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Full text of "Der Weg der Reparation"

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DER WEG DER REPARATION 








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DER WEG DER REPARATION 


VON VERSAILLES 
ÜBER DEN DAWESPLAN 
ZUM ZIEL 


VON 
CARL BERGMANN 


4.2.0 | 
LEERE SERSGESGROEE:HEIPESTICHRESERHERSTESGETERISZICHEREEEHEREEHESEUEEE RS nennen 
RE URTER SOCIETÄTS-DRUCKEREI G.M.B.H,, 
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ALLE RECHTE VORBEHALTEN 
COPYRIGHT 1926 BY FRANKFURTER SOCIETÄTS - DRUCKEREI G,M. B.H, 
FRANKFURT AM MAIN 





IE FETSVERZEICHNIS 


VORWORT 


Teil I 


9 


VON VERSAILLES ZUM LONDONER ULTIMATUM 


. Kapitel: Das Wilson-Programm 

. Kapitel: Die Vorschriften des Vertrages . 

‚ Kapitel: Die Errichtung der Reparationskommission 

‚ Kapitel: Die Sachlieferungen bis zur Konferenz von Spa . 
. Kapitel: Die Konferenz von Spa . | 


. Kapitel: Die Konferenz von Brüssel 


an ra oo DD » 


. Kapitel: Der Plan Seydoux und die Pariser Beschlüsse vom 
29, Januar 1921 . 


' 


je) 


. Kapitel: Die Londoner Konferenz 1, bis 7. März 1921 . 


9, Kapitel: Die Festsetzung der Reparationsschuld und der Londoner 
Zahlungsplan vom 5. Mai 1921 Be, 


Teil I 


17 
23 
40 
44 
52 
66 


76 
88 


95 


DIE POLITIK DER ERFÜLLUNG UND DER KAMPF 


| UM DAS MORATORIUM 
10, Kapitel: Die Zahlung der ersten Milliarde Goldmark , 


11, Kapitel: Die Sachleistungen nach den Vorschriften des Vertrages 
von Versailles Br 


12, Kapitel: Das Wiesbadener Abkommen vom 6, und 7. Oktober 1921 
13. Kapitel: Restitution und Substitution 


109 


114 
122 
128 


14, 
‚ Kapitel: Der Marksturz und die Vereinigten Staaten . 
16, 
17, 
18, 
19, 


20, 
21. 
22, 


23. 
24, 


25, 
26, 


21. 
28, 


29, 


Kapitel: Der erste Antrag auf Stundung . 


Kapitel: Von Cannes bis Genua Januar bis April 1922 
Kapitel: Rapallovertrag und Reparation 
Kapitel: Das Anleihekomitee der Reparationskommission 


Kapitel: Der zweite Antrag auf ein Moratorium — Die Politik der 
„produktiven Pfänder“ 


Kapitel: Die Nebenleistungen aus dem Vertrage von Versailles . 
Kapitel: Die Zeit der Reparationspläne , 
Kapitel: Die Pariser Konferenz vom 2, bis 4, Januar 1923 


Teil II 
BE BESETZUNG DES RUHRGEBIETS 


Kapitel: Gewalt und passiver Widerstand , 


Kapitel: Vergebliche deutsche Angebote — Vergebliche englische 
ee ee 


Kapitel: Die Einstellung des passiven Widerstandes . 


Kapitel: Die Reform des deutschen Geldwesens und des Reichs- 
haushalts — Die Micumverträge 


Teil IV 
DER DAWESPLAN 


Kapitel: Die Aufgabe der Sachverständigen . 


ee der Aufgabe... . 2 3 nn a. 
Annuitäten 289 — Index 292 — Leistungen neben der Reparation 
294 — Uebergangsjahre 295 — Transfersystem 299 — Dauer der 
Zahlungen 303 — Sachleistungen 304 — Sicherheiten 306 — Gold- 
notenbank 307 — Organisation 309 


Kapitel: Die Annahme des Gutachtens und die Londoner Konferenz 
vom 16. Juli bis 16. August 1924 nn nn, 
Der Bericht des Dawes-Komitees 311 — Der Bericht des Mc Kenna- 
Komitees 313 — Die Vorbereitung der Londoner Konferenz 315 — 
Die Londoner Konferenz 320 


130 
135 
146 
158 
165 


176 
185 
188 
206 


238 
253 


258 


271 
284 


DEE 








30, Kapitel: Die deutschen Reparationsgesetze . 


al, 


Gesetz über die Industriebelastung und 
ndustriebelastung 333 — 3. Gesetz 
Gesellschaft und deren Satzung 337 
des Reichshaushalts 339 


1, Bankgesetz 331 — 2. 
Gesetz zur Aufbringung der I 
über die Deutsche Reichsbahn- 
__ 4, Die verpfändeten Einnahmen 


‘tel: Die Ausführung des Planes . Ne 
Be 0 341 — Die Organe der ‚Pepsrahıon a 
Das Verfahren bei den Sachleistungen 344 — Die Abgabe von er 
deutschen Einfuhr (Reparation Recovery Act) 348 a Die Kein 
der Reparationsleistüngen 352 — L Forderungen mit Vorrecht 3 
__ IL Forderungen ohne Vorrecht 355 — Die Ergebnisse des ersten 


Jahres 356 


Teil V 
DER AUSBLICK AUF DAS ZIEL 
32. Kapitel: Das Transferproblem 
33, Kapitel: Ein Weg zur Lösung . 
SACHREGISTER 
REPARATIONSDATEN 


331 


341 


363 
381 
395 
403 











We 
m 








VORWORT 


Am 1, September 1925 war der „Dawesplan ein Jahr lang 
in Kraft, Unter diesem Namen kennt man allgemein das Ab- 
kommen über die Reparation, das am 16. August 1924 in London 
zwischen den alliierten Regierungen, Deutschland und der Repa- 
rationskommission geschlossen ist, und das sich auf. das Gut- 
achten des von der Reparationskommission berufenen Aus- 
schusses von Sachverständigen vom 9, April 1924 gründet. 

Der erste Jahresabschluß des Dawesplanes ist nicht allein 
durch seine wirtschaftlichen und finanziellen Ergebnisse be- 
merkenswert. Er hat auch eine weitgehende politische Bedeutung. 
Denn gemäß den in London getroffenen Abreden sind bis zum 


Ende dieses ersten Jahres alle die deutschen Gebiete wieder 


freigegeben und militärisch geräumt worden, welche die Alliier- 
ten seit dem Vertrage von Versailles strafweise besetzt hatten. 
Damit ist endlich der vertragsmäßige Zustand wieder hergestellt, 
Aus dem Ruhrgebiet und den Städten Düsseldorf, Duisburg und 
Ruhrort sind die fremden Truppen abgezogen, 


Das alles sieht heute schon beinahe selbstverständlich aus. 
Welch eine verwirrende Fülle von Ereignissen aber darin liegt, 
des werden wir uns erst dann wieder bewußt, wenn wir um die 
kurze Spanne zweier Jahre zurückdenken. Damals herrschte 
‚das Chaos, Deutschlands Wirtschaft und Geldwesen waren voll- 
kommen zerrüttet. Die Bewegung des Abfalles, die in den be- 
setzten Gebieten ungehemmte Bahn fand, drohte binnen kurzem 


den Reichskörper zu zersprengen. Das Ende Deutschlands schien 
besiegelt zu sein. 








Und mit einem Schlage wurde. alles anders. Die politische 
und wirtschaftliche Einheit Deutschlands ist gefestigter als je 
seit dem Ende des Weltkrieges, sein Geldwesen ist geordnet, der 
Reichshaushalt im Gleichgewicht. Der unselige Kampf um die 
Reparation, der fünf Jahre hindurch die Welt in Atem gehalten 
und die Gesundung Europas verhindert hat, ist durch die Einigung 
der Sieger mit den Besiegten auf absehbare Zeit beigelegt, Das 
Problem der Reparation hat wenigstens vorläufig eine praktische 
Lösung gefunden. Der Umschwung der Dinge in den beiden letzten 
Jahren ist so verblüffend, daß es noch immer vielen schwer fällt, 
daran zu glauben, daß eine neue Zeit angebrochen ist, und daß nun 
endlich die Hoffnung auf die Wiederkehr ruhiger und geordneter 
Verhältnisse berechtigt wird. Das Heer der Zweifler in beiden 
Lagern wird um so eher schwinden, je mehr die politische Ent- 
spannung zwischen den Völkern zunimmt, In Locarno ist darin 
soeben ein vielversprechender Fortschritt erzielt worden. 


Die Regelung der Reparation, die weder im Wege der Ver- 
. handlungen zwischen den beteiligten Mächten, noch durch An- 
wendung brutaler Gewalt auch nur einen Schritt gefördert werden 
konnte, solange in den Köpfen der politischen Führer der Sieger- 
mächte laienhafte Vorstellungen von ungezählten Milliarden 
spukten, ist in dem Augenblick gelungen, als die unerbittliche 
Logik der wirtschaftlichen Gesetze die alliierten Regierungen 
dazu brachte, den Rat wirtschaftlich kundiger Männer anzurufen 
und zu befolgen. In dreimonatiger angestrengter Arbeit haben 
die Sachverständigen des Daweskomitees ihre Aufgabe in einer 
Weise gelöst, welche die höchste Anerkennung verdient, wenn- 
gleich ihr Werk natürlich nicht beide Teile vollkommen zufrieden- 
stellen konnte, Diese Leistung ist jedoch nur möglich gewesen, 
weil die Sachverständigen nicht versucht haben, einen voll- 
kommen neuen Weg für die Lösung der Reparationsfrage zu 
finden, und weil sie einsichtig genug waren, auf den Erfahrungen 
der Vergangenheit aufzubauen, In allen Teilen ihres Planes finden 
wir Gedanken wieder, die bereits im Verlaufe der früheren Repa- 
rationsverhandlungen von Sachverständigen der beiden Seiten 
vorgebracht und begründet waren. Die Bausteine für das Werk 


10 





en ren sie jeweils mit den Ein- 
Zr. ._ e | die . ie in Stücke 
En aa Trümmer auf dem Schicksalswege der 
Es ist das bleibende m u ar 
rümmern die besten Dauste - 
Berewes, a in en Bond zu ihrem kunstvollen 
u So ist der Dawesplan ein Monument der voran- 
Bee Festen für die Lösung des Problems erg 
ee der Geschichte der Reparation ist ein voll- 
REN Verständnis des Planes Baum ae Be 
Aber nicht in der re zen une nn 
ie i | e um di aralı 
en "sa erg er herangezogen werden müssen, 
- en n auftauchende Schwierigkeiten in der Ben 
Nr tee zu überwinden. Das © > 
Dawesplanes bietet auf dem mühevollen Wege nd i en er 
ncigen haben selbet klärt, daß 
nicht erreicht. Die Sachverständig | De, 
' keine endgültige Lösung der Reparation ie Ben 
Br er allem die Festsetzung der Bee Be et 
land an Reparation zu en hat. ae wer er zn er 
Ü 1 che eise und in welche h se, 
nen Euer ——.. jährlich als Seragle" ae 
zahlen hat, tatsächlich in das Ausland abgeführt ven men 
ohne daß die Wirtschaft des Schuldners und der Emp 
' . Schaden erleidet. inoN 
der Reparation geht also weiter. Wir OR . 
einem Punkte angelangt, von dem aus wir die zurüc ge vn 
Strecke gut überschauen und den Rest des Weges sorgsa 
| Öönnen. | 
zn. es unternommen, in dem vorliegenden Werk eine 
Uebersicht über die Entwicklung der Reparation bis zum Berner 
Tage zu geben und auf Grund der vorliegenden agree. ” 
Ziel anzudeuten, dem wir zur endgültigen Lösung des ei e 
zustreben sollten. Dabei sind auch andere wichtige \ e 
gestreift, die nicht zum Reparationsproblem gehören, aber m 


11 


griffen 
geschlagen und lagen 
Reparation verstreut. 














ihm in engerer Beziehung stehen. Ich bin darauf jedoch nur so 
weit eingegangen, als es nötig erschien, um diese Zusammenhänge 
zu verstehen. Denn die Fülle des Stoffes zwingt zur straffen Be- 
schränkung auf das eigentliche Thema, 

Ich glaube, daß meine Arbeit einem Bedürfnis entspricht. 
Zwar liegt bereits eine große Anzahl von verdienstlichen 
Arbeiten und Untersuchungen über die Reparation vor. Die 
Reparationskommission selbst hat wertvolles Material über ihre 
Tätigkeit veröffentlicht. Vor allem ist über den Dawesplan, seine 
Organisation und seine Wirksamkeit viel geschrieben worden. Es 
fehlte bisher aber immer noch eine vollständige Geschichte der 
Reparation, die den Ereignissen von Beginn an nachgeht und 
zeigt, wie sie sich fortlaufend entwickelt haben und ineinander- 
greifen. 

Ich habe geglaubt, mich dieser Aufgabe unterziehen zu sollen, 
weil ich — erst als Vertreter der deutschen Regierung bei der 
Reparationskommission und später als deutscher Vertrauensmann 
bei den Verhandlungen mit den alliierten Regierungen, der 
Reparationskommission und dem Komitee der Sachverständigen 
— von Anfang bis zu Ende die Entwicklung der Reparations- 
frage genau verfolgen konnte. 

Ich wollte sachlich, einfach und klar schreiben, nicht nur für 
die Kenner der Reparation, denen ich immerhin manches 
Interessante zu bringen hoffe, sondern für jedermann, der das 
wichtigste wirtschaftliche Problem der Zeit nach dem Weltkriege 
gründlich kennenlernen und verstehen möchte, Wenn mein Werk 
aber von weiteren Kreisen gelesen werden soll, so mußte ich zwei 
Klippen vermeiden: ich durfte das allgemeine Interesse nicht 
mit allen Einzelheiten ersticken, welche auf Grund der weitver- 
zweigten Bestimmungen des Vertrages von Versailles jahrelang 
zwischen Deutschland und der Reparationskommission in mühe- 
voller Arbeit erörtert worden sind, Vielmehr mußte ich sorgsam 
darauf achten, eine große und klare Linie innezuhalten und alles, 
was nicht für das Verständnis wesentlich ist, beiseite zu lassen. 
Ich hoffe, daß meine Arbeit dadurch nicht an Vollständigkeit 


verloren hat. 


12 





t noch größere Schwierigkeit lag in der 
tschaftliche Problem der Reparation 
Streit der ehemaligen en 
eist so entstelli 
inei _ und in der Oeffentlichkeit meis | 
en iedem, der sich mit der Reparation 
bat Be Vorwurf einseitiger Stellungnahme gemacht worden ist, 
Ich Ei davon ausgegangen, daß eine Darstellung der Reparations- 
schicke nur dann für die endgültige are en 
| | Ä ' ichtet, irgendwe 
ein kann, wenn sie darauf verzichtet, | 
Zwecken zu dienen, und die Dinge ohne Vorurteil 
d ohne Parteinahme behandelt. N in 
> Was not tut, ist, die Wahrheit zu finden und die Wahrheit zu 


Eine zweite, vielleich 
Art der Darstellung. Das wir 
ist derart in den politischen 


sagen. 





Bei der Durchsicht des vorliegenden Werkes hat mir mein 
früherer Mitarbeiter, Oberregierungsrat Dr. Hans Meyer, er 
seiner reichen Erfahrung heraus manch klugen Rat gegeben. c 
möchte ihm an dieser Stelle für seine freundschaftliche Unter- 
stützung herzlichen Dank sagen. 


in, i tober 1925. 
Berlin, im Oktober ._ 


13 








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vorm 


Anm 2 reeeeer 


et 














ERSTES KAPITEL 
DAS WILSON-PROGRAMM 


Das Wort Reparation ist seit dem Ende des Weltkrieges zu 
einem ganz bestimmten Begriff geworden. Man versteht darunter 
- die Verpflichtung der besiegten Staaten, in erster Linie Deutsch- 
lands, die Kriegsschäden der Sieger wieder gutzumachen. Das 
vorliegende Werk behandelt allein die Reparation, welche 
Deutschland nach dem Vertrage von Versailles vom 28. Juni 1919 
obliegt. Um die Bestimmungen dieses Vertrages richtig zu ver- 
stehen, müssen wir etwas weiter zurückgreifen. Der Ursprung 
der Reparation liegt in dem historisch gewordenen Friedens- 
programm des Präsidenten der Vereinigten Staaten Wilson, auf 
Grund dessen Deutschland sich im Oktober 1918 zur Ein- 
gehung des Waffenstillstandes bereit erklärte, Zu den vierzehn 
Punkten des Wilson-Programms gehörte die Forderung, daß die 

besetzten Gebiete wiederhergestellt werden müßten. Im Laufe 
* der Unterhandlungen über den Waffenstillstand ließ Wilson im 
Namen der verbündeten Mächte durch die Note des Staats- 
sekretärs Lansing vom 5. November 1918 erklären, die Wieder- 
herstellung der besetzten Gebiete sei dahin zu verstehen, daß 
Deutschland für jeglichen Schaden, welcher der zivilen Be- 
völkerung der verbündeten Regierungen und ihrem Besitz durch 
“ den Angriff Deutschlands zu Lande, zu Wasser und aus der Luft 
zugefügt worden sei, Schadenersatz zu leisten habe. Dem hat 
sich Deutschland unterworfen, und damit war von Rechts wegen 
Seine Reparationspflicht genau begrenzt. Es wäre der Mensch- 
heit viel Leid erspart geblieben, wenn die Friedensbedingungen 


Bergmann, Der Weg der Reparation 2 17 














der Alliierten diese mit Deutschland vereinbarten Grenzen nicht 
überschritten hätten. Das Problem der Reparation wäre dann 
nicht so unsagbar schwer geworden und viel früher lösbar ge- 
wesen. So aber verließen die Alliierten den Boden des Wilson- 
Programms in dem Augenblick, als sie erkannten, daß Deutsch- 
land völlig wehrlos war und allen ihren Forderungen mit ge- 
bundenen Händen gegenüberstand, 

Die Reparationspflicht Deutschlands ist auf Verlangen von 
Clemenceau schon in das Abkommen über den Waffenstillstand 
vom 11, November 1918 aufgenommen worden, obwohl die 
Reparation, wie Lloyd George damals richtig bemerkte, mit dem 
Waffenstillstand nichts zu tun hatte, sondern in den Friedens- 
vertrag hineingehörte, 

Artikel 19 des Abkommens über den Waffenstillstand verlangte 
unter der Ueberschrift „Finanzielle Bestimmungen” kategorisch 
Schadenersatz und bestimmte, daß während der Dauer des 
Waffenstillstandes Deutschland keine öffentlichen Werte be- 
seitigen dürfe, die den Alliierten als Sicherheit für die Deckung 
der Kriegsschäden dienen könnten, Er verlangte weiter sofortige 
Zurückerstattung des Kassenbestandes der belgischen National- 
bank und Rückgabe aller Dokumente, baren Gelder und Wert- 
papiere, welche öffentliche und private Interessen in den besetzten 
Gebieten beträfen, Daraufhin hat Deutschland innerhalb weniger 
Tage mehr als 8,5 Milliarden Franken an beschlagnahmten Wert- 
papieren und in Verwahrung genommenen Wertsachen zurück- 
erstattet, Ferner wurde die Rückgabe des russischen und des 
rumänischen Goldes verlangt, das von den Deutschen beschlag- 
nahmt oder ihnen ausgeliefert war. Jede spätere Nachforderung 
der Alliierten und der Vereinigten Staaten wurde ausdrücklich 
vorbehalten, 


Deutschland mußte eine gewaltige Menge Kriegsmaterial und 
alle Unterseeboote ausliefern, es mußte die deutsche Hochsee- 
flotte teils abrüsten, teils internieren lassen und wurde außerdem 
zur Lieferung von 5000 Lokomotiven, 150 000 Eisenbahnwagen 
und 5000 Lastkraftwagen sowie zur Abtretung der elsaß-loth- 
ringischen Eisenbahnen mit ihrem gesamten Material verpflichtet. 


