistungen, welche Deutschland bis zum 1, Mai 1921
gemacht hat, ist der Reparation nichts zugute gekommen. Die
Reparationskommission hat offiziell festgestellt, daß der ihr
bis zum 1. Mai 1921 wirklich zugeflossene Gegenwert für alle
deutschen Zahlungen, Lieferungen und Abtretungen sich auf etwa
2,6 Milliarden Goldmark beläuft. Gegen diesen Betrag waren
zunächst die Besatzungskosten zu verrechnen, Letztere erreichten
für die französische, belgische und englische Armee zusammen am
1, Mai 1921 den Betrag von 2,1 Milliarden und für die kleine
amerikanische Besatzungsarmee allein über 1 Milliarde Goldmark.
Da gegen die gutgeschriebenen 2,6 Milliarden auch noch die
360 Millionen Goldmark der Kohlenvorschüsse von Spa und die
“ 99
Kosten der alliierten Kontrollkommissionen verrechnet werden
mußten, so waren die Eingänge auf Reparationskonto kaum hin-
reichend, um die Kosten der Besatzungstruppen Frankreichs,
Belgiens und Englands zu decken. Die Kosten der amerikanischen
Besatzung sind noch heute unbezahlt; sie werden gemäß den
Beschlüssen der interalliierten F inanzkonferenz vom 14, Januar
1925 zu Paris aus den Jahresleistungen Deutschlands unter dem
Dawesplane allmählich abgetragen.
Diese Rechnung kennzeichnet die sinnlose wirtschaftliche
Verwüstung und Verschwendung, welche die Ausführung des
Vertrages von Versailles mit sich gebracht hat. Man bedenke:
die Abtretung beinahe der gesamten deutschen Handelsflotte in
dem von der Reparationskommission anerkannten Ausmaß von
2 187 000 Bruttotonnen, die Lieferung von 24 Millionen Tonnen
Kohle, von 15 Millionen Kilo F arbstoff, großer Mengen von
Vieh (135000 Rinder und 50 000 Pferde) und des gewaltigen
Materials (über 5000 Lokomotiven, 1200 Personen- und Ge-
päckwagen, 135000 Güterwagen, 130 000 landwirtschaftliche
Maschinen), das unter dem Waffenstillstand abgeliefert war, sind
neben allen sonstigen Leistungen sämtlich von den Kosten der
Besatzung verschlungen worden, Die Opfer und Entbehrungen,
die sich Deutschland auferlegen mußte und die nur dann einen
Sinn hatten, wenn sie wirklich der Wirtschaft der geschädigten
Länder zugute kamen, wurden vollkommen zwecklos für mili-
tärische Ausgaben vergeudet, Sie brachten Deutschland keinerlei
Erleichterung seiner Reparationsschuld. Kein Wunder, daß mit
einem solchen System, das alle deutschen Leistungen wie in einem
Danaidenfaß spurlos verschwinden ließ, es außerordentlich schwer
war, dem deutschen Volke klar zu machen, daß es alle An-
strengungen auf sich nehmen müsse, um die Reparationsschuld
abzuzahlen. Man muß das alles wissen, wenn man ein gerechtes
Urteil über das deutsche Verhalten zur Reparation fällen will,
Die 2,6 Milliarden Goldmark, welche die Bücher der Repa-
rationskommission als effektive deutsche Zahlungen bis zum
1, Mai 1921 verzeichnen, werden ergänzt durch weitere Gut-
schriften unter dem F riedensvertrag in Höhe von reichlich
100
2.5 Milliarden. Darunter fallen hauptsächlich die an Frankreich
abgetretenen Kohlengruben im Saargebiet mit 400 Millionen und
das Reichs- und Staatseigentum in den an die Alliierten abge-
tretenen deutschen Gebietsteilen, Diese Posten sind zwischen den
Alliierten nur durch Verrechnung auf Kapitalkonto beglichen
worden. Zahlung dafür hat die Reparationskommission nicht er-
halten, Insgesamt sind also Deutschland für alle seine Leistungen
und Abtretungen bis 1, Mai 1921 etwas über 5.1 Milliarden Gold-
mark als Reparation gutgebracht worden, Nach deutscher Auf-
fassung ist diese Summe viel zu niedrig.
Der frühere Staatssekretär im F inanzministerium, jetzt Präsi-
dent der Preußischen Staatsbank Dr. Schroeder hat in einer
Denkschrift vom September 1922 den Wert der deutschen
Leistungen bis 1. Mai 1921 auf über 37 Milliarden Goldmark be-
rechnet. Dabei schließt er allerdings auch gewisse Posten ein, für
welche die Reparationskommission bislang keine Gutschrift erteilt
hat, wie den Wert des in Feindesland liquidierten deutschen
Eigentums, die abgetretenen Ansprüche Deutschlands gegen seine
früheren Verbündeten und Material, das die deutschen Truppen
in den von ihnen besetzten fremden Gebieten zurückgelassen
haben.
Der Streit um die Bewertung der deutschen Leistungen bis
1, Mai 1921 hat eine ganze Literatur hervorgerufen, Es würde den
Rahmen dieses Buches überschreiten, näher darauf einzugehen,
Bei einer endgültigen Festsetzung der Reparationsschuld wird
voraussichtlich im Wege des Schiedsspruches eine Entscheidung
über den wirklichen Wert jener Leistungen herbeizuführen sein,
Der Oberste Rat der Alliierten trat Ende April in London
abermals zusammen. Er entwarf selbst einen Zahlungsplan für
die Reparationsschuld und berief die Reparationskommission aus
Paris nach London, damit sie den fertigen Zahlungsplan über-
nehme und als ihr eigenes Werk Deutschland mitteile, Das geschah
und so entstand der Londoner Zahlungsplan vom 5, Mai 1921.
Er wurde von einem Ultimatum der Alliierten an Deutschland
_ begleitet: Wenn die deutsche Regierung den gesamten Plan nicht
bedingungslos binnen sechs Tagen annahm, so drohten die
101
Alliierten, abgesehen von sonstigen militärischen Maßnahmen zu
Land und zur See, mit der Besetzung des Ruhrgebiets, Auch dies-
mal wurden wieder die angeblichen militärischen Verfehlungen
Deutschlands in der Entwaffnung und in der Verfolgung der
Kriegsschuldigen mit der Reparation zusammengeworfen,
Der Londoner Zahlungsplan hat kurz folgenden Inhalt:
1. Deutschland behändigt der Reparationskommission anstelle
der unter dem Versailler Vertrage ausgelieferten Schuldver-
schreibungen
am 1. Juli 1921 12 Milliarden Goldmark A-Bonds
am 1. November 1921 38 Milliarden Goldmark B-Bonds
am 1. November 1921 82 Milliarden Goldmark C-Bonds.
Die Kommission kann die A- und B-Bonds jederzeit ausgeben, die
C-Bonds aber erst dann, wenn sie überzeugt ist, daß die deutschen
Leistungen unter dem Zahlungsplan ausreichen, um Zinsen und
Tilgung für die C-Bonds zu zahlen, Die Verzinsung aller Bonds ist
mit fünf Prozent, die Tilgung mit einem Prozent jährlich vor-
. gesehen. Im Verhältnis zueinander haben die A-, B- und C-Bonds
ein erstes, zweites und drittes Pfandrecht auf die deutschen
Zahlungen und Sicherheiten,
2. Deutschland zahlt jährlich bis zur Tilgung der gesamten
Bonds
a) 2 Milliarden Goldmark,
b) 26 Prozent des Wertes der deutschen Ausfuhr vom
1. Mai 1921 an gerechnet oder einen gleichwertigen
Betrag auf Grund eines zu vereinbarenden Index,
Die Zahlungen sind vierteljährlich zu leisten.
3. Als feste Leistung für das erste Halbjahr zahlt Deutschland
sogleich eine Milliarde Goldmark in Gold, Devisen oder drei-
monatigen Reichsschatzanweisungen, die von deutschen Banken
indossiert sind,
4. Die Reparationskommission errichtet ein Garantiekomitee
in Berlin, das mit der Aufsicht über die Ausführung des
Zahlungsplanes betraut ist. Als besondere Sicherheit für die
deutschen Zahlungen werden bestellt: die deutschen See- und
102
Landzölle und eine Abgabe von 25 Prozent auf die deutsche
Ausfuhr, sowie die Eingänge aus direkten oder indirekten Steuern
oder sonstigen Abgaben, die zwischen der deutschen Regierung
und dem Garantiekomitee vereinbart werden. Bei der Aufsicht
über die deutsche Finanzgebarung hat sich das Komitee nicht in
die deutsche Verwaltung zu mischen.
5, Deutschland soll auf Verlangen einer alliierten Macht vor-
behaltlich der Zustimmung der Kommission Material und Arbeiten
‚nicht allein für den Wiederaufbau der zerstörten Gebiete, sondern
auch zur Förderung der Wirtschaft der alliierten Mächt liefern‘).
6. Deutschland unterstützt die Durchführung des englischen
Reparation Recovery Act oder gleichartiger Gesetze einer anderen
alliierten Macht, Abgaben von der deutschen Ausfuhr auf Grund
solcher Gesetze werden Deutschland auf die geschuldete Zahlung
von 26 Prozent seiner Ausfuhr angerechnet. Das Reich hat dem
deutschen Exporteur den Abzug zu vergüten.
Das Ultimatum zum Londoner Zahlungsplan löste in Deutsch-
land einen heftigen politischen Kampf aus. Die Erbitterung über
die Zwangsmaßnahmen, die wenige Wochen zuvor über Deutsch-
land verhängt waren, wogte noch so stark, daß ein großer Teil
der öffentlichen Meinung ohne weitere Prüfung dafür war, auch
das jetzige Ultimatum glatt zu verwerfen, Man stand ganz unter
dem Eindruck der Verkündung einer Schuld von 132 Milliarden
Goldmark und erklärte, unter keinen Umständen dürfe ein so
ungeheuerliches Schuldanerkenntnis unterschrieben werden. Auch
die Regierung war der Ansicht, daß das Ultimatum unerfüllbar sei
und abgelehnt werden müsse, Ebenso sprachen sich die meisten
Kreise der Wirtschaft, vor allem Vertreter der Industrie, aus.
Es war sehr schwer, gegen diese Stimmung anzukämpfen, Das
deutsche Volk wollte endlich einmal aus dem unseligen Zustand
heraus, in den es durch die Zeichnung des Versailler Vertrages
gebracht worden war. Da hatte es Bedingungen auf sich nehmen
*) Durch diese Bestimmung ist der Paragraph 19 Anhang II zu Teil
VII -4 reihe von Versailles abgeändert. Bislang beschränkte sich ein
Verpflichtung Deutschlands auf die Förderung des Wiederaufbaus der
zerstörten Gebiete.
103
müssen, die unerfüllbar waren. Jetzt sollte es wieder durch un-
barmherzigen politischen Druck zur Zeichnung eines Reparations-
vertrages gepreßt werden, der ebenfalls auf wirtschaftliche Not-
wendigkeiten keine Rücksicht nahm. Zum zweiten Male aber
wollte man den Fehler von Versailles nicht machen, Lieber wollte
man alle Schrecken der militärischen Besetzung und der wirt-
schaftlichen Bedrückung erdulden, als wiederum unerfüllbare
Bedingungen unterschreiben. Das waren etwa die Argumente,
die gegen die Annahme des Londoner Ultimatums sprachen und
die überall in Deutschland starken Eindruck machten,
Für die Annahme des Zahlungsplanes aber sprachen folgende
Gründe: Durch die Besetzung des Ruhrgebiets, deren Folgen un-
absehbar waren, wurde die Lage Deutschlands viel schlimmer.
Gegen Sanktionen, welche von allen Alliierten gemeinsam ange-
wendet wurden, war Deutschland auch moralisch machtlos, Die
Ablehnung des Ultimatums fand in der Welt kein Verständnis,
sondern verstärkte den bereits bestehenden Eindruck, daß Deutsch-
land grundsätzlich versuche, sich seiner Reparationspflicht zu
entziehen. Das Londoner Ultimatum bedeutete immerhin einen
wesentlichen Fortschritt gegenüber den Friedensbedingungen.
Gewiß war die Bezahlung von 132 Milliarden unmöglich. Wer
aber den Zahlungsplan genauer ansah, mußte finden, daß er gar
nicht die Bezahlung der 132 Milliarden forderte, Im Gegensatz
zu der Bestimmung des Versailler Vertrages war nicht die ge-
samte Schuld fest zu verzinsen. Maßgebend war nämlich nicht
der nominelle Schuldbetrag, sondern die jährliche Zahlung. Diese
bestand aus einer festen Rate von zwei Milliarden und einem von
der Höhe der Ausfuhr abhängigen, veränderlichen Betrag. Die
deutsche Ausfuhr hatte damals einen Wert von vier bis fünf
Milliarden Goldmark. Die davon geforderte Abgabe von 26 Prozent
stellte sich also zunächst auf etwas über eine Milliarde, so daß
im ganzen rund drei Milliarden jährlich zu zahlen waren. Das
entsprach 5 Prozent Zinsen und 1 Prozent Tilgung auf ein Kapital
von 50 Milliarden Goldmark. Das Diktat von London war also
nicht schlimmer als das kurz vorher den Vereinigten Staaten über-
mittelte deutsche Angebot, das die Zahlung von 50 Milliarden
104
Jetztwert und außerdem noch Leistungen auf Grund eines
Besserungsscheines versprochen hatte. Die Ablehnung des Ultima-
tums war daher auch logisch nicht richtig. Abgesehen davon
mußte alles getan werden, um die Besetzung der Ruhr abzu-
wenden. Gewiß war nicht abzusehen, wie Deutschland die ver-
langten Leistungen aufbringen könne. Man mußte ‚eben darauf
rechnen, daß wirklich ernstliche Anstrengungen für die Reparation
mit der Zeit den Gegnern ein besseres Verständnis der wirtschait-
lichen Notwendigkeiten Deutschlands beibringen würden.
Diese Beweisführung gab den Ausschlag. Der Reichstag sprach
sich mit schwacher Mehrheit für die Annahme aus. Eine neue
Regierung unter der Führung von Dr. Wirth nahm das Ultimatum,
wie von den Alliierten verlangt, ohne Bedingung und Vorbehalt an.
105
5. 70
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TEIL II
UND DER KAMPF
UM DAS MORATORIUM
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ZEHNTES KAPITEL
DIE ZAHLUNG DER ERSTEN MILLIARDE
GOLDMARK
Die Annahme des Londoner Zahlungsplanes bedeutet einen
wichtigen Abschnitt in der Geschichte der Reparation. Nach den
heftigen Stürmen der vergangenen Monate brachte sie eine Zeit-
lang ruhiges Wetter, in welchem das Schifflein der Reparation
auf seiner schwierigen Fahrt behutsam weitergesteuert werden
konnte, Dem neuen Kapitän Dr. Wirth fehlte es nicht an Mut und
Selbstvertrauen. Er hatte sich die Mitarbeit eines der bedeutendsten
Köpfe Deutschlands gesichert, der seine reichen Gaben uneigen-
Walther Rathenau trat zunächst als Minister für Wiederaufbau in
das Kabinett Wirth ein. Bald aber bestimmte er auch alle finan-
ziellen und außenpolitischen Maßnahmen der deutschen Regierung
als vertrautester Berater des Reichskanzlers in entscheidender
Weise,
£ Die Aufgabe der Reparation hatte damals, verglichen mit den
3 Vorschriften des Vertrages von Versailles, schon eine greifbare
Gestalt angenommen. Das Problem war nicht leichter geworden,
4 aber doch wesentlich vereinfacht. Niemand fragte weiter nach der
Vollzahlung der bekannten 20 Milliarden Goldmark und niemand
E = verlangte mehr die Auslieferung des Goldes der Reichsbank. Der
Streit um die Festsetzung der Reparationsschuld war beendet.
Es hieß nun, sich auf die Forderungen des Londoner Zahlungs-
planes einzurichten, Da stand in erster Linie die Pflicht zur
ins von einer Milliarde Goldmark binnen drei Monaten. Ich
We si
109
nützig und entschlossen in den Dienst der großen Sache stellte.
A
habe bei manchem Anlaß Mitgliedern der Reparationskommission
gesagt, daß es ein großer Mißgriff gewesen sei, von dem finanziell
geschwächten Deutschland eine so gewaltige Zahlung in kürzester
Frist zu verlangen. Die Antwort war stets, daß damit nur das
eigene Angebot der deutschen Regierung vom April 1921 auf-
gegriffen sei. Man habe angenommen, daß sie das Geld habe, sonst
hätte sie das Angebot doch gar nicht machen dürfen. Nun, die
Milliarde war nicht da, sie mußte erst beschafft werden. Da nach
Annahme des Ultimatums der Kurs der Mark sich zunächst
besserte, konnten Devisen für 150 Millionen Goldmark schon
im Mai für die Regierung angekauft und an die Reparations-
kommission gezahlt werden. Ueber den Rest wurden vertrags-
gemäß Schatzanweisungen ausgestellt, die am 31. August 1921
fällig waren. Die vier größten deutschen Banken übernahmen
die von den Alliierten geforderte Bankgarantie, obwohl sie bei
weitem nicht über die nötigen Mittel verfügten, um im Falle der
Not mit dem garantierten Betrage einzuspringen, Es war klar, daß
sie bei jeder Gelegenheit darauf drängten, daß sich das Reich die
nötigen Devisen so schnell wie möglich beschaffen müsse. Die
allgemein bekannte Tatsache aber, daß das Reich binnen kurzem
so gewaltige Mittel benötigte, brachte es mit sich, daß das an sich
schon spärliche Angebot von Devisen in Deutschland immer
knapper wurde. Die Reichsmark, welche vom Januar bis zum
Juni 1921 beinahe stabil geblieben war, begann bei der dringenden
Nachfrage des Reichs nach Devisen wieder stark zu fallen. Je
mehr sie fiel, um so mehr wurden die kostbaren Devisen in
Deutschland zurückgehalten und gesucht, Nach und nach gelang
es, den größeren Teil der Milliarde für das Reich zu erwerben.
Es fehlten aber schließlich immer noch Devisen in Höhe von etwa
400 Millionen Goldmark, deren Ankauf nur auf Kosten einer
gewaltigen Markverschleuderung möglich gewesen wäre, Die Auf-
legung einer inneren Goldanleihe wurde nicht versucht, weil man
einen Mißerfolg fürchtete, Schließlich gelang es, im Ausland,
hauptsächlich in Holland und England, unter schweren Be-
dingungen Kredite auf sechs Wochen aufzutreiben, die in Ver-
bindung mit der Hergabe von Gold und Verpfändung von Silber
110
durch die Reichsbank es möglich machten, die Milliarde am
31, August 1921 voll zu zahlen.
Diese ungeregelte und kurzsichtige Finanzierung sollte bald
üble Folgen haben. Sie hatte den Devisenmarkt in Deutschland
ruiniert, Nunmehr galt es, den ausländischen Bankiers die kurz-
fristigen Kredite zurückzuzahlen. Das ging nur mit Hilfe starker
Markverkäufe, So kam es, daß im September 1921, obwohl
Zahlungen für Reparation einstweilen nicht mehr zu leisten waren,
ein noch schärferer Fall der Mark eintrat, Der Dollar, der vor dem
Juni monatelang etwa 60 Mark gegolten hatte, stieg auf über
100 Mark.
Die zweite Aufgabe der deutschen Regierung war, das Ver-
hältnis zu dem im Londoner Ultimatum geschaffenen Garantie-
komitee der Reparationskommission zu regeln. Das ließ sich
zunächst ganz gut an, Das Komitee unter dem Vorsitz des fran-
zösischen Delegierten Mauclöre begab sich im Juni 1921 nach
Berlin, wo in sachgemäßer Arbeit gründliche Besprechungen statt-
fanden. In mehreren Noten an den Reichskanzler vom 28. Juni
bestätigte das Komitee ein Abkommen, welches nicht nur die
‘Zahlungen für die Zeit bis zum 1. Mai 1922 erträglich zu regeln
schien, sondern auch die gefährliche Klippe der Kontrolle über die _
deutschen Finanzen weise umging. Das Komitee stellte fest, daß
unter Anrechnung der auf 1.2 Milliarden Goldmark im Jahre
geschätzten Sachleistungen und der Eingänge aus dem englischen
Recovery Act nur noch etwa 300 Millionen Goldmark bis
zum 1. Mai 1922 in bar zu zahlen seien und daß deshalb die
verpfändeten Einnahmen erst gegen Ende 1921 abgeführt werden
sollten. Für die späteren Jahre einigte man sich dahin, daß es
genüge, wenn die deutsche Regierung für die Reparation eine
Ei Reihe von bestimmten Abgaben wie Kapitalsteuer, die Steuern auf
Zucker, Tabak und Alkohol, die Kohlensteuer und die Umsatz-
steuer mit 50 Prozent ihres Ertrages als Sicherheit zur Ver-
fügung stelle, Das Komitee verzichtete vorläufig auf die wirkliche
Erhebung einer allgemeinen Ausfuhrabgabe von 25 Prozent und
erklärte sich damit einverstanden, daß die deutsche Regierung
ratenweise den Gegenwert von 25 Prozent der Ausfuhr in Devisen
111
an das Komitee abführe, Zur Einsicht in die Reichsfinanzen
wurde eine ständige Vertretung des Garantiekomitees in Berlin
eingerichtet,
Schon im September 1921 zeigte es sich, daß man die Ent-
wickelung der Dinge zu optimistisch beurteilt hatte, Die deutschen
Sachleistungen blieben dermaßen hinter den Erwartungen zurück,
daß sie kaum ausreichten, die am 15. November fällige Repa-
rationsrate zu decken. Deshalb war voraussichtlich fast die
gesamte feste Vierteljahrsrate — 500 Millionen Goldmark — am
15. Januar 1922 in bar abzutragen. Am 15. Februar folgte dann
schon die erste Rate der Abgabe auf die Ausfuhr mit über 250
Millionen Goldmark.
. Gerade in dieser Zeit nahm der Fall der Mark beängstigende
Formen an, Es wurde immer schwieriger, Devisen für Reparations-
zahlungen, sei es durch Eingehung von Krediten, sei es durch
Markverkäufe, zu erwerben. Die anhaltende Verschlechterung der
Mark verursachte auch immer größere Fehlbeträge im Haushalt
des Reichs, weil die Steuereinnahmen naturgemäß nicht so schnell
stiegen, wie der Bedarf des Reichs für Gehälter, Löhne und
Materialpreise anwuchs, In diesen Nöten konnte das Garantie-
komitee weder helfend eingreifen, noch eine eigene Entscheidung
treffen, Es beriet im September und Oktober nochmals drei
Wochen lang in Berlin. Alle seine Mitglieder, außer den Fran-
zosen, ließen sich davon überzeugen, daß es nötig sei, die
nächsten Raten des Londoner Zahlungsplanes zu ändern oder zu
verschieben. Aber das Ergebnis der Arbeiten des Komitees be-
stand nur in formellen Anordnungen darüber, wie die Papiermark-
einnahmen aus den verpfändeten Reichseinkünften in Perioden
von zehn Tagen an das Komitee abzuführen und in Devisen umzu-
wandeln seien,
Nun begab sich die Reparationskommission selbst im November
zum ersten Male in corpore nach Berlin, um an Ort und Stelle die
Verhältnisse zu untersuchen. Die Lage war inzwischen noch viel
schlechter geworden. Unter dem Eindruck der Teilung von Ober-
schlesien, die den größten Teil des Industriegebietes mit seinen
Schätzen an Kohle, Eisen und Zink an Polen überwies, brach an
112
dem ohnehin sehr nervösen Devisenmarkt eine Panik aus, welche
im November den Dollar auf über 300 Papiermark emporschnellen
ließ, Die Reparationskommission wußte sich in Berlin keinen
anderen Rat, als der deutschen Regierung den energischen Hin-
weis zu geben, daß sie die Fälligkeiten am 15. Januar und
15, Februar unbedingt bezahlen müsse, wenn sie sich nicht
schweren Folgen aussetzen wolle. Sie müsse sich unter allen Um-
ständen die nötigen Devisen. verschaffen, sei es bei den Reichs-
angehörigen, die Guthaben im Auslande besäßen, sei es bei
fremden Geldgebern. Die Schwierigkeit der Lage sei ja nicht zu
leugnen, aber sie sei mehr finanzieller als wirtschaftlicher Natur.
Außerdem sei die deutsche Regierung selbst schuld daran, weil
sie nicht zur rechten Zeit Mittel ergriffen habe, um den Haushalt
in Ordnung zu bringen und die Ausbreitung des Notenumlaufes
zu verhindern, Mit diesen weisen Mahnworten ging die Repa-
rationskommission nach Paris zurück, |
Bergmann, Der Weg der Reparation 8 113
ELFTES KAPITEL
DIE SACHLEISTUNGEN
NACH DEN VORSCHRIFTEN
DES VERTRAGES VON VERSAILLES
Eine Uebersicht der Vorschriften des Vertrages von Versailles
über die Sachleistungen ist im zweiten Kapitel gegeben. Die
Kohlenlieferungen haben wir bereits ausführlich besprochen, Es
wird jetzt nötig, im Zusammenhange zu schildern, wie die
sonstigen Sachleistungen durchgeführt und welche Erfahrungen
dabei gemacht worden sind, Auch abgesehen von der Kohle haben
die Sachleistungen von Anfang an Anlaß zu schweren Reibungen
zwischen Deutschland und der Reparationskommission gegeben.
Man sollte an sich meinen, daß Lieferungen für den Wiederaufbau
der zerstörten Gebiete eine zweckmäßige und für beide Teile
sympathische Art der Reparation sind und daß ein industriell so
leistungsfähiges und gut organisiertes Volk wie das deutsche viel
eher durch Hergabe eigener Erzeugnisse als durch Geldzahlungen
imstande sei, Kriegsschäden wieder gutzumachen,
Diese Betrachtung ist aber nur in der Theorie richtig. Die
Praxis der Reparation hat ein ganz anderes Bild ergeben,
Finanziell allerdings boten die Sachleistungen Deutschland
manche Vorteile gegenüber den Barzahlungen. Sie wurden
durch die heimische Industrie ausgeführt, die ihre Bezahlung in
deutscher Währung erhielt, Insoweit brauchte die Regierung daher
für die Reparation kein fremdes Geld zu beschaffen und konnte
die kranke eigene Währung schonen. Das galt aber nur so lange,
wie die Sachleistungen aus den Ueberschüssen des Haushalts
114
oder im ordentlichen Anleihewege bestritten werden konnten.
Wenn einmal — und das war bei der fortgesetzten Entwertung
der Mark ständig der Fall — der Reichshaushalt mit Fehlbeträgen
arbeitete und eine geregelte Kreditaufnahme nicht möglich war,
so mußte die Finanzierung der Sachleistungen durch die Noten-
presse ebenso verheerend auf die deutsche Währung wirken wie
der Markverkauf ins Ausland. Im übrigen sind Sachleistungen
nur durchzuführen, wenn Besteller und Lieferer über die Ware
selbst, den Preis und alle sonstigen Bedingungen einig sind. Das °
setzt eine vollständige Freiheit der beiden Parteien in bezug auf
die Lieferung voraus.
Unter dem Vertrage von Versailles aber waren die Sachen
zwangsweise zu liefern. Von einer Einigung über die Bedingungen
war keine Rede, Der Vertrag von Versailles fordert von Deutsch-
land einseitig und kategorisch den Warenbedarf der Alliierten
ohne jede Rücksicht auf Handelsgebrauch. Er überläßt es dem
parteiischen Urteil der Reparationskommission zu entscheiden,
ob Deutschland zur Leistung imstande ist und ob die ange-
forderten Mengen ohne Schädigung der eigenen deutschen Be-
dürfnisse geliefert werden können, Er überläßt der Kommission
auch die Festsetzung der Lieferbedingungen. Ein so willkürliches
und wirtschaftlich verfehltes System mußte zum Konflikt führen.
Das war denn auch im Verlaufe der Sachlieferungen die Regel.
Eine auffallende Ausnahme bilden die Lieferungen von Farb-
stoffen und pharmazeutischen Artikeln. Von ihnen ist deshalb
auch nie viel Aufhebens gemacht worden. Sie wickelten sich nach
anfänglichen Schwierigkeiten und eingehenden Besprechungen in
Ruhe zur beiderseitigen Zufriedenheit ab. Ich lege Wert darauf,
diese Tatsache rühmend hervorzuheben, weil sie ein Beispiel dafür
ist, wie bei geschickter geschäftlicher Behandlung auch an-
scheinend unmögliche Forderungen tragbar gemacht werden
können, Erleichternd wirkten allerdings die treffliche Organisation
der deutschen chemischen Industrie, der diese Lieferungen ob-
lagen, die glänzende Verhandlungsgabe und die große inter-
nationale Erfahrung ihrer Vertreter, vor allem ihres Wortführers
Carl von Weinberg.
8*+ | 115
Auch die im Vertrage vorgeschriebenen Lieferungen von
Nebenprodukten der Kohle, wie schwefelsaures Ammoniak,
Benzol und Teer, sind nach Ueberwindung der Organisations-
schwierigkeiten gut und reibungslos vonstatten gegangen.
Für alle Sachlieferungen, abgesehen von Schiffen, Kohle und
chemischen Produkten, hat der Versailler Vertrag ein besonderes
Verfahren vorgeschrieben, das etwa wie folgt aussieht:
Innerhalb einer bestimmten Frist, die von der Reparations-
kommission mehrfach verlängert worden ist, reichten die alliierten
Regierungen Listen über die angeforderten Gegenstände bei der
Reparationskommission ein, Diese hatte bei Prüfung der Listen
darauf zu achten, daß durch die Anforderungen das Wirtschafts-
leben Deutschlands nicht zum Schaden seiner Reparationsfähigkeit
gestört werde. Die durchgearbeiteten Listen gingen dann an die
deutsche Regierung weiter, der es überlassen blieb, die Lieferungen
durch die heimische Industrie an die Reparationskommission zu
bewerkstelligen, Eine Pflicht zur Lieferung lag Deutschland ur-
sprünglich nur insoweit ob, als Vieh und Materialien für den
Wiederaufbau der zerstörten Gebiete in Betracht kamen.
Der Londoner Zahlungsplan hat, wie wir gesehen haben, den
Kreis der Pflichtlieferungen wesentlich erweitert. Nunmehr
durften die alliierten Mächte mit Zustimmung der Reparations-
kommission ganz allgemein zur F örderung ihrer Wirtschaft
Material und Arbeit von Deutschland anfordern. Den Preis
solcher Leistungen sollte eine Schätzungskommission bestimmen,
bestehend aus je einem Vertreter Deutschlands und der inter-
essierten Macht und bei Nichteinigung der beiden einem von der
Reparationskommission ernannten Schiedsrichter, |
Man hatte damals nämlich schon aus der Erfahrung etwas
gelernt. Der Vertrag von Versailles legte die Bestimmung der
Preise für die Sachlieferungen regelmäßig in die Hand der Repa-
rationskommission, Sie sollte bei Lieferungen für den Wieder-
aufbau normale Preise anrechnen und auch die Preise in Betracht
ziehen, zu denen ähnliche Waren in den alliierten Ländern er-
hältlich seien,
Auf diesen sehr allgemeinen Richtlinien baute sich die
116
Organisation der Sachlieferungen auf. Die ersten Listen der
alliierten Regierungen gingen im März und April 1920 ein. Der
Wert dieser Anforderungen belief sich auf etwa zehn Milliarden
Goldmark. Ein großer Teil entfiel auf Bauholz und Industrie-
material. Neben Massenartikeln enthielten die Listen auch
Tausende von verschiedenen Dingen, welche schwer zu sichten
und zu ordnen waren. Um keine Zeit zu verlieren, gab die
Reparationskommission die Listen ohne Einzelprüfung an die
deutsche Regierung weiter. Diese hatte zwar eine umfangreiche
Organisation unter dem Reichskommissar für Wiederaufbau ein-
gerichtet, konnte aber mit der Masse des ihr zugestellten Materials
wenig anfangen, da die nötigen Spezifikationen und vor allen
Dingen die Preisangaben fehlten. Erst im September 1920 war ”
in der Lage, der Reparationskommission Angebote zu übermitte n,
die aber noch verhältnismäßig wenig Materialien für den eigent-
lichen Wiederaufbau enthielten. Bausteine und Ziegel, die be-
sonders dringend benötigt waren, bot Deutschland im ‚Anfang
überhaupt nicht an. Noch schlimmer stand es mit spezifiziertem
Material, vor allem Maschinen, deren Lieferung eine genaue
Durcharbeitung für jeden einzelnen Fall erforderte. Die deutsche
Regierung suchte zu helfen, indem sie durch ihre DE
in Paris eine Reihe von deutschen Firmen namhaft machte, ie
bereit waren, Reparationslieferungen zu machen. Mit a
Firmen sollten die einzelnen Interessenten der alliierten Länder
» in direkte Verbindung treten, um die technischen Fe
die Lieferungsfrist und die Preise zu vereinbaren. So VE .
Lieferungen gegen Ende 1920 langsam in Fluß, aber das me =.
blieb unbefriedigend. Auch mit dem besten Willen aller ‘ e-
teiligten war es nicht möglich, bei der schwerfälligen ee
des Vertrages die Lieferungen so zu gestalten, dab ar ”
Tempo des tatsächlichen Wiederaufbaues irgendwie Sc ri ne >
konnten, Denn wie ging die Sache? Der Besitzer eines aus
oder einer Fabrikanlage, die durch den Krieg zerstört
mußte sich zunächst an seine Regierung wenden. N —
alle Forderungen ihrer Staatsangehörigen zusammen m a w
sie in einheitlichen Listen an die Reparationskommission. Letztere
"T
gab die Gesamtanforderungen aller beteiligten alliierten Länder
an die deutsche Regierung weiter. Diese wiederum hatte die
ungeheuere Masse der Anmeldungen irgendwie unter die deutsche
Industrie aufzuteilen. Die deutschen Lieferanten aber konnten mit
den spärlichen Angaben, die ihnen gemacht wurden, nichts an-
fangen. Kamen wirklich auf solcher Grundlage Angebote zustande,
so mußten sie wieder über die deutsche Regierung und die
Reparationskommission an die einzelnen alliierten Regierungen
zurückgehen, die sich dann mit den Geschädigten in Verbindung
zu setzen hatten, Ein derart kompliziertes Verfahren mußte in der
Praxis kläglich scheitern. Die Massenorganisation des Wieder-
aufbaues großer Landgebiete ist unmöglich, es sei denn, daß
man dazu übergeht, den Wiederaufbau in einheitlichem Stil für
ganze Dörfer und Städte zuzulassen. Dann aber hätte man den
Wiederaufbau von Staat zu Staat in die Hand nehmen müssen,
d. h. man hätte der deutschen Regierung den Auftrag geben
müssen, auf Grund von bestimmten Weisungen durch eine um-
fassende deutsche industrielle Organisation bestimmte Gebiete
mit deutscher Arbeit und allem nötigen Material wieder-
herzustellen, Dazu hat sich Deutschland von Anfang an und
immer wieder erboten, Aber gerade darauf gingen die alliierten
Regierungen aus begreiflichen Gründen nicht ein. Sie wollten
und konnten ihre eigene Industrie bei dem Wiederaufbau nicht
ausschalten, Es kam hinzu, daß nach den französischen Gesetzen
jeder einzelne Geschädigte frei bestimmen durfte, in welcher
Weise er sein Haus oder seine F abrik wiederhergestellt haben
wollte, Das ganze Verfahren, das der Versailler Vertrag vorsah,
war krasse Theorie, es schwebte in der Luft und führte bald zu
schweren Enttäuschungen,
Tatsächlich ist der eigentliche Wiederaufbau ohne erhebliche
deutsche Mitwirkung durchgeführt worden, Die Geschädigten
konnten in den meisten Fällen nicht warten, bis das umständliche
Verfahren über die Regierungen und die Reparationskommission
zu einem Ergebnis führte, Die schweren Vorwürfe, welche gegen
die deutsche Regierung wegen ihres Verhaltens zu den Sach-
leistungen erhoben worden sind, fallen in der Hauptsache auf die
118
Verfasser des Vertrages zurück. Der Fehler lag im System, das
von einer bureaukratischen Organisation die Durchführung einer
Aufgabe erwartete, die nur in praktischer Einzelarbeit gelöst
werden konnte,
Ganz weltfremd aber war die Idee, Lieferungen vorzuschreiben,
ohne vorher den Preis dafür festzusetzen, Es war klar, daß die
Reparationskommission die Lieferungen möglichst billig i be-
kommen wollte. Die deutsche Regierung aber hatte ein verständ-
liches Interesse daran, eine möglichst hohe Gutschrift auf
Reparationskonto zu erlangen. Da sie aber verpflichtet war, die
deutschen Lieferanten zu entschädigen, so suchte sie die Ver-
gütung an die Lieferanten niedrig zu halten. Das ergab einen
Widerstreit der Interessen auf der ganzen Linie, Die Schwierig-
keiten wurden dadurch erhöht, daß die deutsche Regierung aus
sozialen Gründen versuchte, die Lieferungen auf die ‚gesamte
deutsche Industrie gleichmäßig zu verteilen. Auch dabei konnte
der bureaukratische Geist Orgien feiern.
Ueber die Festsetzung der Preise ist lange Zeit zwischen der
Reparationskommission und der deutschen Regierung ein zäher
Streit geführt worden. Es kam nicht nur die Höhe des Preises
selbst in Betracht, sondern auch die Frage, in welcher Währung.
der Preis festzusetzen sei: ob in deutscher Währung oder in der
Währung des Empfangslandes oder endlich in Gold. Um von
diesem Streite die Lieferungen nicht aufhalten zu lassen, entschied
die Reparationskommission, daß die Lieferungen grundsätzlich
auch dann zu erfolgen hätten, wenn der Preis noch nicht fest-
gesetzt sei. Das goß natürlich nur Oel ins Feuer. |
| Die deutsche Regierung verlangte zunächst Goldpreise, die
einen sicheren Anhalt für die Kalkulation der Lieferungen zu
gewähren schienen, Aber auch das war nur so lange im deutschen
Interesse, als die Bewegung der deutschen Papiermark ‚nach
unten ging. Im Frühjahr 1920 stieg der Markkurs eine Zeitlang
erheblich, Das erschwerte der deutschen Industrie die Arbeit
mit Goldpreisen, ließ es vielmehr erwünscht erscheinen, die
Preise in Papiermark festzusetzen. Endlich erkannte man auf
beiden Seiten, daß es nötig sei, den Preis in irgendeiner be-
119
stimmten Landeswährung festzusetzen, und das Risiko des
Wechselkurses jeder der beteiligten Regierungen zu überlassen.
Die Gutschrift auf Reparationskonto erfolgte dann in Goldmark
nach dem Wechselkurse eines bestimmten Datums, des Tages
nämlich, an welchem die deutsche Offerte von der Reparations-
kommission angenommen war.
So mannigfach waren die Schwierigkeiten, die sich bei den
Lieferungen für den Wiederaufbau ergaben, Bald setzte sich die
Ansicht durch, daß man mit dem System des Vertrages grund-
sätzlich brechen müsse, Im Herbst 1920 begannen zwischen der
deutschen Vertretung in Paris und der Reparationskommission
Besprechungen, die darauf abzielten, einen freien, geschäfts-
mäßigen Verkehr zwischen den Geschädigten und den deutschen
Lieferanten einzuführen.
In der Brüsseler Sachverständigenkonferenz im Dezember 1920
spielten die Sachleistungen eine große Rolle, Damals wurde in
Frankreich ohne Scheu der Gedanke vertreten, daß es notwendig
sei, mit Deutschland wirtschaftlich zusammenzukommen. Wie
schon erwähnt, hatte ich in Brüssel mit den französischen Dele-
gierten eine eingehende Aussprache über die Einführung des
direkten Verkehrs zwischen dem französischen Besteller und dem
deutschen Lieferanten. Die schwierigen geschäftlichen Verhand-
lungen über die Lieferung selbst sollten dem Bureaukratismus der
Länder entzogen und die Mitwirkung des Staates mehr auf eine
Kontrolle der Zahlungen beschränkt werden.
Ich habe diese Idee in Brüssel in einem Moment verwertet,
wo es nötig war, einen positiven Zug in die Verhandlungen
hineinzubringen, um die Gefahr des Abbruchs zu vermeiden. Die
Konferenz beschloß, die Organisation der Sachlieferungen durch
Besprechung zwischen alliierten und deutschen Vertretern weiter
zu vertiefen. Das geschah Anfang Januar 1921 in Paris, Damals
entwarf Seydoux einen Plan, nach welchem die deutschen
Leistungen in den ersten Jahren zum größeren Teil aus Sach-
lieferungen bestehen sollten. Bestellung, Lieferung und Preis-
festsetzung waren danach der privaten Initiative zu überlassen.
Nur einige Stapel- oder Massenwaren sollten von Regierung zu
120
Regierung geliefert werden. In allen übrigen Fällen hatten Be-
steller und Lieferant einen vollkommen fertigen Vertrag abzu-
schließen. Die Zahlung sollte durch ein gemischtes Bureau ver-
mittelt werden, dessen alliierter Teil die Abrechnung zwischen
dem Besteller und der alliierten Regierung veranlaßte, während
der deutsche Teil die Zahlung bei der deutschen Regierung an-
wies, Die deutsche Zahlstelle war ein für allemal zur Vornahme
der Zahlung zu ermächtigen. Der Gegenwert sollte alsdann auf
Reparationskonto gutgeschrieben werden.
Seydoux dachte daran, das Verfahren auf Lieferungen aus-
zudehnen, welche nicht für den Wiederaufbau bestimmt waren,
und dabei sollte ein Teil des Preises von dem Besteller an den
deutschen Lieferanten in bar gezahlt werden. Das System war
auch für den Fall der deutschen Mitarbeit beim Wiederaufbau zu
benutzen. Außerdem schwebte Seydoux vor, die Ausfuhr Deutsch-
lands in der Weise für die Reparation heranzuziehen, daß der
Verkauf der Waren ins Ausland vollkommen in deutscher Hand
blieb, aber ein Teil des Erlöses für die Reparation gezahlt werden
sollte. Nur einige bestimmte Massenwaren sollten dafür in Be-
tracht kommen, wie Kohle, Kali, Stickstoff, Holz, Farben, Zucker,
elektrisches Material, Stahl- und Eisenwaren, Papier. Die deutsche
Regierung sollte die Lieferanten für diese Abgabe entschädigen.
Aus dieser in vernünftigen Grenzen wohl durchführbaren Idee
ist in den Händen der Politiker jener brutale Zugriff auf die
deutsche Ausfuhr geworden, durch den in den Pariser Beschlüssen
12 Prozent und im Londoner Ultimatum sogar 26 Prozent der
gesamten deutschen Ausfuhr für die Reparation ergriffen wurden,
ganz gleichgültig, um welche Ware es sich handelte, und ob mit
der Ausfuhr etwas verdient wurde oder nicht.
121
ZWÖLFTES KAPITEL
DAS WIESBADENER ABKOMMEN
VOM 6. UND 7. OKTOBER 1921
' Unter den politischen Stürmen des Frühjahres 1921 litt auch
die Regelung der Sachlieferungen,
Im Juni 1921 wurden von alliierter Seite Fühler ausgestreckt,
um Rathenau zu einer Besprechung mit der Reparationskommission
in Paris zu veranlassen. Kurz darauf kamenLoucheur und Rathenau
überein, die Sachlieferungen zwischen Frankreich und Deutschland
durch einen Vertrag zu regeln. Nach wiederholten Vorberatungen
wurde am 6. und 7. Oktober 1921 das sogenannte Wiesbadener
Abkommen gezeichnet. Es befaßt sich ausschließlich mit Liefe-
rungen für den Wiederaufbau. Sonstige Lieferungen, wie Kohle
und Farbstoffe, blieben den Vorschriften des Versailler Vertrages
unterworfen, | :
Das Wiesbadener Abkommen sieht die Errichtung einer
deutschen Körperschaft privaten Charakters vor, welche unter
Ausschaltung der beiden Regierungen Lieferungen an die fran-
zösischen Kriegsgeschädigten übernimmt, Eine Kommission von
drei Mitgliedern, bestehend aus einem F ranzosen, einem Deutschen
und einem von beiden zu wählenden Schiedsrichter, entscheidet
Streitfragen über die Möglichkeit der Leistungen und über alle
Lieferungsbedingungen. Sie setzt auch die Preise fest, soweit sie
nicht zwischen Besteller und Lieferant direkt vereinbart werden,
Grundsätzlich wird die Absprache über alle Modalitäten der
Lieferung dem direkten Verkehr zwischen Besteller und Lieferant
überlassen, vor allem für Spezialmaterial, wie Maschinen und
122
industrielle Einrichtungen. Die Absicht war, möglichst umfang-
reiche Sachlieferungen von Deutschland an Frankreich zu er-
zielen. Für die Zeit vom 1. Oktober 1921 bis 1. Mai 1926 waren
Lieferungen im Gesamtwerte von sieben Milliarden Goldmark in
Aussicht genommen. Dafür war auf Reparationskonto aber
höchstens eine Milliarde Goldmark jährlich gutzuschreiben. Der
Rest wurde Frankreich mit fünf Prozent Zinsen zur Rückzahlung
bis 31. Dezember 1937 gestundet. Die Einzelvorschriften des
Abkommens über die Kreditierung sind verwickelt und bieten
dem allgemeinen Interesse wenig. Frankreich sollte in keinem
Jahr für alle Sachlieferungen, die es erhielt, auf Reparationskonto
mehr vergüten als seinen Anteil von 52 Prozent an den gesamten
Leistungen, welche Deutschland in dem betreffenden Jahre für
die Reparation machen würde.
Das Wiesbadener Abkommen stieß sowohl bei den Alliierten
Frankreichs wie auch in Deutschland auf starken Widerstand.
Im Verhältnis zwischen den Alliierten enthielt es finanzielle Vor-
teile für Frankreich, zu denen ihm der Versailler Vertrag kein
Recht gab. Seine Verbündeten wandten mit Recht ein, daß sie
durch die einseitige Bevorzugung Frankreichs benachteiligt
werden könnten, weil die Mehrleistungen an Frankreich die |
deutsche Zahlungsfähigkeit schädlich beeinflussen würden. Es
mußte ja auch seltsam erscheinen, daß Deutschland, das den
Zahlungsplan von London nur unter dem Drucke des Ultimatums
angenommen hatte, nun aus freien Stücken sich erbot, in Form von
Sachlieferungen noch erheblich mehr an Frankreich zu leisten, als
der Zahlungsplan von ihm verlangte. Denn alle Sachleistungen,
die es nach dem Wiesbadener Abkommen Frankreich zu kredi-
tieren hatte, mußte es den Lieferanten in deutscher Währung
bezahlen. Um diesen Betrag erhöhte sich die jährliche Belastung
des Reichshaushalts. Es hat daher in Deutschland an Angriffen
gegen das Wiesbadener Abkommen nicht gefehlt.
Der Widerstreit der Interessen innerhalb der Reparations-
kommission dauerte lange. Die Verbündeten konnten sich über
2 das Wiesbadener Abkommen erst am 11. März 1922 einigen. Die
Genehmigung der Kommission erfolgte am 31. März 1922. Dabei
123
wurden im Interesse der anderen Alliierten gewisse Kredit-
bestimmungen abgeändert.
Trotz aller Bedenken, die gegen das Wiesbadener Abkommen
vorgebracht worden sind, glaube ich, daß es seinerzeit nützlich
war, Die deutsche Regierung verfolgte eine Politik der Erfüllung
und der Versöhnung mit Frankreich, Es war für jeden Kundigen
schon damals klar, daß der Zahlungsplan von London mindestens
im ersten Jahr nicht in voller Höhe innegehalten werden konnte,
Neue politische Konflikte, immer wieder zum Nachtejl des wehr-
losen Deutschland, standen bevor, falls es diese oder jene
Zahlung nicht leistete, Wenn der Beweis des guten Willens zur
Erfüllung erbracht werden sollte, so konnte dies nur durch Sach-
lieferungen geschehen. Damit fand auch die deutsche Industrie
Beschäftigung. Für Frankreich waren die Lieferungen mindestens
ebenso dringend wie bares Geld, Durch die Anbahnung eines
lebhaften Geschäftsverkehrs zwischen beiden Ländern wurden
Mißverständnisse und die Gefühle des Hasses und der F urcht am
ehesten beseitigt. Auf geschäftlichem Wege konnte ein Einver-
nehmen hergestellt werden, das von größter Bedeutung sein
würde, wenn neue internationale Spannungen auftauchten, Frank-
reich würde, wenn es die zum Wiederaufbau nöt; gen Sach-
leistungen in reichem Maße erhielt, Verständnis dafür zeigen,
daß es Deutschland nicht möglich war, die nötigen Devisen für
die vollständige Erfüllung des Londoner Zahlungsplanes zu be-
schaffen. |
Das etwa war der Gedankenkreis, der Rathenau nach Wies-
baden führte. Aehnliche Erwägungen müssen auch auf der
französischen Seite vorgelegen haben. Beide Teile werden sich
darüber klar gewesen sein, daß Waren im Werte von sieben
Milliarden Goldmark in einer Zeit von etwa viereinhalb Jahren
unmöglich geliefert werden konnten, Die hohe Zahl diente beiden
Teilen als Staffage für ihre Politik, Die Lieferungen unter dem
Wiesbadener Abkommen sollten sich aus kleinen Anfängen erst
allmählich entwickeln, sofern es überhaupt gelang, den Wider-
stand der französischen Industrie gegen eine massenhafte Ver-
sorgung Frankreichs mit deutschen Erzeugnissen zu brechen. Es
124
KR
“org
"war nicht wahrscheinlich, daß das Abkommen von Anfang an der
deutschen Regierung besondere finanzielle Lasten aufbürden
würde, Tatsächlich sind die Sachlieferungen an Frankreich,
abgesehen von Kohle, die nicht unter das Abkommen fällt, bis
zum heutigen Tage sehr spärlich geblieben. Frankreich hat im
Interesse seiner eigenen Industrie nur geringen Gebrauch von dem
Rechte des Warenbezugs aus Deutschland gemacht.
Die Einführung des freien Verkehrs zwischen dem alliierten
Besteller und dem deutschen Lieferanten wurde auch von der
Reparationskommission energisch weiter verfolgt. Bemelmans als
Vertreter der Reparationskommission und Dr. Cuntze als Ver-
treter der deutschen Regierung zeichneten am 28, Februar 1922
in Berlin ein vorläufiges und am 2. Juni 1922 ein endgültiges
Abkommen, das in engem Anschluß an den Plan Seydoux die
Ausführung der Sachleistungen dem privaten Geschäftsverkehr
überließ und eine praktische Regelung für die Form der Zahlung
traf. Unter das Abkommen fielen die Waren nicht, deren Ausfuhr
aus Deutschland verboten ist oder gesetzlichen Beschränkungen
unterliegt. Die Lieferung solcher Waren, wie Lebensmittel, Futter-
mittel, Düngemittel, Tiere, Holz, Oele und Oelirüchte, Zement,
Benzol, Leder, Häute, Gerbstoffe usw., durfte wie bisher nur nach
den Vorschriften des Versailler Vertrages, also unter Anrufung
der Reparationskommission verlangt werden. Ferner fielen nicht
unter das Abkommen Waren, die in Deutschland eingeführt und
nicht weiter verarbeitet sind, die aus Importwaren hergestellten
Lebensmittel und Waren aus Gold, Platin und Silber. Für eine
Reihe anderer Waren war das Verfahren des Abkommens zwar
"zugelassen, aber der Besteller mußte einen Teil der Waren in bar
zahlen, weil sie nur mit Hilfe von Rohstoffen hergestellt werden
nen, die erst in Deutschland eingeführt werden müssen,
Lieferungen zum Wiederaufbau zerstörter Häuser und Fabriken
waren von dieser Beschränkung frei.
Die Verträge mußten einen Mindestwert von fünfzehnhundert
Goldmark haben. Sie waren binnen vierzehn Tagen der
Reparationskommission vorzulegen, letztere benachrichtigte die
r. deutsche Regierung. Der Vertrag galt als genehmigt, wenn binnen
125
vierzehn Tagen nach der Benachrichtigung keine der beteiligten
Regierungen Einspruch erhob. Ueber einen Einspruch entschied
die Reparationskommission. Für alle genehmigten Verträge er-
teilte die deutsche Regierung die etwa benötigte Ausfuhr-
bewilligung. Sie übernahm ferner die Bezahlung an den deutschen
Lieferanten, Der Kaufpreis wurde der deutschen Regierung auf
Reparationskonto gutgeschrieben, in gleicher Höhe wurde die
interessierte alliierte Regierung belastet, Die Zahlung erfolgte mit
Hilfe von bestimmten Scheckformularen.
Dem Bemelmans-Cuntze Abkommen sind die Gillet-Ruppel
Verträge vom 15, März und 6./9. Juni 1922 nachgebildet, Sie
regelten die Sachleistungen an F rankreich und änderten das
Wiesbadener Abkommen entsprechend ab. Beide Regierungen be-
tonten dabei, daß sie keinen Druck ausüben würden, um die
Bestellungen bestimmten deutschen F irmen oder Landbezirken
Zuzuweisen,
Das freie Verfahren war nur auf Lieferungen für den Wieder-
aufbau anzuwenden, für alle übrigen Bestellungen alten die Vor-
schriften des Vertrages von Versailles. |
Eine Zeitlang schien es, als ob der Wiederaufbau der zer-
störten Gebiete mit deutscher Hilfe nun wirklich gut in Gang
kommen würde, Selbst der gewaltige Hugo Stinnes stellte sich
auf den Boden des Wiesbadener Abkommens, Er schloß nach
einer Zusammenkunft auf der Heimburg am Rhein mit dem
Marquis de Lubersac, dem Präsidenten der französischen Ge-
nossenschaften für den Wiederaufbau, am 30. August/4, Sep-
tember 1922 einen Vertrag, der eine umfassende kaufmännische
Organisation für Sachlieferungen vorsah. Aber dieser vielgerühmte
Vertrag blieb eine leere Schale, Zur Ausführung ist er nicht
gekommen, Wenige Monate später waren die Franzosen im
Ruhrgebiet,
Zum Schluß dürften einige Zahlenangaben von Interesse
sein. Die gesamten deutschen Sachlieferungen nach Anhang IV
Teil VIII des Vertrages von Versailles, also abgesehen von Schiffen,
Kohle und F arbstoffen, stellten sich im Jahre 1922 auf rund
230 Millionen Goldmark, Davon gingen 19 Millionen nach Frank-
126
reich, 17 Millionen nach Belgien, 47 Millionen nach Italien und
116 Millionen nach Serbien. Den Löwenanteil also sicherte sich
Serbien. Es hatte keine heimische Industrie, die sich gegen die
deutschen Sachleistungen sträubte, Auch im Jahre 1923, nach
der Besetzung der Ruhr, gingen die Lieferungen nach Serbien
weiter. Im ganzen erhielt es bis 30. Juni 1924 auf Reparations-
konto deutsche Waren im Werte von 264 Millionen Goldmark:
weit mehr, als auf seinen Anteil entfiel.
Um deutsche Arbeit für die Reparation in größerem Maße
nutzbar zu machen, als dies für den Wiederaufbau selbst bisher
möglich war, reichte die französische Regierung der Reparations-
kommission im Juli 1922 ein Programm für öffentliche Arbeiten
ein, die Deutschland ausführen sollte. Dazu gehörten Wasser-
bauten an der Rhone, der Truyere und der Dordogne sowie an _
einem „Nordostkanal” zur Verbindung von Saar und Mosel einer-
seits und Maas und Schelde andererseits. Die Arbeiten waren
geschätzt auf 3,9 Milliarden Francs, sie sollten sich auf zehn
Jahre verteilen. Bis jetzt ist es beim Projekt geblieben.
Die im Vertrage vorgeschriebenen Lieferungen von Vieh ‚be-
gegneten besonders großen Schwierigkeiten, Der eigene Vieh-
bestand Deutschlands hatte im Kriege schwer gelitten. Dem aus-
gehungerten Volke erschien das Verlangen, Hunderttausende von
Milchkühen abzuliefern, als ein schreiendes Unrecht. Dazu kam,
daß in den Jahren nach dem Kriege die Maul- und Klauenseuche
bedenklich in Deutschland überhand nahm. In endlosen Ver-
handlungen wurden die Programme der Viehlieferungen immer
wieder geändert. Schließlich hat Deutschland aber doch sehr
erhebliche Mengen an Vieh hergeben müssen. Am 31, Dezember
1922 hatte es abgeliefert: 101 659 Pferde, 174 208 Stück Rindvieh,
231 393 Schafe, 21 664 Ziegen und 245 668 Stück Geflügel,
127
DREIZEHNTES KAPITEL
RESTITUTION UND SUBSTITUTION
Nach Art. 238 des Vertrages von Versailles ist Deutschland
verpflichtet, kostenlos zurückzuliefern, was im Kriege aus den
alliierten Ländern weggeschafft ist und in Deutschland oder in
den Ländern seiner Verbündeten festgestellt werden kann, Die
Rücklieferung wurde, wie wir gesehen haben, schon während des
Waffenstillstandes eingeleitet und zu einem Sroßen Teile durch-
geführt, vor allem in bezug auf Eisenbahn- und Industriematerial.
Die alliierte Organisation hatte ihren Sitz in Wiesbaden, die
deutsche Gegenkommission in F rankfurt a. M,
Das ging unter bereitwilliger Mitarbeit der deutschen Be-
hörden verhältnismäßig glatt. Sehr schwierig war aber die Resti-
tution landwirtschaftlicher Geräte, Hier hätte man die Güter
und Bauernhöfe durchsuchen und die etwa gefundenen fremden
Geräte einzeln wegschaffen müssen, auf die Gefahr hin, daß die
Feldbestellung und die anderen Landarbeiten darunter litten.
Um diese Mißhelligkeiten abzuwenden, einigten sich Frankreich
und Deutschland dahin, die Restitution der landwirtschaftlichen
Geräte durch die Lieferung von neuem Material im Werte von
20 Millionen Mark zu ersetzen, Das war der Anfang der
sogenannten Substitution, eines Verfahrens, das zunächst in der
Reparationskommission Widerspruch fand, weil es die Leistungen
Deutschlands in erster Linie für Frankreich und Belgien an-
spannte, während England daran kein Interesse hatte. Nach und
nach aber überzeugte man sich auf allen Seiten, daß die Rück-
lieferung, so wie sie im Vertrage vorgeschrieben ist, in der Praxis
128
gar nicht durchzuführen: war. In den meisten Fällen konnte der
alliierte Eigentümer nicht darauf warten, bis ihm der wegge-
nommene Gegenstand wieder zurückgebracht wurde. Er schaffte
sich einfach etwas Neues an und damit war für ihn die Sache
erledigt. Auf der deutschen Seite aber mußte alles getan werden,
um die lästigen Nachforschungen in Fabriken und Privathäusern
loszuwerden. So kam man immer mehr dazu, die Pflicht zur
Restitution durch Abkommen allgemeiner Art abzulösen, nach
denen Deutschland neues Material in bestimmter Höhe an die
einzelnen alliierten Regierungen zu liefern unternahm, Auch für
Vieh wurde die Substitution eingeführt. |
Der Wert alles dessen, was Deutschland zurückgeliefert hat,
beträgt etwa 500 Millionen Goldmark; Geld und Wertpapiere
sind dabei nicht mitgerechnet. Es hat dafür gemäß der Vorschrift
des Vertrages von Versailles keine Gutschrift auf Reparations-
konto erhalten. ö
Die Substitutionsverträge laufen jetzt noch in Höhe von
mehreren Hundert Millionen Goldmark weiter, in der Hauptsache
mit Frankreich und Belgien.
i | 129
Bergmann, Der Weg der Reparation 9
| VIERZEHNTES KAPITEL
_ DER ERSTE ANTRAG AUF STUNDUNG
Im Herbst 1921 war es für jeden wirtschaftlich Denkenden
klar geworden, daß Deutschland die nächsten unter dem
Zahlungsplan von London fälligen Geldzahlungen aus eigenen
Kräften nicht würde leisten können, Schon im August 1921 hatte
Professor John Meynard Keynes geschrieben, daß Deutschland
zwischen Februar und August 1922 mit den Zahlungen im Ver-
zuge bleiben müsse, Inzwischen hatten die Umstände, unter
welchen Deutschland es fertig brachte, die erste Milliarde Gold-
mark zu zahlen, deutlich gezeigt, daß ein solches Experiment nicht
ein zweites Mal glücken werde. In der Tat waren die Wirkungen
dieser Zahlung nicht nur auf die deutsche Währung, sondern auch
auf die fremden Wechselkurse ganz erstaunlich, Die deutsche Re-
gierung hatte die am 31, Mai 1921 fälligen 150 Millionen
bereits am 15. Mai in verschiedenen Devisen zur Hand. Auf Ver-
langen der Reparationskommission mußten diese Devisen binnen
zehn Tagen in Dollar umgewandelt der Federal Reserve Bank
in New York überwiesen werden. Der forcierte Dollarkauf führte
zu einem sofortigen Rückgang aller Devisen, die von Deutschland
verkauft werden mußten, Diese Bewegung setzte sich auch nach
dem 31. Mai 1921 fort, weil die internationale Spekulation
andauernd Dollars weiter kaufte in der Annahme, daß die
Reparationskommission die Zahlung der gesamten Milliarde Gold-
mark in Dollars verlangen würde, So fiel in der Zeit vom 21. Mai
bis 30. Juli 1921 das englische Pfund in New York von 4 auf
3.57 Dollar, der französische Franc von 8,78 auf 1.64, der hol-
130
ländische Gulden von 35.95 auf 30.78, der belgische Franc yon
8.77 auf 7.37, die schwedische Krone von 23.65 auf 20.45. Die
Reparationskommission zog daraus die Lehre, da ß sie die deutschen
Zahlungen nicht nur in Dollars, sondern auch in anderen Devisen,
selbst auf die Gefahr eines Kursverlustes hin, in Zahlung nehmen -
müsse, Als dies geschah, konnten sich die Wechselkurse mit Aus-
nahme des französischen und des belgischen Franc bald wieder
kräftig erholen. | |
Ueber die Bewegung der Mark im Zusammenhange mit der
Zahlung der Milliarde Goldmark haben wir schon gesprochen. |
Der Marksturz kam erst Anfang Dezember 1921 zum Stillstand,
als die Hoffnung auftauchte, daß mit Hilfe eines internationalen
Arrangements Deutschland von weiteren großen Zahlungen für
einige Zeit befreit bleiben würde. Bis dahin wußte jedermann =
dem Londoner Zahlungsplan, daß Deutschland zu ganz besten
Zeitabschnitten feste Zahlungen in gewaltiger Höhe leisten mußte.
Es war daher für die internationale Spekulation ein re
Geschäft, durch den Verkauf von Mark Devisen zu erwerben, lie
man dann der deutschen Regierung, welche immer als ez
Markte sein mußte, zu gestiegenen Preisen wieder =
konnte; denn mangels eigener Deviseneinnahmen war die nn e
Regierung gezwungen, jedes Angebot von Devisen zu benu =
um sich nicht durch Zahlungsverzug neuen nn, —
zusetzen, Dabei war im Sommer 1921 der Devisenbedart _ 2
lands für andere Zwecke, vor allem für die Einfuhr - e je
mitteln und für das Clearingverfahren, ee x I *
gewesen. Um so schwerer wurde die Devisenbesc alfung be
Herbst und Winter 1921, als der lange un mer
Bedarf an fremden wer eo bee ee er
so nicht weiter ging wie bisher, as war It |
E; Nur darüber, was geschehen mußte, gingen a
stark auseinander. InDeutschland versuchte man ee o oz
der Anleihe, Im September spannen sich zwischen er de we
Regierung und Vertretern der a a a
f bzielten, daß die Industrie de nei
rer ei Verfügung stellte, um die nächsten Raten des
| 131
9%
Londoner Zahlungsplans bis zur Höhe von einer Milliarde Gold-
mark im Anleihewege zu beschaffen, Die Verhandlungen wurden
ziemlich lau geführt, Man stellte bald fest, daß es sich nicht
darum handeln könne, die Devisenbestände der Industrie der
Reichskasse zuzuführen, sondern nur darum, unter Ausnützung
des Kredites der deutschen Industrie im Auslande eine größere
internationale Anleihe zu begeben. Damals tauchte der sogenannte
Plan Hachenburg auf: eine Kreditvereinigung, die Industrie,
Handel und Landwirtschaft umfaßte, sollte eine Anleihe ausgeben,
welche durch hypothekarische Belastung des Grundbesitzes und
des Vermögens aller Erwerbsstände zu sichern wäre, Zinsen und
Tilgung der Anleihe sollten auf die Steuerleistung der belasteten
Unternehmen verrechnet werden. Der Plan kam nur bis zur Ge-
nehmigung durch den Reichswirtschaftsrat. Von der Industrie
wurde er verworfen. Eine Versammlung des Reichsverbandes der
Deutschen Industrie vom 4, und 5. N ovember 1921 beschloß, die
Kreditverhandlungen mit dem Reich fortzusetzen, jedoch zu ver-
langen, daß das Reich im gesamten Haushalt strenge Sparsamkeit
einführe, das Wirtschaftsleben von allen Hemmnissen der Be-
tätigung und Entwicklung befreie und die Staatsbetriebe alsbald
in private Bewirtschaftung überführe, so daß sie, anstatt wie bis-
her dem Reiche zur Last zu fallen, genügende Einnahmen schaffen
könnten, um Zinsen und Tilgung der geplanten Auslandanleihe
zu decken, Gegen das Verlangen der Industrie, den deutschen
Eisenbahnen eine private Wirtschaftsform zu geben, erhob sich
ein Sturm der Entrüstung. Die Sozialisten kamen mit Gegen-
forderungen. Sie verlangten eine Beteiligung des Reiches am
Kapital der Industrie, die Verstaatlichung der Kohlengruben,
strenge Erfassung der Ausfuhrdevisen, Beschränkung der Einfuhr,
Erhöhung der Ausfuhrabgaben, sofortige Eintreibung der direkten
Steuern und anderes. In dem innerpolitischen Kampf, der darüber
entbrannte, fiel das Anleiheprojekt der Industrie ins Wasser.
Der Versuch der deutschen Regierung, auf ihren eigenen Kredit
hin eine Anleihe von etwa einer Milliarde Goldmark in London
zu erlangen, schlug gleichfalls fehl. Der Gouverneur der Bank
von England erklärte in einem Schreiben an den Präsidenten der
132
Reichsbank Havenstein, daß im Hinblick auf die Vorschriften,
welche die finanziellen Verpflichtungen des Reichs gegenüber der
Reparationskommission für die nächsten Jahre regelten, weder
eine langfristige deutsche Anleihe noch ein kurzfristiger Bank-
kredit in England aufgenommen werden könne,
Die deutsche Regierung entschloß sich nunmehr, durch ‚eine
Note des Reichskanzlers vom 14. Dezember 1921 der Reparations-
kommission anzuzeigen, daß es ihr unmöglich sei, den Gesamt-
betrag der Fälligkeiten vom 15, Januar und 15, Februar 1922 zu
beschaffen. Bei Anstrengung aller Kräfte und ohne Rücksicht auf
die für den Reichshaushalt notwendigen Ausgaben würde, abge-
sehen von den Sachlieferungen und den Gutschriften aus dem
Recovery Act, nur ein Betrag von einhundertfünfzig bis zwei-
hundert Millionen für die Reparation zusammengebracht werden
können. Daher sehe sich die deutsche Regierung genötigt, die
Reparationskommission um einen Zahlungsaufschub für diejenigen
Beträge zu bitten, welche an den Fälligkeitsdaten des 15. Januar
und 15. Februar 1922 nicht beschafft werden könnten.
Das war der Antrag auf ein Moratorium. Die Reparations-
kommission antwortete am 16. Dezember, daß sie nur mit Be-
fremden von dem Schritt der deutschen Regierung Kenntnis
nehmen könne, Sie werde den Antrag auf Zahlungsaufschub
so lange nicht berücksichtigen, bis die deutsche Regierung wei
einzelnen begründet haben würde. Zugleich sprach sie i - Bor
dauern darüber aus, daß die deutsche Regierung in keiner eise
auf das Verlangen der Kommission eingegangen sei, die geeigneten
Mittel zu ergreifen, um den deutschen Haushalt in Ordnung zu
bringen und den Notenumlauf einzudämmen. | ne
Dieser Schriftwechsel zeigt, wie sehr es wieder einmal in einem
kritischen Zeitpunkte an gegenseitigem Verständnis zwischen Repa-
rationskommission und deutscher Regierung fehlte. Sie a
beide in ihre politischen Scheuklappen eingezwängt, aneinander
vorbei. Nach dem mehrwöchigen Aufenthalt des re
und dem Besuch der gesamten Reparationskommission in Berlin
hätte man erwarten sollen, daß eine Verständigung sich on
mindesten anbahnen würde, Nichts davon ist in dem Schrift-
133
wechsel zu spüren, sondern nur ein vorsichtiges, lauerndes Zurück-
halten von zwei Parteien, die sich gegenseitig nicht verstehen,
Auf Wunsch der deutschen Regierung fand am 29, Dezember
1921 eine Sitzung der Reparationskommission statt, in welcher
der deutsche Stundungsantrag begründet wurde. Das Ergebnis
war unerfreulich. Es verschärfte nur die Spannung. Die deutsche
Regierung hielt es für richtig, die Reparationskommission darauf
zu verweisen, daß sie bereits mit einzelnen alliierten Regierungen
vorläufige Besprechungen über die Reparation gepflogen habe,
deren Entwicklung sie nicht vorgreifen wolle, Diese Anspielung
bezog sich auf vertrauliche Unterhaltungen von Dr. Rathenau in
London. Er war nach der Entscheidung der oberschlesischen
Frage offiziell aus dem Kabinett ausgeschieden, ging aber im
Dezember 1921 im Auftrage der Reichsregierung nach London,
um in den Kreisen um Lloyd George und in der City Rat und
Hilfe für Deutschland zu suchen, |
Das war ein neuer Versuch, über den Kopf der schwerfälligen
und in sich uneinigen Reparationskommission hinweg unmittelbar
eine alliierte Regierung anzurufen, bei der man ein besseres Ver-
ständnis der deutschen Notlage zu finden hoffte, Rathenau, der
die schweren Enttäuschungen dieser Taktik noch nicht am eigenen
Leibe erfahren hatte, glaubte, daß es ihm gelingen müsse, im
direkten Benehmen mit Lloyd George die Reparationsfrage voran-
zubringen, Die freundliche Aufnahme, die er in London fand, be-
stärkte ihn in dieser Hoffnung. Dabei übersah er aber, daß gerade
die Verhandlung mit einer einzelnen alliierten Macht um so
heftiseren Widerstand bei den anderen Alliierten auslösen und
daher der deutschen Sache schaden würde. In diesem Lichte ge-
sehen wird die Haltung der Reparationskommission gegenüber
dem ersten deutschen Moratoriumsgesuch einigermaßen ver-
ständlich,
134
FÜNFZEHNTES KAPITEL
DER MARKSTÜRZ
UND DIE VEREINIGTEN STAATEN
Ehe wir in der Entwicklung der Dinge weitergehen, ist es
nötig, auf Ereignisse zurückzugreifen, die sich etwa gleichzeitig
_ mit den Bemühungen von Dr. Rathenau fern vom Kriegsschauplatz
der Reparation abspielten. "ie | a
Ich war mit dem 31. August 1921 aus meiner offiziellen
Stellung als Vertreter der deutschen Regierung bei der !
rationskommission in Paris ausgeschieden und in privaten ”
schäften nach New York gegangen. Von vornherein hatte ich 9
schwierige und undankbare Aufgabe in Paris nur auf men
zwei Jahre übernommen, um zu versuchen, ob durch die ru is
Methoden eines geschäftlichen Verkehrs das heikle a h - |
Reparation einer vernünftigen Lösung näher gebrac ne
"könnte, Die politischen Stürme, welche zum Londoner | er en
führten, hatten aber die Keime einer Verständigung zwisc a: =
Reparationskommission und der deutschen Regierung Mein joe
Gleich nach der Londoner Konferenz vom März 1921 reic e 2 5
meinen Abschied ein, und nur die dringenden et
Regierung Wirth - Rathenau konnten mich noch einige No
länger in Paris halten. |
u meiner Ankunft in New bp nn m. = =
a resse der amerikanischen Gesc äl skreis a
auf das Phänomen des neuerlichen | ee
der Reichsmark gerichtet. Wie in sehr vielen Ländern Be
das Publikum der Vereinigten Staaten in den Jahren
135
große Mengen von Mark bei stark weichenden Kursen gekauft,
weil sich jedermann sagte, daß Deutschland mit seiner arbeits-
freudigen und disziplinierten Bevölkerung, seiner wohlausge-
rüsteten und voranstrebenden Industrie und seiner bewährten
organisatorischen Kraft sich aus der politischen Katastrophe des
Krieges verhältnismäßig schnell erholen werde, und daß der Sturz
der deutschen Währung nur eine vorübergehende Erscheinung sei.
So waren allmählich gewaltige Beträge von Reichsmark in die
Hände des amerikanischen Volkes übergegangen. Nach den großen
Schwankungen des Markkurses im Jahre 1920 war zunächst eine
gewisse Stabilität eingetreten, die der Anbahnung von Geschäften
mit Deutschland wesentlich zugute kam, Der formelle Friedens-
schluß zwischen den beiden Staaten im August 1921 ließ er-
warten, daß ihre geschäftlichen Beziehungen bald lebhaft werden
würden, Diese Aussicht war für Amerika um so willkommener,
als damals infolge der Depression des Geschäftslebens in der
Nachkriegszeit gerade in den Vereinigten Staaten Arbeitslosig-
keit, Rückgang der Warenpreise und damit verbundene erheb-
liche Verluste im Geschäftsleben sich besonders fühlbar machten,
Ein starkes spekulatives Interesse an der Reichsmark bestand
allerdings in New York selbst nicht mehr, weil die Enttäuschungen
in der Reparationsfrage zur Vorsicht mahnten. Immerhin fand
noch ein großes Geschäft in Reichsmark für südamerikanische
Rechnung statt. Massenweise erhielt New York Verkaufsaufträge
für Reichsmark, zum größten Teil über Amsterdam. Daraus ent-
stand in amerikanischen Bankkreisen fast überall die Meinung,
daß die Reichsbank selber durch ihre holländischen Beziehungen
im größten Maßstabe Mark verkaufe, und daß in diesen Verkäufen
die Ursache des erneuten Rückganges der Mark zu suchen sei.
Einsichtige Leute fanden das bedauerlich, aber erklärlich, weil
anscheinend nur auf diese Weise die Abtragung der ersten
Milliarde Goldmark unter dem Londoner Zahlungsplan möglich
war, Die Tagespresse aber und viele Geschäftskreise vertraten die
Ansicht, daß der rücksichtslose Verkauf der Reichsmark auf eine
ganz bestimmte Politik zurückzuführen sei. Vielfach hörte ich
scharfe Kritik darüber, daß die deutsche Regierung fortgesetzt
136
Banknoten drucken lasse und absichtlich durch Inflation eine Ent-
wertung der Reichsmark herbeiführe, um dadurch den Alliierten
Sand in die Augen zu streuen und die Unfähigkeit Deutschlands
zu weiteren Reparationszahlungen nachzuweisen, Ich machte es
mir zur Aufgabe, dieser irrigen Meinung über die deutsche Finanz-
politik in maßgebenden Bankkreisen entgegenzutreten. Natürlich
war jede Hoffnung auf amerikanische Hilfe für Deutschland aus-
geschlossen, solange der Verdacht bestand, daß die deutsche
Regierung selber — direkt oder indirekt — eine derart frivole
Politik betreibe, um sich ihren Reparationspflichten zu entziehen.
So mußte ich sehen, wie in Amerika, auf dessen Hilfe alle deutschen
Hoffnungen gesetztwaren, der Zusammenbruch der Mark.nicht nur
das Ansehen der deutschen Regierung schädigte und das allge-
meine Mißtrauen gegen ganz Deutschland verstärkte, sondern auch
den Kredit der deutschen Banken und der deutschen Industrie
aufs äußerste gefährdete und die neu angebahnten geschäftlichen
Beziehungen zu ruinieren drohte. Auf meine Aringenden -
stellungen in Berlin ging bald die kategorische Erklärung der
Deutschen Reichsbank ein, daß sie weder zur Abtragung der
Milliarde Goldmark noch zur Deckung sonstiger Bedürfnisse Mark
in das Ausland verkaufen lasse, und daß sie auch mit den Mark-
verkäufen über Holland nichts zu tun habe. Es blieb nur die Er-
klärung, daß das deutsche Publikum selber, sei es aus - .
aus spekulativem Interesse, Mark in das Ausland warf, = sic
- dafür Devisen zu beschaffen. Wenn dem so war, dann “ te ner
deutscher Seite alles versucht werden, dem andauern er a
der Mark und vor allem der verderblichen er =
Ziel zu setzen. Es war unvermeidlich, daß sich in Ameri gr .
hütete, irgendwelche Geschäfte mit einem Lande zu ae a h
Währung unaufhaltsam dem absoluten Nichts zueilte. er Ye .
es im Interesse des Privatgeschäfts wie des gesamten .. Me
Ansehens nötig, sofort energische Schritte für die ._. . 2
September 1921 stark gesunkenen Mark zu tun. Daß hier —
deutsche Kraft allein nicht ausreichen würde, a ae =
amerikanische Hilfe einen baldigen durchgreifenden - e u
sprach, war mir klar, Ich sprach über diese Frage eingehen
137
hervorragenden amerikanischen Bankleuten und mit Regierungs-
kreisen in Washington, Fast überall fand ich ein williges Ohr
und Verständnis, Vorbedingung für eine aktive Unterstützung in
Amerika war aber, daß zunächst einmal durch eigenes Eingreifen
der deutschen Regierung und der Reichsbank ein weiterer Rück-
gang der Mark verhindert und ein gewisser Beharrungszustand,
wenigstens auf dem letzten niedrigen Niveau, hergestellt werde,
Der wahre Grund für den ständigen Verkauf der Mark durch
Besitzer und Spekulanten lag natürlich in dem Pessimismus in
bezug auf die deutsche Wirtschaft, den die ungeheure Reparations-
last Deutschlands auch nach dem Londoner Zahlungsplan überall
in der Welt ausgelöst hatte, Wollte man also eine nachhaltige
Besserung oder einen Beharrungszustand des Markkurses schaffen,
so mußte Hand in Hand mit einem aktiven Eingreifen der deutschen
Regierung, der Reichsbank und einer etwaigen Hilfe ausländischer
Bankkreise ein Abkommen mit der Reparationskommission gehen,
das wenigstens für einige Jahre Deutschland die Möglichkeit gab,
die ihm auferlegten Verpflichtungen zu erfüllen. Diese Gedanken-
gänge führten mich zu einer Idee, welche sich nach eingehenden
Besprechungen mit ersten amerikanischen Bankleuten zu einem
festen Vorschlag verdichtete: es sollten mit der Reparations-
kommission. Verhandlungen geführt werden, die ohne direkte
Aenderung des Londoner Zahlungsplanes einen modus vivendi für
einige Jahre schafften, Die Leistungen unter dem Zahlungsplan
sollten Deutschland weder erlassen noch gestundet, sondern so
gestaltet werden, daß unter wesentlicher Betonung der Sach-
leistungen die noch nötigen Barzahlungen für etwa drei bis vier
Jahre durch eine internationale Anleihe ab gegolten werden
konnten, Sobald die Reparationskommission erklärt haben würde,
daß sie auf einen solchen Vorschlag grundsätzlich einzugehen
bereit sei, sollte ein amerikanisches Bankensyndikat sich bereit
erklären, der deutschen Regierung einen Vorschuß etwa in Höhe
von 50 Millionen Dollars zu gewähren, um damit die deutschen
Markverkäufe im Auslande aufzufangen und nach einer anfäng-
lichen, nicht zu starken Erholung Ruhe in der Bewegung der
Reichsmark herbeizuführen. Das würde der deutschen Regierung
138
Gelegenheit geben, durch vernünftige Handhabung der Steuern
und durch Sparsamkeit auf allen Gebieten den Haushalt in Ord-
nung zu bringen und dann in aller Ruhe weitere ‚Verhandlungen
zu pflegen, die allmählich zu einer Aenderung des in der bestehen-
den Form unerfüllbaren Londoner Zahlungsplans führen würden.
Die amerikanische Mitwirkung erschien mir zweckmäßig, obwohl
die Reichsbank damals über einen Goldschatz von einer Milliarde
Mark verfügte, mit dem sie unter den genannten Voraussetzungen
die Stützung des Markkurses auf absehbare Zeit hinaus allein
hätte durchhalten können, Aber einmal war es mißlich, Gold zur
Stützung der Mark herzugeben, wenn es irgend zu vermeiden
war, denn bei dem allgemeinen Pessimismus in bezug auf die
deutsche Währung hätte die Spekulation aus der Weggabe des
Goldes neue Nahrung gezogen. Andererseits schien mir der Kredit,
den die Deutsche Reichsbank im Inlande und im Auslande genoß,
keineswegs mehr stark genug, einen alsbaldigen Erfolg | a
gewährleisten, Wenn dagegen ein amerikanisches Bankensyndikat,
etwa, unter Führung von J. P, Morgan & Co., öffentlich mit der
Erklärung auftreten würde, daß es der Reichsregierung einen sehr
erheblichen Dollarvorschuß für die Stützung der Mark zur Ver-
fügung stelle, so schien mir schon die bloße Ankündigung eines
solchen mächtigen Syndikats genügend, das Vertrauen her-
zustellen und die Markspekulation auf den entgegengesetzten
Weg zu weisen. ie 38 I
| Ich fand mit diesen Ideen in Amerika viel Sympathien, aber
auch manchen Widerspruch. Einige Vertreter der Bankwelt, die
mit deutschen Verhältnissen besonders gut vertraut waren, hielten
mir das Argument entgegen, das in Europa fast allerorten sog
Axiom galt: die Mark könne sich erst dann wieder erholen oder
stabilisiert werden, wenn das Londoner Ultimatum geändert und
die Reparationsforderungen auf ein vernünftiges Maß ._.
geführt seien. Vorher habe es gar keinen Zweck, irgend .. jr
die Hebung der Mark zu tun. Bis dahin müsse man eben nn 7
land seinem Schicksal überlassen. Gewiß werde unsägliches E en
über Deutschland hereinbrechen, weil bei einer ständig fallenden
Mark geordnete Verhältnisse nicht mehr lange bestehen könnten,
139
Gewiß werde es Streiks, Unruhen, Umsturz der Regierung und
Hungersnot geben, Alles das sei unvermeidlich, ja sogar ein aus-
gezeichnetes Mittel, die Alliierten, besonders Frankreich, von
der Unmöglichkeit der Durchführung des Londoner Ultimatums
zu überzeugen,
Gegen eine solche Pferdekur habe ich stets Front gemacht.
Man kann sie als Arzt sehr leicht verordnen, wird sie aber kaum
am eigenen Leibe erproben wollen. Deutschland, das war meine
Entgegnung, habe in und nach dem Kriege genug, Elend durch-
gemacht. Mir sei der Gedanke unerträglich, daß wir jetzt von
neuem in eine noch schrecklichere Not hineinkommen sollten, so-
lange es noch irgendeine Hoffnung gebe, uns aus den Schwierig-
keiten des Marksturzes zu retten.
Ein zweiter Einwand, dem ich häufig begegnete, war folgender:
Solange die deutsche Regierung immer mehr Milliarden von neuen
Noten in die Welt setze, sei dem Markkurs nicht zu helfen; die
Tätigkeit der deutschen Notenpresse drücke den Markpreis auto-
matisch weiter herab. Man solle das Notendrucken einstellen und
das Budget in Ordnung bringen, dann werde die Mark schon von
selbst wieder steigen.
Auf diesen weisen Ratschlag, der auch immer von der Repa-
rationskommission ins Feld geführt wurde, war schwer zu ant-
worten, Man schüttelte ungläubig den Kopf, wenn ich zu erklären
versuchte, daß die Entwertung der Mark, die nun einmal mit so
katastrophaler Gewalt eingesetzt habe, durch den allgemeinen
Verkaufsdrang immer mehr beschleunigt werde, daß der fort-
gesetzte Marksturz eine entsprechende Erhöhung der Löhne und
Preise hervorrufe, daß damit auch die Ausgaben des Reiches
fortgesetzt stiegen, während die Einnahmen nur langsam nach-
kämen, und daß deshalb das Reich mangels jeder sonstigen Kredit-
quelle gezwungen sei, seinen Ausgabebedarf durch Inanspruch-
nahme der Reichsbank, das heißt durch vermehrte Notenausgabe,
zu befriedigen.
Es gibt noch heute viel kluge Leute, die nicht begreifen können,
daß die Markentwertung in jenen kritischen Zeiten nicht die F olge,
sondern die Ursache des vermehrten Notenumlaufs gewesen ist.
140
Ich habe in den Monaten Oktober und November 1921 in
New York keine Mühe gescheut, für die Stützung der Mark zu-
gleich mit einer vorläufigen Regelung der Reparation Stimmung
zu machen. Das mußte ich auf eigene Faust tun. Von Deutschland
aus erhielt ich trotz eingehender Berichte keine Hilfe, weil man
da andere Wege wandelte. Da mühte sich die Regierung m.
gleichzeitig mit der Industrieanleihe von einer Milliarde Goldmar
ab, von der wir schon gesprochen haben. Ich glaubte von vorn-
in nicht daran, daß sie zustandekommen werde, Ihr etwaiges
Gelingen aber wäre verhängnisvoll gewesen. Der Betrag von einer
Milliarde Goldmark hätte knapp ausgereicht, den ‚Londoner
Zahlungsplan bis zum Frühjahr 1922 durchzuhalten. Die os
wäre für die ganze deutsche Industrie eine schwere Last Ba ER
Für die Regelung der Reparation hätte sie nichts genützt. jie
Reparationskommission hätte das mühsam beschaffte Geld ein-
gesteckt und wäre nach einem halben Jahre wieder mit den unver-
änderten Forderungen des Londoner Ultimatums vor die deutsche
Regierung hingetreten. Dann hätte die deutsche Industrie .
gesamten Kredit im Auslande für nichts geopfert. Das wirtse aft-
liche und finanzielle Elend Deutschlands wäre um so größer ge-
worden. Mir aber kam es darauf an, mit der Reparationskommission
ein Abkommen zu treffen, das wenigstens für einige Jahre Ruhe
und Zeit zur Ordnung der deutschen Wirtschaft und zur zur
bereitung einer endgültigen Lösung der Reparation ae so te,
Die Idee des Moratoriums an sich, das heißt eines ‚bloßen
Aufschubs der deutschen Leistungen, war verfehlt. Ich bin stets
- der Meinung gewesen, daß Deutschland den Alliierten für die
.
Aenderung der Zahlungsfristen etwas bieten müsse. Was sollten wir
aber bieten, wenn uns die ständige Markentwertung immer tiefer
in wirtschaftliches Elend und politische Unruhen brachte? .
konnte nicht genug vor der falschen Hoffnung warnen, dab au
die Dauer doch die deutsche Notlage das Mitgefühl der Den
Feinde erwirken werde. Diese Notlage wurde außerhalb Deutsch-
lands beinahe überall für selbstverschuldet gehalten. Man traute
uns vollkommen die Kraft zu, nicht nur die Notlage zu beseitigen,
sondern auch noch recht viel für die wirtschaftliche Hebung
141
der alliierten Länder .zu tun, Wir kamen keinen Schritt weiter,
wenn wir nur mit unserem Elend an die Reparationskommission
appellierten, Wir mußten ihr etwas Ordentliches bieten, und zwar
außer Sachleistungen auch noch Geld.
Einem Moratorium, unter dem Deutschland wenig oder gar
nichts zu leisten haben würde, stellte sich vor allem Frankreich
feindselig gegenüber. Es hatte von allen alliierten Mächten die
größten Verluste erlitten. Auf seinem Boden waren die Ent-
scheidungskämpfe des Weltkrieges geführt worden. Die durch
den Krieg im Lande angerichteten Verwüstungen waren entsetz-
lich. Frankreich hatte alsbald nach dem Waffenstillstand seinen
Wiederaufbau selber energisch in die Hand genommen und inner-
halb weniger Jahre die äußerlich sichtbaren Schäden, abgesehen
von Fabriken und Wohnhäusern, aus eigenen Mitteln beinahe ganz
beseitigt, die zerstörten Eisenbahnen und Straßen wieder her-
gestellt und wesentlich verbessert und die verwüsteten Felder
fast vollständig wieder unter den Pflug genommen, Diese ge-
waltigen Ausgaben von vielen Milliarden Goldfrancs waren durch
innere Anleihen, in der Hauptsache durch die kurzfristigen Bonds
de la Defense N ationale, finanziert worden, also ohne Inanspruch-
nahme der Notenpresse, Wenn es aber nicht gelang, bald größere
Beträge als Reparation von Deutschland zu erhalten, so blieb
Frankreich für lange Jahre unter einer drückenden Schuldenlast
und ohne geordneten Staatshaushalt. F rankreich hatte daher ein
Lebensinteresse an schnellem Beginn der Reparationszahlungen,
von denen ihm allein 52 Prozent zufielen, Wir haben schon ge-
sehen, daß infolge der gewaltigen Besatzungskosten von allen
Leistungen Deutschlands vor dem 1. Mai 1921 nichts für die
Reparation übrig blieb. Aber auch von der Milliarde Goldmark,
die Deutschland im Sommer 1921 gezahlt hatte und die bei der
Konferenz der alliierten Finanzminister in Paris vom 13. August
1921 aufgeteilt wurde, erhielt Frankreich nichts. Die eine Hälfte
davon ging an England für ungedeckte Besatzungkosten vor dem
1. Mai 1921, die andere Hälfte an Belgien. Die belgische Priorität,
von der wir schon sprachen, war ursprünglich auf zwei Milliarden
Goldmark festgesetzt. Aus den deutschen Zahlungen bis Ende
142
1921 wurde sie auf etwa eine Milliarde verringert. Frankreich
bekam nach wie vor nur Sachleistungen, vor allem Kohle, die
allerdings einen Wert von mehreren hundert Millionen Goldmark
im Jahre hatte, Daher konnte irgendeine Aenderung des Londoner
Zahlungsplans nur dann die Zustimmung Frankreichs finden, wenn
sie die Sachlieferungen an Frankreich verstärkte und außerdem
Frankreich bald einen erheblichen Geldbetrag zuführte, Ein glattes
Moratorium für Deutschland ohne entsprechende Gegenleistung
an Frankreich war politisch und psychologisch ein Unding. Wer
das Moratorium verlangte oder befürwortete, jagte einem Phantom
nach, das sich niemals greifen ließ. So gingen auch alle die Leute
in England und Amerika irre, die immer wieder erklärten, daß
erst die endgültige Lösung der Reparationsfrage abgewartet werden
müsse, ehe etwas für die wirtschaftliche Wiederherstellung Europas
geschehen könne, Das waren Ideale, die sich vom sicheren Port
der heimischen Wirtschaft schön vertreten ließen, die aber un-
erfüllbar bleiben mußten. Der Zwang der politischen Machtver-
hältnisse wies klar auf eine provisorische Verständigung mit Frank-
reich hin, durch die der Boden für eine endgültige Lösung der
Reparationsfrage langsam vorbereitet werden konnte.
In dieser Ansicht bestärkten mich Gespräche mit französischen
Finanzleuten, die mich aus eigenem Antriebe in New York und
Washington Ende November 1921 aufsuchten. Gelegenheit dazu
gab die internationale Entwaffnungskonferenz in Washington, an
welcher der französische Ministerpräsident Briand mit einem
Stabe von Sachverständigen teilnahm. Die französischen Herren
erkannten die überragende Bedeutung der Stabilisierung der Mark
nicht nur für Deutschland, sondern auch für Frankreich durch-
aus an, Daher begrüßten sie jedes Mittel, das eine nachhaltige ih
ruhigung des Markkurses herbeizuführen geeignet war. Aus N
Besprechungen erwuchs die Idee, eine Regelung der Reparation für
etwa vier Jahre anzustreben. Es sollten die Leistungen unter dem
Londoner Zahlungsplan mit Rücksicht auf den zurzeit geringen
Goldwert der deutschen Ausfuhr verhältnismäßig niedrig es
griffen und auf einen bestimmten Gesamtbetrag, etwa er
Milliarden Goldmark, für alle vier Jahre festgesetzt werden.
‚143
Davon würde entsprechend dem Wiesbadener Abkommen der
größere Teil durch Sachleistungen innerhalb der vier Jahre zu
begleichen sein, während der verbleibende Betrag von etwa drei
bis vier Milliarden Jetztwert durch eine internationale Anleihe
Deutschlands abzutragen sei. Während der vierjährigen Frist
sollte der Londoner Zahlungsplan selber revidiert und mit den
wirtschaftlichen Notwendigkeiten der beteiligten Mächte in Ein-
klang gebracht werden. So etwa sollte das Programm für die Be-
sprechungen mit der Reparationskommission aussehen, Inzwischen
aber sollte eine durchgreifende Stützung der Mark mit Hilfe eines
amerikanischen Bankensyndikats in die Wege geleitet werden.
Die Bedingungen der amerikanischen Geldgeber für ihre Hilfe-
leistung waren wie folgt gedacht:
1. Die Reparationskommission räumt dem amerikanischen
Vorschuß an Deutschland für die Markstützung das un-
bedingte Vorrecht vor den Barleistungen für die Repa-
ration ein,
2. Die Reparationskommission verschiebt den Zeitpunkt der
Fälligkeit weiterer Geldzahlungen bis zum 1, Mai 1922,
Vorher sind nur Sachleistungen zu machen.
3. Die Reparationskommission erklärt sich bereit, mit
Deutschland in Verhandlungen über eine Regelung der
Reparation für vier Jahre auf der Grundlage des vor-
stehenden Gedankenganges einzutreten.
Meine französischen Gewährsleute erklärten nachdrücklich,
daß es gänzlich aussichtslos sei, die Sache beim anderen Ende
anzufangen, also etwa zunächst eine Aenderung des Londoner
Ultimatums herbeizuführen. Dazu sei die öffentliche Meinung in
Frankreich noch lange nicht reif. Sie lehnten aber auch den Ge-
danken ab, gar nichts für die Stützung der Mark zu tun und die
Dinge ihren Gang gehen zu lassen, damit die öffentliche Meinung
durch das Elend der Welt belehrt werde, Sie nannten das eine
unverantwortliche Katastrophenpolitik, der entschieden entgegen-
zutreten sei, Sie übernahmen es, wegen des Vorschusses selber an
J. P. Morgan & Co. heranzutreten und sich auch mit der Repa-
144
rationskommission wegen des ganzen Planes in Verbindung zu
setzen,
Inzwischen aber waren die Dinge in Europa einen anderen Weg
gegangen, Die Besprechungen Rathenaus in London hatten den
Erfolg, daß in englischen Regierungskreisen der Gedanke erwogen
wurde, die Geldzahlungen Deutschlands für das Jahr 1922 auf
insgesamt 500 Millionen Goldmark zu ermäßigen. Daneben sollten
die vertragsmäßigen Sachlieferungen hergehen. Dieses Programm
stand auf der Tagesordnung des Obersten Rates, der für Anfang
Januar 1922 nach Cannes einberufen wurde.
Auf die bloße Hoffnung hin, daß die Reparationslast Deutsch-
lands erleichtert werden würde, besserte sich der Markkurs von
selbst erheblich. Anfang Dezember fiel der Dollarkurs in Deutsch-
land, der kurz vorher noch über 300 Mark gestanden hatte, unter
200 Mark, wo er sich unter einigen Schwankungen vorläufig auch
hielt, Damit war die Gefahr des wirtschaftlichen Zusammen-
bruchs Deutschlands vorläufig abgewehrt. Zugleich aber waren
die Reparationsverhandlungen nunmehr endgültig auf das Ziel
des Moratoriums und auf den Weg der Entscheidung durch den
Obersten Rat abgestellt. Es war also nicht mehr möglich, mit der
Reparationskommission über ein anders geartetes Ziel zu ver-
handeln. Der Holzweg des Moratoriums war beschritten; er sollte
bald in dornigem Dickicht enden.
Bergmann, Der Weg der Reparation 10 145
SECHZEHNTES KAPITEL
VON CANNES BIS GENUA
JANUAR BIS APRIL 1922
Der in Cannes versammelte Oberste Rat der Alliierten lud
auf Anregung von Lloyd George die deutsche Regierung ein, an
den Reparationsberatungen teilzunehmen. Eine kleine deutsche
Delegation unter Führung von Dr. Rathenau traf am 11. Januar
1922 in Cannes ein. Dr. Rathenau und ich wurden sofort zu einer
ganz vertraulichen Besprechung nach der in der Nähe von Cannes
gelegenen Villa des Broussailles gebeten, wo wir die Minister
Loucheur und Sir Robert Horne antrafen, Beide machten uns auf
den Ernst der Lage aufmerksam, Die innerpolitische Lage in
Frankreich sei sehr bedenklich. Das französische Kabinett werde,
wenn es Deutschland in dem in London besprochenen Sinne ent-
gegenkäme, schweren Erschütterungen ausgesetzt sein. Aber die
Stimmung in Cannes sei für Deutschland günstig. Nur müßten wir
sofort zugreifen, Es erscheine möglich, uns ein einjähriges Mora-
torium zu gewähren. Die Geldzahlungen für 1922 würden aller-
dings nicht auf 500, sondern nur auf 720 Millionen Goldmark er-
mäßigt werden können, Außerdem würden wir zu Sachlieferungen
in Höhe von 1450 Millionen Goldmark, wovon 950 für F rankreich,
verpflichtet werden. Jede Verzögerung der Annahme sei gefähr-
lich. Morgen schon könne das französische Kabinett gestürzt sein.
Unmittelbar darauf wurden die Deutschen zur Reparations-
kommission gerufen, welche gleichfalls vom Obersten Rat nach
Cannes entboten war. Hier verbreitete sich Rathenau in langer
Rede über die Lage Deutschlands und über seine Zahlungsmöglich-
146
keiten, Währenddessen schob mir ein Mitglied der Reparations-
kommission einen Zettel zu, auf dem stand: ‚Nehmen Sie schnell
an, die Bedingungen sind 720 Millionen Goldmark und 1450
Millionen Sachleistungen!
Dr. Rathenau hielt es nicht für richtig, auf diese wiederholten
Fingerzeige einzugehen. Er wollte nicht mit der Reparations-
kommission, die in Cannes gleich ihm nur Gast sei, ein Abkommen
treffen, sondern die Entscheidung des Obersten Rates einholen,
Dabei hoffte er immer noch, die Ermäßigung der Geldzahlungen
für 1922 auf 500 Millionen Goldmark durchzusetzen. Am folgen-
den Tage, dem 12, Januar, fand dann eine stark besuchte Sitzung
des Obersten Rates statt, in der Dr. Rathenau eine mehrstündige,
groß angelegte Rede hielt, Er schilderte sehr eingehend die ee
der deutschen Handels- und Zahlungsbilanz, die Ursachen un
die Folgen des Marksturzes und wies daraus nach, daß ku _
lich sei, die im Zahlungsplan von London vorgesehenen. eis er»
zu erfüllen. Auf den Einwand von Lloyd George, daß die B. e
Industrie im Gegensatz zu England, Amerika und anderen Län >
in.denen Millionen von Arbeitslosen vom Staate ernährt age w;
müßten, mit Volldampf arbeite und Werte schaffe, DD Sn
Ausfuhr, in der die deutsche Konkurrenz sich überal ; r
mache, versuchte Dr. Rathenau darzulegen, daß die es " "
Wirtschaft trotz voller Beschäftigung doch keine ‚Zuna ” r
Volkseinkommens oder des Volkswohlstandes be vs Pi
großer Teil der Wirtschaft nur dafür arbeite, ie Berl “
Versailler Vertrag geschlagenen Wunden zu hei ” er Fir
„Deutschland auferlegten Lasten zu tragen. Er berec % r ai
in diesem Sinne die Arbeit von etwa vier Millionen eu ” gi
Arbeitern unproduktiv genannt werden müsse. Das ” ser u
als ob diese vier Millionen Arbeiter nicht acheitelenns e ea
er den paradoxen Ausdruck der „unsichtbaren T ie ip
Dies geistreiche Wort hatte auf der Konferenz nic
wollten Erfolg.
Dr. Rathenau war noch mitten in seiner Rede, als Piz
Nachricht kam, das Kabinett Briand sei soeben in Be he -
worden. Damit wurde der Oberste Rat beschlußunfähig.
147
10*
Konferenz in Cannes mußte abgebrochen werden, Um aber die
Besprechung über die Reparation nicht ganz ohne Ergebnis zu
lassen, wurde die anwesende Reparationskommission beauftragt,
ihrerseits über den deutschen Moratoriumsantrag Beschluß zu
fassen, So kam die Kommission, aus deren Händen die Ent-
scheidung über das Moratorium erst genommen war, in seltsamer
Weise wieder zu ihrem Recht, Weil der Oberste Rat nicht mehr
beschlußfähig war, mußte er sich notgedrungen wieder an die
Reparationskommission wenden. Diese beschloß am 13. Januar in
Cannes, einen vorläufigen Zahlungsaufschub für die am 15. Januar
und 15. Februar 1922 fälligen Barzahlungen zu gewähren.
Während des Zahlungsaufschubs sollte Deutschland alle zehn
Tage die Summe von 31 Millionen Goldmark zahlen, erstmalig
am 18, Januar 1922. Weiter hatte die deutsche Regierung binnen
fünfzehn Tagen der Kommission ein Reformprojekt für den Haus-
halt und den Notenumlauf sowie einen Plan für die Barzahlungen
und die Sachlieferungen für das Jahr 1922 einzureichen.
Der auffallende Betrag von 31 Millionen Goldmark für je
zehn Tage entsprach der Summe, die nach der Bestimmung des
Garantiekomitees aus dem Ertrag der für die Reparation ver-
pfändeten Zölle und der Abgabe von 25 Prozent auf die deutsche
Ausfuhr alle zehn Tage als Sicherheit für die Reparations-
zahlungen in Devisen hinterlegt werden mußte,
So war das Ergebnis der Konferenz von Cannes, auf die man
in England und Deutschland so große Hoffnungen gesetzt hatte,
ein recht mageres geworden. An Stelle einer großzügigen Ent-
scheidung durch den Obersten Rat erlangte man von der Repa=»
rationskommission einen in jeder Hinsicht unbefriedigenden Auf-
schub. Dieser belastete Deutschland mit schweren zehntägigen
Zahlungen, ohne irgendwelche Gewähr für eine vernünftige Rege-
lung auf längere Frist zu geben, Allerdings war einstweilen der
Gefahr vorgebeugt, daß Deutschland wieder einmal in Zahlungs-
‘ verzug kam und neuen Sanktionen ausgesetzt war. Aber der Kampf
um das Moratorium nahm nun eigentlich erst seinen Anfang.
Wie es geworden wäre, wenn Dr. Rathenau das Angebot der
720 Millionen Goldmark sogleich angenommen hätte, läßt sich
148
schwer sagen. Vielleicht hätte ein rascher Entschluß auch die
Entscheidung der Reparationskommission festgelegt und schon in
Cannes ein Ergebnis gesichert, das erst nach Monaten unter un-
säglichen Schwierigkeiten und viel zu spät zustande kam.
In Cannes trat nach Schluß der Konferenz eine Kommission
von alliierten Sachverständigen zusammen, um über die Be-
dingungen eines Moratoriums für 1922 zu beraten. Ihr Bericht
vom 14, Januar 1922 ging auch der deutschen Regierung ver-
traulich zu. Er adoptierte die bereits genannten Zittern, nämlich
Barzahlungen von 720 Millionen und Sachleistungen in Höhe von
1450 Millionen Goldmark. Die Besatzungskosten für 1922 sollten
nicht mehr als 220 Millionen Goldmark betragen und aus den
deutschen Sachleistungen bestritten werden. Als Vorbedingung
für das Moratorium sollte Deutschland eine Reihe von Garantien
geben, die praktisch auf eine scharfe Kontrolle der deutschen
Steuer- und Finanzgesetze durch das Garantiekomitee der Repa-
rationskommission hinausliefen. Letzteres sollte seinen Sitz in
Berlin nehmen. |
DerBericht beschäftigte sich schließlich auch mit der Verteilung
der deutschen Barzahlungen unter die Alliierten. Danach sollte
Frankreich aus den Barzahlungen Deutschlands vom 1. Mai 1921
bis Ende 1922 den Betrag von 140 Millionen Goldmark für Be-
satzungskosten erhalten. England waren für den gleichen vz
bereits früher 500 Millionen zuerkannt. Der gesamte Rest sollte
an Belgien fallen.
In wi sorgfältig vorbereiteten Note vom 28. Januar 1922
legte Deutschland dem Verlangen der u ne
entsprechend ein Reformprogramm für den Haushalt und den
Notenumlauf nebst Garantien, ferner ein vollständiges ge
für Barzahlungen und Sachleistungen im Jahre 1922 vor. Die Note
verwies auf ein dem Deutschen Reichstag soeben vorgelegtes
umfassendes Steuerprogramm (Steuerkompromiß), das durch er
Reihe von erhöhten direkten und indirekten Steuern eine ——
liche Steigerung der Einnahmen bringen sollte. Sie Br
wesentliche Ersparnisse im Reichshaushalt an und stellte für Fos
und Eisenbahn die Deckung der Betriebsausgaben durch die Be-
149
er u ln Zu ee Ka kn ee
triebseinnahmen in Aussicht, Zur Bestreitung der Reparations-
leistungen sollte ein Ueberschuß des Haushalts von 16% Milliarden
Papiermark, damals gleich 300 Millionen Goldmark, erzielt
werden. Ferner wurde der Versuch der Ausgabe einer inneren
Anleihe und, unabhängig davon, die Auflegung einer Zwangs-
anleihe versprochen, deren Ertrag den Gegenwert von einer
Milliarde Goldmark bringen sollte und dazu bestimmt war, der
Vermehrung der schwebenden Schuld Einhalt zu tun, Weiter sollte
die Reichsbank vollkommen selbständig werden, indem durch
Gesetz das bisher bestehende Recht des Reichskanzlers zu Ein-
griffen in die geschäftliche Leitung der Reichsbank beseitigt wurde,
Die Note betonte, daß die augenblickliche Zahlungsbilanz des
Reiches mit etwa zwei Milliarden Goldmark im Jahre passiv sei
und daß jede erhebliche Zahlung in Devisen den Markkurs von
neuem erschüttern müsse, Dadurch würden alle inneren Ein-
nahmen entwertet, alle Ausgaben gesteigert, die Inflation ver-
mehrt und Deutschlands F ähigkeit zu Reparationsleistungen
immer mehr geschwächt, Trotz dieser Bedenken nahm die deutsche
Regierung die Ziffern von Cannes für 1922, nämlich 720 Millionen
Goldmark bar und 1450 Millionen Goldmark Sachleistungen, an.
Sie erklärte sich abermals bereit, mit allen verfügbaren Mitteln
und Kräften an der Wiederherstellung der zerstörten Gebiete
mitzuwirken, und schloß mit folgender Betrachtung:
„Die deutsche Regierung ist der Meinung, daß die
Regelung der Reparationsleistungen für das Jahr 1922
allein nur einen ersten Schritt auf dem Wege zur Lösung
des Reparationsproblems bedeutet. Das Programm für 1922
beruht auf einem System, das, wie die vorliegenden Er-
lahrungen ergeben haben, die deutsche Reparationsfähig-
keit empfindlich schwächt, Monatlich oder vierteljährlich
wiederkehrende Reparationszahlungen in fremder Währung
verhindern Deutschland, seine Finanzen in Ordnung zu
bringen. Es erscheint daher im Interesse aller beteiligten
Länder geboten, für die deutschen Reparationsleistungen
auf einer anderen Grundlage und auf längere Zeit Vorsorge
zu treiien. Dies sollte schleunigst geschehen, da die Un-
150
gewißheit darüber, wie vom Jahre 1923 ab die deutschen
Leistungen erfolgen sollen, auf die wirtschaftliche und
finanzielle Lage nicht nur Deutschlands, sondern auch der
alliierten Länder einen lähmenden Einfluß ausübt,
Deutschland wird zur Leistung der Reparation nur dann
imstande sein, wenn der Kredit des Inlandes und en
landes für Finanzoperationen großen Stils in er
genommen wird. Zurzeit wird aber die Kreditwürdigkeit
Deutschlands weder von dem inländischen noch von dem
ausländischen Anlagekapital anerkannt. Es a ee
das Vertrauen, daß Deutschland imstande sein = u
unter den gegenwärtig gegebenen Bedingungen a B
lich so zu erstarken, daß es als ein zahlungs ä =
Schuldner für eine große ee ee er
erd ‚ Das Vertrauen der Welt ın sch
por ernsten wiederherzustellen, ist die Vorbedingung
für eine befriedigende Lösung des Problems.
Die Entscheidung auf den deutschen Antrag En
Reparationskommission rn =. 2. ine ne nei
it, um einen Entschluß zu fassen. Nac ‚dem |
cn Briand hatte .-— in ee nz
Ü o n, Es stellte sich bald heraus, dab d r Wi |
un Mitglieder der Be mZz
Moratorium immer stärker wurde, Vertrauliche Rüc ee
Paris ergaben, daß die Frage der Garantien - = et =
Rolle spielte, In dieser Hinsicht befriedigte . ie ae
deutschen Regierung nicht. Die vorgeschlagene . er
einer Milliarde Goldmark fand keine ernsthafte a. _ .
wurde auch gegenüber dem großen _. es
aushalts nicht als ausreichend angesehen. | |
E Als ich erkannte, daß das Moratorium nur gegen a
Kontrollbefugnisse der Alliierten zugestanden wer hrs ae
ich den Mitgliedern der Reparationskommission = a
dagegen vor: Bei voller Würdigung der PRuZZ A
keiten in den alliierten Staaten müsse man . weh
die Kommission nicht etwa den Fehler mache, De
151
schroffe Garantievorschriften mit der einen Hand das wieder zu
nehmen, was man an sachlichen Erleichterungen mit der anderen
Hand geben wolle, Das Mißtrauen gegen die Kommission habe in
Deutschland tiefe Wurzeln geschlagen. Wenn es nicht gelinge, das
Vertrauen auf baldige Wiederkehr besserer Zeiten herzustellen,
und wenn nicht die Entscheidung der Reparationskommission den
Geist großzügigen Entgegenkommens und wirtschaftlichen Ver-
ständnisses atme, dann werde es nicht einmal möglich sein, die
720 Millionen Goldmark für das Jahr 1922 zu bezahlen, Man
könne doch nicht wollen, daß Deutschland nach kurzer Zeit
wiederkommen und erklären müsse, auch die ermäßigten Bar-
zahlungen seien im Devisenmarkte nicht zu beschaffen. Und was
solle dann werden? Solle etwa das Garantiekomitee selbst ver-
suchen, die Maßnahmen in Deutschland durchzusetzen, welche
nach Ansicht der Reparationskommission zu finanzieller Gesun-
dung führten? Man müsse also die etwaigen Kontrollvorschriften
sehr vorsichtig fassen, damit sie nicht unabsehbaren Schaden an-
richteten,
Aus gleichzeitigen Unterhaltungen mit Seydoux sah ich, daß
auch die wirtschaftlich am weitesten blickenden französischen
Kreise das Moratorium bekämpften, weil die damit erklärte
deutsche Zahlungseinstellung einen üblen Eindruck mache und die
schwierige Frage der Garantien aufrolle. Hierbei regte Seydoux
wieder den Gedanken eines vorläufigen Reparationsplans bis zum
1. Mai 1926 an. In dieser Zeit sollte Deutschland jährlich 720
Millionen Goldmark in bar zahlen und innerhalb des Zahlungs-
plans von London die Sachleistungen machen, welche die einzelnen
alliierten Regierungen in Deutschland bestellen würden. Nach den
vorliegenden Erfahrungen würden sich diese Sachleistungen, be-
sonders an Frankreich, in mäßigen Grenzen halten, Das war im
ganzen derselbe Plan, den ich schon in Amerika besprochen hatte,
Er konnte aber wegen der vorgeschrittenen Verhandlungen über
das Moratorium auch jetzt nicht weiter verfolgt werden.
Inzwischen zahlte Deutschland alle zehn Tage die in Cannes
provisorisch festgesetzten 31 Millionen Goldmark, Die Mark fiel
weiter. Eine Zusammenkunft der alliierten F inanzminister in Paris
182
vom 8, bis 11. März 1922 verzögerte die Entscheidung der Repa-
rationskommission noch mehr. Erst am 21. März kam ihr Beschluß
zustande. Er setzte die Barzahlungen für 1922 in der Tat auf
720 Millionen Goldmark fest. Die Summe wurde unter Anrechnung
der von Januar bis März bereits gezahlten 282 Millionen Gold-
mark so auf die einzelnen Monate verteilt, daß vom 15. Mai bis
15, Oktober je 50 Millionen Goldmark und am 15. November und
15, Dezember je 60 Millionen Goldmark zu zahlen waren. Sach-
lieferungen wurden, wie vorgesehen, in Höhe von 1450 Millionen
Goldmark verlangt, wovon 950 auf Frankreich und 500 auf die
anderen Alliierten entfielen. Ferner wurde bestimmt, daß im
Falle eines schuldhaften deutschen Verzuges in der Ausführung
der Lieferungen ein etwaiger Fehlbetrag in bar zu u Bi
Von der Zahlung der Besatzungskosten wurde Deutschland " reit.
Sie waren aus den Sachlieferungen zu entnehmen. Der Za ren
aufschub sollte nur einen vorläufigen Charakter haben. Die ”
mission behielt sich vor, am 31. Mai nachzuprüfen, ob ars -
land den in ihrem besonderen Schreiben an den ya .
gestellten Bedingungen nachgekommen sei. Je nach den u -
nissen der Prüfung sollte das Moratorium bestätigt oder NER:
hoben werden. Im letzteren Falle waren die Kersanien, aufge-
schobenen Leistungen unter dem Londoner Zahlungsp Dune
Vermeidung von Sanktionen binnen vierzehn Tagen zu entrichten.
Das besondere Schreiben der Kommission an den Pag
kanzler nannte das Programm der deutschen ee ” is
Ordnung des deutschen Haushaltes ungenügend. s er ..
weiter den Plan der Auflegung einer inneren Zwangsan Moin
für unbestimmt, Die Kommission verlangte, daß u. pen
Lasten des Versailler Vertrages schrittweise und sc “ gräen
Haushalt aufgenommen würden. Soweit die laufenden a. har
des Reichs hierzu nicht ausreichten, müsse das a > =
durch Anleihe oder direkte Abgaben herangezogen . er: -
sehen von den durch das „Steuerkompromiß . er En
Steuern sollte Deutschland bis zum 31. Mai 192 | = Be
weitere Steuern in Höhe von 60 Milliarden ge ee
Davon sollten 40 Milliarden bis zum 31. Dezember
153
Verlangt wurde ferner, daß die Steuersätze sich automatisch in
dem Verhältnis erhöhten, in welchem die Verschuldung der
deutschen Regierung bei der Reichsbank oder die Entwertung der
Mark zunehme, Die nach diesem Programm zu schaffenden
deutschen Steuergesetze sollten zwischen der deutschen Regierung
und dem Garantiekomitee der Reparationskommission im einzelnen
beraten werden. Das Garantiekomitee sollte eine ausgedehnte
Kontrolle der deutschen Finanzen ausüben und das Recht er-
halten, Vorschläge für die Abstellung von Mängeln in der Hand-
habung des Haushalts zu machen.
Das ganze Schreiben war auf einen scharfen Ton gestimmt,
Für den bisher gezeigten guten Willen der deutschen Regierung
und ihre Anstrengungen, der Reparationspflicht nachzukommen,
gab es nicht ein Wort der Anerkennung, Der gewährte sachliche
Aufschub wurde durch harte Kritik und Drohung vollständig
wertlos gemacht. Daher fand die Entscheidung der Kommission
die denkbar schlechteste Aufnahme in Deutschland.
Am 30. März 1922 gab Dr. Wirth vor dem Reichstage eine
ausführliche Erklärung ab, in der er mit auffallender Schärfe
gegen die Reparationskommission auftrat. Das Verlangen, neue
Steuern in Höhe von 60 Milliarden Papiermark zu schaffen, wies
er als eine völlig unmögliche Zumutung ab: Die Reparations-
kommission habe damit vor der ganzen Welt bewiesen, daß wirt-
schaftliche Darlegungen der deutschen Regierung, so ernst und
gewissenhaft sie auch seien, keinerlei Eindruck auf die Kom-
mission machten. Zur Frage der Kontrolle erklärte der Reichs-
kanzler: „Gegen das Prinzip muß ich schon heute im Namen der
Reichsregierung schärfste Verwahrung einlegen. Auch erachte ich
es mit dem Selbstbestimmungsrecht eines Volkes und mit der Ehre
einer großen Nation für unvereinbar, daß man ihr fremde Organe
zur Ueberwachung der einzelnen Zweige bestimmter ziviler Ver-
waltungen beigibt. Wir haben auf dem Gebiete der Kontroll-
kommissionen schon so trübe Erfahrungen hinter uns, daß es
niemand bei uns verstehen würde, wenn dieses schikanöse, kost-
spielige, gänzlich unproduktive System auch auf die deutsche
Zivilverwaltung ausgedehnt würde,”
154
Dr. Rathenau, der den Entwurf zur Rede des Reichskanzlers
geliefert hatte, unterstrich sie noch in eigenen Darlegungen. Er
führte den Umschwung der internationalen Lage auf den Re-
gierungsantritt Poincarös zurück, der den Kampf gegen England
mit großem Erfolg auf allen Schauplätzen der Politik aufgenommen
habe. Deutschland gegenüber habe sich das Vordrängen der fran-
zösischen Politik in einem Hagel von Noten gezeigt, die von
den interalliierten Militärkommissionen auf Deutschland nieder-
geprasselt seien. Er habe zählen lassen, daß er im Laufe von won
Monaten 100 Noten dieser Kommissionen zur Beantwortung -
kommen habe, Man könne sich denken, daß es ‚nahezu einer
Lahmlegung der Behörden gleichkomme, wenn sie ne
seien, täglich und nächtlich an der Beantwortung We ’ r tm
stücke zu arbeiten. Es liege etwas Tragisches darin, i a . M
gegenwärtig stärkste Militärmacht der Welt, daß Fran reic ze
seinem ganzen Tun und Handeln durch die pet. vor ein =
deutschen Angriff bestimmt werde, vor einem Angril .. -
kommen entwaffneten Landes, das kaum so viel Soldaten aui-
bringe, um seine innere Ruhe zu erhalten. |
Daß die deutsche Regierung mit diesen Reden den ke ameier,
Beifall der großen Mehrheit des Reichstages erwarb, yon 5.
Ebenso klar aber war es auch, daß sie sich damit - “—
Reparationskommission öffentlich auf eine schroft e a
Haltung festgelegt hatte. Aus den beiden Trägern = r . =
politik, Rathenau und Wirth, waren Männer gewor = re =
Kommission offene Fehde ansagten. Wie ist dieser 'an mn.
erklären? Einen Grund hatte Dr. Rathenau schon in ne a
angedeutet: die fortgesetzte Verärgerung und die re he
bitterung der deutschen Regierung durch die ® - war
tätigen Militärkommissionen der Alliierten. Schon der u ..
von Rathenau als deutscher Außenminister, Dr. re .— a
den täglichen Reibungen mit dem Chef der Kontrol ._— -
Berlin zusammengebrochen. Wenn ein Minister fast we. gun:
großen Teil seiner Zeit zur Beilegung der a nn rn
welche eine übelwollende fremde Militärbehör e .- n ra
Nachweis ihrer Existenzberechtigung zu führen, so
155
unmöglich, für internationale Wirtschaftsprobleme, wie die Repa-
ration, seinen Körper frisch und seinen Geist frei zu halten. Die
aufreibende Wirkung des Verkehrs mit dem fremden Militär
äußerte sich nun auch bei Rathenau. Sie nahm ihm die frühere
Frische und Unbefangenheit in der Behandlung der Reparation.
Dazu kam aber wohl auch eine persönliche Verstimmung über die
ihm bekannt gewordene abfällige Kritik, die sein Auftreten in
Cannes im Auslande gefunden hatte,
Wirth und Rathenau glaubten ebenso wie die früheren
deutschen Regierungen, daß man auf die Reparationskommission
nicht viel zu geben brauche, wenn sich die Möglichkeit bot, in
unmittelbaren Verkehr mit den Chefs der alliierten Regierungen
zu treten. Von dieser Verkennung der tatsächlichen und recht-
lichen Verhältnisse ist Dr. Rathenau seit seinem Besuch in London
. im Dezember 1921 nicht wieder losgekommen, Er dachte auch im
März 1922 daran, daß er binnen kurzem Gelegenheit haben würde,
den Streit um das Moratorium im direkten Verkehr mit Lloyd
George auf der bevorstehenden Konferenz in Genua persönlich
zu regeln,
Die Reparationskommission war über den Eindruck, den ihre
Note in Berlin gemacht hatte, ganz bestürzt, Man hatte in Paris
geglaubt, daß die deutsche Regierung die Schwierigkeit der Sach-
lage erfassen und die Note demgemäß aufnehmen würde. Es war
den englischen und belgischen Vertretern in der Kommission nur
nach schwerstem Kampf mit den Franzosen gelungen, die Ziffern
von Cannes durchzusetzen. Um ein sachliches Entgegenkommen
der Franzosen zu erreichen, war man genötigt gewesen, in der
Note selbst eine scharfe Tonart anzuschlagen, die durch die fran-
zösische Mitwirkung bei der Redaktion noch verschlimmert wurde.
Nach dem deutschen Entrüstungssturm war die Lage gefährlich
geworden, Alles kam darauf an, daß die deutsche Regierung nicht
durch eine schroffe Antwort die Brücken zur Verständigung
abbrach. Ich wurde wieder nach Paris geschickt und schlug nach
Besprechung mit mehreren Mitgliedern der Reparationskommission
der deutschen Regierung folgende Erklärung vor: „Deutschland
versteht, daß die Forderung neuer Steuern auf die Balancierung des
156
Haushalts 1922 abzielt. Der von der Kommission gewollte Erfolg
wird bestimmt erreicht durch die Ausgabe der Zwangsanleihe.
Außerdem erwartet die Regierung noch erhebliche Mehreingänge
aus bereits bestehenden Steuern. Sie wird weiterhin bemüht sin,
neue Steuern zu schaffen, hält aber angesichts der ganzen Ver-
hältnisse die Aufbringung eines bestimmten Betrages bis zum
31, Mai für äußerst schwierig, wenn nicht unmöglich, Deutschland
wird ferner das Aeußerste tun, um durch Aufnahme freiwilliger
Anleihen Fehlbeträge des Haushalts zu finanzieren. Hierfür ist
aber eine Besserung der Mark und die Rückkehr des Vertrauens
nötig. Beides wird am besten durch die Ausgabe einer inter-
nationalen Anleihe zu erreichen sein.”
Die Antwort in bezug auf die Kontrolle empfahl ich Berlin be-
sonders vorsichtig abzufassen, weil, genauer besehen, die ein-
schlägigen Forderungen der Note vom 21. März mehr oder weniger
Redensarten waren und eine effektive Kontrolle der Einnahmen
und Ausgaben gar nicht verlangt wurde. Deutschland solle sich
vor allem bereit erklären, über alle Punkte der Reparationsnote
sofort in weitere Besprechungen einzutreten.
Obwohl mein Rat auch von dem deutschen Botschafter unter-
stützt wurde, lautete die deutsche Antwort, die am 7. April abge-
geben wurde, doch ganz anders. Sie verbreitete sich eingehend
über den weiteren Fall der Mark unter dem Eindruck der letzten
Note der Reparationskommission und über die dadurch hervor-
gerufene Teuerung in Deutschland, regte eine nochmalige Prüfung
der’Sachlage und die Anstellung eines Vergleichs zwischen der
Steuerlast in Deutschland und in den alliierten Ländern an, sprach
über die Notwendigkeit einer internationalen Anleihe für die
Reparation und die Stabilisierung des Markkurses, lehnte dann
aber mit aller Bestimmtheit die von der Kommission verlangte
Einführung von neuen Steuern und jede Kontrolle ab, die mit der
deutschen Finanzhoheit nicht vereinbar sei oder dem Ausland
einen maßgebenden Einfluß auf die Gesetzgebung im einzelnen
verschafie. h
Die deutsche Antwort wurde in Paris am Tage der Eröffnung
der Konferenz von Genua überreicht,
157
SIEBZEHNTES KAPITEL
RAPALLOVERTRAG UND REPARATION
Bei den Besprechungen in Cannes Anfang Januar 1922 hatte
der Oberste Rat der Alliierten auf den Vorschlag Englands be-
schlossen, eine internationale Konferenz nach Genua einzuberufen.
Sie sollte eine umfassende Aussprache über wirtschaftliche und
finanzielle Fragen bringen, Alle europäischen Staaten, auch
Deutschland, Oesterreich, Ungarn, Bulgarien und Rußland, wurden
eingeladen, damit endlich einmal ein wesentlicher Schritt auf dem
Wege zum wirtschaftlichen Wiederaufbau Mittel- und Osteuropas
getan werden konnte. Auf Betreiben der französischen Regierung
wurde die Besprechung des Reparationsproblems offiziell von dem
Programm der Konferenz ausgeschlossen, Poincar& machte dies zur
Bedingung der französischen Teilnahme, Er ließ in einer Note vom
15, Februar die vielfachen Bedenken der französischen Regierung
in bezug auf die Tagesordnung der Konferenz niederlegen und er-
langte von Lloyd George bei einer Zusammenkunft in Boulogne
das Versprechen, daß in Genua Beschlüsse über Reparation nicht
gefaßt werden dürften. Jedermann war sich darüber klar, daß es
zwecklos sei, über die Wirtschaftslage Europas zu sprechen, wenn
man nicht ihren Zusammenhang mit der Reparation und den
internationalen Schulden berührte, Immerhin nahm Lloyd George
die Bedingung Poincares an, wohl weil er hoffte, daß die Macht
der wirtschaftlichen Notwendigkeiten stärker sein werde als
politische Engherzigkeit, und daß der ungezwungene Verkehr der
alliierten und deutschen Regierungsvertreter im Verlaufe der
158
Konferenz schließlich auch der Lösung der Reparationsfrage
förderlich sein werde,
Während von fast allen übrigen Staaten die Premierminister
persönlich an der Konferenz teilnahmen, ließ sich Poincare
ostentativ in Genua durch Barthou vertreten. Von der deutschen
Regierung gingen außer dem Reichskanzler Dr. Wirth der Außen-
minister Dr. Rathenau, der Finanzminister Hermes und der Wirt-
schaftsminister Schmidt nach Genua. Die Konferenz trat am
10. April 1922 zusammen. Zuerst ließ sich alles gut an. Die
deutschen Vertreter wurden in alle Kommissionen hineingewählt,
Ihre Darlegungen, besonders auf finanziellem und wirtschaft-
lichem Gebiete, fanden stets große Beachtung. Es entwickelte sich
gleich ein zwangloser und geselliger Verkehr mit den Vertretern
der übrigen Mächte, so daß die Hoffnung berechtigt war, die
Konferenz von Genua werde einen wirklichen Fortschritt in den
internationalen Beziehungen bringen. Auch die Reparationsfrage
wurde trotz des offiziellen Verbotes in privaten Besprechungen
außerhalb des Programms der Konferenz behandelt. Ein ein-
wandfreier Anlaß dazu war gegeben. Am 4. April 1922 hatte die
Reparationskommission beschlossen, ein Komitee von Sachver-
ständigen zu berufen, um die Frage zu prüfen, unter welchen
Bedingungen die deutsche Regierung Anleihen im Auslande auf-
nehmen könne, deren Erlös zur teilweisen Tilgung der deutschen
Reparationsschuld verwendet werden solle. Das Komitee sollte
untersuchen: |
1. die Bedingungen, unter denen die Anleihen aufgenommen
werden könnten, sowie den Betrag, den man voraussichtlich in
der nächsten Zukunft, vor allem im Laufe eines jeden der
beiden nächsten Jahre, würde beschaffen können, [ir
2. die Sicherheiten, die für die Anleihegläubiger ohne unbillige
Schädigung der künftigen Reparationsinteressen bestellt werden
könnten,
3. die Art und Weise der Beaufsichtigung und Verwaltung der
für den Dienst der Anleihe zu bestimmenden Einkünfte sowie
die Beziehungen zwischen der deutschen Regierung, den Ver-
tretern der Anleihegläubiger und der Reparationskommission.
159
Den Vorsitz im Komitee übernahm Minister Delacroix, erster
belgischer Delegierter bei der Reparationskommission, Stellver-
tretender Vorsitzender wurde D’Amelio, zweiter italienischer
Delegierter bei der Reparationskommission. Außerdem sollte je ein
englischer, französischer, amerikanischer, deutscher und neutraler
Sachverständiger Mitglied des Komitees werden. Verschiedene
dieser Persönlichkeiten, darunter der Vorsitzende Delacroix,
nahmen an der Konferenz in Genua teil und benutzten die Ge-
legenheit, in aller Ruhe die Arbeiten des Komitees der Sach-
verständigen vorzubereiten, Dabei einigte man sich auf folgendes
Programm:
Eine Gesamtregelung der Reparation sei so lange nicht zu
erreichen, als die Frage der interalliierten Schulden noch offen
bleiben müsse, Wenn man aber, wie einflußreiche englische
Finanzkreise es wollten, die Dinge weiter treiben lasse, so müsse
eine Verschärfung der politischen und wirtschaftlichen Lage ein-
treten, die in kurzer Zeit zum völligen Zusammenbruch Deutsch-
lands und vielleicht auch anderer Länder führen werde, Deshalb
sei eine vorläufige Regelung der Reparation auf etwa vier Jahre
in der Weise anzustreben, daß Deutschland jährlich 720 Millionen
Goldmark in bar zahlen und daneben Verträge über Sachleistungen
mit den einzelnen alliierten Staaten schließen solle. Die vier
Annuitäten von 720 Millionen seien durch eine internationale
Anleihe zu finden, die zu einem Teil in Deutschland, zu einem
andern Teil auf den internationalen Märkten aufgelegt werden
könne, Der Gesamtbetrag der Anleihe solle vier Milliarden Gold-
mark betragen, um aus dem Erlös auch die Mitte] für die Anleihe-
zinsen der ersten Jahre zu beschaffen. Etwa eine halbe Milliarde
des Erlöses solle zur Stabilisierung des Markkurses dienen, Als
Sicherheit für die Anleihe seien die deutschen Zolleinnahmen zu
bestellen. Die Reparationskommission solle den Anleihegläubigern
ein dauerndes, unbedingtes Vorrecht vor den Reparations-
ansprüchen der Aliierten gewähren. Abgesehen von den ge-
nannten Leistungen solle Deutschland auf die Dauer von vier
Jahren von allen sonstigen Zahlungsverpflichtungen aus dem
Versailler Vertrage befreit bleiben.
160
Dieser Plan war bis in die Einzelheiten vorbereitet, Er wurde
auch mit Seydoux und anderen französischen Sachverständigen in
Genua besprochen und von ihnen gebilligt. Wir waren gerade da-
bei, die anwesenden Vertreter der internationalen Bankwelt für die
Sache zu interessieren, als der Abschluß des Vertrages von Rapallo
die ganze mühselige Vorarbeit mit einem Schlage vernichtete,
Es wird nützlich sein, mit einigen Worten auf dieses Ereignis
einzugehen, das seinerzeit großes Aufsehen erregte und einen
Zeitungskrieg entfesselte, der auf beiden Seiten die wirklichen
Vorgänge entstellt hat.
Schon lange vor der Konferenz von Genua verhandelte
Deutschland mit Rußland über eine Regelung der gegenseitigen
Beziehungen. Der im Frühjahr 1918 zwischen den beiden Staaten
abgeschlossene Friede von Brest-Litowsk war durch Artikel 116
des Versailler Vertrages aufgehoben, wobei die Alliierten alle
Rechte Rußlands auf Wiedergutmachung Deutschland gegenüber
nach den Grundsätzen des Vertrages von Versailles sich aus-
drücklich vorbehalten hatten. Diese Bestimmung schwebte wie ein
Damoklesschwert über Deutschland, Es war nicht möglich, die
friedlichen Beziehungen mit Rußland wieder herzustellen, wenn
nicht die Drohung der Reparation der russischen Kriegsschäden
aus dem Wege geräumt war. Daher wurde in Verhandlungen
zwischen Deutschland und Rußland ein Vertrag entworfen, nach
welchem das Deutsche Reich und die Sowjet-Republik gegenseitig
auf den Ersatz ihrer Kriegskosten und Kriegsschäden jeder Art
verzichteten. Der Entwurf sah ferner die sofortige Wiederaufnahme
der diplomatischen und konsularischen Beziehungen der beiden
Länder sowie den Grundsatz der Meistbegünstigung im beider-
seitigen Wirtschaftsverkehr vor. Das war ein sehr zweckmäßiger
und normaler Vertrag, frei von jeder Vereinbarung, die etwa be-
rechtigten Interessen Dritter schädlich werden konnte. Vor a
enthielt er — entgegen dem, was in den Zeitungen immer wieder
fälschlich behauptet worden ist — keinerlei N
politischer oder militärischer Art. Der Vertrag war fertig. _ ätte
recht gut schon mehrere Wochen vor der Konferenz in
gezeichnet werden können. Aus irgendwelchen Gründen diplo-
Bergmann, Der Weg der Reparation 11 161
matischer Schwerfälligkeit verzögerte sich der Abschluß. In Genua
nahmen die politischen Vertreter Deutschlands und Rußlands die
Besprechungen über die Zeichnung des Vertrages wieder auf,
Nun hatten die alliierten Sachverständigen schon vor Genua in
London ein Memorandum vorbereitet, das Vorschläge für die Rege-
lung der internationalen Beziehungen zu Rußland enthielt. Dabei
war der Artikel 116 des Vertrages von Versailles nicht berück-
sichtigt. Das erregte auf deutscher Seite begreifliches Mißtrauen.
Es kam hinzu, daß die Unterkommission der Konferenz in Genua,
welche die russischen F ragen behandelte, aus taktischen Gründen
beschloß, daß zunächst die Alliierten allein, ohne Zuziehung der
deutschen Vertreter, mit den russischen Delegierten sprechen
sollten. Lloyd George glaubte offenbar, der Schwierigkeiten im
diplomatischen Verkehr mit den ihm unbekannten Sowjetleuten
und den deutschen Vertretern besser Herr werden zu können,
wenn er erst einmal getrennt mit ihnen verhandele, Dabei übersah
er aber, daß die Deutschen in diesem Vorgehen eine Falle wittern
könnten, In der Tat entstand bei der deutschen Delegation die
ernste Besorgnis, daß in den Vorbesprechungen der Alliierten mit
den Russen das Londoner Memorandum der alliierten Sachver-
ständigen, so wie es war, angenommen werden könnte und daß
dann die Regelung der deutschen Sonderbeziehungen zu Rußland
nicht mehr in der vereinbarten Weise möglich sein würde. Es heißt,
daß Dr. Rathenau mehrfach vergebliche Versuche gemacht habe,
Lloyd George zu sprechen, um ihm die Gefahren auseinanderzu-
setzen, die der Ausschluß der Deutschen aus den russischen Ver-
handlungen mit sich bringe, Ferner wird von deutscher Seite ver-
sichert, daß mehrere alliierte Verbindungsleute darauf aufmerksam
gemacht worden seien, daß Deutschland sich gezwungen sehe, ein
‚Sonderabkommen mit Rußland zu treffen, wenn es nicht zu den
Beratungen der russischen F ragen rechtzeitig hinzugezogen würde.
Wie dem auch immer sei: der deutschen. Delegation wurde plötz-
lich das bestimmte Gerücht zugetragen, die Alliierten ständen
im Begriffe, mit den Russen abzuschließen, ohne die deutschen
Wünsche auf Beseitigung des gefährlichen Artikels 116 des Ver-
trages von Versailles zu beachten. Das brachte Dr. Wirth zu der
‚162
Ueberzeugung, er müsse von der Bereitschaft der Russen, jetzt den
Vertrag mit Deutschland zu zeichnen, sofort Gebrauch machen.
Es ist eine Fabel, daß Dr, Rathenau die Triebfeder des Ver-
trages von Rapallo gewesen sei. Er hat ernstliche Bedenken
dagegen gehabt und sich erst dazu bestimmen lassen, mit den
Russen abzuschließen, als ihm klar wurde, daß Dr. Wirth den
Vertrag auch ohne ihn zeichnen würde. Nachher hat er allerdings
stets die volle Verantwortung für den Abschluß auf seine Schultern
genommen, So fuhr er am Ostersonntag 1922, während die ganze
Konferenz feierte, zu den Russen nach Rapallo hinaus tınd brachte
am Abend den gezeichneten Vertrag nach Genua zurück. Die
Nachricht dieses Abschlusses wirkte in Genua wie ein Blitzschlag
aus heiterem Himmel. Wer es nicht miterlebt hat, kann sich keine
Vorstellung von der Aufregung und der Erbitterung in den Kreisen
der Teilnehmer an der Konferenz machen. Das deutsche Vorgehen
fand bei niemand: Verständnis, Auch die Neutralen, besonders
aber die Italiener stellten mit aufrichtigem Bedauern fest, daß die
Stimmung von Genua durch den Vertrag von Rapallo gründlich
verdorben sei. Die Sympathie, welche das Auftreten der Deutschen
in Genua bis dahin gefunden hatte, war mit einem Schlage in das
Gegenteil verwandelt. Es herrschte allgemeine Empörung darüber,
daß Deutschland in unbegründetem Argwohn gegen die Absichten
der Konferenz hinter dem Rücken aller anderen Delegationen
seine Interessen Rußland gegenüber eigensüchtig wahrgenommen
und damit die gemeinsame Arbeit der Konferenz gesprengt habe,
In Kreisen, die Deutschland wohlwollten, beklagte man es sehr,
daß die Franzosen aus der unbequemen Isolierung, in die sie durch
die engherzigen Richtlinien Poincares versetzt worden waren, so
wundervoll herausgekommen seien. Denn nun konnten die Fran-
zosen mit einem gewissen Recht behaupten, ihr tiefes Mißtrauen
gegen die deutsche Verhandlungsehrlichkeit sei durch den Vorgang
von Rapallo nur allzu sehr gerechtfertigt. |
Bei den Mitgliedern der deutschen Delegation, deren Mehrzahl
von der Tatsache der Zeichnung des Vertrages von Rapallo ebenso
überrascht wurde wie die Außenwelt, waren die Ansichten sehr
geteilt. Viele meinten, daß die politischen Vorteile, die der Vertrag
11* 163
mit Rußland vielleicht in Zukunft bringen könnte, nicht entfernt
den Schaden aufwiegen würden, den das deutsche Ansehen in der
Welt und die Aussicht auf eine baldige Regelung der Reparation
durch den Vertrag gelitten hätten,
In einer von allen alliierten Vertretern gezeichneten Note vom
18, April 1922 wurde Deutschland mit bitteren Worten der Vor-
wurf illoyaler Handlungsweise gemacht, weil es im geheimen ein
Abkommen mit Rußland getroffen habe, das gerade die Fragen
behandele, die Deutschland sich verpflichtet hatte, in loyaler Zu-
sammenarbeit mit den Vertretern der anderen Länder zu erörtern.
Deutschland wurde bis zum Schluß der Konferenz von der
Diskussion eines Abkommens mit Rußland ausgeschlossen. Eine
Gegenäußerung der deutschen Regierung, die aufklären und ein-
lenken sollte, war ohne Wirkung. Der politischen Maßregelung
Deutschlands in Genua entsprach die gesellschaftliche Behandlung
seiner Vertreter. Sie wurden, wo es irgend anging, auf Festen und
bei sonstigen Zusammenkünften direkt geschnitten, auch von den
Neutralen. Das besserte sich mit der Zeit, aber das bittere Gefühl
der Aechtung blieb bis zum Schluß, |
Die Konferenz von Genua fristete von da ab ihr Leben mit
Arbeiten, die nur formale und akademische Bedeutung hatten, Mit
dem Tage von Rapallo war jede Aussicht auf einen wirklichen
Erfolg der Konferenz in politischen oder wirtschaftlichen Fragen
verschwunden. Statt freudiger Zusammenarbeit beherrschte bitteres
Mißtrauen das Feld der Konferenztätigkeit. Daran änderte auch
die glänzende Schlußrede Rathenaus nichts. Der rauschende Bei-
fall, den er damit erzielte, galt der rednerischen Leistung, nicht
der Politik des Landes, das er vertrat.
Ueber die Reparation konnte man seit Rapallo in Genua mit
niemand mehr sprechen, Seydoux, in dessen Hotelzimmer wir
bisher jeden Tag den oben geschilderten Reparationsplan ein-
gehend besprochen hatten, ließ mir sagen, er könne mich jetzt
‚nicht mehr sehen, so leid ihm das auch persönlich tue,
Derweilen feierte man zu Hause in Deutschland die mann-
hafte Tat von Rapallo und den endlich gefaßten Entschluß der
deutschen Regierung, eine aktive auswärtige Politik zu betreiben,
Auf die Früchte des Vertrages von Rapallo warten wir noch heute,
164 |
ACHTZEHNTES KAPITEL
DAS ANLEIHEKOMITEE
DER REPARATIONSKOMMISSION
Das Verhältnis der deutschen Regierung zur Reparations-
kommission hatte sich mittlerweile verschärft, doch gelang es
persönlicher Einwirkung auf Mitglieder der Kommission, einen
direkten Bruch zu verhindern. Eine Note der Kommission vom
13. April gab durch ungewohnt milde Tonart den Willen zur
Einigung kund. Sie erklärte, daß die Erfüllung der für das Mora-
torium gestellten Bedingungen auch im deutschen Interesse, vor
allem zur Vorbereitung einer Anleihe nötig sei, und daß man der
deutschen Souveränität nicht zu nahe treten wolle. Die Kom-
mission wolle jeden praktischen Vorschlag prüfen, den >
deutsche Regierung vorlege. Ein weiterer kurzer NV
aber erregte neue Mißverständnisse, so daß die Lage Anfang Nai
wieder sehr kritisch war. Abermals wurde es nötig, durch ap
liche Beziehungen vermittelnd einzugreifen. Die deutsche ae
gierung war letzthin ganz in den alten Fehler a en
Verkehr mit der Reparationskommission im Wege des eo
wechsels zu führen. Wenn die bestehende Spannung an
noch zu beseitigen war, so konnte das nur durch =
sprache mit einem verantwortlichen deutschen Vertreter geschel : ;
Daher wurde in Genua angeregt, daß der deutsche Finanzminis ’
Hermes, der sich durch sein Auftreten in der a =
Genua überall Sympathien erworben hatte, nach ee gehen Bi
um in Einzelbesprechungen mit den Mitgliedern der -_ u.
kommission eine Verständigung anzubahnen. Etwa gleichze:
165
sollten die Verhandlungen des internationalen Anleihekomitees in
Paris beginnen, Ihr Erfolg hing davon ab, daß der Streitfall mit
der Reparationskommission beigelegt wurde,
In stiller und zäher Arbeit in Paris mußte ich den Frieden
mit der Kommission vorbereiten. Die deutsche Regierung gab am
9, Mai 1922 eine zwischen Mitgliedern der Kommission und mir
vereinbarte Erklärung ab. Sie änderte sachlich den deutschen
Standpunkt nicht, gab aber den Wunsch zu erkennen, so weit wie
möglich den Anschauungen der Kommission gerecht zu werden.
Minister Hermes konnte nun am 13, Mai nach Paris kommen, Er
stellte fest, daß. die. Kluft, die der frühere Notenwechsel gerissen
hatte, schwer zu überbrücken sein würde, Die Kommission war
der Ansicht, daß die deutsche Regierung nichts anderes bezweckt
habe als eine Herausforderung. Wenn der Besuch von Dr: Hermes
sie darüber eines besseren belehrte, so blieb noch immer: die Auf-
gabe, die beiden in ihre enigegengesetzten Thesen verbissenen
Parteien einander sachlich: näher. zu bringen. Nach zehn mühe-
vollen Tagen war endlich die erlösende Formel gefunden! Deutsch-
land sollte die Forderungen: der Kommission vom 21..März 1922
grundsätzlich anerkennen, dabei 'aber erklären, daß einige dieser
Forderungen zurzeit nicht zu erfüllen seien, Die deutsche Re:
gierung sollte sich dabei zum erstenmal verpflichten, ‚das An-
schwellen .der 'schwebenden Schuld zu ‚beschränken, Gerade
dieser Punkt, der eigentlich selbstverständlich sein mußte, gab
zu: den schwersten Bedenken auf deutscher Seite Anlaß: Man
stand in Berlin eben auf dem Standpunkt, daß es unmöglich ;sei,
das, Anwachsen der schwebenden Schuld zu verhindern, solange
die Reparationsfrage nicht befriedigend gelöst sei, Auf Vorschlag
des ‚englischen Delegierten Bradbury wurde schließlich diese
Verpflichtung dahin gemildert, daß sie nur gelten. sollte, wenn
Deutschland eine angemessene Hilfe durch eine auswärtige An-
leihe erhielte, Unter dieser Voraussetzung sollte die deutsche
Regierung sich binden, die schwebende Schuld nicht über den
Stand vom 31; März 1922 anwachsen zu lassen und eine etwaige
Vermehrung nach drei Monaten 'zu beseitigen, notfalls durch
neue Steuern, Die in Ausführung des Vertrages von Versailles
166
gezahlten Beträge sollten bei der Berechnung des Zuwachses der:
schwebenden Schuld Deutschlands außer Betracht bleiben und
aus der erwarteten ausländischen Anleihe abgedeckt werden.
Die Berliner Regierung wehrte sich gegen diese in Paris ver-
einbarte Formel mit Händen und Füßen. Sie sah darin eine Falle.
Schließlich verlangte sie einen Zusätz des Inhalts, daß die ganze
Abmachung :im Falle: höherer Gewalt nicht: gelten solle, Der
‚Zusatz wurde abgelehnt, weil er selbstverständlich war, aber auch
weil: die Kommission befürchtete, daß er als Hintertür zum Ent-
wischen' ats der Verpflichtung benutzt werden könnte. Man sieht,
wie weit das gegenseitige Mißtrauen gediehen war. | u
Die Kontrollrechte der Reparationskommission wurden dahin
präzisiert, daß sie der Souveränität der deutschen ‚Regierung
keinen Eintrag tun, die Verwaltung nicht stören und das Steuer-,
geheimnis nicht verletzen sollten, Die Gesetze gegen die Kapital-
flücht sollten im Benehmen mit dem Garantiekomitee erweitert
und das aus dem Lande geflüchtete Kapital sollte mit Hilfe einer
äußeren oder inneren Änleihe zur Rückkehr veranlaßt werden.
Die Reichsbank war inzwischen durch Gesetz vom 23. Mai 1922
für vollkommen selbständig erklärt worden. Die Handelsstatistik
sollte in derselben Weise wie:vor dem Kriege wieder aufge-
nommen werden. © 1 ase and. SniIMEh ann. PA
© Nach Berlin zurückgekehrt, brachte Dr. Hermes das Kabinett
dazu, daß es die vorgeschriebene Erklärung an die Reparations-
kommission in einer Note vom 28. Mai 1922 abgab. Bestimmend
war dabei vor allem die Rücksicht auf das Anleihekomitee der
Reparationskommission, das inzwischen erklärt hatte, es könne
seine Arbeiten nur fortsetzen, wenn eine Einigung zwischen der
Kommission und der deutschen Regierung zustande komme, Als
Anhang zu der Note vom 28. Mai wurde ein Haushaltsplan ein-
gereicht, Er zeigte einen Ueberschuß der Gesamteinnahmen über
die inneren Ausgaben des Reiches von etwa 70 Milliarden Papier-
mark -— damals eine Milliarde Goldmark —, die für die Ver-
pflichtungen aus (dem: Vertrage von Versailles verwendet werden
sollten, In einem weiteren Schreiben des. Reichskanzlers an .die
Kommission vom 30, Mai: 1922 würde mitgeteilt, daß an Stelle der
167
von der Kommission verlangten 60 Milliarden neuen Steuern eine
Zwangsanleihe in gleicher Höhe aufgelegt werden würde, auf
welche schon im Laufe des Jahres 1922 40 Milliarden Mark ein-
gehen sollten. Der Gesetzentwurf hierfür lag bereits dem Reichs-
tage vor, a)
Die Antwort der Kommission erging am 31. März 1922. Sie
stellte fest, daß die deutsche Regierung mit den von ihr ergriffenen
und weiter in Aussicht gestellten Maßnahmen sich ernstlich be-
mühe, den Forderungen der Kommission nachzukommen, und
bewilligte nunmehr ohne weitere Bedingungen den am 21. März in
Aussicht gestellten Teilnachlaß der Zahlungen für das Jahr 1922,
Die Kommission behielt sich aber jederzeit das Recht vor, den
Nachlaß aufzuheben und damit den Zahlungsplan von London
wieder in Kraft zu setzen, sobald Deutschland den übernommenen
Verpflichtungen irgendwie nicht nachkommen würde. Verschiedene
noch offene Fragen sollten durch eine weitere Mitteilung der
Kommission an den Kanzler geregelt werden.
So war denn nach vielen Mühen der monatelange Streit zwischen
der Reparationskommission und der deutschen Regierung not-
dürftig beigelegt. Ein rechtes Gefühl der Befriedigung über diesen
Ausgang konnte auf keiner Seite aufkommen. Der Riß war ge-
flickt, aber noch deutlich zu sehen, Die kleine Atempause für
Deutschland war durch die Möglichkeit der Zurücknahme in
Frage gestellt.
Das von der Kommission angekündigte weitere Schreiben er-
ging am 14, Juni 1922, Es beschäftigte sich mit einigen Einzel-
heiten, vor allem mit der Selbständigkeit der Reichsbank, und
brachte keine Ueberraschungen.
Das Anleihekomitee der Reparationskommission war am
24. Mai 1922 unter dem Vorsitz von Delacroix in Paris zusammen-
getreten. Mitglieder waren: J. Pierpont Morgan (Vereinigte
Staaten), Sir Robert Kindersley (England), Sergent (Frankreich),
D’Amelio (Italien), Delacroix (Belgien), Vissering (Holland) und
ich. Die Arbeiten begannen mit einer allgemeinen Aussprache
über die Möglichkeit einer internationalen Reparationsanleihe,
Ueber die Notwendigkeit einer solchen Anleihe für die Gesundung
168
der Finanzen von Deutschland und von ganz Europa waren alle
Mitglieder einig. Auch wurde allgemein anerkannt, daß die
Stimmung der Anlagemärkte für den Absatz einer Reparations-
anleihe günstig sei. Morgan betonte allerdings, daß der amerika-
nische Markt zurzeit nur mit großem Widerwillen an europäische
Werte herangehe, weil die öffentliche Meinung in Amerika der
internationalen politischen Wirren überdrüssig und europamüde
sei, Diese Atmosphäre unfreundlicher Gleichgültigkeit aber könne
unter zwei Voraussetzungen leicht überwunden werden. Erstens
müsse man Amerika überzeugen, daß die Anleihe von den
alliierten Völkern gewünscht werde und ihnen zugute komme.
Das könne sich nicht besser offenbaren als durch die tätige Mit-
wirkung der Bankwelt in den alliierten und neutralen er:
bei der Emission der Anleihe. Zweitens müsse Deutschland durc
die Sicherheiten, die es für die Anleihe einräume, und die Ordnung
seiner inneren finanziellen Lage den festen Willen zu er
geben, daß es die Anleiheverpflichtungen auf sich nehmen wol e,
um seinen Kredit in der Welt wieder herzustellen. Wenn diese
beiden Vorbedingungen gegeben seien, würde die Reparations-
anleihe auch in Amerika Erfolg haben. |
Mit dieser Erklärung stand fest, daß eine internationale An-
leihe für Deutschland nur zustande kommen konnte, ie m
nächst einmal die gleichzeitig schwebenden Besprec ungen
zwischen der deutschen Regierung und der BapikentioneSpEuEEEn
einen guten Ausgang nahmen. Das wurde durch den w # .
wechsel vom 28.131. Mai 1922 erreicht. Nunmehr konnte sic ..
Komitee an seine eigentliche Aufgabe machen. Die Ber age
waren dazu benutzt worden, genaue Auskunft über die .
zielle und wirtschaftliche Lage Deutschlands zu gewinnen nen
die verschiedenen Möglichkeiten der Ausstattung u ” Ai
nationalen Anleihe zu besprechen. Dabei war ee _
Anfang herrschende kühle Zurückhaltung dem a
gegenüber gewichen. Denn auch in die Kreise - | ar a
hatte der Vertrag von Rapallo seine verderbliche ir ee in
Von dem französischen Mitglied in die Debatte v. er
Mißtrauen Frankreichs gegen die deutsche Verhandlungs
169
begründen, wurde der unglückselige Vertrag auch von Kindersley
und Morgan mir gegenüber zur Sprache gebracht. Beide erklärten,
daß sie es abgelehnt haben würden, dem Anleihekomitee beizu-
treten, wenn der Vertrag von Rapallo bei ihrer Berufung in das
Komitee schon vorgelegen hätte, Es war. für mich nicht leicht, die
schlechte Stimmung im Komitee’ zu überwinden.
2 Nun aber tauchte eine neue Schwierigkeit auf: abgesehen von
dem französischen Mitglied hielt das Komitee eine Anleihe nur
dann für aussichtsreich, wenn die Reparation auf eine Reihe von
Jahren hinaus geregelt würde, Man dürfe daher nicht einfach im
Rahmen des Vertrages von Versailles und des Londoner Zahlungs-
planes versuchen, mechanisch einen Teil der deutschen Verpflich-
tungen im Anleihewege zu begleichen, sondern müsse feststellen,
welche Reparationslast von Deutschland und von den: Anleihe-
gläubigern als tragbar anerkannt würde. Ohne die Wiederher-
stellung des deutschen Kredits nach innen und außen sei’ die
Emission einer Reparationsanleihe nicht möglich.’ Die Arbeiten:
des Komitees würden keinen praktischen Zweck haben, wenn die
Frage ‘der Anleihe’nicht mit einer gründlichen Behandlung’ des’
gesamten Reparationsproblems verbunden würde, srie!
Der französische Vertreter erklärte innerhalb und außerhalb
der Sitzungen, daß er sich nicht für berechtigt halte, an einer
Besprechung ‚der Reparationsfrage teilzunehmen. Er stützte sich
dabei auf den französischen Wortlaut des Beschlusses der
Reparationskommission vom 4; April 1922, der besagte, daß das
Komitee studieren solle, unter welchen Bedingungen die deutsche
Regierung im Rahmen der Verpflichtungen, so wie sie der Vertrag
von Versailles und der Zahlungsplan vom 5. Mai 1921. festgestellt
habe, auswärtige Anleihen für Zwecke der Reparation aufnehmen
könne. Daraus folgerte er, offensichtlich auf Weisung von Poincars,
daß an der festgesetzten deutschen Reparationsschuld nicht ge-
rüttelt werden dürfe, und daß sich die Anleihepläne des Komitees
streng innerhalb der Vertragsgrenzen zu halten hätten, Um allen
Zweifeln über die Befugnisse des Komitees ein Ende zu machen,
beantragten Morgan und Kindersley, eine offizielle Anfrage an
die Reparationskommission zu richten. Nach eingehender Beratung
170
beschloß das Komitee gegen die Stimme des französischen Mit-
gliedes, durch seinen Vorsitzenden: die Reparationskommission
darüber zu befragen, ob das Komitee bei seinen Arbeiten die
vertragliche Reparationsschuld Deutschlands als ‚unabänderlich
ansehen müsse ‘oder ob es: die Freiheit habe, die Möglichkeit
anderer Lösungen zu prüfen. Damit war der Konflikt zwischen der
französischen Regierung und der Mehrheit des Komitees gegeben.
Die Gefahr lag nahe, daß an dieser Klippe die Aufgabe des
Komitees scheitern würde. Ich versuchte vergebens, das Komitee
davon zu überzeugen, daß die Anfrage nicht erforderlich sei, weil
das Komitee ja nur seine sachverständige Meinung darüber abzu-
geben habe, unter welchen Bedingungen eine Anleihe möglich
erscheine, Die. Reparationsvorschriften des Vertrages von Ver-
sailles seien so unbestimmt und die Reparationskommission habe
so weitgehende Vollmachten in der Handhabung der er
bedingungen, daß eine Aenderung .des Vertrages von Versail es
gar nicht in Frage zu kommen brauche, selbst wenn das Komitee
zu der: Ansicht gelangen sollte, daß für die Zwecke einer Anleihe
die laufenden Zahlungen Deutschlands ermäßigt ‚oder Baden
schoben werden müßten. Meine Vorstellungen machten Eindruc “
aber die Mehrheit des Komitees’ bestand darauf, volle Klarheik
über ihre von dem französischen Mitglied angezweifelten Pr
nisse zu erhalten, Am: Tage darauf —.am 2. Juni 1922 Sr
Poincar& in. der französischen Kammer folgende Erklärung ab;
„Selbst ‘vor. der Reparationskommission. — oder daneben Bene
sehe‘ich zur jetzigen Stunde die gefährlichsten Machensc alten
gegen uns im Gange, um die internationale Anleihe: von RER
neuen Minderung unserer Forderung abhängig zu machen. her e
morgen noch habe. ich 'krali, meiner Verantwortung als En ee
Regierung die französische Vertretung in der Bananen om.
mission wissen lassen, daß sie das nicht annehmen. dürie.
So kam der Streit in die Oeffentlichkeit. Am 7, Juni a
die Reparationskommission mit Stimmenmehrheit gegen ae
zösischen Vertreter, daß das Anleihekomitee bei seinen pr I
vollkommen frei sei, alle möglichen Bedingungen für die or
deutscher auswärtiger Anleihen zu studieren. Jede Anregung.
171
Komitees würde von großem Wert sein. Der Vorsitzende Dubois
erklärte, daß er zwar gegen diesen Beschluß habe stimmen müssen,
daß aber seiner Ansicht nach das Komitee durchaus befugt sei,
dem Majoritätsbeschluß der Kommission Folge zu leisten, um seine
Arbeiten auf einer breiteren Grundlage fortsetzen zu können, In
der darauffolgenden Sitzung des Anleihekomitees wandte sich vor
allem Kindersley mit scharfen Worten dagegen, daß der Chef der
französischen Regierung die Arbeit des Komitees in der Oeffent-
lichkeit kritisiert habe. Mit ihm erklärte Morgan, daß die Uneinig-
keit zwischen den Alliierten, die bei dieser Gelegenheit so scharf
zutage getreten sei, ein nutzbringendes Weiterarbeiten des An-
leihekomitees unmöglich mache, Der französische Vertreter Sergent
verlas eine sorgfältig formulierte Erklärung, in der er es ablehnte,
an Beratungen teilzunehmen, die eine Revision der Reparations-
schuld Deutschlands in sich schlössen.
Das Komitee war damit gesprengt, bevor es seine wirkliche
Arbeit begonnen hatte, Der Vorsitzende Delacroix und ich ver-
suchten alles, um zu verhindern, daß das Komitee erfolglos
auseinanderging. Ich wies darauf hin, daß eine Auflösung des
Komitees oder seine Vertagung auf unbestimmte Zeit die
schwersten Folgen für Deutschland, vor allem einen Sturz der
Mark ins Bodenlose zur F olge haben müsse, Wenn das Komitee
erkläre, daß eine Reparationsanleihe jetzt nicht möglich sei,
würde auch das Moratorium in F rage gestellt werden, das
Deutschland soeben erlangt habe, Denn dieses Moratorium sei
darauf aufgebaut, daß Deutschland eine auswärtige Anleihe
erhalte und dadurch befähigt werde, das Anwachsen der inneren
Schuld und einen weiteren Fall der Mark zu verhindern, Wenn
jetzt die Aussicht auf eine auswärtige Anleihe schwinde, werde
der Pessimismus in Deutschland wieder überhandnehmen; die
fortschreitende Entwertung der Mark werde Deutschland völlig
zahlungsunfähig machen, Die Reparationskommission werde den
Zahlungsplan von London wieder in Kraft setzen, und die alli-
ierten Regierungen würden zu Sanktionen schreiten, deren Aus-
wirkung nicht abzusehen sei. Ein solches Ergebnis sei umsomehr
zu beklagen, als im übrigen die Lage Deutschlands gar nicht so
172
verzweifelt sei. Wenn man hoffen dürfe, daß innerhalb eines
Jahres das Reparationsproblem der Lösung näher komme, und
daß eine Anleihe im Bereich der Möglichkeit liege, könne man
auch der allgemeinen Mutlosigkeit steuern und den weiteren Fall
der Mark verhindern. Mit einer endgültigen Regelung der Repa-
ration rechne im Augenblick doch niemand ernstlich. Man habe
immer nur an eine vorläufige Lösung mit Hilfe einer Anleihe
gedacht. Selbst eine kleinere Anleihe, mit der man die Bar-
zahlungen für einige Jahre bestreiten könne, sei von größtem
Wert. Dafür Sicherheiten zu geben, sei Deutschland recht wohl in
der Lage, wenn es sich damit Schutz vor Sanktionen und eine
Atempause zur Wiederherstellung seiner Währung und seines
Kredites verschaffen könne.
Alle diese Warnungen waren vergeblich. Die Mehrheit des
Komitees sah in dem plötzlichen Angriff Poincares ‚den Beweis
dafür, daß die öffentliche Meinung in Frankreich für eine ver-
nünftige Behandlung des Reparationsproblems noch nicht reif sei.
Es wurde ohne Umschweife gesagt, daß die aa oe
Poincare es dem Komitee unmöglich machten, irgendeine An eihe,
klein oder groß, in Aussicht zu nehmen. Ausschlaggebend seien
dabei nicht so sehr die Bemerkungen an sich, wie die ungünstige
Atmosphäre, die sie geschaffen hätten.
So blieb nichts weiter übrig, als die Arbeiten des a 2
unbestimmte Zeit zu vertagen. Um die Wirkung des = ._
abzuschwächen, sollten in einem ausführlichen Bericht ie er
sichten der Mehrheit des Komitees über die a » -
Reparationsanleihe niedergelegt werden. Das Dokumen ; nz
das Komitee am 10. Juni 1922 der Reparationskommission uni
erstattete, ist bemerkenswert durch seinen Mut und seine
heit, Die Schlußsätze seien hier angeführt:
Wenn das Komitee auch keine Hoffnung darauf on
En daß eine Anleihe bei der jetzigen Lage des gi pi =
Kredites Aussicht auf Erfolg hat, so wünscht es a 2 a
seine Ueberzeugung hervorzuheben, daß erhebliche Ines a
Erfolg in allen Hauptmärkten der Welt ausgege e Mg
können, sobald einmal die notwendigen Bedingungen
173
Wiederherstellung des deutschen Kredites verwirklicht sind, Die
rein finanziellen Verhältnisse sind jetzt entschieden günstig für
die Ausgabe solcher Anleihen, günstiger, als sie je nach dem
Kriege gewesen sind, Das Komitee wünscht der Reparations-
kommission zu versichern, daß es sein ernster Wunsch ist, alles
zu tun, was in seiner Macht liegt, um solche Anleihen auszugeben,
wenn die erwähnten Bedingungen gesichert werden können, Das
Komitee ist fest überzeugt, daß es für die wirtschaftliche Wieder-
erstellung der ganzen Welt eine unschätzbare Hilfe sein würde,
wenn die deutschen Verpflichtungen allmählich von einer Schuld
zwischen Regierungen in eine Schuld an private Gläubiger umge-
wandelt werden könnten, Das Komitee glaubt in der Tat, daß die
Wiederaufnahme normaler Handelsbeziehungen zwischen den
Ländern und die Stabilisierung der Wechselkurse unmöglich sind
ohne eine endgültige Regelung der Reparationszahlungen und
anderer auswärtiger öffentlicher Schulden. Wenn daher zu irgend-
einer Zeit die Kommission in der Lage ist, durch eine einstimmige
Entscheidung die Einladung zu wiederholen, die jetzt nur von
einer Mehrheit ausgeht, wird das Komitee gern wieder zusammen-
treten und die Untersuchung aufnehmen, die jetzt unterbrochen
worden ist. Das Komitee kann nicht darüber urteilen, ob die
alliierten Regierungen in der Lage sein würden, die notwendigen
Bedingungen anzunehmen, aber wenn das der Fall sein sollte,
dann kann nur wiederholt werden, daß gute Hoffnung auf die
Unterbringung beträchtlicher Anleihen besteht,‘
„Zum Schluß wünscht das Komitee zu betonen, daß einstweilen
und sogar in der Zeit zwischen der Wiederholung einer solchen
Einladung und dem Abschluß der nachfolgenden Verhandlungen
Deutschlands finanzielle Lage offenbar mit schweren Gefahren
bedroht sein kann. Langwierige* Verhandlungen über eine große
und langfristige Anleihe können zu spät reifen, wenn nicht eine
unmittelbare Hilfeleistung vorangeht, Aber wenn das Programm
von neuem unter den erwähnten besseren Bedingungen behandelt
wird und wenn eine wirkliche Aussicht auf eine endgültige
_ Regelung besteht, dann ist das Komitee der Meinung, daß die
Hemmungen, welche jetzt noch einer zeitweiligen Anleihe ent-
174
ER wahrscheinlich nicht unüberwindlich sein werden.
Mit berechtigter Hoffnung auf eine endgültige Regelung innerhalb
einer vernünftigen Zeit würde es viel leichter sein, eine kurz-
fristige Anleihe abzuschließen, die genügt, den deutschen Kredit
vor dem Zusammenbruch während der Verhandlungen zu retten.
Das Komitee braucht kaum hinzuzufügen, daß es gern unter diesen
Bedingungen jede Hilfe leisten wird, die in seiner Macht steht,
sowohl in bezug auf eine beschränkte Anleihe wie im Hinblick auf
das größere und bedeutungsvollere Problem.”
Der Bericht wurde von allen Mitgliedern des Komitees außer
dem französischen Vertreter unterzeichnet, Dieser berief sich in
einer besonderen Erklärung ausdrücklich darauf, daß er ‚bei
keinem Anleiheplan mitwirken könne, der irgendwelche nn
rungen der vertraglichen Rechte Frankreichs im Auge habe, un
daß er mit dem französischen Delegierten in der Reparations-
kommission der Meinung sei, daß das Bankierkomitee nicht das
Recht habe, Aenderungen der deutschen Vertragsschuld zu
studieren. | |
Der Bericht des Komitees machte in weiten Kreisen Deutsch-
lands einen ausgezeichneten Eindruck, weil er im Gegensatz zu
den Entscheidungen der Reparationskommission und der Ar
Regierungen zum ersten Male die wirtschaftlichen Gesichtspu ”
für eine Lösung der Reparationsfrage in den a ” e
und das System der politischen Sanktionen verurteilte. er | ”
nunft aber, die aus dem Bericht sprach, konnte nicht über in
Tatsache hinwegtäuschen, daß die Ansicht der hr 7
Bankiers über die Reparation vor der politischen Gewalt " e
zurückweichen müssen, und daß das Komitee En “
starren Haltung der französischen Regierung seine Bemühunge
als nutzlos aufgab,
175
NEUNZEHNTES KAPITEL
DER ZWEITE ANTRAG AUF EIN MORATORIUM
DIE POLITIK DER „PRODUKTIVEN PFÄNDER"
Deutschland stand vor einer neuen schweren Krise, Ihre Vor-
boten zeigten sich in einem allmählich einsetzenden weiteren
Fall der Mark. Die Hoffnung auf ein günstiges Ergebnis der Pariser
Verhandlungen hatte ausgereicht, den Kurs des Dollar im April,
Mai und Anfang Juni etwas unter 300 Mark zu halten, Unmittelbar
nach dem Abbruch der Beratungen des Anleihekomitees stieg der
Dollar über 300 Mark, Man wußte in Berlin, was das bedeutete,
und man beschloß, die Mark aus den inzwischen von der Reichs-
bank angesammelten Devisenbeständen zu stützen, Besonders
eilrig setzte sich Rathenau dafür ein, Mit der Durchführung der
Stützung wurde die Reichsbank betraut. Es gelang ihr, durch
mäßige Abgabe von Devisen, hauptsächlich an der Berliner Börse,
den Kurs einige Tage lang einigermaßen zu halten. Da sie sich
aber scheute, mit wirklich großen Beträgen einzugreifen, konnte
sie einen erheblichen Erfolg nicht erzielen, Das Publikum nahm
die angebotenen Devisen der Reichsbank gierig aus der Hand,
ohne im geringsten zu besorgen, daß die Stützungsaktion zu einem
Rückgang des Dollar führen könne.
Während die Operation im Gange war, fiel Rathenau den
Schüssen verblendeter Mörder zum Opfer. Das allgemeine Ent-
setzen, das diese Schreckenstat auslöste, legte sich lähmend auf
die Entschlußkraft der deutschen Regierung. Mit Rathenau hatte
das Kabinett Wirth seinen stärksten Kopf verloren, Wenn Rathenau
176 | =
selbst auch den letzten Pariser Verhandlungen fernstand und es
im Inneren schmerzlich empfand, daß man ihn seit dem Tage
von Rapallo, wie er glaubte, in den Reparationsiragen beiseite-
geschoben habe, so hatte er doch alles getan, die in Paris getroffene
Einigung mit der Reparationskommission in Berlin zur Annahme
zu bringen, Von nun an schwankten die Schritte der Regierung
Wirth hin und her.
In der ersten Juliwoche erreichte der Dollarkurs einen Stand
von über 500 Mark. Daraufhin glaubte die deutsche Regierung,
keine weiteren Barzahlungen an die Alliierten leisten zu können.
In einer Note vom 12, Juli ersuchte Deutschland um völlige Be-
freiung von den für das Jahr 1922 vorgesehenen Restzahlungen
und erklärte, daß die verzweifelte Lage der deutschen Finanzen
Barzahlungen auch für die Jahre 1923 und 1924 unmöglich mache.
Auf Grund von Besprechungen, die kurz vorher in London geführt
worden waren, rechnete Dr, Wirth auf die Unterstützung seines
Antrags durch England.
Die Reparationskommission setzte den Beschluß über den
deutschen Antrag aus, bis das Garantiekomitee, welches damals
in Berlin über die Festsetzung seiner Kontrollbefugnisse ver-
handelte, seine Arbeiten abgeschlossen haben würde. Inzwischen
wurde die Zahlung der am 15. Juli fälligen Rate von 50 Millionen
Mark gefordert und von Deutschland auch geleistet. Aber auch
nachdem sich das Garantiekomitee am 18. Juli mit der deutschen
Regierung geeinigt hatte, kam die Reparationskommission noch
nicht zu einem Beschluß über den deutschen Antrag. Es war nicht
möglich, bei ihr das Verständnis dafür zu erwecken, daß Deutsch-
land in seinem Kampfe für die Markwährung wenigstens eine
wohlmeinende Geste der Kommission brauchte. Statt dessen er-
klärte die Kommission immer wieder, ‚daß Deutschland selbst an
dem weiteren Verfall der Währung schuld sei, weil es versäumt
habe, rechtzeitig sein Budget in Ordnung zu bringen.
Für jeden, der sehen wollte, ergab sich schon damals mit voller
Klarheit, daß keinerlei Aussicht auf ein längeres Moratorium, ge-
schweige denn auf eine Befreiung von den Reparationszahlungen bis
Ende 1924 bestand. Der französische Einfluß in der Reparations-
Bergmann, Der Weg der Reparation 12 177
kommission, deren Vorsitzender Louis Dubois hartnäckig jede
Rücksichtnahme auf Deutschlands wirtschaftliche und finanzielle
Not ablehnte, machte sich immer stärker fühlbar. Dubois wurde
in seiner Haltung durch die Verbissenheit Poincares bestärkt.