18 


Hierin lag die Vorwegnahme der Reparation von Transportmitteln 
in Höhe von mehreren Milliarden Goldmark,. 

In den Verträgen über die Verlängerung des ne. 
stillstandes, der zunächst immer nur auf etwa einen Monat ab- 


geschlossen wurde, sind die Reparationsansprüche weiter 
ausgebaut worden.. Das Finanzabkommen von Trier = 
13, Dezember 1918 verhängte eine förmliche Sperre über | eur 
Metallbestand des Reiches und der Reichsbank, sowie 2 x ie 
fremden Wertpapiere und Guthaben, die der Regierung un 2 
öffentlichen Kassen gehörten. Die deutsche Regierung mußte . 
sogar verpflichten, für fremde Wertpapiere und Guthaben, die 
sich im Besitz von Privatpersonen oder Gesellschaften befanden, 
ohne vorheriges Einvernehmen mit den Alliierten keine Ausfuhr- 
erlaubnis zu erteilen. Der Versuch der französischen Regierung, 
auf diese Weise durch einen besonderen Finanzkommissar eine 
allgemeine Kontrolle über die deutschen Finanzen einzuführen, 
scheiterte damals an dem Widerstand des amerikanischen Dele- 
sierten Norman Davis. Ein weiteres Abkommen zu Trier vom 
16, Januar 1919 legte Deutschland als Strafe für nicht recht- 
zeitige Lieferung des Eisenbahnmaterials die Verpflichtung auf, 
viele Tausende von landwirtschaftlichen Maschinen und Geräten 
herzugeben. 

In der Zeit des Waffenstillstandes bis zum Friedens- 
schluß wurde es immer deutlicher, daß die Reparationsforde- 
rungen der Alliierten über das Wilson-Programm weit hinaus- 
gehen würden. Man verlangte nunmehr ganz offen den Ersatz 


_ aller Kriegskosten der verbündeten Mächte. In einer Rede in 


Bristol am 11. November 1918 stellte sich auch Lloyd George 
grundsätzlich auf diesen Standpunkt, wobei er die englischen 
Forderungen allein auf acht Milliarden Pfund Sterling bezifferte. 
Bei den Beratungen der alliierten Kommission für Schadenersatz, 
die vom 1. Februar 1919 ab in Paris tagte, begründeten die 
drei englischen Delegierten: der australische Premierminister 
Hughes, Lord Sumner und Lord Cunliffe, den Anspruch der 
Alliierten auf den vollständigen Ersatz der gesamten Kriegs- 
Rosten als Recht des Siegers nach internationalem Brauch. Die 


e 19 


























Amerikaner bekämpften diese These, traten aber für den Ersatz 
sämtlicher Kriegsschäden ein, Dieser Zwiespalt der Siegermächte 
übertrug sich im März 1919 auf den Obersten Rat der Alliierten, 
wie man die Sitzungen der vier Premierminister von Frankreich, 
England, Italien und Amerika nannte, Frankreich lehnte es ab, 
für das Ausmaß der Reparation die deutsche Leistungsfähigkeit 
zugrunde zu legen. Die amerikanische Delegation bestand bis 
zum Schlusse darauf, daß die Grenzen des Wilson-Programms 
nicht überschritten werden dürften. Die Lage wurde so kritisch, 
daß ein offener Bruch zwischen den Verbündeten und Amerika 
kaum vermeidbar schien. Schließlich änderten Lloyd George und 
Clemenceau ihre Taktik. Es gelang ihnen, Wilson persönlich zu 
überzeugen, daß alle Reparationsforderungen, die sie stellten, 
einschließlich des Ersatzes der Militärpensionen, als Schadens- 
ansprüche der zivilen Bevölkerung anzusehen seien. So kam es 
schließlich in Versailles zu einer Einigung der Sieger, bei der das 
Wilson-Programm nur dem Schein nach aufrechterhalten, in 
Wirklichkeit aber vollkommen aufgegeben war. 


Die Hauptsache, nämlich der Gesamtbetrag der deutschen 
Reparationspflicht, wurde trotz lebhaften Widerspruchs der 
amerikanischen Delegierten nicht festgesetzt, sondern offen ge- 
lassen. Es ist schwer, sich heute in die Verblendung hineinzudenken, 
in welcher die Leiter der alliierten Mächte Deutschland 
damals die Friedensbedingungen diktierten, ohne sich um die 
Möglichkeit ihrer Ausführung Sorge zu machen, Sie und die 
Welt mit ihnen hatten im Verlaufe der Kriegsjahre, in denen 
unerhörte Beträge an Kriegsausgaben und Schulden aufgelaufen 
waren, jeden Maßstab für finanzielle Dinge verloren, Man hatte 
den alliierten Völkern immer wieder versichert, daß Deutschland 
die gesamten Kriegslasten zu zahlen haben würde, und man fand 
in Versailles weder die Einsicht noch den Mut, zu bekennen, daß 
die hochgespannten Erwartungen auf die deutsche Kriegsent- 
schädigung wesentlich heruntergeschraubt werden müßten. Diesen 
Mangel an Erkenntnis und Entschlossenheit haben Sieger und 
Besiegte in den Jahren des Kampfes um die Reparation gleich 
teuer bezahlen müssen, 


20 





i rseschichte des Versailler Vertrages ist in zahlreichen 
en von alliierter Seite eingehend dargestellt und 
daher hier nur so weit angedeutet, als es zum Verständnis der 
Reparationsgeschichte nötig ist. Wie weit das Kompromiß von 
Versailles hinter den Forderungen der einzelnen Alliierten 
zurückbleibt, ergibt sich besonders aus dem Vorprojekt für die 
finanziellen Bedingungen, das der französische Finanzminister 
Klotz am 12. April 1919 dem Obersten Rat vorlegte. Danach 
sollte Deutschland auf seine Reparationsschuld eine re 
von 24 Milliarden Goldmark leisten, und zwar 16 Milliar en 
binnen drei Monaten, die restlichen 8 Milliarden binnen nr 
Jahre nach dem Abschluß des Vertrages. Vom zweiten Jahre 
an sollten Jahreszahlungen stattfinden, die mit 8 Milliarden be- 
ginnen und jährlich mit 2 Prozent steigen sollten. Die Anzahl der 
Leistungsjahre sollte durch eine interalliierte Kommission fest- 
gestellt werden. ai üe) 

Während die Alliierten sich in Paris gegenseitig mit ihren 
Ansprüchen an Deutschland überboten, bereitete man sich in 
Berlin, unbeirrt durch tägliche Straßenkämpfe und schwere 
Nahrungssorgen, gleichfalls mit großem Eifer für die Friedens- 
konferenz vor. Wenn das deutsche Volk auch nicht ohne Besorgnis 
die Nachrichten aus dem Auslande verfolgte, nach denen in 
öffentlichen Reden und Presseartikeln viele hundert Milliarden 
Mark Kriegsentschädigung verlangt wurden, so hegte es doch 
ein beinahe gläubiges Vertrauen darauf, daß der Präsident Wilson 
seine vierzehn Punkte den Alliierten gegenüber durchsetzen und 
dem geschlossenen internationalen Abkommen gemäß die Repa- 


_ ration auf den Ersatz der Schäden in den zerstörten Gebieten 


Frankreichs und Belgiens beschränken werde. 


Es ist im Hinblick auf die spätere Entwickelung der Repa- 
rationsfrage und zum Vergleich mit dem Dawesplan von Interesse 
festzustellen, daß man im Reichsschatzamt, dem späteren Reichs- 
finanzministerium in Berlin, bereits Ende Dezember 1918 mit 
einer Reparationssumme von 30 Milliarden Goldmark rechnete. 
Man war darauf gefaßt, daß dieser Betrag Deutschland beim 


 Friedensschluß auferlegt werden würde, und man beschäftigte 


21 























sich sehr eingehend mit dem Problem, auf welche Weise die 
Zahlung möglich sein würde, Eine damals im Reichsschatzamt 
entstandene Denkschrift kam zu dem Schluß, die Reparation 
könne weder durch Barzahlungen, noch im Wege einer Anleihe, 
noch endlich ohne schwere Gefahren für die Wirtschaft der 
Alliierten und Deutschlands durch Sachlieferungen geleistet 
werden. Vielmehr sei die einzig richtige Art der Reparation darin 
zu erblicken, daß Deutschland verpflichtet werde, die entstandenen 
Schäden durch eigene Arbeit wiederherzustellen, wobei außer 
dem eigentlichen Wiederaufbau auch große Lieferungen von Roh- 
stoffen, Baumaterialien und Schiffen in Betracht kommen könnten. 


Mit solchen Ideen über die Reparation ging die 200 Köpfe 
starke deutsche Delegation am 27. April 1919 zur Friedens- 
konferenz nach Versailles, Dort wurde sie von der Außenwelt 
sorgfältig abgeschlossen. Am 7. Mai wurden ihr endlich die 
Friedensbedingungen übergeben. Jede Möglichkeit zur Verhand- 
lung wurde von vornherein abgelehnt. Die Deutschen durften ihre 
Bemerkungen zu den Bedingungen nur schriftlich machen. So sind 
denn auch die Vorschriften über die Reparation bis auf gering- 
fügige Aenderungen mehr formaler Art im Vertrage von Versailles 
genau so geblieben, wie sie ursprünglich übergeben waren. 

Daß die Alliierten in Versailles jede Verhandlung über den 
Frieden unmöglich machten, hatte seinen Grund zunächst darin, 
daß sie die deutsche Delegation als Vertreter eines verbreche- 


rischen Volkes ansahen, das einfach abgeurteilt werden sollte und. 


vor Verkündung des Urteils nur das Recht bekam, sich auf die 
Anklage zu äußern. Ebenso sehr aber hat wohl auch die Be- 
fürchtung mitgespielt, daß jede Verhandlung mit den Deutschen 
den nur mühsam überbrückten Zwiespalt zwischen den einzelnen 
Alliierten und Amerika wieder aufreißen würde, 


22 








ZWEITES KAPITEL 
DIE VORSCHRIFTEN DES VERTRAGES 


So unbestimmt der Vertrag von Versailles die Reparations- 
pflichten Deutschlands gelassen hat, so umfangreich und ver- 
wickelt hat er sie gestaltet. Ich will versuchen, sie im folgenden 


so kurz wie möglich zusammenzufassen, 


Der Vertrag bestimmt nur die Art und nicht die Höhe der 
Schäden, für die Deutschland Ersatz zu leisten hat. Er macht 
Deutschland grundsätzlich für alle Kriegsschäden der Alliierten 
verantwortlich, weil es mit seinen Verbündeten ihnen den Krieg 
aufgezwungen habe (Art. 231), beschränkt dann aber wegen des 
deutschen Unvermögens zum Ersatz aller Kriegsschäden die Ver- 
pflichtung auf eine Reihe bestimmter Schäden (Art. 232 und 
Anhang I dazu). Dabei ist das Wilson-Programm — Schäden der 
Zivilbevölkerung durch den Angriff Deutschlands zu Lande, zu 
Wasser und aus der Luft — zwar zitiert, jedoch in demselben 
Satze dadurch entwertet worden, daß Deutschland allgemein alle 
Schäden ersetzen sollte, die in dem Anhang I zu Art. 232 auf- 
gezählt sind. Darunter fallen auch die Pensionen und alle 
sonstigen Aufwendungen der alliierten und assoziierten Re- 
Sierungen für die Mitglieder ihrer Heere und deren Angehörige. 

Die Festsetzung der Höhe aller dieser Schäden wurde einem 
interalliierten Ausschuß, der Reparationskommission, zugewiesen. 
Diese sollte bis zum 1. Mai 1921 den Gesamtbetrag der Schäden 
bestimmen und ihn der deutschen Regierung als Gesamtsumme 
ihrer Verpflichtungen bekannt geben, Gleichzeitig sollte die 


_ Kommission einen Zahlungsplan aufstellen und angeben, in 


23 
































welcher Weise Deutschland vom 1. Mai 1921 ab seine Gesamt- 
schuld in einem Zeitraum von dreißig Jahren zu tilgen habe. Die 
Kommission erhielt das Recht, nach Prüfung der Zahlungsfähig- 
keit Deutschlands und nach Anhörung seiner Vertreter die Fristen 
des Zahlungsplanes zu ändern und zu verlängern, aber sie durfte 
ohne Ermächtigung der verschiedenen in der Kommission ver. 
tretenen Regierungen keine Zahlung erlassen (Art. 233, 234). 

Vor der endgültigen Feststellung der Reparationslast hatte 
Deutschland bis zum 1. Mai 1921 nach näherer Bestimmung der 
Reparationskommission den Gegenwert von zwanzig Milliarden 
Goldmark abschlagsweise zu zahlen. Hieraus waren die Kosten 
der Besatzungsheere vom 11. November 1918 ab vorzugsweise zu 
bestreiten, Auf die zwanzig Milliarden konnte der Wert der 
Nahrungsmittel und Rohstoffe angerechnet werden, die nach dem 
Urteil der Regierungen der alliierten und assoziierten Mächte 
nötig waren, um Deutschland zur Erfüllung seiner Reparations- 
pflicht zu befähigen (Art. 235). Deutschland mußte der Repa- 
rationskommission. sogleich Schuldverschreibungen auf den In- 
haber in Höhe von hundert Milliarden Goldmark als Sicherheit 
und Anerkenntnis seiner Schuld übergeben. Davon waren 
zwanzig Milliarden, die schon am 1, Mai 1921 fällig wurden, als 
Sicherheit für die erste Abschlagsrate von zwanzig Milliarden 
bestimmt, Weitere Schuldverschreibungen über vierzig Milliarden 
Goldmark waren von 1921 bis 1926 mit zweieinhalb Prozent zu 
verzinsen und von 1926 ab mit fünf Prozent zu verzinsen und mit 
einem Prozent zu tilgen. Ueber die restlichen vierzig Milliarden 
hatte Deutschland eine Urkunde auszustellen, durch die es sich 
zur Ausgabe weiterer vierzig Milliarden Goldmark fünfprozentiger 
Schuldverschreibungen auf den Inhaber verpflichtete, wenn und 
sobald die Reparationskommission sich überzeugt haben würde, 
daß Deutschland Zinsen und Tilgung dieser : Werte aufbringen 
könne, Aber sogar über alle diese Beträge hinaus konnte die. 
Kommission noch weitere Ausgaben von Schuldverschreibungen 
fordern (Anhang II $ 12 zu Art. 232). 

Auf den Gesamtbetrag der von der Kommission festzustellen. 
den Schuld waren vom 1. Mai 1921 ab fünf Prozent Zinsen zu 


24 





zahlen. Der Zinsfuß konnte von der Reparationskommission ge- 
ändert werden (Anhang II $ 16). we 
Abgesehen von Geldzahlungen wurden auch die ieh . - 
lichen Hilfsquellen Deutschlands für die Reparation eb; " e 
herangezogen (Art. 236). Diese als A Hure HR n vB 
lieferungen” bekannt gewordenen Leistungen sind in en ale 
hängen III bis VI zu den Reparationsbestimmungen wi 


geregelt: 


1. SCHIFFE (ANHANG II) 


Alle deutschen Handelsschiffe von 1600 Bruttotonnen ar 
darüber, ferner die Hälfte der Schiffe zwischen 1000 und 160 
Bruttotonnen und ein Viertel der Fischdampfer und der sonstigen 
Fischereifahrzeuge waren an die Siegermächte abzulieiern. Ferner 
hatte Deutschland fünf Jahre lang Handelsschiife bis zu 200 000 
Bruttotonnen jährlich für die Alliierten zu bauen. Es mußte 
außerdem alle Flußfahrzeuge, die seit dem 1. August 1914 in 
deutschen Besitz gekommen waren, den Siegermächten zurück- 
geben und bis zu zwanzig Prozent des deutschen Bestandes an 
Flußfahrzeugen an die Reparationskommission abliefern. 


2. TIERE UND MATERIALIEN (ANHANG IV) 


Deutschland wurde verpflichtet, alle Verluste der Sieger- 
mächte an Tieren sowie an Maschinen, Werkzeugen und ähn- 
lichen Handelsartikeln durch gleichartige Tiere und Gegenstände, 
die in Deutschland vorhanden waren, zu ersetzen, sowie 
Materialien zum Wiederaufbau, Maschinen, Heizungseinrichtungen, 
Möbel usw. zu liefern, alles auf Grund von Listen, die von den 
einzelnen Regierungen bei der Reparationskommission einzu- 
reichen waren. Die Reparationskommission sollte entscheiden, 
inwieweit Deutschland zur Lieferung imstande sei, und die Preise 
festsetzen. An Frankreich und Belgien waren schon binnen drei 
Monaten bestimmte Mengen von Tieren, vor allem Pferde und 


Rinder (700 Zuchthengste, 4000 Stuten, 140 000 Milchkühe, 
40000 Färsen, 4000 Stiere), zu liefern, 


25 


























3. KOHLE UND KOHLENPRODUKTE (ANHANG V) 


Deutschland mußte folgende Kohlenlieferungen übernehmen: 
an Frankreich zehn Jahre lang sieben Millionen Tonnen 
Kohlen jährlich, außerdem während der gleichen Zeit den Minder- 
ertrag der im Kriege zerstörten nordiranzösischen Kohlengruben, 
und zwar bis zu zwanzig Millionen Tonnen jährlich während der 


ersten fünf Jahre und bis zu acht Millionen Tonnen jährlich 
während der folgenden Jahre: 


an Belgien zehn Jahre lang’ acht Millionen Tonnen Kohlen 
jährlich; 

an Italien zehn Jahre lang allmählich steigend bis zu achtein- 
halb Millionen Tonnen Kohlen jährlich, 


Die Höchstlieferung eines Jahres konnte somit im Laufe der 
ersten fünf Jahre 43% Millionen Tonnen erreichen, 


Als Preis für die Kohlenlieferungen wurde in der Regel der 
deutsche Inlandspreis ab Grube, höchstens aber der englische 
Ausfuhrpreis ab Grube vorgesehen, zuzüglich der Fracht bis zur 
Grenze des Empfangslandes, Für Lieferungen auf dem Seewege 
sollte entweder der deutsche Ausfuhrpreis fob deutscher Hafen 
oder der englische Ausfuhrpreis fob englischer Hafen, aber immer 
der geringere von beiden, maßgebend sein, Die Alliierten erhielten 
das Recht, an Stelle von Kohle die Lieferung von Koks zu ver- 


langen, wobei drei Tonnen Koks als vier Tonnen Kohle gelten 
sollten, 


Deutschland hatte ferner an F rankreich drei Jahre lang 
35000 Tonnen Benzol, 50.000 Tonnen Steinkohlenteer oder ent- 


sprechende Nebenprodukte und 30 000 Tonnen schwefelsaures 
Ammoniak jährlich zu liefern, 


Als Preis für den Koks und die Kohlenprodukte wurde der 
deutsche Inlandspreis bestimmt. 


Die Reparationskommission wurde ermächtigt, diese Liefe- 
rungen zu ermäßigen, 


26 








A, CHEMISCHE PRODUKTE (ANHANG VI) 


Deutschland wurde verpflichtet, Farbstoffe aa Ben 
tische Waren zu liefern, und zwar bis zu fün zig A 
en hland bei Inkrafttreten des Vertrages befindlic en 
F en aa bis zur Höhe von fünfundzwanzig Be er 
En Normalproduktion bis > 1. E ee Br 
o- reis vor dem Krieg r in 
nen Erhöhung der Herstellungskosten sein. 





Der Vertrag von Versailles bestimmte, daß der op sur 
dieser Lieferungen von der en 2 Pt 
und auf Reparationskonto Ben ee ur n en En. 
Weise war Deutschland der Wert der sonsti | os nn 

’ ji Abtretungen gutzubringen. 

es urr m za Wert = ARmame On ya er 
ic n (Art. 238, 243). Darunter vers e man di 
. ns aa a 
d im Kriege beschlagna we 
na nn Tiere und Gegens ea i 
aller Art, soweit sie auf dem Gebiet Deutschlands oder sein 
Verbündeten festgestellt werden können. | en 

Auf Reparationskonto sollten außerdem gutgeschrieben wer ” / 

a) der Wert der von Deutschland abgetretenen Seekabel, 
soweit sie Privateigentum waren, 

b) dieLieferungen auf Grund der Waffenstillstandsverträge, 
abgesehen von Kriegsmaterial, in der Hauptsache Trans- 
portmittel und landwirtschaftliche Maschinen, 

c) der Wert der an Frankreich abgetretenen Kohlengruben 
im Saargebiet, 

d) alles, was von den Mächten, denen deutsche Gebietsteile 
abgetreten wurden, als Entgelt für den Erwerb deutschen 
Reichs- oder Staatseigentums oder auf Grund der Ueber- 
nahme eines entsprechenden Teiles der deutschen Reichs- 
schuld an die Reparationskommission abzuführen war, 


21 



































e) der Wert der Rechte und Beteiligungen deutscher 
Reichsangehöriger an öffentlichen Unternehmungen oder 
Konzessionen in Rußland, China, Oesterreich, Ungarn, 
Bulgarien, der Türkei und in den von Deutschland auf 
Grund des Vertrages abgetretenen Gebieten, soweit die 
Reparationskommission die Abtretung solcher Rechte 
forderte (Art, 260). 


Für den Rückerwerb von Elsaß-Lothringen hatte Frankreich 
keinerlei Entschädigung an Deutschland zu leisten. Auch für die 
elsaß - lothringischen Eisenbahnen vergütete es nichts. Damit 
allein hat sich Frankreich eine Sonder-Reparation im Werte von 
einigen Milliarden Goldmark im voraus gesichert, 


Auch Belgien wurde von jeder Vergütung für Reichs- und 
Staatseigentum in den abgetretenen deutschen Gebieten befreit. 

Diese weittragenden Ausnahmen zugunsten von Frankreich 
und Belgien erschwerten die deutsche Reparationslast um den 
Wert des kostenlos abgetretenen Eigentums, Noch viel unbilliger 
und härter aber war die Bestimmung des Vertrages, daß Deutsch- 
land alle seine Kolonien hergeben mußte und für ihren unschätz- 
baren Wert in keiner Weise entschädigt wurde, 


Der Vertrag von Versailles hat die Ueberwachung aller Vor- 
schriften über die Reparation in die Hand der Reparations- 
kommission gelegt. Diese soll sich daher erst nach vollständiger 
Tilgung der Reparationsschuld auflösen. 

Die Kommission sollte nach dem Vertrage aus je einem Dele- 
gierten und einem stellvertretenden Delegierten der Vereinigten 
Staaten von Amerika, Englands, Frankreichs, Italiens, Japans, 
Belgiens und Serbiens bestehen. An den Sitzungen der Kom- 
mission sollten stimmberechtigt stets die Vertreter von Amerika, 
England, Frankreich und Italien teilnehmen, ferner in der Regel 
der Vertreter Belgiens, Japan sollte mitsprechen und mitstimmen 
in Fragen, die Seeschäden oder Interessen Japans nach Art, 260 
betreffen, Serbien in Fragen, die Oesterreich, Ungarn oder Bul- 
garien angehen. Die Kommission hat ihren Sitz in Paris, kann 
aber je nach Bedarf auch an anderen Orten zusammenkommen, 


28 


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ie Si ind in der Regel geheim. Der jährlich neu zu 
un ee gibt im Falle von Stimmengleichheit den 
E chlag. In besonderen Fällen, vor allem bei Aufschub von 
| we hen Zahlungen über das Jahr 1930 hinaus und bei Auslegung 
E BE ionsvorschriften, mußte die Kommission einstimmig 


entscheiden. 

Die Kommission sollte Deutschland auf Antrag angemessenes 
Gehör geben, vor allem über seine Zahlungsfähigkeit. Sie sollte 
frei in jeder gesetzlichen. Regel nach Gerechtigkeit, Billigkeit 


_ und Treu und Glauben entscheiden. i 


Die Kommission erhielt in Sachen der Reparation weitgehende 
Befugnisse, vor allem das Recht zur Auslegung ‚der eier 
bestimmungen. Sie hatt&periodisch die Zahlungsfähigkeit Deutsch- 
lands abzuschätzen. Dabei sollte sie das deutsche Steuersystem 
daraufhin prüfen, daß erstens alle Einkünfte Deutschlands ein- 
schließlich der für den Dienst seiner inneren Anleihen bestimmten 
Einnahmen vorzugsweise für die Reparation verwendet würden, 
und daß zweitens die deutsche Steuerlast im allgemeinen ver- 
hältnismäßig ebenso schwer sei wie die Steuerlast irgendeiner 
in der Kommission vertretenen Macht. Für die Reparation sollten, 
abgesehen von Ausnahmen, die die Reparationskommission etwa 
"bewilligte, der gesamte Besitz und alle Einnahmequellen des 
Deutschen Reiches und der deutschen Staaten an erster Stelle 
haften (Art. 248). | 
Die Reparationskommission wurde ermächtigt, an Stelle von 


Geldzahlungen von Deutschland jederzeit bewegliche und un- 


bewegliche Sachen, Waren, Unternehmungen, Rechte und Kon- 
_  zessionen, Schiffe, Schuldverschreibungen, Aktien oder andere 
Papiere anzunehmen. Den Wert solcher Leistungen Deutschlands 
hatte sie selber zu bestimmen ($ 19 Anhang II). 


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Die Vorschriften des Anhangs II über die Rechte und Pflichten 


der Reparationskommission können durch einstimmigen Beschluß 


_ der in der Reparationskommission vertretenen Regierungen ab- 


_ geändert werden. Das ist in bezug auf den erwähnten $ 19 später 


_ im Londoner Zahlungsplan vom 5. Mai 1921 geschehen. 





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I 29 























Für den Fall, daß Deutschland irgendeiner seiner Repara- 
tionspflichten nicht nachkommt, hat nach dem Vertrage die Re- 
parationskommission die Nichterfüllung unverzüglich jeder der 
beteiligten Mächte anzuzeigen und ihr gleichzeitig Vorschläge für 
die zu ergreifenden Maßnahmen zu machen. Wenn Deutschland 
vorsätzlich seinen Verpflichtungen nicht nachkommt (manquement 
volontaire), können die alliierten Mächte wirtschaftliche und 
finanzielle Sperr- und Vergeltungsmaßregeln ergreifen und über- 
haupt alle Schritte unternehmen, die sie durch die Umstände 
für geboten halten. Deutschland darf diese Maßnahmen nicht als 
feindliche Handlungen betrachten (SS 17, 18 Anhang II). 

Das sind die vielgenannten Vorschriften des Vertrages über 
„Sanktionen“, welche in der F olgezeit eine so unheilvolle Be- 
deutung erlangt haben, 

Neben der Reparation ist Deutschland durch den Vertrag von 
Versailles noch einer ganzen Reihe anderer schwerer und un- 
bestimmter Leistungen unterworfen worden, Diese stehen weder 
untereinander noch mit der Reparation in Zusammenhang und 
sind auch der Aufsicht der Reparationskommission nicht unter- 
stellt, 

So verpflichtete der Vertrag Deutschland zur Zahlung der 
gesamten Unterhaltungskosten der Besatzungsheere vom Tage 
des Waffenstillstandes, dem 11, November 1918, ab. Die Kosten 
waren in Goldmark zu erstatten, soweit sie nicht aus Ankäufen 
oder Requisitionen im besetzten Gebiet herrührten, Im letzteren 
Falle hatte die deutsche Regierung sie in Markwährung zu be- 
zahlen, Für die Besatzungskosten sollten der Besitz und die Ein- 
nahmequellen des Deutschen Reiches und der Länder sogar vor- 
zugsweise vor der Reparation haften (Art, 251). 

Der Vertrag bestimmte ferner, daß Deutschland für die privaten 
Vorkriegsschulden der Reichsangehörigen gegenüber den An- 
gehörigen der alliierten Mächte aufzukommen habe, sofern diese 
Mächte sich dem im Vertrage vorgesehenen Verfahren für den 
Ausgleich solcher Schulden anschlossen, In dem Ausgleichsver- 
fahren (Clearing) sollte monatlich abgerechnet werden. Ergab 
sich dabei ein deutscher Schuldbetrag, so mußte die deutsche 


30 


’ iierten St hlen. Zeigte die 

; ihn sogleich an den alliierten Staat zahlen. 
N u $ aber einen Ueberschuß für Deutschland, 
BE cltte er von dem alliierten Staat so lange einbehalten werden, 
bis alle deutschen Verpflichtungen unter dem Vertrage von Ver- 


 sailles beglichen sein würden. 


Der Vertrag hat weiter gemischte Schiedsgerichte . 
aus deren Rechtsprechung für engen ne en 
i | rwachsen konnten, Diese Greerichte sollt nt 
elle Ansprüche auf Ersatz von Schäden entscheiden, 
it: Staatsangehörige der alliierten Mächte auf Grund von 

deutschen Kriessmaßnahmen erlitten hatten. ‚ / 
Endlich mußte die deutsche Regierung auch die Verpflichtung 


_ übernehmen, ihre Angehörigen für die Verluste zu entschädigen, 


welche ihnen durch die Wegnahme des privaten nu: ae 
tums in den alliierten Ländern entstanden waren. Denn > 
alliierten Mächte haben sich im Vertrage von Versailles das Recht 
vorbehalten, das den deutschen Reichsangehörigen bei Inkraft- 


treten des Vertrages gehörende Eigentum, ihre Güter, Rechte und 


Interessen innerhalb ihrer Gebiete einschließlich der Kolonien, 
sogar in einem abgetretenen deutschen Gebiete, zurückzubehalten 
und zu liquidieren. Die großen alliierten Mächte haben von diesem 
Rechte weitgehenden Gebrauch gemacht und deutsches Eigentum 
im Werte von vielen Milliarden Goldmark für sich liquidiert. Die 
Entschädigung für das liquidierte Eigentum war von der be- 
teiligten alliierten Macht einseitig festzusetzen. Soweit der Erlös 
der Liquidation nicht zur Entschädigung der alliierten Macht oder 
im Ausgleichsverfahren verwendet wurde, sollte er Deutschland 
auf Reparationskonto gutgebracht werden, Bisher hat Deutsch- 
land jedoch noch keine Gutschrift dafür erhalten. 

Die Vorschriften des Vertrages von Versailles über die Pflicht 
Deutschlands zum Ersatz von Schäden aller Art, der Alliierten 
sowohl wie deutscher Privatpersonen, legten der deutschen Regie- 


rung eine Reihe von Leistungen auf, deren Ausmaß in keiner 


Weise begrenzt war. Selbst die eigentliche Reparationslast blieb 
im Vertrage unbestimmt. Aus der Forderung, daß Deutschland 
zunächst einmal Schuldverschreibungen in Höhe von hundert 


31 
































Milliarden Goldmark ausstellen solle, konnte man nur erkennen, 
daß die Alliierten mit der späteren Festsetzung einer noch höheren 
Reparationsschuld rechneten, Aber so viel stand fest, daß Deutsch- 
land bis zum 1. Mai 1921, also binnen zwei Jahren, die ungeheure 
Summe von zwanzig Milliarden Goldmark in Geld und Sach- 
lieferungen als Reparation leisten sollte. Dazu kam die Abtretung 
gewaltiger Substanzwerte aus Reichs- und Staatseigentum und 
aus der privaten deutschen Wirtschaft. Endlich aber traten zu 
der Reparation, wie wir gesehen haben, noch die Besatzungs- 
kosten, die Leistungen aus dem Ausgleichsverfahren, aus der 
Rechtsprechung der gemischten Schiedsgerichte und die Pflicht 
zur Entschädigung der Reichsangehörigen für die Wegnahme ihres 
Vermögens in den alliierten Ländern. Alles dies mußte die 
deutsche Schuld, deren Höhe ohnehin nicht abzusehen war, ins 
Ungemessene vermehren, Das Schlimmste dabei aber war, daß 
alle diese Nebenleistungen die Fähigkeit Deutschlands zur Repa- 
ration schwer beeinträchtigten. Denn die Besatzungskosten hatten 
ja-nach dem Vertrage vor der Reparation den Vorrang. Alles, 
was Deutschland zahlen konnte, wurde zunächst einmal auf die 
Besatzungskosten verrechnet. So ist es denn auch gekommen, daß 
von den gesamten Leistungen, die Deutschland bis zum 1, Mai 1921 
tatsächlich abgeführt hat, überhaupt nichts für die Reparation 
übrig blieb. 

Schon zu der Zeit, wo Barzahlungen für die Reparation von 
Deutschland noch nicht verlangt wurden, mußte es gewaltige 
Summen für seine monatlichen Schuldbeträge aus dem Aus- 
gleichsverfahren an die einzelnen alliierten Staaten entrichten. 
Diese seltsame Tatsache ist nur dadurch zu erklären, daß die 
Reparationskommission, welche doch die deutsche Leistungsfähig- 
keit überwachen sollte, keinerlei Vollmacht und kein Recht zur 
Mitwirkung in bezug auf die Zahlungen besaß, welche unter 
anderen Titeln des Vertrages von Deutschland verlangt wurden. 
Erst im Herbst 1920 erhielten Mitglieder der Reparations- 
kommission Kenntnis davon, daß Deutschland im Ausgleichsver- 
fahren bereits sehr große Beträge an mehrere Mächte gezahlt 
hatte. 


32 


“ 








Besonders bedenklich war die Vorschrift des Vertrages, nach 
welcher Deutschland auch auf Grund von Entscheidungen der 


4 gemischten Schiedsgerichte Schäden ersetzen sollte, In Wirklich- 


keit wurden bei weitem die meisten Schäden, deren Ersatz die 
Angehörigen der alliierten Mächte fordern konnten, als Repa- 
rationsansprüche angemeldet und in die gemeinsame große Rech- 
nung der Alliierten einbezogen. Die Einführung der gemischten 
Schiedsgerichte mußte einen Anreiz dazu geben, durch besondere 
Klage beim Schiedsgericht Ansprüche gegen das Deutsche Reich 
zu erheben, um auf diese Weise unmittelbar einen Schadenersatz 
zu erhalten, der im gewöhnlichen Reparationsverfahren nur auf 
dem Wege über die einzelnen alliierten Staaten zu erreichen war. 
Es ist sicher, daß die Schiedsgerichte dazu benutzt worden sind, 
um neben der allgemeinen Reparation noch eine private Repa- 
ration zu betreiben. Damit entstand für Deutschland die Gefahr, 
daß es zur Reparation in vielen Fällen doppelt herangezogen 
wurde, 

Die Häufung von Ersatzansprüchen gegen Deutschland, die 
voneinander völlig unabhängig waren, zeigt, daß der Vertrag von 
Versailles keineswegs einheitlich durchdacht und verfaßt wurde. 
Der schwerste psychologische Fehler, den die Verfasser des 
Vertrages begangen haben, ist der, daß sie sich gar nicht klar 
machten, bis zu welcher Höhe eigentlich die deutsche Zahlungs- 
fähigkeit gehen könne, und daß sie nicht wenigstens eine be- 
stimmte Stelle mit der Ueberwachung der gesamten deutschen 
Leistungen betrauten, Die ungemessene Schuldverpflichtung aus 
dem Vertrage mußtejeder auch noch so zahlungswilligen deutschen 
Regierung von vornherein den Mut nehmen, energische Schritte 
zur planmäßigen Abtragung der Schuld zu unternehmen. Solange 
ein Schuldner nicht weiß, was er im ganzen zu zahlen hat und ob 
er die Last tragen kann, wird es ihm unmöglich sein, seine Kräfte 
zur Zahlung voll zu entfalten. Es ist die Schuld des Vertrages 
selbst, daß es bei der Durchführung der Reparation über kurz 
oder lang zu den im Vertrage vorgesehenen „Sanktionen 
kommen mußte, 

Der Vertrag von Versailles verlangt keinerlei direkte Arbeits- 


Bergmann, Der Weg der Reparation 3 33 
































leistung für den Wiederaufbau, Das ist eine seltsame und auf- 
fallende Erscheinung, die in Widerspruch mit der Forderung 
steht, daß Deutschland seine wirtschaftlichen Hilfsmittel unmittel- 
bar der materiellen Wiederherstellung der zerstörten Gebiete 
dienstbar machen müsse, Alle Angebote, die Deutschland in dieser 
Hinsicht im Verlaufe der Zeit gemacht hat, sind von den Alliierten 
als unannehmbar zurückgewiesen oder so behandelt worden, daß 
sie ohne praktisches Ergebnis bleiben mußten. Die Erklärung 
dafür liegt darin, daß man die Konkurrenz der deutschen Arbeits- 
betätigung in den zerstörten Gebieten und die Berührung von 
deutschen Arbeitern mit der heimischen Bevölkerung fürchtete, 

Man muß der deutschen Friedensdelegation in Versailles 
. nachrühmen, daß sie die grundlegenden Mängel der von den 
Alliierten diktierten F riedensbedingungen gleich richtig erkannt 
und in ihren Noten an die interalliierte Friedenskonferenz scharf 
hervorgehoben hat. Die deutsche Delegation hat sich dabei nicht 
mit einer Kritik begnügt, sondern sie hat auch Gegenvorschläge 
gemacht, welche vielleicht nicht in allen Punkten annehmbar 
waren, aber doch eine geeignete Grundlage für Verhandlungen 
boten, wenn die Alliierten in Versailles überhaupt daran gedacht 
hätten, sich auf Besprechungen mit den Deutschen einzulassen. 