Dieser nahm jetzt den Kampf gegen das Moratorium mit schärferen
Waffen auf. Die Pariser Presse leistete ihm nur zu gerne durch
gehässige Ausfälle gegen Deutschland Gefolgschaft, Dabei hatte
aufwies,
Wiederum wurde versucht, die Entscheidung über den deutschen
Antrag aus der Hand der Reparationskommission zu nehmen und
durch unmittelbare Besprechungen zwischen den Chefs der
alliierten Regierungen einen Ausweg zu finden, Zu diesem Zwecke -
berief Lloyd George eine Konferenz der Alliierten auf den 7. August
1922 nach London ein, Die französische Regierung hatte dafür in
fieberhafter Arbeit umfassende Vorbereitungen getroffen, Poincare
über die bisher verlangten Sicherheiten hinaus neue produktive
Pfänder verschaffe, Diese „Politik der produktiven Pfänder“ be-
zweckte in der Hauptsache einen direkten Zugriff der Alliierten
auf die staatlichen Kohlengruben im Ruhrgebiet und auf die
rheinischen F orsten, sowie die direkte Erhebung von Zöllen im
besetzten Gebiet, das durch eine besondere Zollgrenze gegen das
unbesetzte Deutschland abgeschlossen werden sollte,
Dieses von Poincare hartnäckig vertretene Programm hat eine
interessante Vorgeschichte, Es ist nicht dem Kopf Poincares ent-
SPprungen, sondern stammt von Seydoux, der erkannt hatte, daß
es zur Leistung der Reparation zunächst unbedingt erforderlich
sei, die deutschen F inanzen zu sanieren und die deutsche Währung
178
zu stabilisieren, Da nach seiner Ansicht die deutsche Regierung
nicht mit dem nötigen Ernst an diese Aufgabe heranging, ent-
warf er einen Plan, nach dem Deutschland durch Stellung von
sicheren Unterpfändern gezwungen werden sollte, seine Finanzen
und seine Währung gründlich zu reformieren. Dagegen sollte es
auf angemessene Zeit einen Aufschub der Reparationszahlungen
erlangen, um binnen dieser Frist das Werk der Sanierung durch-
zuführen, Währenddessen würden die Alliierten die produktiven
Pfänder fest in der Hand behalten, Zu einer solchen Politik glaubte
Seydoux auch die Zustimmung Englands erlangen zu können, das
immer schon mit Nachdruck auf die Notwendigkeit einer ver-
nünftigen finanziellen Wirtschaft in Deutschland hingewiesen
hatte. Der Plan wurde Poincare vorgelegt und fand seinen Beifall,
Ein zweiter Berater Poincares aus dem französischen Finanz-
ministerium aber erhob lebhaften Einspruch. Er erklärte, Deutsch-
land brauche kein Moratorium, um seine Finanzen und seine
Währung zu ordnen, Es könne das bei gutem Willen aus eigenen
Kräften tun und darüber hinaus sogar noch Zahlungen leisten.
Poincar& ging nach London nicht mit Seydoux, sondern mit seinem
Berater aus dem Finanzministerium, Aus dem Plan von Seydoux
verschwand nun der wichtigste Teil, der sich auf die Notwendig-
keit der finanziellen Gesundung Deutschlands und das Mora-
torium bezog. Es blieben nur noch die produktiven Pfänder selber
übrig. Sie sollten dazu benutzt werden, die F ortsetzung der
Reparationsleistungen von Deutschland zu erzwingen. Aus dem
Pferd mit vier Beinen war ein Pferd mit zwei Beinen geworden,
Das konnte natürlich nicht laufen, Das Programm Poincar&s wurde
daher auch in der Londoner Konferenz von den Sachverständigen
aller übrigen alliierten Länder als wirtschaftlich unbrauchbar ab-
gelehnt. Ein englischer Gegenvorschlag vom 12, August 1922 sah |
ein vollständiges Moratorium für alle Barzahlungen bis zum Ende
des Jahres 1922 vor. Er verlangte dafür von Deutschland keine
neuen Garantien, sondern nur strikte Durchführung der von der
Reparationskommission bereits geforderten Maßnahmen, und
wollte eine Aufsicht über die staatlichen Forsten und Kohlen-
$ruben nur für den Fall herbeiführen, daß Deutschland seiner
12* 179
Pflicht zur Lieferung von Holz und Kohle nicht nachkommen
würde, Dieser Vorschlag fand bei Poincare keine Gnade.
Die englische Regierung suchte noch immer nach einem Aus-
wege. Nachdem ich aber im Auftrage der deutschen Regierung bei
einer vertraulichen Aussprache in London bestimmt erklärt hatte,
daß Deutschland unter keinen Umständen einen alliierten Zugriff
auf die staatliche Verwaltung der Bergwerke und Forsten be-
willigen würde, gab sie die weiteren Bemühungen, mit Poincare zu
einer Einigung zu kommen, als nutzlos auf. Die Konferenz von
London wurde am 14, August ohne Ergebnis abgebrochen.
Nunmehr war das Spiel von selbst wieder in die Hand der
Reparationskommission gegeben. Mit den unnützen Besprechungen
zwischen den alliierten Chefs hatte man einen kostbaren Monat
verloren. Der Dollarkurs war mittlerweile von 500 auf 1000 Mark
gestiegen. Im Schoße der Kommission wußte man nach wie vor
keinen Rat. Bei der ablehnenden Haltung Frankreichs war ein
Moratorium für Deutschland nicht zu erlangen. Irgendwie mußte
man aber doch versuchen, mit der Tatsache fertig zu werden, daß
Deutschland für den Rest des Jahres weitere Barzahlungen nicht
würde leisten können. Die Kommission griff zunächst zu dem ver-
zweilelten Notbehelf, die Entscheidung damit hinauszuschieben,
daß sie Sir John Bradbury und den Präsidenten des Garantie-
komitees Mauclere am 18, August nach Berlin mit dem Auftrage
entsandte, von der deutschen Regierung einige „unerläßliche Aus-
künfte“ einzuziehen. Der Besuch der beiden Herren wurde in Berlin
mit einer gewissen Hoffnung aufgenommen, Man glaubte, durch
eine Aussprache mit ihnen die Lösung des Reparationsproblems
anbahnen zu können. Sie erklärten aber sogleich bei ihrem Ein-
treffen, daß sie hierzu keinerlei Auftrag hätten, sondern daß sie
nur versuchen wollten, die Schwierigkeiten der Barzahlungen des
Jahres 1922 beizulegen. Beide gaben sich alle Mühe, die Formel
der produktiven Pfänder für Deutschland schmackhaft zu machen
und in irgendeiner Art dem Verlangen Poincares dadurch Rech-
nung zu tragen, daß die staatlichen Forsten und Kohlengruben
direkt oder indirekt als Unterpfand für Holz- und Kohlen-
lieferungen Deutschlands herangezogen würden, Die deutsche
180
Regierung aber blieb bei ihrer Ablehnung. Sie schlug ihrerseits
vor, die Holz- und Kohlenlieferungen praktisch dadurch zu sichern,
daß sie für den Fall der Minderlieferung einen angemessenen
Sicherheitsfonds, etwa in Höhe von 50 Millionen Goldmark, in
Devisen zur Verfügung der Alliierten stellte. Dieser Vorschlag
wurde von dem französischen Vertreter nach Einholung von
Instruktionen aus Paris abgelehnt. Darauf erbot sich die deutsche
Regierung, die Kohlenlieferungen, welche ja die Hauptrolle bei
den Sachleistungen spielten, dadurch zu sichern, daß die deutsche
Kohlenindustrie sich verpflichten solle, direkte private Lieferungs-
verträge mit den alliierten Abnehmern abzuschließen, und zwar
vorläufig bis zum 31. Dezember 1923. Damit sollte außer der
Haftung der deutschen Regierung auch noch die a,
Haftung der deutschen Lieferanten selber erreicht werden. Da
dieser Gedanke bei der Abreise der beiden Delegierten der Repa-
rationskommission aus Berlin noch nicht genügend durchgearbeitet
war, wurde vereinbart, ihn mit der Reparationskommission weiter
zu behandeln.
Nun konnte die Reparationskommission ihre Entscheidung über
den Antrag auf das Moratorium wirklich nicht mehr länger hinaus-
schieben. Sie gab gemäß der Vorschrift des Vertrages von Versailles
der deutschen Regierung Gelegenheit, sich über ihren Antrag
mündlich zu äußern. Staatssekretär Dr. Schröder ging nach Paris
und schilderte am 30. August der Reparationskommission in einer
eindrucksvollen Rede die deutschen Verhältnisse. Er wies darauf
hin, daß Deutschland bis Ende Juni 1922 die schwebende Schuld
des Reiches gemäß den Forderungen der Reparationskommission
eingeschränkt habe, In der Zeit vom 31. März bis 30. Juni habe
die schwebende Schuld sich nur um 23 Milliarden Mark erhöht,
die fast vollständig für Leistungen aus dem Versailler Vertrag
aufsewendet worden seien. Auch hätten sich die Einnahmen aus
Zöllen und Steuern aller Art viel besser entwickelt, als man bei
den Verhandlungen im Mai habe annehmen können. Es seien in
diesem Vierteljahr also nicht nur alle eigenen Ausgaben Deutsch-
lands aus dem Budget bestritten worden, sondern man habe auch
hoffen können, daß für die Reparation im Verlaufe des Jahres 1922
181
ein sehr erheblicher Betrag zur Verfügung stehen würde, Alle
Anstrengungen Deutschlands seien aber durch höhere Gewalt ver-
eitelt worden, nämlich durch die Enttäuschung über den Mißerfolg
des Anleihekomitees und durch die Ermordung des Ministers
Rathenau, Diese beiden Ereignisse hätten den Pessimismus in
Deutschland und im Auslande in bezug auf die Finanzen des Reichs
zu einer Panik gesteigert, die immer schlimmere Formen annehme.,
Die Entwicklung der Wechselkurse in den letzten Monaten werfe
jedes Budget über den Haufen und mache alle Hoffnung auf Ein-
dämmung der schwebenden Schuld für absehbare Zeit zunichte,
Dr. Schröder wendete sich ferner nachdrücklich gegen die An-
nahme, als habe die deutsche Regierung oder die deutsche Industrie
selber die Entwertung der Mark vorsätzlich herbeigeführt. Er wies
nach, daß durch den Fall der Mark das mobile deutsche Kapital
so gut wie vernichtet sei, und daß die deutsche Industrie, der es
angeblich so glänzend gehe, in Wahrheit nur ganz geringfügige
Dividenden — fast ohne Ausnahme viel weniger als ein Prozent —
auf ihr Kapital verteile. Die Katastrophe des Markkurses sei in
der Hauptsache auf die außenpolitische Lage und auf die Ver-
schleppung der Reparation zurückzuführen, Die Heilung könne
nicht durch Zwang, Drohung oder Diktat, sondern nur durch
Wiederherstellung des Vertrauens im Wege der Verständigung und
der Zusammenarbeit kommen. Eine Beschlagnahme der deutschen
staatlichen Bergwerke und Forsten werde die Reparations-
zahlungen nicht sichern, sondern die Flucht aus der Mark und die
völlige Zerrüttung der deutschen Finanzen nur beschleunigen. Die
deutsche Regierung sei aber bereit, für die Kohlenlieferungen noch
eine besondere Sicherheit in Form langfristiger privater Verträge
der deutschen Kohlenindustrie zu bestellen.
Ein Erfolg war diesen Ausführungen bei der Lage der Dinge
nicht beschieden. Ein Antrag Bradburys, das Moratorium bis Ende
1922 ohne weitere Bedingungen zu bewilligen und baldmöglichst
die Zahlungen für 1923 und 1924 festzusetzen, wurde mit drei
Stimmen gegen eine abgelehnt. Die Reparationskommission konnte
sich aber auch nicht dazu entschließen, den deutschen Antrag glatt
zurückzuweisen,
182
In letzter Stunde sprang Belgien mit einem Vermittlungsvor-
schlag ein. Da es kraft seiner Priorität die restlichen deutschen
Zahlungen für 1922 allein zu empfangen hatte, so erklärte es sich
bereit, an Stelle baren Geldes sechsmonatige deutsche Schatz-
wechsel anzunehmen, die von der Reichsbank zu garantieren seien.
Daraufhin faßte die Reparationskommission am 31, August folgen-
den Beschluß:
„Mit Rücksicht auf die Zerrüttung des deutschen Kredits und
der deutschen Währung wird die Entscheidung über: den Mora-
toriumsantrag noch ausgesetzt, bis die Reparationskommission ihre
Pläne für eine radikale Umgestaltung der deutschen öffentlichen
Finanzen, für eine dazu etwa nötige Ermäßigung der Reparalions-
last sowie für die Ausgabe von auswärtigen und inneren Anleihen
zwecks Besserung der deutschen Finanzlage ausgearbeitet hat.
In der Zwischenzeit ist die Reparationskommission bereit, .—
monatige in Gold zahlbare Reichsschatzwechsel für die bis ir
1922 zu leistenden Zahlungen anzunehmen. Die Garantien .
die Schatzwechsel sind zwischen der deutschen Regierung un
den zum Empfang der Zahlungen berechtigten Regierungen zu
vereinbaren." |
Die beiden belgischen Delegierten Delacroix und Ber mans
führten am 9. September 1922 eine entsprechende Verstän
in Berlin herbei. Die Reichsbank garantierte | die m. En
Schatzwechsel der deutschen Regierung für die Baer .-
zahlungen vom 15. August bis 15. Dezember 1922, im ganzen.
270 Millionen Goldmark. |
Das war der Ausgang der langwierigen des
Sommers 1922 über das Moratorium. Deutschland sah wir: are
mehr von weiteren Barzahlungen für den Rest des J a e air
Aber diese Zahlungen waren nur aufgeschoben. Sie ee
Fälligkeit der Schatzwechsel vom 15, Februar bis eur m er
1923 geleistet werden, vermehrten also die deutsche Sc - _
für das nächste Jahr. Ueber die Regelung der a a
dem 1. Januar 1923 war noch gar nichts a = on
bis zum Schluß des Jahres nur noch vier Monate : - here
diese Lebensfrage geregelt werden mußte, wenn anders
183
blickliche Erleichterung irgendeinen Zweck haben sollte, DerErfol
bestand vorläufig nur darin, daß für einige Monate keine Dan
mehr für die Reparation anzuschaffen waren. Aber um welchen
Preis war dieser Vorteil erkauft? Die deutsche Währung war
durch den neuerlichen Sturz der Mark vollkommen zerrüttet der
ae es ‚Reichs wegen in Unordnung gebracht, Der Bellire
riall der Finanzen ließ sich erzi atori Ü
1922 nur für ganz kurze Frist Eee erging
ZWANZIGSTES KAPITEL
| DIE NEBENLEISTUNGEN
AUS DEM VERTRAGE VON VERSAILLES
Während die deutsche Regierung mit der Reparationskom-
mission über den Aufschub der Barzahlungen aus dem Londoner
Zahlungsplan verhandelte, suchte sie von den alliierten Regie-
rungen auf diplomatischem Wege eine Milderung der vertrag-
lichen Leistungen zu erreichen, die außer der Reparation laufend
zu entrichten waren.
Wir haben von diesen Nebenleistungen schon im zweiten
Kapitel gesprochen und müssen noch ein Wort darüber sagen,
wie sie bis zum Abschluß des Moratoriums im Sommer 1922 be-
handelt worden sind,
| Bei ihren Beschwerden über die Nebenlasten konnte die deutsche
F Regierung bis zu einem gewissen Grade auf das Verständnis und
die Unterstützung der Reparationskommission rechnen. Denn was
Deutschland darauf abzahlte, ging nur an einzelne Alliierte und
benachteiligte alle anderen, die nichts davon bekamen.
Das galt vor allem von den Besatzungskosten. Sie wurden,
wie wir wissen, gemäß dem Beschluß der Reparationskommission
vom 21. März 1922 auf die Sachleistungen des Jahres 1922 an-
gerechnet, so daß Deutschland keine besonderen Zahlungen dafür
4 zu leisten hatte, Aber Verpflegungs- und Futtermittel für die
’ Besatzungstruppen mußten weiter geliefert werden; dazu kamen
3 die Requisitionen und die Kosten für militärische Anlagen und
i Bauten und für die Unterbringung der Truppen sowie die Kosten
der Rheinlandkommission.
184
185
Der Ausgleich der privaten Forderungen und Schulden aus der
Zeit vor dem Kriege — das Clearingverfahren nach Artikel 296
des Vertrages von Versailles — erforderte schon im Jahre 1929
derartig hohe Zahlungen, vor allem an England, daß auch die
Reparationskommission im gemeinsamen Interesse der Alliierten
sich bemühte, die deutschen Leistungen für das Clearing auf
längere Zeit zu verteilen, Ein Abkommen vom 10. Juni 1921
zwischen Deutschland und den am Ausgleichsverfahren beteiligten
Staaten — England, Frankreich, Belgien, Italien, Griechenland
und Siam — sah vor, daß Deutschland monatlich einen Pauschal.
betrag von 2 Millionen Pfund Sterling abzahlen solle. Ueber die
Auslegung des Abkommens entstand Streit, der sich längere
Zeit hinzog, Im Juli 1922 erklärte Deutschland, daß es auch beim
Clearing einen Aufschub haben müsse, Das führte zum Konflikt
mit Poincare, und am 17, August kündigten die Alliierten das
ganze Clearingabkommen, Seither hat Deutschland nichts mehr
im Ausgleichsverfahren geleistet,
Wie drückend diese Last für Deutschland war, ergibt sich aus
folgenden Zahlen: Deutschland hat im $Sanzen für das Clearing
die restlichen Verpflichtungen Deutschlands aus dem Clearing
insgesamt noch etwa 230 Millionen Goldmark betragen.
Mit besonders großer Sorge wurde in Deutschland die Tätig-
keit der gemischten Schiedsgerichtshöfe des Vertrages von
Versailles beobachtet, Wenn sie auch nur einen kleinen Teil der
Ersatzansprüche anerkannten, die auf Grund von deutschen Maß-
nahmen während des Krieges bei ihnen erhoben wurden, so drohte
die Gefahr, daß Deutschland neben der eigentlichen Reparation
noch eine zweite Entschädigung an eine Menge von Einzelpersonen
würde leisten müssen, Und in den meisten Fällen waren diese
privaten Ansprüche schon in den Forderungen enthalten, welche
die alliierten Staaten für die Reparation angemeldet hatten,
Im ganzen wurden be; den gemischten Schiedsgerichtshöfen
—— darunter fällt nicht das besondere Schiedsgericht für Kriegs-
schäden zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland —
186
SLR im Betrage von 8500 Millionen Goldmark erhoben.
Bei dem langsamen Gange des Verfahrens läßt sich das End-
' Ü hland
| is heute nicht übersehen. Barzahlungen hat Deutsc
en bisher nicht geleistet. Und für die Zukunft ist
die Gefahr einer nochmaligen Reparation abgewendet, da auch
’ Ä Deutschland durch die Ent-
die Beträge, zu deren Zahlung
a Fi Schiedsgerichtshöfe verpflichtet werden wird, aus
seinen Leistungen unter dem Dawesplan zu entnehmen sind.
187
EINUNDZWANZIGSTES KAPITEL
DIE ZEIT DER REPARATIONSPLÄNE
Im Herbst 1922 wurde die politische Lage Europas ständig
schlimmer, das Verhältnis zwischen Frankreich und England
immer gespannter, Dieser Zustand vernichtete die Hoffnung auf
eine baldige Regelung der Reparation. Fast jeden Sonntag hielt
Poincar& in irgendeinem Orte Frankreichs eine Rede — seine
„Sonntagspredigt” —, in der er mit hartnäckigem Haß aller Welt
immer die gleiche Lehre von dem verbrecherischen Deutschland
verkündete, das nur darauf hinarbeite, sich der Reparation zu
entziehen und das notleidende Frankreich um die Frucht seiner
vertraglich verbrieften Rechte zu bringen. Besonderes Aufsehen
erregte eine Rede von Poincar& in Bar le Duc am 21. August 1922,
die als Antwort auf die Note Balfours vom 1, August gemünzt
war, Balfour hatte in dieser berühmt gewordenen Note erklärt,
daß England bereit sei, bei einer vernünftigen Gesamtregelung
der interalliierten Schulden und der Reparation auf seine Forde-
rungen gegen die Alliierten und auf seinen Anteil an den Repa-
rationszahlungen Deutschlands zu verzichten, Dagegen predigte
Poincar&: Die interalliierten Schulden und die deutsche Repa-
rationsschuld könnten gar nicht in einem Atem genannt werden,
weil die Schulden zwischen den Alliierten eingegangen seien, um
der gemeinsamen guten Sache gegen Deutschland zu dienen. Die
deutsche Schuld aber sei entstanden aus Kriegsverbrechen, die
gesühnt werden müßten, Deutschland habe den Zusammenbruch
der Mark absichtlich herbeigeführt, um sich seinen Verpflichtungen
zu entziehen. Ein Moratorium dürfe nur gegen ganz bestimmte
188
Rechnung, der angeblich nur wegen der Veröffentlichung der
neue Pfänder in Betracht kommen, Frankreich werde keines der
Rechte aufgeben, die es für den Ersatz seiner Kriegsschäden er-
langt habe. .
Diese Reden Poincarös, die sich ständig und eintönig wieder-
holten, ließen klar erkennen, daß unter seiner Regierung Frank-
reich einer vernünftigen Auffassung der wirtschaftlichen Weltlage
nicht zugänglich sein würde. Dennoch gingen die Bemühungen
um die Regelung der Reparation unablässig weiter. Kein Jahr
hat so viel Reparationspläne an das Licht kommen sehen wie das
Jahr 1922. Daß man an den 132 Milliarden des Londoner Zahlungs-
planes nicht mehr festhalten konnte, war ‚auch in Frankreich
jedermann klar geworden. Dem trug sogar ein französischer Plan
' | im August 1922
Balfour-Note nicht auf der Londoner Konferenz im.
a wurde. Danach sollte Deutschland 50 Milliarden Gold-
mark zahlen, in der Hauptsache durch internationale Anleihen.
Der Restbetrag sollte gegen die interalliierten Schulden kom-
pensiert werden,
Ueberall ging man davon aus, daß der on ao
Zahlungen; die man von Deutschland erwarten könne, _ au
50 Milliarden Jetztwert zu bemessen sei. Innerhalb dieses Ra _
wurden alle möglichen Vorschläge gemacht. Sie krankten ‘ er
meist an dem Fehler, daß sie die Verzinsung und ee: einer
bestimmten Schuld von Deutschland in einer Zeit a - =
wegen der Zerrüttung der Finanzen die Zahlungsfähig -. er
Reichs überhaupt nicht zu übersehen war. Die aa en
brachten auch die Regelung der Reparation ın direkten ka Pi
hang mit der Frage der interalliierten Schulden. Sie wo rn er
Lösung durch einen umfassenden Verzicht Amerikas Fai Ns
lands auf ihre Forderungen Kr ” Kun h er
echende Ermäßigung der deutschen ratio %
ra zeigte sich ar daß in Amerika keinerlei Neigung be
stand, einen solchen Verzicht auszusprechen.
Aus der Erkenntnis, daß es nicht möglich sein ei ne pe
Wegen voranzukommen, entstanden Pläne, die - . . _
zu einer vernünftigen Lösung zu gelangen suchten. Ich ha
189
im Sommer 1922 einen Plan entworfen, der seinerzeit vom
„Manchester Guardian“ veröffentlicht worden ist. Mir war klar,
daß damals weder eine endgültige Regelung des Reparations-
problems noch ein Moratorium erreichbar sei. Daher schlug ich
vor, die Reparation vorläufig so zu regeln:
„Deutschland macht Sachleistungen — einschließlich Kohle —
in Höhe von 1 Milliarde Goldmark jährlich. Soweit die alliierten
Regierungen ihren Anteil an den Sachleistungen innerhalb jedes
einzelnen Jahres nicht voll ausnutzen, verfällt ihr Anspruch.
Deutschland zahlt außerdem einen gewissen Prozentsatz seiner
jährlichen Bruttoausfuhr an die Alliierten, aber so, daß die Aus-
fuhr bis zur Höhe von mindestens vier Milliarden Goldmark für
die Deckung des eigenen Einfuhrbedarfs von der Abgabe frei-
bleibt. Von der Ausfuhr, die vier Milliarden übersteigt, zahlt
Deutschland einen mit 10 Prozent beginnenden und allmählich
bis zu 25 Prozent wachsenden Betrag als Reparation. Deutsch-
land verpflichtet sich ferner, Zinsen und Tilgung auf jede inter-
nationale Anleihe zu zahlen, die zu vernünftigen Bedingungen
angeboten wird. Der Anleihedienst wird auf die jährlichen Ge-
samtleistungen Deutschlands angerechnet, Das Abkommen gilt
zunächst für drei Jahre, dient aber als Grundlage für eine end-
gültige Lösung, wenn es zwei Jahre lang für beide Teile be-
friedigend gearbeitet hat, Die Zahlungen nach diesem Schema
umfassen die sämtlichen deutschen finanziellen Verpflichtungen
aus dem Vertrage von Versailles,"
Der Plan ist gleich vielen anderen Vorschlägen unbeachtet ge-
blieben. Neu an ihm war, daß er zum erstenmale dem Problem
zu Leibe ging, wie Deutschland sich die zur Zahlung der Repa-
ration an das Ausland nötigen Devisenbeträge beschaffen könne.
Er schöpfte aus der einzig richtigen Quelle des Ausfuhrüber-
schusses und benutzte der Einfachheit halber den im Londoner
Zahlungsplan eingeführten Schlüssel der prozentualen Abgabe
von der deutschen Ausfuhr, suchte ihn aber dadurch praktisch
brauchbar zu machen, daß die Reparationszahlungen erst dann ein-
setzen sollten, wenn die Ausfuhr einen bestimmten, für Deutsch-
lands eigenen dringenden Devisenbedarf erforderlichen Mindest-
190.
betrag überschreiten würde, Dafür sollten die Alliierten durch
eine mit der Höhe der deutschen Ausfuhr steigende prozentuale
Abgabe an der Besserung der deutschen Wirtschaft interessiert
werden.
Ende September 1922 setzte ein neuer Marksturz ein, der den
Dollarkurs in Berlin bis zum 8. November auf über 9000 Mark
trieb, Der Streit um das Moratorium ging weiter. In den Kreisen
der Reparationskommission bemühte man sich krampfhaft, eine
Formel zu finden, der auch die französische Regierung zustimmen
könnte, Sir John Bradbury schlug zunächst vor, Deutschland solle
— ohne formelle Aenderung des Londoner Zahlungsplanes —
von Barzahlungen für 1923 und 1924 befreit werden, aber in Höhe
der gestundeten Schuldbeträge fünfjährige Schatzscheine aus-
stellen, welche die alliierten Mächte mit ihrer eigenen Garantie
voraeien in Umlauf setzen würden. Die Sachleistungen sollten
wie bisher weiterlaufen und gegen die deutschen Schatzscheine
verrechnet werden, Damit wären die deutschen Barzahlungen für
1923 und 1924 auf fünf Jahre gestundet worden. Während der
Ruhepause sollte Deutschland zur Goldwährung zurückkehren. Die
Papiermark sollte mit Hilfe eines Reservefonds von 500 Millionen
Goldmark, den die Reichsbank zur Verfügung zu stellen hätte,
zum Kurs von 4000 Mark für den Dollar eingelöst werden. Der
Rest des Reichsbankgoldes von 500 Millionen Goldmark sollte
als Sicherheit für ausländische Handelskredite in das Ausland
gebracht werden.
Auch dieser Vorschlag wurde nicht weiter verfolgt. Ein
französischer Gegenvorschlag zur Stabilisierung der Mark, von
dem damals viel Aufhebens gemacht wurde, erblickte nicht das
Licht des Tages. Die französischen Sachverständigen erstickten
förmlich in dem Wust der Entwürfe, die nach den Weisungen
Poincares ständig von Grund auf geändert werden mußten.
Schließlich kam bei der ganzen Sache überhaupt nichts a
In jener Zeit arbeitete man in der es Br
jede Fühlung miteinander, meist sogar gegeneinander. hc .
mand einen besseren Rat zu geben wußte, nach außen ae ©
der Eindruck erweckt werden sollte, als ob doch etwas geschehe,
191
einigte man sich vor lauter Verlegenheit wieder darauf, daß die
Reparationskommission, diesmal in corpore, nach Berlin gehen
sollte. Einen Plan nahm sie nicht mit, da sie keinen hatte, Ver-
nünftige Vorschläge waren genug gemacht, aber die Entschluß-
kraft fehlte, In der Reparationskommission tauchte die Idee auf,
das Bankierkomitee wieder zusammenzurufen, zumal da J. P.
Morgan sich noch in Europa aufhielt, Das Komitee sollte sofort ein
internationales Syndikat bilden, um im Verein mit der deutschen
Regierung Maßnahmen zur Stabilisierung der Mark zu ergreifen.
Schon damals sprach man davon, daß ein Komitee von Sachver-
ständigen die Zahlungsfähigkeit Deutschlands und die Frage der
interalliierten Schulden untersuchen solle. Diese Ideen waren so
weit gefördert, daß sie auch mit der französischen Regierung be-
handelt wurden. Dabei gelang es angeblich, die Zustimmung des
Präsidenten der Republik Millerand zu erhalten, während Poincare
sich nach wie vor gegen alles sträubte,
Die Reparationskommission hielt sich Anfang November etwa
eine Woche lang in Berlin auf. Allgemein erwartete man, daß
sie der deutschen Regierung wenigstens einige Fingerzeige geben
würde, die in der verzweifelten Lage von Nutzen sein könnten.
Aber ihr Vorsitzender Barthou drehte in Berlin den Spieß um.
Er forderte die deutsche Regierung auf, selber einen Vorschlag
für die Stabilisierung der Währung und die Ordnung des Haus-
halts zu machen, und beschränkte sich auf die Kritik,
Es traf sich, daß gerade in jenen Tagen die deutsche Regierung
aus eigenem Antriebe eine Reihe internationaler Sachverständiger
auf dem Gebiete der Währungsfragen nach Berlin berufen hatte,
um ihren Rat über die Möglichkeit der Stabilisierung der Mark
einzuholen, Anfänglich schien es, als ob dieser selbständige Schritt
der deutschen Regierung bei der Reparationskommission eine
gewisse Verstimmung auslösen würde, zumal da unter den Sach-
verständigen Männer wie Keynes und Cassel waren, welche die
Reparationspolitik der Alliierten scharf angegriffen hatten. Es
gelang aber nicht nur, jede Reibung zu vermeiden, sondern auch
die Arbeit der Sachverständigen für die Verhandlungen mit der
Reparationskommission nutzbar zu machen, Am 4, November 1922
192
übergab die deutsche Regierung der Reparationskommission
folgenden Plan:
„Eine wirksame und dauernde Stabilisierung der Mark ist erst
möglich, wenn die Reparationsfrage entsprechend der Leistungs-
fähigkeit Deutschlands endgültig geregelt ist. Darauf kann jedoch
nicht gewartet werden, weil die Lösung des Reparationsproblems
bei aller Beschleunigung zu viel Zeit beansprucht. Jeder Zeit-
verlust bedeutet eine neue Verschlechterung der Mark und macht
die Finanzreform immer schwieriger. Es müssen deshalb schon
jetzt unverzüglich alle Schritte unternommen werden, die geeignet
erscheinen, der weiteren Zerrüttung der Mark Einhalt zu tun.”
„Zur Stützung der Mark ist das Zusammenwirken Deutsch-
lands mit der Kapitalkraft des Auslandes nötig. Deshalb soll
unter Mitarbeit der Reichsbank ein internationales Syndikat zur
Beschaffung eines Bankkredits von mindestens 500 Millionen
Goldmark für die deutsche Regierung gebildet werden.”
„Da die Erörterungen über das Zustandekommen eines solchen
Bankkredits und über die Bedingungen hierfür Verhältnisse be-
rühren, die zur Zuständigkeit der Reparationskommission ge-
hören, so möchte die deutsche Regierung zunächst davon ab-
sehen, einen bestimmten Antrag zu stellen. Sie glaubt, daß ge-
eignete Vorschläge am besten durch eine gemeinsame Beratung
von internationalen Finanzmännern vorbereitet werden können,
und schlägt daher vor, daß die Reparationskommission ohne
Verzug ein solches Komitee einberuft, um die Frage zu prüfen,
ob und unter welchen Bedingungen die Gewährung von inter-
nationalen Bankkrediten zum Zwecke der Festigung des Mark-
kurses möglich erscheint. Wenn durch einen derartigen Bank-
kredit die Vorbedingungen für eine wirksame Stützung der Mark
gegeben sind, ist Deutschland entschlossen:
a) seinen Haushalt im Gleichgewicht zu halten,
b) eine Besserung der Handels- und Zahlungsbilanz durch
wirtschaftliche Maßnahmen, insbesondere durch Steigerung
der Produktion, herbeizuführen,
c) die schwebende Schuld einzudämmen,
d) innere Anleihen aufzunehmen.
Bergmann, Der Weg der Reparation 13 193
Dieser etwas zaghafte Vorschlag wurde durch eine weitere
Note vom 8. November erläutert und durch das Gutachten der
Herren Vissering, Dubois und Brand unterstützt, Diese Sachver-
ständigen verlangten, daß während der Tätigkeit des inter.
nationalen Syndikats und bis zur vollständigen Rückzahlung der
vom Syndikat geleisteten Vorschüsse Deutschland von jeder Bar-
zahlung auf Grund des Vertrages von Versailles sowie von allen
Sachlieferungen für Reparationszwecke vorübergehend befreit
Gebiete auch während des Stabilisierungsprozesses zu über-
nehmen, insoweit es möglich sei, diese Leistungen ohne Ver-
mehrung der schwebenden Schuld aus dem Reichshaushalt oder
durch innere Anleihen zu bestreiten.
Die Reparationskommission nahm den Vorschlag stillschweigend
entgegen und reiste nach Paris zurück. Eine Antwort darauf er-
teilte sie auch später nicht,
Die Note stellte weiterhin Richtlinien für die Ordnung des Reichs-
haushalts auf und schloß mit dem Antrag, die Reparations-
kommission möge schleunigst eine endgültige Festsetzung der
deutschen Schuld herbeiführen und eine Konferenz von inter-
nationalen Finanzleuten zur Beratung der geplanten Stützungs-
aktion einberufen, Der Note beigefügt waren die Berichte der
internationalen Sachverständigen über die Stabilisierung der Mark.
Diese stimmten darin überein, daß Deutschland für einige Jahre
194
von allen Leistungen aus dem Vertrage von Versailles befreit
werden müsse, Die Gruppe Brand, Cassel, Jenks und Keynes ver-
trat aber nachdrücklich die Ansicht, daß die Stabilisierung der
Mark in erster Linie von Deutschlands eigener Kraft, dem Einsatz
seiner eigenen Mittel und dem entschlossenen Vorgehen seiner
Regierung ausgehen müsse, Es sei verkehrt, die Hilfe des Aus-
landes zur Grundlage des Stabilisierungsplanes zu machen. Einige
technische Voraussetzungen für den Erfolg der Stabilisierung
lägen schon vor: die große Goldreserve der Reichsbank, die
Knappheit an Zahlungsmitteln und die Differenz zwischen der
äußeren und inneren Kaufkraft der Mark. Diese Tatsachen machten
es leicht, die Herrschaft über den Geldmarkt zu gewinnen, Bei
einem Dollarkurs von 3500 Mark sei der Goldbestand der Reichs-
bank mehr als doppelt so groß wie der Wert des Notenumlaufs,
Das sei noch nie dagewesen. Noch keine Währung sei mil einer
so großen unausgenutzten potentiellen Tragkraft zusammen-
gebrochen.
Das Gutachten der Herren Vissering, Dubois und Kamenka
kam dagegen zu dem Schluß, daß zur vorläufigen Stabilisierung
der Mark die finanzielle Hilfe des Auslandes von vornherein in
großem Umfang notwendig sei, um das verlorengegangene Ver-
trauen in die Zukunft der deutschen Währung wieder zu erwecken.
Diese zweite Gruppe der Sachverständigen faßte eine allmähliche,
sehr erhebliche Besserung der Mark ins Auge, während die
angelsächsische Gruppe es für richtig erklärte, von vornherein
einen festen niedrigen Stabilisierungskurs einzuführen und zu
diesem Kurs sofort die Papiermark in Gold umzutauschen.,
Die gründliche und wertvolle Arbeit all dieser Sachver-
ständigen hat damals leider keinerlei Nutzen gebracht. Die Repa-
rationskommission gab der Note der deutschen Regierung vom
14, November 1922 keine Folge.
Wenige Tage später wurde mir in Paris mitgeteilt, daß irgend-
ein praktisches Interesse für die deutschen Finanzen in Amerika
und England nur in dem Fall zu erwarten sei, daß die Repa-
rationsschuld endgültig auf eine bestimmte Summe herabgesetzt
würde. Der Gedanke des Moratoriums in Verbindung mit einer
195
vorläufigen Lösung der Reparation trat wieder in den Hinter-
grund. Offenbar scheiterten alle die schönen Pläne an dem Wider.
stand der französischen Regierung.
. Von neuem wandte man sich der Frage zu, ob nicht eine end-
gültige Lösung zu finden sei. Vor allem beschäftigte sich Sir John
Bradbury damit. Auch die anderen Mitglieder der Reparations-
kommission schlossen sich der Meinung an, daß man mit der
Stabilisierung der Mark und dem Moratorium allein nicht vorwärts
komme, sondern sich trotz aller Schwierigkeiten mit dem Ge-
danken einer vollkommenen Regelung der Reparation befreunden
müsse. Die Alliierten, insbesondere Frankreich, planten damals
eine neue interalliierte Konferenz in Brüssel, um die Reparation
im Zusammenhange mit der Frage der interalliierten Schulden zu
behandeln. Die Einberufung der Konferenz aber wurde durch den
Rücktritt des englischen Kabinetts unter Lloyd George verzögert.
Auch brauchte man auf allen Seiten Zeit, um Vorschläge zur
Lösung der beiden großen Probleme vorzubereiten, Ich erhielt
den Rat, die deutsche Regierung zur Einreichung eines umfassen-
den Reparationsprogramms zu bestimmen, da es für keinen der
Alliierten möglich sein würde, mit einem Plan hervorzutreten,
der eine wesentliche Herabsetzung der deutschen Schuld in sich
schlösse,
Die neue englische Regierung unter Bonar Law verhielt sich
abwartend und ließ die Dinge an sich herankommen. Die
Stimmung in England war gegen die Abhaltung der Konferenz
von Brüssel, weil man fürchtete, daß Frankreich als Entgelt für
eine geringfügige Herabsetzung der deutschen Reparation die
Streichung seiner gesamten interalliierten Schulden verlangen
würde, Die Engländer wollten sich nicht der Gefahr aussetzen,
daß in Brüssel die sämtlichen Verbündeten von England fordern
würden, es solle seine eigenen Ansprüche aus Darlehen während
des Krieges und nach dem Kriege streichen und außerdem seinen
Anteil an der Reparation aufgeben, während in der Reparations-
frage Frankreich auf unvernünftig harten Bedingungen bestehen
würde, deren Annahme wiederum nur durch Bedrohung mit
Sanktionen von Deutschland zu erreichen war. Eine solche Lösung
196
wäre für die englische öffentliche Meinung unerträglich gewesen.
Poincar& dagegen hatte sich in der Oeffentlichkeit dermaßen auf
eine baldige Eröffnung der Brüsseler Konferenz festgelegt, daß
er alle Hebel in Bewegung setzte, um die Bedenken Englands zu
überwinden. Dabei wurde er von Mussolini, dem neuen Chef der
italienischen Regierung, energisch unterstützt. Schließlich kam
man überein, die neue Reparationskonferenz durch eine Be-
sprechung der alliierten Premierminister in London vorbereiten
zu lassen, Einen Erfolg versprach man sich davon freilich von
vornherein nicht.
Die bei der Reparationskommission immer noch gehegten Hoff-
nungen, daß das Bankierkomitee für die Reparationsanleihe wieder
zusammentreten könnte, waren inzwischen jäh vernichtet worden.
J. P. Morgan hatte sich im Sommer und Herbst 1922 in Europa
aufgehalten und stand im Begriff, von London aus nach New York
zurückzureisen. Nun waren auf Veranlassung von Delacroix,
der trotz aller Fehlschläge seine Bemühungen eifrig fortsetzte,
Vissering und Dubois nach Abschluß ihrer Arbeiten für die Stabili-
sierung der deutschen Mark von Berlin nach Paris gefahren, um
die Bildung des internationalen Stützungssyndikats für die Mark
weiter zu verfolgen. Delacroix führte sie in Paris mit den
belgischen Ministern Theunis und Jaspar zusammen. Man trat
auch an Poincar& heran, und es gelang tatsächlich, ihn dazu zu
überreden, daß er J. P. Morgan nach Paris einladen ließ, um mit
ihm über das Reparationsproblem zu sprechen. Das mag rg
nicht ganz leicht gefallen sein, weil die Einladung als eine Zurüc -
nahme der schroffen Aeußerung aulgefaßt werden konnte, mit
der Poincar& im Juni die Bankierkonferenz auseinandergesprengt
hatte, Morgan antwortete auf die nach London übermittelte
ladung zunächst ausweichend, wohl um zu zeigen, daß er sich
nicht beliebig heranzitieren lasse. Kurz vorher hatte Poincare
nämlich im Senat und in der Kammer erklärt, daß die nd
der Pariser Bankierkonferenz vom Juni nicht weiter bedauerlic
sei, weil die Bankiers gern jederzeit wieder a
Würden, wenn man sie nur riefe, denn sie hätten ja lediglich ihr
Geldinteresse im Auge. Diese Bemerkung muß Morgan ganz be-
197
sonders verstimmt haben. Immerhin erklärte er sich nach einigem
Zureden bereit, nach Paris zukommen. Es erging nun eine formelle
Einladung an ihn, allerdings nicht von Poincar& persönlich, sondern
durch den französischen Finanzminister, in der eine Begegnung
zwischen Poincare und Morgan auf den 22. November fest ver-
einbart war. Alles schien in bester Ordnung zu sein, als ein Tele-
gramm von Morgan bei Poincar& eintraf, in dem unter anderem
gesagt war, daß eine Besprechung über die Reparationsfrage nur
dann Zweck haben würde, wenn Poincar& sich grundsätzlich
darüber klar sei, daß Deutschland ein mehrjähriges Moratorium
haben müsse, Darauf ließ Poincare antworten, daß seine Zeit am
22. November mit wichtigen Ministerratssitzungen dermaßen be-
legt sei, daß er zu seinem Bedauern Morgan an dem festgesetzten
Tage nicht sprechen könne, Damit war die Sache zu Ende. Morgan
reiste von London direkt nach New York ab.
Der Eindruck, den dieser zweite Zwischenfall in den Kreisen
der Reparationskommission machte, war niederschmetternd, Man
sah die wirtschaftliche Katastrophe nicht nur in Deutschland,
sondern in ganz Europa kommen, Der Stabilisierungsplan für die
Mark hatte keine Aussicht auf Verwirklichung mehr, nachdem
Morgan voller Aerger abgereist war.
Immer mehr: vertrat das angelsächsische Kapital den Stand-
punkt, kein Geld für Deutschland aufzuwenden, solange die
Reparationsfrage nicht vollständig gelöst sei. Poincares politische
Stellung aber wurde immer stärker, da er wegen seiner Erfolge in
der französischen Orientpolitik die ganze Kammer hinter sich
hatte und niemand wagte, ihn öffentlich anzugreifen. Nunmehr
verstummten auch die Ratschläge, Deutschland solle selbst einen
Plan für die endgültige Regelung der Reparation vorlegen. In
Paris und London gab man offen zu, daß keine deutsche Offerte
Aussicht auf Erfolg habe, solange Poincar& am Ruder sei.
Wenn Deutschland die Stabilisierung der Mark durchführen
wollte, so war es klar, daß es die Aufgabe nunmehr ohne aus-
ländische Hilfe würde lösen müssen. Da aber die Stabilisierung
ohne ein mehrjähriges Moratorium nicht möglich schien und von
Poincar& kein Moratorium zu haben war, wenn Frankreich dafür
198
2
’
nicht eine Gegenleistung in Form von erheblichen Zahlungen er-
hielt, so mußte Deutschland, wenn es überhaupt noch praktisch
Reparationspolitik treiben wollte, den Boden seiner letzten Note
vom 14, November erheblich erweitern. Trotz der bitteren Ent-
täuschungen, die die deutsche Regierung mit ihren Vorschlägen
bisher erlebt hatte, entschloß sie sich doch dazu, ein neues An-
gebot an die Alliierten zu machen. |
Auch Deutschland hatte soeben seine Regierung gewechselt. Die
durch innere und äußere Schwierigkeiten vollständig erschöpfte
Regierung Wirth war gefallen. Sie wurde durch das Kabinett
Cuno ersetzt, in welchem Hermes Finanzminister blieb. Dr. Cuno
brachte aus seiner bisherigen Stellung als Generaldirektor der
Hamburg - Amerika Linie weitreichende Beziehungen mit, vor
allem zu amerikanischen Finanzkreisen. Hermes war durch se
erfolgreichen Pariser Verhandlungen vom Mai 1922 rw :
genoß bei den Alliierten Achtung und Vertrauen. Mit a Fat-
kraft und frischem Entschluß trat das Kabinett an seine schwierige
außenpolitische Aufgabe heran. In seinem Eifer, die Reparation
durch eigene Vorschläge zu fördern, ließ es sich durch Warnungen
von keiner Seite irre machen, Leider aber mußten alle An
der Reparation und der französischen Regierung en <
jeder Vorschlag, den Deutschland machen würde, ganz gleich-
gültig, ob er vernünftig oder unvernünftig war, zwecklos .
müsse, Poincare würde ihn schon deshalb ablehnen, weil er er
von Deutschland kam. Bei dem Uebergewicht der politisc pie
Macht Frankreichs war keine Aussicht dafür, Free in der
Reparationsfrage umzustimmen oder zu überstimmen. Wol - man
einen deutschen Vorschlag mit Aussicht auf Erfolg mac "es ”
durfte man ihn nicht auf einer Konferenz vorlegen, wo er sofor
nach seiner Verlesung zurückgewiesen worden wäre, sondern ga
mußte ihn erst mit Sachverständigen der Allüierten, am a:
Mitgliedern der Reparationskommission, sorgfältig ae je
Der einfachste Weg wäre sicherlich gewesen, nei we
Sachverständige der französischen Regierung beraru 2
dieser Weg, der früher offenstand und auch Br: w 2. er
seit der Konferenz von Genua und dem Zwischenfall von Rap
199
verschlossen, Diejenigen F ranzosen, vor allem Seydoux, welche
das Reparationsproblem kannten und vernünftig beurteilten, waren
seit jener Zeit von Poincare kaltgestellt worden und für deutsche
Vertrauensleute nicht mehr zu erreichen, Mit Poincar& selber aber
die Dinge so zu behandeln, daß man einer praktischen Lösung
näher kam, war ganz unmöglich. Er ließ sich grundsätzlich mit
Deutschen nur auf ganz offizielle Audienzen ein, bei denen er
nichts anderes sagte als: ‚Ich verlange die strikte Erfüllung des
Vertrages von Versailles.“ Er hatte eben keinerlei Verständnis
dafür, daß es nötig war, durch vernünftige Verhandlungen den
Vertrag erst ausführbar zu machen. Durch alle diese Tatsachen
aber ließ sich, wie gesagt, die neue deutsche Regierung nicht ent-
mutigen,
Bei der Begegnung der Premierminister von England, Frank-
reich, Italien und Belgien in London ließ Reichskanzler Cuno am
9. Dezember 1922 mit einem Schreiben an Bonar Law einen Vor-
schlag überreichen, der die Verpflichtungen Deutschlands aus dem
Londoner Zahlungsplan für die nächsten J ahre regeln, aber auch
der endgültigen Ordnung der Reparationsfrage die Wege ebnen
sollte. Der Vorschlag, der auf Anregungen des Direktors der
Deutschen Bank Wassermann zurückging, bezweckte in erster
Reihe die Stabilisierung der Mark gemäß der deutschen Note
vom 14, November, jedoch mit dem Zusatze, daß die deutsche
Regierung entschlossen sei, den Versuch zur Stabilisierung mit
eigenen Mitteln zu unternehmen, falls sich die Gewährung fremder
Kredithilfe für den Augenblick als unmöglich erweisen sollte.
Ferner schlug Deutschland vor, für die nächsten Jahre die laufen-
den Reparationsverpflichtungen durch eine in Deutschland und
im Auslande aufzulegende Goldanleihe zu begleichen. Der in
Deutschland zu begebende Teil der Anleihe sollte mit 4 Prozent
verzinst und mit % Prozent getilst werden. Die Zeichner sollten
weitgehende Steuerfreiheit genießen, vor allem in bezug auf Erb-
schaftssteuer und Kapitalertragssteuer. Außerdem sollte eine
Amnestie wegen etwaiger Verstöße gegen die Kapitalfluchtgesetze
zugesichert werden. Auf diese Weise hoffte man das im Ausland
versteckte deutsche Kapital zur Rückkehr nach Deutschland und
200
zur Beteiligung an der Reparationsanleihe zu veranlassen. Der
Erlös der äußeren Anleihe sollte der Reparation in voller Höhe
zugute kommen, Von dem Erlöse der inneren Anleihe sollte die
Hälfte an die Reparationskommission abgeführt werden, während
die andere Hälfte bis zur Höhe von anderthalb Milliarden Gold-
mark Deutschlands eigenen Bedürfnissen, insbesondere der Ord-
nung der Währung und dem Ausgleich des Reichshaushalts dienen,
mit einem etwaigen Mehrerirag aber ebenfalls der Reparation zu-
fließen sollte. Gleichzeitig mit der Ausgabe der inneren Anleihe
wollte die deutsche Regierung der Reparationskommission drei
Milliarden deutsche Goldschatzanweisungen zur freien Verfügung
übergeben. Diese sollten durch die deutschen Zolleinnahmen sicher-
gestellt werden und das Vorrecht vor allen anderen Zahlungs-
verpflichtungen aus dem Vertrag von Versailles erhalten.
Dafür beantragte die deutsche Regierung Befreiung von allen
Barzahlungen für zwei Jahre sowie von Sachlieferungen, die
nicht aus dem deutschen Haushalt bestritten werden könnten. Für
jede Milliarde Goldmark, welche die Reparationskommission aus
dem Erlös der inneren Goldanleihe erhalten würde, sollte Reue
land für ein weiteres Jahr von Barzahlungen frei sein. Die Regelung
war für höchstens fünf Jahre gedacht.
Das Angebot von Dr. Cuno wurde von Bonar Law in der
Konferenz der Premierminister verlesen. Wie nicht anders zu =
warten war, beantragte Poincar& sofort die Zurückweisung =
deutschen Vorschlags ohne jede Diskussion, da er völlig —_
nehmbar sei. Dabei blieb es denn auch. Bonar Law teilte Dr. Cuno
am 10. Dezember 1922 mit, daß sein Angebot bei der Pe
wärtigen Lage nicht als befriedigend angesehen werden h jean
Wieder einmal hatte der Starrsinn Poincares jede kiasran
Besprechung des deutschen Vorschlags von ... ._ “
Dabei wäre dieser einer ernsthaften Behandlung woh 2 z -
wesen, Das wurde mir damals in London von wi
belgischen Mitgliedern der En er = is wer
n, Das Angebot der Goldanleihe wa h
en wenn . im einzelnen mehr ausgebaut ee
Sie vermißten vor allem eine Erklärung dahin, daß die
201
Großindustrie das Angebot der Regierung unterstütze und den
Erfolg’ der Anleihe zu einem Teile selber garantiere, Zu einer
glatten. Zurückweisung des sorgfältig überlegten deutschen Vor-
schlags lag jedenfalls kein ernsthafter Anlaß vor.
Mussolini brachte dann noch einen italienischen Vorschlag für
die Lösung der Reparationsfrage vor, der in der Konferenz eben-
falls keinen Anklang fand.
Da sachliche Ergebnisse nicht zu erzielen waren, beantragte
Poincare die Ergreifung von Strafmaßnahmen gegen Deutsch-
land, vor allem die Besetzung des Ruhrgebiets. Das wurde von
der Konferenz abgelehnt. Darauf vertagte man sich mit dem Be-
schluß, die Besprechung unter den Premierministern am 2. Januar
1923 fortzusetzen,
In den beiden letzten Wochen des Dezember 1922 arbeitete
die Berliner Regierung trotz des Mißerfolges in London fieberhaft
an der Aufstellung eines umfassenden Angebotes für die voll-
ständige Lösung der Reparationsfrage. Sie wollte den Alliierten
durch die Tat beweisen, daß es ihr mit der Erfüllung ihrer Repa-
rationspflicht bitterer Ernst sei. Zahlreiche Sachverständige aus
Finanz und Industrie wurden zu den Beratungen hinzugezogen. Es
sollte ein Plan ausgearbeitet werden, der die deutsche Leistungs-
fähigkeit voll ausschöpfte. Bei diesen Besprechungen teilte ich
die Grundzüge eines Planes von Sir John Bradbury mit, die ich
soeben in London erfahren hatte. Er baute sich im wesentlichen
auf den Ideen des Vorschlags auf, den England bald darauf der
Pariser Konferenz vorlegte, und den wir noch näher behandeln
werden. Man hatte mir in London nahegelegt, die deutsche
Regierung solle den englischen Plan aufgreifen und zu dem ihrigen
machen. Die deutschen Sachverständigen aber lehnten ihn als
unausführbar ab. Sie selber kamen freilich auch nur sehr schwer
zur Verständigung über einen eigenen Plan. Erst in den Weih-
nachtstagen wurde das deutsche Angebot fertiggestellt. Dr. Cuno
und sein Außenminister von Rosenberg wollten es noch vor dem
Zusammentreffen der Alliierten in Paris veröffentlichen. Nur mit
Mühe ließen sie sich endlich davon überzeugen, daß es unter
den gegebenen Verhältnissen ganz aussichtslos war, mit irgend-
202
welchem: deutschen Angebot auch nur einen moralischen Erfolg
zu erzielen. Es wäre von der französischen Presse sofort nieder-
geschrien und von Poincare glatt abgelehnt worden.
In Paris herrschte bei der Reparationskommission gleichfalls
eifrige Tätigkeit. Sie war aber nicht aufbauender Natur, sondern
beschränkte sich darauf, deutsche Verfehlungen festzustellen.
Nach dem Mißerfolg der Londoner Konferenz wurde es immer
klarer, daß die französische Politik darauf ausging, Sanktionen
gegen Deutschland zu ergreifen. Das war nur möglich, wenn die
Reparationskommission Verstöße Deutschlands gegen seine Repa-
rationspflicht feststellte. Allerdings sah es zunächst so aus, als
trete die von Poincar& ständig angedrohte Besetzung des Ruhr-
gebietes in den Hintergrund. Er erklärte in der Kammer und vor
den Vertretern der Presse, daß die militärische Besetzung der
Ruhr nicht der einzig mögliche Weg sei, von Deutschland
materielle Sicherheiten zu erhalten, daß er vielmehr seine Politik
der produktiven Pfänder durch administrative Maßnahmen ım
Rheingebiet zu verwirklichen suche, _
Schon am 20. Oktober 1922 hatte die französische Delegation
bei der Reparationskommission beantragt, Deutschlands ..
hafte Verfehlung in bezug auf die Holzlieferungen an Frankreic
festzustellen. In der Tat waren die Lieferungen von Holz aus
dem Vertrage von Versailles Gegenstand dauernden Streites mit
der Kommission gewesen. Die Alliierten behaupteten, daß Deutsch-
land dank seines Waldreichtums gerade in Holzlieferungen für
den Wiederaufbau Großes leisten könne. Dagegen erklärte die
deutsche Regierung, daß das Reich keine eigenen Holzbestände
habe, sondern sich an die einzelnen Länder als Besitzer der
Waldungen und an den Holzhandel wenden müsse, also ganz
von der Marktlage abhängig sei. Wie bei allen re aus
dem Vertrage von Versailles spielte auch beim Holz die Preis rage
eine große Rolle. Als man schließlich über den Preis einig .
worden war, stellte es sich heraus, daß die in dem Be e
Kommission für 1922 festgesetzten Mengen nur mit Kan ”
zögerung zu liefern waren. Die deutsche Regierung Min
liche Angebote mit festen Preisen in. Papiermark ausgeschri
203
aber nicht damit gerechnet, daß infolge der starken Entwertung
der Mark im Sommer 1922 niemand zu den festgesetzten Preisen
das Holz liefern konnte, Auch hatte sie versäumt, ihr Preis-
angebot rechtzeitig der Markentwertung anzupassen. So kam es,
daß gegen Ende des Jahres nur ein. Teil der verlangten Holz-
mengen geliefert war. Bei den Lieferungen an Frankreich blieben
20000 Kubikmeter Schnittholz und 130000 Telegraphenstangen
im Werte von einigen Millionen Goldmark im Rückstand.
Am 1. Dezember 1922 wurden deutsche Vertreter vor der
Reparationskommission über die Holzlieferungen gehört. Sie er-
klärten die Rückstände mit den Folgen der Markentwertung und
mit verschiedenen technischen Schwierigkeiten, vor allem damit,
daß die von den Alliierten verlangten Typen und Abmessungen
im deutschen Holzhandel nicht gebräuchlich seien, versprachen
aber Nachlieferung bis 1. April 1923, Die Art und Weise der
Verhandlung mit den deutschen Vertretern war unerfreulich, Sie
standen mit Recht unter dem Eindruck, als ob der Vorsitzende
der Kommission Barthou ihnen mit jeder Frage einen Strick
drehen wollte, und waren deshalb in ihren Aeußerungen befangen
und gar zu vorsichtig. Die Atmosphäre war bereits mit Gewitter-
schwüle geladen, Die Mehrheit der Kommission wollte auch gar
keine Verständigung mehr, wenngleich Sir John Bradbury sein
Bestes tat, um die Sache in Güte beizulegen.
Am 26. Dezember 1922 kam es zum Urteilsspruch. Die Repa-
rationskommission stellte einstimmig fest, daß Deutschland die
Holzlieferungen an Frankreich für 1922 nicht vollständig erfüllt
habe, Sie stellte ferner gegen den Widerspruch des englischen
Delegierten fest, daß darin eine schuldhafte Verfehlung Deutsch-
lands gegen seine Pflichten liege. Unter Stimmenthaltung des
englischen Delegierten wurde beschlossen, dies den beteiligten
Regierungen anzuzeigen, aber auch daran zu erinnern, daß die
Reparationskommission in ihrer Note vom 21. März 1922 erklärt
hatte: „Wenn die Reparationskommission im Laufe des Jahres
1922 findet, daß Sachlieferungen an Frankreich oder an andere
Alliierte durch schuldhafte Verfehlung Deutschlands gegen den
Vertrag nicht ausgeführt worden sind, werden Ende 1922 ent-
204
sprechende Zuschläge zu den Geldzahlungen von Deutschland als
Ersatz der nicht ausgeführten Lieferungen gefordert werden.”
Diese Mitteilung an die alliierten Regierungen konnte nur heißen,
daß die Kommission ihnen den Weg angab, wie nach ihrer Meinung
ein Verstoß Deutschlands gesühnt werden konnte und sollte,
Je näher der Tag heranrückte, an dem sich die alliierten
Finanzminister wieder in Paris treffen sollten, um so unruhiger
wurde die Regierung in Berlin. Sie wollte ihren neuen Reparations-
plan durchaus zur Kenntnis der alliierten Konferenz bringen. Am
30, Dezember sandte sie an ihre diplomatischen Vertretungen in
Paris, London, Rom und Brüssel telegraphisch die Weisung, den
alliierten Regierungen mitzuteilen, daß ein neuer deutscher Repa-
rationsplan vorliege, der durch einen bevollmächtigten Vertreter
der deutschen Regierung der Konferenz in Paris auf Wunsch mit-
geteilt werden solle, Dies wurde der französischen Regierung
durch den deutschen Botschafter am 1. Januar 1923 offiziell über-
mittelt, Es ist wichtig, das festzustellen, weil Poincare in einer
Rede am 23. April 1923 behauptet hat, das deutsche Angebot für
die Pariser Januarkonferenz sei nachträglich erfunden.
205
ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL
DIE PARISER KONFERENZ
VOM 2.BIS 4 JANUAR 1923
Ich traf am 2, Januar 1923 in Paris mit dem Auftrag ein, mich
zur Verfügung der Konferenz zu halten, falls sie die Absicht
habe, den deutschen Plan kennenzulernen. Auf vertrauliche Er-
kundigung bei der Reparationskommission erhielt ich den Rat,
mit der Bekanntgabe des Planes noch zurückzuhalten und die
Entwicklung der nächsten Tage abzuwarten. Zugleich sagte man
mir, es bestehe wenig Aussicht, daß ich von der Konferenz über
den deutschen Plan gehört würde; Frankreich würde vielleicht
der deutschen Regierung anheimstellen, ihre Vorschläge schriftlich
einzureichen, Es blieb mir daher, wenn ich nichts verderben
wollte, nur übrig, ruhig zu warten, bis die Konferenz etwa den
Wunsch äußern würde, den deutschen Plan kennenzulernen. Dazu
ist es bei der Schnelligkeit, mit der die Konferenz abgebrochen
wurde, nicht gekommen, Keine der alliierten Regierungen hat die
Mitteilung, daß die deutsche Regierung bereit sei, ihren Plan vor-
zulegen, irgendwie beantwortet,
Bei Eröffnung der Konferenz am 2. Januar wurde von jeder
beteiligten Regierung mit Ausnahme der belgischen ein Repa-
rationsplan vorgelegt.
Der englische Plan wollte die Reparation zugleich mit den
europäischen interalliierten Schulden regeln. Die deutsche Schuld
sollte auf der Grundlage der Vorschläge festgesetzt werden, die
Sir John Bradbury bereits seit einiger Zeit ausgearbeitet hatte.
Danach hatte Deutschland an Stelle der 132 Milliarden des
Londoner Zahlungsplanes neue Obligationen in Höhe von
206
50 Milliarden Goldmark der Reparationskommission zu über-
geben. Diese sollten mit 5 Prozent jährlich verzinslich und am
31, Dezember 1954 zu pari rückzahlbar sein. Die Zinsen waren
für die ersten vier Jahre (bis zum 1. Januar 1927) ganz zu stunden,
für die darauffolgenden vier Jahre nur mit 4 Prozent zu zahlen,
Für den Kapitalwert der gestundeten Zinsen sollte Deutschland
am 1. April 1933 weitere fünfprozentige Obligationen in Höhe
von 17,31 Milliarden Goldmark ausgeben, die am 31. März 1965
zu pari rückzahlbar waren. Doch sollte ein auf Antrag der
deutschen Regierung einzusetzendes Schiedsgericht vor dem
1. April 1933 darüber entscheiden, ob und inwieweit die Nach-
zahlung der gestundeten Zinsen innerhalb der Leistungsfähigkeit
Deutschlands liege. Danach stellten sich die jährlichen Gesamt-
leistungen Deutschlands wie folgt:
Für die ersten vier Jahre. . . nichts
Für weitere vier Jahre . ‚ je 2 Milliarden Goldmark
Für die folgenden zwei Jahre . je 2% Milliarden Goldmark
Nach zehn Jahren 3% Milliarden Goldmark oder
eine geringere Summe, je
nach der Entscheidung des
Schiedsgerichts, mindestens
aber 2% Milliarden.
Zur Ueberwachung der deutschen Finanzen war ein Finanzaus-
schuß in Berlin vorgesehen, bestehend aus Vertretern Englands,
Frankreichs, Belgiens und Italiens sowie einem amerikanischen
und einem neutralen Mitglied. Der deutsche Finanzminister sollte
den Vorsitz führen, aber nur bei Stimmengleichheit mitstimmen,
Er sollte verpflichtet sein, dem Rat des Finanzausschusses in allen
Fragen der Währungsgesetze, des Haushalts und der Steuer-
gesetze, der allgemeinen Finanzverwaltung, der Kapitalflucht und
des Devisenverkehrs Folge zu leisten. Der Finanzausschuß sollte
die deutsche Verwaltung so weit wie möglich in deutschen Händen
lassen und jede Initiative in Einzelheiten der Gesetzgebung ver-
meiden. Er sollte das Recht haben, den Beginn der Jahres-
leistungen von 2 Milliarden bis zu zwei Jahren vorzudatieren und
auch die weiteren Zahlungen verschieden zu regeln, ohne jedoch
207
die deutsche Gesamtschuld zu erhöhen. Eine fortlaufende Tilgung
der deutschen Schuld war im Plane nicht vorgesehen. Dafür war
es Deutschland gestattet, die 50 Milliarden Obligationen auf Basis
eines Rediskontsatzes einzulösen, der von ursprünglich 8, v. H.
allmählich auf 5 v. H. herabging. Der Kapitalwert der gesamten
deutschen Leistungen stellte sich hiernach, wie der Plan selber
berechnete, auf 37 bis 39% Milliarden Goldmark. Damit sollten
alle deutschen finanziellen Verpflichtungen aus dem Vertrage von
Versailles, also nicht nur die Reparation, sondern auch Besatzungs-
kosten, Schulden im Ausgleichsverfahren, Kosten der Kom-
missionen usw. abgegolten sein. Die Sachlieferungen Deutschlands
sollten während der ersten vier Jahre von den empfangenden
Ländern bar bezahlt oder auf ein Mindestmaß — Koks an Frank-
reich, Kohlen an Italien, vielleicht auch Farbstoffe — ermäßigt
werden. Die Reparationskommission war aufzulösen oder nur
noch als richterliche Instanz zu belassen.
Deutschland hatte sofort seine Währung und seinen Haushalt
zu ordnen, Bei Nichterfüllung der Bedingungen des Planes sollte
es allen Maßnahmen unterworfen sein, die von den alliierten
Mächten einstimmig als notwendig erachtet würden, einschließ-
lich militärischer Besetzung weiterer deutscher Gebiete,
Der englische Plan schiug ferner einen Ausgleich der inter-
alliierten Schulden vor, die während des Krieges zwischen den
europäischen Alliierten entstanden waren. Die amerikanischen
Forderungen an Europa blieben natürlich außer Betracht, Aber
auch die Anleihen, welche den Alliierten nach Kriegsschluß ge-
geben waren, sollten in Kraft bleiben,
Für die Streichung seiner Kriegsforderungen verlangte Eng-
land: 1. die Aufhebung des belgischen Prioritätsrechts auf Repa-
ration, 2, das Anerkenntnis Frankreichs und Italiens, daß die
von ihnen während des Krieges in England hinterlegten Gold-
depots als verfallen gelten sollten. Es handelte sich bei Frank-
reich um etwa eine Milliarde Goldmark, bei Italien um etwa
400 Millionen Goldmark. Das Gold war während des Krieges
im Einvernehmen zwischen den beteiligten Ländern nach Amerika
verkauft worden, so daß in Wirklichkeit kein Depot mehr in Eng-
208
land bestand. Diese Tatsache wurde damit zum erstenmal öffent-
lich bekanntgegeben. Uebrigens wird das französische Golddepot
in England noch heute im Ausweis der Bank von Frankreich als
Gold im Ausland aufgeführt.
Außerdem sollte Frankreich seinen Anteil an den deutschen
Obligationen, die zur Bezahlung der belgischen Kriegsschuld be-
stimmt waren, an England abtreten. Ebenso sollte Italien
1% Milliarden Goldmark deutscher Obligationen an England
übertragen, Auch für den Ausgleich der Schulden zwischen den
sogenannten kleinen Alliierten waren Bestimmungen getroffen.
Der französische Plan erklärte:
Frankreich lehnt es ab, seinen Anteil an den Zahlungen ver-
ringern zu lassen, die Deutschland nach dem Londoner Zahlungs-
plan schuldet. Eine Ermäßigung der deutschen Schuld kommt
nur dann in Frage, wenn andere Alliierte ihren Anteil an der
Reparation zugunsten Frankreichs abändern oder ein Vorrecht
für den Wiederaufbau der zerstörten Gebiete zugestehen. Frank-
reich wird Zinsen oder Kapital seiner interalliierten Schulden
erst bezahlen, wenn durch deutsche Leistungen sämtliche Aus-
gaben für den Wiederaufbau der zerstörten Gebiete gedeckt
sind. Diese Ausgaben entsprechen ungefähr dem französischen
Anteil an den Obligationen A und B des Londoner Zahlungs-
plans, also 52 Prozent von 50 Milliarden = 26 Milliarden
Goldmark. |
Unter dieser Voraussetzung ist Frankreich bereit, von seinem
Anteil an den Obligationen C des Londoner Zahlungsplans einen
Betrag in Höhe seiner Schuld an die Alliierten abzutreten. Es
will auch den Rest der ihm zustehenden Obligationen C annul-
lieren, wenn alle Alliierten dies gleichfalls tun. Ein Moratorium
kann Deutschland nur auf zwei Jahre und nur in beschränktem
Umfange zugestanden werden. Deutschland muß aber auch
während des Moratoriums 1. die Kosten für die Besatzungs-
truppen und für die interalliierten Kommissionen weiterzahlen,
2. die vertraglichen Sachlieferungen machen, 3. die sonstigen
Zahlungen für die Ausgleichsämter, Schiedsgerichte usw. leisten
Bergmann, Der Weg der Reparation 14 209
und die Rücklieferungen vornehmen und außerdem 4. bestimmte
Barzahlungen für die Reparation leisten.
Zur Sicherung dieser Leistungen werden Pfänder bestellt. Die
Kohlenlieferungen werden durch eine interalliierte Kontroll-
kommission in Essen unter französischem Vorsitz überwacht. Die
Kontrollkommission erhält das Recht, dem Kohlensyndikat und
der deutschen Verkehrsverwaltung Befehle zu erteilen. Die
alliierten Regierungen können in den Staats- und Gemeindeforsten -
des besetzten Gebietes Holz einschlagen lassen. Für die Sach-
lieferungen darf unter Kontrolle der Rheinlandkommission im
besetzten Gebiet und im Ruhrbezirk requiriert werden, soweit
Deutschland mit den Lieferungen im Rückstand bleibt. Von der
Ausfuhr aus dem besetzten Gebiet und dem Ruhrbezirk werden
Abgaben in Devisen erhoben. Die Zolleinnahmen und die Kohlen-
steuer im besetzten Gebiet und im Ruhrbezirk werden für Rech-
nung der Alliierten beschlagnahmt; ein Teil davon ist in Devisen
zu erheben.
Der französische Plan berechnete die deutschen Jahres-
leistungen für die Reparation während des Moratoriums auf
mindestens eine Milliarde Goldmark. Tatsächlich würden sie viel
höher gewesen sein, weil auch die Kosten für die Besatzung, für
die Ausgleichsämter, für Rücklieferungen usw. von Deutschland
zu tragen waren,
Jeder Verstoß Deutschlands gegen das vorgesehene Pro-
gramm sollte automatisch folgende Sanktionen nach sich ziehen:
1. Militärische Besetzung der Bezirke von Essen und Bochum und
sonstiger Teile des Ruhrbeckens, die Marschall Foch bestimmen
würde, 2. die Errichtung einer Zollgrenze östlich der gesamten
besetzten Gebiete.
Es ist nicht möglich, zu berechnen, welchen Jetztwert die
deutsche Gesamtschuld nach den französischen Vorschlägen
gehabt haben würde, da zu dem Mindestbetrag der eigentlichen
Reparationsschuld von 50 Milliarden Goldmark noch die jähr-
lichen Besatzungskosten von 220 Millionen Goldmark und die
sonstigen der Höhe nach unbestimmten Nebenleistungen aus dem
Vertrage von Versailles treten sollten.
210
Der italienische Plan schloß sich an die Gedanken an welche
Mussolini, der in Paris nicht anwesend war, bereits 9 der
Londoner Zusammenkunft im Dezember 1922 entwickelt hatte
Für jede Ermäßigung der deutschen Schuld wurde ein ange
messener Ausgleich der interalliierten Schulden durch England
verlangt, Mit dieser Maßgabe sollte die Reparationsschuld auf
>0 Milliarden Goldmark verringert werden, Gegen Gewährung
eines zweijährigen Moratoriums sollte Deutschland unverzüglich
eine Anleihe von mindestens 3 Milliarden Goldmark aufnehmen.
Ein Teil davon war nach den Vorschlägen der im November 1922
nach Berlin berufenen Sachverständigen zur Stabilisierung und
Besserung der Mark zu verwenden, der Rest unter die Repa-
rationsgläubiger zu verteilen. Die deutschen Banken und die
deutsche Industrie sollten die Unterbringung der Anleihe von
3 Milliarden Goldmark garantieren. Nach Ablauf des Mora-
toriums und nach Wiederherstellung des deutschen Kredits sollte
Deutschland die Reparationszahlungen mit Hilfe großer Anleihen
aufnehmen. Für schnelle Abzahlung war ein stärkerer Rediskont
vorgesehen. Auch der italienische Plan schlug, abgesehen von
der allgemeinen Kontrolle der vertraglichen Sicherheiten, be-
sondere Pfänder vor, nämlich unmittelbare Zollerhebung durch
die Alliierten an der äußeren Rheinlandgrenze, Kontrolle der
staatlichen deutschen Forstverwaltung und der Staatsbergwerke
im Ruhrgebiet,
Die Bekanntgabe des englischen Planes erregte innerhalb und
außerhalb der Konferenz gewaltiges Aufsehen. Er stieß alle
Alliierten vor den Kopf, weniger durch die vorgeschlagene
Regelung der Reparation als durch die Opfer, welche er von den
Verbündeten Englands verlangte. Belgien fühlte sich gekränkt
durch die Zumutung, es solle seine Priorität aufgeben, die ihm
das Recht auf die nächste Milliarde Goldmark aus der Reparation
sicherte, Frankreich und Italien nahmen besonderes Aergernis
an dem Verlangen, daß ihre Golddepots in England verfallen
sein sollten,
In der Konferenz waren alle nichtenglischen Vertreter sofort
darüber einig, daß der englische Plan vollständig unannehmbar
er 211
sei. Poincar& warf Bonar Law vor, daß sein Vorschlag in vielen
Punkten gegen den Vertrag von Versailles verstoße, ja ihn voll-
kommen umstürze, Auch erklärte er, daß der englische Plan die
deutschen Zahlungen auf eine unerträglich niedrige Ziffer herab-
setze, Bei sofortiger Abzahlung der Gesamtschuld komme
Deutschland mit 27 Milliarden Goldmark weg. Dann würde
Frankreich weniger erhalten, als seine eigene Schuld in Amerika
betrage, und für den Wiederaufbau der zerstörten Gebiete würde
nichts übrig bleiben.
Ebenso scharfe Kritik übte Bonar Law an dem französischen
Plan. Seine Durchführung würde den deutschen Kredit vollends
zerstören und eine geregelte Reparation unmöglich machen. Man
müsse wählen zwischen der Hoffnung auf künftige erhebliche
Zahlungen Deutschlands, wie sie der englische Plan vorsehe, und
der Gewißheit, daß nach einer kurzen Periode, in welcher unter
dem französischen Plan einige beschränkte Zahlungen von
Deutschland erzwungen werden könnten, die Möglichkeit der
Reparation überhaupt zunichte gemacht werde, Das Moratorium,
das Frankreich zugestehen wolle, sei in Wirklichkeit nicht des
Namens wert, weil es von Anfang an Jahresleistungen von
Deutschland fordere, die sich auf etwa 1% Milliarden Goldmark
stellten.
Die erregten Verhandlungen zwischen den Alliierten dauerten
nur zwei Tage, Schon am 4. Januar wurde die Konferenz ergebnis-
los abgebrochen. Die Vertreter der Alliierten wechselten schließ-
lich höfliche Redensarten, in denen sie den negativen Ausgang
der Zusammenkunft bedauerten und sich gegenseitig die Fort-
dauer der freundschaftlichen Beziehungen zusicherten. In Wirk-
lichkeit hatte jedoch die Konferenz von Paris die tiefgehende
Zwietracht unter den Alliierten, vor allem zwischen Frankreich
und England, zum offenen Ausdruck gebracht. Bedeutsam war
die Schlußerklärung Poincares, daß Frankreich nunmehr seine
Aktionsfreiheit wiedergewinne, um den Vertrag, den man unter-
zeichnet habe, zur Ausführung zu bringen.
In der allgemeinen Aufregung dachte keiner der Alliierten
mehr daran, daß auch ein deutscher Reparationsplan bestand, zu
212
dessen Bekanntgabe ich in Paris anwesend war, Diesen Plan ohne
Aufforderung vorzulegen, wäre nicht nur ein $rober taktischer
Fehler, sondern auch den deutschen Interessen sehr schädlich
gewesen. Schon der englische Plan, der immerhin von einer
‚deutschen Gesamtleistung von 50 Milliarden Goldmark ausging
war von den übrigen Alliierten als unannehmbar bezeichall
worden. Wie hätte es möglich sein können, einen besseren Ein-
druck mit den deutschen Vorschlägen zu machen, die naturgemäß
weit hinter dem englischen Plan zurückblieben! Der deutsche
Plan für Paris, dessen Träger ich war, ist nie veröffentlicht
worden, Er sei hier aber wenigstens in seinen Grundzügen
angegeben:
Deutschland erbot sich, alsbald eine internationale Anleihe
von 20 Milliarden Goldmark aufzunehmen, die mit 5 Prozent zu
verzinsen und mit 1 Prozent zu tilgen war. Aus dem Erlös der
Anleihe war der Zinsendienst für die ersten vier Jahre zu be-
streiten. Die Tilgung der Anleihe sollte nach vier Jahren beginnen.
Ein Teil der Anleihe war in Deutschland selbst zu begeben. Davon
sollte die Hälfte des Erlöses für die eigenen deutschen Bedürf-
nisse, vor allem für die Stabilisierung der Mark Verwendung
finden, Soweit die 20 Milliarden bis zum 31. Dezember 1926 nicht
im Wege der Anleihe begeben sein würden, sollten sie von da ab
mit 5 Prozent verzinst und mit 1 Prozent getilgt werden.
Deutschland erklärte sich ferner bereit, falls seine Leistungs-
fähigkeit es zulassen würde, nach dem 1. Januar 1927 eine weitere
Anleihe von 5 Milliarden Goldmark für Reparationszwecke
auszugeben, die ebenfalls mit 5 Prozent zu verzinsen und mit
1 Prozent zu tilgen war. Die Fähigkeit zu. dieser Leistung
sollte dann erwiesen sein, wenn das Finanzkonsortium, welches
die erste große Anleihe begeben haben würde, die weiteren
5 Milliarden im Ausland durch öffentliche Zeichnung auf den
allgemeinen Kredit des Reiches hin zu normalen Bedingungen
unterbringen könne,
Nach dem 1, Januar 1931 würde Deutschland unter den
gleichen Bedingungen eine dritte Anleihe von 5 Milliarden Gold-
mark begeben. Deutschland versprach, dem Anleihekonsortium
213
. jede vernünftige Sicherheit einzuräumen. Die Einzelheiten darüber
sollten der Verhandlung mit dem Anleihekonsortium vorbehalten
bleiben. Deutschlands Industrie- und Bankwelt werde trotz ihrer
Bedenken, ob das Angebot die Leistungsfähigkeit Deutschlands
nicht schon überschreite, die Regierung bei der Durchführung des
Planes unterstützen. Die Regierung werde die gesetzlichen Maß-
nahmen treffen, die zur Heranziehung aller schaffenden Kräfte
und Erwerbsstände des Volkes notwendig seien.
Im übrigen stellte sich der Plan auf den Boden des deutschen
Angebots vom 14. November 1922,
Wären diese Vorschläge in der gereizten Stimmung, die im
Verlaufe der Konferenz entstanden war, den Alliierten bekannt-
gegeben worden, so konnte man nach allen Erfahrungen mit den
früheren deutschen Angeboten bestimmt erwarten, daß die ent- | TEIL UI
zweiten Alliierten in heller Empörung über die deutsche „An-
maßung‘ sich wieder in gemeinsamem Strafzuge gegen Deutsch-_ DIE BESETZUNG DES RUHRGEBIETS
land geeinigt haben würden.
|
214 | | :
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DREIUNDZWANZIGSTES KAPITEL
GEWALT UND PASSIVER WIDERSTAND
Sofort nach dem Abbruch der Konferenz von Paris sprach alle
Welt von der Besetzung des Ruhrgebiets wie von einer nun
unvermeidlichen Sache, Man hat sich in jenen Tagen nicht klar
gemacht, welcher logische Unsinn darin lag, daß deutsches Gebiet
von den Alliierten gewaltsam besetzt werden sollte, weil sie unter
sich nicht zu einer Einigung über die Reparation und ihre
internen Schuldverhältnisse kommen konnten, Deutschland selber
war von Rechts wegen gar nicht im Spiele. Es handelte sich durch-
aus nicht darum, daß die deutsche Regierung durch irgendeine
Handlung oder Unterlassung den Zorn der alliierten Mächte
heraufbeschworen hatte, der sich durch neue Strafmaßnahmen
Luft machen mußte. Deutschland war überhaupt nicht aufge-
fordert worden, sich auf der Konferenz irgendwie zu äußern. Ohne
sein Zutun waren die politischen Gegensätze zwischen England
und Frankreich auf der Pariser Konferenz zu feindseligem Aus-
bruch gekommen. Daß Deutschland für diesen Streit zwischen den
Alliierten, für den es doch nichts konnte, in so schrecklicher Weise
büßen mußte, das ist eine der schlimmsten Ungerechtigkeiten,
welche die Weltgeschichte aufzuweisen hat. Der Schwache stand
dabei, als die Starken sich stritten, und bekam die Prügel.
Belgische und englische Mitglieder der Reparationskommission
überlegten schon am 5. Januar 1923 mit mir in Paris, was
Deutschland im Falle der Ruhrbesetzung tun solle. Sie rieten
mir, Deutschland solle die Reparationskommission um eine
authentische Feststellung ersuchen, ob die Besetzung innerhalb
217
der alliierten Vertragsrechte liege. Ein solcher Spruch der Kom-
mission müsse einstimmig sein und die Einstimmigkeit würde
wahrscheinlich nicht erzielt werden. Wenn aber die Kommission
sich der verlangten Feststellung entziehen würde, solle Deutsch-
land seine zeitweilige Aufnahme in den Völkerbund beantragen
und den Völkerbund zum Schiedsspruch auffordern. Es sei etwas
anderes, ob Deutschland allein den Einmarsch für rechtswidrig
erkläre oder ob es durch die öffentliche Meinung der Welt unter-
stützt werde, Die deutsche Regierung hat von diesen Ratschlägen,
deren Nutzen immerhin recht fraglich war, keinen Gebrauch
gemacht.
Frankreich wollte diesmal die sofortige Besetzung. Das ging
aus allem hervor, Wie aber kam Poincare, der Zauderer, gerade
jetzt zu dem Entschluß, die Drohung auszuführen, mit der er so
lange gefuchtelt hatte, daß ihm zuletzt selber davor bange ge-
worden war? Hier liegt ein psychologisches Rätsel vor, das
schwer zu lösen ist. Nach dem Abbruch der Pariser Konferenz
steckte Poincare in einer bösen Klemme, Durch den offenen Streit
mit England war der Wagen der Reparation hoffnungslos fest-
gefahren. Nun mußte Frankreich versuchen, die Reparation auf
eigene Faust zu betreiben. Das schien nur auf dem Wege eines
Gewaltstreichs möglich.
Die Entscheidung über die Besetzung der Ruhr soll wie folgt
gefallen sein: Poincare ging in seiner Not zu Millerand, dem
Präsidenten der Republik, um sich Rat zu holen, Millerand, all-
zeit unter dem Einfluß der lothringischen Hüttenleute um de
Wendel, die in der Besetzung der Ruhr ein treffliches Mittel zum
gesicherten Bezuge der für ihre Betriebe nötigen Mengen von
Koks und Kohle sahen, erklärte Poincare, nun müsse er endlich
Ernst mit der Ruhrbesetzung machen, die er so lange im Munde
geführt habe, Poincar& aber schwankte noch immer. Erst als der
Verkehrsminister Le Trocquer, ein nationalistischer Heißsporn,
der ständig für die Besetzung eingetreten war, ihm an der Hand
von Zahlen nachwies, daß der seit Monaten ausgearbeitete Plan
einer französischen Zwangsverwaltung im Ruhrgebiet unter militä-
rischem Schutz große und sichere Reparationsgewinne abwerfen
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müsse, ließ sich Poincar& zu dem gefürchteten Entschluß be-
stimmen,
Ich kann nicht verbürgen, daß sich der Vorgang genau so
abgespielt hat. Die Geschichte ist mir aber von unterrichteter
Seite erzählt worden und klingt recht wahrscheinlich.
Wie dem auch sei, Frankreich beantragte bei der Reparations-
kommission, schleunigst die Verfehlung Deutschlands in den
Kohlenlieferungen festzustellen. Denn die Besetzung des Ruhr-
gebiets mußte, wenn die Rechtsform gewahrt bleiben sollte, als
eine Vertragsstrafe für den Verstoß Deutschlands gegen seine
Reparationspflicht konstruiert werden. Dazu war nötig, daß die
Reparationskommission eine solche Schuld feststellte und Anzeige
an die alliierten Mächte erstattete, Diese waren dann auf Grund
des $ 18 Anhang II zu Teil VIII des Vertrages von Versailles
berechtigt, wirtschaftliche und finanzielle Sperr- und Vergeltungs-
maßregeln zu ergreifen und überhaupt alle Schritte zu unter-
nehmen, die sie durch die Umstände für geboten hielten. Die fran-
zösische Regierung stand von jeher auf dem Standpunkt, daß zu
diesen Maßnahmen auch die Besetzung weiteren deutschen Ge-
bietes gehöre, und daß jede einzelne verbündete Regierung auf
eigene Faust handeln könne, Wir werden auf diese Rechtsfrage
später noch etwas näher einzugehen haben.
Wie wir wissen, hatte die Reparationskommission wenige
Tage zuvor eine Verfehlung Deutschlands in den Holzlieferungen
festgestellt und zwar gegen die Stimme des englischen Dele-
gierten. Auf diese Schuld allein aber ließ sich selbst nach Ansicht
der französischen Regierung die Strafe der Ruhrbesetzung nicht
aufbauen, da der Gegenstand zu geringfügig war. Außerdem
konnte man die Holzlieferungen durch die Beschlagnahme des
Ruhrgebiets nicht bessern. Im Ruhrgebiet gab es kein Holz, wohl
aber viel Kohle, Und Frankreich wollte noch mehr Kohle, noch
viel mehr Koks, als es bisher bekam. Daher mußte Deutschland
auf dem Gebiet der Kohlenlieferungen für schuldig erklärt werden.