Die deutschen Antwortnoten und Gegenvorschläge auf die 
Friedensbedingungen sind fast gar nicht beachtet worden. Sie 
enthalten aber viel wertvolles Material, das der Vergessenheit 
entrissen werden und in einer allgemeinen Darstellung der Repa- 
rationsgeschichte seinen Platz finden muß. Deshalb sei einiges 
aus ihnen hier im Wortlaut wiedergegeben, 

Im Mittelpunkt der deutschen Note vom 29, Mai 1919 an den 
französischen Ministerpräsidenten Clemenceau steht folgendes 
Angebot: 

„Deutschland ist bereit, die ihm nach dem vereinbarten 
Friedensprogramm obliegenden Zahlungen bis zur Höchst- 
summe von 100 Milliarden Gold zu leisten, und zwar 
20 Milliarden Mark Gold bis zum 1, Mai 1926, alsdann die 
restlichen 80 Milliarden Mark Gold in unverzinslichen 
Jahresraten. Diese Raten sollen grundsätzlich einen be- 


34 











stimmten Prozentsatz der deutschen Reichs- und Staatsein- 

nahmen ausmachen, Die Rate wird dem früheren Friedens- 

budget nahekommen., In den ersten zehn Jahren soll die Rate 

je eine Milliarde Mark Gold nicht übersteigen. Der deutsche 

| Steuerzahler soll nicht weniger belastet sein als der des 

2 höchstbelasteten in der Reparationskommission vertretenen 
Staates.” 

Das Angebot war allerdings an die Bedingung geknüpft, daß 
die Abtretung deutscher Gebiete auf ein bestimmtes Maß be- 
schränkt werde und daß vor allem Oberschlesien beim Reiche 
verbleibe, Es beweist aber auf jeden Fall, daß Deutschland schon 
damals zu einer außerordentlich weitgehenden Reparation ent- 
schlossen war. 

In derselben Note heißt es weiter: 

„Deutschland ist bereit, seine gesamte wirtschaftliche 
Kraft dem Dienst der Wiederherstellung zu widmen. Es 
wünscht, bei der Wiederherstellung der zerstörten Gebiete 

"in Belgien und Frankreich werktätig mitzuarbeiten. Für den 

Produktionsausfall der zerstörten Gruben Nordfrankreichs 
sollen während der ersten fünf Jahre bis zu 20 Millionen 

- Tonnen Kohlen jährlich, während der nächsten fünf Jahre 

bis zu acht Millionen Tonnen Kohlen jährlich geliefert werden. 
Deutschland wird weitere Kohlenlieferungen für Frankreich, 
Belgien, Italien und Luxemburg ermöglichen. 

Ferner ist Deutschland zu bedeutenden Leistungen von 
Benzol, Steinkohlenteer, schwefelsaurem Ammoniak, sowie 
Farbstoffen und Arzneimitteln bereit. 


Deutschland glaubt, zur beschleunigten Erfüllung seiner 

Entschädigungspflicht in der Ueberlassung von industriellen 

7 Beteiligungen, insbesondere an Kohlengruben zur Sicherung 
| der Kohlenbezüge, einen geeigneten Weg zu sehen.” 


ER Auch die folgenden Ausführungen der deutschen Note vom 
B 29. Mai 1919 sind von Interesse, zumal im Hinblick auf die spätere 
Besetzung des Ruhrgebiets und auf die Aeußerungen der Sach- 


£ _ Verständigen, die den Dawesplan geschaffen haben: 
ee | 35 
















„Nach den jammervollen Jahren gegenseitiger Bekämpfung 
und Verwüstung müßten jetzt die Völker der Erde sich zu 
friedlicher gemeinsamer Arbeit zusammentun, um durch 
gegenseitige Hilfe die Lasten leichter tragen und den Wieder- 
aufbau der Welt schneller fördern zu können. 

Der Entwurf der Friedensbedingungen, den die gegne- 
rischen Regierungen uns vorgelegt haben, ist diesen Weg 
nicht gegangen. Im Gegenteil, sie geben sich der Hoffnung hin, 
daß ein ausgepreßtes, durch alle Mittel der politischen und 
wirtschaftlichen Disqualifizierung niedergehaltenes Deutsch- 
land ihren Völkern mehr werde leisten, ihnen mehr Lasten 
werde abnehmen können als jenes Deutschland, das wir auf- 
richten wollen, 

Die Besatzungskosten können außerordentlich hoch und 
für die geschwächte Finanzkraft Deutschlands unerträglich 
sein. Heute betragen die Kosten der fremden Besatzungs- 
truppen, soviel bisher ersichtlich, mehr, als früher der Unter- 
halt von Heer und Marine in Deutschland nach dem 
Friedenshaushalt betrug. Die Kosten einer weiteren Be- 
setzung Deutschland aufzubürden, wäre unbillig, denn es 
würde sich bei den Besatzungstruppen um Teile der feind- 
lichen Friedensheere handeln, deren Unterhalt auch von den 
feindlichen Mächten bestritten werden müßte, 

Eine militärische Besetzung wäre um so unheilbringender, 
als jede Okkupation auch wirtschaftlich überaus schädliche 
Wirkungen nach sich zieht, die nur gar zu leicht durch Ein- 
griffe der Besatzungstruppen in das Verwaltungs- und wirt- 
schaftspolitische Gebiet noch bedenklich erhöht werden 
könnten. 

Die Steuerkraft Deutschlands und seine Zahlungsfähigkeit 
hängen davon ab, daß die Deutschland verbleibenden Steuer- 
gebiete einheitlich verwaltet werden; die Autorität der 
deutschen Regierung aber in bezug auf Steuereintreibung, 
Zolleinnahmen usw, kann nur wiederhergestellt werden, wenn 


sich keine Okkupationsarmee mehr im Lande befindet, Schon 


die Zeit des Waffenstillstandes hat im linksrheinischen Ge- 








4 “ = 
a 
BETT 


biete zu chaotischen Zuständen in bezug auf Einfuhr und 
Geldgeschäfte geführt. Eine langjährige Besetzung, ver- 
bunden, wie geplant, auch noch mit der Einführung eines be- 
sonderen Zollregimes, würde Deutschland der Möglichkeit 
einer zielklaren Wirtschafts- und Finanzpolitik berauben, 


In dem Friedensvorschlage wird sehr häufig von einer 
Entschädigungspflicht des Reiches für Privatbesitz ge- 
sprochen, der zugunsten der alliierten und assoziierten 
Mächte expropriiert werden soll, ohne zu bedenken, daß 
auch aus währungstechnischen Gründen dieser Methode eine 
Grenze gesetzt werden muß, Die Unterbringung von deutschen 
Staatsanleihen wird sowohl innerhalb wie außerhalb Deutsch- 
lands für die nächste Zeit nicht in großen Beträgen möglich 
sein, eine Entschädigung wird daher nur erfolgen können 
durch starke Notenausgabe, Die schon heute übergroße In- 
flation würde, wenn die vorgeschlagenen Friedensbedingungen 
durchgeführt werden sollen, unausgesetzt weiter steigen. Auch 
die großen Naturallieferungen ins Ausland können nur er- 
folgen, wenn das Reich den Produzenten den Wert ersetzt; 
also wiederum Notenvermehrung. Solange diese Lieferungen 
dauern, wäre daher von einer Stabilisierung der deutschen 
Währung selbst auf dem jetzigen Niveau keine Rede. Die 
Entwertung der Mark müßte immer weitere Fortschritte 
machen, Die Währungsunsicherheit würde. aber nicht nur 
Deutschland treffen, sondern die gesamten exporttreibenden 
Länder, denn Deutschland mit seiner stets weiter sich ent- 
wertenden Währung würde ein Element der Unruhe sein 
und unausgesetzt Waren zu Schleuderpreisen auf den Markt 
werfen müssen. 

In dem Vorschlage für die Friedensbedingungen haben 
sämtliche Länder, die gegen Deutschland sich im Kriege be- 
finden, mechanisch ihre mannigfachen Wünsche addiert; eine 
einheitliche Grundauffassung ist in keiner Weise vorhanden, 
Widersprüche häufen sich von Kapitel zu Kapitel. Eine 
Revision ist nötig, um zu vermeiden, daß durch diese mecha- 
nische Addition der Wirtschaftskörper, von dem Leistungen 


37 











verlangt werden, zusammenbricht. Eine organische Lösung 
könnte nur im Zusammenhang mit allen einschlägigen Fragen 
von allen Beteiligten gemeinsam gefunden werden, 

Die Vorschläge der alliierten und assoziierten Regierungen 

sind in ihrer jetzigen Form und Höhe positiv unausführbar. 
Sie würden auch, wenn sie Deutschland aufgezwungen werden 
könnten, die Hoffnungen unserer jetzigen Gegner aufs aller- 
schwerste enttäuschen. Schon bei der ersten Rate von 
‚20 Milliarden Mark, deren unmittelbare Bezahlung der Ent- 
wurf der Friedensbedingungen vorsieht, würde sich das 
zeigen, Nach Abzug der inzwischen aufgelaufenen Kosten der 
militärischen Besetzung und der sehr erheblichen Beträge, 
die allein für die notdürftigste Versorgung Deutschlands mit 
Lebensmitteln und Rohstoffen erforderlich sind, würde nur 
wenig — wenn überhaupt etwas — für die Zwecke der Ent- 
schädigung verbleiben,” 

Diese prophetischen Bemerkungen haben sich im Verlauf der 
Dinge fast in allen Punkten bewahrheitet. 

Die wirtschaftlichen und finanziellen Sachverständigen, welche 
Deutschland in Versailles vertreten haben, brachten außer den 
nötigen Fähigkeiten für eine vernünftige Regelung der Reparation 
auch den ernsten Willen dazu mit, Es wäre den Alliierten sehr 
wohl möglich gewesen, schon in Versailles durch gemeinsame 
Arbeit mit der deutschen Delegation die richtigen Grundlagen des 
Friedens zu finden, Aber alle deutschen Anstrengungen in jenen 
Schicksalstagen mußten vergeblich bleiben, weil politische Ver- 
blendung jede Verhandlung mit Deutschland ausschließen und 
nur den Zwang herrschen lassen wollte, 

Die deutschen Gegenvorschläge wurden durch die Mantelnote 
des Präsidenten Clemenceau vom 16. Juni 1919 beinahe ohne 
Ausnahme zurückgewiesen, Noch an demselben Tage verließ die 
deutsche Delegation Versailles, um ihrer Regierung in Weimar 
einstimmig die Ablehnung der Friedensbedingungen zu empfehlen, 
Sie kam zu diesem Entschluß, weil sie keine Möglichkeit sah, die 
Forderungen der Alliierten zu erfüllen. Mit der Delegation hielt 
die große Mehrzahl der deutschen Volksvertretung den Vertrag 


38 


er, . 
et: 
Dr . 
2 















yon Versailles für unausführbar. Trotzdem fand sich in Weimar 
eh schweren Kämpfen eine Mehrheit dafür, den Vertrag, so wie 
er vorlag, anzunehmen, weil angesichts der Drohung des Vor- 
marsches der alliierten Heere in das unbesetzte Deutschland Lu 
u Unterzeichnung des Vertrages als das einzige Mittel erschien, 
% E den Zerfall des Reiches und die Herrschaft des Bolschewismus 
abzuwenden. 
4 So wurde unter dem Druck der Alliierten der Vertrag von 
a: Versailles am 28. Juni 1919 von einer neuen deutschen Regierung 
gezeichnet und schon am 16. Juli 1919 durch Reichsgesetz 
bestätigt. | 

u Ohne die Ratifizierung des Vertrages in den alliierten Ländern 
abzuwarten, leitete Deutschland durch die in Versailles ver- 

ebene Abord nung der Friedensdelegation mit dem französischen 
Minister Loucheur eine Reihe von Verhandlungen ein, die sich auf 
_ die Teilnahme Deutschlands bei den Arbeiten für den Wieder- 
3 aufbau, auf die Versorgung Deutschlands mit Lebensmitteln und 
auf den Beginn der Kohlenlieferungen an Frankreich bezogen. 


39 


DRITTES KAPITEL 


DIE ERRICHTUNG 
DER REPARATIONSKOMMISSION 


Da die Reparationskommission vor der formellen Ratifikation 
des Vertrages in den alliierten Ländern nicht errichtet werden 
konnte, bildete sich unter Vorsitz von Loucheur zunächst ein 
Organisationskomitee der Reparationskommission, Die deutsche 
Regierung schuf alsbald zum dauernden Verkehr mit der Repa- 
rationskommission ein besonderes Organ, die Kriegslasten- 
kommission, deren Vorsitzender ständig nach Paris delegiert 
wurde, 


Erst am 10, Januar 1920 trat der Vertrag von Versailles in 
Kraft. Der lange Aufschub ist dem Umstand zuzuschreiben, daß 
es dem Präsidenten Wilson nicht gelang, beim Kongreß den Bei- 
tritt der Vereinigten Staaten zum Vertrage durchzusetzen, Die 
Alliierten hatten immer noch auf die Annahme des Vertrages 
durch den Kongreß gewartet, mußten ihn aber schließlich ohne 
die Mitwirkung der Vereinigten Staaten in Kraft setzen. Daher ist 
Amerika auch in der Reparationskommission nicht offiziell ver- 
treten. Allerdings haben von Anfang an zwei „inoffizielle Beob- 
achter” der amerikanischen Regierung in der Kommission mit- 
gearbeitet, aber nur mit beratender Stimme, Roland W. Boyden 
und James A. Logan haben in ihrer schwierigen Stellung als 
„Beobachter“ Jahre hindurch bei den Verhandlungen aus- 
gezeichnete Dienste geleistet. In vielen Fällen sind sie bei Streit- 
fragen als Schiedsrichter herangezogen worden. Jedoch war diese 


40 





| Tätigkeit kein genügender Ersatz für eine offizielle und gleich- 


berechtigte Mitwirkung von amerikanischen Delegierten in der 
Kommission. Die Vorschriften des Vertrages setzen die Beteiligung 


der Vereinigten Staaten an der Kommission voraus. Ueberall im 


Vertrage sind die amerikanischen Mitglieder der Kommission an 
erster Stelle genannt, Fünf stimmberechtigte Mitglieder sollten in 
der Kommission sitzen. Wenn Amerika ausfiel, so blieben nur 
vier. Tatsächlich haben auch von jeher, abgesehen von wenigen 
Fällen, in denen die Japaner beteiligt waren, immer nur vier Mit- 
glieder, nämlich die Delegierten von Großbritannien, Frankreich, 
Italien und Belgien, die Beschlüsse der Kommission herbeigeführt. 
Es leuchtet ein, daß das Fernbleiben von Amerika das Verhältnis 
der Stimmen und der Kräfte in der Kommission wesentlich be- 
einflußt hat. Der Vorsitz in der Kommission war den Vereinigten 
Staaten zugedacht. Das hätte sowohl der politischen und wirt- 


schaftlichen Macht der Vereinigten Staaten, wie auch dem im 


Vertrage festgelegten Grundsatz entsprochen, daß das Verfahren 
der Kommission von Gerechtigkeit, Billigkeit und Treu und 
Glauben geleitet werden solle. Unter allen am Kriege beteiligten 


- Mächten standen die Vereinigten Staaten dem Streit der Gegner 


am wenigsten parteiisch und voreingenommen gegenüber. Unter 
ihrem Vorsitz wäre das Prinzip der ausgleichenden Billigkeit am 
besten durchzuführen gewesen. Unparteilichkeit in der Leitung 
war um so nötiger, als die Reparationskommission mit sehr weit- 
reichenden Befugnissen versehen war, die in der Theorie wenig- 
stens einer Diktatur über Deutschland gleichkamen. Die Stimme 
des amerikanischen Delegierten würde, soweit der Vertrag nicht 


Si _ ausdrücklich Einstimmigkeit verlangte, in allen wichtigen Fällen 


den Ausschlag gegeben haben. Der Ausfall Amerikas hat dazu 
geführt, daß Frankreich den Vorsitz und damit den maßgebenden 


Einfluß in der Kommission erhielt. Das war bis zu einem gewissen 
4 Grade berechtigt, weil Frankreich den größten Schaden erlitten 
_ und für sich allein den größten Anteil an der Reparation zu 
_ fordern hatte, Es hatte aber den wesentlichen psychologischen 
- Nachteil, daß damit der natürliche Gegensatz zwischen der Kom- 
y mission und Deutschland auf das stärkste betont wurde. Die Ge- 


41 








fühle des Hasses, der Erbitterung und der Furcht, welche Frank- 
reich nach einem Kriege von mehr als vier J ahren. im eigenen 
Lande gegen Deutschland hegte, mußten sich notwendig in den 
Beratungen der Kommission widerspiegeln, sobald der ent- 
scheidende Einfluß gerade F rankreich zufiel. Dadurch wurden 
aber auch die Stellung und die Gefühle Deutschlands gegenüber 
der Kommission ungünstig beeinflußt. Bei einem Vorsitz der Ver- 
einigten Staaten hätte die überwiegende Mehrzahl des deutschen 
Volkes daran glauben können, daß Recht und Billigkeit wirklich 
die leitenden Grundsätze der Kommission sein würden, Bei dem 
Ueberwiegen Frankreichs war es nur zu verständlich, daß 
Deutschland alsbald in der Kommission einen Feind sah, aus 
dessen Machtbereich es zu entkommen suchte, sobald sich irgend- 
eine Gelegenheit dazu ergab. Wir werden in der Folge auf diese 
Erscheinung noch häufig zurückkommen. Jedenfalls steht fest, 
daß infolge der Ablehnung des Vertra ges von Versailles durch 
Amerika die Reparationskommission mangelhaft und falsch 
zusammengesetzt und in ihrer Tätigkeit von vornherein ge- 
lähmt war. 