Es war in der Kohlenfrage nach den Stürmen der ersten Jahre
ziemlich ruhig geworden. Die Reparationskommission setzte letzt-
hin das Lieferungsprogramm für die Kohlen in Höhe von etwa
219
1 700 000 Tonnen im Monat fest und Deutschland lieferte ständig
etwa 10 Prozent weniger. Natürlich gab es von Zeit zu Zeit immer
noch Beschwerden über mangelhafte Lieferung nach Menge und
Sorten. Die deutsche Regierung erklärte dann regelmäßig, daß
die einzelnen Kohlensorten, vor allem Koks, nicht in den ver-
langten Mengen verfügbar seien. Dabei blieb es dann in den
meisten Fällen und im allgemeinen wurde der Zustand von beiden
Seiten als erträglich angesehen. Die Reparationskommission dachte
bis zur Pariser Konferenz nicht daran, gerade aus der Kohlen-
irage einen Konflikt herzuleiten. Für die ersten elf Monate
des Jahres 1922 hatte, wie eine Denkschrift der französischen
Regierung vom 2. Januar 1923 angab, die Reparationskommission
für Frankreich und Luxemburg zusammen 13 864100 Tonnen
angefordert, Davon hatte Deutschland 84,4 Prozent, nämlich
11 710365 Tonnen tatsächlich geliefert. Nach deutschen Angaben
war mehr, nämlich 89 Prozent geleistet, In den letzten drei
Monaten waren die deutschen Lieferungen noch über diesen
Prozentsatz hinaus gestiegen. Trotz alledem mußte die Kohle
dazu herhalten, den Rechtsgrund für die Ruhrbesetzung zu
schaffen. Alle anderen Beschwerden über mangelhafte deutsche
Lieferungen, welche die genannte französische Denkschrift auf-
zählt, betrafen Dinge minderer Bedeutung — Stickstoff, Pflaster-
steine und Wasserbauarbeiten gemäß dem großen Programm von
Le Trocquer. Sie waren auch zu unbestimmt und zu wenig be-
gründet, Man konnte vor der Welt die Besetzung des Ruhrgebiets
mit seinen reichen Kohlenschätzen am besten durch ungenügende
Belieferung Frankreichs mit deutschen Kohlen rechtfertigen,
Die Reparationskommission stellte am 9, Januar 1923 gegen
die Stimme des britischen Delegierten die schuldhafte Ver-
fehlung Deutschlands in der Kohlenfrage fest. Formell war die
Kommission in ihrem Recht, denn Deutschland hatte in der Tat
nicht alle verlangten Mengen geliefert. Die Kommission hatte
aber den beständigen Ausfall in den Lieferungen, der, wie gesagt,
etwas mehr als 10 Prozent betrug, viele Monate hindurch still-
schweigend geduldet. Sie war sich dessen bewußt, daß ihre An-
forderungen sehr scharf an die Grenze der überhaupt möglichen
220
Leistung herangingen, Deshalb durfte sie sich nicht dazu her-
geben, die Kohlenfrage auf einmal als Vorwand zu benutzen, um
die militärische Besetzung des wichtigsten deutschen Industrie-
gebietes zu rechtfertigen, Alle Mitglieder der Reparations-
kommission ohne Ausnahme waren sich auch darüber klar, daß
die Besetzung ein politisches Zwangsmittel war und zu einer
wirtschaftlichen Katastrophe führen mußte, Gerade die Repa-
rationskommission war durch den Vertrag von Versailles dazu
berufen, die wirtschaftliche Gesundheit Deutschlands zu wahren,
damit es in der Lage blieb, Reparation zu leisten, Sie wußte
genau, was auf dem Spiel stand, als sie die Schuld Deutschlands
in der Kohlenfrage feststellte, Sie erniedrigte sich damit von einer
wirtschaftlich unabhängigen Behörde zu einem politischen Werk-
zeug der französischen Regierung. Der britische Delegierte war
das einzige Mitglied der Kommission, das offen gegen die Ent-
scheidung Stellung nahm.
Mehrere andere Mitglieder der Kommission standen dabei
sicherlich in einem schweren Gewissenskampf. Sie mußten unter
politischem Druck so handeln, wie es ihre Regierung verlangte,
um die guten Beziehungen mit dem mächtigen Frankreich auf-
rechtzuerhalten.
Schon am 11. Januar 1923 rückten französische und belgische
Truppen in das Ruhrgebiet ein. Der Einmarsch wurde der
deutschen Regierung durch gleichlautende Noten Frankreichs
und Belgiens mitgeteilt, Es hieß darin:
Wegen der Verfehlung Deutschland in der Holz- und Kohlen-
frage sei beschlossen worden, eine Kontrollkommission von
Ingenieuren in das Ruhrgebiet zu entsenden, um die Tätigkeit des
Kohlensyndikats zu überwachen, die strikte Durchführung des
Lieferungsprogramms zu sichern und alle für die Bezahlung
der Reparation erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, Die
italienische Regierung habe gleichfalls beschlossen, sich durch
Entsendung von Ingenieuren an der Mission zu beteiligen. Die
‚Alliierten hätten im Augenblick nicht die Absicht, zu einer
militärischen Operation oder zu einer Besetzung politischer
Art zu schreiten. Sie ließen nur die zum Schutze der Mission
221
nötigen Truppen einrücken, Im normalen Leben der Bevölkerung
werde keine Störung und keine Veränderung eintreten. Die
deutsche Regierung habe das größte Interesse daran, die Arbeit
der Mission und die Unterbringung der Truppen zu erleichtern.
Notfalls würden: jedoch Zwangs- und Strafmaßnahmen ergriffen
werden, Die Kontrollkommission für die Bergwerke und Fabriken
sei ermächtigt, im besetzten Gebiet Auskünfte aller Art von jeder-
mann einzufordern, Bureaus, Gruben, Fabriken, Bahnhöfe usw.
zu betreten und alle Dokumente, kaufmännischen Bücher und
Statistiken einzusehen. Das Personal der deutschen Verwaltung
und die Vertreter der deutschen Industrie- und Handelsverbände
sollten sich zur Vermeidung schwerer Strafen der Mission zur
Verfügung stellen und nach ihren Befehlen handeln. Vom
11, Januar 1923 ab würde die bisher vom Kohlensyndikat vorge-
nommene Verteilung von Kohlen und Koks den Anordnungen
der Kontrollkommission unterliegen. In erster Linie seien die
alliierten Länder und das linksrheinische besetzte Gebiet zu be-
liefern. Auch die neu besetzten Gebiete sollten ausreichend ver-
sorgt werden. |
Von den Bedürfnissen des unbesetzten Deutschland war keine
Rede.
Das Kohlensyndikat hatte die Ankunft der Kontrollkommission
und der Truppen nicht abgewartet. Es war mit seinen gesamten
Akten kurz vor dem Einmarsch nach Hamburg übergesiedelt.
Die deutsche Regierung unterwarf sich, wie vorauszusehen
war, den Anordnungen der besetzenden Mächte nicht. In ihrer
Antwortnote vom 12, Januar erklärte sie, daß sie den Schleier
zerreißen müsse, den Frankreich und Belgien über den wahren
Charakter der Besetzung zu werfen suchten. Diese verletze das
Völkerrecht und den Vertrag von Versailles. Die Schwere des
Vertragsbruchs sei nicht damit zu verhüllen, daß man der Aktion
einen friedlichen Namen gebe. Die Grenze des unbesetzten
deutschen Gebiets sei durch eine Armee in kriegsmäßiger Zu-
sammensetzung und Bewaffnung überschritten. Das kennzeichne
eine militärische Aktion. Die deutsche Regierung erhebe gegen
die Gewalt, die einem wehrlosen Volke angetan werde, vor der
222
ganzen Welt feierlichen Protest, Sie könne sich gegen Gewalt
nicht wehren, lehne es aber ab, sich dem Friedensbruch zu fü n
oder gar bei der Durchführung der französisch-belgischen Ab
sichten mitzuwirken. Die Verantwortung für alle Folgen falle
allein auf die Regierungen, die den Einmarsch vollzogen hätten
Diese Folgen zeigten sich bereits in einer weiteren Entwertung
der Mark und in einer sprunghaften Steigerung aller Preise in
Deutschland. Solange der vertragswidrige Zustand und seine
Folgen andauerten, sei Deutschland nicht in der Lage, Leistungen
an die Mächte zu bewirken, die jenen Zustand herbeigeführt
hätten, | |
| Der deutsche Botschafter in Paris und der deutsche Gesandte
in Brüssel verließen ihre Posten. Die diplomatischen Beziehungen
mit Frankreich und Belgien wurden durch Geschäftsträger weiter-
geführt,
Durch Bekanntmachung vom 13, Januar 1923 wurden die
Sachleistungen an Frankreich und Belgien eingestellt. Der Reichs-
kohlenkommissar hatte am 11. Januar 1923 allen Zechen des
Ruhrgebiets mitgeteilt, daß das Deutsche Reich für Lieferung und
Transport von Reparationskohle an Frankreich und Belgien keine
Zahlungen mehr leiste. Einige Tage darauf verbot er den Zechen
ausdrücklich die Lieferung von Kohle und Koks an Frankreich
und Belgien selbst für den Fall, daß die Alliierten die Lieferungen
selbst bezahlen oder bevorschussen sollten. Am 19, Januar 1923
erging an alle Beamten des Reiches und der Länder im besetzten
Gebiet die Weisung, den Befehlen der besetzenden Mächte keine
F olge zu geben, sondern sich ausschließlich an die Vorschriften
der eigenen Regierung zu halten. Am gleichen Tage ordnete der
Reichsverkehrsminister an, daß das deutsche Eisenbahnpersonal
in den besetzten Gebieten den Befehlen des französischen Ober-
kommandeurs nicht nachzukommen habe, und daß es den Beamten
und Arbeitern verboten sei, Kohle für Frankreich und Belgien zu
befördern. | |
Es war in der Tat ein Zustand des Krieges, nur daß dem
Vorrücken der französischen und belgischen Truppen kein mili-
tärischer Widerstand geleistet wurde, Die Besetzung beschränkte
223
sich nicht, wie ursprünglich wohl vorgesehen war, auf den Bezirk
von Essen, den Mittelpunkt des Ruhrkohlengebiets, sondern
wurde binnen wenigen Tagen nach Norden und Süden sowie
auf die Bezirke von Bochum und Dortmund ausgedehnt, Schließ-
lich war fast das gesamte Kohlengebiet der Ruhrgegend in den
Händen der Franzosen und Belgier.
War die Besetzung der Ruhr rechtmäßig oder nicht? Diese
Frage ist von allen Seiten mit mehr oder weniger Leidenschaft
erörtert worden, Das Recht der Besetzung wurde auf gewisse
Bestimmungen des Vertrages von Versailles gestützt. Prüft man
diese ohne Vorurteil, so ergibt sich, daß der Vertrag Frankreich
und Belgien kein Recht zur Besetzung gibt. Der Einmarsch
in fremdes Gebiet ist die schärfste Maßnahme gegen einen
souveränen Staat. Er führt an sich den Kriegszustand herbei.
Wenn der bekannte $ 18 Anhang II zu Teil VIII des Vertrages
von Versailles davon spricht, daß bei einem Verstoße Deutsch-
lands gegen seine Reparationspflicht außer wirtschaftlichen und
finanziellen Zwangsmaßregeln auch sonstige Schritte unter-
nommen werden dürfen, so kann die Besetzung weiterer deutscher
Gebiete damit nicht gemeint sein. Von der Besetzung deutschen
Gebiets handelt ein besonderer Abschnitt des Vertrages von Ver-
sailles. Nirgends ist da von einer Besetzung über die im Vertrag
bestimmten Grenzen hinaus die Rede. Daher ist es nicht möglich,
anzunehmen, daß der $ 18, der in dem Abschnitt über Reparation
steht, so nebenher in einer unklaren, allgemeinen Bestimmung
auch die weitere Besetzung deutschen Gebiets hätte zulassen
wollen. Ueberdies hat der Vertrag gerade die Reparation so
aufgebaut, daß die Alliierten ihre Ansprüche gegen Deutschland
nur gemeinsam geltend machen und verfolgen dürfen. Zu diesem
Zwecke ist die Reparationskommission eingesetzt. Wenn Straf-
maßnahmen gegen Deutschland ergriffen werden sollen, so müssen
sie gemeinsam von den Alliierten beschlossen und durchgeführt
werden, Allerdings sagt der $ 18, daß die „betreffenden Re-
gierungen (gouvernements respectifs) derartige Maßnahmen
ergreifen können. Darunter kann aber nur die Gemeinschaft der
in der Reparationskommission vertretenen Regierungen gemeint
"224
sein, nicht eine einzelne alliierte Macht, Ein Vorgehen auf eigene
Faust würde das gesamte Reparationssystem des Vertrages von
Versailles durchbrechen.
Von den alliierten Mächten hat die* englische Regierung im
Laufe der Zeit immer fester den Standpunkt eingenommen, daß
die Besetzung der Ruhr mit dem Vertrage nicht vereinbar und
daher rechtswidrig sei. Einen formellen Widerspruch hat sie
jedoch zu keiner Zeit erhoben, Sie hat vielmehr aus politischen
Rücksichten das französische und belgische Vorgehen gewähren
lassen. Im Grunde aber fällt gerade auf England die Mitschuld
daran, daß der Gedanke der Besetzung sich weiter entwickeln
und verwirklichen konnte. Es muß daran erinnert werden, daß
die Regierung von Lloyd George in den Konferenzen von Spa
(Juli 1920) und von London (März 1921) sowie im Londoner
Ultimatum vom 5. Mai 1921 die Drohung, weiteres deutsches
Land, vor allem das Ruhrgebiet zu besetzen, dazu benutzt hat,
um von Deutschland Reparationsleistungen zu erzwingen. Lloyd
George ist nicht nur bei der Drohung geblieben, er hat sie auch
wahr gemacht. Unter seiner Führung sind im März 1921 wegen
der Haltung der deutschen Delegation auf der damaligen Lon-
doner Konferenz die Städte Düsseldorf, Duisburg und Ruhrort
besetzt worden. Und als Deutschland sich dem Ultimatum von
London im Mai 1921 unterwarf und damit die Reparation — auf
dem Papier — in Ordnung kam, sind zwar nach geraumer Zeit
die außerdem noch über Deutschland verhängten Strafmaßnahmen
wirtschaftlicher Art aufgehoben worden, aber die Besetzung der
drei Städte blieb trotzdem bestehen,
Den militärischen Einfall in das Ruhrgebiet haben das deutsche
Volk und die deutsche Regierung mit einer Haltung beantwortet,
die allgemein als passiver Widerstand bekannt geworden ist.
Aus der Tatsache, daß dieser passive Widerstand nach einem
halben Jahre zusammengebrochen ist, hat man später der Re-
gierung von Dr. Cuno die schwersten Vorwürfe gemacht. Aber
man muß gerecht sein. Man darf die Politik des passiven Wider-
standes an sich nicht verurteilen. Daß die deutsche Regierung
der französischen Gewalt sich nicht unterwarf, sondern entgegen-
Bergmann, Der Weg der Reparation 15 225
trat, war sie nicht nur dem Rechtsgefühl des deutschen Volkes,
sondern auch dem Ansehen Deutschlands in der Welt schuldig.
Allgemeine Verachtung würde Deutschland getroffen haben, wenn
es sich ohne Widerstand den Befehlen der französischen Gewalt-
haber im Ruhrgebiet gefügt hätte. Deutschland, das sich durchaus
im Recht fühlte, würde sich damit selbst ins Unrecht gestellt und
die Besetzung des Ruhrgebiets als eine verdiente Strafe für die
Nichterfüllung seiner Reparationspflicht hingenommen haben. In
den Augen der Welt wäre es damit als ein Land ohne Ehrgefühl
gerichtet gewesen. Mit einer glatten Unterwerfung unter die
Fremdherrschaft hätte es jeden Anspruch auf politische Selb-
ständigkeit verwirkt,
Der deutsche Widerstand gegen die Besetzung war daher
geboten. Es fragt sich nur, wie er am besten zu organisieren und
durchzuführen war. In dieser Hinsicht allerdings hat die deutsche
Regierung Fehler begangen. Bei richtiger Leitung hätte das
deutsche Volk, das in einem Sturme vaterländischer Begeisterung
opferwillig alle Drangsale und Entbehrungen auf sich nahm, den
Widerstand gegen die fremde Gewalt besser und länger leisten
und vielleicht auch zum guten Ende führen können.
Von den Maßnahmen der Regierung im Anfang der Besetzung
war manches unnötig und verfehlt. Richtig war es zum Beispiel,
die Sachlieferungen für die Reparation einzustellen. Unklug aber
war die Begründung, mit der das geschah. Man durfte daraus
keine Vergeltung gegen Frankreich und Belgien machen. Man
mußte vielmehr die Lieferungen an alle alliierten Länder mit
der Begründung einstellen, daß der Einbruch in das Ruhrgebiet
die deutsche Wirtschaft und besonders die Kohlenversorgung zer-
rüttet und Deutschland damit unfähig zur Reparation gemacht
habe. Das hätte der wirklichen Sachlage entsprochen und wäre
im Ausland verstanden worden,
Ob es richtig war, der deutschen Industrie die Lieferung von
Kohle an Frankreich und Belgien ausdrücklich zu verbieten, auch
wenn diese die Kohle bezahlten, ist mindestens zweifelhaft. Im
ersten Schreck über den unerwarteten deutschen Widerstand
hatte die französisch-belgische Mission den deutschen Zechen-
226
besitzern tatsächlich das Angebot gemacht, die Kohle bar zu
bezahlen. Das Angebot anzunehmen, wäre ein Akt politischer
Klugheit gewesen, Wenn es ehrlich gemeint war, hätte es die
besetzenden Mächte an ihrem Geldbeutel, einer sehr empfind-
lichen Stelle, getroffen und den wirtschaftlichen Fehler der Ruhr-
besetzung von vornherein erwiesen, Und wenn das Angebot eine
Finte war, so hätte es Frankreich und Belgien politisch ins
Unrecht gesetzt, |
Es fragt sich auch, ob es zweckmäßig war, die Eisenbahner im
besetzten Gebiet zu geschlossenem Widerstand aufzurufen und
alle Reichs- und Staatsbeamten in die Abwehr hineinzuziehen,
Das forderte unmittelbar scharfe Gegenmaßregeln heraus und
spielte den Gegnern den Betrieb des Eisenbahnnetzes und die
Verwaltung des besetzten Gebiets in die Hände,
Aus diesen Anordnungen der deutschen Regierung erwuchs
der Zwang, für den Unterhalt der stillgelegten Industrien, der
verjagten Eisenbahner und der deutschen Beamten im besetzten
Gebiet fortlaufend gewaltige Summen aufzuwenden. So entstand
eine Last, die selbst bei größter Sparsamkeit im Reich auf die
Dauer nicht zu tragen war, die aber mit dem weiteren Verfall der
Währung zu baldigem Zusammenbruch führen mußte,
Die Zwangsmaßnahmen der besetzenden Mächte ließen nicht
auf sich warten. Die interalliierte Rheinlandkommission — das
Kontrollorgan der Alliierten im besetzten Gebiet — erließ am
13, und 18. Januar eine Reihe von Verordnungen, welche die
Kohlensteuer, die Zölle, die Abgaben von Ein- und Ausfuhr
sowie die Einkünfte aus den kommunalen und fiskalischen Wal-
dungen mit Beschlag belegten und die Kohlenverteilung voll-
kommen der französisch-belgischen Kontrollkommission unter-
stellten. Weitere Verordnungen der Rheinlandkommission vom
20. und 25, Februar führten für die Verwaltung der beschlag-
nahmten deutschen Einnahmen besondere interalliierte Behörden
ein. Bald war das ganze besetzte Gebiet durch Zollgrenzen und
Ausfuhrverbote wirtschaftlich vom: unbesetzten Deutschland ab-
gesperrt.
Gleichzeitig wurde die militärische Besetzung auch über das
15* | 227
Ruhrbecken hinaus so weit vorgeschoben, daß vom unbesetzten
Deutschland zu der von englischen Truppen besetzten Kölner
Zone kein direkter Zugang mehr blieb, Auch die süddeutschen
Rheinhäfen wie Mannheim und Karlsruhe fielen in französische
Hände. Die Weigerung der Reichsbahn, die internationalen Züge
von Frankreich und Belgien weiterhin durch Deutschland zu leiten,
führte Anfang Februar zur Besetzung der wichtigen Eisenbahn-
knotenpunkte von Offenburg und Appenweier,. Dadurch wurde die
Verbindung zwischen Nord- und Süddeutschland sehr erschwert.
Systematisch wurden alle Beamten des besetzten Gebietes
und die Angestellten der Eisenbahn, soweit sie den Befehlen der
besetzenden Mächte keine Folge leisteten, mit ihren Familien in
brutaler Weise ausgewiesen. Sehr viele von ihnen wurden wegen
Widerstandes gegen die fremde Gewalt ins Gefängnis geworfen.
Das gleiche Los erlitten auch zahlreiche Führer der Industrie.
Alltäglich und zahlreich waren Verhaftungen und Aburteilungen
durch das Kriegsgericht. Eine französisch-belgische Eisenbahn-
regie ergriff Besitz von der Verwaltung und dem Betrieb der
Eisenbahn im besetzten Gebiet mit Ausnahme der Kölner Zone,
wo die deutschen Beamten verblieben. Um sich Mittel zur Be-
zahlung der Besatzungskosten zu verschaffen, scheuten die fran-
zösisch-belgischen Machthaber sich nicht, bei der Reichsbank und
bei anderen privaten Banken Gelder wegzunehmen, Viele Geld-
transporte aus dem unbesetzten Deutschland wurden abgefangen.
In den Werken des besetzten Gebietes wurden die Warenvorräte,
besonders an Kohle, Eisen und Stahl, beschlagnahmt. Da. die
Kohlenförderung im Ruhrgebiet mehr und mehr zum Erliegen
kam, richtete die französisch - belgische Mission auf mehreren
großen Gruben einen eigenen Zwangsbetrieb ein. Eine lange Reihe
von blutigen Zusammenstößen der Truppen mit der Bevölkerung
auf der Straße, auf den Gruben und in den Fabriken verschärfte
den Zustand immer mehr, Binnen kurzem stand das ganze wirt-
schaftliche Leben im Rheinland und an der Ruhr still.
Auch die Reparationskommission mußte sich an den Straf-
maßnahmen gegen das unbotmäßige Deutschland beteiligen. Am
26. Januar stellte sie fest, daß die deutsche Regierung durch
228
Einstellung der Reparationslieferungen eine allgemeine Ver-
fehlung gegenüber Frankreich und Belgien begangen habe, und
daß der Londoner Zahlungsplan vom 5. Mai 1921 wieder in voller
Kraft sei,
Die größte Gefahr der Besetzung lag für ganz Deutschland in
dem vernichtenden Einfluß, den.sie auf die Währung ausübte, Im
November und Dezember 1922 schwankte der Preis des Dollars an
der Berliner Börse im allgemeinen zwischen 7000 und 8000 Mark.
Die Mark war also verhältnismäßig widerstandsfähig geblieben.
Von Anfang Januar 1923 an aber schnellte der Preis des Dollars
in Berlin derart in die Höhe, daß man am Ende des Monats
50 000 Mark für einen Dollar zahlen mußte. Wenn man die Dinge
so weiter treiben ließ, war jeder Versuch des Widerstandes gegen
den Einbruch ins Ruhrgebiet vergeblich. Es blieb nur die Wahl
zwischen Unterwerfung auf Gnade und Ungnade und einer ent-
schlossenen Anstrengung, die Mark als Lebensnerv der Wirt-
schaft mit allen Kräften zu halten, Der Reichsfinanzminister
Hermes, dem ich diese Notwendigkeit vortrug, entschloß sich so-
fort zu einer durchgreifenden Stützungsaktion trotz der Fehl-
schläge, welche die bisherigen Versuche der Reichsbank stets er-
litten hatten, Auch der Reichskanzler Dr. Cuno erkannte sogleich
das Gebot der Stunde und trat persönlich mit allem Nachdruck
für die Stützung ein. Die Reichsbank, welche allein über die not-
wendigen Mittel zur Intervention an den deutschen und fremden
Börsen verfügte, warnur schwer für eine umfassende und energische
Aktion zu gewinnen, da sie nicht an einen nachhaltigen Erfolg
glaubte, In den übrigen Zweigen der Reichsverwaltung stand man
den Absichten des Finanzministers teils lau, teils verständnislos
gegenüber. Es war klar, daß ein wirklicher Erfolg nur dann zu
erringen war, wenn es gelang, durch massenhaften Aufkauf von
Reichsmark an deutschen und ausländischen Börsen den Geld-
markt derart einzuengen, daß den Verkäufern der Reichsmark
— und dazu gehörten bei der bestehenden Panik leider sehr viele
Wirtschaftskreise Deutschlands — die Mittel zu weiteren Mark-
verkäufen abgeschnitten wurden. Man mußte also damit anfangen,
durch Hergabe großer Mengen von Devisen das gesamte Angebot
229
- En
von Mark im Inland und Ausland aufzukaufen. Damit brachte
man zwangläufig die Mark nicht nur zum Stillstand, sondern zu
einer Aufwärtsbewegung, die so lange genährt werden mußte, bis
auch das Publikum dazu überging, seine Devisen zu verkaufen
und die Mark zu behalten. Die technischen Vorbedingungen zu
einem großen Erfolg dieser Aktion waren durch den letzten
starken Sturz der Mark von selbst geschaffen. Am 31, Januar 1923
betrug die gesamte schwebende Schuld des Reiches — die von der
Reichsbank diskontierten Reichsschatzanweisungen — rund zwei
Billionen Papiermark. Der gesamte Umlauf an Reichsbanknoten
war ebenfalls zwei Billionen. Private Handelswechsel waren von
der Reichsbank in Höhe von rund 700 Milliarden Papiermark dis-
kontiert. Demgegenüber hatte die Reichsbank einen Goldbestand
von 1005 Millionen Goldmark, nach dem Kurse vom 31, Januar
gleich 12% Billionen Papiermark. Außerdem besaß die Reichsbank
etwa 100 Millionen Goldmark an freien Devisen. Aus der Abgabe
‚ von der deutschen Ausfuhr flossen ihr täglich, auch in jener
kritischen Zeit, ein bis zwei Millionen Goldmark neuer Devisen
zu. Für die Reparation aber wurden, abgesehen von der monat-
lichen Abzahlung der belgischen Schatzwechsel mit 50 Millionen
Goldmark, damals keine Mittel benötigt. Die Reichsbank hatte
also die Hände für die Markstützung frei und auch reichliche
Mittel dafür. Nach dem Dollarkurse von Ende Januar konnte man
theoretisch mit 180 Millionen Goldmark den gesamten Noten-
umlauf der Reichsbank einlösen oder die schwebende Schuld des
Reiches tilgen. Da die Notenpresse schon mit dem letzten ge-
waltigen Marksturz nicht hatte Schritt halten können, war von
selbst eine sehr starke Einschränkung der Umlaufsmittel und eine
allgemeine Geldknappheit eingetreten, Jeder Aufkauf von Mark
mußte den Mangel an Zahlungsmitteln verschärfen und die Wirt-
schaft zum Verkauf der bisher sorgfältig gehüteten Devisen
zwingen, Ein sofortiges Steigen der Mark war daher sicher, sobald
die Reichsbank entschlossen mit starken Mitteln die Stützung
unternahm.
Im Reichsfinanzministerium wollte man aber mehr als einen
Augenblickserfolg. Die einmal erreichte Besserung der Mark sollte
230
das wirtschaftliche Durchhalten im Ruhrkonflikt zu ermöglichen.
mindestens einige Monate hindurch aufrechterhalten werden, um
die übermäßig gestiegenen Warenpreise zu senken und dem Volke
Nur in diesem Falle bestand eine Aussicht, den Widerstand gegen
die Besetzung so zu leiten, daß bei geschickter Außenpolitik viel-
leicht nach einigen Monaten vernünftige Verhandlungen mit den
alliierten Mächten angeknüpft werden konnten. Den Ruhrkampf
auf unabsehbare Zeit zu führen, bis Frankreich etwa seine Truppen
aus dem Ruhrgebiet zurückzog, war natürlich sinnlos. Ziel der Ab-
wehr mußte sein, die Gegner davon zu überzeugen, daß sie durch
Gewalt nur sich selber wirtschaftlich und politisch schädigten, und
daß sie nicht auf einen baldigen Zusammenbruch der deutschen
Abwehr hoffen durften.
Neben die börsentechnische Aktion der Reichsbank mußte
also eine sorgfältige Finanzwirtschaft des Reiches treten. Das
war der Kernpunkt der Markstützung und zugleich der schwierigste
Teil des Problems. Eine durchgreifende Sanierung der Reichs-
finanzen konnte in jenem Zeitpunkt nicht in Frage kommen. Die
Abschnürung der Rhein- und Ruhrgebiete beraubte das Reich
eines wesentlichen Teiles seiner Einkünfte und machte neue,
schwere Ausgaben unvermeidlich. Steigende Fehlbeträge im
Reichshaushalt waren deshalb zu erwarten; sie mußten aber
durch Sparsamkeit an allen Enden auf ein Mindestmaß beschränkt
werden. Die Erfahrungen des letzten Jahres hatten gelehrt, daß
ein vernünftiges Wirtschaften überhaupt nur möglich war, wenn
die Währung zunächst einmal ein paar Monate stabil blieb, Und
um das zu erreichen, mußte man den Verkäufern der Mark im
Inland und Ausland nicht nur den Glauben an die Festigung der
Währung beibringen, sondern ihnen auch jedes Interesse daran
nehmen, daß wieder eine Verschlechterung der Mark eintrat. Und
dies Interesse war leider vorhanden, solange die Reichsbank nicht
ihrer bisherigen Kreditpolitik ein Ende machte. Bei dem an-
dauernden Fall der Mark hatten immer weitere Kreise des
Handels und der Industrie begriffen, daß das beste Geschäft zu
machen war, wenn man sich bei der Reichsbank durch Diskon-
tierung von Handelswechseln einen Kredit in Papiermark ver-
231
schaffte, diese schleunigst in Waren oder wenn möglich in Devisen
umsetzte und dann bei Fälligkeit des Wechsels die Schuld an
die Reichsbank in der inzwischen weiter entwerteten Papiermark
mit großem Nutzen zurückzahlte. Was so im großen bei der
Reichsbank geschah, wurde natürlich im Verkehr mit allen öffent-
lichen und privaten Geldinstituten, besonders bei den Banken
zur Gewohnheit. Es dauerte merkwürdig lange, bis diese üble
Geschäftspraxis allgemein erkannt und in der Oeffentlichkeit
gebrandmarkt wurde. Sie war nur auszurotten, wenn das Reich
sich kurzerhand entschloß, sofort mit der ganzen Papiergeld-
wirtschaft zu brechen und die Währung auf die Goldbasis umzu-
stellen. Vor diesem Radikalmittel, das seit einiger Zeit von ver-
schiedenen Seiten dringend empfohlen wurde, waren Regierung
und Reichsbank bisher immer zurückgeschreckt, weil sie von der
plötzlichen Rückkehr zur Goldwährung für die deutsche Wirt-
schaft schlimme Folgen befürchteten. Der Präsident der Reichs-
bank Havenstein, in seinem Tun und Denken das Vorbild eines
konservativen Ehrenmannes, hing mit Zähigkeit an der alten
Markwährung. Er hoffte immer noch, daß sie eines Tages mit
der Regelung der Reparation in Ordnung kommen werde, und
konnte den Gedanken nicht fassen, daß die Reichsbank mit ihrer
hergebrachten Kreditpolitik von großen Kreisen der Wirtschaft
systematisch ausgebeutet würde.
Als die Stützungsaktion für die Mark Ende Januar 1923 be-
schlossen wurde, verlangte der Reichsfinanzminister Hermes von
der Reichsbank, sie solle vorläufig Handelskredite nicht mehr
in Papiermark, sondern nur noch in Goldrechnung gewähren. Das
aber lehnte die Reichsbank, unterstützt durch den Widerspruch
des Reichswirtschaftsministers, mit Rücksicht auf die Wohlfahrt
von Industrie und Handel ab. Sie versprach nur, die Handels-
kredite nach Möglichkeit einzuschränken. Havenstein wies dabei
nicht mit Unrecht auf die Tatsache hin, daß das erschreckende
Anwachsen des Banknotenumlaufs weniger auf die freigebige
Kreditgewährung der Reichsbank an Private als auf die ständig
schlimmer werdende Defizitwirtschaft des Reiches selbst zurück-
zuführen sei. Er drängte seinerseits darauf, daß das Reich in
232
I
a _
allen seinen Verwaltungszweigen strengste Sparsamkeit üben
müsse,
So gingen schließlich Reich und Reichsbank mit Energie und
guten Vorsätzen in den Kampf um die Mark hinein, ohne jedoch
für die Sicherung eines nachhaltigen Erfolges durchgreifende Maß-
nahmen zu treffen,
Die Stützung der Mark setzte am 31, Januar 1923 gleichzeitig
in Berlin, Amsterdam und New York ein. Nach Schwierigkeiten
im Anfang erzielte sie einen unerwarteten Erfolg. Als die Reichs-
bank etwa 100 Millionen Goldmark an Devisen in den Markt
geworfen hatte, überzeugten sich Inland und Ausland, daß die
Aktion diesmal ernst gemeint sei. Der Preis des Dollars fiel in
vierzehn Tagen von 50000 unter 20000 Mark, dann hielt er sich
mit einigen Schwankungen bis zum 17. April 1923 ständig auf
etwa 21 000 Mark. Dieser Umschlag war natürlich für Handel
und Industrie mit manchen Schwierigkeiten und für viele, die mit
dem weiteren Fall der Mark gerechnet hatten, auch mit schweren
Verlusten verbunden. Da die Reichsbank jedes Markangebot auf-
nahm, verschärfte sich die Geldknappheit in unerhörter Weise.
An einigen Tagen konnten sich selbst die größten deutschen
Banken keine Zahlungsmittel beschaffen. Aber das war unver-
meidlich und mußte im Interesse der Allgemeinheit in den Kauf
genommen werden. Der andauernde Druck auf den Geldmarkt
führte bald dazu, daß die deutsche Wirtschaft große Beträge an
Devisen hergab, welche die Reichsbank zu fallenden Preisen auf-
nahm. Anfang März wurde berechnet, daß die Stützung dem
Reiche und der Reichsbank im ganzen nur etwa 20 Millionen
Goldmark an Devisen gekostet hatte. Dann hielt sich der Kurs
der Mark eine Zeitlang von selber. Die Angriffe gegen die Mark
hörten wegen völliger Erschöpfung der Gegner auf.
Aber diese Ruhe sollte nicht von langer Dauer sein. Dem
Kundisen blieb nicht verborgen, daß der Mark neue schwere Ge-
Ehren drohten. Trotz der starken Besserung der Währung war
die schwebende Schuld des Reiches von Ende Januar bis Ende
März 1923 von 2 Billionen auf 6.6 Billionen Mark gestiegen. In
der gleichen Zeit vermehrte sich der Notenumlauf der Reichsbank
233
von 2 Billionen auf 5.5 Billionen und der Betrag der von ihr ge-
währten Handelskredite von 697 auf 2372 Milliarden, Das be-
deutete eine völlige Umkehrung der Verhältnisse, Bei einem Dollar-
kurs von 20000 Mark stellte der Notenumlauf von 5,5 Billionen
Mark einen Wert von 275 Millionen Dollar, also mehr als den
gesamten Goldschatz der Reichsbank dar. Die Geldknappheit war
allmählich verschwunden. Reich und Reichsbank hatten der Wirt-
schaft in dieser kurzen Frist mit verschwenderischer Hand ge-
waltige Beträge in Reichsmark zur Verfügung gestellt. Eine eigens
für diesen Zweck geschaffene Zentralstelle des Reichs zahlte in
das besetzte Gebiet so ziemlich alles, was an Unterstützungen
verlangt wurde, Die Reichsbahn forderte im täglichen Durchschnitt
den Gegenwert von zwei Millionen Dollar als Betriebszuschüsse
vom Reiche an. Gegen solche Mißwirtschaft erhob der Reichs-
finanzminister, dem eine Kontrolle dieser Verwaltungen nicht zu-
stand, immer wieder dringende Beschwerde. Aber seine warnende
Stimme drang nicht durch, Auch der Reichskanzler Cuno ver-
mochte gegen die Indolenz der übrigen Reichsstellen nichts aus-
zurichten, Es hieß einfach, es sei nicht möglich, die Ausgaben für
das besetzte Gebiet und für die Reichsbahn einzuschränken.
Mit der wachsenden Flüssigkeit des Geldmarktes stiegen die
Anforderungen von Devisen bei der Reichsbank immer mehr. Diese
hielt an dem Dollarkurs von 21000 Mark unverrückt fest. Sie
vermied ängstlich jede Schwankung. Bald wußte jedermann, daß
der Dollar nicht mehr fallen würde, und daß eine große und
sichere Gewinnchance darin lag, sich Devisen zu diesem Grund-
preise bei der Reichsbank zu kaufen. Denn die Kreise des Handels
und der Industrie sagten sich mit Recht, daß bei dem lawinen-
artigen Anwachsen des Notenumlaufs und der schwebenden
Schuld die Reichsbank eines Tages aus Mangel an Mitteln ge-
zwungen sein würde, den Aufkauf von Reichsmark einzustellen
und der steigenden Tendenz der Devisen freien Lauf zu lassen.
Der Finanzminister Hermes versuchte noch weitere Mittel für
die Markstützung zu gewinnen. Er gab 50 Millionen Dollar drei-
jährige Dollarschatzanweisungen aus, deren Einlösung von der
Reichsbank garantiert wurde, und die vom Publikum in Devisen
234
zu bezahlen waren, Aber die Emission dieses glänzend fundierten
und bald sehr gesuchten Papiers war zunächst ein Fehlschlag.
Nur etwas mehr als der vierte Teil der 50 Millionen Dollar wurde
gezeichnet, und es bedurfte schärfsten Druckes, um durch die
Uebernahme weiterer Beträge durch die Banken den Mißerfolg
nach außen etwas zu verschleiern. Von diesem Zeitpunkt an —
Ende März — wurde die Lage unhaltbar.
Die Reichsbank gab täglich mehr als 20 Millionen Goldmark
an Devisen ab, um den Markkurs zu stützen. Als jedoch am
18. April 1923 mehr als 60 Millionen Goldmark bei ihr angefordert
wurden, erklärte sich die Reichsbank außerstande, die verlangten
Devisen in voller Höhe zuzuteilen. An diesem Tage sprang der
Dollarkurs auf 25000 Mark, um tags darauf den Kurs von 30 000
Mark zu erreichen. Damit war die Stützungsaktion im Grunde ge-
scheitert. Das wurde freilich nach außen noch nicht zugegeben.
Um den Kampf für die Mark fortzusetzen, mußte die Reichsbank
von nun an ihren bis dahin unangetasteten Goldschatz durch Ver-
pfändung und Verkauf im Auslande angreifen.
Der erste Erfolg der Markstützung fand im Ausland große
Beachtung. Man hatte der deutschen Regierung die Stärke dieses
finanziellen Widerstandes nicht zugetraut. In der französischen
Presse äußerten sich lebhaftes Befremden und wachsende Un-
sicherheit darüber, ob die Besetzung zu dem gewünschten Erfolg,
nämlich zur Unterwerfung Deutschlands unter den militärisch-
politischen Druck Frankreichs, führen werde. Poincare und
Theunis, die Häupter der besetzenden Mächte, trafen sich mehr-
fach, um über die Fortsetzung der Ruhrpolitik zu beraten. Bei der
ersten Zusammenkunft in Brüssel am 14. März wurde ziemlich
farblos erklärt, daß das Ruhrgebiet nicht auf ein bloßes Ver-
sprechen Deutschlands hin, sondern nur nach Maßgabe der Er-
füllung der Reparationsverpflichtungen geräumt werden würde,
Am 13, und 14, April fand eine neue Besprechung statt, diesmal
in Paris. Jetzt wehte schon ein schärferer Wind. Die Beschlüsse
von Brüssel wurden bekräftigt, zugleich aber wurden neue Druck-
mittel angekündigt, bis Deutschland sich entschließen würde,
235
direkte Reparationsvorschläge zu machen, Das Programm für die
Ausbeutung des besetzten Gebietes wurde wie folgt festgesetzt:
Die in Deutschland beschlagnahmten Güter werden durch die
französischen und belgischen Behörden verkauft und in eine
Pfänderkasse — caisse de comptabilit& des gages — abgeführt,
Daraus werden die Kosten der Besetzung und Eintreibung be-
stritten, Der verbleibende Rest fließt der Reparationskasse zu,
Alle diese Proklamationen dienten dazu, die Verlegenheit
Frankreichs würdevoll zu decken, Im Grunde aber richteten sie
sich an die deutsche Adresse, Aufgabe der deutschen Politik war
es nun, Möglichkeiten zur Verhandlung zu eröffnen und auszu-
nutzen. Das war insofern schwierig, als jedes neue deutsche
Angebot an die Alliierten als Zeichen der Schwäche aufgefaßt
werden konnte. Doch fehlte es nicht an Fühlern aus F rankreich
und Belgien, um zu einer Verständigung zu gelangen. Direkte
Verhandlungen mit der französischen Regierung waren freilich
bei dem Starrsinn Poincares nicht gut möglich. Die deutsche
Regierung war lange unschlüssig, ob sie es wagen dürfe, den An-
stoß zu Verhandlungen zu geben, Sie arbeitete im stillen den
Reparationsplan, den sie für die Pariser Konferenz vom Januar
bereitgehalten hatte, weiter aus und ließ über die Schweiz und
Belgien sondieren, ob auf der Grundlage dieser neuen deutschen
Vorschläge eine Verständigung möglich sei, und ob die belgische
Regierung deswegen an Frankreich herantreten würde, Belgien
wagte das nicht, empfahl aber, Deutschland solle sich direkt an
die französische Regierung wenden.
Im ganzen waren die Aussichten auf eine Beilegung des Streites
damals nicht schlecht. Auch Loucheur bemühte sich darum. Er
reiste Anfang April nach London, besuchte unter anderen Lloyd
George und lancierte durch den „Daily Telegraph“ einen eigenen
Reparationsplan, Poincare aber, der erst die Reise hatte geschehen
lassen, schüttelte diesen Versuch der Annäherung alsbald von sich
ab. Er wußte auch zu hintertreiben, daß ein Reparationsplan
Delacroix - Barthou zustande kam. Die Anregung zu dem Plan
stammte von der belgischen Regierung, und Poincar& hatte am
13. April in Paris dem Ministerpräsidenten Theunis seine Zu-
236
stimmung dazu gegeben. Diese Quertreibereien machten das Ver-
hältnis zwischen den Alliierten nicht besser. Auch in Frankreich
wuchs die Unzufriedenheit mit der sterilen Politik Poincares zu-
sehends. Die deutsche Regierung aber konnte in dieser kritischen
Zeit den rechten Weg nicht finden. Erst als Lord Curzon am
20. April im englischen Unterhaus eine Rede hielt, deren Sinn
so verstanden werden mußte, daß Deutschland neue Reparations-
vorschläge machen und Garantien dafür bezeichnen sollte, rang
sich Berlin zu dem schweren Entschlusse durch.
237
VIERUNDZWANZIGSTES KAPITEL
SERGEBLICHE DEUTSCHE ANGEBOTE,
VERGEBLICHE ENGLISCHE VERMITTELUNG
Am 2, Mai 1923 sandte die deutsche Regierung eine Note mit
einem neuen Angebot an die Hauptmächte der Alliierten und an
die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika. Die Wirkung
war verhängnisvoll,
Um das Angebot zu begreifen, muß man die Geschichte seiner
Entstehung kennen. Die Absicht war, als Gesamtleistung Deutsch-
lands unter dem Vertrage von Versailles den Betrag von 30
Milliarden Goldmark anzubieten, der durch mehrere internatio-
nale Anleihen und durch Sachleistungen aufgebracht werden
sollte, Eine große Anleihe von 20 Milliarden sollte möglichst
sogleich zur Ausgabe kommen. Ihre Zinsen für die ersten vier
Jahre waren einstweilen aus dem Kapital zu nehmen, damit
Deutschland eine Schonzeit für Geldzahlungen erhielt. Ueber die
Nachzahlung der Zinsen und über die Begebung der späteren
Anleihen sollte ein unparteiisches Schiedsgericht entscheiden.
Falls die Alliierten das Angebot für zu niedrig erachteten, sollte
gemäß dem Vorschlag, den der amerikanische Staatssekretär
Hughes in einer Rede in Newhaven am 29, Dezember 1922 ge-
macht hatte, ein Komitee von internationalen Sachverständigen
die Leistungsfähigkeit Deutschlands für Reparationszahlungen
festsetzen. Als Garantien waren in Aussicht genommen:
1. für die Sachlieferungen langfristige Lieferungsverträge
der deutschen Industrie,
238
2. für die Geldzahlungen eine Generalhypothek auf die
Deutsche Reichsbahn, die ein selbständiges Wirtschafts-
gebilde werden sollte, sowie bestimmte Einnahme-
quellen des Reiches wie Zölle, Tabaksteuer und Alkohol,
In den Beratungen des Kabinetts Cuno wurde dieser ein-
fache und bestimmte Plan aus innerpolitischen Bedenken, die
von mehreren Ministern hartnäckig vertreten wurden, seltsam
entstellt und verwässert. Kapitalbetrag und Zinsen wurden der-
art verklausuliert, daß der wirkliche Wert der angebotenen
‚30 Milliarden wesentlich geringer erschien. Die Verpfändung der
Eisenbahn und bestimmter Reichseinnahmen verschwand aus dem
Entwurf des Angebots, Dafür erklärte sich die Regierung nur
mit allgemeinen Worten zu besonderen Garantien bereit, die
durch Verhandlung mit dem internationalen Anleihekonsortium
und der Reparationskommission festzustellen seien. Ferner wollte
die Regierung durch geeignete Maßnahmen auch auf gesetzlichem
Wege dafür sorgen, daß die gesamte deutsche Wirtschaft zur
Sicherung des Anleihedienstes herangezogen würde. Der Vor-
schlag von Hughes, die Zahlungsfähigkeit Deutschlands von inter-
nationalen Sachverständigen bestimmen zu lassen, war nur zag-
haft angedeutet.
Schon der Eingang der deutschen Note betonte scharf, daß
der passive Widerstand fortdauern werde, bis die Räumung der
über den Versailler Vertrag hinaus besetzten Gebiete und die
Wiederherstellung vertragsmäßiger Zustände in den Rheinlanden
erreicht sein würden. Und der Schluß wiederholte: Ausgangspunkt
der Verhandlungen müsse sein, daß innerhalb kürzester Frist der
status quo ante wiederhergestellt werde. Dazu gehöre auch, daß
die verhafteten Deutschen in Freiheit gesetzt und den Ausge-
wiesenen ihre Wohnstätten und Aemter zurückgegeben würden.
Um dem französischen Verlangen nach politischer Sicher-
stellung entgegenzukommen, besagte die Note noch, daß die
deutsche Regierung nach wie vor zu jeder friedensichernden Ver-
einbarung auf der Grundlage der Gegenseitigkeit bereit sei, ins-
besondere zur schiedsrichterlichen Erledigung von Streitigkeiten
zwischen Deutschland und Frankreich.
239
Im übrigen wurde das Angebot noch von der Stabilisierung |
der deutschen Währung und von der Gleichberechtigung Deutsch-
lands im internationalen Wirtschaftsverkehr abhängig gemacht,
Diese letzteren Bedingungen waren schon in jedem früheren
deutschen Angebot enthalten und zur Genüge bekannt.
Die ganze deutsche Note war fast in jedem Wort ein Kom-
promiß zwischen äußeren Notwendigkeiten und inneren Rück-
sichten, Ihre letzte Form erhielt sie erst nach endlosen Beratungen.
Dann aber wurde sie in nervöser und unnötiger Hast der Oeffent-
lichkeit übergeben. Der erkrankte Finanzminister Hermes erhob
in letzter Stunde Bedenken gegen Inhalt und Form der Note,
drang aber damit nicht durch.
Das Angebot erregte selbst in Deutschland vielfach Be-
fremden. Im gesamten Ausland wurde es als unbrauchbar abge-
lehnt. Frankreich und Belgien vergaßen darüber einen -Augen-
blick ihre schwerwiegenden Differenzen in der Ruhrfrage und
sandten schon unter dem 6. Mai nach einer weiteren Zusammen-
kunft in Brüssel ihre gemeinsame Antwort, die offenbar von
Poincare selber verfaßt war. Ganz im Stile seiner wöchentlichen
Sonntagsreden behandelte er darin das deutsche Angebot mit
jenem höhnischen Haß, dessen Tonarten er im Verkehr mit
Deutschland so meisterlich beherrschte, Ihm war die deutsche
Note von Anfang bis zu Ende nichts „als der kaum verhehlte
Ausdruck einer systematischen Auflehnung gegen den Vertrag
von Versailles“, an den Deutschland durch seine Unterschrift
gebunden sei. Die Erklärung, daß Deutschland den passiven
Widerstand fortsetzen werde, beantwortete Poincar& damit, daß
der Widerstand nicht von der Bevölkerung ausgehe, sondern daß
die deutsche Regierung selber blutige Zusammenstöße, Angriffe
gegen die französische Besatzung, Sabotageakte und gemeine Ver-
brechen im Ruhrgebiet organisiert habe.
Die französische und die belgische Regierung erklärten nun-
mehr offiziell, daß sie keinen deutschen Vorschlag in Erwägung
ziehen würden, solange der Widerstand im Ruhrgebiet andauere,
und daß sie das neu besetzte Gebiet nur nach Maßgabe und im
Verhältnis der geleisteten Reparationszahlungen räumen würden.
240
Verbindlich in der Form, aber sachlich sehr bestimmt war die
Ablehnung, welche das deutsche Angebot am 13, Mai von Eng-
land und Italien erfuhr. Beide Regierungen brachten ihre tiefe
Enttäuschung über Form und Inhalt der deutschen Vorschläge
zum Ausdruck. Die Höhe des Angebots sei unbefriedigend, die
Sicherheiten zu unbestimmt.
Das Angebot, zu dem sich die deutsche Regierung so spät und
so schwer entschlossen hatte, war damit vollkommen fehlge-
schlagen. Es hatte den außenpolitischen Konflikt verschärft,
die innerlich bereits uneinigen Alliierten wieder zusammen-
gebracht und Poincare die Parole verschafft, daß Deutschland
durch Aufgabe des passiven Widerstandes sich unterwerfen
müsse, ehe man zu Verhandlungen kommen könne. Damit war
das Kabinett Cuno am Ende, Es durfte nach seinen feierlichen
Erklärungen den passiven Widerstand nicht aufgeben, auch wenn
er ins Verderben führte. | |
Die Lage Deutschlands wurde nun verzweifelt. Der völlige
Abschluß des besetzten Gebietes durch Paß- und Zollgrenzen
verschärfte täglich die wirtschaftliche Not. Die Markentwertung
setzte sich trotz aller weiteren Stützungsversuche der Reichsbank
in erschreckender Weise fort. Ebenso schnell stiegen Warenpreise
und Löhne zu schwindelnden Höhen.
Der drohende Zusammenbruch Deutschlands begann aber auch
die Alliierten ernstlich zu beunruhigen. Während Poincar& mit
dumpfer Entschlossenheit unentwegt darauf ausging, Deutschland
zur Unterwerfung zu bringen und inzwischen aus dem besetzten
Gebiet so viel wie möglich an Geld und Leistungen heraus-
zupressen, bemühte sich die belgische Regierung schon seit einiger
Zeit, das Ruhrabenteuer zu einem vernünftigen Ende zu bringen.
Da die Aufstellung eines belgisch-französischen Reparationsplans,
wie schon erwähnt, von Poincar& systematisch hintertrieben
wurde, ließ die belgische Regierung selbständig einen Plan
ausarbeiten, der unter der Bezeichnung ‚Belgische Studien” be-
kannt geworden ist. Die Studien beschäftigten sich nicht mit der
Festsetzung der Gesamtschuld Deutschlands, sondern mit einer
Berechnung der Beträge, welche aus bestimmten Einnahmequellen
Bergmann, Der Weg der Reparation 16 241
des Reiches jährlich für die Reparation gewonnen werden könnten.
Danach sollten abwerfen-
1, die an eine Betriebsgesellschaft zu verpachtende Reichs-
bahn aueh Sp ann - - 1000 Millionen Goldmark
2. Verbrauchsmonopole a. 4830 R Ki
davon Tabak 450 Millionen
Bar 2... 'O0g
Alkohol . 600
Zucker . 130
Dale. au mn h
Verschied. 80 %
3 Kohlenlieferungen a Ne sr *
u ur ul la a
zusammen jährlich . . , 2870 Millionen Goldmark
Die Studien rechneten ferner mit einer Abgabe an die Repa-
rationskasse von 25 Prozent der Gewinne der deutschen Industrie-
und Handelsunternehmungen, Für die Aktiengesellschaften allein
schätzten sie diesen Betrag auf 250 Millionen Goldmark. Trotz
aller dieser Leistungen — so erklärten die Verfasser — sei der
Reichshaushalt leicht im Gleichgewicht zu halten.
Die Belgischen Studien wurden der- französischen Regierung
am 9, Juni 1923 übergeben.
der Regierung ausgeschieden, Sein Nachfolger wurde Baldwin,
Mit ihm wurde die Haltung Englands in der Reparationsfrage
tatkräftiger. Als die deutsche Regierung, völlig ratlos, wie sie
nach dem Fiasko ihrer Note vom 2, Mai die zerrissenen Fäden
der internationalen Verhandlung wieder aufnehmen sollte, keine
geeignete Form fand, um ihren mißverstandenen Reparationsplan
zu erläutern, entstand unter englischem Einfluß das deutsche
Memorandum vom 7. Juni 1923, Das Memorandum, das den
Alliierten und den Vereinigten Staaten von Amerika mit gleich-
lautenden Noten zuging, ist kurz und klar. Es ergänzt mit er-
freulicher Bestimmtheit die deutsche Note vom 2, Mai durch
den Vorschlag bestimmter Garantien für .die Reparation, Die
242
Reichsbahn sollte hiernach selbständig werden und Schuldver-
schreibungen mit erster Hypothek auf das Reichsbahnvermögen
in Höhe von 10 Milliarden Goldmark ausgeben, die vom 1. Juli
1927 ab mit 5 Prozent zu verzinsen waren. Damit war eine
Jahresleistung von 500 Millionen durch die Reichsbahn sicher-
gestellt. Der gleiche Betrag sollte vom 1, Juli 1927 ab durch eine
erste Hypothek von 10 Milliarden Goldmark auf den gesamten
Grundbesitz der Industrie, der Banken, des Handels, des Ver-
kehrs und der Landwirtschaft Deutschlands beschafft werden.
Außerdem wurden die Zölle auf Genußmittel und die Verbrauchs-
steuern auf Tabak, Bier und Zucker sowie die Erträgnisse des
Branntweinmonopols als Sicherheit angeboten, Der Ertrag dieser
Zölle und Abgaben war mit 800 Millionen Mark im letzten Jahre
vor dem Kriege angegeben. Das Memorandum verwies die näheren
Erörterungen über Deutschlands Zahlungsfähigkeit auf münd-
liche Verhandlungen und wiederholte das Ersuchen, hierzu eine
Konferenz zu berufen.
Poincars, getreulich gefolgt durch die ihm ergebene Pariser
Presse, vertrat nach der deutschen Note vom 2, Mai verbissen
den Standpunkt, vor Einstellung des passiven Widerstandes dürfe
über die Reparation nicht einmal unter den Alliierten gesprochen
‘werden, Kurz vor dem zweiten deutschen Angebot vom 7. Juni
aber mußte er doch dem belgisch-englischen Druck nachgeben und
in eine weitere persönliche Besprechung mit Theunis in Brüssel
willigen. Als Ergebnis wurde wie üblich verkündet, daß auch dies-
mal die belgische und die französische Regierung in der Behand-
lung der Ruhrfrage vollkommen einig seien und ihre früheren Be-
schlüsse ohne Einschränkung aufrechterhielten. Tatsächlich hatte
Sich jedoch der Unterschied zwischen der französischen und der
belgischen Richtung in Brüssel wesentlich verschärft, Belgien be-
‚trachtete die Ruhrbesetzung nur als Mittel zum Zweck, um durch
den Druck auf Deutschland eine Lösung der Reparationsfrage
herbeizuführen und alsdann das Ruhrgebiet wieder freizugeben.
Poincar& wollte zwar auch Deutschland zur Ergebung zwingen,
dann aber Rhein und Ruhr behalten und das System ihrer wirt-
schaftlichen Ausbeutung durch allierte Organe unverändert weiter-
16* 243
führen. Deshalb waren ihm jetzt Verhandlungen über dieReparation
ungelegen. Theunis erreichte in Brüssel aber doch wenigstens die
Zustimmung Poincares zur Uebergabe der Belgischen Studien an
England und zur Aufnahme von Besprechungen zwischen den
Alliierten.
Das deutsche Memorandum vom 1. Juni war für Poincare
natürlich ein rotes Tuch. Schon am selben Tage erteilte er seinen
Botschaftern in London, Rom und Brüssel den Auftrag, zu er-
klären, daß die deutsche Note völlig unannehmbar sei. Sie ent-
halte erstens keine Verpflichtung zur Aufgabe des passiven Wider-
standes, zweitens biete sie keine bestimmten Beträge an, drittens
wolle sie die Reparationskommission durch internationale Sach-
verständige und eine Konferenz ersetzen, viertens spreche sie nur
von theoretischen Pfändern, die den Gläubigern nicht ausge-
händigt würden und keine Sicherheit böten. Jedoch ließ sich
Poincar& durch Belgien und England dazu bewegen, von einer
sofortigen Antwort an Deutschland abzusehen und die nötigen
Schritte mit den Verbündeten zu beraten. Innerlich aber blieb
er ganz der Alte. Durch eine Note vom 10. Juni ließ er in London
und Brüssel erklären, Deutschland müsse erst den passiven
Widerstand aufgeben, ehe man ein Reparationsprogramm auf-
stellen könne. Alsdann aber müsse Deutschland eine Anzahl
seiner Einkommenquellen den Alliierten direkt überlassen, Und
dafür stellte er folgende Liste auf:
1. Die Eisenbahnen links vom Rhein seien einer Gesellschaft
zu übergeben, an der Frankreich, Belgien, England und
vielleicht auch die Rheinländer teilnehmen sollten;
2. die deutsche Großindustrie müsse bestimmte Kohlen-
gruben im Ruhrgebiet dem Reiche übertragen, damit sie
ebenfalls durch eine interalliierte Gesellschaft betrieben
würden;
3. die Sachlieferungen seien in bestimmtem Umfange wieder
aufzunehmen;
4. die Zölle seien in Gold zu erheben und den Alliierten zu
übergeben;
244
3. eine Ausfuhrabgabe von 26 Prozent in Devisen sei von den
großen deutschen Produktionsverbänden zu erheben und
an die Alliierten abzuführen;
6. im besetzten Gebiet sollten die Alliierten die Zölle und
die Ausfuhrabgabe selbst erheben; |
7. das Ruhrgebiet werde nur nach Maßgabe der Zahlungen
geräumt werden, die Deutschland für die Reparation leiste,
Die englische Regierung stand vor einer schwierigen Ent-
scheidung. Nach wie vor hielt sie daran fest, daß die ganze Ruhr-
besetzung vertragswidrig sei. Nachdem sie aber die Besetzung
ohne Protest zugelassen hatte, mußte sie sich mit den Tatsachen |
abfinden. Anwendung von Gewalt Frankreich gegenüber war aus-
geschlossen. Ein offener Bruch mit Frankreich hätte die Ord-
nung der Dinge in Europa unabsehbar verzögert. England mußte
daher versuchen, in Güte mit Poincar& voranzukommen und die
Aufgabe des deutschen Widerstandes in einer Weise herbei-
zuführen, die für Deutschland erträglich war und die Lösung der
Reparationsfrage näher brachte, Daher lehnte die englische Regie-
rung die französische Anregung, sie solle im Namen der Alliierten
Deutschland zur Aufgabe des passiven Widerstandes auffordern,
nicht grundsätzlich ab, Sie ersuchte jedoch am 13. Juni die
französische Regierung um genaue Auskunft über die Tragweite
ihrer Forderungen, vor allem darüber, was Poincar& eigentlich
unter der Aufgabe des passiven Widerstandes verstehe. Zugleich
wies sie auf ihre eigenen Bedenken gegen die französischen
Forderungen hin. Darauf sandte Poincar& unter dem 29. Juni
eine Antwort, die in der Geschichte der Reparation einen be-
sonderen Platz verdient, Poincare leistet sich darin das folgende
Urteil über Deutschland:
„Die Engländer haben von Deutschland eine ganz falsche an
fassung. Man darf mit den Deutschen nicht auf gleichem Fu ’e
verhandeln und nicht erwarten, daß sie einen von ihnen freiwillig
übernommenen Vertrag ausführen. Deutschland hat stets ver-
sucht, sich seinen Verpflichtungen zu entziehen, weil es bisher
von seiner Niederlage nicht überzeugt ist. Frankreich hat zu oft
erfahren, daß Deutschland als Nation sich nur unter dem Drucke
245
der Not dazu bequemt, sein Wort zu halten, und nur wenn es fühlt,
daß es mit einem Stärkeren zu tun hat; das aber hat es seit 1919
nicht gefühlt. Die Alliierten haben von Deutschland niemals etwas
erlangt, außer wenn sie einig waren und mit Gewalt drohten.
Nach der Konferenz von Spa hat Deutschland unter dem Drucke
der drohenden Ruhrbesetzung einige Monate lang Kohlen in
normaler Weise geliefert. Es hat aber sofort die Lieferungen
wieder eingeschränkt, als es glaubte, von der Gefahr eines Ein-
marsches befreit zu sein. Auch im Mai 1921 hat Deutschland den
Londoner Zahlungsplan unter den Drohungen der Alliierten an-
genommen. Als aber nach Zahlung der ersten Milliarde die wirt-
schaftlichen Sanktionen wieder aufgehoben wurden, hat Deutsch-
land immerfort ein Moratorium und: Herabsetzung seiner Schuld
verlangt. Um diesem Zustand ein Ende zu machen, sind die
Belgier und Franzosen in das Ruhrgebiet eingerückt. Wenn Eng-
land jetzt als Vermittler erscheint, wird Deutschland sicher er-
klären, daß es der Stärkere gewesen ist und den Alliierten seinen
Willen aufgezwungen hat. Es wird seine künftigen Versprechen
nicht besser halten als die früheren, Deutschland muß erst merken,
daß es wirklich besiegt ist. Englands Furcht, daß die Ruhr-
besetzung den völligen Ruin Deutschlands herbeiführen werde,
ist grundlos: nur die Fassade ist zerstört, weil Deutschland seinen
Kredit und seine Zahlungsmittel absichtlich vernichtet hat. Die
ganze Welt weiß, daß die Deutschen den Gegenwert ihrer Aus-
fuhr systematisch in Devisen im Ausland behalten, daß die Steuern
zugunsten einer habgierigen, alles an sich raffenden Großindustrie
nicht erhoben werden, daß der Zusammenbruch der Mark die
deutsche Ausfuhr begünstigt und alle inneren Schulden Deutsch-
lands tilgt, wobei das von seinen Renten lebende Bürgertum ver-
schwindet und gezwungen wird, sich produktiv zu betätigen, daß
alle Gewinne der Landwirtschaft, der Industrie und des Handels
in Sachwerten angelegt werden und das deutsche Kapital ver-
mehren. Wenn Deutschland will, kann es leicht seine Ausgaben
mit seinen Einnahmen in Einklang bringen und wird dann ohne
andere Schulden als die Reparation am freiesten von Lasten und
am reichsten auf der ganzen Welt dastehen,
246
Da Deutschland ohne Zwang nichts leistet, muß der Zwang an-
halten und ohne Schwäche durchgeführt werden. Darum ja keine
Maßnahmen, die unter dem Vorwand der Aufgabe des passiven
Widerstandes auf einen verringerten Druck der Besetzung hin-
zielen. Das Pfand darf nicht eher freigegeben werden, als bis
Deutschland seinen sämtlichen Verpflichtungen nachgekommen
ist, Der Druck muß vor allem auf der deutschen Industrie lasten,
da sie die Seele des Widerstandes ist und eine ständige Gefahr
für die französische und belgische Industrie bildet. Die durch Aus-
beutung des besetzten Gebietes erschlossenen Einnahmequellen
müssen dauernd beibehalten werden. Mit der Bezahlung seiner
eigenen Kriegsschulden kann Frankreich erst beginnen, wenn
seine zerstörten Gebiete wieder aufgebaut und die Lasten des
Wiederaufbaues aus seinem Budget verschwunden sind.”
In seiner Begleitnote an die englische Regierung wies Poincare
besonders darauf hin, daß England früher selbst die Besetzung
weiteren deutschen Gebietes gebilligt und mitgemacht habe, Im
übrigen gab er auf die einzelnen Punkte der englischen Anfragen
vom 13. Juni keine bestimmte Auskunft.
Mit diesem fanatischen Ausbruch Poincare&s war in der
Reparation nicht weiter zu kommen. Auch Belgiens Antwort auf
die englische Note vom 13. Juni war eine Enttäuschung. Deshalb
entschloß sich die englische Regierung, selber den Entwurf einer
Antwort der Alliierten an Deutschland vorzuschlagen. In seiner
Note an Frankreich und Belgien vom 20. Juli sagte Lord Curzon:
Nach der Ansicht von England und Italien seien die deutschen
Vorschläge vom 7. Juni einer sorgfältigen Prüfung wert. Die
internationale Lage verschärfe sich von Tag zu Tag. Die ‚Be-
setzung des Ruhrgebietes, möge sie rechtmäßig sein oder nicht,
verfehle den gewollten Zweck. Der ständige Fall der deutschen
Währung mache es Deutschland unmöglich, seine Verpflichtungen
aus dem Londoner Zahlungsplan zu erfüllen. Es müsse etwas ge-
schehen, um das wirtschaftliche Leben Deutschlands wieder
herzustellen. Wenn der passive Widerstand ein Hindernis sei, so
wolle England der deutschen Regierung die Aufgabe des Wider-
standes vorschlagen. Das aber verspreche nur Erfolg, wenn man
247
bereit sei, die deutsche Zahlungsfähigkeit zu prüfen und die Lage -
im Ruhrgebiet so zu gestalten, daß das Land wieder produktions-
fähig werde, England empfehle daher:
1, Aufgabe des passiven Widerstandes;
2. Wiederaufnahme der Zivilverwaltung im Ruhrgebiet und
seine schrittweise Räumung;
3. Berufung unparteiischer Sachverständiger mit der Aufgabe,
die Alliierten und die Reparationskommission über die
deutsche Zahlungsfähigkeit und die Art der Zahlung zu
beraten. Mitwirkung eines amerikanischen Sachverständigen
und Anhörung deutscher Sachverständiger;
4. Beratung derReparationskommission durch Sachverständige
in bezug auf wirtschaftliche Sicherheiten und Bürgschaften,
die Deutschland den Alliierten zu geben habe;
5. baldige interalliierte Besprechungen über einen umfassen-
den Plan für allgemeine und endgültige Regelung der
Reparation;
6. Räumung aller deutschen Gebiete, die über die im Versailler
Vertrag bestimmten Grenzen hinaus besetzt seien, sobald
die wirtschaftlichen Garantien wirksam würden.
Ein Entwurf der Antwort an die deutsche Regierung lag der
englischen Note vom 20. Juli bei. Er war aus lauter Vorsicht sehr
allgemein gehalten, um den Zwiespalt zwischen den Alliierten
" möglichst zu verdecken, England ermunterte Deutschland darin
zur Fortsetzung des zuletzt beschrittenen Weges, machte aber
die Aufgabe des passiven Widerstandes zur Vorbedingung für
jedes Entgegenkommen der Alliierten und betonte, daß neben
Bürgschaften auch eine internationale Kontrolle der deutschen
Finanzverwaltung vorzusehen sei,
Zwischen Frankreich und England saß nun Belgien in der
Klemme. Es hätte gern den unerträglichen Zustand im Ruhrgebiet
beendigt gesehen, konnte aber von-Frankreich nicht los, dem es
sich letzthin durch die Aufnahme einer Anleihe für die Stützung
des belgischen Franken noch mehr verschrieben hatte. Belgien
mußte sich krampfhaft anstrengen, zwischen seinen großen Ver-
bündeten so zu lavieren, daß es auf keiner Seite Anstoß erregte.
248
Die belgische und die französische Antwort auf den englischen
Vorschlag vom 20, Juli wurden gleichzeitig am 30, Juli in London
überreicht. Belgien betonte, daß die deutsche Schuld nur herab-
gesetzt werden könne, wenn man entweder die interalliierten
Schulden streiche oder den zerstörten Gebieten ein Vorzugsrecht
auf Reparation einräume, Im übrigen erklärte es sich bereit, auf
die englischen Reparationsideen einzugehen.
Frankreichs Antwort aber bekundete nach wie vor die Hals-
starrigkeit des unerbittlichen Gläubigers:
„Auge um Auge, Zahn um Zahn! Genau nach dem deutschen
Vorbild von 1871 wird das Ruhrgebiet als Unterpfand erst
freigegeben, wenn Deutschland gezahlt hat. Das Reich soll in
eine solche Notlage gebracht werden, daß es sich dazu bequemt,
die Durchführung des Vertrages von Versailles dem Zustande
der Besetzung vorzuziehen. Der deutsche Widerstand muß be-
dingungslos, ohne Gewährung von Vorteilen eingestellt werden.
Die Zahlungsfähigkeit Deutschlands ist bei der derzeitigen Ver-
wirrung seiner Wirtschaft überhaupt nicht festzustellen. Außer-
dem ist es sinnlos, sie ein für allemal zu bestimmen, da sie sich
stetig ändert. Die deutsche Regierung wird keinen Betrag als
gerecht und als möglich anerkennen. Und wenn sie das doch tut,
wird sie am nächsten Tage das Gegenteil sagen. 1871 hat kein
Mensch auf der Welt danach gefragt, ob Frankreich den Ver-
trag von Frankfurt für gerecht und ausführbar hält. Und die
Prüfung der deutschen Zahlungsfähigkeit durch unparteiische
Sachverständige? Was heißt unparteiisch? Wer hat die Sachver-
ständigen zu wählen? Wie soll ihr Verhältnis zur Reparations-
kommission sein? Lloyd George selber hat im Januar 1921 die
Beschlüsse der Sachverständigen aus der Brüsseler Konferenz
abgelehnt und erklärt, daß er keinen Wert auf sie lege. Man kann
jetzt nicht festsetzen, was im Ruhrgebiet zu geschehen hat, wenn
der passive Widerstand aufhört. Das hängt ganz von der Haltung
des Reiches und der Bevölkerung ab.“ |
Lord Curzon verhehlte seine schwere Enttäuschung über
belgische und: besonders die französische Antwort er r
empfand es bitter, daß Poincar& sich mit keinem Wort zu dem
249
englischen Entwurf der Antwort an Deutschland äußerte, Am
2. August kündigte er im Oberhause die Veröffentlichung des
gesamten Notenwechsels zwischen den Alliierten an, um der Welt
die ganze Tragweite des Problems und die Dringlichkeit seiner
Lösung zu offenbaren.
Die belgische Regierung bemühte sich in weiteren Noten an
England, ihre Haltung begreiflich zu machen. Sie schlug eine
mündliche Aussprache über die Reparation zwischen den alliierten
Ministern an der Hand der Belgischen Studien vor. Die franzö-
sische Regierung schwieg sich aus,
Unter dem 11, August sandte Lord Curzon an Frankreich
und Belgien eine weitere N ote, in der er das ganze Problem noch-
mals ausführlich und im einzelnen erörterte und die Differenzen
zwischen den Alliierten vom englischen Gesichtspunkte aus
scharf analysierte, Er lehnte es ab, die Zustimmung Frankreichs
Englands zu bezahlen. Die zerstörten Gebiete hätten keinen be-
$ründeten Anspruch auf bevorzugte Befriedigung vor anderen
Kriegsschäden, wie sie England durch Vernichtung von Schiffen
erlitten habe, |
Die Reparationskommission in ihrer jetzigen Zusammensetzung,
ohne Beteiligung Amerikas — das sagt die englische Note aus-
drücklich —, sei in der Praxis ein Werkzeug französisch-belgischer
Politik geworden. Man dürfe die unparteiischen Sachverständigen
nicht nur aus alliierten Ländern aussuchen, sondern müsse auch
Vertreter der Vereinigten Staaten, neutraler Mächte und Deutsch-
lands zuziehen, Die Reparationskommission sowohl wie die
alliierten Hauptmächte hätten wiederholt festgestellt, daß es der
deutschen Regierung nicht möglich gewesen sei, gewisse, ihr im
Vertrage aufgezwungene Verpflichtungen zu erfüllen.
Die höchsten juristischen Autoritäten in England hätten die
britische Regierung dahin beraten. daß die rechtlichen Einwen-
dungen Deutschlands gegen die Ruhrbesetzung wohl begründet
seien. Die britische Regierung habe bei früheren Gelegenheiten die
Drohung mit der Besetzung des Ruhrgebiets nicht ausgesprochen
250
wegen Verletzung von Reparationsvorschriften, sondern eben nur
als eine Drohung, genau so wie eine Kriegsdrohung. Aber auch die
Drohung mit Krieg sei nutzlos, weil der Zahlungswille Deutsch-
lands, der damit erzwungen werden solle, nichts bedeute, wenn
seine Zahlungsfähigkeit durch die Ruhrbesetzung vernichtet sei.
Frankreich habe nach dem Kriege 1870/71 nur vier Milliarden
Goldmark zahlen müssen. Die Reparationsansprüche aus dem
Weltkriege seien dreiunddreißigmal so groß. Die Parallele mit
1871 lasse sich auch deshalb nicht ziehen, weil Frankreich infolge
seines Kredits damals die nötigen Anleihen mit Leichtigkeit habe
aufbringen können, während es Deutschland vollkommen un-
möglich sei, ausländische Anleihen zu bekommen.
England erkläre sich abermals bereit, seine gesamten An-
sprüche an die Alliierten und an Deutschland auf 14.2 Milliarden
Goldmark herabzusetzen, eine Summe, die den Wert der kapitali-
sierten Schuld Großbritanniens an die Vereinigten Staaten dar-
stelle. England werde auch hiervon den Alliierten noch so viel
nachlassen, als es auf die 14.2 Milliarden von Deutschland er-
halten werde. |
Die Methode der französischen und der belgischen Regierung,
die Reparation beizutreiben, sei zum Mißerfolg verurteilt, weil
trotz aller Beschlagnahmen im Ruhrgebiet bei großen Kosten
weniger Erträge erzieit worden seien als im Jahre zuvor. Die
Sache könne schließlich so weit getrieben werden, daß England
im Interesse beschleunigter Regelung der Reparation zu ge-
sondertem Handeln schreiten müsse.
Niemals zuvor war der tiefe Riß zwischen England und Frank-
reich so scharf und gründlich beleuchtet worden wie in vn
englischen Note vom 11. August. Niemals auch hatten sich ie
beiden Alliierten vor aller Welt so ernste Wahrheiten gesagt er
in dem ganzen denkwürdigen Notenwechsel. Er gibt ”
Schwierigkeiten des Reparationsproblems und in die versc . ".
Denkart der beiden Völker tieferen Einblick als lange Abhand-
lungen. Er wirft ein grelles Licht auf Vorgänge, deren K
hang bis dahin mehr oder weniger dunkel geblieben war. Un
251
deshalb schien es mir nötig, die wichtigsten und interessantesten
Stellen aus dem Notenwechsel hier getreulich wiederzugeben.
Poincare antwortete am 20, August mit einer Note, die an
Ausführlichkeit, Offenheit und Schärfe nichts zu wünschen übrig
läßt. Er führte als geschickter Advokat den Nachweis, daß Lloyd
George die Besetzung weiteren Gebietes ebenfalls als Druckmittel
für die Bezahlung der Reparation angedroht und angewendet
habe, Er versuchte ferner mit Scheingründen nachzuweisen, daß
Deutschland sich konsequent den Reparationszahlungen entzogen
und den Zusammenbruch seiner Geldwirtschaft selber herbeige-
führt habe. Den französischen Beschluß, im Ruhrgebiet zu bleiben,
bis Deutschland seine Gesamtschuld bezahlt habe, begründete er
unter anderem mit der Phrase, daß andernfalls das Wort von
Lloyd George wahr werde, das er am 3. März 1921 in der Londoner
Konferenz ausgesprochen habe: es würden die Sieger die Kosten
der Niederlage bezahlen und die Besiegten die Früchte des Sieges
ernten.
Auch dieser politische Schriftsatz Poincar&s läßt bei aller
Dialektik jedes wirtschaftlicheVerständnis vermissen, Er klammert
sich mit formal-juristischer Logik an die Forderung, die Poincare
stets im Munde führte:
„Der Vertrag von Versailles muß ausgeführt werden.“
Damit schloß der äußerst lehrreiche, aber praktisch vollkommen
nutzlose Notenaustausch zwischen den Alliierten im Sommer 1923,
Der Versuch der englischen Regierung, die Alliierten wieder zu
einem gemeinsamen Vorgehen in der Reparationsfrage zu bringen,
war fehlgeschlagen. Deutschland erhielt auf seine Note vom
7. Juni, in der es auf englisches Betreiben ein sehr weitgehendes
Angebot gemacht hatte, überhaupt keine Antwort. Poincar& war
auf der ganzen Linie Sieger geblieben,
252
FÜNFUNDZWANZIGSTES KAPITEL
DIE EINSTELLUNG
DES PASSIVEN WIDERSTANDES
Mittlerweile griff der Verfall der Währung und der Wirt-
schaft Deutschlands in verhängnisvoller Weise um sich. Das zeigt
sich am besten an der Bewegung der Wechselkurse. Der offizielle
Preis für einen Dollar an der Berliner Börse war:
Mitte Juni : 2. Die 100 000
Mitte Jan onen S 200 000
am 8. August, . . 5.000 000
Mitte September . . . „100.000 000
am 9, Oktober. . über „1000000000
Ein Halten bei diesem Absturz gab es nicht mehr: die deutsche
Mark war zur völligen Wertlosigkeit verurteilt. Trotzdem be-
mühten sich Regierung und Reichsbank noch immer vergeblich,
einen Damm gegen die Markvernichtung aufzubauen. Schon im
Juni hatte alle Welt den Glauben daran verloren, daß diese
Stützungsversuche noch etwas nützen könnten. Der Unterhalt des
besetzten Gebietes, der beinahe ausschließlich auf Reichskosten
betrieben wurde, verschlang Summen, die, in Papiermark be-
rechnet, immer unermeßlicher wurden, Das Defizit der Reichs-
betriebe, vor allem der Eisenbahn, wuchs in gleicher Weise.
Trotz aller neuen Steuererlasse bildeten die Reichseinnahmen nur
einen verschwindenden Teil der Ausgaben. Jede Woche und
schließlich beinahe jeden Tag mußten die Gehälter und Löhne in
den Staats- und Privatbetrieben erhöht werden. Längst konnte
die Notenpresse dem Bedarf an Zahlungsmitteln mit dem Druck
von neuen Noten nicht mehr folgen. Industrie und Landwirtschaft
253
und ebenso der Handel weigerten sich schließlich, ihre Waren
überhaupt noch gegen Papiermark zu verkaufen. Daraus ent-
standen Unruhen und blutige Zusammenstöße,. Das Gespenst
allgemeiner Hungersnot drohte in den Städten.
Alle Versuche der Regierung, durch immer schärfere Devisen-
vorschriften der Verschleuderung der Mark ein Ende zu setzen,
blieben ohne jede Wirkung. Nun entschloß man sich endlich dazu,
neben der wertlosen Papiermark neue wertbeständige Umlaufs-
mittel auszugeben, Durch Verordnung vom 14. August wurde eine
Goldanleihe von 500 Millionen Goldmark geschaffen, deren Ab-
schnitte auf Dollars und Teilbeträge von Dollars lauteten und als
Zahlungsmittel in den Verkehr gebracht wurden, Die Regierung
schritt weiter am 25. August zu einer Zwangsabgabe von Devisen.
Hierauf gingen bis zum 27, Dezember 137 Millionen Goldmark ein.
Ende September 1923 hatte die Reichsbank aus ihrem Gold-
vorrate, der noch am 15. April über 1000 Millionen Goldmark
betragen hatte, mehr als 550 Millionen Goldmark verloren. Davon
waren über 100 Millionen für die Einlösung der am 15. Mai und
15. Juni fälligen letzten beiden belgischen Schatzwechsel ausge-
geben. 450 Millionen Goldmark in barem Gold aber hatte
die ebenso hartnäckige wie erfolglose Fortsetzung der Mark-
stützungsaktion verschlungen.
Um dem erschreckenden Mangel an Umlaufsmitteln zu steuern,
ließ die Regierung die Ausgabe von Notgeld nicht nur in Papier-
geld, sondern auch auf Goldbasis zu. Man schätzt die erlaubte
und unerlaubte Ausgabe von Papiernotgeld auf etwa 200 Trillionen
Mark und die Ausgabe des wertbeständigen Notgeldes auf etwa
200 Millionen Goldmark. Auch die Reichsbahn gab damals etwa
114 Trillionen Papiermark und 150 Millionen Goldmark als Eisen-
bahnnotgeld aus. Endlich schufen verschiedene deutsche Länder
und preußische Provinzen Goldanleihen im Betrage von etwa
50 Millionen Goldmark, die gleichfalls als Umlaufsmittel dienten.
Die Erbitterung des Volkes über den völligen Mißerfolg der
äußeren Politik und über die Verschärfung der Zustände im
Reiche führte am 12. August den Sturz der Regierung Cuno herbei,
Ein neues Kabinett unter Stresemann sicherte sich die Mitwirkung
254
der sozialdemokratischen Partei. Diese entsandte Dr, Hilferding
auf den schwierigen und undankbaren Posten des Finanzministers.
Um der finanziellen Mißwirtschaft ein Ende zu machen, suchte
Hilferding sogleich die von ihm schon seit längerer Zeit vertretene
Politik der schleunigen Rückkehr zur Goldwährung in die Tat
umzusetzen. Dazu gehörte aber nicht nur die Ausgabe von Gold-
anleihe und von Goldgeld, sondern auch die Einstellung der ver-
hängnisvollen Praxis der Reichsbank, immer noch Papierkredite
an Industrie und Handel zu geben. Vor allem aber mußte, wenn
das ganze Reich vor dem wirtschaftlichen Chaos bewahrt bleiben
sollte, mit der planlosen Verschwendung von Geld in den be-
setzten Gebieten gebrochen werden. Hörte aber die finanzielle
Unterhaltung der besetzten Gebiete auf Reichskosten auf, so war
damit auch der passive Widerstand zu Ende. Es ist der deutschen
Regierung sehr schwer geworden, das Bekenntnis der Niederlage
in diesem Kampfe abzulegen. Die Not war schließlich stärker als
der Stolz. Nachdem der Kanzler Stresemann bereits öffentlich
erklärt hatte, der passive Widerstand sei ein Fehlschlag gewesen,
verkündete die Reichsregierung am 26. September formell, daß
der Widerstand aufgegeben sei. Hinzugefügt wurde freilich, daß
diese Erklärung keine Kapitulation vor Frankreich bedeute,
So groß die Erwartung gewesen war, daß dieser Schritt zu
Verhandlungen mit den Alliierten führen werde, so groß war die
Enttäuschung. Die diplomatischen Versuche der neuen Regierung,
wenigstens die Zustände in den besetzten Gebieten zu erleichtern,
waren vergeblich. Frankreich ließ sich auf nichts ein, weder auf
Verhandlungen noch auf die Freilassung der politischen Ge-
fangenen und die Rückkehr der aus dem besetzten Gebiet Ver-
triebenen. Poincare erklärte, er müsse sich erst davon überzeugen,
daß der passive Widerstand wirklich zu Ende sei.
Nun entstanden in Deutschland ernste politische Wirren.
Bayern trat in offenen Gegensatz zur Reichsregierung. Be-
waffnete Scharen unter Ludendorff und Hitler versuchten eine
nationalistische Gegenrevolution anzuzetteln. Das führte sofort
zu kommunistischen Unruhen in Sachsen und Thüringen. Letztere
wurden mit Hilfe der Reichswehr bald niedergeschlagen. In
255
München kam es am 9, November zu einem Putsch, der durch das
Eingreifen der Reichswehr mit der Gefangennahme von Hitler
schon am folgenden Tage sein Ende fand. Im Rheinland wurde
sowohl zu Aachen wie zu Koblenz von Separatisten die Errichtung
der selbständigen Rheinrepublik proklamiert. Auch in der Pfalz
entstand eine gleichartige Bewegung. Sie breitete sich unter dem
Schutze der französischen Besatzungstruppen zunächst rasch aus,
Ueberall aber setzte sich die reichstreue Bevölkerung gegen die
separatistischen Minderheiten zur Wehr, und bis zum Ende des
Jahres gelang es allerorten, den Aufstand vollkommen nieder-
zuschlagen. Das politische Eingreifen Englands gegen den Separa-
tismus war dabei von Bedeutung.
Deutschlands wirtschaftlicher Zusammenbruch schien im Ok-
tober 1923 unvermeidlich.
Die französische Regierung verhielt sich bei alledem durchaus
passiv, Sie stellte nicht einmal mehr das Verlangen, daß die
deutsche Regierung ihre Unterwerfung formell bekunde, sondern
sie zog es vor, die Dinge weiter treiben zu lassen. Damals
herrschte fast überall, besonders auch in Amerika die feste
Ueberzeugung, daß Poincar& kein anderes Ziel habe, als die
völlige Auflösung Deutschlands herbeizuführen. Es war klar,
daß mit jedem Tage die Aussicht auf -Reparation immer mehr
verschwand. Daraus folgerte man allgemein, daß es Frank-
reich gar nicht mehr auf Reparation, sondern nur auf den
politischen Zerfall Deutschlands ankam, um auf diese radikale
Art völlige Sicherheit vor Deutschland zu erreichen. Vielfach .
wurde behauptet, die Ueberwindung der deutschen Gegenwehr
sei Poincar& zu plötzlich und zu früh gekommen. Er hätte mit
diesem Triumph lieber gewartet, bis der Zeitpunkt der fran-
zösischen Parlamentswahlen näher gerückt wäre, Denn in den
Monaten, welche zwischen der Aufgabe des passiven Wider-
standes und den französischen Wahlen lagen, mußte die Wahrheit
über das Ruhrabenteuer herauskommen, Wenn sich dann zeigte,
daß der politische Sieg Poincar&s auch für Frankreich schwere
wirtschaftliche und finanzielle Nachteile brachte, so konnte die
256
Enttäuschung des französischen Volkes leicht den Sturz der Re-
gierung Poincar& zur Folge haben.
Ich glaube nicht, daß so tiefe und bestimmte Absichten hinter
der Politik von Poincar& zu suchen sind. Poincar&s Stärke war
starrsinniges Beharren bei einmal gefaßten Ideen und Beschlüssen,
Er war nur im Verneinen groß. Er scheute sich nach der deutschen
Niederlage, einen positiven Entschluß zu treffen, weil er in der
veränderten Situation nicht aus noch ein wußte. Vorläufig gefiel
er sich in der Rolle des siegreichen Diktators. Er zögerte auch,
die weitere Entscheidung in den Reparationsfragen wieder der
dazu berufenen Reparationskommission zu übertragen, weil er
dann mit dem Widerstand Englands und vielleicht auch mit den
Bedenken Italiens und Belgiens zu rechnen hatte. So blieb an
Rhein und Ruhr vorläufig alles beim alten.
Unter solchen Verhältnissen konnte auch das Kabinett Strese-
mann keinen Bestand haben, Denn es hatte den passiven Wider-
stand ja gerade aufgegeben, um wieder zu wirtschaftlich erträg-
lichen Zuständen zu gelangen. Das Kabinett trat am 3. Oktober
zurück. Die sozialistischen Minister schieden aus. Anstelle von
Dr. Hilferding wurde Dr. Luther Reichsfinanzminister. Stresemann
führte mit einem Rumpfkabinett in diktatorischer Form bis zum
23. November die Geschäfte weiter. Dann bildete sich aus den
Mittelparteien eine neue Regierung mit Marx als Reichskanzler,
Stresemann als Außenminister und Luther als Finanzminister,
Bergmann, Der Weg der Reparation 17 257
SECHSUNDZWANZIGSTES KAPITEL
DIE REFORM DES DEUTSCHEN GELDWESENS
UND DES REICHSHAUSHALTS
DIE MICUMVERTRÄGE
Inmitten aller dieser Wirren wurde in Deutschland eine
gründliche Währungs- und Finanzreform durchgeführt. Am
15. Oktober 1923 erging die Verordnung über die Errichtung der
deutschen Rentenbank. Sie machte der Papierwirtschaft des
Reiches ein Ende. Die Reichsbank wurde der Sorge für die
Reichsfinanzen enthoben und ganz selbständig gemacht. Sie durfte
fortan keine Schatzanweisungen des Reiches diskontieren, Die
bisherigen Schulden des Reiches bei der Reichsbank wurden mit
Hilfe eines zinslosen Darlehens der Rentenbank an das Reich von
300 Millionen Rentenmark abgelöst. Die Fehlbeträge im Reichs-
haushalt, die bis zur Herstellung des Gleichgewichts der Ein-
nahmen und Ausgaben entstehen würden, sollte das Reich aus
verzinslichen Krediten der Rentenbank bestreiten. Diese durften
einschließlich des zinslosen Darlehens von 300 Millionen den Ge-
samtbetrag von 1200 Millionen Rentenmark nicht übersteigen.
Die Einführung der Rentenmark war ein seltsames Experiment.
Man mußte mit der Papierwirtschaft aufhören, weil sie durch die
Vernichtung der Mark ad absurdum geführt worden war. Man
wollte zur Goldwährung zurückkehren, hatte aber dafür keine
genügende Unterlage an Gold und besaß auch keinerlei Kredit
im Inland und Ausland mehr. Mit diesem Problem hatten sich in
Deutschland schon seit langer Zeit Berufene und Unberufene
abgequält. Es lagen Projekte vor für Goldnotenbanken auf reiner
Goldwährung und auf der sogenannten goldgeränderten Währung.
258
Der Plan der Rentenbank stammt von Helfferich, Er brachte
schon Anfang August 1923 dem Finanzminister Hermes im
Kabinett Cuno einen vollständigen Entwurf, der abgesehen von
wenigen Punkten einige Monate später fast unverändert Gesetz
. geworden ist, Der einzige wirklich grundlegende Unterschied des
Rentenbankgesetzes von dem Helfferichschen Entwurf liegt darin,
daß Helfferich die Einheit der neuen Währung nicht auf die
Goldmark abstellen wollte, sondern auf den Wert eines Pfundes
Roggen. Schon bei den ersten Besprechungen im Finanzministerium
wurde ihm gesagt, daß der Roggenpreis keine g&ignete Grund-
lage für eine Währung sei, weil er bekanntlich schon im Verlaufe
eines einzigen Jahres erheblich schwankt. Helfferich wußte sehr
wohl, daß es theoretisch allein richtig sei, die Goldmark als
Grundlage zu nehmen. Er erwartete aber von der Roggenmark ein
besonderes Vertrauen der Landwirtschaft in die neue Währung,
da das Land mit dem Begriff der Goldmark nichts anfangen
konnte und das Gold selbst fehlte, während Roggen das Haupt-
erzeugnis des deutschen Landbaus ist. Nun hatte der Plan von
Helfferich gerade den Zweck, während einer Uebergangszeit
wieder ein Zahlungsmittel zu schaffen, gegen das die Land-
wirtschaft ihre Erzeugnisse verkaufen würde, Darüber, daß die
Roggenwährung nur ein Schritt auf dem Wege zur Goldwährung
sein könne, war sich Helfferich natürlich klar.
Seine Konstruktion der Rentenbank zeugt von genialer Auf-
fassung. Die produktiven Stände Deutschlands: Landwirtschaft,
Industrie,-Gewerbe und Handel einschließlich der Banken wurden
zugunsten der Deutschen Rentenbank mit einer Schuld in Höhe
von vier Prozent ihres für die Zwecke des Wehrbeitrages im
Jahre 1913 geschätzten Vermögens, im ganzen mit 3200 Millionen
Goldmark, belastet. Die Last ruhte auf den Grundstücken in Form
einer erststelligen Grundschuld. Wo nicht genügend Grundbesitz
vorhanden war, trat an die Stelle der Grundschuld eine Schuld-
verschreibung des belasteten Unternehmens. Diese Schuld war
mit 6 Prozent jährlich zu verzinsen, Zinsen und Kapital waren bei
Fälligkeit nach dem Goldwert in Rentenmark zu zahlen. Auf
diese Weise wurden die Schuldner, das heißt die gesamte deutsche
17% 259
|
Wirtschaft, daran interessiert, die Rentenmark auf der Höhe der
Goldmark zu halten, Denn je mehr die Rentenmark unter den
Goldwert sinken würde, um so mehr Rentenmark mußte der
Schuldner an Zinsen und Kapital an die Rentenbank abführen.
Das Grundkapital der Rentenbank betrug 2400 Millionen, ihre
Grundrücklage (Reserve) 800 Millionen Rentenmark. Kapital und
Reserven gegenüber stand als Aktivum der Rentenbank ihre
Forderung von 3200 Millionen, die zur Hälfte auf die Landwirt-
schaft, zur anderen Hälfte auf Industrie. Gewerbe und Handel
entfiel, Die Eigentümer der belasteten Grundstücke und die Unter-
nehmer der belasteten Betriebe waren der Höhe ihrer Schuld
entsprechend an dem Kapital der Rentenbank beteiligt. Die
Rentenbank sollte bis zur Höhe ihrer Forderung an die deutsche
Wirtschaft fünfprozentige Rentenbriefe über 500 Goldmark oder
ein Vielfaches davon ausstellen. Diese Rentenbriefe sollten als
Deckung der von der Rentenbank als Zahlungsmittel auszugeben-
den, auf Rentenmark lautenden Rentenbankscheine dienen. Der
Wert aller in Umlauf gesetzten Rentenbankscheine durfte den
Gesamtwert der ausgestellten Rentenbriefe nicht überschreiten.
Die Rentenbank wurde verpflichtet, ihre Rentenmark jederzeit
auf Verlangen so einzulösen, daß auf 500 Rentenmark ein Renten-
brief über 500 Goldmark zu geben war.
Die Rentenbank sollte Bankgeschäfte nur mit dem Reich, der
Reichsbank und den Privatnotenbanken machen. Abgesehen von
den erwähnten Krediten an das Reich durfte die Rentenbank der
Reichsbank und den Privatnotenbanken zum Zwecke der Kredit-
versorgung der Privatwirtschaft Kredite bis zum Betrage von
1200 Millionen Rentenmark gewähren. Aus dem Gewinn der
Rentenbank waren vorweg 40 Prozent des Reingewinns einem
Tilgungskonto zuzuführen. Alsdann sollte ein Betrag bis zu 6 Pro-
zent der gemachten Einlagen den Anteilseignern zufallen, bezw.
auf deren Schuldzinsen verrechnet werden. Ein etwaiger Rest-
betrag war zur Verstärkung des Tilgungskontos zu verwenden.
Die Verwaltung der Rentenbank sollte ganz in den Händen der
Anteilseigner liegen.
260
> Die Rentenbank begann ihre Tätigkeit am 15, November 1923
mit der Ausgabe der Rentenbankscheine. Damals betrug die
schwebende Schuld des Reichs bei der Reichsbank etwas über
191 Trillionen Papiermark. Vom 20. November ab gelang es, den
Kurs des Dollars auf 4.2 Billionen Papiermark festzuhalten, Im
Ausland war kurz vorher die Bewertung der Mark noch weit
geringer gewesen, Durch den geschickten Aufkauf von Papiermark
im Ausland wurde dann auf einem Dollarkurs von 4.2 Billionen
das Gleichgewicht wiederhergestellt. Dieser Kurs ist nach einigen
Schwankungen, die im Januar 1924 einsetzten, ständig aufrecht
erhalten worden. Damit hat sich auch das Problem, ein festes
Wertverhältnis zwischen der Rentenmark und der Papiermark zu
schaffen, das den Erfindern der Rentenmark zunächst viel Kopf-
zerbrechen gemacht hatte, von selbst gelöst. Denn nunmehr erhielt
die Rentenmark, welche nach dem Gesetz einer Goldmark gleich
ist, einen Börsenpreis von einer Billion Papiermark. Zu diesem
Preise ist die Hauptmasse der schwebenden Schuld des Reiches
bei der Reichsbank insgesamt mit etwa 200 Millionen Rentenmark
eingelöst worden.
So hat die Einführung der Rentenmark mit einem Schlage
die Papiermark vorläufig stabilisiert. Gesetzliches Zahlungsmittel
blieb die Papiermark nach wie vor. Die Rentenmark erhielt diesen
Charakter nicht, wenngleich sie an allen öffentlichen Kassen als
Zahlungsmittel anzunehmen war. Der große Erfolg der Renten-
mark ist umso bemerkenswerter, als sie bei ihrer Einführung von
den berufenen Vertretern des Bankgewerbes fast durchweg auf
das heftigste bekämpft worden war. Es stand aber hinter der
Rentenmark vor allem das Vertrauen der Landwirtschaft, die in
der neuen Währung das Werk ihres politischen Vertreters
Helfferich sah und stützte, Ein schlagender Beweis dafür, daß
das Vertrauen des Volkes von wesentlicher Bedeutung für die
Geschicke der Landeswährung ist.
Die Einführung der Rentenmark war aber nur eine der nötigen
Voraussetzungen für die Währungs- und Finanzreform. Sie hätte
nur vorübergehend Erfolg haben können, wenn nicht gleichzeitig
261
im Steuerwesen und in den Ausgaben des Reiches grundlegende
Aenderungen eingetreten wären.
Durch Verordnung vom 11. Oktober wurde kurzerhand be-
stimmt, daß alle Reichssteuern auf Gold umzustellen seien. Durch
drei Steuernotverordnungen wurden weitere tief in die Wirtschaft
einschneidende Steuermaßnahmen getroffen. Das Kontrollrecht
des Finanzministers über die einzelnen Reichsressorts wurde
wesentlich erweitert, Die Ausgaben wurden stark eingeschränkt,
vor allem durch einen sehr scharfen Abbau der Beamtenschaft.
Etwa 25 Prozent der Reichsbeamten wurden entlassen, Eisenbahn
und Post wurden in ihren Finanzen ganz auf eigene Füße gestellt.
Sie führten Goldtarife ein und erhielten keinerlei Unterstützung
vom Reiche mehr. |
Trotz aller dieser Maßnahmen war es ein kühnes und gefähr-
liches Unterfangen, das Gleichgewicht im Reichshaushalt lediglich
durch die Kredithilfe der Rentenbank herzustellen. Es blieben
dem Reiche nach Ablösung seiner Schuld von 200 Millionen bei
der Reichsbank von dem Gesamtkredit der Rentenbank noch
1000 Millionen Rentenmark. Davon verbrauchte das Reich schon
bis Ende Dezember 800 Millionen, weil die Einnahmen zunächst
noch stark hinter den nötigen Ausgaben zurückblieben. Von An-
fang Januar 1924 an aber gelang es, ohne weitere Benutzung des
Rentenbankkredits Ausgaben und Einnahmen des Reichs im
‚Gleichgewicht zu halten. Bald wurden sogar Ueberschüsse erzielt.
Die Reichsfinanzen waren Ende 1923 besonders dadurch be-
lastet worden, daß man trotz der Einstellung des passiven Wider-
standes sich auch nach dem 15. November genötigt sah, die Unter-
stützung der Erwerbslosen im besetzten Gebiet fortzuführen, Dafür
wurde ein Höchstbetrag von 100 Millionen Rentenmark ausge-
setzt, der natürlich nur für kurze Zeit helfen konnte, So stand die
Regierung vor der Frage, wie nach Aufgabe des passiven Wider-
standes die Wirtschaft in den besetzten Gebieten aufrecht erhalten
werden sollte. Rhein und Ruhr hatten im letzten Jahr fast aus-
schließlich von den Geldsendungen der Regierung gelebt. Industrie
und Handel waren durch die Zwangsmaßnahmen der Besetzung
lahmgelegt. Die Arbeit in den Bergwerken und Fabriken stand still.
262
Die Aufgabe des passiven Widerstandes war eine unvermeid-
liche Folge des allgemeinen: Finanzelends. Sie hatte keinen Sinn,
wenn das Reich seine Zahlungen in das besetzte Gebiet doch nicht
einstellte, Was aber sollte an Rhein und Ruhr geschehen, wenn
die Unterstützung durch das Reich vollkommen aufhörte?
Frankreich lehnte es ab, sich auf Verhandlungen mit Deutsch-
land über die Ordnung der Verhältnisse im besetzten Gebiet ein-
zulassen, Somit konnte die Arbeit in den stillgelegten Betrieben
nur dann wieder beginnen, wenn die deutschen Unternehmer sich
mit den fremden Machthabern einigten, das heißt sich ihren Be-
dingungen unterwarfen. Ein solcher Entschluß mußte das Ein-
geständnis der deutschen Niederlage besiegeln. Er verleugnete die
bisherige Abwehrpolitik der Regierung. Alle Opfer und Leiden
des Volkes im Ruhrkampf wurden damit vergeblich. Unter dem
Machtwort der Besatzung die Arbeit wieder aufzunehmen, war
daher unlogisch und unpolitisch. Die Welt war darauf gefaßt, daß
Deutschland in seiner Verzweiflung die Aufgabe des passiven
Widerstandes etwa so begründen würde:
„Der ungleiche Kampf ist aus. Wir sind am Ende unserer
Kräfte, Ihr habt durch den Einfall in das Ruhrgebiet das wirt-
schaftliche Zentrum Deutschlands vernichtet und die Zahlung von
Reparationen unmöglich gemacht. Wir müssen die besetzten
Gebiete ihrem Schicksal überlassen. Tut mit ihnen, was ihr wollt,
und seht zu, wie ihr auf eure Kosten die verzweifelte Lage wieder
in Ordnung bringt.” |
Dieser Weg, den die besetzenden Mächte mehr als alles
fürchten mußten, wurde nicht eingeschlagen. Der Trieb zur Selbst-
erhaltung war stärker als Logik und Stolz. Wenn die Arbeiter
im rheinisch-westfälischen Industriegebiet kein Geld und keine
Lebensmittel mehr bekamen, würde Verzweiflung sie zum Auf-
ruhr getrieben haben. Die Verantwortung für blutige Unruhen und
für den Untergang weiter Volkskreise wollte niemand über-
nehmen. Die Industrie scheute sich aus guten Gründen, ihr Eigen-
tum den besetzenden Mächten vollkommen auszuliefern. Ferner
war zu befürchten, daß die Bewegung des Abfalls vom Reich, die
ohnehin offen ausbrach, aus der allgemeinen wirtschaftlichen
263
Katastrophe so viel Kraft ziehen würde, daß die besetzten Ge-
biete auf lange Zeit vom Reiche auch politisch abgetrennt wurden.
Das etwa waren die Gründe, aus denen man sich schweren
Herzens entschloß, den bitteren Weg der Unterwerfung unter die
iremde Gewalt zu gehen. Da die deutsche Regierung mit mehr-
fachen Verhandlungsversuchen von F rankreich glatt abgewiesen
worden war, überließ sie es der Industrie des besetzten Gebietes,
auf eigene Faust die Dinge zu ordnen. Mehrere Unternehmungen,
zuerst die Phoenix-Gruppe, in der holländisches Kapital maß-
gebend vertreten war, verhandelten mit den französischen Macht-
habern, um ihre beschlagnahmten Vorräte an Eisen- und Stahl-
produkten zum Verkauf frei zu bekommen. Dem folgte nach und
nach fast die ganze Schwerindustrie, Die Verhandlungen wurden
mit der Mission Interallige de Contröle des Usines et des Mines
(Micum) geführt. Die Micum verlangte zunächst, die deutsche
Industrie solle die von ihr geforderten Abgaben an die Besatzungs-
mächte ohne jede Entschädigung leisten. Dagegen stellte sich die
Industrie auf den Standpunkt, daß sie nur auf Grund des Ver-
trages von Versailles Leistungen machen könne, die demgemäß der
deutschen Regierung auf Reparationskonto gutzuschreiben seien.
Die Regierung in Berlin wurde von dem Gange der Verhand-
lungen ständig unterrichtet. Sie erkannte durch die Schreiben des
Reichskanzlers vom 1. November und 21. November an die Ver-
treter der Schwerindustrie (die sogenannte Sechserkommission)
an, daß sie verpflichtet sei, die Micumlasten des besetzten Ge.
bietes zu vergüten, Bedingung dafür war, daß diese Leistungen
auf Reparationskonto gutgeschrieben werden würden. Die Ver-
gütung sollte nach Ordnung der Reichsfinanzen stattfinden. Bis
dahin sollten die Zechen berechtigt sein, gewisse Steuern auf die
Lieferungen an die Micum zu verrechnen.
Nach vielfachem Hin und Her wurde endlich am 23. November
zwischen der Micum und der Sechserkommission ein Vertrag ge-
zeichnet, der im wesentlichen auf folgendes hinauskam:
1. Die Bergwerke zahlen binnen sechs Monaten an die Micum
für den Zeitraum bis zum 1, November 1923 einen Teilbetrag
264
der deutschen Kohlensteuer, im ganzen nicht mehr als
15 Millionen Dollar;
2. die Kohlenvorräte aus der Förderung bis zum 1, Oktober 1923
bleiben für die Alliierten beschlagnahmt. Die neue Förderung
wird Eigentum der Bergwerke. Diese haben für jede Tonne
der von ihnen verkauften Kohle eine Abgabe von zehn
Francs zu zahlen;
3. die Bergwerke nehmen in einem bestimmten Verhältnis zu
ihrer gesamten Erzeugung die Kohlen- und Kokslieferungen
an die Alliierten wieder auf. Die Lieferungen an Frankreich
und Belgien sollten 18 Prozent der geförderten Kohle und
bis zu 35 Prozent des erzeugten Koks betragen. Für die
Lieferung von Nebenprodukten der Kohle galten besondere
Abmachungen;
4. die Bergwerke liefern die für den Bedarf der Besatzungs-
armeen benötigte Kohle ohne Entschädigung;
5. die beschlagnahmten Vorräte an Eisen und Stahlwaren und
an Nebenprodukten der Kohle werden im allgemeinen nach
Maßgabe der auf die rückständige Kohlensteuer gezahlten
Beträge freigegeben. Ihre Ausfuhr aus dem besetzten Gebiet
wird aber kontrolliert und unterliegt Abgaben, die gegen
früher ermäßigt werden;
die gelieferten Mengen von Kohle, Koks und Neben-
produkten werden gemäß dem Vertrage von Versailles auf
Reparationskonto gutgeschrieben. Die zu zahlenden Steuern
und Gebühren werden vorbehaltlich der Rechte der Repa-
rationskommission in die französisch-belgische Pfänder-
kasse[caisse des gages) eingezahlt. Hieraus werden einst-
weilen die Kosten der Ruhrbesetzung bestritten;
7. das Abkommen soll bis zum 15. April 1924 gelten.
Der Micumvertrag erregte durch seine Härte in der ganzen
Welt Aufsehen. Ganz abgesehen von den Barzahlungen, die den
Bergwerken auferlegt wurden, schien es undenkbar, daß die Ruhr-
industrie die von ihr verlangten Kohlenmengen für die Reparation
liefern könnte. Alles zusammengerechnet (auch die vertrags-
265
a
mäßigen Lieferungen an Italien kamen noch hinzu) stellten sich die
verlangten Mengen auf 30 bis 40 Prozent der Gesamtförderung.
Die Kohlenindustrie selbst erklärte, daß sie den Vertrag nur
aus bitterer Not eingegangen sei, um das besetzte Gebiet vor dem
völligen Zusammenbruch zu bewahren. Sie wolle deshalb den
Versuch machen, dem Vertrage nachzukommen, glaube aber, daß
sie nach einigen Wochen am Ende ihrer Mittel und Kräfte sein
werde. Keinesfalls könne sie den Vertrag bis zum 15, April 1924
durchhalten,
Gleichartige Verträge kamen auch mit der rheinischen Braun-
kohlenindustrie und der Rheinschiffahrt zustande, Nach dem
Vorbild der Micum trat alsbald auch die interalliierte Rheinland-
kommission mit den verschiedensten Wirtschaftskreisen des
besetzten Gebiets in Verhandlungen. Sie schloß mit ihnen Ver-
träge für den Absatz und die Ausfuhr von chemischen Produkten,
Stahl und Eisen, Leder, Papier, Textilwaren, Zucker, Holz,
Wein usw. Die einzelnen Industrien verpflichteten sich darin zu
bestimmten Abgaben an die Besatzungsmächte,
So wurde in derselben Zeit, in der Deutschland auf die eigene
Kraft des Landes angewiesen und ohne jede fremde Kredithilfe
das bisher so gefürchtete Wagnis der Rückkehr zu einer festen
Währung und der Ordnung des Reichshaushalts entschlossen
unternahm, im besetzten Gebiet durch Zwangsverträge mit der
Industrie das System der produktiven Pfänder organisiert, das
schon seit langem das Ziel der französischen Politik gewesen war.
Kein Sachkundiger glaubte Mitte November 1923 daran, daß die
deutsche Regierung das Experiment der Rentenmark, welches
der althergebrachten . Währungstheorie geradezu ins Gesicht
schlug, länger als einige Wochen durchhalten werde. Ebenso-
wenig dachte jemand im Ernst daran, daß das System der Micum-
verträge, das anscheinend den Rest der Lebenskraft aus der
rheinisch-westfälischen Wirtschaft herauszog, auf längere Zeit
hinaus wirksam bleiben könne,
In beiderlei Hinsicht hat sich die Welt getäuscht. Die mit
so geringen Hoffnungen unternommene deutsche Finanz- und
Währungsreform wurde ein dauernder, voller Erfolg. Das System
266
ER
der Micumverträge aber hat, so schwere Opfer es auch der
deutschen Wirtschaft auferlegte, bis zur endgültigen Regelung der
Verhältnisse an Rhein und Ruhr auf Grund des Londoner Ab-
kommens vom 16. August 1924 bestanden und den Alliierten,
sogar nach Abzug der Besatzungs- und Verwaltungskosten, erheb-
liche Einkünfte gebracht.
Durch die Tatsache, daß Deutschland aus eigener Kraft seine
Währung und seinen Haushalt zu einer Zeit der allerschlimmsten
finanziellen und wirtschaftlichen Not geordnet hat, wird einwand-
frei die These widerlegt, mit der bis dahin die überwiegende
Mehrheit der Wirtschaftskundigen in aller Welt jeden früheren
Versuch der Markstabilisierung bekämpft und abgetan hatte. Die
Mark zu stützen und das Gleichgewicht im Reichshaushalt anzu-
streben, galt ganz allgemein als verkehrt und aussichtslos, solange
nicht die Reparationsfrage geregelt sei.
Nun denn: Niemals sah das Reparationsproblem so schwarz
und unlösbar aus wie im Herbst 1923, als die Rentenmark einge-
führt und die Finanzen des Reichs saniert wurden. Daß der
Dawesplan kommen, und daß die Gewaltpolitik ein Ende nehmen
würde, davon hatte damals kein Mensch eine Ahnung. Das große
Reformwerk gelang, obwohl anscheinend alle Vorbedingungen
wirtschaftlicher und finanzieller Art dazu fehlten. Es gelang, weil
bitterste Not das ganze deutsche Volk endlich belehrt hatte, daß
es vor allen Dingen eine feste Währung haben müsse, um über-
haupt weiterleben zu können. Diese Ueberzeugung hatte bei einem
großen Teil des, Volkes bisher gefehlt. Im Gegenteil: viele deutsche
Wirtschaftskreise befanden sich in den Jahren der allmählichen
Markentwertung ganz wohl, weil ihre Geschäfte gut gingen und
ihre Verdienste in Papiermark groß aussahen. Sie erklärten eine
plötzliche Rückkehr zur Goldwährung oder, was praktisch aul
dasselbe hinauslief, eine Stabilisierung der Papiermark, die nicht
etwa ganz von selbst kommen würde, für eine große, wirtschaft-
liche Gefahr. Bei solchen. Widerständen im eigenen Volke, die bis
in die Regierungskreise hineinreichten, war die Papiermark vor
dem völligen Untergang nicht zu retten. Erst als das ganze Volk
sich von der Verderblichkeit der Inflation überzeugt hatte, war es
267
möglich, eine feste Währung in Deutschland einzuführen. Mit
dieser Erkenntnis war die schwere Aufgabe schon halb gelöst, Nur
so kann man sich das Wunder der Rentenmark erklären.
Eines allerdings ist sicher: Die deutsche Währungs- und
Finanzreform blieb auf die Dauer schweren Gefahren ausgesetzt,
wenn ihr nicht von außen durch die Regelung der Reparation bald
Hilfe kam. Und das geschah. Endlich siegte nach so vielen Fehl-
schlägen die wirtschaftliche Notwendigkeit über den politischen
Starrsinn.
Das Verdienst daran, daß noch gerade zur rechten Zeit die
Verhandlungen wieder aufgenommen werden konnten, gebührt in
erster Linie den belgischen und englischen Delegierten und dem
amerikanischen „Beobachter bei der Reparationskommission.
Diese Männer arbeiteten auch in den schlimmsten Zeiten ruhig
und unermüdlich weiter, um die Fehler und Torheiten der großen
Politik wieder gutzumachen. ;
268
TEIL WV
DER DAWESPLAN
SIEBENUNDZWANZIGSTES KAPITEL
DIE AUFGABE DER SACHVERSTÄNDIGEN
Am 20. September 1923 hatte eine erste kurze Aussprache
zwischen Poincar& und Baldwin in Aix les Bains stattgefunden.
Zum Staunen der Welt wurde als Ergebnis verkündet, daß die
beiden Regierungen in Sachen der Reparation vollkommen einig
seien. Das war aber nur eine Redensart. Sachlich war in Aix nichts
besprochen worden und alles blieb beim alten. |
Am 30. Oktober regte die britische Regierung bei den Ver-
einigten Staaten unter Bezugnahme auf den bekannten Vorschlag
des Staatssekretärs Hughes an, die wirtschaftliche Fähigkeit
Deutschlands zur Reparation alsbald durch Sachverständige
untersuchen zu lassen, weil nur auf diesem Wege das europäische
Wirrsal zu ordnen sei. Die Regierung in Washington stimmte
$rundsätzlich zu. Darauf wandte sich England an Frankreich,
Belgien und Italien. Diese erklärten ebenfalls, daß sie im Prinzip
einverstanden seien, Aber der Entwurf, den die englische Re-
gierung für die Einladung zu einer solchen Konferenz von Sach-
verständigen einsandte, wurde von Poincar& dahin abgeändert,
daß nur die gegenwärtige Zahlungsfähigkeit Deutschlands geprüft
werden dürfe. Auch verlangte er, die Sachverständigen dürften
sich mit der Frage, ob die Ruhrbesetzung zu Recht erfolgt sei,
nicht beschäftigen. Staatssekretär Hughes erklärte dem franzö-
sischen Botschafter, der ihm diese Forderungen übermittelte, daß
die politische Seite der Ruhrbesetzung die Sachverständigen nichts
anginge, Insofern gab er dem französischen Verlangen nach, da-
‚gegen lehnte er es ab, die wirtschaftliche Untersuchung zeitlich zu
beschränken. |
271
Poincare verschanzte sich mit allerlei formalen Gründen
dahinter, daß nach dem Vertrage von Versailles die Prüfung der
Sachverständigen keinen längeren Zeitraum umfassen dürfe als
bis zum Jahre 1930, weil über diesen Zeitpunkt hinaus selbst
die Reparationskommission nur bei Einstimmigkeit befugt sei,
Deutschland Stundungen zu bewilligen. In Verbindung mit
anderen Vertragsbestimmungen ergebe sich hieraus, daß die
Reparationskommission die Prüfung der deutschen Zahlungs-
fähigkeit nicht ein für allemal vornehmen dürfe, sondern von Zeit
zu Zeit wiederholen müsse. Die amerikanische Regierung er-
klärte eine derart beschränkte Tätigkeit der Sachverständigen
für nutzlos und schädlich und lehnte die Mitwirkung amerika-
nischer Sachverständiger ab. Nun hatte eine Konferenz ohne
Beteiligung Amerikas bei der Uneinigkeit der Aliüierten keinen
Sinn. Gegen den Widerspruch Frankreichs etwa mit England
und den anderen Verbündeten die Konferenz abzuhalten, kam
für Amerika nicht in Frage. Damit schien im November 1923
der, ganze Plan gescheitert zu sein.
Jetzt entschloß sich die Reparationskommission, den Gedanken
in etwas veränderter Form wieder aufzunehmen, alle Fragen der
hohen Politik auszuscheiden und die rechtlichen Bedenken
Poincares zu umgehen, Ein äußerer Anlaß dazu lag vor, da die
deutsche Regierung am 24. Oktober den Antrag gestellt hatte,
gemäß Art, 234 des Versailler Vertrages eine Untersuchung der
wirtschaftlichen Hilfsquellen und der Zahlungsfähigkeit Deutsch-
lands anzustellen und deutsche Vertreter darüber zu hören. Am
2, November teilte die deutsche Regierung der Reparations-
kommission offiziell mit, daß sie wegen ihrer finanziellen Notlage
die Sachlieferungen vorläufig nicht mehr bezahlen könne,
Wie bekannt, hatte Deutschland gleich nach der Ruhrbesetzung
die Lieferungen an Frankreich und Belgien eingestellt. Der Zu-
sammenbruch der Mark hatte dann am 11. August dazu geführt,
mit den Leistungen an alle anderen Alliierten aufzuhören, auch
mit den Zahlungen aus dem englischen Recovery Act. Weil aber
die Sachlieferungen auf Grund des Vertrages mit der Micum von
der Industrie des besetzten Gebietes wieder aufgenommen werden
272
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sollten, hielt es die deutsche Regierung für nötig, anzuzeigen, daß
sie diese Lieferungen zurzeit nicht bezahlen könne,
Die Reparationskommission ging auf den deutschen Antrag
vom 24. Oktober ein, Der deutsche Staatssekretär Fischer erhielt
am 27. November Gelegenheit, in einer eindrucksvollen Rede vor
der Reparationskommission den verhängnisvollen Zustand der
deutschen Finanzen und der deutschen Wirtschaft zu schildern.
Die Kommission beschloß am 30. November, zwei Komitees von
Sachverständigen zu ernennen. Das eine sollte Mittel und Wege
untersuchen, wie der deutsche Haushalt ins Gleichgewicht gebracht
und die deutsche Währung stabilisiert werden könne, Das zweite.
sollte eine Untersuchung darüber anstellen, wie groß das ins Aus-
land gebrachte deutsche Kapital sei und wie es nach Deutschland
zurückgeführt werden könne,
Auf diese Formel hatten sich die Mitglieder der Reparations-
kommission geeinigt, um die Zustimmung aller beteiligten Mächte,
vor allem Frankreichs zu sichern. Der englische Vorschlag, daß
auch neutrale und deutsche Sachverständige in den Komitees
mitwirken sollten, fiel dabei unter den Tisch. So, wie der Beschluß
lautete, mußte er selbst in den Ohren von Poincare völlig unver-
dächtig klingen. Von der Prüfung der deutschen Zahlungsfähigkeit,
der Festsetzung der Reparationsschuld und der Ruhrbesetzung
war mit keinem Wort die Rede, Was Poincar& an dem Beschluß
besonders gefallen konnte, war die Untersuchung der deutschen
Kapitalflucht ins Ausland, ein Steckenpferd, auf dem er in allen
seinen Reden herumritt. Die den Sachverständigen zugedachten
Aufgaben lagen ohne jeden Zweifel innerhalb der Befugnisse
der Kommission. Sie waren aber auch weit genug gefaßt, um bei
großzügiger Auslegung das Ziel zu erreichen, auf das einige Mit-
glieder der Reparationskommission, vor allem Delacroix, schon
seit dem Frühjahr 1922 hinarbeiteten. Auf dem Umwege über
das Gutachten von internationalen Sachverständigen, fern von
politischen Einflüssen und Schwierigkeiten, wollte man eine ver-
nünftige Lösung des Reparationsproblems herbeiführen. Diese
Absicht war bisher stets an Poincare gescheitert. Nun wurde sie
ihm unter einer geschickten Maske nochmals vorgeführt.
Bergmann, Der Weg der Reparation 18 273
Ob Poincare sich damals darüber klar geworden ist, was der
Beschluß der Reparationskommission bedeutete, ist eine inter-
essante Frage, Im Grunde hatte er trotz der feindseligen Schärfe,
die er stets gegen Deutschland zur Schau trug, kein bestimmtes
politisches Ziel, vielmehr schwankte er dauernd zwischen dem
Verlangen nach Reparation und dem Wunsche der Vernichtung
Deutschlands hin und her. Schließlich wurde ihm wohl selber
bange vor dem Unheil, das er mit seiner Ruhrbesetzung ange-
richtet hatte. So mag ihm vielleicht eine Form willkommen ge-
wesen sein, die seiner bisherigen Politik gegenüber wenigstens
den Schein wahrte. Tatsache ist jedenfalls daß Poincar& dem
Beschlusse der Kommission seine Zustimmung gab. Von den
übrigen Alliierten waren Schwierigkeiten nicht zu erwarten.
James A, Logan, nach dem Ausscheiden von Roland W, Boyden
der alleinige amerikanische Beobachter bei der Reparations-
kommission, vermittelte in kluger Weise die Genehmigung der
Vereinigten Staaten zur Teilnahme amerikanischer Sachver-
ständiger. Vorher schon hatte die deutsche Regierung durch ihre
Botschafter in London und Washington ihr Einverständnis mit der
Absicht der Kommission erklärt.
Die wirtschaftliche Notlage Deutschlands wurde damit nicht
sogleich erleichtert. Auch in der Politik blieb die ersehnte Ent-
spannung vorläufig aus. Im Dezember stellte die deutsche Re-
gierung bei der Reparationskommission den Antrag, für einen in
Amerika aufzunehmenden Kredit von 70 Millionen Dollar zur
Einfuhr von Brotgetreide das Vorrecht vor den Reparations-
forderungen zu bewilligen. Belgien und Frankreich widersprachen
dem mit der Begründung, daß Deutschland sein in das Ausland
geflüchtetes Kapital zu dem genannten Zweck heranziehen solle.
Der Antrag wurde daher abgelehnt und der amerikanische Kredit
kam nicht zustande, Es zeigte sich bald, daß die Reparations-
kommission mit ihrer Ablehnung diesmal das Richtige getroffen
hatte, Waren, vor allem Getreide, gab es in Deutschland genug.
Die Not bestand darin, daß es an gutem Geld fehlte, mit dem man
die Waren hätte kaufen können. Die Rentenmark brachte darin
bald eine gründliche Besserung. |
274
Im Dezember 1923 versuchte die deutsche Regierung noch-
mals, auf diplomatischem Wege mit Belgien und Frankreich zu
einem modus vivendi im besetzten Gebiet zu gelangen. Die Be- _
sprechungen verliefen ohne rechtes Ergebnis. Störend wirkte vor
allem die französische Forderung, daß die seit dem Ruhreinfall
unterbrochene Militärkontrolle in Deutschland wieder in Wirk-
samkeit treten solle, Die deutsche Regierung lehnte das ab.
Immerhin trat sie wieder in geregelte diplomatische Beziehungen
mit Frankreich und Belgien. Auf den seit dem Tode des Bot-
schafters Dr. Mayer verwaisten Posten in Paris kam Dr. v. Hoesch,
der sich als Geschäftsträger während der Ruhrbesetzung an
schwieriger Stelle glänzend bewährt hatte.
Das zur Untersuchung des deutschen Haushalts und der
deutschen Währung berufene erste Komitee trat am 14, Januar
1924 in Paris zusammen. Es bestand aus folgenden Mitgliedern:
Charles G. Dawes, Vorsitzender, Amerika
Owen D. Young, Amerika
Robert M, Kindersley, England
J. C. Stamp, England
J. Parmentier, Frankreich
Edgar Allix, Frankreich
Alberto Pirelli, Italien
Federico Flora, Italien
E. Francqui, Belgien
Maurice Houtart, Belgien.
Das zweite Komitee, welches die deutsche Kapitalflucht
untersuchen sollte, vereinigte sich erst am 21. Januar in Paris.
Seine Mitglieder waren:
Reginald Mc Kenna, Vorsitzender, England
Henry M. Robinson, Amerika
Andre Laurent-Atthalin, Frankreich
Mario Alberti, Italien :
Albert E. Janssen, Belgien.
Beide Komitees waren mit einer Unterbrechung von 14 Tagen,
_ die sie in der ersten Hälfte des Februar in Berlin zubrachten,
275
18%
unausgesetzt in Paris tätig. Am 9, April erstatteten sie gleich-
zeitig ihren Bericht an die Reparationskommission.
Das Gutachten des ersten Komitees ist die Grundlage für die
Regelung der Reparation geworden, die am 16, August 1924 auf
der Londoner Konferenz erreicht wurde, Man kann die Arbeit,
welche diese Männer in weniger als drei Monaten geleistet haben,
nicht genug bewundern. Sie wurden von der Reparations-
kommission zu einer Zeit berufen, als die deutsche Wirtschaft
unter dem Drucke der Ruhrbesetzung völlig zusammenzubrechen
schien. Die politischen Beziehungen zwischen den Alliierten waren
aufs äußerste gespannt. Alle Versuche, durch Verhandlungen in
der Reparationsfrage irgendwie voranzukommen, waren ge-
scheitert. Die Hoffnung der Reparationskommission, mit Hilfe
der Sachverständigen einen Ausweg aus der verzweifelten Lage
zu finden, stand auf schwachen Füßen. Immerhin, es war das
letzte Mittel, das sich bot, und es mußte versucht werden.
Wer sich das alles vor Augen hielt, konnte staunen über den
frohen Mut, mit dem zumal die amerikanischen Mitglieder des
Komitees an ihre Aufgabe herangingen. Das waren Männer, die
in den Vereinigten Staaten ein hohes Ansehen genossen und von
denen man viel erwartete, Wenn sie scheiterten, so setzten sie
ihren großen Ruf aufs Spiel. Und doch waren sie von Anfang an
überzeugt, daß ihre Arbeit glücken würde, Vielleicht führte gerade
dieser Optimismus über alle Schwierigkeiten hinweg zum Ge-
lingen. Vielleicht war auch die Zeit reif, wo nach endlosen Fehl-
schlägen schließlich der Erfolg kommen mußte.
Wenn aber wirklich alles gut ging, was war bestenfalls von
der Arbeit der Sachverständigen zu erwarten? Niemand wagte
beim Zusammentritt des Komitees zu hoffen, daß es die Repa-
rationsleistungen Deutschlands gründlich regeln und eine ver-
nünftige Beilegung des Ruhrkonflikts herbeiführen würde. Es
schien ja schon unmöglich, die verschiedenen Ansichten der ein-
zelnen Mitglieder, die sich in der Mehrzahl nicht einmal persönlich
kannten und deren Heimatländer in scharfen politischen und
wirtschaftlichen Gegensätzen lebten, unter einen Hut zu bringen.
276
.
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5.4 -
En N ER
7 ” ”
Und wenn das auch erreicht wurde, was dann? Welchen prak-
tischen Wert konnte ein noch so vortreffliches Gutachten über die
Finanzen und die Währung Deutschlands haben? Denn genau
genommen ging die Aufgabe des ersten Komitees nicht weiter
als bis zur Erstattung eines Gutachtens darüber, was nötig sei,
um Deutschlands Haushalt und Währung in Ordnung zu bringen.
Die Währungsfrage war, wie wir wissen, schon im November 1922
von einer Reihe erster internationaler Sachverständigen beant-
wortet worden, ohne daß man daraus irgendeine praktische
Folgerung gezogen hätte, An das heiße Reparationsproblem zu
rühren oder es gar in den Kreis der Untersuchung zu ziehen, dazu
hatten die Sachverständigen nach dem Wortlaut ihres Auftrages
keine Ermächtigung. Nach allem, was vorangegangen war, mußte
man daher befürchten, daß bei einer Besprechung der eigent-
lichen Reparationsfragen im Komitee die Meinungen aufeinander-
platzen würden. Möglich, daß ein vorsichtig gewundenes und
schön klingendes, aber unbrauchbares Gutachten dabei heraus-
kam. Wie oft hatte nicht Poincare aller Welt verkündet, er werde
es nicht zulassen, daß die Rechte Frankreichs von unverant-
wortlichen internationalen Sachverständigen verhandelt oder gar
verkürzt würden! Wer hätte ahnen können, daß er diesmal seine
starren Grundsätze verleugnen und sich einem Urteil von Sach-
verständigen anschließen würde, das die bisherige französische
Reparationspolitik in Grund und Boden verwarf? Und wer hätte
vorausgesagt, daß sein bis zum Ueberdruß wiederholtes Wort,
Frankreich werde auch nach Deutschlands Unterwerfung die
Pfänder im Ruhrgebiet und am Rhein festhalten, durch das Gut-
achten der Sachverständigen zu einer leeren Redensart gemacht
werden würde? Wer endlich konnte annehmen, daß die Besetzung
des Ruhrgebiets, die laut den feierlichen Beschlüssen Frankreichs
und Belgiens nur nach Maßgabe der deutschen Reparations-
zahlungen abgebaut werden sollte, binnen kurzer Frist ihr Ende
finden würde? Wie die Dinge lagen, konnte man der Arbeit der
Sachverständigen wirklich nur mit bangen oder mit spöttischen
Zweifeln entgegensehen.
In der Tat gab es im Kreise der beiden Komitees anfangs
277
einige Verwirrung, ehe sie eine klare Richtschnur für die Durch-
führung ihrer Aufgaben fanden.
Verhältnismäßig leicht hatte es das zweite Komitee, Ueber die
Frage der deutschen Kapitalflucht war schon viel geschrieben.
Praxis und Wissenschaft waren einig darin, daß die Höhe des
deutschen Kapitals im Auslande genau nicht zu ermitteln war
und daß es durch Zwangsmaßnahmen keinesfalls nach Deutsch-
land zurückgeführt werden konnte, Die Schwierigkeit der Aufgabe
des zweiten Komitees bestand eigentlich nur darin, daß es einen
weitverbreiteten Irrglauben auszuräumen hatte. Zumal in Frank-
reich, aber auch in Amerika wurden immer wieder phantastische
Zahlen über das ins Ausland geflüchtete deutsche Kapital kol-
portiert. Aus solchen durch nichts bewiesenen Angaben zog man
vielfach den Schluß, die deutsche Regierung könne mit Leichtig-
keit viele Milliarden für die Reparation auf einmal zahlen, wenn
sie sich nur ernsthaft bemühen wolle, das geflüchtete Kapital
wieder nach Deutschland hineinzubringen.
Dieses Argument wurde ausgenutzt, um in politischen Reden
und in Zeitungsartikeln den bösen Willen Deutschlands darzutun,
In der gleichen Richtung bewegten sich die Angriffe, welche der
neue deutsche Unternehmungsgeist im Auslande erfuhr, Besonderen
Anstoß erregten die Käufe und Anlagen von Hugo Stinnes in
Europa und Uebersee. Aus dem Maße seiner durch die Inflation
begünstigten kaufmännischen Energie folgerte man ohne weiteres,
daß für die Zwecke des Handels und der Industrie ungeheure
deutsche Kapitalien im Auslande verfügbar sein müßten, Ebenso
irreführend wirkte die Eröffnung zahlreicher deutscher Banken
und Bankfirmen im Auslande, vor allem in Holland. Die fremde
Kritik bedachte nicht, daß der deutsche Handel durch den Verlust
aller seiner früheren Stützpunkte in den alliierten Ländern ge-
zwungen war, sich für das Geschäft mit dem Auslande neue Ver-
bindungen zu schaffen, Dafür kam infolge seiner Lage zunächst
Holland in Betracht. Auch die leidige Tatsache, daß die Ent-
wertung der Mark in Deutschland eine große Anzahl von neuen
Reichen hervorgezaubert hatte, die mit vollen Händen und
schlechten Manieren das schnell verdiente Geld wieder aus-
278
‘ streuten und sich besonders im Auslande unbeliebt machten,
wurde übel vermerkt. Alle diese unvermeidlichen Erscheinungen
einer fieberkranken Wirtschaft beutete man aus, um Deutschlands
schlechten Willen und seine versteckten Reichtümer vor aller
Welt anzuklagen. Es war zu begrüßen, daß endlich einmal von
ernsthaften Kennern der internationalen Wirtschaft gründlich
untersucht werden sollte, wie es denn eigentlich mit den deutschen
Schätzen im Auslande stehe,
Das Komitee McKenna kam bald zu dem Schluß, daß die
direkte Ermittelung der deutschen Guthaben im Auslande, etwa
durch Umfrage bei den Banken und sonstigen Geldinstituten, nicht
möglich sei. Dem standen das Geschäftsgeheimnis und das eigene
Interesse der ausländischen Banken im Wege. Auch wäre das Er-
gebnis solcher Umfragen selbst bei gewissenhafter Auskunft un-
vollständig geblieben, weil das Kapital für sein Anlagebedürfnis
viele Wege kennt, die nicht über die Banken führen. Mc Kenna
entwarf deshalb ein sinnreiches Schema, um die deutschen Gut-
haben indirekt zu ermitteln, Es gibt in der volkswirtschaftlichen
Literatur mehrere Schätzungen über die Höhe des deutschen .
Kapitals im Auslande vor dem Kriege. Davon ging Mc Kenna ap
Er zog alle Verluste ab, die Deutschland durch den Krieg ur
nach dem Kriege an seinem Auslandskapital erlitten hatte, un
zählte alles hinzu, was es nach dem Kriege, insbesondere durch
Markverkäufe ins Ausland, wieder an neuem Kapital gewonnen
hatte, Auf dieser theoretisch zutreffenden, praktisch freilich sehr
unsicheren Grundlage bauten sich die Arbeiten des zweiten
Komitees auf.
Beim ersten Komitee lagen die Dinge viel verwickelter. Es
mußte sich zuerst einmal darüber einig werden, ob und ehe
die Reparation in seine Arbeiten einbeziehen sollte. Er. ®
energische und gründliche Leute hätten aus Scheu ve 4
waltigen Verantwortung leicht dazu kommen können, die “ 4 Br
stellten Aufgaben eng aufzufassen und allgemeine Leitsä £ gi
über aufzustellen, was Deutschland tun müsse, um sein u g i
in Ordnung zu bringen und Ueberschüsse für die Repara - Z
erzielen. So ähnlich war es auf der Finanzkonferenz des VÖ er-
279
bundes in Brüssel 1920 und bei der Konferenz in Genua 1922 ge-
gangen. Damit war natürlich niemandem geholfen. Wollte das
Komitee wirklich etwas Bedeutsames leisten, so mußte es allen
Schwierigkeiten zum Trotz das Problem der Reparation mutig
anpacken und zum Hauptpunkt seiner Arbeit machen. Die dem
Komitee gestellte Aufgabe war also wie folgt aufzufassen:
Was kann Deutschland für die Reparation leisten, ohne das
Gleichgewicht des Reichshaushalts und den Bestand der Währung
zu gefährden?
Offiziell durfte die Aufgabe nicht so lauten, weil die Ein-
berufung der Sachverständigen dann an dem Widerspruch der
französischen Machthaber gescheitert wäre, Es ist ein großes Ver-
dienst des Komitees, daß es sich zu dieser kühnen Umstellung
durchgerungen hat. Auch kann nicht genug anerkannt werden,
daß die französischen und belgischen Delegierten in offenem
Gegensatz zu der bisher bekundeten Politik ihrer Regierungen
die Schwenkung geschlossen mitgemacht haben. Nun aber galt
es, eine zweite gefährliche Klippe zu vermeiden.
Ueber die Höhe der Reparation, die man von Deutschland
fordern sollte, herrschte unter den Alliierten seit Jahren erbitterter
Streit. Es war sicher, daß auch die Meinungen der Sachver-
ständigen gerade darin weit auseinandergehen würden. Wenn die
Alliierten sich früher über einen Plan aus ihrer Mitte nicht einigen
konnten, hatten sie regelmäßig die deutsche Regierung aufge-
fordert, selber anzugeben, wieviel Deutschland jährlich an Repa-
ration zahlen könne, Auf diese Weise waren letzten Endes alle
jene deutschen Angebote entstanden, die dann von den Alliierten
mit Schimpf und Schande verworfen und mit den berüchtigten
Sanktionen beantwortet wurden. Alles kam darauf an, daß die
Sachverständigen nicht etwa auf denselben Ausweg verfielen. Das
Komitee wäre sonst in eine gefährliche Sackgasse geraten. Die
deutsche Regierung konnte unmöglich weiter gehen als in ihrem
letzten Angebot vom 7. Juni 1923, das von Frankreich und Belgien
für ungenügend erklärt war. Inzwischen aber hatte sich die Lage
in Deutschland so viel schwieriger gestaltet, daß es für ein neues
deutsches Angebot überhaupt keine Grundlage mehr gab. Zum
280
Glück bestand während der ganzen Tätigkeit des Komitees
zwischen den Sachverständigen und deutschen Vertrauensleuten
eine enge private Fühlung, so daß alle diese Dinge vertraulich
besprochen werden konnten. So wurde mancher Mißgriff ver-
mieden und manches auf den richtigen Weg gebracht. Deutsch-
land wurde diesmal nicht gefragt, wieviel es zahlen könne.
Die Vorarbeiten der beiden Komitees in Paris bezweckten vor
allem, die Mitglieder untereinander bekannt zu machen und in
allgemeiner Aussprache ein gemeinsames Programm zu finden.
Die sachliche Beratung konzentrierte sich zunächst auf die
Währungsfrage. Dr. Schacht, der neue Präsident der Reichsbank,
wurde nach Paris gebeten. Mit ihm besprach das erste Komitee
das Währungsproblem, die Lage der Rentenbank und das Projekt
einer Goldnotenbank, Das zweite Komitee befragte ihn über die
Kapitalflucht,
Ein bestimmtes Ergebnis wurde bei den Vorbesprechungen
in Paris noch nicht erzielt. Nur zeigte sich schon, daß die Ueber-
führung der deutschen Reichsbahn in die Form einer Privat-
gesellschaft, die in den belgischen Studien eingehend behandelt
war, das besondere Interesse der Sachverständigen fand. Dieses
Projekt war in doppelter Hinsicht bedeutsam. Erstens sollte und
konnte aus der Reichsbahn ein erheblicher Teil der Reparation
gewonnen werden. Zweitens bot, wie es schien, ein internationales
Interesse an der Reichsbahn die einzige Möglichkeit, Frankreich
zur Aufgabe seiner Pfänderpolitik zu bestimmen und damit die
besetzten Gebiete wirtschaftlich wieder mit dem übrigen Deutsch-
land zu vereinigen. Dabei galt es, die Franzosen davon zu über-
zeugen, daß sie durch die Garantie der von einer Gesellschaft
betriebenen Reichsbahn ein besseres Unterpfand erhielten als
durch den kostspieligen Apparat der militärischen Besetzung,
‘durch Micumverträge und sonstige Zwangsmittel im besetzten
Gebiet.
Man war auch in deutschen Kreisen darauf gefaßt, daß anstelle
der bisherigen Reichsverwaltung eine private Betriebsgesellschaft
mit Kapitalbeteiligung des Auslandes treten müsse. Nur so konnte
man hoffen, Frankreich und Belgien den Ersatz ihrer bisherigen
281
Pfänder durch die Reichsbahn schmackhaft zu machen. Auch mit
diesem gewaltigen Opfer wäre die Wiedergewinnung von Rhein
und Ruhr für Deutschland nicht zu teuer erkauft worden, Wir
werden jedoch sehen, daß die Umgestaltung der Reichsbahn
schließlich eine für das nationale deutsche Empfinden bei weitem
erträglichere Form gefunden hat.
Anfang Februar begaben sich die Sachverständigen nach
Berlin. Sie traten mit den maßgebenden Regierungsstellen in
Verbindung, suchten aber auch durch private Unterhaltungen mit
Vertretern der verschiedenen Wirtschaftskreise Einblick in die
deutschen Verhältnisse zu gewinnen,
Das zweite Komitee wandte sich an die Großbanken, um für
das Schema von McKenna die nötigen Angaben über die Be-
wegung des deutschen Auslandskapitals zu ermitteln,
Das erste Komitee arbeitete sich in die Einzelheiten des
Reichshaushalts für 1924 ein. Daneben setzte es die Besprechungen
mit Dr. Schacht über die Goldnotenbank fort.
Es war eine seltsame Fügung, daß das Komitee bei Ankunft
in Berlin seine eigentliche Aufgabe schon beinahe gelöst fand.
Die deutsche Währung war mit Hilfe der Rentenmark vorläufig
auf der Goldbasis stabilisiert. Das Gleichgewicht im Reichshaus-
halt war dank der Energie des Reichsfinanzministers Dr, Luther
bereits hergestellt. Vom Januar 1924 an zeigten die laufenden
Ausweise des Reichshaushalts einen Ueberschuß der Einnahmen,
der in Wirklichkeit noch größer war, als dies nach außen hin
erschien. Das Reich verwandte nämlich einen erheblichen Teil
seiner Einnahmen dazu, das ständige Angebot in der deutschen
Goldanleihe von 1923 aufzunehmen. Die kleinen Stücke dieser
Anleihe waren als Umlaufsmittel im Verkehr. Dieser aber stieß
die Goldanleihe nach der Einführung der Rentenmark und nach
der Stabilisierung der Papiermark wieder ab. Von einem Disagio
der Goldanleihe befürchtete man Erschütterungen der soeben
geordneten Währung. Daher entschloß sich das Finanzministerium
dazu, die zurückströmenden Goldanleihestücke zum Nennwerte
einzulösen, Dafür wurden schon im Januar und Februar mehrere
hundert Goldmillionen aufgewendet. Auch das im Umlauf be-
282
findliche Notgeld wurde eingelöst. Ende Mai 1924 waren fast die
gesamte Goldanleihe von 500 Millionen und die Hauptmasse des
Notgeldes, im ganzen 625 Millionen Goldmark, aus laufenden
Reichsmitteln zurückgekauft. Das war eine Leistung, die bei den
Mitgliedern des Komitees Erstaunen und Befremden weckte. Sie
fanden es nicht in der Ordnung, daß ein Staat, der eben erst an-
fing, sich aus dem finanziellen Zusammenbruch zu erheben, eine
fundierte Schuld von 500 Millionen Goldmark aus laufenden Ein-
nahmen zurückzahlte,
So war es begreiflich, daß die Sachverständigen bei ihrem
Aufenthalt in Berlin von der Zahlungsfähigkeit Deutschlands
eine sehr hohe Meinung bekamen. Was mußte ein Land, das trotz
des Verlustes aller Einnahmen aus dem besetzten Gebiete seine
zerrütteten Finanzen so schnell ordnete und gleich anfing, in
sroßem Maße Schulden zu tilgen, was mußte ein solches Wunder-
land für die Reparation leisten können, wenn erst einmal die
politische Lage gebessert und die wirtschaftliche Einheit Deutsch-
lands wieder hergestellt war? Es wurde damals allen Ernstes
behauptet, die Sachverständigen wollten Deutschland eine jähr-
liche Reparationslast von vier Milliarden Goldmark auferlegen.
Und doch zeigte sich gerade in jenen Tagen, wie unsicher die
Grundlage der deutschen Währung noch war. Plötzliche starke
Verkäufe von Rentenmark — man sagte: aus dem besetzten
Gebiet — warfen den deutschen Wechselkurs im Ausland um
20 Prozent zurück, Daran knüpfte sich allerlei Gerede über Un-
stimmigkeiten zwischen dem ersten Komitee und Dr. Schacht
in Sachen der Goldnotenbank. Durch eine geschickte Bekannt-
machung des Komitees wurde die Gefahr beschworen. Der Kurs
der Mark stellte sich wieder auf die Goldparität ein.
283
ACHTUNDZWANZIGSTES KAPITEL
DIE LÖSUNG DER AUFGABE
Mit der Rückkehr nach Paris gegen Mitte Februar begannen
die Arbeiten der Sachverständigen festere Umrisse anzunehmen.
Das erste Komitee griff nunmehr seine Aufgabe im weitesten
Sinne an. Es ging entschlossen dazu über, einen eigenen Repa-
rationsplan aufzustellen, Wie die Mitwirkung der französischen
Vertreter im Komitee, wie vor allem die Zustimmung Poincares
zu einer solchen Erweiterung des Problems erreicht wurde, dar-
über läßt sich nach der Art der Sache Genaueres nicht sagen. Ein
Sroßes Verdienst daran hat Seydoux, der im Laufe der Zeit seinen
früheren starken Einfluß in der französischen Regierung wieder-
gewonnen hatte,
Wenn man bedenkt, wie Poincarö es immer wieder abgelehnt
hatte, die Reparation in die Hände von Sachverständigen zu
legen, und wie eifersüchtig er darüber wachte, daß kein Un-
berufener in die verbrieften Rechte des französischen Volkes ein-
griff, so wird man das Wunderbare an seiner plötzlichen Schwen-
kung voll empfinden,
Zur Erklärung hat man den Sturz des französischen Franken
herangezogen, der sich gerade in jener Zeit ereignete, Das eng-
lische Pfund Sterling, das Anfang Januar 1924 in Paris noch
85 Francs galt, stieg bis zum 9, März auf 120 Francs. Diese panik-
artige Bewegung wurde durch eine energische Stützungsaktion
mit Hilfe eines englischen und eines amerikanischen Syndikats
unter der Führung von J, P. Morgan & Co, zum Stillstand und
zu scharfem Rückschlag gebracht, Es ist sicher, daß die fremden
284
Bankiers, welche Frankreich mit Kredit unterstützten, dafür als
Bedingung gefordert haben, daß Frankreich gewisse Maßnahmen
zur Gesundung seiner Finanzen treffe, Es ist aber nicht richtig,
daß eine dieser Bedingungen — wie vielfach behauptet wurde —
darin bestanden habe, daß die französische Regierung das Gut-
achten der Sachverständigen in der Reparationsfrage annehme.
Durch den nachhaltigen Erfolg in der Francs-Stützung stärkte
sich die Stellung der französischen Regierung erheblich. Auch
die Ausbeutung der besetzten deutschen Gebiete durch die Micum-
verträge und durch den Betrieb der französisch-belgischen Eisen-
bahnregie begann nunmehr beträchtliche Einkünfte abzuwerfen.
Alles in allem schien die Stellung Poincare&s im März 1924 fester
als je zu sein. Wie war es nur möglich, daß dieser Politiker,
dessen Stärke in seiner verbissenen Konsequenz lag, sich gerade
damals zur Umkehr entschloß, als er nach außen hin auf der
Höhe seiner Macht stand? Sollte er einsichtig genug gewesen
sein, zu erkennen, daß alle seine Erfolge sich bald in ihr Gegenteil
kehren würden, wenn die Konferenz wieder einmal unverrichteter
Dinge auseinanderging und die Verzweiflung über Deutschland
und Frankreich hereinbrach? Sollte er schon im März geahnt
haben, daß das französische Volk, das seiner Führung nur wider-
willig durch dick und dünn gefolgt war, sich innerlich längst von
der Politik der Gewalt abgewandt hatte und bereit stand, ihn
‚bei den kommenden Wahlen über Bord zu werfen?
Poincar& hat den Sachverständigen bis zum Abschluß ihrer
Arbeiten keine Schwierigkeiten mehr bereitet. Die französische
Mitarbeit konnte natürlich nur gesichert werden, wenn en
Sachverständigen im Komitee den französischen Ideen über ie
deutsche Zahlungskraft und die Stellung von Sicherheiten einiger-
maßen entgegenkamen, Darüber war man sich im Komitee einig,
daß Deutschland wirkliche Reparation nur für den Fall leisten
könne, daß es seine wirtschaftliche Einheit und Bewegungsfreiheit
Bier erhielt, Mit diesem Grundsatz war das System der =
duktiven Pfänder unvereinbar. Vor allem mußte die a
die das wichtigste Unterpfand für die Reparation werden u er
wieder unter eine einheitliche Verwaltung kommen. Die große
285
a a a
Mehrheit des Komitees verlangte daher, daß mit dem Sonder-
betrieb der Rhein- und Ruhrbahnen durch eine alliierte Regie
vollständig aufgeräumt werden müsse, Das war ein Schritt, zu
dem Frankreich nur allmählich gebracht werden konnte, weil
hier auch die Frage der politischen Sicherheit hineinspielte, Bis
zuletzt wurde von französischer Seite versucht, für die Bahnen
des besetzten Gebietes einschließlich des Ruhrgebietes eine eigene
Verwaltung unter alliiertem Einfluß zu bilden. Man berief sich
dabei auf das Vorbild Bayerns, das in der deutschen Eisenbahn-
verwaltung ebenfalls eine Sonderstellung einnahm,
Den Ausschlag für die Entscheidung der Sachverständigen
gab ein eingehender Bericht, den zwei hervorragende Fachleute,
der Engländer Sir William Acworth und der F ranzose Gaston
Leverve, im Auftrage des Komitees über die deutschen Eisen-
bahnen erstatteten, Sie erklärten darin, daß die Reichsbahn, aber
nur bei Einschluß der Rhein- und Ruhrbahnen, unter einheitlicher
kaufmännischer Leitung in der Form einer Gesellschaft nach
einigen Jahren des Uebergangs einen Reingewinn von einer
Milliarde Goldmark jährlich abwerfen werde. Dieser materiellen
Sicherheit gegenüber verlor die F rage, ob das internationale
Kapital an der Reichsbahn interessiert werden solle, wesentlich
an Bedeutung. Aus den Verhandlungen, bei denen auch deutsche
Vertrauensleute gehört wurden, kristallisierte sich schließlich
folgendes Kompromiß:
An der Form einer kaufmännischen Gesellschaft wird fest-
gehalten. Aber das. Stammkapital der Gesellschaft verbleibt
beim Deutschen Reich, Im Verwaltungsrat erhalten das Reich
und die Reparationsgläubiger je die Hälfte der Sitze. Damit die
Leitung der Reichsbahn immer mehr von kaufmännischem Geiste
durchzogen wird, soll sich privates Kapital mit Vorzugsaktien an
der Gesellschaft beteiligen. Aus dem Erlös der Vorzugsaktien
werden die Mittel für die Kapitalausgaben der Reichsbahn ge-
wonnen. Für die Zwecke der Reparation wird die Reichs-
bahn mit einer großen Anleihe belastet, die auf dem gesamten
Bahneigentum an erster Stelle hypothekarisch zu sichern ist. Vor-
286
aussetzung für den ganzen Plan aber ist die Rückgabe der Eisen-
bahnen im besetzten Gebiet an die Verwaltung der Gesellschaft.
Bei der Ermittelung weiterer Quellen für die Reparation folgte
das Komitee den Grundzügen der Belgischen Studien. Neben den
Erträgen der Zölle sollte eine Reihe von indirekten Steuern, näm-
lich die Abgaben auf Branntwein, Tabak, Bier und Zucker für die
Reparation nutzbar gemacht werden. Dabei war grundsätzlich zu
entscheiden, ob etwa aus dem Reichshaushalt im voraus die not-
wendigen inneren Ausgaben bestritten werden müßten und nur
die etwaigen Ueberschüsse der genannten Abgaben an die
Reparationskasse abzuführen seien. Dafür traten die englischen
Sachverständigen ein. Sie wollten ein einheitliches Budget haben,
das sowohl den eigenen Bedarf des Reiches wie die Reparation
zu umfassen hätte, Das aber war nur durchzuführen, wenn man
die gesamten Einnahmen und Ausgaben des Reiches in allen
Zweigen des Haushalts einer scharfen alliierten Kontrolle unter-
warf. Eine solche Finanzkontrolle war von Deutschland bei den
Kämpfen um die Reparation stets als unerträglich und unzweck-
mäßig abgelehnt worden.
Die englische Idee scheiterte im Komitee an dem Widerstand
der Franzosen und Belgier. Sie wollten sich nicht mit Ueber-
schüssen begnügen, sondern verlangten einen direkten Zugriff auf
den Ertrag bestimmter Abgaben. So wurde auch im Komitee be-
schlossen. Die große Masse der Einnahmen blieb zur freien Ver-
fügung des Reiches, während bestimmte Einnahmezweige, näm-
lich die Zölle und die Verbrauchssteuern, in erster Linie der
Reparation zugewiesen wurden, Die interalliierte Kontrolle sollte
sich auf diese einzelnen Einnahmen beschränken.
Ein weiteres Objekt für die Reparation fand das Komitee in
der Reichsabgabe aus dem Eisenbahnverkehr, der sogenannten
Verkehrssteuer. Diese Abgabe ist in den vom Publikum erhobenen
Tarifen mit eingeschlossen, tritt also nach außen nicht in Er-
scheinung und legt dem Verkehr keine besondere neue Last auf.
‚Die Sachverständigen glaubten, daß das Reich diese Steuer nach
einer Uebergangsfrist von einem Jahre werde entbehren können.
Die Verkehrssteuer ist einfach zu handhaben und bedarf keiner
287
Kontrolle, da sie von der Reichsbahn direkt an die Reparations-
kasse abgeführt werden kann.
Endlich blieb die Frage zu entscheiden, ob auch die deutschen
Erwerbsstände direkt zur Reparationsleistung herangezogen
werden sollten, Einen Anspruch darauf hatten die Alliierten nach
dem Vertrage von Versailles nicht. Der Gedanke war jedoch seit
langer Zeit eingehend erörtert worden, besonders in Frankreich,
wo man mit Vorliebe eine Beteiligung der Alliierten an den
Erträgen der deutschen Industrie forderte, Zwei Gründe wurden
dafür ins Feld geführt. Einmal glaubte man den von der franzö-
sischen Eisenindustrie geforderten Einfluß auf die deutsche
Kohlenwirtschaft zu sichern, wenn ein Teil des Kapitals der
deutschen Industrie in Form von Aktien oder sonstigen Anteil-
scheinen der Reparation zufloß. Zweitens war es in aller Leute
Munde, daß Deutschland nur als Staat verarmt und vorläufig
wenig leistungsfähig sei, daß aber die deutsche Industrie sich
gerade an dem Niedergang der Mark derart bereichert habe, daß
sie verpflichtet sei, einen Teil ihrer Gewinne für die Reparation
abzugeben.
Wir haben gesehen, daß die Garantie der Reparation durch
die deutsche Industrie bereits in früheren Plänen eine Rolle
spielte, In ihrem letzten Vorschlag vom 7. Juni 1923 hatte die
deutsche Regierung selbst angeboten, durch eine erststellige
Hypothek von 10 Milliarden Goldmark die gesamte deutsche
Wirtschaft zur Garantie einer Jahresleistung von 500 Millionen
Goldmark heranzuziehen, Seitdem waren neue private Vorschläge
aufgetaucht, die dasselbe Ziel durch Abgabe von 30 Prozent des
Aktienkapitals der deutschen Industrie zu erreichen suchten. Der
Plan wurde außerhalb Frankreichs besonders von dem Deutschen
Arnold Rechberg und dem Belgier Barnich vertreten,
Die Sachverständigen haben die Idee einer alliierten Be-
teiligung an der deutschen Industrie fallen lassen, ohne jedoch
auf die direkte Belastung der Industrie zu verzichten, Sie kamen
immer wieder darauf zurück, daß die deutsche Industrie durch
die Entwertung der Mark so gut wie schuldenfrei geworden sei
und dadurch im Wettbewerb auf den verschiedenen Absatz-
288
gebieten der Welt einen Vorsprung vor den mit Goldschulden
belasteten Industrien des Auslandes besitze, Um das Gleich-
gewicht in der Konkurrenz wieder herzustellen, sollte die deutsche
Industrie mit einer besonderen Reparationsschuld beschwert
werden, und zwar in Höhe ihrer Vorkriegsschuld, die etwa fünf
Milliarden Goldmark betragen hatte, Vorkämpfer für diese Idee
war der italienische Delegierte Pirelli. Die Amerikaner und Eng-
länder schlossen sich ihm noch aus einer anderen Erwägung an.
Sie wollten den Vorwurf vermeiden, daß die Sachverständigen
als Vertreter des Kapitalismus die ganze Reparationslast durch
indirekte Abgaben aus Verbrauch und Verkehr auf die Schultern
der breiten Massen legten.
Die deutsche Landwirtschaft blieb von einem direkten Beitrag
zur Reparation verschont. Der Landbesitz war durch die Ent-
wertung der Mark zwar gleichfalls entschuldet, es schien den
Sachverständigen jedoch zweifelhaft, ob man ihn ohne Schädigung
der deutschen Wirtschaft mit einem Teile der Reparation be-
lasten könne.
Um sich von vornherein die Zustimmung der Industrie zu
sichern, zog das Komitee Dr. Buecher, Geschäftsführer des
Zentralverbandes der deutschen Industrie, zu vertraulichen Be-
sprechungen heran. Dabei wurde ein grundsätzliches Einver-
ständnis erreicht.
So hatte das .Komitee die einzelnen Quellen der Reparation
für seinen Plan gefunden, Als schwerste Aufgabe blieb noch
übrig, die jährliche Gesamtsumme festzusetzen, mit der Deutsch-
land belastet werden sollte, Hier galt es, die wirtschaftlichen Mög-
lichkeiten mit den politischen Forderungen auszugleichen. Daß
Deutschland einer Schonungsfrist bedurfte und in den ersten
Jahren nur allmählich ansteigende Leistungen tragen konnte,
stand fest. Wie groß aber sollte die Jahreslast in normalen
Zeiten sein?
ANNUITÄTEN
Der englische Plan vom Januar 1923 sah eine regelmäßige
Annuität von 2% Milliarden Goldmark vor, die vom Jahre 1923
ab auf 3% Milliarden Goldmark erhöht werden konnte, falls ein
Bergmann, Der Weg der Reparation 19 ES 289
unparteiisches Schiedsgericht dies mit der deutschen Leistungs-
fähigkeit für vereinbar erklärte, Seitdem hatte die verhängnisvolle
Besetzung des Ruhrgebietes die Zahlungskraft Deutschlands erheb-
lich geschwächt, Die englischen Sachverständigen befürworteten
daher eine normale Annuität von nicht mehr als 2 Milliarden
Goldmark. Sie drangen jedoch mit ihrer Ansicht gegen die weiter-
gehenden französischen Forderungen nicht durch. In dem Kampfe,
der sich um die Höhe der Annuität entspann, gaben die amerika-
nischen Vertreter den Ausschlag. Gegen Ende März waren sie so
weit, einer Jahresleistung von etwa 3 Milliarden Goldmark zuzu-
stimmen, Ihr Gedankengang war:
„Deutschland ist industriell wundervoll ausgerüstet, Es hat
seine staatliche und private Wirtschaft vollständig entschuldet.
Seine praktische Intelligenz ist im ganzen genommen der anderer
Völker überlegen. Nach Regelung der Reparation wird ein großer
Aufschwung in Deutschland einsetzen, mit dem es alle Kon-
kurrenten auf dem Weltmarkt schlägt, Dieser wirtschaftlichen
Kraft müssen auch die Zahlungen Deutschlands entsprechen, Es
soll verhältnismäßig ebenso hoch besteuert werden wie die Länder
der Alliierten. Das ist ein Grundsatz, den auch jeder vernünftige
Deutsche als gerecht anerkennt, Wird er auf das innerlich
schuldenfreie Deutschland angewendet, so sind aus den Ueber-
schüssen des deutschen Haushalts für die Reparation gewaltige
Summen verfügbar. Etwa 3 Milliarden können von der deutschen
Wirtschaft beiseite gestellt werden, natürlich zunächst nur in
deutscher Währung. Ob dieser Betrag ins Ausland. übergeführt
werden kann, hängt von dem Umfang des deutschen Außen-
handels ab. Ueber die Möglichkeit der Zahlung ins Ausland soll
ein internationales Komitee entscheiden, das sich aus F inanz-
sachverständigen zusammensetzt. Politische Einflüsse werden
dabei ausgeschaltet, Solange die Reparationsgelder in Deutsch-
land verbleiben, befruchten sie die deutsche Wirtschaft, schaffen
billiges Geld und geben deutschem Handel und Wandel neuen
Aufschwung. Darum liegt auch in einer jährlichen deutschen Ge-
samtleistung von 3 Milliarden Goldmark noch keine Gefahr für
Deutschland.“
290
h u aD
Sobald ich von diesen Absichten erfuhr, ging ich zu Owen
Young. Ich erklärte ihm, daß die Festsetzung einer Annuität von
drei Milliarden Goldmark verderblich wirken müsse, Das sei
gerade die Zahl, die uns von den ersten Verhandlungen an stets
verfolgt habe. Sie bilde den Kern des Londoner Ultimatums vom
5. Mai 1921 und trage die Schuld am Zusammenbruch unserer
Währung. Wenn die Sachverständigen zu solchen Ziffern kämen,
dann würden alle Hoffnungen, die man in Deutschland auf ihren
Spruch gesetzt habe, mit einem Schlage vernichtet sein. Das
jetzt erwachte Vertrauen würde allgemeiner Verzweiflung Platz
machen, Die deutsche Währung würde von neuem zugrunde
gehen. Auch die innerpolitische Lage würde unhaltbar werden.
Im Innern seien die Amerikaner selber überzeugt, daß derart
hohe Reparationszahlungen nicht durchführbar seien. Wollten sie
aus politischen Rücksichten den französischen Forderungen ent-
gegenkommen, so sollten sie lieber von dem Besserungsschein, als
dem kleineren Uebel, Gebrauch machen. Es sei immer noch erträg-
licher, bei einer wesentlichen Besserung in den Finanzen und der
Wirtschaft Deutschlands mehr zahlen zu müssen, als von vorn-
herein mit einer festen Belastung zu rechnen, die nach der Üeber-
zeugung aller Kundigen die Zahlungskraft Deutschlands bei
weitem übersteige.
Diese Aussprache fand am 20, März 1924 statt. Bald darauf
einigten sich die Sachverständigen auf. eine normale Jahres-
leistung Deutschlands von 2% Milliarden Goldmark. Davon sollten
fließen:
1250 Millionen aus Zöllen und Verbrauchsabgaben,
660 . aus der Eisenbahn (5 Prozent Zinsen und
1 Prozent Tilgung auf elf Milliarden Obli-
gationen),
290 s“ aus der Verkehrssteuer
300 aus der Industrie (5 Prozent Zinsen und
1 Prozent Tilgung auf fünf Milliarden Obli-
gationen)
2500 Millionen. |
19: 291
Man sieht, daß in dieser Jahresleistung 1 Prozent Tilgung auf
16 Milliarden Obligationen der Eisenbahn und der Industrie ent-
halten ist. Die Annuität von 2% Milliarden schließt daher auch
160 Millionen an jährlicher Kapitalrückzahlung ein.
Durch die Tilgung fällt nach sechsunddreißig Jahren die Be-
lastung der Eisenbahn mit 660 Millionen und der Industrie mit
300 Millionen aus der Annuität weg. Was dann aus den Zahlungen
des Haushalts und aus der Verkehrssteuer werden soll, haben die
Sachverständigen im Dunkeln gelassen,
INDEX
Daß die französischen Sachverständigen im Komitee nicht
länger auf den früheren, viel höheren Ziffern Frankreichs be-
standen haben, spricht für ihre wirtschaftliche Einsicht und für
den Mut ihrer Ueberzeugung. Immerhin wurde die Einigung auf
2” Milliarden nur dadurch möglich, daß man durch die Ein-
führung des Besserungsscheines der Phantasie der alliierten
Gläubiger gewisse Hoffnungen auf spätere Erhöhung der deutschen
Leistungen machte, |
An dem Problem des Besserungsscheines hatten sich seit der
Konferenz von Spa schon viele gelehrte Leute den Kopf zerbrochen.
Es war bisher noch nicht gelungen, einen Gradmesser (Index) zu
‚linden, an dem die Hebung des Wohlstandes der Volkswirtschaft
praktisch und zuverlässig abzulesen war. Deshalb war die ganze
Idee in der letzten Zeit in den Hintergrund geraten. Sie wurde
auch grundsätzlich von vielen Seiten bekämpft, weil sie die Repa-
rationslast der Zukunft unsicher gestaltete und damit ein weiteres
großes Moment der Unruhe in die Entwicklung der deutschen
Wirtschaft trug.
Die Sachverständigen aber griffen den Gedanken sogleich
wieder auf und führten ihn durch. Der Index, den sie im wesent-
lichen unter dem Einfluß von Sir Josiah Stamp aufgestellt haben,
ist ein verwickeltes Gebilde, Er wird ermittelt aus sechs ver-
schiedenen Faktoren, nämlich:
1. der Gesamtsumme der deutschen Ein- und Ausfuhr,
2. der Gesamtsumme der Einnahmen und Ausgaben des
292
Reichshaushaltes zuzüglich Preußens, Sachsens und
Bayerns, aber abzüglich der Jahresleistungen aus dem
Vertrage von Versailles, |
3, dem Gewicht der im Eisenbahnverkehr beförderten Güter-
mengen,
4, dem Wert des Gesamtverbrauchs in Deutschland an
Zucker, Tabak, Bier und Branntwein,
5. der Gesamtbevölkerung Deutschlands,
6. dem Verbrauch von Kohle auf den Kopf der Bevölkerung,
Die Grundziffern des Index werden für die Faktoren unter
2, 5 und 6 aus dem Durchschnitt der drei Jahre 1927, 1928 und
1929, für die anderen Faktoren aus dem Durchschnitt der sechs
Jahre 1912, 1913, 1926, 1927, 1928 und 1929 errechnet. Vom
sechsten Jahre der Ausführung des Dawesplanes, d. h. vom Jahre
1929/30 ab, sollen nun jährlich die Leistungen des Reichshaus-
haltes für die Reparation erhöht werden, sofern die sechs
Indexfaktoren in dem betreffenden Jahre eine Zunahme im Ver-
gleich mit den Grundziffern des Index anzeigen. Die prozentuale
Veränderung jedes der sechs Faktoren gegenüber der Vergleichs-
basis wird getrennt berechnet; das arithmetische Mittel aus diesen
sechs Zahlen ergibt den eigentlichen Index, d. h. den Prozentsatz,
der für die Aenderung der Leistungen des Reichshaushalts maß-
gebend ist. In den fünf Jahren 1929/30 bis 1933/34 wird die Index-
ziffer nur auf 1,250 Milliarden, d.h. auf die Hälfte der normalen
Annuität für die Reparation angewendet. Von 1934 an trifft der
Index aber die gesamte Normalzahlung des Jahres von 2.500
Milliarden. Zeigt der Index in irgendeinem Jahre eine Abnahme
gegenüber der Vergleichsbasis, so bleibt die Normalzahlung unver-
ändert, die Abnahme muß jedoch bei späteren Zunahmen berück-
sichtigt, d. h. von den etwaigen neuen Zuschlägen in Abzug ge-
bracht werden.
Die Indexrechnung wird sich bei der praktischen Anwendung
wohl noch schwieriger gestalten, als sie schon auf den ersten Blick
aussieht, In dieser Voraussicht haben die Sachverständigen die
Festsetzung aller Einzelheiten einem Komitee überwiesen, das
293
ga Pi
aus zwei Deutschen und zwei von der Reparationskommission zu
ernennenden Mitgliedern bestehen soll,
Die normale Jahresleistung für die Reparation kann abge-
sehen vom Index auch in dem Falle abgeändert werden, daß sich
die Kaufkraft des Goldes im Vergleich zu dem Jahre 1928 um
mindestens zehn Prozent ändern sollte, Der Anspruch auf Ab-
änderung kann sowohl von der deutschen Regierung wie von der
Reparationskommission und den in ihr vertretenen Regierungen
geltend gemacht werden. Falls eine Verständigung nicht zu
erreichen ist, soll ein vom Völkerbund zu ernennendes Komitee
entscheiden. Die hiernach veränderte Leistung bleibt bestehen,
bis wiederum nach Ansicht einer der Parteien eine Veränderung
der Kaufkraft des Goldes von mindestens zehn Prozent ent-
standen ist.
LEISTUNGEN NEBEN DER REPARATION
In der von den Sachverständigen festgesetzten Jahresleistung
sollen die sämtlichen Beträge einbegritfen sein, zu deren Zahlung
Deutschland den Alliierten und Assoziierten Mächten aus Anlaß
des Weltkrieges verpflichtet ist.
Mit dieser klaren Bestimmung des Planes ist einer der gröbsten
Fehler des Vertrages von Versailles beseitigt. Was die Erfüllung
der Reparationspflicht bislang unmöglich machte, war nicht allein
die Höhe der Schuld, wie sie im Londoner Ultimatum vom 5. Mai
1921 festgesetzt war, sondern ebenso sehr die Tatsache, daß neben-
her noch eine Reihe anderer Leistungen zu entrichten war, deren
Höhe man auch nicht annähernd schätzen konnte, Hierher ge-
hörten vor allem die direkten und indirekten Kosten, welche die
Besatzungsheere mit Zahlungen, Requisitionen, Quartierlasten,
Kasernenbauten, Beschlagnahme von Grundbesitz usw. ver-
ursachten. Dazu kamen weiter die Lasten des Ausgleichsver-
fahrens, die trotz der großen Summen, die Deutschland bereits
dafür gezahlt hatte, noch lange nicht beglichen waren, Unüber-
sehbar vor allem war die Inanspruchnahme Deutschlands aus der
Rechtsprechung der gemischten Schiedsgerichte. Ferner waren
die Kosten der zahlreichen Kommissionen zu bestreiten, die der
294
Vertrag von Versailles zur Aufsicht über Deutschland eingesetzt
hat. Und endlich verpflichtete der besondere Friedensvertrag, den
Deutschland am 25. August 1921 mit den Vereinigten Staaten von
Amerika geschlossen hatte, die deutsche Regierung zur Vergütung
von Kriegsschäden amerikanischer Untertanen, die im Wege des
Schiedsgerichts festzustellen waren. '
Hier überall hat der Spruch der Sachverständigen einen
erfreulichen Wandel geschaffen, Es gibt außer der festgesetzten
Annuität, welche normal 2% Milliarden Goldmark beträgt, keine
Nebenleistungen mehr aus dem Vertrage von Versailles und aus
Anlaß des Weltkrieges überhaupt. Die Sachverständigen haben
deshalb auch bestimmt, daß alle Kosten für Aufsichtsorgane, die
aus ihrem eigenen Reparationsplan erwachsen, ebenfalls aus der
festen deutschen Jahresleistung zu entnehmen sind.
ÜBERGANGSJAHRE
Die Annuität von 2% Milliarden wird erst nach Ablauf von
vier Jahren erreicht, Bis dahin läuft eine Art Schonungsfrist. Damit
ist der viel umstrittene Gedanke des Moratoriums verwirklicht,
"Freilich sieht das Moratorium ganz anders aus, als Deutschland
es gefordert und als auch der englische Plan vom Januar 1923 es
vorgesehen hatte. |
Eine vollkommene Befreiung von der Reparation für einige
Jahre tritt nicht ein.
Das ist abermals ein Kompromiß zwischen den wirtschaftlichen
Nöten Deutschlands und denen der Alliierten. Frankreich und
Belgien hatten sich mit der Besetzung des Ruhrgebietes, ganz
abgesehen von den Gewinnen, die sie in barem Gelde aus den
Eisenbahnen, den Forsten und aus den Zwangsverträgen mit der
Industrie zogen, ganz erhebliche Sachleistungen gesichert, vor
allem an Kohle und Koks. Wollte man Frankreich zur Freigabe
der Wirtschaft an Rhein und Ruhr bewegen, so mußte man auch
dafür sorgen, daß die Sachlieferungen weitergingen, wenn auch
in beschränktem Umfange. Ein solches Entgegenkommen hatten
übrigens auch die deutschen Reparationsvorschläge versprochen.
Wie aber war das Bedürfnis Deutschlands nach einer längeren
295
Ruhepause mit der Fortsetzung erheblicher Sachlieferungen zu
vereinbaren?