Deutschland hat es seinerzeit aus allgemeinen politischen 


Gründen für richtig gehalten, gegen die vertragswidrige Zu- 


sammensetzung der Reparationskommission keinen Widerspruch 
zu erheben und aus dem Ausscheiden Amerikas Einwendungen 
gegen die Tätigkeit der Kommission nicht herzuleiten, 

Fast fünf Jahre lang hat die Reparationskommission ohne 
offizielle Beteiligung Amerikas gearbeitet. Unter diesen Um- 
ständen konnte sie die überragende Stellung, die ihr im Vertrage 
zugedacht war, von Anfang an nicht einnehmen. Weder Deutsch- 
land noch den alliierten Mächten gegenüber hat sie ihre Selb- 
ständigkeit wahren können, Statt in ihrem Schoße die ver- 
schiedenen Interessen der einzelnen Alliierten auszugleichen 
und auf dem Boden wirtschaftlicher Vernunft einheitlich zu 
entscheiden, hat die Kommission unter politischem Druck in 
allen wirklich wichtigen Streitfragen die Entscheidung den 
alliierten Regierungen überlassen müssen, die von Konferenz zu 
Konferenz immer tiefer in die vertraglichen Rechte der Kom- 


42 
















mission eingriffen, Während der ganzen Zeit der Eee 
| var die Reparationskommission ohne Bedeutung und eigen B 

1 ohne Beschäftigung. Erst mit der Berufung des rn " 
Sachverständigen, welche den Dawesplan geschaffen ha “ 3 

R. die Kommission wieder die Initiative ergritien und o- ei 
4 bleibendes Verdienst erworben. Dabei hat sie allerdings “ ._. 
4 schöpferische Tätigkeit zugunsten des Komitees verzic . ü « 
4 Entsagen war nötig, weil das Reparationsproblem gar Rn 
Be hervorragende amerikanische Mitarbeit der Lösung 2 e Hr 
bracht werden konnte, und weil der amerikanische Ein " er 

3 in der Kommission selber, wohl aber im Kreise der Sachvers “ 
digen geltend zu machen war, So ist nach langen Irrwegen en ö 
lich das erreicht worden, was den Verfassern des Vertrages ei 

4 Versailles vorschwebte: die Regelung der Reparation unter 


_ amerikanischer Führung. 


43 








VIERTES KAPITEL 


DIESACHLIEFERUNGEN 
BIS ZUR KONFERENZ VON SPA 


Da der Vertrag von Versailles für die Zahlung der ersten 
20 Milliarden Goldmark eine Frist bis zum 1. Mai 1921, also von 
fast zwei Jahren, gelassen hatte, blieb die F rage der Barleistungen 
auf Reparationskonto zunächst im Hintergrund, 


Das Organisationskomitee der Reparationskommission und später 
die Kommission selber stellten ihre Tätigkeit in der Hauptsache 
darauf ab, von Deutschland so bald wie möglich Sachlieferungen 
zu erhalten. Die deutsche Regierung bemühte sich in erster Linie 
darum, eine Organisation zu schaffen, in der deutsche Unter- 
nehmer und Arbeiter beim Wiederaufbau der zerstörten Gebiete 
tätig sein sollten, Zu diesem Zwecke wurde in Berlin die Stelle 
eines Reichskommissars für den Wiederaufbau eingerichtet und 
im Herbst 1919 sogar ein besonderes Ministerium für den Wieder- 
aufbau geschaffen, Aus den Verhandlungen des Jahres 1919 über 
die deutsche Mitarbeit am Wiederaufbau ist so gut wie gar nichts 
herausgekommen. Frankreich nahm vor allem daran Anstoß, daß 
die deutschen Arbeiter in Frankreich gewerkschaftlich organi- 
siert sein sollten. Auch wurde die Beteiligung deutscher Unter- 
nehmer kurzweg abgelehnt, Nur die Herstellung der nord- 
französischen Kohlengruben, die bei dem Rückzug der deutschen 
Heere im Herbst 1918 zerstört worden waren, wurde zwischen 
Loucheur und dem deutschen Aufbaukommissar eine Zeitlang 
ernsthaft behandelt. Das deutsche Angebot für die Instandsetzung 


44 





















4 der Gruben wurde aber schließlich wegen ungünstiger Bedingungen 
von Frankreich abgelehnt. | ; 

Es mag sein, daß bei mehr Energie und weniger büro- 
kratischer Schwerfälligkeit eine Einigung zwischen den fran- 
zösischen Interessenten und den deutschen Unternehmern zu 
erzielen gewesen wäre, Jedenfalls ist es bedauerlich, daß eine so 
. gute Gelegenheit zur direkten Beseitigung angerichteter Kriegs- 
4 schäden ungenutzt vorbeiging. 

4 Schon im Juli 1919 betrieb Loucheur die Lieferung von be- 
stimmten deutschen Waren, vor allem von Kohle, Die deutsche 
“ Regierung ließ sich bereitwillig darauf ein, obwohl es Ihr gutes 
n Recht gewesen wäre, bis zum Inkrafttreten des Versailler Ver- 

u trages jede Leistung auf Grund dieses Vertrages zu verweigern. 
Deutschland wollte damit zeigen, daß es den besten Willen zur 
Reparation hatte und die Erfüllung der übernommenen Pflicht 
vor die Wahrung juristischer Formen setzte, Darum haben in 
Versailles sofort nach Zeichnung des Vertrages die deutschen 
_ und französischen Vertreter über eine Reihe von Sachlieferungen 
1 verhandelt, Diese betrafen außer Kohle noch Ammoniak, Benzol, 
: Eckerrübensamen, Saathafer usw. Saathafer für die zerstörten 
Gebiete ist in ziemlich erheblichen Mengen noch im Herbst 1919 
— also vor Inkrafttreten des Versailler Vertrages — an Frank- 
reich geliefert worden. 

- Das Hauptinteresse aber richtete sich, wie gesagt, auf die 
Lieferung von Kohle, Nach eingehender Vorarbeit wurde am 
29. August 1919 in Versailles ein Protokoll gezeichnet, in welchem 
Deutschland unbeschadet der Vorschriften des Vertrages über 
den Beginn der Kohlenlieferungen: sich bereit erklärte, schon 
vom 1, September 1919 ab Kohle zu liefern. Die vorzeitig ge- 
lieferten Mengen sollten auf die nach Inkrafttreten des Vertrages 
fälligen Pflichtlieferungen angerechnet werden. Als Gegengabe 
für die Vorleistung erklärte das Organisationskomitee, daß es 
_ der Reparationskommission vorschlagen würde, die monatlichen 
 Kohlenlieferungen vom Inkrafttreten des Friedensvertrages ab 
bis zum 30, April 1920 nur in Höhe von 1660000 Tonnen fest- 
4 zusetzen. Für den Fall, daß die deutsche Kohlenförderung monat- 


45 





lich 9 Millionen Tonnen übersteigen würde, sollten die Repa- 
rationslieferungen um 60 Prozent der Mehrförderung erhöht 
werden. Eine Pflicht zur Vorlieferung bestimmter Monatsmengen 
wurde von Deutschland in dem Protokoll nicht übernommen. 

Da die Kohlenfrage sehr bald zu schweren Konflikten mit 
den Alliierten führte, ist bezweifelt worden, ob es ratsam war, 
mit den Lieferungen schon vor Inkrafttreten des Vertrages zu 
beginnen. Es ist zuzugeben, daß die deutsche Regierung sich auf 
den Rechtsboden stellen und jede Lieferung vor Inkrafttreten 
des Vertrages ablehnen konnte, Das wäre auch deshalb von Be- 
deutung gewesen, weil nach dem Vertrage alle Lieferungen nach 
dem 1. Januar 1920 von der Reparationskommission mit einer 
Frist von 120 Tagen anzukündigen waren. Von Rechts wegen 
hätte die Kommission frühestens am 10, Januar 1920, dem Tage 
des Inkrafttretens des Vertrages, Kohle anfordern dürfen, und 
die Lieferung hätte erst 120 Tage danach, d. h. am 10, Mai 1920, 
beginnen müssen. 

Hinzu kam, daß die Lage der Kohlenversorgung in Deutsch- 
land, wie in allen Ländern Europas unmittelbar nach dem Kriege 
sehr ungünstig war. Der ständige Kohlenmangel, unter dem die 
Völker während der letzten Jahre des Krieges gelitten hatten, 
besserte sich nach dem Friedensschluß zunächst nicht. Für die 
Erholung der deutschen Wirtschaft war es notwendig, die ge- 
samte Kohlenproduktion Deutschlands für das eigene Land zu 
verwenden, Allerdings hatte sich die deutsche Regierung schon 
während des Waffenstillstandes in dem sogenannten Luxemburger 
Protokoll vom 25, Dezember 1918 verpflichtet, die Eisenindustrie 
Lothringens sofort mit Kohle und Koks zu beliefern. Däbei 
handelte es sich aber nicht um besonders große Mengen. Wenn 
Deutschland sich daher zu einer vorzeitigen Lieferung von Kohle 
und Koks an die Alliierten entschloß, so bedeutete das ein großes 
Opfer für die heimische Wirtschaft und eine erhebliche An- 
strengung für die Reparation, welche die volle Anerkennung 
der Alliierten verdient hätte, Freilich lag in dem Protokoll vom 
29. August 1919 auch für Deutschland ein gewisser Schutz gegen 
übermäßige Anforderungen der Reparationskommission, weil 


46 






















Re wenigstens bis zum 30, April 1920 voraussichtlich nicht mehr als 
4660000 Tonnen im Monat an die Alliierten zu liefern waren, 
während bei voller Ausnützung der Vorschriften des Vertrages 


die Alliierten monatlich bis zu 3% Millionen Tonnen hätten 


fordern können. Uebrigens konnte man im August 1919 nicht 
4 voraussehen, daß sich die Ratifikation des Versailler Vertrages so 
| n lange hinziehen würde. Es war daher im deutschen Interesse _ 
. ganz vernünftig, mit den Lieferungen beizeiten anzufangen, um 
nicht eines Tages von unerfüllbaren Anforderungen überrascht 
zu werden. 

Dank der sachverständigen Mitarbeit des deutschen Kohlen- 
'syndikats, dessen Direktor Luebsen an den Verhandlungen mit 
den Alliierten hervorragend beteiligt war, kamen die Kohlen- 
lieferungen mit dem 1. September 1919 in Fluß. Sie stiegen bald 
auf etwa 700000 Tonnen im Monat und beliefen sich bis zum 
10, Januar 1920 im ganzen auf mehr als 2% Millionen Tonnen. 
Da der Kohlenbedarf Frankreichs aber auch mit diesen erheb- 
lichen Mengen nicht voll gedeckt werden konnte, so hörten die 
Beschwerden über zu geringe deutsche Lieferungen nicht auf, Bei 
einer Besprechung in Essen im Dezember 1919 wurde eine monat- 
liche Lieferung von 1 Million Tonnen vereinbart. Diese Zitter 
wurde jedoch im Januar wegen Streiks und Hochwassers im Rhein 
_ hei weitem nicht erreicht. 

Nach dem Inkrafttreten des Friedensvertrages teilte die 
_ Reparationskommission der deutschen Regierung mit, daß die 
 Kohlenlieferungen einstweilen gemäß dem Protokoll vom 
29. August 1919 weiter laufen sollten. Bereits am 10. Februar 
1920 aber setzte die Kommission die monatlichen Mengen 
ei; R nach Anrechnung der geleisteten Vorlieferungen auf 2234 000 
Tonnen fest. Zu gleicher Zeit wurde Deutschland benachrichtigt, 
ER aus der Kohlenförderung von Oberschlesien, das bis zur 
r Volksabstimmung über die Zugehörigkeit zu Deutschland oder 
Polen unter der Kontrolle der Internationalen Oberschlesischen 
a  Abstimmungskommission stand, monatlich 200000 Tonnen an 
a Oesterreich, 250000 Tonnen an Polen und 20000, später 40 000 
R: Tonnen an Italien zu liefern seien, und daß Deutschland aus 


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Oberschlesien nur die Kohlen erhalten solle, welche nach dem 
eigenen Verbrauch von Oberschlesien noch übrig bleiben würden. 
Diese gewaltige Erhöhung des Lieferungsprogramms widersprach 
dem mit Loucheur geschlossenen Abkommen.. Aber Loucheur war 
inzwischen mit dem Sturz des Kabinetts Clemenceau aus der 
französischen Regierung ausgeschieden, An seine Stelle trat als 

. Präsident der Reparationskommission zunächst Jonnart, dann bis 
zum 19, Mai 1920 Poincare. 


' Die Lage wurde verschärft durch eine Note des französischen 
Ministerpräsidenten Millerand vom 8, Februar 1920, in welcher 
er über die Mängel der deutschen Kohlenlieferung bittere Klage 
führte, Deutschland erklärte der Reparationskommission, daß die 
neuerdings verlangten Kohlenlieferungen nicht ausführbar seien. 
Im Anschluß daran fanden in Paris vor der Kommission ein- 
gehende Besprechungen statt, in deren Verlauf die Kommission 
am 31, März 1920 die Lieferung für April auf 1440000 Tonnen 
festsetzte, Inzwischen hatte sich die Lage der Förderung und des 
Verkehrs in Deutschland nicht gebessert. Das Hochwasser 
des Rheins dauerte auch im Februar an, Im März entstanden 


unter der Rückwirkung des bekannten Kapp-Putsches schwere 


kommunistische Unruhen im Ruhrgebiet, Die Folge davon war, 
daß die Lieferungen im März und April nicht wesentlich stiegen. 
Am 29, April setzte die Reparationskommission die Kohlen- 
lieferung für Mai auf 1925000 Tonnen, für Juni auf 2062 000 
Tonnen und für Juli auf 2175000 Tonnen fest. Diese Ziffern 
waren unvernünftig hoch, Sie wurden von den Mitgliedern der 
Reparationskommission, die zusammen mit der deutschen Ver- 
tretung die Kohlenfrage eingehend behandelt hatten, keineswegs 
gebilligt. Inwieweit die offizielle Anforderung der Reparations- 
kommission auf politische Einflüsse zurückzuführen war, kann 
dahingestellt bleiben, Tatsache ist, daß die Kommission selber 
keine vollständige Erfüllung ihres Kohlenprogramms, sondern 
nur ein allmähliches Anwachsen der Lieferungen erwartete, Als 
ich Ende Mai 1920 einem Mitglied der Reparationskommission 
mitteilen konnte, daß die Lieferung für den Monat Mai voraus- 
sichtlich 1 Million Tonnen betragen werde, erhielt ich zur Ant- 


48 





wort, das sei sehr erfreulich, und wenn meine Erwartung. sich 
erfülle,. werde die Reparationskommission offiziell erklären, 
Deutschland habe eine dankenswerte Anstrengung gemacht. 
Hier sei ein Wort über den deutschen Verkehr mit der Repa- 
rationskommission eingeschaltet. Er trug bei Beginn der Be- 
ziehungen durchaus den Charakter eines kriegsgerichtlichen Ver- 


 fahrens, bei dem der deutsche Vertreter als Angeschuldigter er- 


schien und als solcher behandelt wurde, Nach einer derartigen 
Sitzung unter Poincar& — im Februar 1920 — erklärte ich einigen 
Mitgliedern der Kommission, daß ich mir diese Behandlung nicht 


gefallen ließe und bei Wiederholung den Sitzungssaal verlassen 
_ würde, Ich hätte den Posten als deutscher Vertreter bei der 
_ Reparationskommission übernommen, um in geschäftlich ruhiger 
_ Aussprache die schwere Aufgabe der Reparation allmählich 


möglich zu machen, Das sei in offiziellen Sitzungen und in dem 
Stile gerichtlicher Verhandlungen nicht zu erreichen. Für ver- 


 — nünftige Besprechungen sei ich immer zu haben, aber nicht für 


Gerichtssitzungen, Das half sofort. Immer mehr entwickelte sich 
zwischen den meisten Mitgliedern der Kommission und mir ein 
zwangloser und offener Verkehr, bei dem beide Parteien ver- 
suchten, den Bedürfnissen und dem Standpunkt des Vertrags- 
gegners gerecht zu werden. Nur die hohe Politik hat immer wieder 
die Fäden zerrissen, die so gesponnen wurden, und die wir in 
zäher Arbeit mühsam wieder zusammenknüpfen mußten, wenn 


E sich das politische Gewitter mit Blitz und Donner ausgetobt hatte. 


Mitten in diese Entwicklung hinein fiel eine Note der Repa- 
rationskommission vom 29, Mai 1920, wonach die Lieferung 
von oberschlesischer Kohle an Polen unter gewissen Bedingungen 
um 200 000 Tonnen auf 450 000 Tonnen im Monat erhöht werden 


sollte, Anlaß dazu gaben die erhöhten Bedürfnisse Polens, das 


damals im Krieg mit der Sowjetregierung lag. Damit wurde aber 


mw der ohnehin schwache Bezug Deutschlands an oberschlesischer 
De Kohle noch weiter in unerträglicher Weise eingeschränkt. Die 
deutsche Regierung war der Ansicht, daß die Reparations- 
— kommission nicht berechtigt sei, Lieferungen aus Oberschlesien 
BE "vorzuschreiben, und griff eigenmächtig zu der Gegenmaßnahme, 


Bergmann, Der Weg der Reparation 4 49 


die Reparationslieferungen aus dem Ruhrgebiet um täglich 10 000 
Tonnen zu kürzen. Trotz aller Warnungen der deutschen Ver- 
treter in Paris verblieb die Regierung bei dieser Maßregel auch 
dann, als die Reparationskommission offiziell anfragte, ob die 
Kürzung der Liefermengen, von der sie unter der Hand gehört 
habe, den Tatsachen entspreche, Als dies unter Hinweis auf die 
deutsche Notlage bestätigt werden mußte, brach der offene Kon- 
flikt aus, Die Kommission teilte auf Grund der Sanktions- 
paragraphen 17 und 18 des Anhangs II zu Teil VIII des Ver- 
trages von Versailles den alliierten Regierungen am 30, Juni 1920 
mit, daß Deutschland vorsätzlich seine Pflicht zur Lieferung 
von Kohle nicht erfüllt habe, Die Alliierten setzten den Vorfall auf 
das Programm der Konferenz in Spa. 