Die Frage, wie die Sachleistungen in den ersten Jahren finanziert
werden könnten, hat den Sachverständigen viel Arbeit gemacht.
Die Lösung, die sie schließlich vorgeschlagen haben, läßt ihr
Dilemma deutlich erkennen. Sie haben sich damit geholfen, daß sie
die Zahlungen der Eisenbahn und der Industrie in viel schnellerem
Tempo für die Reparation heranzogen als die Zahlungen aus dem
Reichshaushalt. Hier finden wir das Dogma der Alliierten wieder,
daß die schuldenfreie Eisenbahn und die schuldenfreie Industrie
nur in geringem Maße schonungsbedürftig und von vornherein
leistungsfähig seien.
Der Reichshaushalt selber genießt unter dem Dawesplan ein
ziemlich durchgreifendes Moratorium. Er ist in den ersten zwei
Jahren vollkommen frei von der Reparation. Im dritten Jahre führt
er aus den verpfändeten Zöllen und Steuern nur 110 Millionen,
im vierten Jahre 500 Millionen an die Reparationskasse ab.
Die Zahlungen dieser beiden Jahre können sich aber bis zur
Höhe von 250 Millionen Goldmark nach oben oder unten ändern,
je nachdem sich die verpfändeten Zölle und Steuern entwickeln.
Bringen diese im dritten Jahre (1926/27) mehr als eine Milliarde,
im vierten Jahre (1927/28) mehr als 174 Milliarde, so ist der dritte
Teil eines solchen Ueberschusses als weiterer Beitrag für die
Reparation zu zahlen. Betragen die Einkünfte weniger als die ge-
nannten Summen, so wird der dritte Teil des Fehlbetrages von der
Reparationszahlung des Haushalts abgezogen. Alle diese Aende-
rungen aber halten sich innerhalb der Grenze von 250 Millionen.
Erst im fünften Jahre beginnt die normale Reparationsleistung
des Haushalts mit 1250 Millionen Goldmark.
Die Eisenbahn soll nach dem Gutachten der Sachverständigen
ihre Reparationsschuld von elf Milliarden Goldmark
im ersten Jahre schon mit 3 Prozent
im zweiten Jahre mit . . . 4 Prozent
im dritten Jahre mit . .*. , 5 Prozent
verzinsen. Im vierten Jahre tritt dazu die jährliche Tilgung der h
296
Schuld mit 1 Prozent, so daß von da ab die volle Jahresleistung
der Eisenbahn von 660 Millionen Goldmark läuft,
Von der Industrie wird im ersten Jahre nichts, im zweiten
Jahre nur die Hälfte der Zinsen auf die Schuld von fünf Milliarden,
also 2% Prozent = 125 Millionen Mark beansprucht. Vom dritten
Jahre an zahlt die Industrie die vollen Zinsen mit 250 Millionen
und vom vierten Jahre an auch die Tilgung mit 1 Prozent, im
ganzen 300 Millionen jährlich.
Die Verkehrssteuer wird im ersten Jahre der Regierung be-
lassen. Im zweiten Jahre fließt sie in Höhe von 250 Millionen,
vom dritten Jahre ab in Höhe von 290 Millionen an die Reparations-
kasse. Etwaige Ueberschüsse der Verkehrssteuer verbleiben dem
Reiche.
Um die Lücke auszufüllen, welche hiernach bei dem Aufbau
der Reparationszahlungen im ersten Jahre entstehen würde, haben
die Sachverständigen die Ausgabe einer Anleihe von 800 Millionen
Goldmark vorgeschlagen. Ihr Erlös wurde dazu bestimmt, bereite
Mittel für Sachleistungen, Besatzungskosten und sonstige not-
wendige Ausgaben des ersten Jahres zu schaffen. Diese große
Reparationsanleihe sollte Deutschland vom Ausland gegeben und
aus den jährlichen deutschen Reparationsleistungen verzinst und
getilgt werden, Die Gläubiger der Anleihe sollten als Sicherheit
den ersten Anspruch auf die deutschen Jahreszahlungen, also ein
Vorrecht vor allen Forderungen der Alliierten erhalten.
Die Anleihe sollte nicht nur den Zwecken der Reparation
dienen, sondern zu gleicher Zeit auch der deutschen Währung zu-
gute kommen. Ihr Erlös war in Gold oder Devisen in eine neu zu
errichtende Goldnotenbank einzuzahlen. Letztere hatte nach An-
weisung des Generalagenten für die Reparation der deutschen
Regierung die Zahlungen zu erstatten, welche die Regierung für
Sachlieferungen und sonstige Zwecke der Reparation einstweilen
auslegte, Der gesamte Erlös der Anleihe sollte somit in fremdem
Gelde der deutschen Wirtschaft zufließen und die deutsche
Währung stärken. |
Im einzelnen hat das Bild der Uebergangsjahre noch einige
Aenderungen erhalten. So wurde die wirkliche Leistung der
297
EDER U UBER
Reichsbahn im ersten Jahre auf 200 Millionen Mark beschränkt,
aber zum Ausgleich schon im zweiten Jahre stark erhöht.
Die folgende Aufstellung gibt einen genauen Ueberblick über
die Entwicklung der Reparationszahlungen bis zur normalen
Annuität. Es sind zu zahlen:
Im 1. Jahre: aus der Eisenbahn 200 Mill. Goldmark
aus der Reparationsanleihe 800
El
1000 Mill. Goldmark
Im 2. Jahre: aus der Eisenbahn 595 Mill. Goldmark
aus der Verkehrssteuer. . 250
aus der Industrie. . . . 125
aus dem Verkauf von Vor-
zugsaktien der Eisenbahn 250 >
1220 Mill. Goldmark
Bl
Ur)
Im 3. Jahre: aus der Eisenbahn
550 Mill. Goldmark
aus der Verkehrssteuer. . 290 n
aus der Industrie”... u... 250 u
aus dem Reichshaushalt . 110
Bl
1200 Mill. Goldmark
Im 4, Jahre: aus der Eisenbahn
aus der Verkehrssteuer. . 290 “N
aus der Industrie. . . . 300 .
aus dem Reichshaushalt . 500
„
1750 Mill. Goldmark
Im 5, Jahre: aus der Eisenbahn 660 Mill. Goldmark
aus der Verkehrssteuer . . 290
aus der Industrie 5. / 2172800
aus dem Reichshaushalt . 1250 5
2500 Mill. Goldmark
”
l
IR
298
660 Mill Goldmack
Die Zahlungen für das dritte und vierte Jahr können sich je
nach den Erträgen der verpfändeten Zölle und Steuern bis zur
Höhe von 250 Millionen Mark nach oben oder unten ändern,
TRANSFERSYSTEM
Alles, was Deutschland für die Reparation zahlt, soll in Gold-
mark oder mit dem Gegenwert in deutscher Währung bei der
neuen Goldnotenbank zugunsten des „Agenten für Reparations-
zahlungen“ entrichtet werden. Diese Zahlung bildet den endgültigen
Akt, durch den sich die deutsche Regierung ihrer finanziellen
Verpflichtungen unter dem Dawesplan entledigt.
Hier haben wir die grundlegende Neuerung, den entscheidenden
Sprung vorwärts zur Lösung des Problems. Bisher war jeder Plan
davon ausgegangen, daß die Festsetzung der Schuld in Goldmark
Deutschland verpflichte, die jeweils fälligen Beträge in fremder
Währung — Dollars, Pfund Sterling, Francs, Lire usw. — nach
Weisung der Reparationskommission selbst anzuschaffen, also das
deutsche Geld durch Verkauf in fremdes Geld umzuwandeln, Wir
haben gesehen, daß darin der tiefste Grund für den Zusammen-
bruch der Mark lag. Niemand konnte sagen, wie und wann Deutsch-
land imstande sein würde, seine Reparationsschuld in fremdem
Gelde abzuzahlen. Der Versuch, die erste Milliarde Goldmark
unter dem Londoner Zahlungsplan ins Ausland zu legen, hatte die
Markwährung aufs schwerste erschüttert. Von deutscher Seite
war schon immer betont worden, es sei dem verarmten Lande
unmöglich, Milliardenbeträge Jahr für Jahr ohne jede Gegen-
leistung in das Ausland zu zahlen, zumal da die deutsche Handels-
bilanz stark passiv geworden sei. Kein Mensch aber hatte bisher
die Kühnheit besessen, den Knoten des Problems mit dem Vor- .
schlag durchzuhauen, daß die Schuld Deutschlands durch Zahlung
in seiner eigenen Währung beglichen werden solle und daß es
Sache der Gläubiger sei, die Reparationszahlungen in fremdes
Geld umzuwandeln. |
Wer ist der Vater dieser neuen Idee? Sie ist nicht erst aus den
Beratungen des Daweskomitees entstanden, Sie findet sich schon
in dem Bericht, den das vom Völkerbund eingesetzte Finanz-
299
komitee am 20, Dezember 1923 über den finanziellen Wieder-
aufbau Ungarns erstattet hat. Dort heißt es, daß es zum Schutze
der Währung nötig sei, daß alle Zahlungen Ungarns aus dem
Friedensvertrage in ungarischen Kronen bei der Bank von Ungarn
eingezahlt würden und daß der Präsident der Bank diese Gelder
so bald wie möglich in fremde Währung überführen solle, ohne
aber den Wert der Krone zu gefährden,
Die SachverständigendesDawesplanesfandenalsoden Transfer.
gedanken bereits vor. Sie griffen ihn entschlossen auf und be-
Sründeten ihn ausführlich, In ihrem Berichte sagen sie:
Es bestehe ein großer Unterschied zwischen dem, was Deutsch-
land in seinem eigenen Gelde für die Reparation erübrigen könne,
und zwischen dem, was es davon nach anderen Ländern zu über-
weisen imstande sei. Auf die Dauer dürften die den Allierten ge-
zahlten fremden Gelder nicht die Beträge übersteigen, welche die
deutsche Zahlungsbilanz zu überweisen gestatte, ohne Währung
und Haushalt zu gefährden, Mit dem Begriff der Handelsbilanz
sei allerdings praktisch nicht viel anzufangen, Sie beruhe nur auf
Schätzungen, zumal bei den wichtigen Posten der unsichtbaren
Ein- und Ausfuhr, Wenn man aber auch die Grenzen der wirt-
schaftlichen Bilanz nicht genau bestimmen könne, so seien sie doch
von der Wirklichkeit gezogen. Um die Währung eines Landes
dauernd zu sichern, müsse nicht nur der Haushalt im Gleich-
gewicht sein, sondern es müßten auch die Einnahmen von außen
so groß sein wie die Zahlungen, die das Land nach außen zu
machen habe, einschließlich der Beträge für die Reparation, Daher
könne die Reparation nur aus Ueberschüssen der deutschen Wirt-
schaft gezahlt werden.
Der Jahresbetrag, den Deutschland nach der Leistungsfähig-
keit seines Haushalts zahlen könne, werde in Goldmark fest-
gesetzt. Zugleich .aber werde Schutz dagegen geschaffen, daß
durch die Umwandlung der gezahlten Markbeträge in fremdes
Geld die Stabilität der deutschen Währung zerstört und die
Reparation in Zukunft gefährdet werde, Auf diese Weise seien
nur die Höchstsummen angegeben, welche die Alliierten aus der
Reparation erlangen können. Stelle sich heraus, daß nur ein Teil
300
dieser Summen in fremde Währung übertragen werden könne, so
werde die Einschränkung bedingt durch die tatsächliche Entwick-
lung der Wirtschaft und nicht durch irgendwelche Schätzung, Die
Einschränkung erfolge also nur insoweit, als sie wirklich not-
wendig sei. Die Reparationszahlungen, welche nicht in fremde
Währung übertragen werden könnten, ständen unter gewissen Be-
dingungen den Alliierten als Anlage innerhalb Deutschlands zur
Verfügung. So kämen beide Parteien zu ihrem Recht. Es wäre ge-
wagt und unbillig, die Möglichkeiten der künftigen Entwicklung
der Wechselkurse vorauszusagen und Deutschlands Reparations-
last im voraus durch Schätzung feststellen zu wollen, Nur die Er-
fahrung könne lehren, inwieweit die Umwandlung in fremde
Währung möglich sei. Inzwischen werde der deutsche Steuer-
zahler nach Gebühr belastet, und damit entstehe für die Alliierten
ein Guthaben in Goldmark, das je nach der Lage der Wechsel-
kurse in fremdes Geld umgewandelt werden könne,
Nach diesen Grundsätzen ist das Transfersystem im einzelnen
wie folgt ausgebaut: |
Die in Goldmark gezahlten Reparationsbeträge werden von
einem Ausschuß, dem sogenannten Transferkomitee, verwaltet.
Er besteht aus sechs Mitgliedern. Den Vorsitz hat der Agent
für Reparationszahlungen. Die übrigen fünf Mitglieder sollen in
Devisengeschäften erfahren sein. Die Vereinigten Staaten, Frank-
reich, England, Italien und Belgien stellen je ein Mitglied, das
nach Vorschlag der Zentralbank des betreffenden Landes von der
Reparationskommission ernannt wird. Das Transferkomitee hat
mit dem Präsidenten und dem Kommissar ‘der neuen deutschen
- Goldnotenbank Fühlung zu halten.
Das Komitee verfügt im Benehmen mit der Reparations-
kommission über die von Deutschland gezahlten Beträge
1, für Bezahlung von Sachlieferungen und der Abgabe unter
dem Reparation Recovery Act,
2. für die Umwandlung der Markbeträge in fremde Währung,
beides soweit es nach dem Urteil des Transferkomitees
möglich ist, ohne die Stabilität der deutschen Währung
zu gefährden, |
301
3. für die Anlage fremder Gelder innerhalb Deutschlands in
festverzinslichen Werten, soweit das Komitee dies für
zweckmäßig hält.
Darüber hinaus kann das Komitee nach Weisung der Reparations-
kommission und auf Ersuchen des Landes, welchem der Anspruch
zusteht, Reparationsbeträge in Mark an Private überweisen, um
Ankäufe in Deutschland zu machen, Solche Anlagen dürfen aber
keinen vorübergehenden Charakter tragen und sich nur auf eine
Liste von Sachen erstrecken, die zwischen dem Transferkomitee
und der deutschen Regierung von Zeit zu Zeit unter Berücksich-
tigung der wirtschaftlichen Lage Deutschlands festgesetzt wird.
Die deutsche Regierung und die deutsche Goldnotenbank sind
verpflichtet, die Tätigkeit des Transferkomitees bei der Umwand-
lung von Markbeträgen in fremdes Geld auch mit ihrer Diskont-
politik zu unterstützen, Wenn das Komitee von der deutschen
Regierung oder irgendeiner Gruppe in der Umwandlung von
Geldern vorsätzlich gestört werden sollte, so kann es derartigen
Manövern mit geeigneten Schritten entgegentreten, Es wird dann
auch frei von den Einschränkungen, die ihm für die Ansammlung
von Markbeträgen oder für die Anlage von Geldern in deutschen
Werten gesetzt sind.
Soweit die Reparationsbeträge im gewöhnlichen Geschäfts-
gang des Transferkomitees, das heißt durch Bezahlung von Sach-
leistungen, sonstigen Ausgaben und durch Umwandlung in fremde
Währung keine Verwendung finden, bleiben sie bis zum Betrage
von zwei Milliarden Goldmark als Depositen in der Bank liegen.
Ueber zwei Milliarden Mark hinaus kann das Transferkomitee
das Reparationsdepot zu festverzinslichen Anlagen in Deutsch-
land benutzen. Wenn jedoch die sämtlichen Guthaben und An-
lagen des Reparationsfonds in Deutschland (Bankguthaben, Dar-
lehen, Wertpapiere usw.) die Summe von fünf Milliarden Gold-
mark übersteigen, werden die Abgaben aus dem Haushalt ein-
schließlich der Verkehrssteuer so weit und so lange herabgesetzt,
bis keine weitere Anhäufung des Reparationsfonds über fünf
Milliarden hinaus stattfindet.
3
302
Die Sachverständigen haben selber erkannt, daß ihr Transfer-
system ganz neuartige Schwierigkeiten mit sich bringt, die nur
durch Erfahrung behoben werden können, Sie schildern ihr
Dilemma wie folgt:
Wollten sie die jährliche Reparationsleistung mit einer Ziffer
begrenzen, die ganz sicher innerhalb der Fähigkeit Deutschlands
liest, Ausfuhrüberschüsse zu erzielen, so wären sie zu einem so
niedrigen Betrage gekommen, daß ihr Vorschlag für die Gläubiger
unannehmbar und für Deutschland unverantwortlich günstig ge-
wesen wäre, Auf der anderen Seite hätten sie die Schuld auch
ohne jede Rücksicht auf den deutschen Ausfuhrüberschuß fest-
setzen und Zahlung verlangen können, ohne etwaige Schwierig-
keiten in den Wechselkursen zu beachten. Letzteren Weg wollten
sie nicht gehen, weil er zu Unsicherheit in der Zukunft und zum
Unheil führen müßte, Nach ihrer Ueberzeugung muß ein jeder
Plan, der den Alliierten die höchstmögliche Reparation von
Deutschland verschaffen will, mit einer verständnisvollen und
sorgfältigen Handhabung der Wechselkurse verbunden sein.
So sind sie zu ihrem Vorschlag gekommen.
DAUER DER ZAHLUNGEN
Die den Sachverständigen ursprünglich gestellte Aufgabe ging
bekanntlich nur dahin, Mittel und Wege für die Herstellung des
Gleichgewichts im Reichshaushalt und für die Stabilisierung der
Währung anzugeben. Es ist nun sehr interessant, dem Gedanken-
ang zu folgen, mit dem sie ihren Reparationsplan entwickelt und
begründet haben:
Haushalt und Währung können nur in Ordnung gebracht
werden, wenn festgestellt wird, welche Reparationsleistungen aus
dem Haushalt zu bestreiten sind. Es wäre falsch, die Reparation
nur für einige wenige Jahre zu bestimmen, innerhalb deren
Deutschland eine gesunde Währung und einen ausgeglichenen
Haushalt erreichen soll. Denn das einmal erreichte Gleichgewicht
im Haushalt und in der Währung geht verloren, wenn nach wie vor
Unsicherheit darüber herrscht, was Deutschland in den späteren
Jahren für die Reparation zu zahlen hat. Die Anstrengung ist
303
Zukunft Deutschlands abhängt. Ohne solches Vertrauen wird
weder das deutsche Kapital im Ausland heimwandern, noch wird
das Ausland: durch Zeichnung der Reparationsanleihe und Ge.
währung von Krediten die nötige Hilfe leisten, Nicht einmal die
Steuern können dann richtig eingezogen werden. Aber das Ver-
trauen kommt erst wieder, wenn Deutschland und die Außenwelt
eine Sicherheit dafür bekommen, daß für geraume Zeit weder die
deutschen Finanzen noch die Beziehungen zum Ausland durch
neuen Streit gefährdet werden, Unter „geraumer Zeit” muß eine
Periode verstanden werden, welche das Kapital für Anleihen und
Anlagen als ausreichend ansieht, Nun ist es nicht möglich, die
Reparationsschuld ein für allemal genau festzusetzen, Auch sollen
die Alliierten an dem Anwachsen des deutschen Wohlstandes
einen Anteil haben, Zıı diesem Zweck ist der Index eingeführt.
Die Sachverständigen haben sich nicht für zuständig erklärt,
zu bestimmen, für welche Dauer von J ahren oder bis zu welchem
leistungen festzusetzen, da dies gleichbedeutend wäre mit der
Festsetzung einer neuen deutschen Kapitalschuld, Doch haben sie
die Anwendung ihres Planes auch für die endgültige Regelung
der verschiedenen internationalen Kriegsschulden empfohlen, so-
weit die deutsche Schuld dabei in Betracht kommt,
SACHLEISTUNGEN
Die Sachleistungen sind vom Daweskomitee wie fol $t analysiert
worden:
Sachleistungen sind in ihrer finanziellen Auswirkung nicht
wesentlich verschieden von Geldzahlungen, Auch sie dürfen auf
die Dauer den Ueberschuß der deutschen Produktion über den
deutschen Verbrauch nicht übersteigen, sonst gefährden sie die
Währung oder machen fremde Anleihen nötig. Mit dieser Maß-
304 R
gabe aber sind die im Versailler Vertrag fes tgesetzten Sach- .
leistungen auszuführen, Sie können nicht ohne große Schädigung
der interessierten alliierten Mächte beseitigt werden, Auch regen
sie, wenn sie sich in vernünftigen Grenzen halten, die deutsche
Erzeugung an und wirken als ein Stimulus für größeren Ausfuhr-
überschuß, Zugleich geben sie den Alliierten ein Vorzugsrecht auf
die Erfassung des Ueberschusses in der deutschen Ausfuhr und
erweitern die Möglichkeiten für die Abführung der Reparations-
zahlungen an die Gläubiger. Die Sachlieferungen dürfen aber
nicht wirtschaftsfeindlich werden. Sie müssen beschränkt bleiben
auf natürliche Erzeugnisse Deutschlands wie Kohle, Koks, Farben :
u. s. w. und in zweiter Linie auf solche Exportartikel, für die nicht
vorher ein großer Prozentsatz ihres Wertes nach Deutschland
eingeführt werden muß.
In den ersten zwei Jahren sind die Zahlungen Deutschlands
so begrenzt, daß auch die Sachleistungen sich von selber in engem
Rahmen halten, Für die F olgezeit aber muß die Reparations-
kommission zusammen mit dem Transferkomitee sorgfältig das
Programm der Sachlieferungen prüfen, um Schwierigkeiten im
Wechselkurse zu vermeiden. Da die Leistungen der beiden ersten
Jahre fast ausschließlich zu Zahlungen innerhalb Deutschlands
Verwendung finden müssen, werden die alliierten Regierungen
sich zu überlegen haben, ob sie nicht das System fortsetzen sollen,
wonach die Kosten der Besatzung in erster Linie aus dem Erlös
der Sachlieferungen zu bestreiten sind, welche die Besatzungs-
mächte erhalten,
Die von Deutschland den Gläubigerstaaten gelieferten Waren
dürfen nur für den eigenen Bedarf der Empfangsländer einschließ-
lich ihrer Kolonien und Schutzgebiete verwendet werden. Die
Weiterausfuhr aus diesen Ländern ist nur auf Grund einstimmigen
Beschlusses des Transferkomitees mit Zustimmung der deutschen
Regierung gestattet.
Unter Sachlieferungen fallen auch die Zahlungen, die in
Deutschland aus der Anwendung der Exportabgabe (Reparation
Recovery Act) entstehen.
Bergmann, Der Weg der Reparation 20 & 305
SICHERHEITEN
Den Sicherheiten für die Reparation gelten folgende Be-
trachtungen des Komitees:
Die deutschen Zahlungen müssen automatisch und gewohn-
heitsmäßig erfolgen, unabhängig von der Haltung der jeweiligen
politischen Leitung Deutschlands in Sachen der Reparation, Um
so geringer wird die Reibung und um so größer wird das wirt-
schaftliche Gleichgewicht des deutscshen Haushalts sein. Letzten
Endes liegt die beste Sicherheit darin, daß Regierung und Volk
in Deutschland ein Interesse daran haben, gutwillig eine Last auf
sich zu nehmen, die nach der Ansicht der Welt innerhalb der
‚deutschen Zahlungsfähigkeit liegt, und diese Last, die schwer ist
und schwer sein soll, so bald wie möglich abzutragen. Aber
moralische Sicherheit genügt in Geschäften nicht, vor allem nicht
bei den gemachten Erfahrungen und beim gegenwärtigen Zustand
der deutschen Finanzen. Greifbare und fruchtbringende Pfänder
liegen auch im Lebensinteresse von Deutschland selber, Es wird
erst frei von einem großen Teil seiner politischen Wirren, wenn
ihre Hauptquelle durch ein System verstopft wird, das die Zahlung
der Reparation nicht länger von fortlaufenden Entscheidungen
der Regierung abhängig macht.
Eine allgemeine Finanzkontrolle über Deutschland ist abzu-
lehnen. Damit würden die Aufsichtsorgane die Verantwortung für
alle Finanzschwierigkeiten übernehmen und darin gerade könnte
ein Vorwand für die Entstehung solcher Wirren liegen. Die allge-
meine Kontrolle muß vielmehr für den Fall vorbehalten bleiben,
daß Deutschland absichtlich seine Verpflichtungen nicht erfüllt,
Die vorgeschlagenen Sicherungen sollen eine Verbindung von
eigenem Interesse und indirektem Druck darstellen. Zu diesem
Zweck werden bestimmte Einkünfte der Kontrolle der deutschen
_ Gläubiger als Pfand zugewiesen, nämlich Zölle, Alkohol, Tabak,
Bier und Zucker. Ihre Erträge gehen unmittelbar in die Hände der
Kontrollinstanz. Letztere führt daraus zuerst die den Alliierten
geschuldeten Beträge ab und Deutschland erhält den Rest für °
seine eigenen Zwecke, Obwohl Deutschland in den beiden ersten
Jahren von Zahlungen aus dem Budget frei ist, setzt die Kontrolle
306 .
sofort ein, weil es gut ist, die Wirksamkeit des ganzen Planes
öffentlich und endgültig zu erweisen, Der Ertrag der verpfändeten
Einkünfte ausschließlich der Zölle ist von deutschen Behörden
für das Jahr 1928/29 auf 1.7 Milliarden Mark geschätzt worden.
Die technischen Berater der Sachverständigen schätzen den Ertrag
auf 2,146 Milliarden, Daher ist ein weiter Spielraum gegenüber
den geforderten normalen Zahlungen aus dem Haushalt von
1.25 Milliarden gegeben. Der ganze Ueberschuß soll Deutschland
gehören. Es hat daher alles Interesse daran, den: Ertrag zu
steigern. Mit jedem Zuwachs des Ertrages aber steigt auch die
Sicherheit der Alliierten, die ja zuerst daraus befriedigt werden.
Das alles gilt für die Zahlungen aus dem Haushalt. Die
Leistungen der Eisenbahn und der Industrie werden nach geschäft-
lichen Grundsätzen durch Schuldverschreibungen und erste Hypo-
theken gesichert. — — | | |
Wir werden uns mit den Sicherheiten noch im einzelnen be-
schäftigen, wenn wir das Londoner Abkommen vom 16. August und
die damit zusammenhängenden deutschen Gesetze besprechen.
GOLDNOTENBANK
Die Vorschläge der Sachverständigen für die deutsche Währung
konzentrierten sich von Anfang an auf die Errichtung einer Gold-
notenbank, die mit einem angemessenen Kapital versehen und
einer gewissen internationalen Aufsicht unterworfen sein sollte,
Der Zustand der Beharrung, welcher, von kurzen Schwankungen
abgesehen, schon vom 15. November 1923 an sowohl für die
Rentenmark wie für die Papiermark erreicht war, konnte die
Sachverständigen nicht in ihrer Ueberzeugung erschüttern, daß
eine große Goldnotenbank in Deutschland errichtet werden müsse,
Gleich vom Beginn ihrer Tätigkeit ab führten sie eingehende Ver-
handlungen mit Dr. Schacht, dessen Ansichten zunächst nicht
in allen Punkten mit denen des Komitees übereinstimmten.
Dr. Schacht legte vielmehr Wert auf die sofortige Gründung einer
Golddiskontbank, um die notwendigen Bedürfnisse des deutschen
auswärtigen Handels zu finanzieren. Auf die Goldnotenbank der
Sachverständigen wollte er nicht warten. Allmählich fand aber
20* 307
auf beiden Seiten eine Angleichung der Ideen statt. Man einigte
sich dahin, die Diskontbank so zu organisieren, daß sie in der
neuen Goldnotenbank leicht aufgehen könne. Noch während der
Arbeiten des Komitees schritt Dr. Schacht zur Gründung der
Golddiskontbank (Gesetz vom 19, März 1924).
Sie erhielt ein Kapital von 10000 000 Pfund Sterling. Davon
übernahm die Reichsbank die Hälfte mit voller Einzahlung. Die
restlichen 5000000 wurden zunächst von einem Syndikat deutscher
Banken übernommen und mit 25 Prozent einbezahlt, Später hat
die Reichsbank sämtliche Aktien angekauft. Die Diskontbank er-
hielt das Recht zur Ausgabe von 5000000 Pfund Sterling Bank-
noten, wovon sie jedoch keinen Gebrauch machte. Für die von
ihr diskontierten Handelswechsel sicherte sie sich in England einen
Rediskontkredit von 5000000 Pfund Sterling, in Amerika einen
solchen von 25000 000 Dollar. Auch diese Kredite sind kaum in
Anspruch genommen worden. Durch die Entwicklung der Dinge
nach der Annahme des Dawesplanes verlor die Diskontbank bald
ihre Bedeutung.
Für die neue Goldnotenbank haben die Sachverständigen
folgende Organisationsgrundsätze vorgeschrieben:
Entweder wird sie neu errichtet oder die Reichsbank wird dazu
ausgebaut. Sie erhält — abgesehen von den noch bestehenden
kleinen Notenbanken in Baden, Bayern, Sachsen und Württem-
berg — das ausschließliche Notenrecht in Deutschland für fünfzig
Jahre, Das gesamte zurzeit kursierende deutsche Papiergeld muß
aus dem Verkehr gezogen werden, Die Rentenbank wird allmählich
liquidiert. Die Banknoten der neuen Bank erhalten eine normale
Deckung von 33% Prozent in Gold und Devisen. Vorläufig findet
keine freie Einlösung der Noten in Gold statt. Die neue Bank
wird wie die Reichsbank nur eine Bank für die Banken, Sie
diskontiert Primawechsel und handhabt die offizielle Diskont-
politik sowie den Giroverkehr für Banküberweisungen. Sie wird
Depotstelle für das Deutsche Reich und nimmt seine Finanz-
geschäfte wahr, darf aber nur kurzfristige Vorschüsse in be-
stimmter Höhe an die Regierung geben, Letztere nimmt teil an
308
den Gewinnen der Bank. Sonst aber ist diese vollkommen frei
von Kontrolle oder Einmischung der Regierung.
Alle Zahlungen für die Reparation gehen auf ein besonderes
Konto bei der neuen Bank. Sie dürfen von den Gläubigerstaaten
nur unter Bedingungen abgezogen werden, welche den deutschen
Wechselkurs und die Interessen der Gläubigerstaaten und der
deutschen Wirtschaft gleichmäßig schützen, — —
Ueber die Verwaltung der Bank wird aus Anlaß des neuen
deutschen Bankgesetzes später zu sprechen sein.
ORGANISATION
Die Sachverständigen haben die Ausführung ihres Planes nicht
einfach der Reparationskommission überlassen, sondern eine Orga-
nisation vorgeschlagen, die zwar von der Reparationskommission
ausgeht und ihr verantwortlich ist, im übrigen aber in ihren
einzelnen Abteilungen selbständig arbeitet. Danach ist je ein
Kommissar zu bestellen für die Goldnotenbank, die Reichsbahn
und die verpfändeten Einnahmezweige des Haushalts. Neben den
Kommissaren steht der Agent für Reparationszahlungen. Er soll
die Verbindung zwischen der Reparationskommission und den
Kommissaren herstellen und darauf achten, daß unter ihnen keine
Reibungen und kein Kompetenzstreit entstehen. Er soll verhüten,
daß doppelte Arbeit geleistet wird, kurz die harmonische Zu-
sammenarbeit bei der Ausführung des Planes sichern,
Diese Aufgaben verschaffen dem Agenten die wichtigste
Stellung in der Organisation. Jedoch kann jeder Kommissar bei
Meinungsverschiedenheiten mit dem Agenten an die Reparations-
kommission appellieren,
Der Plan sieht ferner einen Treuhänder — Trustee — für die
Schuldverschreibungen der Reichsbahn und der Industrie vor.
Tatsächlich ist später je ein Trustee für beide Arten von Schuld-
verschreibungen bestellt worden. Der Agent und die Trustees
werden von der Reparationskommission ernannt, ebenso der
Kommissar für die verpfändeten Einkünfte. Der Kommissar für
die Reichsbahn dagegen wird von den auswärtigen Mitgliedern des
309
Mr
Verwaltungsrats der Gesellschaft gewählt, in ähnlicher Weise
auch der Kommissar für die Bank, Um die Zusammenarbeit zu
erleichtern, sollen die Kommissare, der Agent und die Trustees
einen Rat (Coordinating Board) bilden, der jedoch keine Ent-
scheidungen treffen und in der Hauptsache dem Agenten die
nötigen Unterlagen für seine Weisungen liefern soll.
Die Ausgaben dieser Organisation sollen sich in mäßigen
Grenzen bewegen und werden in jedem Falle aus der deutschen
Jahresleistung bestritten.
310
NEUNUNDZWANZIGSTES KAPITEL
DIE ANNAHME DES GUTACHTENS
UND DIE LONDONER KONFERENZ.
VOM 16. JULI BIS 16. AUGUST 1924
DER BERICHT DES DAWES KOMITEES
Am 9, April 1924 wurden die Berichte der beiden Komitees
an die Reparationskommission in englischer und französischer
Sprache veröffentlicht.
Der Bericht des Daweskomitees umfaßt mit allen Anlagen
einen stattlichen Band von 124 Druckseiten. Er zerfällt in drei
Teile. Der erste Teil enthält die Vorschläge und die Grundzüge
des Planes, Der zweite Teil beleuchtet die finanziellen, wirt-
schaftlichen und steuerlichen Verhältnisse Deutschlands und be-
handelt die Kontrolle der für die Reparation zu verpfändenden
Einkünfte des Reiches. Der dritte Teil bringt in Anlagen aus-'
gearbeitete Einzelpläne für die Bank (Anlage I), für den Index
{Anlage II), für die Reichsbahn (Anlagen III und IV), für die
Industrieobligationen (Anlage V), für das Transfersystem (An-
lage VI). |
‘Der eigentliche Bericht, zumal sein erster Teil, ist eine er-
staunliche Leistung. Er ist glänzend geschrieben. Alle seine Aus-
führungen atmen den frischen Geist gesunder wirtschaftlicher
Erkenntnis, Sie halten sich sorgfältig fern von politischen Rück-
sichten und Erwägungen. Aus dem Ganzen spricht eine Kraft der
Ueberzeugung, die unwiderstehlich wirkt. | |
An der Spitze des Berichts steht die Erklärung, daß Deutsch-
E land nicht wieder gesunden kann, solange Teile des Landes
31T
finanziellen und wirtschaftlichen Eingriffen von außen unter-
liegen. Alle Vorschläge des Berichts haben deshalb zur Voraus-
setzung, daß die wirtschaftliche Einheit und Freiheit innerhalb
der gesamten Reichsgrenzen wiederhergestellt werden.
Mit politischen Sicherheiten und Strafmaßnahmen oder mit
Fragen der militärischen Besetzung sich zu beschäftigen, lehnt
der Bericht ab. Er stellt aber fest, daß fremde Eingriffe, soweit
sie die wirtschaftliche Tätigkeit Deutschlands hemmen, aufhören
müssen, Die Kontrollen, die das Komitee selber vorschlägt, sollen
für die Ausführung des Planes genügen, solange Deutschland
nicht in flagranter Weise dagegen verstößt, |
Und nun kommt, ganz in der Gedankenreihe von Owen Young,
die Lehre von Deutschlands Pflicht und Deutschlands Kraft:
„Es muß Reparation leisten, nicht nur zum Nutzen der Ge-
schädigten, sondern zu seinem eigenen Heil. Seine Wirtschaft
kann nicht gedeihen, wenn die benachbarten Länder nicht auch
in gesunden Verhältnissen leben und zu normalem Verkehr unter-
einander zurückkommen. Und Deutschland ist stark: es hat ein
wachsendes und gewerbfleißiges Volk, große technische Erfahrung,
reiche Naturschätze, eine entwickelte und fortschreitende Land-
wirtschaft, es ist hervorragend in industrieller Wissenschaft, Seit
1919 hat das Land seine industrielle Ausrüstung ohne Scheu
vor Ausgaben stets verbessert, vor allem seine Eisenbahnen,
Telephon- und Telegraphenanlagen, Häfen und Kanäle, Die
deutsche Industrie hat sich völlig neue Einrichtungen geschaffen,
die vielfach mehr produzieren können als vor dem Krieg. Daher
ist Deutschland wohl versehen mit Hilfsquellen und Betriebs-
mitteln. Wenn die zeitige Kreditknappheit überwunden ist, wird
es im normalen Wettbewerb der Welt wieder eine bevorzugte
Stellung haben. Es gehört kein besonderer Optimismus dazu, um
anzunehmen, daß Deutschlands Schaffenskraft ausreicht, seinen
eigenen Bedürfnissen gerecht zu werden und daneben die in dem
Plan vorgesehene Reparation zu leisten.”
Die Schlußworte des Berichts sagen:
„Der Plan ist ein unteilbares Ganzes. Will man Erfolg haben,
so darf man nicht einzelnes aus den Vorschlägen zur Annahme
312
aussuchen und anderes verwerfen. Auch darf der Plan keine Ver-
zögerung erleiden. Er kann erst anfangen zu arbeiten, wenn
Deutschlands wf£#tschaftliche Einheit wiederhergestellt ist, Je
länger dies hinausgeschoben wird, um so mehr verzögert sich die
Wirksamkeit des Planes,
Deutschlands Wiederaufrichtung ist kein Endzweck in sich
selbst, sondern nur ein Teil des großen Problems der Wieder-
herstellung Europas.
Wenn auch der Plan bei der Lage der Dinge es nicht unter-
nehmen konnte, das gesamte Reparationsproblem zu lösen, so
zeigt er doch den Weg zu einer Regelung, die sich über genügend
lange Zeit erstreckt, um das Vertrauen wiederherzustellen. Er
ist so aufgebaut, daß er eine endgültige und umfassende Einigung
über alle Fragen erleichtert, die zur Reparation gehören oder mit
ihr verwandt sind, sobald es die Umstände erlauben werden.“
DER BERICHT DES MC KENNA-KOMITEES
Ueber die Grundlage der Arbeiten des zweiten Komitees haben
wir bereits gesprochen, Sein Bericht ist ziemlich kurz. Er kommt
nach genauer Prüfung aller Faktoren, welche auf das deutsche
Kapital im Auslande seit 1914 eingewirkt haben, zu dem Er-
gebnis, daß am Ende des Jahres 1923 das gesamte Eigentum
und alle Guthaben der Deutschen im Auslande nicht weniger
als 5,7 Milliarden Goldmark und nicht mehr als 7,8 Milliarden
Goldmark betragen haben können. Als wahrscheinlich zutreffend
wird die mittlere Ziffer von 63% Milliarden Goldmark genannt.
Dazu kommt der deutsche Besitz an fremden Zahlungsmitteln,
der nach der Ansicht des Komitees zum gleichen Zeitpunkt nicht
geringer als 1.2 Milliarden Goldmark gewesen ist. Dabei darf
man freilich den ausländischen Sachbesitz in Deutschland nicht
außer Betracht lassen. Das Komitee schätzt ihn auf 1 bis
1% Milliarden Goldmark.
In einem Anhang zum Bericht werden Einzelheiten der Be-
rechnungen gegeben, welche das Komitee angestellt hat. Sie er-
strecken sich auf alle Posten, die für die Schwankungen ‚des
deutschen Besitzes im Ausland maßgebend gewesen sind. Leider
313
ist es aber nicht möglich, aus diesen Angaben das Schlußergebnis
nachzurechnen, weil bei mehreren Posten die Zahlen fehlen.
Trotz der großen Mühe, die sich das Komitee gegeben hat, und
trotz der Vielseitigkeit des verwendeten Materials wird man
sich doch fragen müssen, ob seine Schätzungen wirklich als zu-
treffend anzusehen sind. Jedenfalls darf nach der Entwicklung
des Geldmarktes in Deutschland seit der Wirksamkeit des
Dawesplanes wohl mit Recht daran gezweifelt werden, daß
Ende 1923 das Eigentum und die Guthaben der Deutschen im
Ausland die erstaunlich hohe Summe von insgesamt acht Mil-
liarden Mark erreicht haben sollen,
Auf die Frage, wie däs geflüchtete Kapital nach Deutschland
zurückzubringen ist, antwortet der Bericht:
„Wie in anderen Ländern ist die deutsche Kapitalflucht vor
allem dadurch verschuldet, daß es die Regierung unterlassen
hat, ihren Haushalt zu ordnen, daß sie infolgedessen große
schwebende Schulden eingegangen ist und selbst Papiergeld
ausgegeben hat. Ein weiterer Grund liegt bei den Spekulanten
und mißtrauischen Kapitalisten, die ihre Mark gegen fremde
Währung verkauft haben. Ferner haben die Exporteure von
Waren den Erlös ihrer Verkäufe in möglichst großem Umfang im
Ausland zurückgehalten. Bei Deutschland kam nun noch die
Stellung des Volkes zu den Zahlungen an die Kriegsgläubiger
dazu. Es fand neue und sinnreiche Wege, um die gesetzlichen
Schranken zu umgehen und die wirklichen Eigentumsverhältnisse
an Guthaben im Ausland zu verbergen. Dem so starken Anreiz
zur Kapitalflucht gegenüber mußte jeder Gesetzeszwang ver-
sagen. Weder Gesetz noch schwere Strafen haben Kapital.im
Ausland aufgedeckt oder die Kapitalflucht verhindert, Ob dabei
die Regierung ihr möglichstes getan hat, die Gesetze und Ver-
ordnungen durchzuführen, spielt im Ergebnis keine Rolle, Der
einzige Weg, die Flucht des Kapitals zu verhindern und es zur
Rückkehr zu ermutigen, besteht darin, die Wurzel des Uebels
auszurotten. Die Inflation muß für immer aufhören. Wenn die
Ausgabe von Zahlungsmitteln nur innerhalb der wirklichen
Grenzen der heimischen Erfordernisse auf solider Grundlag-
314
erfolgt, wird der Deutsche, der Kapital im Ausland besitzt, nicht
mehr zu fürchten haben, daß er Verlust erleidet, wenn er es nach
Hause bringt, Der Spekulant kann dann aus Markverkäufen
keinen Nutzen mehr erwarten. Einen Vorgang bietet die Ent-
wicklung in Oesterreich. Gesetzliche Beschränkungen, die bisher
im ganzen nutzlos gewesen sind, werden in dem Augenblick
völlig überflüssig, wo kein Anreiz mehr vorliegt, das Gesetz
zu umgehen. Man muß sogar fürchten, daß Gesetze, welche die
Rückkehr des Kapitals bezwecken, den gegenteiligen Erfolg
haben können.”
„Wenn das Werk des ersten Komitees, der Reparationsplan,
durchgeführt wird, dann kehrt sicher ein erheblicher Teil des
deutschen Kapitals auf dem gewöhnlichen Handelswege zurück.
In der Uebergangszeit bis zur Stabilisierung und bis zur Wieder-
kehr des Vertrauens sollten für eine beschränkte Zeit Amnestie
für Kapitalflucht und besondere Vorteile für die Zeichnung von
Anleihen der Regierung in fremder Währung angeboten werden.
Wohlüberlegte Maßnahmen dieser Art würden die Rückkehr des
Kapitals und die endgültige Wiederherstellung des finanziellen
Gleichgewichts in Deutschland zum Vorteil der Reparation be-
_ schleunigen.“
DIE VORBEREITUNG DER LONDONER KONFERENZ
Schon am 11. April 1924 teilte die Reparationskommission der
deutschen Regierung mit, daß sie das Gutachten der Sachver-
ständigen als eine praktische Grundlage für die schnelle Lösung
des Reparationsproblems betrachte. Sie sei daher geneigt, den
Plan anzunehmen, soweit ihre eigene Kompetenz in Frage komme,
und den Regierungen die Annahme der Punkte zu empfehlen, die
von ihnen entschieden werden müßten. Die Kommission könne
aber erst dann handeln, wenn das Reich sich bereit erkläre, seine
Mitwirkung bei der Ausführung des Gutachtens zuzusichern.
Am 16. April erklärte die deutsche Regierung mit kurzen
Worten ihre volle Zustimmung. Darauf bestätigte die Reparations-
_ _kommission den alliierten Regierungen und den Vereinigten
_ Staaten in einem Rundschreiben vom 17. April, daß sie be-
315
schlossen habe, das Gutachten anzunehmen, und den beteiligten
Regierungen empfehle, die zu ihrer Zuständigkeit gehörenden
Punkte gleichfalls im Sinne des Planes zu entscheiden. Die
Kommission werde die deutsche Regierung auffordern, sogleich
die nötigen Maßnahmen für die Ausführung des Planes zu treffen,
Das gleiche werde die Kommission selber tun.
England, Belgien und Italien gaben am 24. April ihr Einver-
ständnis. Für Frankreich schickte Poincar& am 25. April eine
gewundene Note, die sich zwar in Ausdrücken der Anerkennung
für die Arbeit der Sachverständigen und der Reparations-
kommission erschöpfte, aber um den heißen Brei der Zustimmung
vorsichtig herumging. Erst solle Deutschland die nötigen Maß-
nahmen treffen, dann solle die Reparationskommission diese Maß-
nahmen genehmigen und dann erst würden die alliierten Regie-
rungen unter sich zu prüfen haben, was zu tun sei. Frankreich
werde dabei das größte Entgegenkommen zeigen, aber nur soweit
es seine Lebensinteressen gestatteten.
Das war wieder ganz der alte Poincare: Nur ja keinen Ent-
schluß fassen, der etwas Neues bringt! Ablehnen konnte er den
Plan nicht mehr gut. Aber die Annahme wenigstens wollte er
so weit hinausschieben, wie es irgend ging, und erst einmal ab-
warten, wie die Dinge liefen.
Mit seiner Note war wenig anzufangen. Zwar verhinderte sie
die Reparationskommission nicht, die Ausführung des Planes
weiter vorzubereiten, aber sie ließ die endgültige Stellungnahme
Frankreichs doch noch ganz im ungewissen. Zum Glück halfen
die politischen Ereignisse, Bei den französischen Kammerwahlen
am 11. Mai siegten unerwartet die Parteien der Linken. Die
Regierung Poincar& stürzte, An ihre Stelle trat ein Kabinett der
Linken unter Herriot. Von nun an zeigt die Entwicklung der
Dinge einen straffen Zug. Auf der einmal betretenen Bahn gab
es kein Schwanken mehr. In gerader Linie ging alles vorwärts.
Die Reparationskommission, durch politischen Druck nicht mehr
behindert, leistete tüchtige Arbeit. Bradbury, Delacroix und
Seydoux wirkten harmonisch zusammen. |
316
Nach dem Gutachten der Sachverständigen lag es der deutschen
Regierung ob, Gesetzentwürfe für die Gründung der Goldnoten-
bank, für die Umwandlung der Reichsbahn in eine Gesell-
schaft und für die Aufbringung von fünf Milliarden Schuldver-
schreibungen der deutschen Industrie vorzubereiten. Die Grund-
züge dafür waren im Dawesbericht und in seinen Anlagen vor-
geschrieben. Die Sachverständigen hatten aber vorgesehen, daß
ihre Vorschläge auf allen drei Gebieten von Organisationskomitees
weiter ausgearbeitet werden sollten. Diese Komitees traten nun
zusammen, Dr. Schacht als Präsident der Reichsbank und Sir
Robert Kindersley bearbeiteten die Gründung der Bank. Sir
William Acworth und Mr. Leverve, die Verfasser des Berichts
über die Reichsbahn, bildeten mit zwei deutschen Vertretern — dem
Staatssekretär Vogt und mir — das Komitee für die Gründung der
Bahngesellschaft. Der Zusammentritt des Industriekomitees ver-
zögerte sich wegen Schwierigkeiten in der Auswahl der alliierten
Vertreter. Schließlich gehörten ihm an von deutscher Seite Staats-
sekretär Trendelenburg und Dr. Buecher, von alliierter Seite die
Herren Allix und Bianchini, Als neutrales Mitglied wurde vom
Komitee der bekannte schwedische Bankier Marcus Wallenberg
zugezogen,
Verhältnismäßig am einfachsten lag die Aufgabe der Gründung
der Bank. |
Das Komitee für die Reichsbahn hatte umfangreiche und
schwierige Materien zu bearbeiten. Es galt, das Verhältnis der
Bahngesellschaft zu der Reichsregierung in den Fragen der Auf-
sicht und der Tarifhoheit sowie zu den einzelnen Ländern zu
regeln, welche im Jahre 1920 durch Staatsverträge ihre Eisen-
bahnen an das Reich übertragen und sich gewisse Rechte vor-
behalten hatten, Nicht geringere Schwierigkeiten verursachte bei
der Umstellung des Reichsbetriebs in die Form eines Privat-
betriebs die Personal- und Beamtenfrage. In allen diesen Dingen
gelangte man zur Einigung, ohne daß es nötig war, das im Dawes-
bericht vorgesehene fünfte, neutrale Mitglied zuzuziehen.
Für das nationale Empfinden der Deutschen war die Ueber-
tragung des Eisenbahnbetriebs auf eine Gesellschaft, in deren
317
Verwaltung auch Ausländer sitzen sollten, ein schwerer Schlag.
Die Arbeit des Organisationskomitees aber hat in wichtigen
Punkten dem deutschen Interesse Rechnung getragen und manche
Bedenken zerstreut. Die deutsche Mehrheit im Verwaltungsrat
der Gesellschaft ist für alle Fälle gesichert. Etwaige Streitig-
keiten zwischen der Gesellschaft und dem Reich entscheidet zu-
nächst ein besonderes deutsches Gericht, und erst in zweiter
Instanz, aber nur in besonderen Fällen, der ursprünglich als
Schiedsrichter vorgesehene internationale Gerichtshof. Endlich ist
die Gefahr beseitigt, daß etwa die deutschen Eisenbahnen in
fremde Hände fallen könnten, wenn die Zinsen und die Tilgung der
Reparationsschuldverschreibungen nicht gezahlt werden sollten.
Derals Vertreter des Treuhänders fungierende Eisenbahnkommissar
hat im schlimmsten Falle nur das Recht, den Betrieb der Bahn
ganz oder zum Teil an eine andere Gesellschaft zu verpachten,
jedoch nur dann, wenn der Schiedsrichter festgestellt hat, daß
diese Maßnahme nötig und geeignet ist, die Durchführung des
Dienstes der Reparationsschuldverschreibungen zu sichern.
Das Eigentum an den Eisenbahnen bleibt daher unter allen
Umständen dem Reiche erhalten.
Das Organisationskomitee für die Schuldverschreibungen der
Industrie hatte mit einem ganz neuartigen Problem zu tun. Die
fünf Milliarden Obligationen auf die einzelnen deutschen Industrien
zu verteilen war eine schwere Aufgabe. Ursprünglich waren die
Sachverständigen im Daweskomitee überwiegend der Ansicht ge-
wesen, daß es zweckmäßig sei, jedes einzelne Unternehmen in
bestimmter Höhe zu belasten, die Schuldverschreibungen jedoch
von einer zentralen Gesellschaft ausgeben zu lassen, welche die
Zinsen und die Tilgungsraten der Kapitalschuld von den einzelnen
Unternehmen einzuziehen und den Gläubigern gegenüber den
Dienst der Gesamtobligationen zu übernehmen hätte. Zuletzt aber
entschied sich das Daweskomitee dahin, daß grundsätzlich jedes
industrielle Unternehmen seine eigenen Obligationen ausgeben
und dem Treuhänder abliefern solle. Dem Organisationskomitee
wurde überlassen, bei kleineren Unternehmen Ausnahmen zu
machen. Diese Frage bildete den Mittelpunkt der Schwierigkeiten.
318
Schließlich wurde eine Lösung gefunden, nach welcher die große
Masse der fünf Milliarden in Form von Gesamtobligationen einer
Zwischenstelle (Industriebank) und nur 500 Millionen als Einzel-
obligationen der größeren deutschen Unternehmen auszugeben
sind. Von Bedeutung war ferner die Frage, auf welche wirtschaft-
lichen Kreise sich die Belastung erstrecken und wie die im Dawes-
bericht verlangte hypothekarische Sicherung gefunden werden
könne. Wir werden über alles dies noch zu sprechen haben.
Während der Arbeit der drei Organisationskomitees suchten
die treibenden Kräfte in der Reparationskommission einen Weg
zu finden, wie der Plan zum bindenden Vertrage zwischen den
Alliierten und Deutschland erhoben werden könne. Es entstand
der Gedanke eines gemeinsamen Protokolls, in dem alle Teile den
Plan anzunehmen hätten und in dem sich Deutschland verpflichten
solle, innerhalb einer bestimmten Frist die Gesetze für die Reichs-
bank, die Reichsbahn und die Industrieobligationen zu erlassen.
Ueber die Kontrolle der verpfändeten Einnahmen sollte gleich-
falls ein Protokoll gezeichnet werden. Darauf sollten Frankreich
und Belgien sich verpflichten, bis zu einem bestimmten Tage die
Maßnahmen im besetzten Gebiete zu ergreifen, die nötig seien,
um die finanzielle und wirtschaftliche Einheit Deutschlands
wiederherzustellen. |
Aus diesen Erwägungen erwuchs der Gedanke einer Konferenz,
zu der sich zunächst die Alliierten und Vertreter der Vereinigten
Staaten am 16. Juli in London zusammenfinden sollten.
Bei einem Besuche des britischen Ministerpräsidenten Mac-
donald in Paris am 9, Juli wurde durch ein Memorandum bekannt-
gegeben, Frankreich und England seien darin einig, daß der Plan
' schleunigst in Kraft treten müsse und daß auf der Konferenz in
London alle beteiligten Regierungen die Annahme des Planes be-
stätigen sollten. Die Rechte der Reparationskommission dürften
nicht beeinträchtigt werden, wohl aber solle, wenn möglich, ein
Amerikaner in die Reparationskommission eintreten, falls eine
Verfehlung Deutschlands zu konstatieren sei. Auch solle der
Agent für die Reparationszahlungen zugezogen werden, wenn die
Reparationskommission nicht zu einer einheitlichen Entschließung
319
kommen könne, Für den Fall eines böswilligen Verstoßes Deutsch-
lands gegen den Plan würden sich die Alliierten über Gegenmaß-
regeln zu verständigen haben. Die Reparationskommission solle
zur Londoner Konferenz einen Plan für die wirtschaftliche Frei-
gabe des besetzten Gebietes vorbereiten. Für die Fragen des
Transfers und der Sachlieferungen solle eine besondere Orga-
nisation geschaffen werden, welche die beteiligten Regierungen zu
beraten habe, ebenso für Fragen der Auslegung und der Durch-
führung des Dawesplanes. |
Damit waren bereits alle die Materien angeschnitten, die bald
darauf in London entschieden werden sollten.
DIE LONDONER KONFERENZ
Die Londoner Konferenz wurde am 16. Juli feierlich eröffnet.
England, Belgien und Frankreich waren durch ihre Premier-
minister selber, Italien und Japan durch besondere Delegierte
vertreten, Für die Vereinigten Staaten nahmen nichtoffiziell der
Londoner Botschafter Kellogg und James A. Logan teil. Von den
kleineren Alliierten waren Portugal, Griechenland, Rumänien
und Jugoslawien beteiligt.
Man schritt sofort zur Errichtung von drei Komitees. Als
Grundlage ihrer Arbeiten sollte das englisch-französische Memo-
randum vom 9, Juli dienen, Das erste Komitee unter dem Vorsitz
des Schatzkanzlers Snowden behandelte die Frage etwaiger Ver-
fehlungen Deutschlands gegen den Plan. In dem zweiten Komitee
unter dem Vorsitz des englischen Ministers Thomas wurde das
Programm für die Wiederherstellung der finanziellen und wirt-
schaftlichen Einheit Deutschlands ausgearbeitet. Das dritteKomitee
unter Sir Robert Kindersley hatte festzustellen, in welcher Weise
die deutschen Zahlungen den Gläubigerstaaten zu überweisen
seien,
Die Arbeiten des zweiten und dritten Komitees waren in der
Hauptsache technischer Art. Von erfahrenen Sachverständigen
geleitet, machten sie schnelle Fortschritte. Im ersten Komitee da-
gegen kam es sehr bald zu einem ernsten Konflikt zwischen Eng-
land und Frankreich, Hier stand im Mittelpunkt die Frage, was
320
geschehen solle, wenn bei einem böswilligen Verstoß Deutsch-
lands gegen den Plan die Alliierten sich über die zu treffenden
Maßnahmen — Sanktionen — etwa nicht einigen würden. In dem
Plan selber war dieser Punkt wegen seiner eminent politischen
Bedeutung ausdrücklich der gemeinsamen Entscheidung der
Gläubigerstaaten überlassen worden. Nun erklärte Frankreich,
daß jede Regierung in bezug auf die Sanktionen volle Handlungs-
freiheit wiedergewinne, falls eine Einigung darüber nicht zu er-
zielen sei. Dieser Standpunkt, auf den sich Herriot inzwischen
auch vor der französischen Kammer öffentlich festgelegt hatte,
wurde in der Konferenz von England energisch bekämpft.
Nicht minder schwierig war die Frage zu entscheiden, wer
einen solchen Verstoß Deutschlands festzustellen habe, Hier hielten
die Franzosen starr an der Reparationskommission fest, während
die Engländer in Sachen des Planes die Kommission für nicht
zuständig erklärten. Von amerikanischer und belgischer Seite
wurde eine Reihe von Vermittlungsvorschlägen gemacht. Sie waren
schon so gut wie angenommen. Da erklärten aber die englischen
und amerikanischen Bankiers, mit denen in London über die Aus-
gabe der im Plane vorgesehenen Reparationsanleihe von 800
Millionen Goldmark gesprochen wurde, daß sie keine ausreichende
Sicherheit für die Anleihe sehen würden, solange die Reparations-
kommission über eine Verfehlung Deutschlands entscheide und so-
lange nicht Frankreich ein für allemal auf selbständige Sanktionen
'in der Art militärischer Maßnahmen usw, verzichte, Auch in der
Zuziehung eines amerikanischen Mitgliedes zur Reparations-
kommission, in der Beteiligung des Reparationsagenten und von
Vertretern der Anleihegläubiger bei der Beratung über eine
deutsche Verfehlung — alles dies und noch anderes wurde vor-
geschlagen — sahen die Bankiers keine genügenden Garantien
für die Anleihe. Selbst die Erklärung, daß die Anleihe das absolute
Vorrecht vor jeder anderen Reparationsforderung erhalten solle,
genügte den Bankiers nicht.
Ebenso hartnäckig erklärte aber auch Frankreich, daß es auf
das Recht des selbständigen Eingreifens zur Wahrung seiner Ver-
tragsrechte im äußersten Notfalle nicht verzichten könne, Der
Bergmann, Der Weg der Reparation 21 321
Konflikt wurde so scharf, daß die Konferenz zu scheitern drohte,
Erst die letzten Tage des Juli brachten eine Wendung zum
Besseren. Die Vertreter der Vereinigten Staaten in der Konferenz
erkannten, daß die amerikanischen Bankiers mit ihren Forde-
Tungen zu weit gegangen waren, und gaben vor der Konferenz
eine feierliche Erklärung dahin ab, daß Amerika auf das Gelingen
der Konferenz den größten Wert lege. Gleichzeitig schlug Logan
vor, die Frage der Garantien für die Reparationsanleihe aus den
Beratungen der Konferenz einstweilen auszuschalten und durch
eine besondere Besprechung zwischen der Reparationskommission,
der deutschen Regierung und den internationalen Banken zu
regeln. Das brachte die Verhandlungen wieder in Fluß, Frank-
reich machte für die Feststellung einer etwaigen deutschen Ver-
fehlung einen neuen Vorschlag, wonach die Reparationskommission
nur bei Einstimmigkeit unter Zuziehung eines amerikanischen Ver-
treters die Verfehlung endgültig feststellen könne. Bei Meinungs-
verschiedenheiten innerhalb der Kommission sollte jedes Mitglied
das Recht haben, gegen die Entscheidung der Kommission an
ein Schiedsgericht von drei Unparteiischen unter Vorsitz eines
Amerikaners zu appellieren, Der Vorschlag wurde von dem ersten
Komitee am 31, Juli angenommen.
Nun erst erging die Einladung an die deutsche Regierung, Ver-
treter zur Konferenz zu entsenden. Auch das war bisher ein Punkt
des Streites gewesen. Frankreich hatte die Ansicht vertreten, daß
Deutschland gemäß den Vorschriften des Vertrages von Versailles
nur anzuhören sei, aber an den Beratungen der Konferenz selber
nicht gleichberechtigt teilnehmen dürfe. Nachdem aber ein be-
sonderes rechtskundiges Komitee festgestellt hatte, daß die Aus-
führung des Dawesplanes in manchen Punkten über den Vertrag
von Versailles hinausgehe und daher Deutschland nicht auf-
gezwungen werden dürfe, war die deutsche Teilnahme an der
Konferenz gesichert,
Die militärische Räumung der Ruhr stand nicht auf der Tages-
ordnung der Konferenz, weil sie keinen unmittelbaren Gegenstand
des Planes bildete. Von Deutschland aus wurde die Räumung der
Ruhr im Zusammenhange mit dem Reparationsplan laut und
322
“
dringlich gefordert, Mit dem F ortschreiten der Konferenz wurde
es immer klarer, daß man in London auch über diese wesentliche
Frage notgedrungen sprechen müsse, Auf nachdrückliches An-
raten von Macdonald erklärte sich schließlich auch Herriot be-
reit, die militärische Räumung außerhalb der Tagesordnung der
Konferenz zu behandeln. Von Iranzösisch-belgischer Seite wurde
vorgeschlagen, die Frist für die militärische Räumung auf zwei
Jahre festzusetzen, Die Räumung sollte aber sofort eintreten,
wenn Deutschland 1% Milliarden Goldmark von den unter dem
Plane vorgesehenen Eisenbahn- und Industrieobligationen zurück-
kaufe, Mit jedem Rückkauf eines Teilbetrages dieser 1% Milliarden
sollte ein entsprechendes Stück des besetzten Gebietes geräumt
werden, Dies unwürdige Ansinnen wurde von allen Seiten ab-
gelehnt und fiel unter den Tisch,
Im zweiten Komitee hatten sich die Alliierten über die Art
der wirtschaftlichen Räumung des besetzten Gebietes und über
die verschiedenen Fristen für die Beseitigung der willkürlichen
Zollgrenzen und der Micumverträge sowie der französisch-
belgischen Eisenbahnregie im wesentlichen geeinigt. Nur in einem
Punkte machten die Franzosen einen wichtigen Vorbehalt, An-
geblich zur Sicherheit der Besatzungstruppen, in Wirklichkeit
aber aus Prestigegründen, nämlich um ihren politischen Rückzug
zu bemänteln, verlangten sie, daß bei der Auflösung der Regie
ein Trupp von mehreren tausend französisch-belgischen Eisen-
bahnern im Betriebe der deutschen Bahn, am besten in einer
Grenzdirektion wie Trier, bleiben sollte. Die Forderung war mit
dem Geiste des Dawesplans unvereinbar und praktisch völlig
nutzlos.
Die deutsche Delegation traf in London am 5. August ein, Sie
wurde geführt vom Reichskanzler Marx, dem der Minister des Aus-
wärtigen Stresemann und der F inanzminister Dr. Luther zur Seite
standen, Die Lage auf der Konferenz hatte sich inzwischen so weit
geklärt, daß in allen drei Komitees ein gemeinsames Programm
der Alliierten festgelegt war. Offen standen noch die zwei Haupt-
fragen der militärischen Räumung des Ruhrgebietes und des Ver-
bleibs von Regiebeamten im Betriebe der deutschen Eisenbahnen.
21% 323
Aber auch da war schon von den rührigen Amerikanern vor-
gearbeitet worden. Neben Kellogg und Logan bemühte sich auch
in London wieder Owen D. Young in aller Stille und mit größtem
Erfolg um eine verständige Einigung auf allen Gebieten. Mit ihm
wirkte im gleichen Sinne der ebenfalls in London anwesende
amerikanische Botschafter in Berlin, Alanson B. Houghton, Ein
glücklicher Zufall wollte, daß auch der Staatssekretär Hughes in
jenen kritischen Tagen auf Urlaub in London weilte,
Beobachter des Verlaufes der Konferenz konnten der deutschen
Delegation schon bei ihrem Eintreffen mitteilen, daß es gelingen
würde, die militärische Räumung des Ruhrgebiets innerhalb eines
Jahres zu erreichen und Frankreich zum völligen Verzicht auf
die Belassung von Regiebeamten im Eisenbahnbetrieb zu be-
wegen, In’ganz Deutschland aber forderte man die Räumung der
Ruhr in viel kürzerer Frist. Sie zu erreichen, war eine der Haupt-
aufgaben der deutschen Delegation. |
Die Dinge liefen jedoch nicht so glatt, wie man gehofft hatte,
Die deutschen Vertreter hielten es für nötig, ihre Vorschläge zur
Abänderung der Beschlüsse des zweiten und dritten Komitees
eingehend schriftlich zu begründen. Die Verhandlung darüber
ergab langwierige technische Auseinandersetzungen, die von
beiden Seiten sachlich und gründlich geführt wurden, aber alle
Teilnehmer an der Konferenz auf das äußerste ermüdeten, In
dieser Atmosphäre war es nicht möglich, die Räumung des Ruhr-
gebiets zu beschleunigen. Bei den langwierigen Debatten in den
einzelnen Komitees wurden zwar noch verschiedene deutsche
Forderungen durchgesetzt. Diese Teilerfolge boten aber keinen
Ersatz dafür, daß es nicht gelang, die einjährige Frist für die
Räumung des Ruhrgebiets abzukürzen. Der Entschluß, sich mit
diesem Ergebnis abzufinden, wurde den Deutschen dadurch etwas
erleichtert, daß Frankreich sich bereit erklärte, nach der Zeich-
nung des Londoner Abkommens sofort den Bezirk von Dortmund
sowie die zugleich mit dem Ruhrgebiet besetzten sonstigen Landes-
teile — Offenburg, Appenweier und die Häfen von Karlsruhe und
Mannheim, Wesel und Emmerich — zu räumen. Endlich sollten
324
ein Abkommen gezeichnet, in welchem beide Teile sich ver-
auch die Reste der Londoner Sanktionen von 1921 beseitigt werden:
Frankreich stellte die Räumung von Düsseldorf, Duisburg und
Ruhrort gleichzeitig mit der Räumung des Ruhrgebiets in Aussicht.
Während der Konferenz wurden in besonderen Verhandlungen
zwei Materien geregelt, die ebenfalls zum Dawesplan gehörten,
Alliierte und deutsche Sachverständige einigten sich über ein
Protokoll, welches die Zahlungen aus dem Reichshaushalt und
die Befugnisse des Kommissars für die verpfändeten Reichsein-
nahmen im einzelnen bestimmte. Ferner wurde am 9. August
zwischen der Reparationskommission und der deutschen Regierung
pflichteten, die zur Ausführung des Dawesplans nötigen Maß-
nahmen zu treffen.
Am 16. August 1924 war die Londoner Konferenz beendet.
Das Schlußprotokoll stellte die Annahme des Dawesplanes durch
alle beteiligten Regierungen und durch die Reparationskommission
fest, Die formelle Unterzeichnung der verschiedenen Abkommen
sollte am 30. August in London stattfinden. Bis dahin mußten die
von den Organisationskomitees entworfenen und von der Repa-
rationskommission inzwischen gebilligten Gesetze über die Reichs-
bank, die Reichsbahn-Gesellschaft und die Industrie-Obligationen
vom Deutschen Reichstag angenommen sein.
Für das Inkrafttreten des Dawesplanes war in der Konferenz
ein genauer Plan vereinbart. Zunächst hatte die Reparations-
kommission zu konstatieren, daß die deutschen Gesetze für die
Durchführung des Planes verkündet seien, und daß der Agent
für Reparationszahlungen seine Tätigkeit aufgenommen habe.
Diese Feststellung geschah am 1. September 1924. Das Amt des
Agenten übernahm für die Uebergangszeit Owen D. Young. An
seine Stelle trat am 31. Oktober als ständiger Generalagent
S, Parker Gilbert.
Binnen fünf Wochen nach der ersten Feststellung mußte die
Reparationskommission weiter erklären, daß die volle Organisation
für den Plan eingerichtet, daß die Reichsbank und die Reichs-
bahr-Gesellschaft konstituiert, daß die Zertifikate für die Eisen-
bahn- und die Industriebonds an die Treuhänder übergeben, und
325
daß Verträge abgeschlossen seien, welche die Zeichnung der
Reparationsanleihe von 800 Millionen Goldmark gewährleisteten.
Die Erklärung erfolgte plangemäß am 13, Oktober.
Am 28. Oktober endlich konnte die Reparationskommission
feststellen, daß die französische und die belgische Regierung dem
Londoner Abkommen gemäß die nötigen Maßnahmen für die
Wiederherstellung der finanziellen und wirtschaftlichen Einheit
Deutschlands durchgeführt hätten.
‚ Schrittweise wurden alle Eingriffe in die Verwaltung und
Gesetzgebung der besetzten Gebiete seit dem 11, Januar 1923
beseitigt. Die deutschen Behörden, vor allem die Zollverwaltung,
traten wieder in Funktion. Am 9, September fiel die Zollinie
zwischen dem besetzten und dem unbesetzten Gebiet. Alle Berg-
werke, Kokereien und die sonstigen wirtschaftlichen Unter-
nehmungen, die von den Besatzungsmächten zwangsweise aus-
gebeutet waren, wurden an die Eigentümer zurückgegeben. Ferner
waren alle Einrichtungen der Besatzungsmächte für die Erhebung
und Verwaltung von Abgaben und die Beschränkungen des Ver-
kehrs im besetzten Gebiet aufzuheben. Damit fanden auch die un-
seligen Micumverträge ihr Ende. Sie waren seit dem 15. April 1924
mehrfach verlängert worden, schließlich auch mit einigen Milde-
rungen in den Geldabgaben. Aber die Zwangslieferungen von
Kohle und Koks gingen bis zum Inkrafttreten des Dawesplanes
weiter,
Während der Uebergangsperiode bis zum 28. Oktober 1924
hatte die deutsche Regierung monatlich ein Zwölftel der im Dawes-
plan vorgesehenen ersten Annuität von 1000 Millionen Mark, d.h.
rund 83 Millionen Mark an den Generalagenten abzuführen. An-
gerechnet wurden darauf die Abgaben, welche die französisch-
belgische Verwaltung im besetzten Gebiete seit dem 1. September
noch erhob, ferner die Eingänge aus dem Reparation Recovery
Act und die deutschen Leistungen für die Besatzungsheere. Alle
diese Zahlungen sind später der deutschen Regierung aus dem
Erlös der Reparationsanleihe wieder vergütet worden. Die An-
ordnung war nötig, um während der Uebergangszeit den Fortgang
der Sachlieferungen zu sichern. So war es auch möglich, trotz
326
der ziemlich langen Uebergangszeit das erste Reparationsjahr
bereits mit dem 1. September 1924 beginnen zu lassen. Von diesem
Tage an ist der Dawesplan in Kraft.
Die Freigabe der Regiebahnen im besetzten Gebiet war im
Londoner Abkommen besonders geregelt. Danach sollte der
Betrieb der Regie innerhalb sechs Wochen nach Inkrafttreten des
Dawesplans allmählich auf die neue Reichsbahn-Gesellschaft
übertragen werden. Tatsächlich ist die volle Uebergabe der Regie-
strecken im ganzen am 16. November 1924 erfolgt.
So wurden in London die wirtschaftlichen Eingriffe der
Alliierten, die dem Ruhrabenteuer entsprangen, systematisch be-
seitist. Um alles auszuräumen, kamen die Alliierten und Deutsch-
land auch überein, für alle politischen Vergehen aus der Zeit der
Ruhrbesetzung gegenseitig Amnestie zu bewilligen.
Im Anschluß an das Abkommen zwischen der deutschen
Regierung und der Reparationskommission vom 9. August wurden
in London die Grundlinien für das Verfahren bei Sachleistungen
gezogen:
Regel wird von nun an der freie Verkehr und die kaufmännische
Gewohnheit. Für die Lieferungen hat die Reparationskommission
nach Beratung mit dem Transferkomitee von Zeit zu Zeit Pro-
gramme aufzustellen. Dabei sind die wirtschaftliche Lage und
der eigene Bedarf Deutschlands zu beachten. Innerhalb dieser
Grenzen können auf Reparationskonto alle Arten von deutschen
Lieferungen und Leistungen verrechnet werden, auch wenn nach
dem Vertrage von Versailles Deutschland dazu nicht verpflichtet
ist. Immer aber muß ein frei geschlossener Vertrag zwischen, dem
deutschen Lieferanten und dem alliierten Abnehmer vorliegen.
Die deutsche Regierung bleibt nur verantwortlich für die Liefe-
rung von
1. Kohle, Koks und Braunkohlebriketts,
2. schwefelsaurem Ammoniak,
3. Farbstoffen (bis zum 15. August 1928),
wenn die Lieferung dieser Waren nicht im freien Verkehr ge-
schieht oder von deutscher Seite absichtlich hintertrieben wird.
327
Die alliierten Länder haben die Wiederausfuhr der von Deutsch-
land gelieferten Waren zu verhindern,
Die Ausarbeitung des Verfahrens im einzelnen wurde einem
Sonderkomitee aus alliierten und deutschen Sachverständigen
unter Mitwirkung eines neutralen Schiedsmannes übertragen,
Das Londoner Abkommen hat ferner einige Fragen geklärt,
die im Verhältnis zwischen der deutschen Regierung und dem
Transferkomitee zu Zweifeln Anlaß geben konnten. Nach dem
Dawesplan kann, wie wir gesehen haben, das Transferkomitee
aus den Geldern des Reparationsfonds Markbeträge an Privat-
entscheiden.
Das Transferkomitee hat einzugreifen, wenn etwa durch
finanzielle Manöver versucht wird, den Transfer zu verhindern.
Gehen darüber im Transferkomitee die Meinungen so auseinander,
daß die Stimmen gleich verteilt sind, so soll ebenfalls ein unab-
hängiger und unparteiischer Schiedsrichter entscheiden. Sonst gibt
im Transferkomitee immer die Stimme des Vorsitzenden den
Ausschlag.
Wenn der Reparationsfonds die Grenze von fünf Milliarden
Goldmark oder einen etwa vom Transferkomitee bestimmten
geringeren Höchstbetrag erreicht hat und das Transferkomitee
etwa durch Mehrheitsbeschluß entscheidet, daß keine finanziellen
Manöver zur Verhinderung des Transfer vorliegen oder bestimmte
Maßnahmen gegen solche Manöver nicht ergriffen werden sollen,
so kann jedes Mitglied der Minderheit des Komitees ebenfalls
ein Schiedsgericht anrufen. |
Endlich ist ein Schiedsgericht auch für den F all vorgesehen,
daß nach der Meinung einer alliierten oder der deutschen Re-
gierung bei der technischen Durchführung des Dawesplans Mängel
auftreten, die abgestellt werden können, ohne die wesentlichen
328
Grundsätze des Planes zu verletzen. Hier soll die Reparations-
kommission nach Prüfung der Frage durch die alliierte Organi-
sation in Berlin eine einstimmige Entscheidung fällen. Kommt
diese nicht zustande oder wird sie von der deutschen Regierung
nicht angenommen, so kann jede der Parteien ein unparteiisches
Schiedsgericht von drei Sachverständigen anrufen.
Das alles sind Beispiele dafür, wie der mit der Bestellung der
beiden Komitees betretene Weg, in Reparationsfragen die Ent-
scheidung von unparteiischen Sachverständigen anzurufen, im
Londoner Abkommen zielbewußt ausgebaut worden ist. Alle mög-
lichen Streitfragen, die in London wegen der Ausführung des
Planes auftauchten, sind der Entscheidung durch Schiedsrichter
anvertraut, Dabei sind Verfahren und Besetzung des Schieds-
gerichts jeweils bis ins einzelne vorgesehen.
Das ist überhaupt das Kennzeichen der Londoner Konferenz,
daß sie im bewußten Gegensatz zu allen früheren Zusammen-
künften der Alliierten das System der Gewalt in Sachen der
Reparation nach Möglichkeit beseitigt und die Lösung von Zweifeln
dem unparteiischen Schiedsspruch von Sachverständigen über-
lassen hat, falls eine gütliche Einigung der Parteien nicht möglich
sein sollte,
Der gleiche Grundsatz ist nach hartnäckigem Kampf zwischen
Frankreich und England sogar auf die Tätigkeit der Reparations-
kommission übertragen worden. Wir wissen, daß durch den
Rückzug Amerikas aus dem gemeinsamen Friedensvertrage das
Uebergewicht in der Kommission an Frankreich fiel. In seinen
Händen lag die tatsächliche Gewalt in allen Reparationsfragen.
Nur deshalb kam es zur Besetzung der Ruhr,
Der Dawesbericht legte die erste Sroße Bresche in das Boll-
werk der Reparationskommission. In London wurde der Wall
ihrer Macht ganz eingerissen. Den Ansturm führten die alliierten
Bankiers mit ihrer Weigerung, die Reparationsanleihe aufzulegen,
solange die Rechte der Anleihegläubiger nicht gegen willkürliche
Maßnahmen der Kommission oder der in ihr vertretenen alliierten
Regierungen gesichert schienen.
329
Der Streit wurde schließlich so geschlichtet:
Bei allen Fragen, die den Dawesplan betreffen, wird ein
Bürger der Vereinigten Staaten als gleichberechtigtes Mitglied
an den Beratungen der Reparationskommission teilnehmen, Dies
gilt so lange, wie die Vereinigten Staaten nicht offiziell in der
Kommission vertreten sind. Jede Entscheidung der Kommission
über Verstöße Deutschlands gegen seine Pflichten aus dem Ver-
trage von Versailles oder dem Dawesplan muß einstimmig sein,
um rechtswirksam zu werden. Bei Beschlüssen, die nur mit
Stimmenmehrheit gefaßt werden, kann jedes Mitglied der Kom-
mission ein Schiedsgericht von drei unparteiischen und unab-
hängigen Personen anrufen. Vorsitzender des Schiedsgerichts ist
ein Bürger der Vereinigten Staaten.
Verstößt Deutschland etwa gegen seine Reparationspflicht, so
dürfen Sanktionen nur ergriffen werden, wenn eine krasse Ver-
fehlung (manquement flagrant) festgestellt ist. Ein solcher Fall
tritt dann ein, wenn Deutschland böswillig mit einem erheblichen
Teil der geschuldeten Leistungen im Rückstand bleibt. Dann sollen
die alliierten Mächte miteinander beraten, um die Art der
Sanktionen zu bestimmen und um sie schnell und wirksam durch-
zuführen. Kommt es hiernach zu Sanktionen, so sollen die be-
sonderen Sicherheiten gewahrt bleiben, die für den Dienst der
Reparationsanleihe bestellt sind. Alle Meinungsverschiedenheiten
hierüber, die nicht gütlich beigelegt werden können, sind dem
ständigen internationalen Gerichtshof im Haag zu unterbreiten.
Im übrigen bleiben die Rechte der alliierten Regierungen aus
dem Vertrage von- Versailles vorbehalten.
Das ist in kurzen Worten der Inhalt des Abkommens, mit dem
in London die heiß umstrittene Sanktionsfrage geregelt worden
ist. Auch die Bankiers für die Reparationsanleihe haben sich dabei
beruhigt, obwohl sie diese Kautelen immer noch nicht für ge-
nügend hielten. Man muß schließlich auch anerkennen, daß mit
dem vorliegenden Abkommen die Gefahr des eigenmächtigen
Eingriffs einer alliierten Macht in das Reparationsverfahren so
gut wie ganz beseitigt ist.
330
DREISSIGSTES KAPITEL
DIE DEUTSCHEN REPARATIONSGESETZE
Die deutschen Gesetze zur Ausführung ‚des Dawesplanes
wurden am 29, August 1924 vom Reichstag angenommen und am
30. August verkündet. Da sie neben den schweren finanziellen
Lasten, die der Dawesplan dem deutschen Volke auferlegt, auch
die Mitwirkung des Auslandes in wichtigen Zweigen der Wirt-
schaft einführen, ist es begreiflich, daß der Annahme der Gesetze
ein harter innerpolitischer Kampf vorausging. Das bezog sich vor
allem auf die Reichsbahn. Ihre Umwandlung in die Form einer
Gesellschaft bedeutete eine Aenderung der deutschen Verfassung,
zu deren Annahme eine Mehrheit von zwei Dritteln der im
Reichstag abgegebenen Stimmen gehörte. Bei der Abstimmung
über das Reichsbahngesetz kam aber auch diese Mehrheit zustande.
Die Vorschriften der Gesetze sind auf dem Dawesplan auf-
gebaut und uns daher in den Hauptsachen schon bekannt. Soweit
sie im übrigen die Reparation unmittelbar betreffen, seien sie hier
kurz zusammengefaßt.
1. BANKGESETZ
Für die Zwecke des Dawesplanes ist keine neue Goldnoten-
bank errichtet, Vielmehr wurde die bisherige Reichsbank ent-
sprechend ausgebaut, was einschneidende Aenderungen des alten
deutschen Bankgesetzes vom 14, März 1875 bedingte. Die Reichs-
bank ist von der Regierung vollkommen unabhängig. Sie hat ihren
gesamten bisherigen Notenumlauf aufzurufen und gegen neue
Reichsmarknoten im Verhältnis von einer Billion alter Mark
331
gegen eine Reichsmark umzutauschen. Das Kapital der Reichs-
bank soll mindestens 300 Millionen, höchstens 400 Millionen
Reichsmark betragen. Die Bank wird verwaltet durch das Reichs-
bankdirektorium, dessen Präsident und Mitglieder sämtlich
Deutsche sind. Daneben ist ein aus 14 Mitgliedern bestehender
Generalrat gebildet. Er besteht zur Hälfte aus Deutschen. Die
andere Hälfte setzt sich aus je einem britischen, französischen,
italienischen, belgischen, amerikanischen, holländischen und einem
schweizerischen Mitglied zusammen. Den Vorsitz im Generalrat
führt der Präsident des Reichsbankdirektoriums. Der Generalrat
hat mit der eigentlichen Verwaltung der Bank nichts zu tun. Er
ernennt den Präsidenten und den Kommissar, der ein Ausländer
sein muß, und faßt Beschluß über alle Vorschläge, die ihm von
dem Präsidenten und dem Kommissar gemacht werden. Der
Kommissar hat im wesentlichen darauf zu achten, daß die gesetz-
lichen Vorschriften über die Notenausgabe und über ihre Deckung
durch Gold innegehalten werden.
Alle Noten der Reichsbank müssen den Stempel des Kom-
missars tragen. Sie sind regelmäßig mit mindestens 40 Prozent
in Gold oder Devisen zu decken, davon muß mindestens drei-
viertel Gold sein. Die Deckung kann nur durch Beschluß des
Generalrats herabgesetzt werden. In diesem Fall ist eine Noten-
steuer an das Reich zu zahlen.
Der Geschäftskreis der Bank ist der einer zentralen Noten-
bank und deckt sich im allgemeinen mit den Aufgaben der
früheren Reichsbank. Die Bank darf dem Reiche nur bis zu
100 Millionen Reichsmark und höchstens auf drei Monate Kredit
gewähren, der am Ende des Geschäftsjahres stets abgedeckt sein
‚muß, Bei der Reichsbank ist ein Sonderkonto für die Reparations-
zahlungen eingerichtet, dessen Guthaben ohne Zustimmung der
Bank die Summe von zwei Milliarden Reichsmark nicht über-
steigen darf.
Die Noten der Bank sind grundsätzlich in Gold einlösbar. Die
Einlösung ist jedoch ausgesetzt, bis sie von dem Reichsbank-
Direktorium und dem Generalrat übereinstimmend beschlossen
werden wird.
332
Das neue Bankgesetz ist am 11. Oktober 1924 in Kraft ge-
treten. Am 15. Oktober erschien der erste Ausweis der Reichsbank
in Reichsmark, der Einheit der neuen deutschen Goldwährung.
Mit dem Bankgesetz zugleich ist das Gesetz über die Ein-
ziehung der Rentenbankscheine ergangen.
Das Kapital der Rentenbank ist auf zwei Milliarden Renten-
mark herabgesetzt und wird lediglich von der Landwirtschaft
aufgebracht. Die Belastung der Industrie und des Handels zu-
gunsten der Rentenbank ist aufgehoben. Die Rentenbankscheine
sind binnen zehn Jahren zu liquidieren. Bei der Reichsbank ist
hierfür ein Tilgungsfonds gebildet. In ihn müssen jährlich von der
. Rentenbank mindestens 60 Millionen Mark, vom Reiche ebenfalls
60 Millionen Rentenmark und der Gewinnanteil an der Reichs-
bank abgeführt werden, bis der Bestand des Tilgungsfonds 1200
Millionen Rentenmark erreicht hat. Alsdann sind die im Umlauf
befindlichen Rentenbankscheine mit einer Frist von sechs Monaten
zum Umtausch in gesetzliche Zahlungsmittel aufzurufen.
Die Hauptaufgabe der Rentenbank besteht von nun an in der
Pflege des landwirtschaftlichen Kredites. Zu diesem Zwecke ist
durch Gesetz vom 18, Juli 1925 die Rentenbankkreditanstalt
gegründet worden.
2. GESETZ ÜBER DIE INDUSTRIEBELASTUNG
UND GESETZ ZUR AUFBRINGUNG DER INDUSTRIEBELASTUNG
Wir haben schon davon gesprochen, daß die Verteilung der
Reparationslast von fünf Milliarden Goldmark auf die einzelnen
Betriebe der deutschen Industrie große Schwierigkeiten bot. Um
ihnen zu begegnen, ist die Sache in zwei Gesetzen geregelt. Das
eine betrifft die Träger der Last nach außen, d. h. die Zweige der
Industrie, welche für ihren Anteil an der Last Schuldver-
schreibungen ausstellen, diese mit ihren Grundstücken hypo-
thekarisch sichern und den Gläubigern für Zinsen und Tilgung
der Schuld haften, Das ist ein ziemlich enger Kreis. Er umfaßt
nur solche Betriebe, deren Grundbesitz eine genügende Sicher-
heit für die Schuld bietet. Ausgeschieden sind deshalb aus
diesem Kreise die Betriebe des Bank-, Versicherungs-, Gast-,
333
Schank- oder Beherbergungsgewerbes und des Handels. Auch
das Verkehrsgewerbe gehört im allgemeinen nicht dazu, wohl
aber die Betriebe der Schiffahrt, Privatbahnen, Kleinbahnen
und Straßenbahnen. Der Kreis umfaßt ferner nicht Betriebe des
Reichs und der Länder sowie Unternehmen, deren Erträge aus-
schließlich dem Reiche oder den Ländern zufließen. Frei bleibt
endlich jeder, dessen Betriebsvermögen 50 000 Goldmark nicht
übersteigt. Damit ist aber nur der äußere Rahmen für die Ver-
teilung der Industrieschuld gegeben. In Wirklichkeit werden fast
alle Betriebe der Industrie und des Handels herangezogen, um
die jährliche Belastung von 300 Millionen Goldmark aufzubringen.