Bei den Kohlenverhandlungen im März und April 1920 in 
Paris wurden, abgesehen von den Kohlenmengen, noch zwei 
strittige Fragen besonders eingehend besprochen, Die eine betraf 
den Preis für die Reparationskohle, Etwa ein Drittel der für 
Frankreich bestimmten Kohle wurde mit Rheinkähnen nach 
Rotterdam gebracht, um von da auf Seeschiffe umgeladen zu 
werden, Deutschland beanspruchte hierfür den im Vertrage von 
Versailles für die Verschiffung von Kohle zur See festgesetzten 
deutschen oder englischen Ausfuhrpreis, der infolge der damals 
besonders starken Markentwertung sich um ein Vielfaches höher 
stellte als der deutsche Inlandpreis. In der Reparationskom- 
mission trat die Mehrzahl der Mitglieder dem deutschen Stand- 
punkt bei. Die französische Delegation aber wollte den lächerlich 
billigen deutschen Inlandpreis möglichst für alle Kohlenbezüge 
ausnutzen und weigerte sich, die Verschiffung über Rotterdam 
als Seeweg anzuerkennen, | 

Der zweite Punkt betraf die Kohlentransporte auf dem Rhein 
selbst, Das deutsche Kohlensyndikat, das die Verfrachtung bis 
zur Grenze des Empfangslandes für deutsche Rechnung vor- 
zunehmen hatte, bestand darauf, daß es die Rheintransporte ein- 
heitlich in seiner Hand behalten müsse, um die glatte Lieferung 
zu gewährleisten, Es erklärte sich bereit, nach allgemeinen ge- 
schäftlichen Grundsätzen auch französische Schleppkähne für 


‚50 


porte. 





4 den Transport zu chartern. Demgegenüber verlangten die franzö- 
_  sischen Interessenten eine prozentuale Teilung der Kohlentrans- 


Beide Streitfragen haben die Kohlenverhandlungen seiner- 


#. zeit ungünstig beeinflußt. Sie sind innerhalb der Reparations- 


kommission nie zum völligen Austrag gekommen, sondern wurden 
im Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich erst durch 


. das Wiesbadener Abkommen vom 7. Oktober 1921 geregelt. Da- 
bei sind die französischen Wünsche im wesentlichen befriedigt 
worden. 


” > EUpE 





FÜNFTES KAPITEL 
DIE KONFERENZ VON SPA 


Bald nachdem der Vertrag von Versailles in Kraft gesetzt war, 
traten auf Betreiben von Lloyd George die Premierminister der 
alliierten Hauptmächte miteinander in Verbindung, um die im 
Vertrage offen gebliebene Höhe der Reparationsschuld fest- 
zustellen. Lloyd George, der in Versailles seine gemäßigten An- 
sichten bei den Franzosen nicht hatte durchsetzen können, 
glaubte, daß jetzt die Zeit gekommen sei, durch Aussprache 
zwischen den alliierten Mächten und unter Teilnahme Deutsch- 
lands das Problem endgültig zu regeln. Unter dem Vorsitz des 
italienischen Ministerpräsidenten Nitti fand vom 19, bis 26. April 
1920 eine erste Besprechung der Alliierten in San Remo statt, 
die im Streit der verschiedenen Ansichten ein materielles Er- 
gebnis zwar nicht zeitigte, wohl aber dazu führte, daß die deutsche 
Regierung am 26. April zu einer Konferenz in Spa eingeladen 
wurde, Die Form der Einladung ist so bezeichnend, daß sie hier 
zitiert werden soll. Als Anlaß diente das Ersuchen des deutschen 
Reichswehrministers an den Obersten Rat, ein Heer von 200 000 
Mann anstatt der im Vertrage vorgesehenen 100000 Mann zu 
unterhalten. Das Ersuchen wurde mit folgender Bemerkung ab- 
gelehnt: 

„Deutschland hat seine Verpflichtungen nicht erfüllt, Das be- 
zieht sich sowohl auf die Zerstörung des Kriegsmaterials, wie auf 
die Herabsetzung der Heeresbestände, die Kohlenlieferungen, die 
Reparation und die Kosten für das Besatzungsheer. Es hat wegen 
der Anschläge, die wiederholt auf Mitglieder alliierter Missionen 


52 





verübt wurden, weder Genugtuung geleistet, noch sich ent- 
schuldigt. Es hat auch noch nicht, wie es im Protokoll des 
Friedensvertrages vorgesehen ist, Maßnahmen getroffen, um seine 
Reparationsschuld zu bestimmen und um Vorschläge zu machen, 
damit der von Deutschland zu zahlende Gesamtbetrag festgesetzt 
werden kann, trotz des dringenden Interesses, das eine Regelung 
dieser Art für alle Parteien hat. Deutschland scheint noch nicht 


4 einmal geprüft zu haben, wie es seinen Verpflichtungen nach- 


kommen kann, wenn sie fällig werden, 

Die Alliierten leugnen die Schwierigkeiten nicht ab, denen die 
deutsche Regierung gegenübersteht, und suchen ihr nicht eine 
allzu engherzige Interpretation des Friedensvertrages aufzu- 
zwingen, aber sie sind einig in der Erklärung, daß sie die Fort- 
setzung der Verstöße gegen den Friedensvertrag von Versailles 
nicht dulden können, daß dieser Vertrag ausgeführt werden muß, 
daß er die Grundlage der Beziehungen Deutschlands zu den 
Alliierten bildet, und daß die Alliierten entschlossen sind, alle 


Maßnahmen zu ergreifen, selbst wenn es notwendig sein sollte, 


auch zur Besetzung eines neuen Teils des deutschen Gebiets zu 
schreiten, um die Ausführung des Vertrags sicherzustellen. Die 


E "Alliierten erklären übrigens, daß sie nicht die Absicht haben, 


irgendeinen Teil des deutschen Gebiets zu annektieren. Die 
Alliierten glauben, daß die durch die Verletzungen des Friedens- 
vertrages aufgeworfenen Fragen und die zur Sicherstellung der 


Ausführung notwendigen Maßnahmen besser durch einen Mei- 
‚= Be Rgeaustausch zwischen den Regierungschefs geregelt werden 


_ können als durch Noten, Die Alliierten haben deshalb beschlossen, 


i die Chefs der deutschen Regierung zu einer direkten Konierenz 
ni = .. D ” 
mit den Chefs der alliierten Regierungen einzuladen.” 


Man sieht genau, wie in die Note von allen Beteiligten etwas 


E _ hineingebracht worden ist: Vorwürfe und Drohungen, dem franzö- 
E ‚sischen Verkehrston mit Deutschland entsprechend, zugleich aber 


"in der milderen Tonart der übrigen Verfasser des Schreibens ein 


# _ wohlmeinender Appell an die bessere Einsicht des „Schuldigen”. 


Bir. 
Bar}. 


Die Konferenz von Spa war ursprünglich auf den 25. Mai 


3 angesetzt, wurde aber, wohl auch wegen der deutschen Wahlen 


53 


zum Reichstag, bis zum 5, Juli 1920 vertagt. Die alliierten Premiers 
trafen sich inzwischen mehrfach in Hythe — 15, Mai und 19, Juni 
1920 —, ohne zu einer grundsätzlichen Einigung über die 
Reparation zu gelangen. Man entschloß sich jedoch dazu, eine 
Kommission von Sachverständigen zu ernennen, die ein Schema 
auszuarbeiten hatte, wonach Deutschland jedes Jahr eine gewisse 
Mindestsumme und je nach seiner erhöhten Zahlungsfähigkeit 
Zuschläge dazu zahlen sollte, 


Größere Bedeutung hatte die nächste Zusammenkunft der 
alliierten Häupter in Boulogne am 20, Juni 1920, Hier kam es 
auf Grund der Arbeiten der Sachverständigen zu einem Plan, 
der lange Zeit geheimgehalten wurde. Die Hauptpunkte des 
Planes von Boulogne waren: 

a) Deutschland zahlt 


1. vom 1. Mai 1921 ab 42 Jahre lang eine feste Annuität 
von 3 Milliarden Goldmark, 

2. vom 1, Mai 1926 ab 37 Jahre lang eine Zusatzannuität 
von 3 Milliarden für 5 Jahre und von 4 Milliarden für 
die folgenden 32 Jahre, also im ganzen 

. vom 1. Mai 1921 bis 30. April 19263 Milliarden ( 5 Jahre) 

vom 1. Mai 1926 bis 30. April 1931 6 Milliarden ( 5 Jahre) 

vom 1.Mai 1931 bis 30. April 1963 7 Milliarden (32 Jahre) 
das macht zusammen 269 Milliarden Goldmark in 

42 Jahren. 


b) Die Reparationskommission hat das Recht, die Zusatz- 
zahlungen teilweise zu verschieben. Deutschland erhält bei 
Vorauszahlung der Annuitäten einen Rediskont zuge- 
billigt, der mit 8 Prozent beginnt und sich in sechs Jahren 
auf 5 Prozent ermäßigt, wobei jedoch wiederum die Re- 
parationskommission ermächtigt ist, den vollen Rediskont- 
satz von 8 Prozent aufrechtzuerhalten, 


c) Deutschland soll für die Reparation internationale Anleihen 
aufnehmen. Die Reparationskommission kann von dem 
Erlös der Anleihen 20 Prozent für Deutschlands eigenen 
Bedarf anweisen, Sie errichtet eine internationale Kom- 


34 


mission für die deutsche auswärtige Schuld. Als Sicherheit 

für die Anleihen sollen dienen | 

1. deutsche Industriepapiere bis zu fünf Milliarden Gold- 
mark und sonstige auf Vorschlag Deutschlands von der 
Reparationskommission gebilligte Wertpapiere, 

2, sämtliche deutsche Zölle, Die Zollsätze können nur mit 
Genehmigung der Reparationskommission geändert 
werden. Die Zölle werden an einen von der Repa- 
rationskommission zu bestimmenden Generaleinnehmer 
gezahlt. Die Reparationskommission hat das Recht, die 
Zollsätze zu erhöhen, 















e:. Die alliierten Premierminister trafen sich vor Spa erst noch in 
Brüssel am 2. und 3, Juli 1920. 

_ Mit ihrem Entschluß, die Reparationsschuld im Verhandlungs- 
a res: festzusetzen, griffen die alliierten Regierungen in die durch 
_ den Vertrag von Versailles der Reparationskommission zuge- 
BE chenen Rechte ein. Es ist nichts Näheres darüber bekannt 
R geworden, ob die Mitglieder der Kommission bei ihren Regierungen 


| Eaind Die Konsequenzen daraus hat jedenfalls allein Poincare ge- 
B zogen, der am 19. Mai sein Amt als Präsident und Mitglied der 
| “ - Reparationskommission niederlegte, Wie seltsam! Derselbe Poin- 
care, der in der Folge als Ministerpräsident die französischen 
iesierten in der Reparationskommission stets nach seinem 
Willen beeinflußte und lenkte, hat damals seinen Austritt aus 
# der Kommission öffentlich damit begründet, daß die alliierten 
E Regierungen die Kommission ihrer Vertragsrechte berauben 
wollten, Freilich, damals schien es, als ob die alliierten Regie- 
_ rungen die Reparation durch Ermäßigung der deutschen Schuld 
zu regeln suchten, während Poincar& zu jeder Zeit die starre Auf- 
_ echterhaltung der vertragsmäßigen Rechte Frankreichs verfocht. 
Sein Nachfolger in der Kommission wurde Louis Dubois. 

K Die Tatsache, daß die wichtigste Aufgabe der Kommission 
über ihren Kopf hinweg von den alliierten Regierungen selbst 
aufgegriffen und damit aus der ruhigeren Atmosphäre der Kom- 
_ Mission in die Wirbel der hohen Politik hineingerissen wurde, 


55 


_ wegen dieser Schmälerung ihrer Befugnisse vorstellig geworden _ 


hat sehr viel dazu getan, das Ansehen der Kommission herab- 
zusetzen und den Anschein zu erwecken, daß sie mehr oder 
weniger ein politisches Werkzeug in den Händen der alliierten 
Mächte sei. In dem Kreise der Reparationskommission ist man 
sich darüber sicherlich klar gewesen. Ihre Mitglieder haben auch 
nicht alle einfach die Hände in den Schoß gelegt. Einige von 
ihnen haben sich ernstlich bemüht, die Entwicklung der Repa- 
rationsfrage in geordnete Bahnen zu leiten und die einmal fest- 
‚gesetzte Konferenz von Spa in steter Fühlung mit der deutschen 
Vertretung in Paris sachverständig vorzubereiten, 


Ich habe gerade in jener Zeit oft und eingehend mit den 
meisten Mitgliedern der Kommission über die Lage gesprochen. 
Sie glaubten nicht daran, daß in Spa für die Reparation etwas 
Praktisches herauskommen würde, Die Mehrzahl wünschte mög- 
lichst bald einen Pauschalbetrag festzusetzen, der die gesamte 
Schuld Deutschlands darstellen sollte, Die öffentliche Meinung 
Frankreichs, beherrscht durch die Richtung Foch-Poincare, stand 
dem jedoch im Wege. Immerhin hoffte man in der Reparations- 
kommission, daß es mit der Zeit und mit Hilfe gründlicher Aus- 
sprache gelingen würde, den französischen Standpunkt zu ändern. 
Ich wurde vertraulich aufgefordert, mit deutschen Vorschlägen 
für die Regelung der Reparation zu kommen. Auf die Frage, ob 
wir uns denn in Deutschland überhaupt schon ein ziffernmäßiges 
Bild über ein Angebot gemacht hätten, habe ich damals erklärt, 


daß man hie und da überlegt habe, ob Deutschland für die Repa- 


ration eine Jahreszahlung von einer Milliarde Goldmark auf 
30 Jahre aufbringen könne, Darauf wurde mir erklärt, ein solches 
Angebot dürfe gar nicht laut werden, es würde nur allgemeine 
Entrüstung erregen und einer verständigen Behandlung der Dinge 
schaden. Tatsächlich wurde damals von Deutschland ein solches 
Angebot für Spa vorbereitet, Glücklicherweise kam es zur 
Nennung von bestimmten Ziffern in Spa nicht. Es war klar, daß 
damals die Kommission nicht daran dachte, die Lösung des 
Finanzproblems aus der Hand zu geben und dem Obersten Rat 
der Alliierten zu überlassen. Sie erwartete vielmehr, daß die 
Konferenz von Spa dazu helfen würde, eine direkte F ühlung und 


56 





2 ein besseres Verhältnis mit der deutschen Regierung herzustellen, 
ohne an den Aufgaben der Reparationskommission etwas Wesent- 
jiches zu ändern. In Deutschland war man freilich stets gern 
bereit, die Kommission beiseite zu schieben und in ee 
4 fragen unmittelbar mit den alliierten Regierungen zu mn n. 
Ich selbst habe stets vor dieser Politik gewarnt, weil die Alliierten 
letzten Endes ihre Beschlüsse doch immer nur im ar 
mit der Reparationskommission fassen würden und die eigentliche 
Arbeit in der Reparation nicht von den politischen Chels, sondern 
von den sachverständigen Mitgliedern der Reparationskommission 
4 geleistet werden müsse. Daher sei es zwecklos und era 
a unklug, die Kommission durch Nichtachtung zu N ir 
Erfahrungen der Folgezeit haben mir leider nur allzu sehr Rec 


R. gegeben, 


Eine gemeinsame vertrauliche Unterredung, die Dr. Carl 


e Melchior und ich am 9. Juni 1920 mit mehreren Mitgliedern der 
4  Reparationskommission hatten, ergab, daß ein deutsches AARON 
eh Spa wohl nötig sei, aber mit Vorsicht behandelt werden 
2 _ müsse. Man sagte uns: Würden die deutschen Vertreter in Spa 


erklären, daß infolge der zerrütteten politischen und wirtschaft- 


E lichen Lage Deutschlands zur Zeit kein Angebot gemacht werden 
EE könne, so bestehe die Gefahr, daß Deutschland erneut in den 
Verdacht der Hinterhältigkeit und der passiven Resistenz 


gerate, Dadurch würden die extremen nationalistischen Kreise, 


4 besonders in Frankreich und England, gestärkt werden. Ein 


formuliertes Angebot der deutschen Vertreter müsse sich anderer- 


a seits in den Grenzen der voraussichtlichen deutschen Leistungs- 
E fähigkeit halten. Die Zahlen des Angebots würden sich sicher 
“ so weit von den Ziffern entfernen, die man ın Frankreich und 
E. England stets proklamiert habe, daß mit einer brüsken re 
4 weisung und mit einer Zuspitzung der Lage zu rechnen sei, Viel- 
Jeicht könne ein Ausweg darin liegen, daß man deutscherseits ein 
B: "bestimmtes Mindestangebot mache, für den Fall der Besserung 


der Verhältnisse in Deutschland aber die Leistungen erhöhe., 


So entstand die Idee des „Besserungsscheins”. Es wurde aus- 


“ "führlich besprochen, wie man einen Schlüssel für die Beteiligung 


57 





der Alliierten an einer Besserung der deutschen wirtschaftlichen 


Lage finden könne. Am zweckmäßigsten erschien es, eine Art 
Spezialindex aufzustellen, dem bestimmte Faktoren der deutschen 
Wirtschaftsstatistik zugrunde zu legen seien, z.B. der Ertrag 
der Einkommensteuer, Ueberschüsse der Staatsbahnen, Ueber- 
schüsse der Ausfuhr über die Einfuhr usw., alles in Verbindung 
mit dem jeweiligen Kursstand der Mark. 