Das ist die Regelung nach innen. Ihr dient das Gesetz zur Auf-
bringung der Industriebelastung. Danach werden zur Verzinsung
und Tilgung der fünf Milliarden Goldmark auch alle die Unter-
nehmen verpflichtet, die im Belastungsgesetz ausgeschieden sind,
mit Einschluß der Betriebe des Reichs, der Länder und der Ge-
meinden. Befreit sind nur Unternehmen, deren Betriebsvermögen
20 000 Goldmark nicht übersteigt, sowie grundsätzlich alle Be-
triebe der Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Gärtnerei und Vieh-
zucht, des Weinbaues und der Fischerei.
Wir haben also vor uns zwei konzentrische Kreise, Der kleinere
trägt die Schuld gegenüber den Reparationsgläubigern, der
größere gegenüber dem Reich. Dieselbe Last muß daher zweimal
umgelegt werden, auf die Teilnehmer eines jeden Kreises be-
sonders. Und daraus entsteht im einzelnen ein sehr verwickeltes
Verfahren, das seine praktische Eignung erst noch erweisen muß.
Die ganze Regelung wird nur dadurch möglich, daß eine
Zwischenstelle eingeschoben ist, die Bank für deutsche Industrie-
oblisgationen. Sie nimmt die Jahresleistungen von allen zur Auf-
bringung verpflichteten Betrieben entgegen, verwaltet sie und
führt sie auf das Konto des Generalagenten bei der Reichsbank
für Rechnung des Treuhänders ab. Die nach außen haftbaren
Betriebe — der kleinere Kreis — zahlen an die Bank in Wirklich-
keit nicht die Gesamtsumme an Zinsen und Tilgung, die sie nach
dem Nennbetrage ihrer Haftung schulden, sondern nur die ge-
ringere Jahresleistung, die sich aus der Verteilung der ganzen
334
Last auf den großen Kreis aller Verpflichteten ergibt. Durch Ver-
ordnung vom 13, Dezember 1924 ist die Reparationsschuld der
haftbaren Betriebe auf 17,1 Prozent ihres Betriebsvermögens
festgesetzt, später aber auf 15,73 Prozent ermäßigt worden. In
dieser Höhe hatte jedes Unternehmen Einzelobligationen auszu-
stellen und der Bank zu übergeben. Seine tatsächliche Jahres-
leistung berechnet sich aber nicht auf den Nennbetrag dieser
Obligationen, sondern wird durch die Verteilung der Jahreslast von
300 Millionen Goldmark innerhalb des großen Kreises bestimmt.
Diese Verteilung ist noch nicht durchgeführt und deshalb lassen
sich ziffernmäßige Angaben darüber, wie hoch ein jedes Unter-
nehmen in Wirklichkeit belastet sein wird, zur Zeit nicht machen.
Die Einzelobligationen lauten auf Goldmark und auf den
Namen der Industrie-Bank. Sie sind vom 1. September 1925 an
ein Jahr lang mit 2% Prozent, dann mit 5 Prozent zu verzinsen
und vom 1. September 1927 an mit 1 Prozent jährlich zu tilgen.
Die Industrie-Bank stellt gegen diese Obligationen fünfprozentige
auf den Inhaber lautende Industriebonds aus, und zwar in zwei
Serien von je 2% Milliarden Goldmark, Eine Serie bleibt bis zum
1, September 1925, die andere bis zum 1. September 1926 unver-
zinslich. Dann tragen sie beide 5 Prozent Zinsen. Sie werden ab
1, September 1927 mit 1 Prozent jährlich getilgt.
Der Dawesplan schreibt vor, daß grundsätzlich die Einzel-
obligationen auf den Markt kommen sollen. Um dem gerecht zu
werden, ist im Gesetz bestimmt, daß der Treuhänder 500 Millionen
der Einzelobligationen verkaufen kann. Hierzu werden die größten
deutschen Unternehmen herangezogen, deren Belastung zusammen
1” Milliarden Goldmark beträgt. Sie haben auf Verlangen des
Treuhänders ihre bei der Bank hinterlegten Einzelobligationen
gegen neue Stücke einzutauschen, die auf den Inhaber lauten.
Der Treuhänder darf immer nur die Hälfte der Obligationen eines
einzelnen Unternehmers verkaufen, im ganzen, wie gesagt, nicht
mehr als 500 Millionen Goldmark. Die Bank liefert daher dem
Trustee, der insgesamt 5 Milliarden Obligationen zu verwalten
hat, 4% Milliarden Industriebonds und 750 Millionen Einzel-
obligationen aus. Wenn der Treuhänder von den letzteren 500
335
Millionen verkauft hat, werden die restlichen 250 Millionen an
die Bank zurückgegeben und durch Industriebonds ersetzt.
Die Obligationen der Schiffahrts- und Bahnunternehmen sind
nicht veräußerlich.
Jeder Unternehmer hat das Recht, seine Einzelobligationen,
solange sie in der Hand des Treuhänders sind, zum Nennbetrage
oder zu einem mit dem Treuhänder vereinbarten Preise zurück-
zukaufen. Der Treuhänder muß dem Unternehmer, dessen
Obligationen er veräußern will, einen Monat lang Gelegenheit
zum Rückkauf geben.
Die Belastung der Unternehmer wird auf Grund der Ver-
mögenssteuer von Jahr zu Jahr, nach fünf Jahren aber höchstens
alle zwei Jahre neu umgelegt. Eine förmliche Hypothek für die
Reparationslast wird nicht bestellt, vielmehr hat man dafür die
Form der öffentlichen Last gewählt, die keiner Eintragung im
Grundbuch bedarf und bei der Zwangsversteigerung nicht erlischt,
sondern ohne weiteres auf den Erwerber übergeht. Diese Hypothek
des öffentlichen Rechts geht der Regel nach allen anderen
Rechten am Grundstück im Range vor.
Kapital, Zinsen und Tilgungsraten der Obligationen werden
von der deutschen Regierung gewährleistet, Es haften dafür im
besonderen die für die Reparation verpfändeten Einnahmen des
Haushalts. |
Für Streitigkeiten, die zwischen der Regierung und der Bank
auf der einen Seite und der Reparationskommission oder dem
Treuhänder entstehen, ist ein unparteiisches Schiedsgericht
vorgesehen,
Die Bank für deutsche Industrieobligationen hat ein Kapital
von zehn Millionen Goldmark und ihren Sitz in Berlin. Der Vor-
stand ist deutsch, der Aufsichtsrat besteht einschließlich des
Präsidenten aus 15 Mitgliedern. Sieben werden von der Reichs-
regierung, drei von der Reparationskommission und vier von den
fremden Mitgliedern des Generalrats der Reichsbank gewählt.
Der Präsident muß Deutscher sein,
Die Einzelobligationen über fünf Milliarden Goldmark, ausge-
stellt von 60500 belasteten Unternehmen, sind von der Regierung am
336
28. Februar 1925 derBank fürRechnung des Trustee übergeben wor-
den. Die Bank hat die entsprechenden Industriebonds ausgestellt.
3. GESETZ ÜBER DIE DEUTSCHE REICHSBAHN-GESELLSCHAFT
UND DEREN SATZUNG
Der Betrieb der Reichseisenbahnen ist für die Zwecke der
Reparation bis zum 31. Dezember 1964 an die Deutsche Reichs-
bahn-Gesellschaft übertragen. Die Konzession endet aber auf
jeden Fall mit dem Zeitpunkte, in welchem alle Reparations-
schuldverschreibungen und die Vorzugsaktien der Gesellschaft
eingelöst sind; sie kann sich daher entsprechend verkürzen oder
verlängern, Das Eigentum an den Reichseisenbahnen mit allem
Zubehör einschließlich des rollenden Materials verbleibt dem
Reich. Dagegen werden Eigentum der Gesellschaft die Betriebs-
vorräte, die Kassenbestände und die Bankguthaben,
Die Reparationslast der Reichsbahn von 11 Milliarden Gold-
mark wird durch einen gleichen Betrag von Schuldverschreibungen
der Gesellschaft gesichert, Diese haben kraft Gesetzes eine erst-
stellige Gesamthypothek auf allen Grundstücken der Reichs-
eisenbahnen und der Gesellschaft nebst deren Zubehör. Die
Schuldverschreibungen werden vom 1. September 1927 an mit
3 Prozent verzinst und mit 1 Prozent getilgt, Von da ab läuft die
normale Jahreslast der Gesellschaft mit 660 Millionen Mark.
Die Reparationszahlungen der Gesellschaft werden von der
Reichsregierung gewährleistet. Für diese Garantie haften auch
die verpfändeten Einnahmen des Reichshaushalts,
Die Gesellschaft hat ein Kapital von 2 Milliarden Goldmark
Vorzugsaktien und 13 Milliarden Goldmark Stammaktien. Letztere
gehören sämtlich dem Reich. Die Vorzugsaktien lauten auf den
Inhaber. Ihr Erlös soll in der Hauptsache den Zwecken der Gesell-
schaft dienen, vor allem für Erweiterungen und Verbesserungen,
die nicht aus dem Betriebe zu bestreiten sind. Das Reich hat nach
dem Dawesplan Anspruch auf den Erlös der ersten 500 Millionen
Mark Vorzugsaktien, um sich daraus die Mittel zu seinen eigenen
Leistungen im zweiten Reparationsjahr zu verschaffen. Die Ge-
Bergmann, Der Weg der Reparation 22 337
sellschaft hat dem Reich zu diesem Zwecke bereits 500 Millionen
Mark Vorzugsaktien zur Verfügung gestellt.
Die Organe der Gesellschaft sind der Verwaltungsrat und der
Vorstand. Dieser führt die Geschäfte der Gesellschaft unter der
Aufsicht des Verwaltungsrates. Er besteht aus dem General-
direktor und mehreren Direktoren, die sämtlich Deutsche sein
müssen. Der Verwaltungsrat besteht aus achtzehn Mitgliedern.
Sie werden zur Hälfte von der Reichsregierung, zur Hälfte vom
Treuhänder ernannt. Unter den vom Treuhänder bestellten Mit-
gliedern befinden sich fünf Deutsche, Im Verwaltungsrat sitzen
daher vierzehn Deutsche neben vier Ausländern. Nach Ausgabe
der Vorzugsaktien sind ihren Inhabern vier der Regierungsstellen
im Verwaltungsrat einzuräumen, wobei auf je 500 Millionen Gold-
mark ausgegebene Vorzugsaktien ein Sitz entfällt. Die Vertreter
der Vorzugsaktien müssen Deutsche sein.
. Der Präsident des Verwaltungsrats ist Deutscher. Er wird
jährlich vom Verwaltungsrat mit einer Mehrheit von drei Vierteln
der abgegebenen Stimmen gewählt. Er soll aus den Vertretern
der Vorzugsaktien entnommen werden, sobald diese drei Sitze
im Verwaltungsrat haben.
Die Inhaber der Reparationsschuldverschreibungen werden
durch den Treuhänder vertreten, Zur Wahrung ihrer Rechte ist
ein Eisenbahnkommissar bestellt, der von den ausländischen Mit-
gliedern des Verwaltungsrats gewählt wird. Der Kommissar nimmt
an den Sitzungen des Verwaltungsrats ohne Stimmrecht teil. Er
hat jedoch nur das Recht der Einsicht und der Auskunft, solange
der Dienst der Schuldverschreibungen nicht gefährdet ist. Gerät
‚die Gesellschaft mit ihren Leistungen für die Reparation in Ver-
zug, so erweitern sich die Rechte des Kommissars. Er kann dann
einen Wechsel in der Person des Generaldirektors fordern. Bleibt
die Gesellschaft mehr als sechs Monate im Verzug und wird der
Fehlbetrag der Schuld auch von der Reichsregierung nicht ersetzt,
so kann der Kommissar die Eisenbahnen selbst in Betrieb nehmen
und schließlich auch das Betriebsrecht weiter verpachten. In letzte-
rem Falle muß aber erst eine Entscheidung des im Gesetz vorge-
sehenen unparteiischen Schiedsgerichts dahin ergangen sein, daß
338
1 Monatsraten zu decken. Alles übrige erstattet er binnen einer
die geplante Verpachtung nötig und geeignet ist, die Durchführung
des Dienstes der Reparationsschuüldverschreibungen zu sichein. |
Die Reichsregierung hat im öffentlichen Interesse die Aufeich
über den Betrieb und über die Tarife der Gesellschaft, Sie darf
dieses Recht jedoch nicht so ausüben, daß die Gesellschaft etwa
gehindert wird, die Einnahmen zu erzielen, die für den Dienst der
Schuldverschreibungen und der Vorzugsaktien erforderlich sind,
Die bisherigen Beamten, Angestellten und Arbeiter der Reichs-
bahnen sind von der Gesellschaft übernommen. Ihre Rechte und
Pflichten sind durch ein besonderes Personalgesetz und durch
eine Personalordnung geregelt. 5
4. DIE VERPFÄNDETEN EINNAHMEN DES REICHSHAUSHALTS
Es bleibt noch ein Wort darüber zu sagen, welche Rechte nach
dem Protokoll von London dem Kommissar für die verpfändeten
Einnahmen zustehen. |
Die deutschen Dienststellen führen schon jetzt diese Ein-
nahmen spätestens am 20, eines jeden Monats an den Kommissar
ab. Der Einfachheit halber sind damit nur die zehn größten Zoll-
kassen, die Oberfinanzkassen und die Branntweinmonopolver-
waltung befaßt. Bis zum 31. August 1926 hat aber Deutschland
noch keine Zahlung aus dem Haushalt zu leisten. Daher wird in
den ersten zwei Jahren der Kommissar regelmäßig die auf sein
Konto eingezahlten Beträge sofort wieder zur Verfügung der
deutschen Regierung stellen. Vom dritten Jahre ab behält er von
den monatlichen Zahlungen jedesmal ein Zehntel der Jahres-
leistung aus dem Haushalt zurück. Er überweist davon die fälligen
Monatsraten, das heißt ein Zwölftel der Jahresleistung, an den
Generalagenten und sammelt aus dem Rest einen Reservefonds
an. Wenn dieser 100 Millionen Goldmark erreicht hat, behält er
immer nur so viel zurück, als nötig ist, um die jeweils fälligen
Woche nach Eingang der sämtlichen monatlichen Einnahmen an
die deutsche Regierung zurück. Aus dem Reservefonds werden
etwaige Fehlbeträge der Monatsraten aufgefüllt.
Solange die Zahlungen aus dem Haushalt in der festgesetzten
22* 339
Höhe eingehen, hat der Kommissar nur ein Recht auf Einsicht und
Auskunft, das allerdings weit geht. Er ist auch rechtzeitig von den
Entwürfen der Gesetze und Verordnungen zu unterrichten, welche
die verpfändeten Einnahmen betreffen. Die Rechte des Kommissars
erweitern sich, wenn drei Monate hindurch die an ihn abgeführten
Beträge weniger als je ein Zehntel der Jahresrate betragen oder
wenn die Einnahmen bei unveränderter Lage der Gesetze wesent-
lich hinter der gleichen Periode des Vorjahres zurückbleiben, In
diesen Fällen ist er befugt, dem Reichsminister der Finanzen
Vorschläge zu machen und durch seine Vertreter oder Sachver-
ständige den Ursachen des Rückganges nachzuforschen. Wenn
die Einnahmen aus den verpfändeten Steuern längere Zeit nicht
ausreichen sollten, um trotz Erschöpfung des Reservefonds die
fälligen Monatsraten zu decken, oder wenn der Finanzminister
die Vorschläge des Kommissars nicht ausführt und die Einnahmen
unbefriedigend bleiben, muß die Reichsregierung vorübergehend
andere indirekte Steuern verpfänden. Wenn alles nichts hilft,
kann der Kommissar im Einverständnis mit dem Generalagenten
fordern, daß eine Aenderung der Organisation bei den Einnahme-
quellen eintritt, deren Rückgang den Fehlbetrag herbeigeführt
hat. Dabei kann er verlangen, daß diese Steuerzweige eine selb-
ständige und vom Reiche unabhängige Verwaltung erhalten. Eine
solche Aenderung der Verwaltung darf aber erst eintreten, wenn
der unparteiische Schiedsrichter, der alle Meinungsverschieden-
heiten zwischen Regierung und Kommissar schlichtet, dahin ent-
schieden hat, daß die Maßnahme notwendig und geeignet ist, die
Eingänge aus den Steuern so zu heben, daß die jährliche Haus-
haltszahlung sichergestellt wird. Das alles ist nach dem Muster
der Reichsbahn gestaltet. B
Im einzelnen sind die Vorschriften des Protokolls sehr ver-
wickelt, Man sieht ihnen ordentlich den harten Kampf an, der in
London um sie geführt worden ist.
Die Steuersätze auf Branntwein, Tabak, Bier und Zucker sollen
ohne Einwilligung des Kommissars nicht herabgesetzt werden.
Der Kommissar hat sich jeder Einmischung in die Zolltarifpolitik
der deutschen Regierung zu enthalten.
340
y
EINUNDDREISSIGSTES KAPITEL
DIE AUSFÜHRUNG DES PLANES
DIE REPARATIONSANLEIHE
Nach Abschluß der Londoner Konferenz blieb es in der An-
leihefrage eine Zeitlang recht still, Die englischen und amerika-
nischen Bankkreise, welche während der Konferenz eine stärkere
Sicherung der Anleihe gegen politische Zwischenfälle gefordert
hatten, verhielten sich abwartend, Erst gegen Ende September
kam es zu Besprechungen über die Anleihe in London, die auf
der Seite der Geldgeber von der Firma J, P. Morgan & Co. und
der Bank von England, auf deutscher Seite von Dr. Schacht und
Dr. Luther geführt wurden, Die Verhandlungen waren kurz, die
Bedingungen wurden mehr oder weniger diktiert,
Am 10, Oktober wurde das Abkommen über die Anleihe ge-
zeichnet. Die Bedingungen waren: 7 Prozent Zinsen, ein Ausgabe-
kurs von 92 Prozent, Rückzahlung am 15. Oktober 1949 mittels
eines Tilgungsfonds, in Amerika zu 105 Prozent, in den anderen
Ländern zu pari. Die Banken übernahmen die Anleihe in Amerika
zu 87 Prozent, in Europa zu 87% Prozent abzüglich Stempelsteuer.
Da der Reinerlös für die Reparation 800 Millionen Mark betragen
sollte, mußte der Nennbetrag der Anleihe erheblich höher ge-
nommen werden, Inzwischen ist auch das englische Pfund Ster-
ling, auf das der größte Teil der europäischen Anleihetranchen
lautet, auf die Goldparität gestiegen, Daher stellt sich der Kapital-
betrag der gesamten Reparationsanleihe, in Goldmark umge-
rechnet, zur Zeit auf etwa 960 Millionen.
341
IndenVereinigten Staaten wurden vonder Anleihe 110 Millionen
Dollars, in England 12 Millionen Pfund, in Holland, Schweden,
der Schweiz, Frankreich, Belgien und Italien kleinere Beträge
ausgegeben. Die zur Aufrundung des Reinertrages auf 800 Millionen
Goldmark noch fehlenden 360000 Pfund Anleihe wurden in
Deutschland durch die Reichsbank übernommen.
Am 13, Oktober 1924 räumte die Reparationskommission dem
Dienst der Anleihe ein unbedingtes Vorrecht auf alle Zahlungen
unter dem Dawesplan, auf die verpfändeten deutschen Einnahmen
des Haushalts und auf alle Vermögenswerte oder Einkünfte
Deutschlands ein, die dem Pfandrecht der Alliierten nach dem
Vertrage von Versailles unterliegen. Ihrerseits erkannte die
deutsche Regierung den Dienst der Anleihe als eine direkte und
unbedingte Verpflichtung des Reiches an.
Die Ausgabe der Anleihe, die in New York und Londen am
14, Oktober stattfand, war ein glänzender Erfolg. Der Börsen-
kurs stieg sofort um einige Prozent. Seither hat er in London und
New York den Nennwert überschritten,
Am 31. Oktober 1924 bestätigte auch das Transferkomitee bei
seiner ersten Sitzung in Berlin das Vorrecht der Anleihe und
beschloß, daß die für ihren Dienst erforderlichen Goldmarkbeträge
ohne Rücksicht auf die Wechselkurse in fremde Währung umge-
wandelt werden können. Der gesamte Erlös der Anleihe ist in
fremder Währung der Reichsbank zugunsten des Generalagenten
zugeflossen, In Uebereinstimmung mit dem Dawesplan hat die
Reichsbank diese Devisen für sich erworben und den Gegenwert
in Reichsmark einem Konto des Reiches gutgeschrieben, das unter
der Kontrolle des Generalagenten steht. Er allein kann darüber
verfügen. Für die Anleihe sind drei Treuhänder bestellt. An
ihrer Spitze steht der Generalagent, der auch den Anleihedienst
versieht,
DIE ORGANE DER REPARATION
Dem Londoner Abkommen gemäß ernannte die Reparations-
kommission am 10, Oktober 1924 den Bostoner Anwalt Thomas
N. Perkins zum Mitglied der Reparationskommission für die
342
Durchführung des Dawesplans, Sie ernannte gleichzeitig die Mit-
glieder des Transferkomitees und bestellte die Inhaber der Aemter,
deren Besetzung ihr nach dem Dawesplan oblag. Die dauernde
Organisation für die Ausführung des Planes besteht zurzeit aus
folgenden Personen:
Generalagent für Reparation: S, Parker Gilbert (Amerika),
Kommissar für die Reichsbank: G. W. Bruins (Holland),
Kommissar für die Reichsbahn: Gaston Leverve (Frankreich),
Kommissar für die verpfändeten Einnahmen: Sir Andrew
Mc Fadyean (England), |
Treuhänder für die Eisenbahn-Obligationen: Leon Delacroix
(Belgien),
Treuhänder für die Industrie-Obligationen: Bernardino Nogara
(Italien).
Das Transferkomitee setzt sich aus dem Generalagenten als Vor-
sitzendem und aus folgenden Mitgliedern zusammen:
Joseph E. Sterrett (Amerika),
Jean Parmentier (Frankreich),
Henry Bell (England),
Pasquale Jannaccone (Italien),
Rense Tilmond — für den ausgeschiedenen Minister Janssen
(Belgien).
Die neue Organisation für den Dawesplan schränkt die Tätigkeit
der Reparationskommission stark ein. Ein Abbau der Kommission
war umso nötiger, als ihre Kosten etwa 50 Millionen Francs jähr-
lich betrugen. Im November 1924 beschloß die Kommission daher,
alle nunmehr überflüssigen Teile ihrer Verwaltung aufzuheben.
Die Hauptdelegierten haben ihren ständigen Sitz nicht mehr
in Paris, sondern versammeln sich nur noch zu bestimmten
Sitzungen. Ihre Vertreter bilden in Paris ein ständiges Direktions-
komitee, das in Verbindung mit dem Generalsekretariat die laufen-
den Geschäfte der Kommission wahrnimmt. Die meisten Neben-
stellen, vor allem für die Restitution und die Finanzangelegen-
heiten, sind abgeschafft oder sehr verkleinert. _ |
343.
DAS VERFAHREN BEI DEN SACHLEISTUNGEN
Nach Abschluß des Londoner Abkommens war es die erste
Sorge des Generalagenten, Ordnung in den Gang der Sach-
leistungen zu bringen. Während der Zeit der Micum-Verträge und
der sonstigen Zwangsleistungen des besetzten Gebietes herrschte
das Chaos. Auch die Verrechnung der Sachleistungen bei der
Reparationskommission war vollkommen durcheinandergeraten.
Im ersten Jahre des Dawesplanes standen dem Generalagenten
monatlich 83% Millionen Goldmark zur Verfügung. Daraus mußte
er die gesamten Ausgaben unter dem Vertrage von Versailles be-
streiten, Um klar zu sehen, führte er ein System von monatlichen
Programmen für Lieferungen und Leistungen ein. Dabei stellte
sich gleich heraus, daß es nötig war, die Anforderungen der
Alliierten herabzusetzen. Auf Betreiben des Generalagenten wurde
schon am 18. September 1924 das Programm der Kohlenlieferungen
um 10 Prozent ermäßigt.
Nunmehr galt es, ein geordnetes Verfahren für das gesamte
Feld der Sachleistungen zu finden. Das im Londoner Abkommen
vorgesehene Sonderkomitee trat mit vier deutschen und vier
alliierten Mitgliedern — je ein Vertreter von Belgien, England,
Frankreich, Italien — am 6, November 1924 in Paris zusammen.
Es beschloß bald, zur Schlichtung der Meinungsverschiedenheiten
das neutrale Mitglied zuzuziehen. Hierfür wurde wiederum der
in Reparationssachen erprobte Markus Wallenberg ausersehen,
der auch den Vorsitz im Komitee übernahm. Nach eingehenden
Arbeiten erstattete das Komitee am 9, März 1925 der Reparations-
kommission seinen Bericht nebst einem Entwurf für das Verfahren
bei den Sachleistungen. Dieser ist mit einigen Aenderungen vom
Transferkomitee und von der Reparationskommission angenommen
worden und am 1. Mai geltende Vorschrift geworden.
Das Verfahren findet auf alle Sachleistungen Deutschlands
Anwendung. Es regelt sowohl die freien Reparationsverträge
zwischen deutschen Lieferanten und alliierten Bestellern wie die
sogenannten Zwangslieferungen unter dem Vertrage von Versailles,
soweit das Londoner Abkommen sie noch in Kraft gelassen hat.
344
Das Komitee war bestrebt, ein einfaches und rasch arbeitendes
Verfahren für die Aufstellung der Programme und die Ge-
nehmigung der Verträge zu schaffen, Die Reparationskommission
und die deutsche Regierung errichten je ein technisches Bureau
in Paris, die eng zusammenarbeiten sollen, Grundsätzlich können
alle Waren und Dienste, die aus der deutschen Wirtschaft
stammen, den Gegenstand von Sachleistungen bilden. Bestimmte
Waren, hauptsächlich fremde Rohstoffe, Edelmetalle, Grund-
stoffe der Eisen-, Leder- und Papierindustrie, Rohholz und die
meisten landwirtschaftlichen. Erzeugnisse, sind jedoch von den
Reparationsleistungen ausgeschlossen. Andere Waren dürfen nur
in Höhe bestimmter Kontingente geliefert werden. Endlich soll
eine große Anzahl von Waren, zu deren Herstellung ein starker
Prozentsatz ausländischer Rohstoffe gebraucht wird, nur zum Teil
vom Generalagenten bezahlt werden, während der Wert der in
ihnen enthaltenen fremden Rohstoffe vom Käufer direkt an den
Lieferanten in bar zu entrichten ist. Für die verschiedenen Gruppen
hat das Komitee ausführliche Listen ausgearbeitet. Die Aufstellung
der Lieferprogramme ist wie folgt geregelt:
ti. Dia Programme für Kohle, Koks und Braunkohlenbriketts
werden von der Reparationskommission vorläufig jeweils auf drei
Monate festgesetzt. Die Verteilung nach Sorten erfolgt nach den
Wünschen der Empfangsländer, denen Deutschland nach Mög-
lichkeit Rechnung trägt. Normalerweise sollen Steinkohle und
Koks aus dem Ruhrgebiet und dem Aachener Revier, Braunkohle
aus dem Kölner Revier kommen, Die Lieferungen können auch auf
Grund freier Verträge zwischen alliierten Bestellern und deutschen
Lieferanten ausgeführt werden, Solche Abschlüsse werden von der
Gesamtmenge der offiziellen Vierteljahrsprogramme abgezogen.
Das Bureau der Reparationskommission hat sich zu vergewissern,
daß das Transferkomitee keinen Einspruch gegen die Ausführung
der Programme erhebt.
2, Für schwefelsaures Ammoniak und andere synthetische
Düngemittel hat das Sonderkomitee selbst ein vorläufiges Pro-
gramm bis 1. April 1927 aufgestellt. Danach sind jährlich an
Frankreich 20 000 Tonnen, an Belgien 2000 Tonnen und an Italien
345
3000 Tonnen Stickstoff durch das deutsche Stickstoff-Syndikat
zu liefern. |
3, Für Farbstoffe und pharmazeutische Produkte haben die
alliierten Besteller mit der Interessengemeinschaft der deutschen
chemischen Fabriken ein Abkommen über alle Lieferungen bis
zum 15. August 1928 getroffen.
4, Bei den kontingentierten Waren werden alle sechs Monate
Programme für die Lieferungen in den jeweils folgenden achtzehn
Monaten festgesetzt, Die Programme werden von dem alliierten
und dem deutschen Bureau in Paris vorbereitet, dem Transfer-
komitee vorgelegt und von der Reparationskommission genehmigt.
Die Kontingente für Holz und Rohzucker hat das Sonder-
komitee selbst bis zum 1. April 1927 bestimmt.
5. Alle anderen Waren können frei und unbeschränkt geliefert
werden, soweit die deutsche Wirtschaft dadurch nicht beein-
trächtigt wird. - |
Die Alliierten haben das Recht, aber nicht die Pflicht, die in
den Programmen vorgesehenen Warenmengen abzunehmen,
Alle freien Verträge über Lieferungen sind vom Bureau der
Reparationskommission zu genehmigen. Das deutsche Bureau er-
hält rechtzeitig Kenntnis und kann Einspruch erheben. Streitfälle
zwischen den Bureaus werden von dem amerikanischen Mitglied
der Reparationskommission endgültig entschieden. |
Ein besonderes Verfahren ist für sogenannte außergewöhnliche
Verträge vorgesehen. Darunter fallen:
a) Verträge über vollständige Einrichtungen, öffentliche
Arbeiten und den Bau von Schiffen; |
b) Verträge über Lieferungen und Zahlungen, die sich über
mehr als vierundzwanzig Monate erstrecken;
c) Verträge über Waren, für die keine Programme oder Kon-
tingente bestehen, wenn die jährlichen Zahlungen 12 Millionen
Goldmark überschreiten, |
Alle diese Verträge werden durch die vereinigten Bureaus
unter Vorsitz des amerikanischen Mitgliedes der Reparations-
kommission geprüft. Alsdann ist die Zustimmung des Transter-
346
komitees und die Genehmigung der Reparationskommission ein-
zuholen. Die Sachleistungen werden auf Grund von Wechseln
oder Anweisungen, die der deutsche Lieferant bzw. die deutsche
Regierung einreicht, aus der Kasse des Generalagenten bezahlt.
Nach dem Londoner Abkommen ist die Wiederausfuhr der
Reparationswaren verboten. Auch hierfür hat das Sonderkomitee
Vorkehrungen im einzelnen getroffen, ebenso für Verstöße gegen
das Verfahren und Betrug. Die gesamte Vorschrift kann vom
1. April 1927 ab alle zwei Jahre revidiert werden. Das Komitee
hat auch entschieden, daß ein gewöhnlicher, im freien Handel ab-
geschlossener Vertrag nicht ohne Zustimmung des deutschen Ver-
käufers in einen Vertrag auf Reparationskonto umgewandelt
werden kann. |
Auf die Einzelheiten der Listen und der sehr ausführlich ge-
haltenen Vorschriften, besonders für die Lieferung, den Transport
und die Bezahlung von Kohle und Koks, können wir im Rahmen
dieses Buches nicht eingehen. In ihnen spiegelt sich der jahrelange
Kampf zwischen der Reparationskommission und der deutschen
Regierung um die Sachleistungen wider. Die dabei gemachten
Erfahrungen sind in der Vorschrift natürlich weitgehend berück-
sichtigt. |
Immerhin wird sich erst zeigen müssen, ob mit den neuen Be-
stimmungen wirklich ein Verfahren gefunden ist, unter dem die
Sachleistungen nach den Regeln des Handelsgebrauches glatt und
in großem Maßstabe vonstatten gehen. Ein wirklich freier Ver-
kehr auf Reparationskonto wird sich nach wie vor kaum ent-
wickeln. Das ist bei der Einmischung und der Kontrolle so vieler
offizieller Organe nicht gut möglich. Vielleicht ist es jetzt im
deutschen Interesse nicht mehr nötig, gegen die Ausdehnung und
den Mißbrauch von Sachleistungen so weitgehende Vorsorge zu
treffen. Die Vorsicht war durchaus berechtigt, solange in den
Zeiten der Inflation die deutsche Wirtschaft schwer unter Waren-
mangel litt und solange kein fester Plan für die jährlichen Repa-
rationsleistungen bestand, alle Sachlieferungen vielmehr in dem
Danaidenfaß der 132 Milliarden verschwanden. Das alles ist aber
anders geworden. Jetzt hat Deutschland bis zur vollständigen
347
Ordnung der Weltmärkte und seiner eigenen Wirtschaft selber
ein lebhaftes Interesse daran, auf Reparationskonto Waren zu
liefern, deren Absatz auf den Weltmärkten stockt.
DIE ABGABE VON DER DEUTSCHEN EINFUHR
(REPARATION RECOVERY ACT)
Der Dawesplan stellt die Abgabe von der deutschen Einfuhr
in den alliierten Ländern auf eine Stufe mit den Sachleistungen.
Es war daher die Aufgabe des Transferkomitees, auch diese
deutschen Leistungen in das System des Dawesplanes einzube-
ziehen und sich die Aufsicht darüber zu sichern, |
Wie wir wissen, wurde die Erhebung der Abgabe auf der
Londoner Konferenz vom März 1921 beschlossen und auch nach
Inkrafttreten des Londoner Ultimatums vom 5. Mai 1921 von Eng-
land in Höhe von 26 Prozent der deutschen Einfuhr erhoben.
Während der Ruhrbesetzung konnte Deutschland am 25. Februar
1924 ein Abkommen mit England schließen, das wegen der großen
deutschen Finanznot die Abgabe auf 5 Prozent herabsetzte. Aber
schon am 29. August 1924 führte die englische Regierung den
alten Satz von 26 Prozent wieder ein, um sich gegenüber den
Alliierten, welche Sachleistungen von Deutschland bezogen, eben-
falls den unmittelbaren Zugriff auf einen Teil der deutschen
' Zahlungen unter dem Dawesplan zu verschaffen.
Frankreich hatte im April 1921 gesetzliche Maßnahmen zur
Erhebung der Einfuhrabgabe beschlossen, aber nicht durchgeführt.
Vom 1. Oktober 1924 ab legte die französische Regierung, trotz der
Vorstellungen Deutschlands, gleichfalls eine Abgabe von 26 Prozent
auf die deutsche Einfuhr, wobei der englische Recovery Act zum
Vorbild diente, Andere Staaten wie Belgien und Italien hatten
die gleiche Absicht, sind aber bisher nicht zur Durchführung ge-
schritten. |
Die deutsche Regierung vertritt grundsätzlich den Standpunkt,
daß die Einfuhrabgabe mit dem Grundgedanken des Dawesplanes
in Widerspruch steht, weil sie die wirtschaftliche Gleichberech-
tigung und die Bewegungsfreiheit Deutschlands beeinträchtigt und
geeignet ist, die deutsche Währung zu gefährden. Auch der
348
Generalagent erhob starke Bedenken gegen den Recovery en
Ihn störte vor allem die Tatsache, daß die Erhebung der Abgabe
sich völlig außerhalb der Kontrolle des Transferkomitees vollzog.
Das englische Verfahren bestand darin, daß die Zollbehörden
von jeder deutschen Warensendung, die nach England kam
26 Prozent des Verkaufspreises einzogen und es dem Importe
überließen, sich den Gegenwert der Abgabe von der deutschen
Regierung oder nach Inkrafttreten des Dawesplanes aus der Kasse
des Generalagenten wieder zu holen, Das Transferkomitee stand
also immer vor einer vollendeten Tatsache, Es war ihm bei dem
willkürlichen Eingriff Englands und später auch Frankreichs in
die Reparation nicht möglich, die ihm zukommende Aufsicht aus-
zuüben, Auch wurde dem Transferkomitee damit die ordnungs-
mäßige Verteilung der deutschen Leistungen unter die Alliierten
erschwert. Denn die englischen und französischen Zollbehörden
zogen natürlich die 26 Prozent ohne Rücksicht darauf ein, ob die
Abgabe sich innerhalb des vertragsmäßigen Anteils ihrer Regierung
an den Reparationsgeldern hielt. In der Tat ergab der englische
Recovery Act monatlich immer etwas mehr als den Betrag, den
die englische Regierung jeweils vom Generalagenten aus der
deutschen Annuität zu fordern hatte. Was England recht war,
mußte den anderen Alliierten billig sein. Wurde dieses Mittel,
direkte Reparationen von Deutschland einzutreiben, von allen
Seiten schrankenlos angewendet, dann mußte das Transferkomitee
fürchten, daß ihm die deutsche Annuität unter den Händen zer-
floß, und daß die deutsche Währung wieder in Gefahr geriet.
Das Transferkomitee verschloß sich aber auch den Nachteilen
nicht, welche dem deutschen Handel aus dem Verfahren bei der
Erhebung der Abgabe unnütz erwuchsen. Der Eingriff der Zoll-
behörden in die Einfuhr war ebenso störend und lästig für den
alliierten Käufer wie für den deutschen Verkäufer. Es war klar,
daß der Käufer, um solchen Schwierigkeiten zu entgehen, sich
möglichst nach Bezugsquellen aus anderen Ländern umsah. Wenn
es aber schließlich dem deutschen Importeur trotzdem gelang,
seine Waren in England oder Frankreich abzusetzen, so hatte er
damit zu rechnen, daß er den Gegenwert der Abgabe in jedem
349
einzelnen Fall erst nach geraumer Zeit auf dem Wege eines um-
ständlichen Geschäftsganges von der deutschen Regierung oder
vom Generalagenten zurückerhielt,. |
ihr für die Abgabe verauslagten Summen.
Im Dezember begannen die Verhandlungen mit England, Sie
führten am 25, März 1925 zum Abschluß eines Protokolls zwischen
der britischen und der deutschen Regierung, das die Zustimmung
des Transferkomitees und der Reparationskommission fand. Das
Abkommen der beiden Regierungen wurde am 3. April gezeichnet
und am 7. April vom englischen Parlament genehmigt. Vom
1. Mai 1925 an ist das neue Verfahren in England in Kraft.
Die Abgabe von 26 Prozent wird danach nicht mehr bei der
Einfuhr einer jeder Warensendung erhoben, sondern von den eng-
lischen Zollbehörden nur statistisch festgestellt, Die Zahlung selbs
gesamten deutschen Ausfuhr nach England vertreten, haben sich
dem Reichsfinanzminister gegenüber verpflichtet, jeden Monat
30 Prozent des Wertes ihrer im Vormonat nach Großbritannien aus-
350
ww.
geführten Waren in Pfund Sterling an die Reichsbank abzuliefern,
Dabei ist angenommen, daß diese Zahlung hinreicht, um 26 Prozent
Für den Fall, daß die Einzahlungen der deutschen Exporteure
bei der Reichsbank nicht ausreichen sollten, um die Abgabe von
aus etwaigen Ueberschüssen aufzufüllen, die sich aus den Ein-
zahlungen der deutschen Exporteure bei der Reichsbank ergeben.
zurückvergütet wird. In der Praxis ist nämlich das deutsch-eng-
lische Abkommen noch mehr vereinfacht worden. Die Reichsbank
kauft den Exporteuren die abgelieferten Pfunddevisen sofort ab
und läßt sich die Ueberweisung der Pfunde nach England vom
Generalagenten für eigene Rechnung vergüten.
351
Aber das neue Verfahren beseitigt doch die grundsätzlichen
Bedenken nicht, die von der deutschen Wirtschaft gegen die Ab-
gabe selber erhoben werden.
Auch die französische Regierung hat sich dazu entschlossen,
die Verwaltung der von ihr erhobenen Abgabe von 26 Prozent auf
deutsche Waren unter die Aufsicht des Transferkomitees zu
stellen. Vom 1. Mai 1925 ab hinterlegt sie den Erlös aus der Ab-
gabe bei der Bank von Frankreich für Rechnung des General.
agenten. Dieser läßt ihn der Regierung wieder auszahlen, soweit
der entsprechende Betrag innerhalb des französischen Anteils an
der Reparation bei ihm dafür verfügbar ist. Mit dieser Maßgabe
erfolgt dann auch die Rückvergütung an die deutschen Exporteure,
Im Gegensatz zu England ist es also in Frankreich bei dem alten
lästigen Verfahren geblieben, wobei die Abgabe von jeder ein-
zelnen Warensendung erhoben wird.
DIE VERTEILUNG DER REPARATIONSLEISTUNGEN
Am 27. Oktober 1924 trafen sich die Finanzsachverständigen
der alliierten Regierungen und der Vereinigten Staaten in Paris,
um die Frage der Verteilung der deutschen Reparationsleistungen
nach langer Pause wieder aufzunehmen, Diesmal war ihre Auf-
gabe besonders schwierig. Auch die Vereinigten Staaten erhoben
Anspruch darauf, für ihre Kriegsforderungen an Deutschland aus
den Annuitäten des Dawesplanes befriedigt zu werden. Zu gleicher
Zeit aber mußte die Reparationsrechnung aus der Zeit vor dem
Dawesplane, d. h. bis zum 1, September 1924, in Ordnung ge-
bracht werden, Und darin bestand wegen der Ruhrbesetzung ein
heilloser Wirrwarr. England hatte immer die Ansicht vertreten,
die Besetzung sei unrechtmäßig. Frankreich und Belgien hatten
die Ausbeutung der besetzten Gebiete auf eigene Faust betrieben,
Die Reparationskommission war dabei so gut wie ausgeschaltet,
Alle Streitfragen, die aus dieser Lage entstanden waren, galt es
zu schlichten,
Trotz wochenlanger Arbeit kamen die Sachverständigen zu
keinem bestimmten Vorschlag. In dem Bericht über ihre Verhand-
lungen, der interessante Aufschlüsse gibt, beschränkten sie sich
352
*
darauf, den Standpunkt der einzelnen Regierungen zu den ver-
schiedenen Fragen festzustellen. Am 6. Januar 1925 traten die
alliierten Finanzminister selber und als Vertreter der Vereinigten
Staaten der damalige Botschafter in London, Mr. Kellogg, zur
Konferenz in Paris zusammen, Sie erreichten am 14, Januar eine
Verständigung, die als das Pariser F inanzabkommen bekannt ge-
worden ist. Fe
Wie es nicht anders sein konnte, wurde in den meisten Punkten
ein Kompromiß zwischen den widerstreitenden Interessen ge-
funden, Das traf vor allem auf die Verrechnung der Einnahmen
und Ausgaben aus der Zeit der Ruhrbesetzung vom 11. Januar 1923
bis 1. September 1924 zu. Die Frage der Rechtmäßigkeit des
Ruhrunternehmens wurde nicht weiter erörtert. Sonst hätte ja
England bei der Verteilung des Ertrages nicht mitwirken können.
Frankreich und Belgien hatten die folgende Abrechnung vor-
gelegt:
Eingänge: in Millionen Goldmark
Geldstrafen und Requisitionen , . 4550
Sachleistungen . .. Daniele igee
zusammen , 491,90
Bareinnahmen:
Kohlensteuer er
Zölle BE I a E
Sonstige Abgaben . °. . . ,°.2..101.—
Forsten : ...- ,; N er
Pässe usw. neh an ao 3.—
Reingewinn der Regiebahn. . . . 67—
| im ganzen . 490,—
Davon ab Kosten:
Verwaltung I RUN IE.
Transport von Kohle und
Betrieb von Fabriken . . 54.—
Militärische Kosten . . . 14.2 7142
Reinertrag der Bareinnahmen . 306.—
Bergmann, Der Weg der Reparation 23 353
Dagegen machte England geltend, daß nach dem alliierten
Finanzabkommen vom il, März 1922 die Besatzungskosten aus
den Sachleistungen zu bestreiten seien und nicht aus den Bar-
einnahmen, so daß die Reineinnahmen in bar um 114 Millionen
steigen würden, die der belgischen Priorität zu gute kämen.
Die Konferenz der Finanzminister hat es der Reparations-
kommission überlassen, die Abrechnung der einzelnen Posten zu
prüfen. Sie hat aber dafür bestimmte Richtlinien aufgestellt: Sach-
leistungen und Bareinnahmen sollen gesondert verrechnet werden.
Von dem Wert der Sachleistungen sind die militärischen Aus-
gaben im Ruhrgebiet nur insoweit abzusetzen, als sie die normalen
Unterhaltskosten in der heimischen Garnison übersteigen. Mit dem
Nettobetrage der Sachleistungen, der sich so ergibt, werden die
Empfangsländer auf Reparationskonto belastet.
Von den Bareinnahmen aller Art dürfen nur die zivilen Kosten
der Erhebung und Verwaltung, des Transports von Kohlen und des
Betriebes der Gruben und Kokereien in Abzug gebracht werden.
Der Ueberschuß mit Ausnahme eines bereits für amerikanische
Besatzungskosten hinterlegten Betrages von etwa 14% Millionen
Dollar ist an Belgien für Rechnung seiner Priorität abzuführen.
Die deutschen Leistungen unter dem Dawesplan werden gemäß
demPariser Finanzabkommen nach folgendenGrundsätzen verteilt:
I. Forderungen mit Vorrecht
a) Allem voran geht der Dienst der Reparationsanleihe. Abge-
sehen vom ersten Reparationsjahre, wo er sich noch nicht voll
auswirkt, beansprucht er nach der Angabe des Generalagenten
bis zu 93 Millionen Goldmark jährlich;
b) die Kosten der Reparationskommission mit der Organisation
für den Dawesplan dürfen im ersten Jahre bis zu 9:4 Millionen
Goldmark, später nur 7% Millionen Goldmark betragen. Davon
sind für die Organe des Dawesplanes 3,7 Millionen Goldmark
vorgesehen. Dieser Betrag darf erhöht werden, wenn es für den
Ausbau der Schiedsgerichte nötig ist;
c) die Interalliierte Rheinlandkommission soll im ersten
Jahre nicht mehr als 10 Millionen Goldmark, die militärische
354
Be ea nicht mehr als 8 Millionen Goldmark ver-
rauchen, Die Beträge für die folgend | ä
eure genden Jahre werden später
d) sodann werden den Vereinigten S
„.d) sod: gten Staaten zur Erstattung der
EEE Kosten ihres Besatzungsheeres jährlich 55 Millionen
re vom 1, September 1926 an gezahlt, bis der Gesamt-
etrag beglichen ist. Diese Abmachung tritt an die Stelle des
sogenannten Wadsworth-Vertrages vom 25. Mai 1923, wonach die
auf 255 ‚Millionen Dollar bezifferten amerikanischen Besatzungs-
kosten in zwölf Jahresraten von 83 Millionen Goldmark vom
31. Dezember 1923 an aus der Reparation zu bezahlen waren;
e) für die rückständigen Besatzungskosten von Frankreich
und England aus der Zeit vor dem 1. Mai 1921 sind besondere
Zuweisungen aus den Annuitäten beginnend mit 15 und steigend
bis zu 30 Millionen Goldmark vorgesehen;
| f) für die laufenden Besatzungskosten des ersten Reparations-
jahres zahlt der Generalagent im voraus eine Pauschalsumme
von 160 Millionen Goldmark. Davon entfallen auf Frankreich
110 Millionen, auf Belgien und England je 25 Millionen Gold-
mark. Die etwa überschießenden Kosten hat jede Macht aus ihrem
Anteil an der Annuität selber zu tragen. Sie darf sie jedoch ihrem
Gesamtanspruch an der Reparation hinzurechnen., Für die späteren
Jahre soll eine neue Regelung eintreten, die noch vor dem
1. September 1925 zu erörtern ist.
Il. Forderungen ohne Vorrecht
Der Betrag der deutschen Annuität, der nach Befriedigung der
F orderungen mit Vorrecht übrig bleibt, wird wie folgt verwendet:
a) 5 Prozent zur Begleichung der belgischen Kriegsschuld.
Hiervon erhalten vorläufig Frankreich 46 Prozent, England
42 Prozent und Belgien selbst für Rechnung seiner Schuld an
Amerika 12 Prozent; |
b) für Restitutionen werden ausgesetzt in den ersten vier
Jahren 1 Prozent des zu verteilenden Gesamtbetrages, in den
späteren Jahren 1 Prozent der ersten Milliarde nach Akad der
Vorrechte und 2 Prozent vom Rest der Annuität, Die Zuweisung
23*
355
sun ee u es ee ee Me ee A
wird auf die Mächte verteilt, welche mit Deutschland Ver.
träge über die Ablösung der Restitution durch Pauschalbeträge
(Substitution) geschlossen haben;
c) belgische Priorität.
Der genaue Restbetrag der Priorität wird von der Reparations-
kommission ermittelt. Im ersten Jahre erhält Belgien jedenfalls
seinen Anteil von 8 Prozent weiter, im zweiten Jahre ebenfalls
8 Prozent monatlich, bis die Priorität vollständig bezahlt ist.
Alsdann wird der belgische Anteil an der Reparation von 8 Prozent
auf 4,5 Prozent herabgesetzt, Mit diesem Zeitpunkt, spätestens
vom 1, September 1926 ab werden die aus dem ursprünglichen
belgischen Anteil freiwerdenden 3% Prozent an Frankreich und
England im Verhältnis von 52 zu 22 über ihre in Spa festgesetzten
Anteile hinaus gezahlt;
d) die Vereinigten Staaten erhalten von der Annuität nach
Abzug der Vorrechte einen Anteil von 2% Prozent, jedoch nicht
mehr als 45 Millionen Goldmark im Jahr. Sie sind mit 2% Prozent
auch an der Verteilung und der gemeinsamen Verwertung der
Eisenhahn- und Industrieobligationen und aller anderen Wert-
papiere beteiligt, die unter dem Dawesplan ausgegeben werden;
e) im übrigen verbleibt es bei den Prozentsätzen von Spa. Diese
betragen, wie wir bereits wissen, für Frankreich 52 Prozent, für
England 22 Prozent, für Italien 10 Prozent, für Serbien 5 Prozent.
Die Finanzkonferenz hat außerdem noch eine Reihe von
Einzelheiten geregelt. Darunter ist wichtig, daß für die restlichen
Forderungen der Alliierten aus dem Ausgleichsverfahren (clearing)
in den ersten vier Jahren keine besonderen Beträge zurückgestellt
werden, Die interessierten Mächte sind vielmehr zur Befriedigung
ihrer Ansprüche auf das deutsche Privateigentum verwiesen, das
sie nach den Bestimmungen des Vertrages von Versailles liqui-
dieren dürfen.
DIE ERGEBNISSE DES ERSTEN JAHRES
Mit dem 31, August 1925 war das erste Jahr der Ausführung
des Dawesplanes abgeschlossen. Seine Ergebnisse liegen ziffern-
mäßig vor. )
356
Ueber den Eingang der ersten Annuität ist nicht viel zu sagen.
Sie setzt sich zusammen aus dem Erlös der Reparationsanleihe,
die bei ihrer Ausgabe im Herbst 1924 rund 801 Millionen Gold-
mark in die Reparationskasse geliefert hat, und aus dem Beitrag
der Reichsbahn-Gesellschaft von 200 Millionen Goldmark, der
pünktlich gezahlt ist. Von Interesse aber ist es, die Erträge fest-
zustellen, welche die Zweige der deutschen Wirtschaft und des
Reichshaushaltes, die nach dem Dawesplan von nun an die jähr-
lichen Leistungen aufbringen müssen, im ersten Reparationsjahr
abgeworfen haben.
Die Reichsbahn-Gesellschaft hat ihren Betrieb erst am1. Oktober
1924 begonnen, In den elf Monaten bis zum 31. August hatte sie
folgendes Betriebsergebnis: | |
| Reichsmark
Betriebseinnahmen . . . . . 2. .2..,4033 050 000
Nach Bestreitung der Betriebsausgaben ver- |
bleiben ui mn. ea SEN
Davon gehen ab; Reichsmark
Außerordentliche Ausgaben . 268 016 000
FT iD a ie 7 700 000
Dienst der Reparationsanleihe 200 095 000 475 811 000
Somit bleibt ein Ueberschuß von . . . . 289 255 000
der zu Rückstellungen verwendet wird.
Dieses Ergebnis wurde erreicht, obwohl der Güterverkehr im Zu-
sammenhang mit den allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnissen
in Deutschland daniederlag und die Ausgaben der Gesellschaft
für Gehälter, Löhne und Pensionen sehr stark anwuchsen. Bei
einer normalen Entwicklung des Verkehrs in der Folgezeit ist zu
hoffen, daß auch der künftighin wesentlich höhere Beitrag der
Gesellschaft zu der Reparationslast — 1925/26 schon 595 Millionen
und von 1927/28 an ständig 660 Millionen Goldmark — aus dem
Betrieb der Gesellschaft aufgebracht werden kann.
Die Reichssteuer auf den Eisenbahnverkehr — Verkehrs-
steuer — wird im zweiten Reparationsjahre mit 250 Millionen,
357
vom dritten Jahre an mit 290 Millionen zur Reparation heran-
gezogen, Sie hat im ersten Jahre insgesamt 280 Millionen Gold-
mark erbracht.
Die deutsche Industrie war im ersten Jahre noch nicht be-
lastet, Ihre Zahlungen setzen im zweiten Jahre mit 125 Millionen
ein, steigen im dritten Jahre auf 250 Millionen und betragen vom
vierten Jahre an ständig 300 Millionen Goldmark, Wie sie sich
wirtschaftlich auswirken werden, darüber läßt sich zurzeit nichts
sagen. Da diese Last aber eine erste Hypothek auf die gesamte
deutsche Wirtschaft mit Ausnahme der Landwirtschaft darstellt,
wird sie unter allen Umständen aufgebracht werden müssen.
Die unter dem Dawesplan verpfändeten Reichseinnahmen
haben im ersten Jahre folgende Erträge abgeworfen:
Zölle: . . . . .. .453.— Millionen Reichsmark
Tabaksisier . . '. 584,70 I i
massamer 0.2.0230 a „
Zuckersteuer . . . 264.— * ”
Branntweinmonopol. 164.40 i
insgesamt . 1699.10 Millionen Reichsmark
Sie verbleiben im zweiten Jahre noch ganz dem Reich und
werden erst vom fünften Jahre ab mit der vollen Höhe von
1250 Millionen Goldmark für die Reparation herangezogen.
Wenn nicht außergewöhnlich ungünstige Verhältnisse ein-
treten, ist zu erwarten, daß sie über die Reparationsquote hinaus
noch erhebliche Einnahmen für den Reichshaushalt selber ab-
werfen werden,
Nach dem Bericht des Generalagenten sind die Eingänge des
ersten Reparationsjahres von 1000 Millionen Goldmark wie folgt
verwendet worden:
Für Forderungen mit Vorrecht:
Dienst der Anleihe . 77,50 Millionen Goldmark
Kosten der Kommissionen . 26,50 A h
Besatzungskosten. . . . . 187.40 . a
im ganzen . 291.40 Millionen Goldmark
%
358
Der Generalagent hatte am 31. August 1925 insgesamt
893 Millionen Goldmark ausgezahlt, während die restlichen
107 Millionen noch unverrechnet in seiner Kasse lagen.
Einschließlich des noch nicht verteilten Betrages entfallen
von den Zahlungen des ersten Jahres auf:
Frankreich . . . . .. 00000 Ge
Ensland., : ©, . 00 on e
Italien. .. .......0.0000 20 ee N
Belgien... 2, ea 00 x
Serbien...) US SR ee
Für Sachleistungen waren am 31. August
im ganzen ausgegeben . . . . . . 420 Millionen
Davon haben beansprucht:
Kohle, Koks und ihre
Nebenprodukte . . 217.20 Millionen
Transportkosten
0 A #
Chemische Dünge-
Imsttel: 0 0 ee u
Farbstoffe und phar-
mazeutische Waren 26.20 R
Verschiedene Liefe-
rungen. . » 2, 00 RS
Die Einfuhrabgabe (Reparation Reco-
very Act) hat erfordert. . . . . . 180 Millionen
wovon für England . . 155 Millionen
für Frankreich . . . . 23 “
Aus den Ziffern der Ergebnisse des ersten Reparationsjahres
lernen wir manches:
Sachleistungen und Einfuhrabgabe haben zusammen fast den
gesamten Betrag der Annuität erreicht, der nach Abzug der
bevorrechteten Forderungen zur Verteilung blieb. Eine Ueber-
359
weisung von baren Geldern hat sich daher im ersten Jahre so gut
wie ganz erübrigt, | |
Die Pflichtlieferungen aus dem Vertrage von Versailles an
Kohlen, Farbstoffen und Düngemitteln stellen bei weitem den
größten Teil der Sachleistungen dar. |
Im sogenannten freien Verkehr sind sonstige Waren aus
Deutschland nur in der verhältnismäßig geringen Höhe von
18,40 Millionen geliefert und davon hat Serbien mit 30 Millionen
den Hauptanteil erhalten, der große Gläubiger Frankreich nur
20 Millionen Goldmark.
TEILV
DER AUSBLICK AUF DAS ZIEL
ZWEIUNDDREISSIGSTES KAPITEL
DAS TRANSFERPROBLEM
Die Leistungen Deutschlands für die Reparation sind durch
den Dawesplan genau begrenzt. Die normale Annuität von
2” Milliarden Goldmark kann sich vom 1. September 1929 an bei
einer Besserung der deutschen Wirtschaft nach dem Schlüssel des
Index erhöhen. Nach etwa sechsunddreißig Jahren fällt durch die
Tilgung der Eisenbahn- und Industrieschuld ein erheblicher Teil
der Annuität in Höhe von 960 Millionen Goldmark hinweg. Was
dann mit dem Rest der Annuität geschehen soll, darüber sagt der
Dawesplan nichts. Soweit also die deutsche Leistung in Betracht
kommt, könnte das Reparationsproblem auf absehbare Zeit als
gelöst gelten. Denn Deutschland erfüllt seine Pflicht damit, daß
es die jeweils fälligen Beträge in seiner eigenen Währung, der
Reichsmark, in die Kasse des Generalagenten einzahlt,
Die Frage ist nur, ob Deutschland in der Lage sein wird, jahr-
aus, jahrein die von ihm verlangten Zahlungen aufzubringen. Nach
den Ergebnissen des ersten Reparationsjahres wird man sagen
müssen, daß Aussicht dafür vorhanden ist, wenn die allgemeinen
Verhältnisse in Deutschland und in der Welt sich in Ruhe weiter-
entwickeln. Eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür ist, daß
die neue deutsche Währung stabil bleibt, daß also die Reichsmark
nicht eine Entwertung erleidet, welche etwa die Reparationslast
des Haushalts und der Wirtschaft erheblich erschweren könnte.
Dafür zu sorgen, ist die erste Aufgabe der Reichsbank. Zugleich
muß aber auch das Transferkomitee darüber wachen, daß durch
den Reparationsdienst die deutsche Währung nicht gefährdet wird.
363
“ Re
Das erste Reparationsjahr gibt in dieser Hinsicht noch keinen
Anlaß zu Befürchtungen. Durch eine energische und vorsichtige
Diskont- und Kreditpolitik und dank der Reparationsanleihe
steht die Reichsbank heute stark da. Nach ihrem Ausweis vom
31. August verfügte sie über einen Bestand an Gold in Höhe von
1138 Millionen Reichsmark. Das bedeutet gegenüber dem Tief-
punkte des Goldbestandes der alten Reichsbank von 444 Millionen
im Jahre 1923 einen Zuwachs von 694 Millionen Reichsmark. Seit
der Errichtung der neuen Reichsbank am 11. Oktober 1924 ist der
Goldbestand um 543 Millionen Reichsmark gewachsen. Daneben
zeigt der Ausweis Devisen in Höhe von 357 Millionen Reichsmark,
die zur weiteren Deckung der Reichsbanknoten dienen. Der ge-
samte Umlauf von 2594 Millionen Reichsbanknoten war daher am
31, August 1925 durch Gold allein mit 43.9 Prozent, durch Gold
und Devisen zusammen mit 57.7 Prozent gedeckt.
Die Reichsmark hat seit anderthalb Jahren in ihrer inter-
nationalen Bewertung so gut wie gar nicht mehr geschwankt. Sie
ist zur Zeit mit der Goldmark vollkommen identisch.
Auch der Reichshaushalt befindet sich am Schlusse des ersten
Reparationsjahres in günstiger Lage. Das Gleichgewicht zwischen
Ausgaben und Einnahmen ist erhalten geblieben. Mehr als das:
das Reich erzielte schon in dem am 31. März 1925 abgelaufenen
Rechnungsjahre — das freilich noch immer nicht abgeschlossen
ist — gegenüber dem Voranschlag einen Ueberschuß, so daß eine
Reihe von Verpflichtungen nach innen und außen befriedigt
werden konnte, Das neue Rechnungsjahr verläuft bisher ähnlich.
Die ersten fünf Monate des Haushalts bis zum 31. August 1925
zeigen gegenüber dem Voranschlag von 2669 Millionen Reichs-
mark einen Mehreingang an Steuern und sonstigen Einnahmen
von insgesamt 392 Millionen Reichsmark, das heißt von etwa
15 Prozent. Allerdings war dieses Ergebnis nur dadurch möglich,
daß die Wirtschaft mit Steuern in einem Maße und in einer Weise
belastet wurde, die auf die Dauer nicht zu tragen sind. Bis zu
einem gewissen Grade hat die notwendige Steuerreform bereits
begonnen. Sie muß fortgesetzt werden und dann erst wird sich
zeigen, ob die eigenen Bedürfnisse des Reichshaushalts aus den
>
364
Einnahmen gedeckt werden können, welche nicht für die Rep:
ration verpfändet sind.
Von dieser Frage hängt es im wesentlichen ab, ob Deutschland
auf die Dauer imstande sein wird, den Verpflichtungen unter dem
Dawesplan nachzukommen. Das aber ist, wie die Sachverständigen
selber in ihrem Plane ausgeführt haben, nur die eine Seite der
Reparation. Es kommt nicht nur darauf an, daß Deutschland seine
Last in Reichsmark trägt und zahlt. Für die Alliierten ist vor
allem wichtig, die deutsche Zahlung so zu erhalten, daß es ihnen
möglich ist, sie für ihre Zwecke zu verwerten, Dazu ist nötig, daß
die in der Reparationskasse ruhenden Reichsmark entweder zur
Bezahlung deutscher Leistungen an die Gläubigerländer benutzt
oder in eine fremde Währung übertragen werden, Soweit auf
diesen beiden Wegen der Reparationsfonds keine Verwendung
findet, bleiben die Gelder in ihm liegen und häufen sich nach und
nach an. Das verschafft zwar der deutschen Wirtschaft billiges
Geld, muß aber schließlich zu schweren Unzuträglichkeiten führen.
Die Alliierten werden es nicht in Ruhe ansehen, daß die Reichs-
mark im Reparationstopf die Höchstgrenze von 5 Milliarden Gold-
mark erreichen. Sie werden noch größere Schwierigkeiten machen,
wenn etwa — wie der Dawesplan es vorsieht — die deutsche
Jahresleistung so weit herabgesetzt werden soll, wie es nötig ist,
um die 5 Milliarden des Reichsmarkfonds nicht weiter an-
schwellen zu lassen, |
Sie werden vielmehr alle Mittel versuchen, zu ihrem Gelde zu
kommen. Es gehört nicht viel Phantasie oder Menschenkenntnis
dazu, sich auszumalen, was für Streitigkeiten dann zwischen den
einzelnen Alliierten, in der Reparationskommission und innerhalb
des Transferkomitees entstehen werden. Vor allem wird Deutsch-
land darunter zu leiden haben. Man wird seiner Regierung oder
bestimmten deutschen Wirtschaftsgruppen vorwerfen, daß sie dem
Transfer Hindernisse bereiten. |
Dieses sogenannte Transferproblem ist das große Rätsel, über
das sich Berufene und Unberufene seit geraumer Zeit den Kopf
zerbrechen, Der Dawesplan hat die Aufgabe, die Uebertragung der
Reparationsgelder durchzuführen, in die Hände des Transter-
365
komitees gelegt. Es besteht nur aus Vertretern der Gläubiger-
staaten. Deutschland ist dabei nicht beteiligt. Daher ist es aus-
schließlich Sache der Gläubiger, alle für den Transfer erforder-
lichen Maßnahmen zu treffen, Die deutsche Regierung und die
Reichsbank sollen aber die Arbeit des Komitees nach Kräften
erleichtern und dürfen nichts tun, was die Möglichkeiten des
Transfer beeinträchtigen könnte,
Der Dawesplan sagt selber, daß es nötig sein wird, die Repa-
rationsgelder in den ersten zwei Jahren fast ausschließlich in
Deutschland wieder auszugeben, So lange käme also der Transfer
von Geld, d, h, die Umwandlung von Reichsmark in fremde
Währung grundsätzlich nicht in Betracht. Von dieser Regel ist
natürlich zunächst der Dienst der Reparationsanleihe ausge-
nommen, Für ihn müssen die nötigen Devisen ohne Rücksicht auf
die deutsche Währung beschafft werden.
Ferner sind mäßige Beträge für Verwaltungsausgaben — etwa
30 Millionen Goldmark — in fremder Währung aus der Repa-
rationskasse zu bestreiten, Abgesehen davon ist es die Politik
des Generalagenten und des Transferkomitees, in den ersten zwei
Jahren alle Ausgaben aus der Reparationskasse in Reichsmark
und innerhalb Deutschlands zu machen, Gegen diesen Grundsatz
arbeiten jedoch die englischen und französischen Maßnahmen aus
den Reparation Recovery Acts — den Einfuhrabgaben auf deutsche
Waren. Damit werden der deutschen Wirtschaft jährlich einige
hundert Millionen Goldmark in Devisen entzogen, die der deutsche
Ausfuhrhandel über die Reichsbank oder direkt an die Regierungen
der beiden Länder abführt, um den Gegenwert in Reichsmark aus
der Reparationskasse wiederzuerhalten, Die Wirkung ist genau
die gleiche, als ob das Transferkomitee selber mit seinen Reichs-
mark die Devisen im freien Markte ankaufte, Wir haben also doch
schon jetzt damit zu rechnen, daß für die Zwecke der Anleihe,
der Verwaltung und der Einfuhrabgaben mindestens 300 Millionen
Goldmark jährlich in fremde Währung übertragen werden.
Im dritten Reparationsjahre, wo die Annuität 1200 Millionen
Goldmark beträgt, wird die Transferfrage nicht wesentlich anders
liegen als jetzt. Erst im vierten Jahre, also in zwei Jahren von
366
%*
heute ab, wird das Programm wirklich ernsthaft werden. Die
Schwierigkeiten werden noch wachsen, wenn vom 1. September
1928 ab die volle Annuität von 2500 Millionen Goldmark zu
zahlen ist. Man macht sich das Problem am besten an Zahlen
klar. Heute werden, wie gesagt, unter dem Dawesplan rund 300
Millionen Goldmark transferiert, Dazu kommen etwa 400 bis
300 Millionen Goldmark für Sachleistungen. Die Besatzungskosten,
Kommissionen usw, erfordern weitere rund 200 Millionen Gold-
mark. Damit ist über die erste Annuität von 1000 Millionen ver-
fügt, Nehmen wir einmal an, diese Posten bleiben, wie sie sind.
Dann würden von der vollen Annuität von 2500 Millionen für den
eigentlichen Transfer, d, h, für den Ankauf von Devisen gegen
Reichsmark noch 1500 Millionen Goldmark jährlich in der Repa-
rationskasse übrig sein. Wenn man erwägt, daß die jährliche
Zahlung Englands zur Verzinsung und Tilgung seiner Schuld an
die Vereinigten Staaten nur 500 Millionen Goldmark ausmacht,
aber doch schon eine schwere Belastung für Budget und Währung
darstellt, so erscheint die Frage, ob das ungleich ärmere Deutsch-
land imstande sein wird, neben den Reparationsleistungen, die es
schon heute ausführt, später jährlich dreimal so viel wie England
an seine Gläubiger in fremdem Gelde zu überweisen, in einem
recht ernsten Licht.
Viele hervorragende Kenner der Volkswirtschaft sind der
Ansicht, daß die Uebertragung der deutschen Reparationsschuld
in diesem Ausmaß nicht möglich sein wird, und daß bei einem
ernsthaften Versuche des Transferkomitees, derartig hohe Be-
träge fremder Währung durch Markverkäufe anzuschaffen, die
deutsche Währung wiederum zusammenbrechen müßte, Diese
Stimmen kommen nicht nur aus Deutschland und den an der
Reparation unbeteiligten Ländern, sondern in immer größerer
Zahl auch aus den Gläubigerländern, mit Einschluß der Ver-
einigten Staaten. Mehr und mehr setzt sich in der ganzen Welt
die Ueberzeugung durch, daß letzten Endes jedes Land Zahlungen
an das Ausland, für die es keine Gegenleistung erhält, nur aus
dem Ueberschusse seiner Produktion leisten kann, das heißt nur
in Höhe des Betrages, den es in Waren oder Leistungen in das
367
Ausland absetzen kann, nachdem der notwendige Bedarf des In-
landes befriedigt ist. Will man die Möglichkeiten solcher Ueber-
schüsse abschätzen, so darf man sich freilich nicht auf die reinen
Zahlen der offiziellen Handelsstatistik beschränken, Man muß
vielmehr die Begriffe Einfuhr und Ausfuhr in ihrem weitesten
Sinne auffassen und in die Handelsbilanz alle Posten einstellen,
die in Zahlen nicht ohne weiteres zu greifen sind, wie inter-
nationaler Frachtverkehr, Reiseverkehr, Einkünfte aus Anlagen im
Ausland usw.
Nur durch Ausfuhr deutscher Güter oder durch Leistung
deutscher Dienste ins Ausland werden deutsche Guthaben im
Ausland geschaffen. Nur so werden Devisen verfügbar, die für
die Umwandlung der Reichsmark des Reparationsfonds in fremde
Währung in Betracht kommen, Die Devisen dürfen dazu aber nur
insoweit benutzt werden, als sie nicht zur Bezahlung des wich-
tigsten deutschen Einfuhrbedarfs nötig sind. Der Ankauf von
Devisen für die Reparation ohne Rücksicht auf den deutschen
Einfuhrbedarf muß, wie die Geschichte der Reparation deutlich
zeigt, die deutsche Währung gefährden und schließlich verwüsten.
Das alles haben die Verfasser des Dawesplanes klar erkannt und
deshalb haben sie dem Transferkomitee auch vorgeschrieben, daß
es bei seiner Tätigkeit in erster Linie darauf achten muß, daß die
deutsche Währung stabil bleibt. Es ist nun interessant, festzu-
stellen, daß diese Erkenntnis jetzt auch in den alliierten Ländern
überall’ da, wo von dem Transfer gesprochen oder geschrieben
wird, als oberster Grundsatz gilt. Systematisch wird mit dem Irr-
glauben aufgeräumt, daß der Dawesplan durch die Festsetzung der
deutschen Annuität die ganze Reparation geregelt habe, und daß
die Umwandlung von Reichsmark in die Währung der alliierten
Länder nur eine Sache bankmäßiger Technik sei. Es wird dabei
stark betont, daß der Dawesplan die Transferfrage absichtlich
olfengelassen und nur die Maschinerie dazu in Gestalt der
Organisation für die technische Durchführung des Transfer ge-
schaffen habe,
Wie sehr das Transferproblem zur Zeit das allgemeine Interesse
im internationalen Geschäftsleben anzieht, läßt sich am besten
368
x
daran erkennen, daß es den Hauptgegenstand in der Tagung der
Internationalen Handelskammer vom 21. bis 27, Juni 1925 in
Brüssel gebildet hat. Die Gründung dieser Organisation wurde im
Jahre 1919 auf einer Wirtschaftskonferenz der amerikanischen
Handelskammer in Atlantic City beschlossen, Sie hatte zunächst
einen rein alliierten Anstrich. Nach und nach sind ihr jedoch die
Handelskammern fast aller wichtigen Länder beigetreten. Ihr
Zweck ist, den internationalen Handelsverkehr zu erleichtern, den
Fortschritt und die Aufrechterhaltung des Friedens zu fördern.
und freundschaftliche Beziehungen zwischen den Völkern zu
sichern. Sie hält alle zwei Jahre Kongresse ab. Bekannt ist vor
allem der Kongreß in Rom vom März 1923, wo Beschlüsse über
den Wiederaufbau der Welt, über Reparation und interalliierte
Schulden gefaßt wurden. Im Anschluß daran errichtete die
Handelskammer ein „Komitee für den wirtschaftlichen Wieder-
aufbau“ unter dem Vorsitz des amerikanischen Bankpräsidenten
Fred J. Kent. Nach der Annahme des Dawesplanes wurde das.
Komitee erweitert. Zu ihm gehören auch Mitglieder der Komitees
von Dawes und Mc Kenna: Mario Alberti, Alberto Pirelli, Henry
M. Robinson, Sir Josiah Stamp, Owen D. Young. Das Komitee
wandte sein Hauptinteresse der Erforschung des Transferproblems
zu. Es beauftragte Sir Josiah Stamp, Alberto Pirelli und Graf
Andre Chalendar, den Transfergedanken eingehend zu studieren
und dabei besonders die Frage zu berücksichtigen, ob die Repa-
ration dazu benutzt werden könne, wirtschaftliche Unternehmungen
großen Stils durchzuführen. Der Bericht von Stamp, Pirelli und
Chalendar wurde der Konferenz der Internationalen Handels-
kammer in Brüssel unter dem Titel „Reparationszahlungen und
künftiger internationaler Handel“ vorgelegt. Er zerfällt in einen
ersten allgemeinen Teil, der von allen drei Berichterstattern unter-
zeichnet ist, und in einen besonderen Teil, der nur die Unter-
schrift von Stamp trägt. Diese Zweiteilung rührt davon her, daß
es bei dem großen Rätsel des Transfer wohl möglich ist, sich über
allgemeine Thesen zu einigen, daß aber die Meinungen sofort aus-
einandergehen, sobald es sich um bestimmte Vorschläge für die
Durchführung des Transfer handelt. Solche Vorschläge hat Stamp
Bergmann, Der Weg der Reparation 24 369
in dem besonderen Teile des Berichts gemacht und im einzelnen
begründet.
An dem Transferproblem fesselt die Aufmerksamkeit des Aus-
landes vor allem die Frage, welche Rückwirkung es auf die Wirt-
schaftsordnung der Welt haben müßte, wenn Deutschland seine
Ausfuhr soweit ausbreitet, daß aus ihr die zur Uebertragung der
2* Milliarden Goldmark nötigen Devisen gewonnen werden
können, Schon jetzt, wo die deutsche Handelsbilanz, im weitesten
Sinne genommen, noch passiv ist und die Zahlung von Devisen
aus dem Reparationsfonds auf einen mäßigen Betrag beschränkt
bleibt, wird die deutsche Energie bei der Konkurrenz auf den
Weltmärkten allgemein gefürchtet, Wird aber erst einmal der
Transfer von Reparationsgeldern in großem Umfange nötig, dann
muß die Ausfuhr Deutschlands sich in einer Weise entfalten, der
die großen Industriestaaten der Welt nur mit schwerer Sorge ent-
gegensehen. Nun sind aber gerade diese Staaten zugleich die
Hauptgläubiger Deutschlands aus der Reparation. Wenn sie den
Transfer sichern wollen, so müssen sie die deutsche Ausfuhr be-
günstigen. Tun sie das aber, so handeln sie gegen die Interessen
ihrer eigenen Ausfuhrindustrien. Dies Dilemma ist es, was der Be-
handlung der Transferfrage im Ausland eine besondere Note gibt.
Wir haben uns daher mit folgender Fragenkette zu be-
schäftigen: Wie läßt sich die deutsche Erzeugung steigern, damit
aus ihr die für den Transfer der Annuität von 2% Milliarden
Goldmark nötigen Devisen zu gewinnen sind?
Welche Widerstände würde ein so stark gesteigerter Absatz
deutscher Güter und Leistungen in der Welt finden?
Wie sind solche Schwierigkeiten zu überwinden oder zu ver-
meiden?
Das sind die gleichen Fragen, die schon die deutschen
Sachverständigen in ihrem Gutachten über die wirtschaftlichen
Wirkungen der Pariser Beschlüsse vom 29, Januar 1921 eingehend
erörtert hatten. Damals handelte es sich freilich um jährliche
Reparationslasten bis zu 6 Milliarden Goldmark, wozu noch
370
12 Prozent der deutschen Ausfuhr kamen, und da lautete die
Antwort ganz einfach: „Unmöglich!”
Aber von den Zahlen ganz abgesehen, haben die wirtschaft-
lichen Grundsätze, zu denen sich die Sachverständigen im Früh-
jahr 1921 bekannten, auch für den Dawesplan ihre Bedeutung
behalten.
Für die Brüsseler Tagung der Internationalen Handelskammer
hat Sir Josiah Stamp die Beantwortung der genannten Fragen
unternommen. In seiner scharfsinnigen und tiefgründigen Weise
stellt er ganz im Einklang mit dem früheren Urteil der deutschen
Sachverständigen fest, daß der Transfer nur geringe Aussichten
hat, wenn man von den Zahlen des deutschen Handels vor dem
Kriege ausgeht und dazu noch die wirtschaftlichen Verluste
Deutschlands im Kriege und nach dem Kriege in Betracht zieht,
Stamp lehnt jedoch diese Grundlage als ungeeignet ab, Er ver-
sucht nachzuweisen, daß der deutschen Ausfuhr jetzt eine größere
Entwicklung offensteht, weil die Verhältnisse ganz anders ge-
worden sind. Dafür zählt er eine Reihe von Gründen auf:
1. Der Wert des Goldes ist um 60 Prozent gesunken. Die
Zahlung von 2% Milliarden Goldmark erfordert in Zukunft eine
entsprechend geringere Leistung, weil bei den stark gestiegenen
Preisen viel weniger Waren dazu gehören, einen Wert von
2”* Milliarden darzustellen, als vor dem Kriege,
2, Der Ausbau der deutschen Industrieanlagen, vor allem der
Wasserkräfte, macht es Deutschland möglich, viel mehr zu pro-
. duzieren als früher.
3. Die wirtschaftlich wenig produktive Kriegsindustrie ist in
Deutschland zum großen Teil weggefallen. Es kann mit den so
freigewordenen Kräften neue Werte für die Ausfuhr schaffen,
4. Die deutschen Arbeitskräfte haben durch den Wegfall der
bei der Markentwertung ruinierten Rentnerklasse einen großen
Zuwachs gewonnen,
5. Deutschland besitzt auch jetzt noch im Ausland Eigentum
und Guthaben, deren Erträge dem Transfer zugute kommen.
er 371
6. Eine wichtige Erwerbsquelle liegt darin, daß die deutsche
Industrie ihre technische und wirtschaftliche Erfahrung durch
Leistungen und Patentabgaben im Ausland verwerten wird.
7. Endlich gibt schon die Tatsache der großen Verschuldung ins
Ausland einen kräftigen Antrieb dahin, daß Deutschland selbst
alle Mittel in Bewegung setzt, die Schuld abzutragen. Kapital, das
unter anderen Verhältnissen im Inland angelegt werden würde,
geht so ins Ausland und schafft daselbst neue deutsche Guthaben.
Trotz alledem kommt auch Stamp zu dem Schluß, daß die Aus-
breitung der deutschen Ausfuhr von Waren und Leistungen auf
normalem Wege wahrscheinlich nicht dazu ausreichen wird, den
Transfer der gesamten 2% Milliarden des Dawesplanes zu sichern.
Denn dem Absatz deutscher Werte im Ausland sind natürliche
Grenzen gesetzt. Selbst wenn es Deutschland gelänge, seine Pro-
duktion so zu steigern, wie es nötig wäre, um einen Ueberschuß
von 2% Milliarden zu erzielen, würde es nicht möglich sein, ihn
zu verwerten. Das liege in der Eigenart der deutschen Ausfuhr
begründet. Sie bestehe in der Hauptsache nicht aus Waren, die
alle Welt braucht und glatt zu stetigen Preisen aufnimmt, wie
Weizen und Vieh, sondern aus industriellen Fertigwaren, deren
Markt beschränkt ist und deren Massenangebot sofort die Preise
drücken und bald gar keine Nachfrage mehr finden würde. Damit
würde aber der deutsche Handel schwer geschädigt und der ge-
samte Weltmarkt in Verwirrung gebracht. Alle Länder, die mit
Deutschland in der Ausfuhr von Fertigwaren wetteifern, würden
sich im Interesse ihrer eigenen Industrie dagegen wehren, daß die
deutsche Ausfuhr hemmungslos ausgreife, ohne Rücksicht auf die
bestehende Ordnung in den verschiedenen Absatzgebieten der
Welt zu nehmen.
Die Richtigkeit dieser Erwägungen leuchtet ohne weiteres ein.
Je mehr sich die deutsche Ausfuhr entwickelt, um so größere
Widerstände wird sie im Auslande finden. Der Kampf, den die
französische Industrie von jeher gegen die Lieferung deutscher
Waren nach Frankreich auf Reparationskonto geführt hat, wird
sich in der ganzen Welt in weit größerem Maßstabe wiederholen.
Schon jetzt sind die meisten Länder, an ihrer Spitze die Ver-
372
*
einigten Staaten von Amerika, sorgsam darauf bedacht, ihre eigene
Industrie durch hohe Schutzzölle gegen die Unterbietung aus
Ländern mit billigeren Arbeitskräften zu schützen. Eine solche
Handelspolitik ist aber, wenn sie zum allgemeinen System erhoben
wird, der ärgste Feind der Reparation, weil sie es Deutschland
. von vornherein unmöglich macht, durch Hebung seiner Ausfuhr
die für den Transfer nötigen Devisen zu erwerben.
In einer viel beachteten Ansprache an den Brüsseler Kongreß
hat Stamp dieses Thema noch eindringlicher behandelt und
folgende Lehren daraus gezogen:
„Jeder Staat, dem daran liegt, im allgemeinen Interesse des
Landes Reparation einzuzieben und damit die Steuerlast des
Landes zu erleichtern, handelt verkehrt, wenn er zu gleicher Zeit
versucht, die Grenzen gegen die Einfuhr von Waren aus dem
Schuldnerland durch Schutzzölle und sonstige Schranken abzu-
schließen. Das Interesse des ganzen Volkes an der Reparation
ist nun einmal im Widerstreit mit dem Einzelinteresse der
Industrien, die sich von der fremden Konkurrenz beeinträchtigt
fühlen. Der Schuldner hat keine Wahl. Er kann seine Schuld nur
durch den Ertrag seiner Ausfuhr begleichen. Je größer die Schuld,
desto mehr muß er die Ausfuhr steigern. In dem Maße, wie seine
Waren vom Weltmarkt ausgeschlossen werden, sinkt seine Fähig-
keit, die Schuld zu bezahlen. Daher muß der Gläubiger zwischen
zwei Dingen wählen. Entweder muß er seine Industrie schützen
und auf Reparation verzichten, oder er muß, wenn er Reparation
haben will, die Bedenken seiner Industrien zurückstellen.”
Bei der Warnung allein läßt es Stamp nicht bewenden. Weil
die Konkurrenz auf den Weltmärkten die deutsche Ausfuhr und
damit die Reparation bedroht, suchte er nach Mitteln, der Kon-
kurrenz aus dem Wege zu gehen. Er lehrt:
„Wenn der Strom der Waren aus Deutschland durch die alten
“Kanäle fließt, die für ganz andere Verhältnisse bestimmt waren,
wird er sie überfluten und zerstören. Man muß daher für den
Abfluß der deutschen Waren neue Kanäle schaffen und für die
Verwendung der deutschen Arbeit im Ausland neue Wege finden.
Das ist nur möglich bei internationaler Zusammenarbeit nach einem
373
bestimmten Programm. Es kommt nicht darauf an, neuen Bedarf
für Gebrauchsgüter zu finden, um unmittelbaren Bedürfnissen zu
genügen, sondern es soll Nachfrage nach solchen deutschenGütern
und Leistungen entstehen, die dauernde Kapitalwerte schaffen
In den Berichten für die Brüsseler Konferenz der Inter-
nationalen Handelskammer sind folgende vier Methoden dafür
angegeben, wie der Reparationsfonds an die Gläubiger überwiesen
werden kann:
1. Ausbreitung der deutschen Ausfuhr auf den allgemeinen
Weltmärkten in der hergebrachten Weise ohne besondere Organi-
sation oder Mitarbeit der Gläubigerländer. Das sei der ideale und
wünschenswerte Weg, der direkte Geldzahlungen für die Repa-
ration möglich macht.
2. Abkommen zwischen den einzelnen Gläubigerländern und
Deutschland über Sachleistungen. }
3. Internationale Zusammenarbeit bei großen Unternehmungen
von öffentlichem Interesse,
4. Verkauf von Eisenbahn-, Industrie- und sonstigen deutschen
Schuldverschreibungen auf den internationalen Märkten und Kauf
von deutschen Werten zu dauernder Anlage in Deutschland durch
nichtalliierte Privatpersonen, Das biete den Vorteil, daß sogleich
ein Teil des Kapitals der Reparationsschuld überwiesen und
getilgt werden könne. Allerdings führten derartige Anlagen in
deutschen Werten eine neue Verschuldung Deutschlands herbei,
die wiederum verzinst und getilgt werden müsse, Aber die daraus
entstehende Last verteile sich auf viele Jahre und könne später
übertragen werden, wenn die Reparationsschuld nicht mehr so
stark wie jetzt auf Deutschland drücke.
An dieser Aufstellung ist neu die Methode zu 3, die Lehre von
den sogenannten Assisted Schemes. Sie soll die deutsche Ausfuhr
und die deutsche Arbeit nach solchen Gebieten ableiten, wo sie
keiner Konkurrenz begegnen und alliierten Interessen nicht
schädlich sind. Dieser Gedanke ist in der letzten Zeit besonders
in Amerika auf fruchtbaren Boden gefallen, Stamp hat ihn in
374.
*
seinem Bericht an den Kongreß von Brüssel genauer untersucht.
Er stellt sich die Sache so vor:
In neutralen Ländern, die noch wenig entwickelt sind, oder in
Kolonien der alliierten Länder sollen mit Hilfe von Reparations-
geldern große Unternehmungen durchgeführt werden, wie Eisen-
bahn- und Hafenbauten, Wasserkraftanlagen, Stromregulierungen
usw., die auf andere Weise nicht oder nicht so bald zustande-
kommen könnten. Vorbedingung soll dabei sein, daß das Land,
dessen Entwicklung die geplanten Anlagen dienen, selbst 60 oder
70 Prozent des dazu nötigen Kapitals beschafft, und daß nur die
verbleibenden 40 oder 30 Prozent vom Ausland kommen. In
solchen Fällen würde die alliierte Regierung, welche ein Interesse
an dem Unternehmen hat — zum Beispiel England — ihre zur Zeit
nicht anders verwendbaren Markguthaben in der Reparations-
kasse dazu benutzen, deutsche Waren und deutsche Arbeit für
das Unternehmen heranzuziehen und mit Reichsmark zu bezahlen.
In Höhe dieser Leistungen würde dann das alliierte Land einen
angemessenen Anteil an dem Kapital des neuen Unternehmens
erhalten; Dieser Anteil könnte später veräußert werden, wenn
das Unternehmen die entsprechenden Gewinne abwirft.
Das etwa ist in kurzen Zügen der Grundgedanke der Assisted
Schemes. Es hat gewiß etwas Verlockendes, sich auszumalen, wie
mit Hilfe der Reparation weite Landstriche der Welt, die heute
noch öde und unfruchtbar daliegen, wirtschaftlich aufgeschlossen
werden, Es ist auch wohl möglich, daß sich eine solche Gelegen-
heit von Zeit zu Zeit bietet, wenn alle dazu nötigen Voraus-
setzungen vorliegen. Daß dies aber ein Programm werden soll,
um einen erheblichen Teil der Reparationsschuld abzutragen, ist
doch wohl nur ein Traum und nicht einmal immer ein schöner
Traum, Erweisen sich derart große Unternehmen nach eingehen-
der Prüfung als wirtschaftlich gesund und in der Zukunft rentabel,
so nimmt sie in der Regel der interessierte Staat in die Hand und
finanziert sie durch Ausgabe eigener Anleihen, oder es findet sich
das Privatkapital bereit, sie selbständig durchzuführen, Bestehen
aber an der Ertragsfähigkeit der Unternehmen ernstliche Zweifel,
so wird in den meisten Fällen ein Zuschuß von 30 oder 40 Prozent
375.
der Anlagekosten durch Reparationsgelder auch nicht genügen,
die Ausführung des Unternehmens zu ermöglichen. Es kommt
dabei weniger darauf an, das Kapital für den Bau der Anlage
selbst zusammenzubringen, als Sicherheit dafür zu haben, daß
sich der Betrieb des Unternehmens lohnt. Und wenn das nicht
nachzuweisen ist, werden die 60 oder 70 Prozent des Kapitals,
die von dem interessierten Lande selber aufzubringen sind, ebenso.
wenig bereitstehen, als wenn das Land die gesamten Kosten selber
bestreiten müßte, Kommt aber trotzdem das Unternehmen zu-
stande, so besteht die Gefahr, daß die Zuschüsse von beiden
Seiten verloren gehen. Dann nützt das Unternehmen weder dem
eigenen Lande noch den Staaten, welche einen Teil ihrer Repa-
rationsforderungen dazu hergeben wollen, Man vergleicht die
Förderung solcher Kulturpläne durch die Reparation ganz richtig
mit der Anzucht von Pflanzen im Treibhaus. Hier und da muß
man sich davor hüten, durch übermäßige Zufuhr von Wärme
und Nährstoffen ein zu schnelles und ungesundes Wachstum zu
erzielen, |
Aber auch das deutsche Interesse kann in solchen F ragen nicht
außer acht bleiben, Es ist klar, daß die deutschen Waren und die
deutsche Arbeit, die herangezogen werden sollen, nur im Wege der
freien Vereinbarung und niemals durch Zwang zu gewinnen sind,
In den Fällen, wo sich deutscher Unternehmungsgeist für große
Anlagen im Ausland einsetzt,.wird es ihm weniger darauf an-
kommen, Waren zu verkaufen oder Arbeiten gegen Bezahlung
auszuführen, als vielmehr darauf, sich dauernd an den Unter-
nehmen zu beteiligen. Diese Möglichkeit ist bei den Assisted
Schemes grundsätzlich ausgeschlossen, Die deutsche Leistung wird
mit der Bezahlung aus Reparationsgeldern abgelohnt. Der Gewinn,
den sie dem Unternehmen bringt, fällt einem alliierten Staate zu.
Auf diese Weise läßt sich die deutsche Mitwirkung bei solchen
Plänen nicht systematisch heranziehen, Freilich können die Um-
stände so liegen, daß ein größeres deutsches Interesse an einem
solchen Unternehmen nicht besteht. Aber das werden immer nur
vereinzelte Fälle sein. Ein allgemeines Schema zur Anwendung
im großen Stile kann man daraus nicht machen,
376
Aehnliche Bedenken sind auch im Schoße des Wiederauf-
baukomitees der Internationalen Handelskammer laut geworden.
Pirelli hat bei den Assisted Schemes ausdrücklich den Vorbehalt
gemacht, daß er bezweifele, daß die deutsche Ausfuhr durch künst-
liche Mittel in großem Maßstabe und auf praktische und nützliche
Weise angeregt werden könne, Das Wiederaufbaukomitee selber
hat zwar auch die Methode der Assisted Schemes für möglich er-
klärt, aber hinzugefügt, daß der Gedanke noch gründlicher Prüfung
bedürfe, und daß das letzte Wort darüber jetzt noch nicht ge-
sprochen werden könne,
Der Bericht von Stamp, Pirelli und Chalendar empfahl, eine
ständige Organisation für das Studium der Assisted Schemes zu
schaffen. Der Vorschlag ist aber von dem Komitee nicht weiter
verfolgt worden.
Der Kongreß der Handelskammer hat schließlich in Brüssel
in bezug auf die Transferfrage keine bestimmte Stellung ein-
genommen, sondern nur eine Resolution ganz allgemeiner Art ge-
faßt, die besagt: |
„Die Transferfrage bietet offensichtlich große Schwierigkeiten,
die nur durch wirtschaftliche Erfahrung und beständiges Studium
der Ereignisse überwunden werden können. Es ist wenig wahr-
scheinlich, daß das Problem durch irgendwelche bestimmte Mittel
gelöst werden kann, sondern der Erfolg wird wahrscheinlich nur
auf verschiedenen Wegen zu erreichen sein. Das ist Aufgabe des
Transferkomitees. Es muß dabei von allen Regierungen und von
den geschäftlichen Verbänden der Welt unterstützt werden. Die
Internationale Handelskammer verpflichtet sich zu solcher Mit-
wirkung.‘
Auch der Generalagent Gilbert hat vor der Konferenz in Brüssel
über die Transferfrage gesprochen. Nach seiner Ansicht ist die
Zeit noch nicht reif, sich auf bestimmte Theorien festzulegen.
Es würde töricht sein, wenn irgend jemand jetzt versuchen wollte,
vorauszusagen, welcher Betrag einmal nach drei oder vier Jahren
an die Reparationsgläubiger überwiesen werden kann. Natürlich
müsse man sich klar darüber sein, daß Schwierigkeiten entstehen
können, aber das biete keinen Anlaß zur Mutlosigkeit oder zu
377
düsterer Voraussage, Es gelte vielmehr, durch verständige Zu-
sammenarbeit die Schwierigkeiten zu überwinden, Es sei ein gutes
Zeichen, daß die Welt die Art und den Umfang des Problems
so zeitig erkenne,
Den von Stamp und anderen vorgetragenen Schwierigkeiten
hat Gilbert die Momente entgegengehalten, welche die Lösung
des Problems wesentlich erleichtern können.
In erster Linie glaubt er an die natürlichen Kräfte der wirt-
schaftlichen Entwicklung. Sie würden, wenn man nicht zu viel
künstliche Experimente damit mache, schon in den nächsten
Jahren einen Erfolg bringen können, der alles übertrifft, was man
zurzeit für möglich hält, Das zeige sich schon daran, was diese
Kräfte seit Ende des Krieges für die Wiederherstellung der Welt
getan haben,
Ferner müßten die Sachlieferungen erst einmal voll erprobt
werden. Bisher hätten sie sich nicht entwickeln können, weil sie
in den Gläubigerstaaten aus Konkurrenzbedenken Widerstand
fanden und besonders weil vor dem Dawesplan in allen Repa-
rationssachen Unordnung und Stillstand herrschten, Gewisse An-
zeichen für eine Ausbreitung der Sachleistungen seien schon vor-
handen.
Man müsse sich weiter auch auf die Kräfte verlassen, welche
die Tätigkeit des Transferkomitees in Bewegung setze, das die
weitesten Vollmachten für seine Arbeit habe. Dazu komme, daß
der Dawesplan nicht starr, sondern elastisch sei, Er könne dem
Wechsel der Verhältnisse angepaßt werden, da für die Auslegung
seiner Vorschriften ein Schiedsgerichtsverfahren vorgesehen sei.
Was nach Gilbert am meisten nottut, ist allgemeine Aufklärung
der Welt über die Eigenart des Reparationsproblems. Darin sieht
er den Hauptwert der Mitarbeit der Internationalen Handels-
kammer. Er fordert aber als materielle Unterlage eine zuver-
lässige Statistik über die Wirtschaftslage und rechtzeitige und
vollständige Angaben über den Haushalt, mit denen zum Beispiel
Deutschland noch stark im Rückstande sei.
Das gespannte Interesse, dem das Transferproblem in der
ganzen Welt begegnet, gilt nicht der Reparation allein, Es richtet
378:
sich in den alliierten Ländern, die untereinander und vor allem
an die Vereinigten Staaten verschuldet sind, mit mindestens der
gleichen Stärke auf die Behandlung der interalliierten Schulden.
Denn im Grunde steht es mit ihnen ebenso wie mit der Reparation,
Ihre Zahlung ist ebenfalls nur insoweit möglich, als das Schuldner-
land den Ueberschuß seiner Produktion an den Gläubigerstaat ab-
führen kann. Da nun alle diese Länder Reparationsforderungen an
Deutschland besitzen, schließlich aber alle interalliierten Schulden
bei den Vereinigten Staaten als dem großen Gläubiger der ganzen
Welt zusammenlaufen, so wird die Transferfrage dazu benutzt,
Reparation und interalliierte Schulden miteinander zu verquicken,
Der Zweck ist durchsichtig:
Das Schicksal der Forderungen an die Alliierten soll von der
Zahlung der Reparation abhängig gemacht werden.
Die Vereinigten Staaten — auf sie kommt es vor allem an —
sollen nur in dem Maße von ihren alliierten Schuldnern bezahlt
werden, wie diese wiederum Zahlungen unter dem Dawesplan er-
halten, Oder aber — das ist noch einfacher — die Schulden und
die Reparation werden so weit wie möglich gegeneinander aus-
geglichen, und die Vereinigten Staaten werden an Stelle der
Alliierten direkt der Hauptgläubiger Deutschlands aus der
Reparation,
Das ist schon seit mehreren Jahren, seitdem es alliierte Repa-
rationspläne gibt, der Standpunkt vor allem von Frankreich und
Italien gewesen. Die Vereinigten Staaten haben sich aus nahe-
liegenden Gründen entschieden geweigert, darauf einzugehen.
Auch heute noch lehnt die öffentliche Meinung in Amerika diesen
Gedankengang ab. Aber wenn man auch der Meinung ist, daß die
interalliierten Schulden unabhängig von der Reparation geregelt
werden können, so haben doch unstreitig die wirtschaftlichen
Grundsätze, welche der Dawesplan für die Reparation ausspricht,
dieselbe Geltung für die Begleichung der interalliierten Schulden.
Ein bekannter französischer Journalist hat dies witzig so aus-
gedrückt, daß der Transfer — ein neu entdeckter Bazillus im
Körper Deutschlands — auch im Organismus der alliierten Länder
zu finden sein müsse, wenn sie ihre Schulden aus dem Kriege
379
bezahlen wollten. Auch hier müsse das Prinzip der Zahlung im
eigenen Lande und in der eigenen Währung gelten. In dem schon
erwähnten Bericht von Stamp, Pirelli und Chalendar wird gesagt,
bei einer allgemeinen Schuldenregelung zwischen den Staaten
werde es so kommen, daß alle Zahlungen von Deutschland an die
Alliierten dazu dienen, die Schulden dieser Alliierten an andere
Alliierte oder an die Vereinigten Staaten zu begleichen. Da die
Vereinigten Staaten letzten Endes die Gläubiger aller alliierten
Staaten seien, so bildeten letztere nur Durchgangsstellen zwischen
Deutschland und den Vereinigten Staaten. Die Reparation könne
daher in der Hauptsache direkt von Deutschland nach Ameriba
gezahlt werden, und damit werde das T ransierproblem zu einer
deutsch-amerikanischen Angelegenheit.
Die Resolution des Brüsseler Kongresses spricht sich auch zu
diesem Punkte vorsichtiger und allgemeiner aus:
„Die grundlegenden Erwägungen, die sich auf das Transfer-
problem beziehen, gelten mit gleicher Kraft auch in Anwendung
auf die interalliierten Schulden. Versuche, übermäßige Beträge
zur Tilgung von Schulden zu transferieren, müssen notwendig den
Haushalt und die Währung des Schuldnerlandes antasten und
seine finanziellen Verhältnisse stören. Gegen solche Schwierig-
keiten ist besondere Vorkehr zu treffen. Die inneren und äußeren
wirtschaftlichen Verhältnisse der betroffenen Länder sind ge-
bührend zu beachten.”
380
DREIUNDDREISSIGSTES KAPITEL
EIN WEG ZUR LÖSUNG
Der Streit der Ansichten über die Möglichkeiten des Transfer
wird noch lange Zeit weitergehen. Den zahlreichen Stimmen im
Ausland und im Inland, die da sagen, Deutschland werde seiner-
zeit die volle Annuität von 2% Milliarden Goldmark an seine
Gläubiger überweisen können, werden auch fernerhin viele ernste
Vertreter der Wissenschaft und der Praxis mit guten Gründen
entgegnen, daß dies ganz unmöglich sei.
Die Tagung der Internationalen Handelskammer in Brüssel hat
uns in der Erkenntnis der praktischen Möglichkeiten für den
Transfer nicht viel weiter gebracht. Das Wort des Dawesplanes,
daß in dieser Frage nur die Erfahrung Lehrmeister sein kann,
wird seine Wahrheit behalten. Es hat keinen Zweck, von vorn-
herein ein bestimmtes System aufzubauen, in das man die Mög-
lichkeiten des Transfer einordnet. Daß die Internationale Handels-
kammer die Transferfrage ebenfalls in diesem Sinne weiter be-
handeln will, ist zu begrüßen. Ihre Arbeiten werden jetzt noch
mehr Nutzen bringen können, weil Deutschland letzthin der
Handelskammer beigetreten ist und nunmehr auch deutsche Ver-
treter in dem Komitee für den wirtschaftlichen Wiederaufbau mit-
wirken können, Denn die Transferfrage ist für Deutschland genau
so lebenswichtig wie für die Alliierten, und eine verständnisvolle
deutsche Mitarbeit ist bei jedem Mittel nötig, das in bezug auf
den Transfer Erfolg versprechen soll.
Diese Tätigkeit der internationalen Wirtschaftskreise muß im
engsten Anschluß an das Transferkomitee vor sich gehen. Ihm
381
steht nach dem Gesetz die Verantwortung und die Initiative zu.
Es kann ja auch bei seiner täglichen Beschäftigung mit der
Reparationsfrage die meisten praktischen Erfahrungen sammeln
und verwerten,
Wenn es hiernach heute noch nicht möglich ist und in der
nächsten Zeit ebensowenig möglich sein wird, ein Urteil darüber
abzugeben, wie der Transfer sich gestalten wird und welche Be-
träge man für die Reparation aus Deutschland herausziehen kann,
so gibt uns doch die gründliche wissenschaftliche Vorarbeit, die
Stamp und andere geleistet haben, wertvolle Anhaltspunkte. Wir
können heute schon zu den einzelnen Methoden, die in Brüssel
für die Hebung der deutschen Ausfuhr genannt worden sind,
folgendes sagen:
Mit künstlichen Mitteln, etwa durch das systematische Auf-
spüren von neuen Äbsatzgebieten für deutsche Ware und deutsche
Arbeit, ist die deutsche Ausfuhr nicht wesentlich zu heben. Die
Industrie eines Landes und der Welthandel lassen sich nicht in
bestimmte Bahnen leiten, auch wenn noch so viel kluge und er-
fahrene Leute für diesen Zweck zusammenarbeiten. Das gilt in
erster Reihe von der Methode der Assisted Schemes.
Es besteht aber auch keine große Aussicht dafür, daß die
deutsche Ausfuhr sich auf natürliche Weise jemals so weit ent-
falten wird, um Ueberschüsse zu liefern, die auch nur annähernd
der Annuität von 2% Milliarden gleichkämen. Die Welt ist beim
normalen Verlauf der Dinge nur in beschränktem Maße und inner-
halb bestimmter Zahlengrenzen zur Aufnahme von deutschen
Waren fähig. Länder, die bisher ein großes Absatzgebiet für die
deutsche Industrie waren, machen sich, je länger je mehr, durch
eigene Produktion selbständig. Der Wettbewerb zwischen den
großen Ausfuhrländern wird immer stärker. Trotz aller wohl-
gemeinten Warnungen der Wirtschafter werden sich die Gläubiger-
länder nicht davon abhalten lassen, ihre Industrien durch Zoll-
tarife und Sperrmaßnahmen gegen Unterbietung von außen zu
schützen,
Auffallend ist, daß bei den neueren Untersuchungen über den
Transfer meist nur davon gesprochen wird, wie die deutsche Aus-
382
fuhr gehoben werden kann, um einen Ueberschuß der Produktion
zu schaffen. Es wird nicht genügend betont, daß ein Ueberschuß
auch durch Beschränkung der Einfuhr zu erzielen ist.
In dem wiederholt erwähnten Gutachten über die deutsche
Wirtschaftslage, das die deutschen Sachverständigen für die
Londoner Konferenz vom März 1921 erstattet hatten, war schon
darauf hingewiesen, daß durch Ersparnisse in der deutschen Ein-
fuhr die Handelsbilanz erheblich gebessert werden könne, Natür-
lich ist richtig, daß Deutschland die Einfuhr wichtiger Rohstoffe
im bisherigen Ausmaß und vielleicht noch darüber hinaus nicht
entbehren kann. Wohl aber wäre es denkbar, die Einfuhr von
Lebensmitteln durch die Hebung der eigenen landwirtschaftlichen
Produktion wesentlich zu beschränken, Noch sind weite Moor-
strecken in Deutschland fruchtbar zu machen, die heute völlig
brach liegen. Der Landbau kann noch viel intensiver und ertrag-
reicher betrieben werden. Für die Einführung arbeitsparender
Maschinen und für den Ersatz von Zugtieren durch Motoren
bietet die deutsche Landwirtschaft noch ein weites Feld, Stick-
stoff, das wichtigste Düngemittel, wird in Deutschland schon jetzt
in solchen Mengen künstlich erzeugt, daß er den eigenen Bedarf
des Landes deckt und in steigendem Maße die Ausfuhr gestattet.
Das Ziel, Deutschland in bezug auf die Ernährung von der Ein-
fuhr unabhängig zu machen, ist nicht unerreichbar, abgesehen
vielleicht von der Versorgung mit Fleisch. Jedenfalls wäre es wohl
möglich, auf diese Weise eine Besserung der deutschen Handels-
bilanz um mehrere hundert Millionen Goldmark herbeizuführen.
Auf den Aufschwung der Sachleistungen wird man keine großen
Hoffnungen für den Transfer setzen dürfen. Wir haben schon
mehrfach über die Gründe gesprochen, welche die Sachleistungen
bisher in verhältnismäßig engen Grenzen gehalten haben. Diese
Hemmungen liegen in der Natur der Sache und sind nicht zu be-
seitigen,
Die Lieferung von Kohlen an die Alliierten ist von dem Höchst-
punkt von 2 Millionen Tonnen monatlich, den sie im Jahre 1920
erreichte, ständig gefallen. Sie betrug im Sommer 1925 im Monats-
durchschnitt nur wenig mehr als 1 Million Tonnen. In einem ge-
383
wissen Umfange — Koks nach Frankreich und Kohle nach Italien
— werden diese Reparationslieferungen noch eine Zeitlang be-
stehen bleiben, aber sie werden sicherlich nicht mehr wachsen. Die
F arbenlieferungen, zu denen Deutschland verpflichtet ist, nehmen
am 15. August 1928 ein Ende. Künstliche Düngemittel werden auf
Reparationskonto nur so lange geliefert werden als Deutschland
in ihrer Herstellung einen Vorsprung hat. Der Wiederaufbau der
Ländern wehren werden.
Gegen diese inneren Widerstände hilft keine noch so lose
Form des Verfahrens bei Sachleistungen, Der freie Handelsver-
auf Reparationskonto durch deutsche Unternehmer wird in den
alliierten Ländern immer wieder auf Schwierigkeiten der gleichen
Art stoßen, In einzelnen F ällen werden solche Arbeiten zustande-
kommen. Großartige Pläne aber, wie sie seinerzeit der franzö-
sische Arbeitsminister Le Trocquer für Wasserbauten in Frank-
reich auf Reparationsrechnung entworfen hat, werden sich wohl
nie verwirklichen lassen.
Nach alledem scheint es in der Tat, daß weder die Ausfuhr
von deutschen Waren noch die Verwendung deutscher Arbeit im
Auslande sich jemals so steigern lassen wird, daß die ständige
Uebertragung der gesamten deutschen J ahreszahlungen unter dem
Dawesplan an die Gläubigerländer damit gewährleistet werden
allgemeinere Anwendung der Einfuhrabgabe auf die deutschen
Waren (Reparation Recovery Act) dazu dienen werde, sehr viel
384
größere Transfermöglichkeiten als jetzt zu eröffnen, Denn diese
Abgabe beeinträchtigt ihrer Natur nach die deutsche Ausfuhr,
auch wenn sie in noch so leichten F ormen erhoben wird, Deshalb
kann sie zwar den einzelnen Gläubigerstaaten im Augenblick als
direkter Zugriff auf die deutsche Ausfuhr willkommen sein, sie
wird sich aber auf die Dauer als reparationsfeindlich erweisen,
weil sie der Hebung der deutschen Produktion hindernd im
Wege steht.
Als letzter Weg für die Durchführung des Transfer war der
Konferenz in Brüssel der Verkauf von deutschen Schuldver-
ganz anderer Art als alle die Mittel, von denen wir bisher ge-
sprochen haben, Ihre Anwendbarkeit und ihr Erfolg hängen
nicht unmittelbar von der deutschen Produktion an Waren und
Leistungen ab, sondern gründen sich auf den deutschen Kredit
und auf das Maß des Vertrauens, das man im Ausland und
im Inland auf den allgemeinen Fortschritt der deutschen Wirt-
schaft setzt,
Das ist der altgewohnte Weg der Anleihe, Er eignet sich
seinem Wesen nach weniger dazu, die jährlich wiederkehrenden
Reparationsleistungen Deutschlands unter dem Dawesplan in das
Ausland zu überweisen, sondern ist recht eigentlich dazu be-
stimmt, das Kapital der Reparationsschuld selbst in großen Posten
durch Zahlung des Anleiheerlöses an die Reparationsgläubiger
zu tilgen. Der Zweck dabei ist, die politische Schuld Deutschlands
an die Siegerstaaten in eine Schuld an private Gläubiger umzu-
wandeln, um die Reparation schnell durchzuführen. Es gilt also,
das anlagesuchende Kapital des Auslandes und den deutschen
Besitz an Guthaben in fremder Währung für deutsche Reparations-
anleihen zu interessieren, Der Erfolg wird um so größer sein, je
mehr das allgemeine Vertrauen in die Sicherheit der politischen
und wirtschaftlichen Verhältnisse Deutschlands zunimmt,
Dieses Ziel hat schon den Verfassern des Vertrages von
Versailles vorgeschwebt; es findet sich wieder in dem Londoner
Ultimatum vom 5, Mai 1921, und es bildet das Rückgrat eines
jeden deutschen Angebots für die Reparation. Nach allen diesen
Bergmann, Der Weg der Reparation 25 385
Plänen sollte die deutsche Schuld im Wege der Aufnahme von
Anleihen abgetragen werden,
Auch der Dawesplan hat sich die Anleihe-Idee zu eigen ge-
macht, aber nur für einen Teil der Reparationsschuld, nämlich
nur insoweit, als sie auf der Reichsbahn und auf der deutschen
Industrie lastet. Weiter zu gehen und für die gesamte Reparations-
schuld die Ausgabe von Anleihen vorzusehen, war dem Dawes-
plan nicht möglich. Er hätte dann ja die Höhe der gesamten
Reparationsschuld festsetzen müssen, was, wie wir wissen, nicht
seine Aufgabe sein durfte, Er hat sich notgedrungen darauf be-
schränken müssen, das Endziel der Reparation, die Gesamt-
anleihe, sozusagen verhüllt und verschämt anzudeuten.
Die Jahresleistungen können aber erst dann in eine Kapitalschuld
umgewandelt werden, wenn sich die Alliierten dazu entschlossen
haben, die seit dem Londoner Zahlungsplan vom 5. Mai 1921 noch
immer unveränderte Reparationsschuld endgültig mit einem ver-
nünftigen Gesamtbetrage festzusetzen. Dazu muß es im Interesse
der beiden Seiten über kurz oder lang kommen, Die Alliierten
wollen ja doch die Reparation, das heißt den Ersatz ihrer Kriegs-
schäden, Je früher sie den Ersatz bekommen, um so besser für ihre
Finanzen und für ihre Wirtschaft. Von den deutschen Jahres-
leistungen unter dem Dawesplan haben sie verhältnismäßig wenig.
Sie sind zwar für Deutschland eine gewaltige Last, aber für die
einzelnen Alliierten in ihren finanziellen Nöten nur Tropfen auf
einen heißen Stein. Sie können den Schaden nur sehr langsam
wieder gutmachen. Der Dawesplan hat sie als einen Notbehelf ein-
geführt, um für eine gewisse Uebergangszeit geordnete Verhältnisse
in der Welt wiederherzustellen. Aber schließlich hat die Reparation
nur dann einen Zweck, wenn sie in absehbarer Zeit geschieht so-
lange die Schäden und die Folgen der Schäden noch bestehen.
Diese verschwinden von Jahr zu Jahr immer mehr. Die Reparation
wird widersinnig, wenn sie in der Hauptsache erst zu einer Zeit
erfolgt, wo keine Schäden mehr zu ersetzen sind. Die Zahlungen
Deutschlands an die Alliierten verlieren auch rein rechnerisch
von Jahr zu Jahr mehr an Wert. Was zum Beispiel nach dreißig
Jahren gezahlt wird, stellt heute nur einen geringen Bruchteil des
386
Betrages dar, über den die Leistung lautet. Alles drängt im
Interesse der Alliierten dahin, die Zeit der Reparationszahlungen
Deutschlands möglichst kurz zu bemessen und die ständigen
Jahresleistungen in eine feste, durch Anleihe zu tilgende Kapital-
schuld zu verwandeln,
Für Deutschland liegen die Dinge, wenn möglich, noch klarer,
Es kann zu normalen wirtschaftlichen Verhältnissen erst dann
kommen, wenn es genau weiß, was es im ganzen zu zahlen hat
und wie lange es daran abzahlen muß. Erst wenn das deutsche
Volk das weiß und überzeugt ist, daß die verlangte Leistung seine
Zahlungsfähigkeit nicht übersteigt, wird es alle seine Kräfte an-
spannen, sich der Reparationsschuld so schnell wie möglich zu
entledigen und seine volle Selbständigkeit wieder zu gewinnen,
Alles das klingt selbstverständlich und ist schon oft gesagt worden,
kann aber nicht eindringlich genug wiederholt werden. Weshalb
diese einfachen Gedanken bisher noch nicht in die Tat umgesetzt
worden sind, wissen wir, Während der ganzen Dauer der Repa-
rationsverhandlungen bis zur Annahme des Dawesplans haben
stets politische Beweggründe die wirtschaftliche Einsicht über-
schattet, Die Leiter der alliierten Mächte, die bei Ende des Welt-
krieges ihren Völkern zunächst den Ersatz der gesamten unge-
heuren Kriegskosten durch Deutschland versprochen hatten, haben
sich bis zuletzt gescheut, durch entschlossenes Anpassen an die
Wirklichkeit die von ihnen so lange genährten Illusionen über
die deutsche Zahlungskraft zu zerstören,
Wenn die Welt erst einmal so weit sein wird, die Reparations-
frage nicht mehr politisch, sondern rein wirtschaftlich zu be-
trachten, werden sich die Alliierten dazu entschließen müssen,
die Reparationsschuld so festsetzen zu lassen, daß Deutschland
in der Lage ist, den Gesamtbetrag im Wege der Anleihe zu mobili-
sieren und regelmäßig Zinsen und Tilgung auf diese Anleihen in
das Ausland zu zahlen. Die Reparationsschuld darf aber auch
nicht höher bemessen werden als der Betrag an Anleihe, den das
Kapital des Auslandes und Inlandes bereit ist in deutschen An-
leihen anzulegen. Denn Anleihen, die keinen Käufer finden, nützen
25% = 387
den Alliierten nichts. Sie können immer nur ein politisches Aus-
hängeschild ohne jeden wirtschaftlichen Zweck sein.
Mit diesen Grundsätzen würden wir zu folgendem Ergebnis
kommen:
Die Reparationsschuld darf nicht größer sein als der Gesamt-
betrag der Anleihen, die Deutschland in einem bestimmten Zeit-
raum — etwa in zehn Jahren — zu angemessenen Bedingungen
auf den Kapitalmärkten der Welt unterbringen kann. Den richtigen
Maßstab dafür wird wiederum der Jahresbetrag geben, den nach
dem Urteil des anlagesuchenden Kapitals Deutschland in das
Ausland zu zahlen vermag.
Die Möglichkeiten des Transfer sind heute noch ein voll-
kommenes Rätsel, Aber die Erfahrungen der nächsten zwei Jahre
werden uns viel lehren. Dann wird es an der Zeit sein, der Unge-
wißheit über die Reparationsschuld durch einen Schiedsspruch ein
Ende zu machen, Der Schiedsspruch müßte vom Transferkomitee
des Dawesplanes ausgehen. Er müßte auf Grund der Erfahrungen
mit dem Transfer ein für allemal den Höchstbetrag der Reparation
festsetzen, den Deutschland im Wege der Anleihe binnen zehn
Jahren abzutragen hat. Die Höhe und der Zeitpunkt einer jeden
einzelnen Reparationsanleihe würden gleichfalls vom Transier-
komitee je nach der Lage des Anleihemarktes zu bestimmen sein.
Die Bedingungen der Anleihen wären jeweils zwischen Deutsch-
land und dem Uebernahmekonsortium unter Aufsicht des Transter-
komitees zu vereinbaren.
Der Betrag der Höchstschuld, der innerhalb der Frist von zehn
Jahren nicht durch Anleihe begeben werden kann, müßte ver-
fallen, so daß nach Ablauf der zehn Jahre die deutsche Repa-
rationsschuld unter allen Umständen als vollständig getilgt zu
gelten haben würde.
Eine derartige Lösung bietet mancherlei Vorteile. Sie beseitigt
nach dreijähriger Durchführung des Dawesplanes in seiner jetzigen
Gestalt den heutigen Schwebezustand, bei dem niemand weiß,
wie groß die deutsche Schuld ist und wann sie getilgt sein wird.
Da sie einen Höchstbetrag festsetzt, den Deutschland nach dem
Urteil von Sachverständigen voraussichtlich ins Ausland zahlen
388
kann, wird für die Wiederkehr sicherer und normaler Zustände
in der Welt der Boden geebnet. Deutschland gewinnt endlich eine
genaue Uebersicht über seine Wirtschaft und seinen Haushalt.
Die Reparationsgläubiger erhalten anstatt jährlicher Zahlungen
in Reichsmark, mit deren Abführung ins eigene Land sie nicht
bestimmt rechnen können, einen gesicherten Anspruch auf Be-
friedigung aus dem Erlöse großer deutscher Anleihen, deren Aus-
gabe sich nach der jeweiligen Lage der Anlagemärkte richtet.
Das maßgebende Urteil darüber, wieviel von dem Höchstbetrag
der Reparationsanleihen ausgegeben werden kann, behalten die
Gläubigerstaaten dem Transferkomitee, das heißt sich selber vor.
Diese Lösung würde endgültig, aber immer noch elastisch sein.
Es darf auch keine starre Lösung geben. Denn niemand kann selbst
nach einigen Jahren bestimmt vorhersagen, welchen Gesamtbetrag
an deutschen Anleihen der Weltmarkt aufnehmen wird. Und
ebensowenig ist die Frage zu beantworten, welche Zahlungen des
Schuldners die Wirtschaft des Gläubigerlandes vertragen kann,
ohne selbst ernstlichen Schaden zu nehmen. Man darf diese
letztere Erwägung nicht mit einer billigen Phrase oder mit einem
Achselzucken abtun. Zahlungen von Land zu Land, die viele
Milliarden erreichen sollen, sind nicht mit gewöhnlichen Ge-
schäften zu vergleichen, wo es niemandem schadet, wenn er seine
Forderungen einkassiert. Gewiß wird das Gläubigerland sich der
großen Zahlungen des Schuldners eine Weile erfreuen. Es kann
mit ihrer Hilfe die Lage seines Haushalts bessern und seine
Steuern ermäßigen. Aber auch das hat schließlich seine Grenze,
Sie liegt da, wo es keinen Sinn mehr hat, die Steuern weiter herab-
zusetzen, und wo der beständige Zustrom von Gold und Gold-
werten zu einer allgemeinen Teuerung der gesamten Lebens-
bedingungen im Lande führt. Damit entsteht die Gefahr, daß die
Anspannung der eigenen Wirtschaft des Gläubigerlandes im
Wettbewerb auf den Gütermärkten der Welt nachläßt und daß
seine Tüchtigkeit hinter der des Schuldnerlandes zurückbleibt,
das darauf angewiesen ist, alle Kräfte zu üben und frisch zu er-
halten, um die Schuld abzuzahlen,
Alle diese wirtschaftlichen und moralischen Momente werden
389
sich in der Zukunft auswirken, Sie können dahin führen, daß die
Gläubigerstaaten ein wesentliches Interesse daran haben, ihre An-
sprüche aus der Reparation nicht bis zum letzten auszunutzen.
Das eben Gesagte gilt in gleicher Weise für die Zahlung der
interalliierten Schulden. Nach und nach werden die alliierten
Länder untereinander und jedes für sich mit den Vereinigten
Staaten von Amerika nach dem Vorbild der bereits geschlossenen
Verträge Einzelabkommen treffen, welche dazu bestimmt sind,
die durch den Weltkrieg hervorgerufenen Schuldverhältnisse
zwischen den verschiedenen Ländern zu regeln. Die wirtschaft-
lichen Wirkungen dieser Abkommen sind heute nicht zu über-
sehen. Ob sie in der ursprünglichen Form durchzuführen sein
werden, ist fraglich. Vielleicht endet doch einmal alles in einem
allgemeinen Ausgleich der Reparation mit den Schulden der
Alliierten, so daß in der Hauptsache Amerika als Gläubiger und
Deutschland als Schuldner übrig bleibt. Gerade im Hinblick auf
solche unabsehbare Möglichkeiten müssen bei der endgültigen
Festsetzung der Reparationsschuld alle Türen offen stehen.
Unter den Dawesplan fallen bekanntlich auch die Reparations-
ansprüche der Vereinigten Staaten von Amerika an Deutschland
aus dem besonderen Friedensvertrag vom 25. August 1921, Sie
werden daher, wenn die Gesamtschuld durch Anleihe beglichen
werden soll, gleichfalls im Anleihewege abzutragen sein. Da sie im
Gegensatz zu den Forderungen der anderen Alliierten durch den
Spruch des Gemischten Schiedsgerichts in Washington demnächst
fest bestimmt werden und nur einen mäßigen Betrag erreichen,
voraussichtlich nicht über 200 Millionen Dollar, wäre es sehr
wünschenswert, daß die Anleihe hierfür — das Einverständnis der
übrigen Gläubigerländer vorausgesetzt — bald begeben würde,
ohne die endgültige Festsetzung der gesamten Reparationsschuld
abzuwarten. Im Hinblick auf diese Lösung sollte sich der
Kongreß der Vereinigten Staaten von Amerika alsbald dazu
entschließen, das in den Vereinigten Staaten beschlagnahmte
deutsche Eigentum sofort und bedingungslos freizugeben. Für
die deutsche Wirtschaft mit ihrem heutigen Kapitalmangel
bedeutet die Freigabe sehr viel, Amerika hat an der weiteren
390
Fesselung des deutschen Eigentums kein anderes Interesse, als
daß es damit eine zusätzliche Sicherheit für die Befriedigung
seiner Reparationsansprüche besitzt, obschon die im Dawesplan
vorgesehenen Sicherheiten auch für Amerika ebenso wie für
die anderen Gläubiger genügend sein sollten,
An der Uebernahme der Reparationsanleihen wird sich Deutsch-
land bei wachsendem Wohlstand selber immer mehr beteiligen. Es
hat das größte Interesse daran, einen Teil der Anleihen im eigenen
Lande unterzubringen und aus einer äußeren in eine innere Schuld
zu verwandeln. Es kann dies natürlich nur in dem Maße tun, wie
seiner Wirtschaft Guthaben im Auslande zur Verfügung stehen.
Die Anlage solcher Guthaben in Reparationsanleihe erleichtert das
Transferproblem und kommt auch der deutschen Wirtschaft zu-
gute, weil Zinsen und Tilgung der Anleihe, die mit deutschen
Mitteln gezeichnet wird, in Deutschland selber bleiben. Je mehr
dies geschehen kann, um so schneller wird die deutsche Wirt-
schaft zur völligen Gesundung zurückkehren.
Was hier als endgültige Lösung der Reparationsfrage vorge-
schlagen wird, deckt sich im wesentlichen mit früheren Angeboten
Deutschlands an die Alliierten. Alle deutschen Vorschläge für die
Reparation gründeten sich auf die Ausgabe von Anleihen zur Be-
gleichung der Schuld. Auf der Londoner Konferenz vom März 1921
bot die deutsche Regierung 30 Milliarden Goldmark an, wovon
8 Milliarden sofort im Wege der Anleihe aufgebracht werden
sollten. Das Angebot wurde als Verhöhnung des Versailler Ver-
trages betrachtet; die Antwort darauf waren schwere Sanktionen
wirtschaftlicher und militärischer Art. Vom Herbst 1922 ab ver-
dichteten sich die deutschen Pläne für eine Gesamtlösung immer
mehr zu dem Angebot von 30 Milliarden, die nach und nach durch
Anleihen auf den Weltmärkten beschafft werden sollten. Ihre
Ausgabe sollte nur durch die deutsche Zahlungskraft und durch
die Aufnahmefähigkeit der Märkte für deutsche Werte bedingt
sein, Diese Vorbehalte entsprechen im Wesen genau den Ein-
schränkungen, die der Dawesplan durch seine Transfervorschriften
für die deutschen Zahlungen vorgesehen hat.
Der Weg zur endgültigen Lösung der Reparalionsfrage würde
391
demnach zu der Stellung zurückführen, die Deutschland lange vor
der Besetzung der Ruhr eingenommen hat, und für die es so
schwer hat büßen müssen.
Das Ziel der Reparation wird wahrscheinlich in der Ver-
schmelzung des Dawesplans mit den früheren deutschen Anleihe-
angeboten bestehen. Für die Ausgabe der Reparationsanleihen
werden die Sicherheiten, die der Dawesplan eingeführt hat, vor-
treffliche Dienste leisten. Die erste Hypothek auf die Reichsbahn
und auf die deutsche Industrie, die Zölle und die verpfändeten
Steuern werden eine ausgezeichnete Garantie der Reparations-
anleihe bilden, solange überhaupt noch besondere Sicherheiten
für die Anleihen des Deutschen Reiches gefordert werden.
Die äußerste Grenze für den Höchstbetrag der Reparations-
schuld ist schon durch die Annuitäten des Dawesplanes gegeben.
Man berechnet den heutigen Kapitalwert aller dieser Zahlungen
auf 30 bis 40 Milliarden Goldmark, je nach der Höhe der Zinses-
zinsen, die der Rechnung zugrunde liegen. In diesem Rahmen
würde also nach dem Dawesplan die Kapitalschuld der Reparation
liegen, vorausgesetzt, daß alle Annuitäten jeweils in voller Höhe
an die Gläubiger überwiesen werden können, Bei der großen Un-
sicherheit, die heute darüber besteht und die auch im Verlauf der
Jahre nicht weichen wird, scheint es unerläßlich, in der end-
gültigen Regelung, die wir uns nach etwa zwei weiteren Jahren
denken, den Höchstbetrag der im Wege der Anleihe zu begeben-
den Schuld erheblich niedriger als 30 Milliarden Mark zu setzen,
wenn anders die Alliierten eine genügende Sicherheit dafür haben
wollen, daß die Reparationsanleihen bis zur Höhe des Gesamt-
betrages und ungefähr zu ihrem Nennwert begeben werden
können. Ueberspannen sie ihre Gesamtforderung, so laufen sie
Gefahr, daß schon die erste Anleihe nur schwer und mit Verlust
unterzubringen ist. Ein Mißerfolg der ersten Anleihe aber würde
das Ergebnis der folgenden Emissionen schwer beeinträchtigen.
Der Dawesplan wird in seinen Grundzügen weiter bestehen und
wirksam bleiben können, Nur werden die jährlichen Leistungen
Deutschlands nach und nach ihren Charakter als direkte Zahlung
an die Gläubigerstaaten verlieren, da sie in immer steigendem
392
Maße für den Dienst der einzelnen Anleihen Verwendung finden
müssen, Grundsätzlich zu revidieren ist die Höhe der normalen
Jahresleistung Deutschlands unter dem Dawesplan. Sie wird bei
Feststellung der endgültigen Reparationsschuld nach dem Betrage
zu bemessen sein, der für die Zinsen und die Tilgung der Gesamt-
schuld erforderlich ist. Alle ziffernmäßigen F aktoren, die hierbei
mitsprechen, sind heute unbekannt und erst durch die Erfahrung
der nächsten Jahre zu ermitteln. Wie dies etwa geschehen kann,
dafür gibt uns der Dawesplan einen Anhalt. Er hat die normale
Jahresleistung der Reichsbahn für die Reparation auf660 Millionen,
ihre Kapitalschuld auf 11 Milliarden Goldmark festgesetzt. Die
Jahresleistung stellt 5 Prozent Zinsen und 1 Prozent jährliche
Tilgung auf die Kapitalschuld dar, Diese Berechnung könnte ohne
weiteres auf die Jahresleistung für die gesamte Reparationsschuld
übertragen werden. Die so festgesetzte Annuität wäre nach den
Bestimmungen des Dawesplanes weiter zu zahlen und zu ver-
walten. Bei der Ausgabe einer jeden Reparationsanleihe würden
für ihren Dienst 5 Prozent Zinsen und 1 Prozent Tilgung aus der
Annuität entnommen werden. Solange die Kasse des Reparations-
agenten nicht vollständig für den Anleihedienst in Anspruch ge-
nommen wird, könnte sie noch Zahlungen für Besetzungskosten,
Sachleistungen, Einfuhrabgaben (Reparation Recovery Act) usw.
leisten. Aber alle diese Ausgaben werden sich im Laufe der Zeit
von selbst verringern und schließlich ganz verschwinden, Sach-
leistungen und Einfuhrabgaben haben für die Reparationsgläubiger
nur so lange Wert, als diese auf jährliche Zahlungen angewiesen
sind. Wenn erst der Erlös der Reparationsanleihen den Gläubiger-
staaten zufließt, werden alle die Hilfsmittel entbehrlich, die heute
noch dazu dienen müssen, die jährlichen Zahlungen Deutschlands
in das Ausland zu überführen,
Im klaren Lichte der wirtschaftlichen Erkenntnis, das seit dem
Dawesplane den Weg der Reparation erhellt, zerrinnen die nebel-
haften Gebilde, denen die vom Kriegstaumel noch befangene Welt
so viele Jahre durch Leid und Not vergeblich nachgejagt ist. Der
Sinn für die harte Wirklichkeit ist überall erstarkt, das Milliarden-
fieber geschwunden,
393
Vom sicheren Horte des Dawesplanes aus erspähen wir nun
im Dunste der Zukunft das langersehnte, schwer umkämpfte Ziel,
Und siehe: es liegt auf dem Wege, den wir schon hinter uns haben,
Viele des Weges Kundige wiesen es den Völkern, als sie in ihrer
Verblendung daran vorübereilten. Aber ihre Rufe verhallten un-
gehört in dem Getümmel, und die rasende Fahrt ging weiter durch
Elend und Jammer. Jetzt endlich können wir, an Erfahrung reich,
dem Ziele ruhigen und festen Schrittes zustreben.
394
BAKHREGELS:TER
Abkommen: über den Waffenstillstand vom 11, 11. 1918 S, 18
Finanzabkommen von Trier vom 13. 12, 1918 S, 19
von Trier vom 16, 1. 1919 S, 19
über das Ausgleichsverfahren vom 10. 6. 1921 S. 186
Wiesbadener vom 6. und 7. 10, 1921 S, 51, 122 ff, 144
Cuntze’Bemelmans vom 28, 2, 1922 und 2, 6. 1922 S. 125
Gillet/Ruppel vom 15. 3, und 6., 9, Juni 1922 S, 126
D’Abernon, Lord, Englischer Botschafter in Berlin S. 70, 79, 91, 9
Acworth, Sir William, Englisches Mitglied des Verwaltungsrats der Deut-
schen Reichsbahn-Gesellschaft S. 286, 317
Agent für Reparationszahlungen S, 299, 309, 310, 325, 326, 342, 343
Alberti, Mario, Italienisches Mitglied des zweiten Sachverständigenkomitees
a Mo
Alkoholabgabe S. 111, 239, 306
Allix, Edgar, Französisches Mitglied des ersten Sachverständigenkomitees
3.235, 317
D’Amelio, Italienisches Mitglied der Reparationskommission S, 70, 160, 168
Amerika, Friedensvertrag mit — vom 25. 8, 1921 S. 136, 295
Ammoniaklieferungen S. 26, 35, 45, 116, 327, 345
Anleihekomitee S. 165 ff., 182, 192
Assisted Schemes S. 374 ff,, 382
Aufbauvertretung Paris S. 117, 120
Ausfuhrabgabe S. 81, 85, 92, 93, 102#f., 111, 112, 121, 132, 148, 245
Ausgleichsverfahren S. 30, 32, 71, 131, 186, 208, 294, 356
Baldwin, Englischer. Premierminister S. 242, 271
Balfour, Lord, S. 188
Bank für Deutsche Industrieobligationen, S. 319, 334, 336
Bank von England, S. 132, 341
Bar le Duc, Rede Poincares in — S. 188
Barnich, Georg, Direktor des belgischen Solvay-Instituts S. 288
Barthou, Louis, Vorsitzender der Reparationskommission, S. 159, 192,
204, 236
Belgische Kriegsschulden, S. 99, 355
Belgische Markguthaben, S. 80
Belgische Nationalbank, S. 18
395
Belgische Priorität, S. 65, 142, 183, 356
Belgische Studien, S, 241, 242, 244, 250, 287
Bell, Henry, Englisches Mitglied des Transferkomitees, S. 343
Bemelmans, Belgisches Mitglied der Reparationskommission, S. 125, 183
Benzollieferungen, S, 26, 35, 45, 116, 125
Besatzungskosten, S. 24, 30, 32, 36, 52, 71, 79, 85, 99, 100, 142, 149, 153,
185, 208, 209, 228, 294, 297, 393
Besserungsschein, S. 57, 85, 86, 87, 98, 105, 291, 292
Bianchini, Treuhänder für Industrieobligationen, S. 317.
. Bonar Law, Englischer Premierminister, S, 196, 200, 201, 212, 242
Boulogne, Plan von — S, 54, 73, 74
Boyden, Roland W., Amerikanischer Beobachter in der Reparationskom-
mission, S. 40, 274
Bradbury, Lord, Englisches Mitglied der Reparationskommission, 5. 70,
166, 180, 182, 191, 196, 202, 204, 206, 316 |
Brand, Teilhaber der Firma Lazard Brothers & Co., London, S. 194, 195
Branntweinsteuer, S. 86, 243
Brest-Litowsk, Friede von — S$, 161
Briand, Französischer Premier- und Außenminister, S. 80, 91, 93, 143, 147, 151
‚Bruins (Holland), Kommissar für die Reichsbank, S. 343
Buecher, Dr., Präsidialmitglied des Reichsverbandes der Deutschen In-
dustrie, S. 289, 317
Cannes, S. 145 ff,, 152, 156
Cassel, Gustav, Schwedischer Professor der Volkswirtschaft, S. 192, 195
Chalendar, Andre, Graf, S, 369, 377, 380
Cheysson, Französischer Sachverständiger für Reparationsfragen, S, 70.
Clearing s. Ausgleichsverfahren
Clemenceau, G., Französischer Ministerpräsident, S. 18, 20, 34, 38, 48
Coordinating Board, S. 310
Cuno, Dr., Reichskanzler, S. 199 ff,, 225, 229, 234, 239, 241, 254
Cuntze, Dr., Reichskommissar für Reparationslieferungen, S. 125
Curzon, Lord, Englischer Außenminister, S. 91, 237, 247, 249, 250
Davis, Norman, Amerikanischer Delegierter zur Konferenz von Versailles,
Ss, 19
Dawes, Charles G., Vorsitzender des ersten Sachverständigenkomitees,
S. 275, 369
Dawesplan, S, 43, 69, 84, 99, 100, 187, 269 ff,
Devisenbeschaffungsstelle, S. 351
Delacroix, Leon, Belgischer Ministerpräsident a. D,, Belgischer 1. Dele-
gierter der Reparationskommission, Treuhänder für die Eisenbahn-
obligationen, S, 61, 70, 160, 168, 172, 183, 197, 236, 273, 316, 343
Dordogne, S. 127 |
Doumer, Französischer Finanzminister, S. 80
Dubois, Leopold, Präsident des Schweizer Bankvereins, S. 194, 195, 197
Dubois, Louis, Vorsitzender der Reparationskommission, S. 55, 172, 178
Eisenbahn s, Reichsbahn
Eisenbahnregie, französisch-belgische, S. 228, 285, 323, 327
396
Entwaffnung, S, 61, 79, 143
Essener Kohlenkommission, S. 63, 210
Farbstofflieferungen, S, 27, 97, 100, 115, 116, 121, 208, 327, 346, 360, 384
Federal Reserve Bank, New York. S. 130
Fehrenbach, Reichskanzler, S. 60, 61
Finanzabkommen von Trier vom 13, 12. 1918, S, 19
Finanzkonferenz von Brüssel vom 24. 9, — 8, 10. 1920, S. 66, 67
Finanzkonferenz von Paris 14, 1. 1925, S, 100
Fischer, David, Staatssekretär im Reichsfinanzministerium, S, 273
Flora, Federico, Italienisches Mitglied des ersten Sachverständigenkomitees,
S. 275
Foch, Französischer Marschall, S, 56, 93, 210
a E,, Belgisches Mitglied des ersten Sachverständigenkomitees,
219
Friedenskonferenz, S, 22, 34
Garantiekomitee, S, 202,103, 111,:112..198 148, 149, 152, 154 165 177, 180
Gemischte Schiedsgerichte, S, 31, 33,.186,.:209%: 294
Generalrat der Reichsbank, S, 332
Genf, S. 65, 69, 74, 15,..82,: 83
Genua, S. 146, 156ff,, 199
Giannini, Italienischer Sachverständiger, S. 70
Gilbert S. Parker, Agent für Reparationszahlungen S. 325, 343, 377, 378
Gillet-Ruppel-Abkommen, S. 126
Golddiskontbank, S. 307, 308
Goldnotenbank, S. 281ff,, 297, 299, 301, 302, 307, 309, 317
Hachenburg, Professor, S. 132
Harding, Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, S. 98
Havenstein, Reichsbankpräsident, S. 70, 133, 232
Helfferich, Dr. Staatsminister a. D., S. 259, 261
Hermes, Dr., Reichsfinanzminister a, D., S. 159, 165 if,, 199, 229, 232, 234,
240, 259 ß
Herriot, Französischer Ministerpräsident, S. 316, 321, 323
Hilferding, Reichsminister, S. 255, 257
Hitler, S. 255
v. Hoesch, Dr., Deutscher Botschafter in Paris, S. 275
Holzlieferungen, S. 117, 121, 180, 181, 203, 204, 219, 221
Horne, Sir Robert, Englischer Finanzminister, S, 146
Houghton, Alanson B., Amerikanischer Botschafter, S, 324
Houtart, Maurice, Belgisches Mitglied des ersten Sachverständigenkomitees,
S. 275
Hue, Deutscher Bergarbeitervertreter und Abgeordneter, S. 62
Hughes, Amerikanischer Staatssekretär, S, 238. 239; 271,324
Hughes, Australischer Premierminister, S. 19
Index, Wohlstands-, S, 79, 292 ff, 311
Industriebank s. Bank für deutsche Industrieobligationen
Industrieobligationen, S. 311, 318, 325
Interalliierte Schulden, S. 160, 188, 189, 196, 206
Änternationale Finanzkonferenz in Brüssel vom 24. 9,—8, 10, 1920, S. 66
397
Internationale Handelskammer, S, 369, 371, 374, 377, 378, 381
Internationale Oberschlesische Abstimmungskommission, S. 47
Internationaler Gerichtshof im Haag, S. 330
Jannacone, Pasquale, Italienisches Mitglied des Transferkomitees, S, 343
Janssen, Albert E, Belgisches Mitglied des zweiten Sachverständigen-
komitees, Belgischer Finanzminister, S, 275, 343
Japan, S.:. 28, 41,61, 70.88
Jaspar, Belgischer Außenminister, S. 80, 197
Jenks, Professor, Amerika, S., 195
Jonnart, Präsident der Reparationskommission, S. 48
Kalilieferungen, S., 121
Kamenka, Präsident der Azow-Donbank, S. 195
Kapitalflucht, S. 167, 200, 275, 278, 281, 314, 315
Kapitalsteuer, S, 111
Kapp-Putsch, S, 48
Karlsruhe, Rede des Reichsministers Simons in —.S. 83, 90
Kellogg, Botschafter der Vereinigten Staaten in London, später Ameri-
kanischer Staatssekretär des Aeußern, S, 320, 324, 353
Kent, Fred. J., Amerikanischer Bankpräsident, S. 369
Kerr, Philipp, Kabinettschef von Lloyd George, S. 91
Keynes, John Meynard, Professor, England, S. 130, 192, 195
Kindersley, Sir Robert, Inhaber der Firma Lazard Brothers, London, Eng-
lisches Mitglied des ersten Sachverständigenkomitees, S. 168, 170, 172,
215, 317, 320
Klotz, Französischer Finanzminister, °S. 21
Kohlenlieferungen, S. 26, 35, 45ff., 59 ff, 67ff., 99, 100, 114, 116, 121, 143,
180, 181, 208, 210, 218, 219, 221, 223, 226, 327, 360, 383
Kohlenprotokoll vom 29, 8, 1919, S, 45
Kohlenprotokoll vom 16. 7. 1920, S. 63,
Kohlensteuern, S. 111, 210, 227, 265
Kohlensyndikat, S. 47, 50, 210, 222
Kohlentransporte, S. 50
Kolonien, S. 28, 31, 59
Konferenzen: San Remo, 19, bis 26. April 1920, S. 52
Hythe, 15. Mai 1920 und 19, Juni 1920, S. 54
Boulogne, 20. Juni 1920, S. 54
Brüssel, 2. und 3. Juli 1920, S. 55
Spa, 5. Juli 1920, S.50 ff.. 225
Brüssel, Internationale Finanzkonferenz 24. September bis
8. Oktober 1920, S. 66, 67
Brüssel 16. Dezember 1920, S, 70, 120
des Obersten Rats in Paris 24, bis 29, Januar 1921, S, 79
London, 1. bis 7. März 1921, S.83, 88 if., 225
Paris, Interalliierte Finanzkonferenz, 13. August 1921, S. 142
Washington, Internationale Entwaffnungskonferenz, 12. Novem-
ber 1921, S. 143
Cannes, 6.—13, Januar 1922, S. 146 ff.
398
Konferenzen: Paris, Alliierte Finanzministerkonferenz, 8, bis 11, März 1922
S. 153
Genua, 10. April 1922, S. 158 £f,
London, 7. August 1922, S. 178
Paris, 2, bis 4. Januar 1923, S, 206 ff,
London, 16. Juli bis 16. August 1924, S, 315 ff,
Paris, Interalliierte Finanzkonferenz, 14, Januar 1925, S, 100
Kontrollkommission, militärische, S, 100, 155
Kriegslastenkommission, S, 40, 68
Kriegsschuldfrage, S,61, 83, 90, 92
Lansing, Amerikanischer Staatssekretär, S, 17
Laurent-Atthalin, Andre, Französisches Mitglied des zweiten Sachverstän-
digenkomitees, S. 275
Lepreux, Belgischer Bankdirektor, S, 70
Leverve, Gaston (Frankreich), Kommissar für die Reichsbahn, S, 286, 317, 343
Leygues, Französischer Premierminister, S. 80
Lloyd George, Englischer Premierminister, S. 18 £f,, 32, 63, 65, 69, 80, 82, 87,
89, 91, 93, 134, 146, 147, 156, 158, 162, 178, 1°6, 225, 236
Logan, James A., Amerikanischer Beobachter in der Reparationskommission,
S. 40, 274, 320, 322, 324
Londoner Zahlungsplan, S, 29, 95, 101 ff., 109, 111, 112, 116, 121, 123, 124, 132,
135, 136, 138 ff, 143, 144, 152, 153, 168, 170, 172, 206, 229, 294, 299
Loucheur, Französischer Minister, S.39, 40, 44, 45, 48, 80, 91, 92, 122,
146, 236
Lubersac, Marquis de, Präsident der französischen Genossenschaften für
den Wiederaufbau, S. 126
Ludendorff, S, 255
Luebsen, Direktor des Kohlensyndikats, S, 47
Luther, Dr., Reichskanzler, S. 257, 282, 323, 341
Luxemburg, S.35, 46
Macdonald, Englischer Premierminister, S. 319, 323
Marx, Reichskanzler, S. 257, 323
Mauclere, Französisches Mitglied der Reparationskommission, S, 111, 180
Mayer, Dr., Deutscher Botschafter in Paris, S. 275
Mc. Fadyean, Sir Andrew, Kommissar für die verpfändeten Einnahmen, S. 343
Mc. Kenna, Reginald, Vorsitzender des zweiten Sachverständigen-Komitees,
S. 275, 279, 282, 313, 369
Melchior, Dr. Carl, Teilhaber des Bankhauses M.M. Warburg, Hamburg, S. 57
Wer Dr. Hans, Oberregierungsrat, Deutsche Kriegslastenkommission, Paris,
st3
„Micum” Mission Interalliee de Contröle des Usines et des Mines, S, 258,
264, 265, 267, 272, 285, 323, 326, 344
Millerand, Präsident der Französischen Republik, S. 48, 61, 62, 64, 192, 218
Morgan, J. P., Amerikanischer Bankier, S,. 139, 144, 168 ff., 172, 192, 197, 198,
284, 341
Mussolini, Italienischer Ministerpräsident, S, 197, 202, 211
Newhaven, S. 238
Nitti, Italienischer Ministerpräsident, S. 52
399
Nogara, Bernardino, Treuhänder für die Industrieobligationen, S, 343
Nordfranzösische Kohlengruben, S. 26, 35, 44
Oberschlesien, S.35, 47, 48, 69, 71, 79, 85, 112, 134
Oberschlesische Abstimmungskommission, S. 47
Oberster Rat der Alliierten, S.20, 21, 52, 56, 60, 62, 69, 79, 80#f., 101,
145 if,, 158
Organisationskomitee der Reparationskommission, S.40, 45
Pariser Beschlüsse vom 29, Januar 1921, S. 76, 80, 82, 84, 88, 90, 121
Pariser Finanzabkommen vom 14, Januar 1925, S. 353
Parmentier, J., Französisches Mitglied des ersten Sachverständigenkomitees,
Mitglied des Transferkomitees, S. 275, 343
Perkins, Thomas N., (Boston), Amerikanisches Mitglied der Reparations-
kommission für die Durchführung des Dawes-Planes, S. 342
Pharmazeutische Produkte, S. 27, 115
Phönix-Gruppe, S. 264
Pirelli, Alberto, Italienisches Mitglied des ersten Sachverständigenkomitees,
S, 275, 289, 369, 377, 380
Poincare, Präsident der Reparationskommission, Französischer Minister-
präsident, S.48, 49, 55, 56, 151, 155, 158, 159, 163, 170f£, 178 #f,, 186,
188, 189, 191, 192, 197 if,, 212, 218, 235 ff., 241, 243 ff,, 247, 249, 252,
255 ff., 271 ff, 277, 284, 285, 316
Privateigentum, beschlagnahmtes, S. 71, 75, 79, 85, 101
Produktive Pfänder, S. 176, 178, 277
Protokoll über Vorlieferungen von Kohle vom 29. August 1919, S. 45
Rapallo, Vertrag von — S. 158ff., 169, 170, 199
Rathenau, Dr. Walter, Reichsminister, S.109, 122, 124, 134, 135, 145 it.
149, 155, 156, 159, 162 ff,, 176, 182
Rechberg, Arnold, Deutscher Industrieller, S, 288
Reichsbahn, S.18, 28, 132, 150, 228, 234, 239, 242, 243, 262, 282, 285 ff., 309,
311, 312, 317, 319, 325, 327, 331,:337,:397,:396, 392,38
Reichsbank, S. 19, 97, 109, 111, 139, 150, 167, 168, 176, 183, 229 ff., 255, 258,
281, 308, 318, 319, 325, 331, 342, 363, 366
Reichskohlenkommissar, $. 223
Reichskommissar für den Wiederaufbau, S.44, 117
Reichsministerium für Wiederaufbau, S. 44, 109
Reichsverband: der Deutschen Industrie, S. 132
Reichswirtschaftsrat, S. 132
Rentenbank, S. 258 ff., 281, 308, 333
Reparation Recovery Act, S.93, 103, 111, 121, 133, 272, 301, 305, 326, 348,
349, 366, 384, 393
Restitution, S. 27, 128, 129
Rheinlandkommission, S, 185, 210, 227, 354
Robinson, Henry N., Amerikanisches Mitglied des zweiten Sachverständigen-
Komitees, S. 275, 369
Rosen, Dr., Deutscher Außenminister, S. 155
Rosenberg, Dr. von, Deutscher Außenminister, S. 202
Rotterdam, S. 50
400
Ruhrbesetzung, S,35, 43, 61 ff., 67, 69, 90, 93, 94, 104, 105, 202, 203, 216 ff,
250, 252, 274, 324, 330
Ruppel, Ministerialdirektor, Deutsche Kriegslastenkommission, Paris, S. 95,
126
Rußland, S.28, 158, 161 fi.
Saargruben, S. 27, 101
Sachlieferungen, S. 25, 44, 64, 68, 71, 79, 84, 86, 98, 111£,, 138, 142—146,
152, 153, 160, 181, 194, 201, 209, 210, 223, 226, 238, 272, 296, 297, 301,
304 if,, 320, 325
Sanktionen, S, 30, 33, 50, 61, 82, 89 bis 95, 97, 104, 148, 153, 172, 173, 175,
202, 203, 210, 222, 228, 321
Schacht, Dr. Hjalmar, Präsident der Reichsbank, S. 281 ff,, 307, 308, 317, 341
Schiffslieferungen, S. 22, 25, 79, 116
Schmidt, Reichswirtschaftsminister, S. 159
Schroeder, Dr., Staatssekretär im Reichsfinanzministerium, später Präsident
der Preußischen Staatsbank, S, 70, 101, 181, 182
Sergent, Französischer Finanzsachverständiger, S, 168, 172 |
Seydoux, Direktor der Handelsabteilung im französischen Auswärtigen Amt,
S, 70, 75, 76, 78, 79, 120, 121, 125, 152, 161, 164, 178, 179, 200, 284, 316
Simons, Dr., Reichsminister des Auswärtigen, S, 61ff,, 79, 86 ff.
Snowden, Englischer Schatzkanzler, S, 320
Sowjetrepublik, S. 161
Spa, Konferenz vom Juli 1920, S. 50, 52—65, 82
Stamp, Sir Josiah, Englisches Mitglied des ersten Sachverständigenkomitees,
S, 275, 292, 369, 371 #., 377, 378, 380, 382
Sterret, Joseph E., Amerikanisches Mitglied des Transferkomitees, S. 343
Stickstofflieferungen, S. 121, 220
Stinnes, Hugo, Deutscher Industrieller, S. 62, 63, 78, 126, 278
Stresemann, Dr., Reichskanzler, Außenminister, Ss. 254.:255, 257,. 323
Stuttgart, Rede des Reichsministers Simons in — S. 83
Substitutionen, S. 128, 129
Sumner, Lord, Mitglied der Friedenskonferenz, S, 19
Tabaksteuer, S.86, 111, 239, 306
Teerlieferungen, S. 26, 116
Theunis, Belgischer erster Delegierter in der Reparationskommission, später
Beigischer Premierminister, S. 70, 80, 197, 235, 236, 243, 244
Thomas, Englischer Minister, S. 320
Tilmond, Rene, Belgisches Mitglied des Transferkomitees, S. 343
Transferfrage, S.84, 299 #., 311, 320, 370, 377, 379, 381, 391
Transferkomitee, S. 301, 302, 305, 328, 348, 349, 363, 365, 368, 388, 389
Trendelenburg, Staatssekretär im Reichswirtschaftsministerium, S. 317
Trier: Finanzabkommen vom 13. Dezember 1918, 5.39
Abkommen vom 16. Januar 1919, S. 19
Trocquer, Le, Französischer Verkehrsminister, S. 218, 220, 384
Trustee, S. 309, 310
Truyere, S. 127
Umsatzsteuer, S. 111
Bergmann, Der Weg der Reparation 26 401
Verkehrssteuer, S, 287, 291, 292, 297 ££,
Versailles: Reise der deutschen Delegation am 27, April 1919, S, 22
Vertrag vom 28, Juni 1919, 5:17; 39
Bestätigung des Vertrages durch Reichsgesetz vom 16, Juli 1919,
S. 39
Inkrafttreten des Vertrages am 10, Januar 1920, S, 40
Viehlieferungen, S.59, 100, 116, 127, 129
Vissering, Präsident der Niederländischen Staatsbank, S, 168, 194, 195, 197
Vogt, Johannes, Staatssekretär, Direktor bei der Deutschen Reichsbahn-
gesellschaft, S, 317
Völkerbund, S, 66, 218, 294, 299
Vorschüsse für Kohlenlieferungen, S.68, 99
Wadsworth-Vertrag vom 25. Mai 1923, S, 355
Waffenstillstand, Abkommen vom 11, November 1918, S,18, 36, 100
Wallenberg, Marcus, Schwedischer Bankier, S, 317, 344
Wasserbauten an der Rhöne, Truyere, Dordogne, S, 127
Wassermann, Oscar, Direktor der Deutschen Bank, S, 200
«Weinberg, Carl von, Deutscher Industrieller, S, 115
Wendel, de, Französischer Hüttenbesitzer, S, 218
Wiesbadener Abkommen vom 7, Oktober 1921, S, 31, 122 ff, 126, 144
Wilson, Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, S, 17, 20, 21, 40
Wilson-Programm, 47, 0 23
Wirth, Dr., Reichskanzler, S, 105, 109, 154 f£,, 159, 163, 176, 177, 199
Young, Owen D,, Amerikanisches Mitglied des ersten Sachverständigen-
Komitees, S, 215, 291, 312 324, 325, 369
Zollkontrolle, S, 81, 154, 306
Zuckerrübensamen-Lieferungen, S. 45
Zuckersteuer, S, 86, 111, 306
Zwangsanleihe, S, 157
402
1918
5. November
11. November
11. Dezember
13. Dezember
25. Dezember
1919
16. Januar
£; Februar
Te
„12. April
‚27. April
7, Mai
29, Mai
16, Juni
28. Juni
SS EINNEHE
16, Juli
29, August
1. September
1920
10. Januar
8, Februar
31, März
19..April
bis
26, April
26. April
15. Mai
19, Mai
29, Mai
26
REPARATIONSDASL.
Note des Staatssekretärs Lansing S, i7
Abkommen über den Waffenstillstand S, 18, 30
Rede von Lloyd George in Bristol S, 19
Finanzabkommen von Trier S, 19
Luxemburger Protokoll S. 46
Abkommen von Trier S, 19
Tagung der alliierten Kommission für Schadenersatz in
Paris S, 19 :
Vorprojekt für finanzielle Bedingungen des französischen
Finanzministers Klotz S, 21
Abreise der deutschen Delegation nach Versailles S, 22
Uebergabe der Friedensbedingungen S. 22
Deutsche Note an Clemenceau S, 34, 35
Mantelnote des Präsidenten Clemenceau S. 38
Vertrag von Versailles S. 17, 39
Bestätigung des Vertrages von Versailles durch Reichsgesetz
S. 39
Zeichnung eines Protokolls über Kohlenlieferungen in Ver-
sailles S,45, 46, 47
Beginn der deutschen Kohlenlieferungen S.45
Inkrafttreten des Vertrages von Versailles S, 40
Note von Millerand wegen Kohlenlieferungen S, 48
Besprechung wegen Kohlenlieferungen S, 48
Besprechung in San Remo S, 52
Einladung zur Konferenz in Spa S, 52
Zusammenkunft der alliierten Premierminister in Hythe S, 54
Poincare legt sein Amt als Präsident der Reparations-
kommission nieder S, 55
Note der Reparationskommission wegen Lieferung ober-
schlesischer Kohle an Polen S, 49
403
19, Juni Zweite Zusammenkunft der alliierten Premierminister in | „6. Oktober
Hythe S, 54 | bis Wiesbadener Abkommen S.,51, 122
20. Juni Zusammenkunft der alliierten Premierminister in Boulogne | 7, Oktober |
E54 | 12.November Internationale Entwaffnungskonferenz in Washington S, 143
30, Juni Mitteilung der Reparationskommission an die alliierten 29. Dezember Sitzung der Reparationskommission wegen des deutschen
Regierungen, daß Deutschland seine Pflicht zur Kohlen- Stundungsantrages S. 134
lieferung verletzt habe S, 50
404
2. u. 3, Juli Zusammenkunft der alliierten Premierminister in Brüssel 1922
S:58 6, Januar |
5, Juli Konferenz in Spa S.54 | <a a Konferenz in Cannes S, 146
AU JOH Zeichnung eines Kohlenprotokolls in Spa S. 63 | ag u Te, Eck , dr
1. August Beginn der Kohlenlieferungen It, Protokoll von Spa S. 63 3. Januar na Sn SMMISSION,, IN, OSBHER UBER ENGER
24, September ; 28, Januar Note Deutschlands über ein Reformprogramm für den Haus-
bis Internationale Finanzkonferenz in Brüssel S. 66 halt S. 149
8. Oktober a
27. Oktober Abkommen mit der Kriegslastenkommission über Kohlen- 6 ri Vorläufiges Abkommen Cuntze-Bemelmans S. 125
vorschüsse S, 68 2. 7 ku a =‘
t all
16, Dezember Sachverständigenkonferenz in Brüssel S. 70 11 _ USAMIENOR SUN Acer RIARLIBIN NN IE Er
22, Dezember A a der Brüsseler Konferenz auf den 10, Januar 1921 11. März Einigung der: Alliierten über das Wieshidener An.
s 5,123
| 11. März Finanzabkommen der Alliierten S. 354
1921 15. März
24. Januar Konferenz des Obersten Rates in Paris S. 79 und |
29, Januar Pariser Beschlüsse S. 76, 80, 82, 88, 89, 370 6. Juni Gillet-Ruppel-Abkommen S, 126
"8, Februar Einladung zur Konferenz nach London S, 83 5 n
T. März Beginn der Londoner Konferenz S. 88 ade i er
2M3,; Rede Lloyd Georges auf der Londoner Konferenz S.89, 252 21. März Antwort der Reparationskommission auf die deutsche Note
ii vom 28, Januar 1922 setzt die deutschen Leistungen für 1922
5, März Begegnung im Hause von Lord Curzon S. 91
n ‘fest S. 153, 157, 166, 168, 185, 204
7. März Schluß der Londoner Konferenz S. 90 . |
2 31, März Genehmigung des Wiesbadener Abkommens durch die Re-
8. März Besetzung von Düsseldorf, Duisburg und Ruhrort S. 93 IE 6
24, Aprit- Reparationsangebot der deütschen Regierung an Amerika ee OR u.
‚Arm RAS 4, April Beschluß der Reparationskommission, ein Sachverständigen-
S. 98 Se komitee für deutsche Anleihen im Ausland zu berufen
27. April Abschluß der Arbeiten der Reparationskommission zur Fest- S, 159, 170
setzung der Reparationsschuld 5. 99 7. April Deutsche Antwort auf die Note vom 21, März S, 157
29. April | „10, April Beginn der Konferenz von Genua S. 159
- eg Zusammenkunft des Obersten Rates in London S. 101 9, Mai Erklärung der deutschen Regierung wegen Aulsihaksen
al S. 166
1,Mai Fälliskeitstermin für 20 Milliarden Goldmark S.24, 32, 44, 13. Mai Minister Herkies geht nach Part © 166
64, 80, 82, 99 2 24. Mai Zusammentritt des Anleihekomitees in Paris S. 168
3. Mai er nd gg Staaten, daß das deutsche An- 31. Mai Antwort der Reparationskommission auf die deutsche Note
gebot abgelehnt sei >, vom 28, Mai S, 168
5.Mail Londoner Zahlungsplan S.29, 95, 101, 170, 172, 229, 291, 2. Juni Endgültiges Abkommen Cuntze-Bemelmans S, 125
294, 348, 385 10, Juni Bericht des Anleihekomitees S$, 173 |
10. Juni Abkommen über das Ausgleichsverfahren S. 186 14, Juni Note der Reparationskommission wegen Selbständigkeit der
28. Juni Note des Garantiekomitees S. 111 Reichsbank S, 168
13. August Konferenz der alliierten Finanzminister in Paris S. 142 12, Juli Ersuchen Deutschlands um Befreiung von Restzahlungen
25. August Friedensschluß mit Amerika S. 136, 295, 390 für 1922 S, 177
405
18, Juli
1. August
7. August
bis
14, August
17. August
18. August
21. August
„30. August
wnkbie
A, September
30, August
31, August
28, September
4, November
8, November
14. November
1. Dezember
9. Dezember
10, Dezember
26. Dezember
29. Dezember
1923
1. Januar
bis
4, Januar
2. Januar
2. Januar
9, Januar
41. Januar
Pe ——
12, Januar
13, Januar
406
Einigung mit dem Garantiekomitee S, 177
Note Balfours S, 188
Konferenz der alliierten Premierminister in London S. 178,
180
Die Alliierten kündigen das Clearingabkommen S, 186
Bradbury und Mauclere reisen nach Berlin S, 180
Rede Poincarös in Bar le Duc S. 188
|Stinnes-Lubersae-Abkonmen S, 126
Rede des Staatssekretärs Schroeder vor der Reparations-
kommission in Paris S. 181
Beschluß der Reparationskommission über den Moratoriums-
antrag S. 183
Denkschrift des Staatssekretärs Schroeder S, 101
Uebergabe eines deutschen Angebotes an die Reparations-
kommission $. 193
Note zur Erläuterung des deutschen Angebotes vom
4, November 1922 und Gutachten von Sachverständigen S. 194
Note der deutschen Regierung betr, das Moratorium S$, 194,
195, 199, 200, 214
Sitzung in der Reparationskommission wegen Holzlieferungen
S. 204
Uebergabe eines deutschen Angebotes an die alliierten
Premierminister in London S$, 200
Bonar Law lehnt das deutsche Angebot vom 9, Dezember ab
S. 201
Entscheidung der Reparationskommission wegen Holzliefe-
rungen S. 204
Rede des amerikanischen Staatssekretärs Hughes in New-
haven S. 238
Der deutsche Botschafter in Paris teilt der französischen
Regierung mit, daß ein neuer deutscher Reparationsplan
vorliegt S. 205
Besprechung der Premierminister in Paris S. 202, 206
Denkschrift der französischen Regierung betr. Kohlenliefe-
rungen S. 220
Feststellung der schuldhaften Verfehlung Deutschlands in
der Kohlenfrage S. 220
Französische und belgische Truppen rücken in das Ruhr-
gebiet ein S. 221, 222, 223, 326
Note der deutschen Regierung wegen Ruhrbesetzung S. 222
Bekanntmachung der Einstellung von Sachleistungen an
Frankreich und Belgien S. 223 ;
26. Januar Feststellung einer allgemeinen Verfehlung Deutschlands
durch die Reparationskommission $. 228
14, März Zusammenkunft von Poincar& und Theunis in Brüssel betr,
Ruhrbesetzung S. 235
13, April
bis Zusammenkunft von Poincar& und Theunis in Paris S, 235
14, April
20, April Rede Lord Curzons im englischen Unterhaus wegen neuer
Reparationsvorschläge und Garantien Deutschlands S, 237
2. Mai Note der deutschen Regierung mit einem neuen Angebot an
die Alliierten S. 238, 243
6. Mai Antwortnote Frankreichs und Belgiens auf das deutsche An-
gebot vom 2. Mai 1923 S, 240
13, Mai Antwortnote von England und Italien auf das deutsche An-
gebot vom 2, Mai 1923 S. 241
25. Mai Wadsworth-Vertrag S, 355
7. Juni Deutsches Memorandum in Ergänzung der Note vom 2, Mai
1923 S. 242, 243, 244, 247, 252, 280, 288
9. Juni Uebergabe der belgischen Studien an die französische Regie-
rung S, 242
10, Juni Note Poincare&s an England und Belgien betr, Aufgabe des
deutschen Widerstandes S, 244
20, Juli Note Lord Curzons an Frankreich, Belgien, Italien und
Japan S,247, 248
2. August Lord Curzon kündigt im Oberhause die Veröffentlichung des
gesamten Notenwechsels zwischen den Alliierten in der
Ruhrfrage an S. 250
11. August Einstellung der Sachleistungen an alle Alliierten S, 272
12. August_ Sturz der Regierung Cuno S. 254
20,September Aussprache zwischen Poincar& und Baldwin in Aix les Bains
S. 271
26. September Aufgabe des passiven Widerstandes S, 255
“3,-Oktober Rücktritt des Kabinetts Stresemann S, 257
15. Oktober Verordnungen über die Errichtung der deutschen Renten-
bank S. 258
24. Oktober Antrag der deutschen Regierung gemäß Art, 234 des Ver-
sailler Vertrages S. 272, 273
30, Oktober Anregung der britischen Regierung, die wirtschaftliche
Fähigkeit Deutschlands zur Reparation durch Sachverständige
untersuchen zu lassen S, 271
he Schreiben des Reichskanzlers an die Vertreter der Schwer-
industrie wegen Micumlasten S, 264
2. November
9. November Putsch in München S. 256
23.November Zeichnung des Micum-Abkommens S$, 265
30, November Die Reparationskommission beruft zwei Komitees von Sach-
verständigen S. 273
1. November
407
#
Ph
Pe
Pi
1924
14, Januar
21, Januar
25, Februar
19, März
9, April
16. April
17, April
24, April
25. April
11, Mai
bis
16, August
5, August
9, August
‚46. Juli \
16. August
29, August
29, August
1, September
9, September
1. Oktober
1, Oktober
10, Oktober
10, Oktober
11. Oktober
14, Oktober
28, Oktober
31. Oktober
408
Zusammentritt des ersten Komitees zur Untersuchung des
deutschen Haushalts und der Währung in Paris S. 275
Zusammentritt des zweiten Komitees in Paris zur Uhnter-
suchung der deutschen Kapitalilucht S. 275
Abkommen zwischen Deutschland und England über Herab-
setzung der 26prozentigen Einfuhrabgabe auf 5 Prozent S. 348
Gesetz über Gründung der Golddiskontbank S. 308
Bericht der beiden Sachverständigen - Komitees an die
Reparationskommission S. 276
Zustimmung der deutschen Regierung zum Sachverständigen-
gutachten S, 315
Rundschreiben der Reparationskommission an die Alliierten
betr. Annahme des Sachverständigengutachtens S, 315
England, Belgien, Italien geben ihr Einverständnis zum Gut-
achten S. 316
Note Poincares betr. Gutachten S. 316
Kammerwahlen in Frankreich. Sturz der Regierung Poincare
S, 316
Londoner Konferenz S, 311, 319, 325
Eintreffen der deutschen Delegation in London S, 323
Abkommen zwischen Reparationskommission und deutscher
Regierung über die Ausführung des Dawesplanes S. 325, 327
Schlußprotokoll der Londoner Konferenz S. 325
England führt die 26prozentige Einfuhrabgabe wieder ein
S. 348
Annahme der deutschen Gesetze zur Ausführung des Dawes-
planes durch den Reichstag S., 331
Beginn des ersten Reparationsjahres S. 325, 327
Die Zollinie zwischen besetztem und unbesetztem Gebiet
fällt S. 326 |
Frankreich führt die 26prozentige Einfuhrabgabe ein S. 348
Die Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft beginnt ihren Betrieb
5.337
Abkommen über die Reparationsanleihe S, 341
Thomas N, Perkins wird zum Mitglied der Reparations-
kommission für die Durchführung des Dawesplans ernannt
S, 342
Inkrafttreten des neuen Reichsbankgesetzes S, 333, 364
Ausgabe der Reparationsanleihe in New York und London
S, 342
Feststellung der Reparationskommission, daß alle Maß-
nahmen für die Wiederherstellung der finanziellen und wirt-
- schaftlichen Einheit Deutschlands durchgeführt sind S. 326
S, Parker Gilbert übernimmt das Amt des Generalagenten
S, 325
16, November
13, Dezember
1925
6, Januar
14, Januar
24, März
bis
25. März
21. Juni
bis
27. Juni
18, Juli
Uebergabe der Regiestrecken an die Reichsbahngesellschaft
S. 327 |
Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die
Industriebelastung S. 335
Zusammentritt der alliierten Finanzminister in Paris S, 353
Pariser Finanzabkommen S,. 353
Protokoll zwischen britischer und deutscher Regierung über
Einfuhrabgabe S. 350
Tagung der Internationalen Handelskammer in Brüssel S, 369
Gesetz über die Gründung der Rentenbank-Kreditanstalt
5.333
BERICHTIGUNG
Seite 168, sechste Zeile von oben, muß es heißen: 31. Mai statt 31. März
409
FOLITISCHE MEMOIREN
nn
FRIEDRICH PAYER
Von Bethmann Hollweg bis Ebert
Erinnerungen und Bilder
Halbleinenband Mk. 7 —
Werk der Memoiren-Literatur der letzten Jahre halte,
Ebert, Reichspräsident.
CONRAD HAUSSMANN
Schlaglichter
Reichstagsbriefe und Aufzeichnungen
Ganzleinenband Mk. 8—
Conrad Haußmanns politisches Wirken wird als einer der
wenigen Lichtblicke in einer der trübsten Zeiten der
deutschen Geschichte dem Gedächtnis der Nachwelt er-
halten bleiben. Augsburger Post-Zeitung.
ALEXANDER VON HOHENLOHE
Aus meinem Leben
Mit einer Reihe interessanter Bildtafeln
Ganzleinenband Mk. 10.—
Man geht wohl nicht fehl, wenn man diesen schönen und
liebenswürdigen Memoiren einen außerordentlichen Erfolg
prophezeit. Anschaulich und packend wie ein Roman, bieten
sie zugleich — und wären es nur die Kapitel über die el-
sässische Verwaltung nachdem 70er Krieg— dem Geschichts-
forscher ein reichhaltiges und wichtiges Material.
Annette Kolb.
OTTO VON CORVIN
Ein Leben voller Abenteuer
Herausgegeben und eingeleitet von H. Wendel
2 Bände Ganzleinen Mk. 15.—
Wunderbar, was dieser eine Mensch alles erlebt und er-
tragen, genossen und geleistet hat! Ein einzelnes Menschen-
leben erscheint für diese Fülle fast zu klein. Mir wenigstens
ist kein anderer Romanheld bekannt, der nur annähernd
so viel und vielerlei durchlebte: was sind Wilhelm Meisters
Lehr- und Wanderjahre an buntem Wechsel der Begeben-
heiten gegen die Leehrjahre dieser letzten einer Reihe von
unternehmenden Kriegernaturen. Johannes Proelß.
=
EN ee...
En
m
$:
I
KR
5
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|
Fr
-
AMERIKANISCHE PROSPERITÄT
AMERIKANISCHE WIRTSCHAF TSFORMEN
AMERIKANISCHE WELT
schildert
AMERIKA :. p UROPA
ERFAHRUNGEN EINER REISE
von
ARTHUR FEILER
Broschiert Mk. 8—
Ganzleinen Mk. 10.—
AMERIKANISCHE ORGANISATIONEN
AMERIKANISCHE PRAXIS
AMERIKANISCHE PROBLEME
behandelt
EINWEG
AUS DEM WIRRWARR
(4 BUSINESS MAN LOOKS AT THE WORLD)
von
EDWARDA. FILENE
Broschiert Mk. 4.—
Ganzleinen Mk. 6.—
N LTR IE ERRANG
A ERRELTEERERSHRIEH Dahl
GEDRUCKT IN DER
FRANKFURTER SOCIETÄTS-DRUCKEREI
G M B H
FRANKFURT AM MAIN
REN N:
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4» +
2.
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5.6, ?