Wir wurden davor gewarnt anzunehmen, daß die Stimmung 
in England für uns wesentlich günstiger sei als in Frankreich. 
Wenn auch die regierenden Kreise und die führenden Männer 
des Wirtschaftslebens in England die gesamte Lage einsichtsvoll 
beurteilten, so sei doch die öffentliche Meinung kaum von der 
französischen verschieden. 


Daß in der Beurteilung der Lage große Vorsicht geboten sei, 
ergab sich auch aus Gesprächen, die wir etwa gleichzeitig mit 
kenntnisreichen Amerikanern führten, Sie empfahlen uns, in Spa 
nicht etwa sofort mit einem bestimmten Angebot herauszu- 
kommen, sondern zunächst unsere wirtschaftlichen und finan- 
ziellen Verhältnisse genau so zu schildern, wie sie tatsächlich 
seien, und erst auf Drängen der Alliierten uns zu einem Angebot 


bewegen zu lassen. Die Alliierten hätten sich von dem Elend 


der deutschen Zustände mehr und mehr überzeugt und würden 
einigermaßen verwundert sein, wenn wir bei diesen Verhältnissen 
mit einem bestimmten Angebot hervortreten würden, Das würde 
die mißtrauischen Alliierten leicht zu der Annahme bringen, daß 
wir sie hineinlegen wollten, und daß wir in der Lage seien, erheb- 
lich mehr zu leisten, als wir von vornherein anböten, Ferner sei es 
nötig, die bisherigen deutschen Leistungen auf Grund des Ver- 
sailler Vertrages nicht nur von der negativen Seite zu schildern, 
wie wir das bisher immer getan hätten, nämlich unter Hinweis 
darauf, wie durch alle diese Leistungen und Abgaben die deutsche 
Volkswirtschaft gelähmt und zur Reparation untauglich gemacht 
worden sei, sondern wir müßten auch ihre positive Seite unter- 
streichen, d. h. nachweisen, wie sich die einzelnen Alliierten an 
. den deutschen Leistungen bereichert, und welche Stütze sie damit 
ihrem eigenen wirtschaftlichen Leben auf Kosten Deutschlands 


58 
















B gegeben hätten. In diesem Lichte gesehen würden die .. 
desindustriereichenElsaß-Lothringen, der AgrargebietevonPosen 
E und Westpreußen, der Verlust der deutschen Handelsilotte, der 
Kolonien, aller deutschen Eigentumsrechte und Beteiligungen im 
4 Auslande, die Ablieferung von Eisenbahnmaterial, Kohlen, Vieh, 
E Pferden usw. als enorme Leistungen erscheinen, die, an ihrem 
E, wahren Wert gemessen, schon eine Kriegsentschädigung dar- 
E ‚stellten, wie sie noch nie da war. | | 
Be Diese vertraulichen Beziehungen, mit deren Hilfe der Boden 
- für eine verständige Aussprache der beiden Parteien in Spa sorg- 
4 sam vorbereitet werden sollte, wurden durch die Bombe des 
 — Kohlenkonfliktes gesprengt. in 
n; Um das Unheil voll zu machen, entstand gleichzeitig eine 
3 ungeheuere Aufregung, vor allem bei den englischen ne 
B: der Reparationskommission, darüber, daß einige hollän isc e 
EB Schiffe, deren Auslieferung die Alliierten auf Grund eines 
Ei: besonderen Artikels des Versailler Vertrages verlangten, ihren 
R deutschen Hafen verließen und nach Holland fuhren. Die Schiffe 
waren in Deutschland gebaut, aber noch während des Baus im 
Kriege an holländische Reedereien verkauft worden. Trotzdem 
hatte Deutschland im Vertrage von Versailles sich verpflichten 
müssen, nach Vorschrift der Reparationskommission alle Maß- 
R: regeln zu ergreifen, um den Alliierten das volle Eigentumsrecht 
an den Schiffen zu verschaffen. Das war nach den Begriffen des 
Be lkerrechts Holland gegenüber natürlich unmöglich. Immerhin 
hatte Deutschland, nachdem bereits ein Schiff unter holländischer 
Flagge aus einem deutschen Hafen ausgelaufen war, Er 
dafür zu sorgen, daß die übrigen Schiffe im deutschen afen 
B blieben, bis die Eigentumsfrage geklärt sei. Darüber waren 
e mehrere Monate verstrichen, ohne daß die Reparationskommission 
weitere Schritte in der Sache getan hatte, und eines schönen 
E: Tages liefen auch die übrigen Schiffe aus. Die ‚deutsche ken 
 tretung in Paris wurde von der Reparationskommission zur Ver- 
4 antwortung gezogen. Ihre Erklärung, daß die deutsche Regierung 
= ‚nicht wisse, ob die Schiffe mit ordnungsmäßigen Papieren aus- 
E gelaufen seien, und daß sie im übrigen über holländische Schiffe 


59 











keine Macht habe, wurde als Affront betrachtet, Kurz, es kam 
in der Kommission zu den leidenschaftlichsten Ausfällen digen 
Deutschland. Einige Monate später wurde uns von einem Mitglied 
der Kommission unter der Hand erklärt, daß sich bei näherer 
Untersuchung ergeben habe, Deutschland sei in der Sache voll- 
kommen im Recht gewesen, Man hat dann nichts mehr davo 
gehört, ji 
: Zum Ueberfluß stellten gerade zu jener Zeit deutsche Be 
hörden die im Gange befindliche Lieferung von Pferden an Belsien 
ein, ohne sich vorher mit dem belgischen Vertreter der Repa 
rationskommission darüber zu benehmen, Es war mit der Ba 
lich verärgerten Kommission nun nicht mehr vernünftig zu ver 


handeln, 


Alles das ereignete sich ven 
| ige Tage vor der Konfer | 
Spa. In Deutschland hatte soeben die Regierung A Dei 
ie Kabinett unter dem Kanzler Fehrenbach hatte noch keine 
nung, wie schlecht die Aussichten für Spa geworden waren 


Es erwartete bestimmt, bei der Konferenz mit den alliierten Regie- 


rungen ausführlich über die ion spre 
formuliertes Angebot sera en een 
. In der Einladung zur Konferenz hatten die Alliierten darauf 
ingewiesen, daß Deutschland es versäumt habe, zur Förderun 
der Reparationsarbeit Unterlagen und Vorschläge zu ee 
Das Protokoll des Vertrages von Versailles hatte dafür eins Fri 
a vier Monaten von der Zeichnung des Vertrages ab vorgesehen 
ie deutsche Regierung war der Meinung, daß auch diese Fri t 
vom Inkrafttreten des Vertrages an laufe, und hatte de halb 
erst im Mai 1920 den alliierten Regierungen und der ea 
kommission zwei Dokumente mit den deutschen Fesistellengen 
über die in Belgien und Frankreich angerichteten Kriegsschäden 
zugehen lassen. Darin waren die Schäden in Frankreich auf 
7319 240 000 und in Belgien auf 2 187 992 000 Goldmark beziffert 
Ferner hatte die deutsche Regierung erklärt, daß sie der Ai, 
ae ao Obersten Rates entsprechend ihre Vorschläge zur 
| eparalion auf der Konferenz in Spa vorlegen wolle. Zur Vor- 
bereitung übergab sie den alliierten Regierungen Dönksshilien 


60 






über die Zahlungsfähigkeit Deutschlands, über die Steuerbelastung 
in Deutschland und ein ausführliches Gutachten deutscher Sach- 
verständiger über die Wirtschaftslage. 

Deutschland war in Spa vertreten durch den Reichskanzler 


*  Fehrenbach, den Minister des Auswärtigen Dr, Simons und eine 


Reihe weiterer Minister, sowie durch zahlreiche wirtschaftliche und 
finanzielle Sachverständige. Die Konferenz fand unter dem Vorsitz 
des belgischen Ministerpräsidenten Delacroix statt. Von den 
Alliierten beteiligten sich Belgien, England, Frankreich, Italien 


und Japan, In der Tagesordnung wurde die militärische Abrüstung 
. und die Aburteilung der sogenannten Kriegsschuldigen voran- 


gestellt, Es läßt sich denken, daß dieses Programm die Stimmung 
für die Aussprache über die wirtschaftlichen Fragen nicht gerade 
verbesserte. 

Die deutsche Delegation war in ihrem Quartier oberhalb Spa 
vollkommen isoliert. Sie traf mit den alliierten Vertretern nur im 


_ Konferenzsaal zusammen und wurde mit eisiger Kälte behandelt. 


‚Vier Tage lang erörterte man in immer steigender Erregung die 
Entwaffnungsfragen, bis endlich ein Protokoll zustande kam, wo- 
nach die Alliierten die Fristen des Vertrages für die Herabsetzung 


= _ des deutschen Heeres auf 100000 Mann bis zum 1, Januar 1921 


verlängerten, aber für etwaige Verstöße gegen die militärischen 
Vorschriften die Besetzung der Ruhr oder anderer deutscher Ge- 
biete als Sanktion androhten. Das führte zu einer leidenschaft- 
lichen Kontroverse über das Recht der Alliierten, solche im Ver- 
sailler Vertrage nicht vorgesehenen militärischen Maßnahmen zu 
ergreifen. 

In der Frage der Kriegsschuldigen einigte man sich schnell auf 
die Zeichnung eines ziemlich harmlosen Protokolls. Dann kam es 
endlich unter allgemeiner Spannung zur Aussprache über die 
Kohlenfrage. 

Die deutschen Vertreter wurden aufgefordert, sich über die 
Gründe der mangelhaften Kohlenlieferung zu äußern. Diese wenig 
beneidenswerte Aufgabe fiel mir zu. Nach meiner kurzen Dar- 
legung brach der Sturm in Gestalt einer temperamentvollen Rede 


Bu: .. 6 D ” ..ıu „ 
des französischen Ministerpräsidenten Millerand los. Aus Anlaß 


61 





der eigenmächtigen Kürzung der Kohlenlieferungen aus der Ruhr 
erhob er eine einzige scharfe Anklage gegen das deutsche Ver- 
halten in der Kohlenfrage, Daß Deutschland trotz schwerer wirt- 
schaftlicher Bedrängnis mit den Kohlensendungen vorzeitig be- 
gonnen und sehr erhebliche Mengen geliefert hatte, dafür gab es 
vor diesem politischen Tribunal kein Verständnis, Zum Schlusse 
teilte Millerand mit, daß der Oberste Rat beschlossen habe, 
Deutschland solle den Reparationskohlen ein absolutes Vorrecht 
vor allen Lieferungen für den eigenen deutschen Bedarf geben 
und sich einer strengen Kontrolle der deutschen Kohlenverteilung 
unterwerfen. Am folgenden Tage hatte Minister Simons Gelegen- 
heit, den deutschen Standpunkt darzulegen. Er konnte erklären, 
daß die gerügte Kürzung der Kohlenlieferungen von der neuen 
deutschen Regierung bereits vor der Konferenz von Spa wieder 
aufgehoben worden sei. Als Vertreter der deutschen Unternehmer 
und der deutschen Arbeiter kamen die Herren Hugo Stinnes und 
Hue zu Worte, Die Rede von Stinnes, welche mit den Worten 
begann: „Ich habe mich erhoben, um allen meinen Gegnern ins 
Auge sehen zu können”, und in der er vom „Wahnsinn der Sieger” 
sprach, erregte gewaltiges Aufsehen. Sie hat durch ihre übertrieben 
schroffe Form der deutschen Sache in Spa sehr geschadet, sie er- 
klärt sich aber aus der tiefen Erbitterung, die bei der deutschen 
Delegation darüber herrschte, daß wegen eines einzigen politischen 
Fehlgriffs — denn darum handelte es sich — die gesamte deutsche 
Haltung in der Reparationsfrage in Grund und Boden verurteilt 
wurde. 


Das Verhältnis zwischen Alliierten und Deutschen spannte 
sich bis zur Unerträglichkeit. Auf einem Platz in der Stadt Spa 
schlug ein belgischer Offizier einem unschuldigen deutschen 
Zeitungskorrespondenten mit der Reitpeitsche ins Gesicht, Es 
schien, als ob die ganze Konferenz in die Luft fliegen würde, Aber 
die Verhandlungen wurden fortgesetzt. Die Alliierten erklärten, 
daß sie die Kohlenforderungen zunächst auf zwei Millionen Tonnen 
monatlich ermäßigen wollten. Als die deutsche Delegation eine 
solche Leistung für unausführbar erklärte und mit geringeren 
Gegenvorschlägen kam, wurde abermals die Besetzung des Ruhr- 


62 





"d 


gebiets angedroht. In privater Besprechung mit Dr. Simons ließ 
Lloyd George keinen Zweifel darüber, daß im Falle der deutschen 
Weigerung die alliierten Heere in das Ruhrgebiet einmarschieren 
würden, Bei den inneren Kämpfen, die sich daraus in der deutschen 
Delegation entwickelten, verfocht ein Teil der Sachverständigen 
unter Stinnes die Meinung, daß es richtig sei, es auf die Besetzung 
des Ruhrgebietes ankommen zu lassen, weil die Alliierten späte- _ 
stens nach einigen Monaten unverrichteter Sache wieder abziehen 
würden. Demgegenüber drang aber die Ansicht durch, es sei 


_ unverantwortlich, die unbesetzten Teile Deutschlands im kommen- 


den Winter dem Hunger, der Kohlennot und damit der Gefahr 
des politischen Zerfalls auszusetzen, während es im Ruhrgebiet 


selbst unter der Herrschaft der Alliierten um die Versorgung mit 


Lebensmitteln und Kohle wahrscheinlich gar nicht so schlecht 
bestellt sein würde. Inmitten einer unbeschreiblichen Aufregung 
wurde dann am 16, Juli ein Kohlenprotokoll gezeichnet. Noch die 
letzte Stunde war kritisch, weil die Deutschen sich hartnäckig 
weigerten, einen Passus zu unterschreiben, der besagte, daß bei 
ungenügender Kohlenlieferung die Alliierten das Ruhrgebiet be- 
setzen würden, Schließlich einigte man sich dahin, daß die 
deutschen Vertreter bei ihrer Unterschrift wegen dieser Be- 


_ stimmung einen Vorbehalt machten. 


In dem Protokoll von Spa verpflichtete sich Deutschland, vom 
1. August 1920 ab auf sechs Monate den Alliierten monatlich 


zwei Millionen Tonnen Kohle zur Verfügung zu stellen. Für die 
E: Kohle war der deutsche Inlandpreis auf Reparationskonto gut- 
_  zuschreiben, ferner aber auf jede Tonne eine besondere Prämie 
: von fünf Goldmark in bar zur Anschaffung von Lebensmitteln für 
# die deutschen Bergleute zu zahlen. Hiervon ausgenommen blieben 


die Lieferungen über See, die sich auch weiterhin nach den Vor- 
hriften des Vertrages richteten. Die Verteilung der oberschle- 
_ sischen Kohle, die in Spa eine erhebliche Rolle gespielt hatte, 
sollte durch eine besondere Kommission entschieden werden. 
Ebenso sollte eine Kommission in Essen untersuchen, wie die Lage 


. _ der Bergleute in Nahrung und Kleidung verbessert werden könnte. 


Das Wichtigste aber war, daß die Alliierten sich bereit erklärten, 


63 


für die auf Grund dieses Protokolls zu liefernden Kohlen Deutsch- 
land einen Barvorschuß zu gewähren, der die Differenz zwischen 
dem niedrigen deutschen Inlandpreise und dem Ausiuhrpreise 
ausgleichen sollte, Die Zinsen des Vorschusses wurden späterhin 
auf sechs Prozent, die Rückzahlung auf den 1. Mai 1921 festgesetzt. 
Während der Ausführung des Protokolls von Spa wurde zur 
Kontrolle der Kohlenlieferungen eine Delegation der Reparations- 
kommission in Berlin eingerichtet, 


Unmittelbar nach Zeichnung des Protokolls löste sich die 


Konferenz von Spa auf, Zwölf volle Tage hatte sie in Anspruch 
genommen, und wichtige Staatsgeschäfte riefen Millerand nach 
Paris zurück. Ueber Reparation, den Hauptgegenstand der Konfe- 
renz, hatte man fast gar nicht gesprochen. In einer Sitzung erklärte 
Dr, Simons, daß Deutschland ein großes Interesse an der Fest- 
setzung der Schuld schon vor dem 1, Mai 1921 habe, daß es aber 
aus Mangel an Geld vorläufig nur Sachlieferungen machen könne, 
Er brachte einen Plan für die Organisation der Sachlieferungen 
in Deutschland vor, der eine gerechte Verteilung der Aufträge 
unter Industrie und Handwerk bezweckte, Er machte ferner einen 
Vorschlag für den Wiederaufbau der zerstörten Gebiete, der auf 
die Gründung eines internationalen Siedlungswerkes durch ein 
Syndikat von Unternehmern hinauslief, Praktisch anzufangen war 
mit beiden Vorschlägen wenig; sie sind auch nicht weiter beachtet 
worden, Endlich überreichte die deutsche Delegation noch so- 
genannte Finanzvorschläge, in denen darauf hingewiesen war, daß 
die bis zum 1. Mai 1921 zu zahlenden 20 Milliarden durch die bis- 
herigen deutschen Leistungen mehr als gedeckt seien. Eine gleich- 
zeitig übergebene Zusammenstellung dieser Leistungen schloß mit 
etwas über 20 Milliarden Goldmark ab. Im übrigen beschränkten 
sich die deutschen Finanzvorschläge auf allgemeine Grundsätze: 
die deutschen Jahresleistungen sollten aus festen Mindestbeträgen 
einschließlich der Sachlieferungen und aus Zuschlägen auf Grund 


eines Indexverfahrens bestehen, Wenn die gesamten deutschen 


Leistungen einen bestimmten Höchstbetrag erreicht haben würden, 
sollte Deutschland von weiteren jährlichen Zahlungen befreit sein. 
Bestimmte Zahlen waren sorgfältig vermieden, Ihre Festsetzung 


64 





sollte einer gemischten Sachverständigenkommission überlassen 
werden, Dieser Finanzplan — ein Verlegenheitsprodukt — wurde 
in einer einzigen kurzen Sitzung einer Unterkommission be- 
sprochen. Dem Drängen der Alliierten auf Nennung von Zahlen 
wurde nicht stattgegeben. 


Bei dem plötzlichen Abschluß der Konferenz von Spa haben 


‚sicherlich alle Beteiligten erlöst aufgeatmet. Sie war ein lehr- 


reiches Beispiel dafür, wie wirtschaftliche Fragen nicht behandelt 
werden sollen. Die verbitterte Stimmung auf beiden Seiten hätte 


E bei jedem Teilnehmer den festen Entschluß herbeiführen sollen, 


niemals wieder eine Reparationskonferenz zu veranstalten, so- 
lange man vollständig im Dunkeln tappte. Leider ist diese Lehre 
aus der Konferenz von Spa nicht gezogen worden. Vielmehr wurde 
auf Vorschlag des vielgewandten und nervenfesten Lloyd George 
beschlossen, die weitere Aussprache über die Reparation einer 


neuen internationalen Konferenz in Genf vorzubehalten. 


Wenn auch in Spa kein Fortschritt in der Reparationsfrage 


selbst gemacht, sondern die Aussicht auf eine Verständigung nur 


verschlechtert wurde, so erzielten die Alliierten wenigstens etwas, 
nämlich eine Einigung unter sich, wie sie sich das Fell des Bären 
— die Reparationsleistungen — künftig teilen würden. Es wurde 
bestimmt, daß Frankreich 52 Prozent, England 22 Prozent, Italien 


10 Prozent, Belgien 8 Prozent und alle übrigen Beteiligten die 


restlichen 8 Prozent erhalten sollten, Außerdem wurde das Recht 


Belgiens auf vorzugsweise Befriedigung aus der Reparation — die 


sogenannte belgische Priorität —, das ihm grundsätzlich in Ver- 


 sailles von den Alliierten zugestanden worden war, mit zwei 
- Milliarden Goldmark fest begrenzt. 


Bergmann, Der Weg der Reparation 5 65 


SECHSTES KAPITEL 
DIE KONFERENZEN VON BRÜSSEL. 


Vom 24, September bis zum 8, Oktober 1920 fand in Brüssel 
eine internationale Finanzkonferenz statt, die der Völkerbund 
einberufen hatte, Ihr Zweck war, die finanzielle Weltkrise zu 
untersuchen und Mittel zu ihrer Heilung zu erörtern, Auch 
Deutschland hatte eine Einladung erhalten, Frankreich aber traf 
rechtzeitig seine Maßnahmen, um zu verhindern, daß über Repa- 
rationsfragen diskutiert würde, Der Völkerbundsrat mußte schon 
am 5. August 1920 beschließen, daß auf der Konferenz keine der 
Fragen erörtert werden dürfe, die zwischen den Alliierten und 
Deutschland schwebten. Damit war es der Konferenz unmöglich 
gemacht, sich mit der Reparation, dem wichtigsten finanziellen 
Weltproblem, zu beschäftigen. Die Konferenz nahm einen äußer- 
lich glänzenden und durch keinen Zwischenfall getrübten Verlauf. 
Man besorgte vielfach, daß Deutschland die Gelegenheit benutzen 
würde, die Vertreter der neutralen Mächte für seinen Standpunkt 
in der Reparationsfrage zu gewinnen, und man hielt es nicht für 
ausgeschlossen, daß sich bei den Neutralen Neigung für ein 
Zusammengehen mit Deutschland zeigen würde, Daher auch das 
formelle Verbot an die Mitglieder des Völkerbundes, die Repa- 
ration zur Sprache zu bringen, Aber meine Rede für die deutsche 
Delegation, die ebenso wie die Vertreter der anderen Staaten eine 
Erklärung über die Finanzlage ihres Landes abzugeben hatte, 
rechtfertigte diese Besorgnis nicht, Sie schilderte die Verhältnisse 
in Deutschland den Tatsachen entsprechend mit dunklen Farben, 
vermied es aber, auf den Vertrag von Versailles einzugehen. Sie 
ließ die Hoffnung durchblicken, daß bei verständigem Zusammen- 
wirken der Nationen die deutschen Verhältnisse sich bessern 


66 





würden, und stellte die bereitwillige Mitarbeit Deutschlands am 
Wiederaufbau Europas in bestimmte Aussicht. Lebhafter Beifall 
von allen Seiten belohnte diese Ausführungen, wohl weniger wegen 
ihres Inhalts als aus dem Gefühl der Erleichterung darüber, daß 
ein für die Konferenz so gefährlicher Augenblick glatt vorüber- 
gegangen war. Die Konferenz faßte eine Reihe kluger Beschlüsse 
für die Herstellung des finanziellen Gleichgewichts der Welt, die 
aber bei den gegebenen Verhältnissen einstweilen fromme Wünsche 
bleiben mußten. 

Immerhin ist die Konferenz von Brüssel für die Reparation 
insofern bedeutsam, als sie den deutschen Teilnehmern die erste 
Gelegenheit bot, mit den Vertretern der alliierten Mächte wieder 
auf gleichem Fuße zu verkehren. Das ist gerade in der Repa- 
rationsgeschichte’ein nicht zu unterschätzendes Moment. Bei den 
Konferenzen in Versailles und in Spa wurden die deutschen Ver- 


:  treter als Angeklagte behandelt, die man zur Verantwortung zieht 


und mit denen man auch in einem entsprechenden Tone verkehrt. 
Dies Urteil ist nicht übertrieben. Man braucht nur die offiziellen 
Noten durchzulesen, die der Oberste Rat von Versailles in jenen 
Zeiten in verschwenderischer Fülle auf die deutsche Regierung 
losgelassen hat. Da findet sich die gleiche Tonart. Solche Behand- 
lung erzeugt auch in dem, der von Hause aus den besten Willen 
zur Erfüllung der ihm auferlegten Pflichten mitbringt, eine Er- 
bitterung, die seine Lust zur Leistung wesentlich mindert. 

Im Herbst 1920 standen die erhöhten Kohlenlieferungen und 
die Regelung der Kohlenvorschüsse im Vordergrund des Interesses, 
Durch Anspannung aller Kräfte gelang es Deutschland in den drei 


E: Monaten August bis Oktober, die verlangten Kohlenmengen mit 
rund sechs Millionen Tonnen voll zu liefern, Damit war die Ge-. 


fahr der Ruhrbesetzung vorläufig abgewendet, In den Monaten 


November bis Januar konnte die Menge von zwei Millionen 
| _ Tonnen monatlich nicht voll geliefert werden. Für die gesamten 
sechs Monate ergab sich ein Fehlbetrag von mehr als 600 000 
. Tonnen, der aber weiter keine bösen Folgen nach sich zog. 


Die Regelung der in Spa beschlossenen Vorschüsse für die 


E Kohlenlieferungen wurde der Reparationskommission überlassen, 


er 67 


In einem Abkommen mit der Kriegslastenkommission vom 
27. Oktober 1920 wurde der Betrag der Vorschüsse einheitlich auf 
40 Goldmark für die Tonne Kohle festgesetzt. Am 28, Dezember 
1920 wurde dann auch die schwierige Frage der Rückzahlung der 
Vorschüsse geregelt. Ich hatte von vornherein erklärt, daß eine 
Rückzahlung in bar bis zum 1. Mai 1921 nicht in Frage kommen 
könne, und daß ich lieber auf die Vorschüsse überhaupt verzichte, 
wenn eine solche Rückzahlung verlangt würde. Schließlich einigte 
man sich dahin, daß die Vorschüsse am 1. Mai 1921 gegen die bis 
dahin gemachten deutschen Sachlieferungen verrechnet werden 
sollten. Das war ein für Deutschland sehr günstiges Abkommen. 
Auf diese Weise bekam es für die Kohlenlieferungen im ganzen 
über 360 Millionen Goldmark ausbezahlt. Dagegen wurde aller- 
dings ein entsprechender Betrag für Sachleistungen nicht auf 
Reparationskonto gutgeschrieben. Aber da diese Sachleistungen 
ohnehin gemacht werden mußten, und ihre Gutschrift bei der 
völlig unbestimmten, aber sicherlich ungeheuren Höhe der ge- 
samten Reparationsschuld nicht sonderlich ins Gewicht fiel, 
kamen die Vorschüsse der Alliierten praktisch auf eine Bar- 
zahlung für die Kohlen hinaus, die gerade in eine Zeit fiel, wo 
Deutschland auf eine starke Einfuhr von Lebensmitteln und Roh- 
stoffen angewiesen war und einen besonders großen Devisen- 
bedarf hatte, Auch die Festsetzung von 40 Goldmark für die 
- Tonne erwies sich in der Folgezeit als vorteilhaft für Deutschland. 
Während nämlich bis zum Herbst 1920 überall Kohlenknappheit 
herrschte, trat allmählich ein Umschwung ein, der die Kohlen- 
preise sehr stark warf. Der Unterschied zwischen den Kohlen- 
preisen im deutschen Inland und auf dem Weltmarkt, der bei Ab- 
schluß des Abkommens noch mehr als 40 Goldmark betragen 
hatte, ging daher bald weit unter diesen Betrag zurück. Das An- 
gebot von Reparationskohle wurde schließlich so stark, daß ein 
Teil dieser zum Verbrauch in den Empfangsländern bestimmten 
Lieferungen wieder auf den Weltmarkt kam. Auf die deutsche 
Beschwerde gegen solchen Mißbrauch der Sachlieferungen ent- 
schied die Reparationskommission am 25. Februar 1921, daß jedes 
Empfangsland mit der Reparationskohle tun könne, was es wolle. 


68 





Die Sachverständigen des Dawesplanes haben dagegen drei Jahre 
später dem deutschen Standpunkt recht gegeben. 

Das wachsende Angebot von Kohle auf dem Weltmarkt erklärt 
auch die Tatsache, daß die Reparationskommission nach Ablauf der 


Spa-Lieferungen ihre monatliche Anforderung zwar zunächst noch 


auf 2200000 Tonnen bezifferte, tatsächlich aber bald auf 1700000 
Tonnen heruntersetzte, Den Anlaß dazu gaben Unruhen in Ober- 
schlesien, welche den deutschen Kohlenbezug aus diesem Gebiet 
noch mehr erschwerten. Die Reparationskommission ermäßigte aber 


e- _ ihr Kohlenprogramm aus politischen Rücksichten nicht offiziell, 


sondern nur indirekt, nämlich so, daß sie einen Teil davon, 1700000 
Tonnen, als besonders dringlich bezeichnete, während sie auf die 


Lieferung des Restes stillschweigend verzichtete, Die deutschen 


Lieferungen hielten sich von da ab immer etwas unter der als dring- 
lich angeforderten Menge, ohne daß, von Einzelfällen abgesehen, 
die Reparationskommission Klage darüber führte. Und doch sollten 
später gerade die Fehlbeträge der Kohlenlieferungen als Grund 
für die Ruhrbesetzung herangezogen werden. 

Die Einberufung der in Spa beschlossenen Konferenz von Genf 
verzögerte sich, Lloyd George drängte, Frankreich wich aus. Im 
November 1920 beschloß der Oberste Rat, die Reparationsfrage zu- 
nächst durch eine Besprechung von Sachverständigen der Alliierten 
mit deutschen Sachverständigen vorzubereiten. Zum Ort der Zu- 
sammenkunft wurde Brüssel bestimmt. Man blieb also bei der 
einmal versuchten Taktik, das Problem außerhalb der Reparations- 
kommission lösen zu wollen. Der Eingriff in die Rechte der Kom- 
mission wurde aber diesmal dadurch gemildert, daß die alliierten 


Mächte, mit Ausnahme von Frankreich, ihre Vertreter in der Repa- 
rationskommission als Sachverständige nach Brüssel entsandten. 


Das offizielle Programm der Konferenz bestand darin, von der 


deutschen Regierung über die finanziellen und wirtschaftlichen 
BE Verhältnisse des Reichs erschöpfende und authentische Auskunft 
zu erlangen und Mittel und Wege zu besprechen, mit denen man 
_ einer Lösung des Reparationsproblems näher kommen könne. Die 
_ Höhe der Schuld selbst sollte nicht erörtert werden, auch wurde 
e ein bestimmtes Angebot von Deutschland nicht erwartet. 


69 


Die Sachverständigen traten am 16, Dezember in Brüssel unter 
der Leitung von Delacroix zusammen, der kurz vorher an Stelle 
des zum belgischen Finanzminister ernannten Delegierten Theunis 
Mitglied der Reparationskommission geworden war. Deutschland 
entsandte außer mir den Reichsbankpräsidenten Havenstein, als 
Vertreter des Finanzministeriums Staatssekretär Schroeder und 
einige seiner ersten wirtschaftlichen Sachverständigen. England 
war durch Sir John Bradbury und Lord d’Abernon, Frankreich 
durch Seydoux und Cheysson, Italien durch d’Amelio und 

‘"Giannini, Belgien durch Delacroix und Lepreux vertreten. Auch 
Japaner nahmen an der Konferenz teil. Gegenstand der Be- 
sprechung bildeten zunächst die Lage des Reichshaushalts und die 
 Valutafrage. Eine lange und pessimistische Rede des Präsidenten 
Havenstein enttäuschte die Alliierten, die eine positive deutsche 
Mitarbeit erwarteten, und drohte gleich im Anfang die Be- 
sprechungen auf ein totes Gleis zu bringen. Nach vertraulicher 
Fühlungnahme mit der Gegenseite erwies es sich als nötig, alsbald 
ein Programm über die nach deutscher Ansicht möglichen Repa- 
rationsleistungen zu entwerfen. Ich führte daher am nächsten 
Tage folgendes aus: Deutschland habe ein wesentliches Interesse 
daran, daß die Reparationsschuld so bald wie möglich und in 
vernünftiger Weise, d, h. innerhalb der deutschen Zahlungsfähig- 
keit festgestellt werde, Die moralische Seite der Festsetzung sei 
von größter Bedeutung. Unermeßlicher Schaden würde entstehen, 
wenn man eine theoretische Summe ohne Rücksicht auf die Mög- 
lichkeit der Leistung verlange, Das müsse Deutschland zur Ver- 
zweiflung treiben. Den Rahmen der deutschen Ideen stellten die 
in Spa gemachten Vorschläge dar. Von der Gesamtsumme der 
Reparation müßten die bisherigen deutschen Leistungen ab- 
gerechnet werden. Für den Rest der Schuld seien 30 Annuitäten 
festzusetzen, wie dies im Versailler Vertrage vorgesehen sei. 
Geldzahlungen könne Deutschland aus den bekannten Gründen 
nicht machen, sondern vorläufig nur Sachlieferungen, Ein ganz 
besonderes Interesse hätten die Materiallieferungen für den 
Wiederaufbau der zerstörten Gebiete, Die Bestimmungen des 
Versailier Vertrages über diese Lieferungen seien zu kompliziert. 


710 





Deutschland sei zu praktischer Mitarbeit bereit und hoffe, bald 
eine Verständigung erreichen zu können, damit der Wiederaufbau 


R. schnell vonstatten gehe. Ein bestimmter Plan dafür sei im Augen” 


blick nicht zu entwickeln, aber man könne sich vorstellen, daß 
etwa die deutsche Regierung einen erheblichen Markkredit er- 
öffne, um einen Fonds zu schaffen, aus welchem private Be- 
stellungen der Geschädigten bei deutschen Lieferanten bezahlt 
werden würden, Die Einzelheiten seien am besten in einer be- 
sonderen Kommission zu erörtern. 

Vorbedingung für die Möglichkeit der Zahlungen in Geld sei 
die Ordnung der deutschen Währung und des Reichshaushalts. 
Ob Deutschland dies aus eigener Kraft vollbringen könne, sei 
zweifelhaft. Die Möglichkeit einer Kreditoperation in größerem 
Umfange für die Stabilisierung der deutschen Währung sei ge- 
geben, weil die innere Ordnung und die Arbeitsfreudigkeit in 
Deutschland schon wiederkehrten, Sobald Haushalt und Währung 
in Ordnung seien, werde Deutschland zu zahlen beginnen. Frei- 
lich seien vorher gewisse Hindernisse zu beseitigen, die in einigen 
Vorschriften des Versailler Vertrages lägen: die Besatzungskosten 
zehrten in ihrem jetzigen Umfange wahrscheinlich alles auf, was 


Deutschland überhaupt zahlen könne, Sie müßten daher im Inter- 


esse beider Teile stark vermindert werden, Ferner sei die ober- 
schlesische Frage da. Der Verlust von Oberschlesien würde die 
deutsche Zahlungsfähigkeit erheblich schwächen, Besonders dring- 
lich sei es, daß das deutsche Privateigentum in den alliierten 
Ländern freigegeben werde, weil andernfalls das Gleichgewicht 
im deutschen Handel schwerlich wiederherzustellen sei. Das im 
Versailler Vertrag vorgesehene System des Clearingverkehrs für 
die privaten Schulden führe in der Praxis zu großen Schwierig- 
keiten, Deutschland müsse außerdem die wirtschaftliche Gleich- 
berechtigung in der Welt wieder erlangen, vor allem aber von der 
steten Bedrohung mit wirtschaftlichen Repressalien frei werden. 
Endlich sei es auch nötig, für den deutschen Handel genügend 
Schiffsraum zu belassen. Alle diese Fragen bedürften einer ein- 


a gehenden Prüfung. 


Obwohl diese Darlegungen nichts besonderes Neues brachten, 


71 








wurden sie doch auf der Gegenseite mit Befriedigung aufgenommen 
und als ein wesentlicher Fortschritt in der deutschen Haltung an- 
gesehen, Die Stimmung der Konferenz blieb bis zum Schluß die 
denkbar beste, Alle Fragen, die ich aufgegriffen hatte, wurden in 
den folgenden Tagen von den deutschen Sachverständigen in den 
Sitzungen eingehend erörtert, Alliierte und Deutsche verkehrten 
auch außerhalb der Sitzungen in ungezwungener Weise mit- 
einander, Alles ließ erhoffen, daß diese Konferenz von Sach- 
verständigen frei von jedem politischen Druck nun endlich den 
richtigen Weg weisen würde, 

Am 22, Dezember 1920 wurde die Konferenz bis zum 10, Januar 
1921 vertagt, damit in der Zwischenzeit die verschiedenen Gegen- 
stände gründlich studiert werden könnten, Für jede Frage sollte 
sich ein alliierter Berichterstatter mit einem deutschen Vertreter 
in Verbindung setzen. Im Anschluß an das bereits überreichte 
deutsche Material war von den Alliierten ein umfangreicher 
Fragebogen ausgearbeitet, der von der deutschen Delegation im 
einzelnen schriftlich beantwortet werden sollte, 

Zum erstenmal hatte eine Zusammenkunft von alliierten und 
deutschen Vertretern stattgefunden, die bei jedem der Beteiligten 
einen günstigen Eindruck hinterließ und — überall eine gute 
Presse fand, 

Der wahre Grund für die Vertagung der Brüsseler Konferenz 
lag in folgendem: 

Gleich bei Beginn der Tagung wurde mir vom Vorsitzenden 
vertraulich mitgeteilt, daß einer der englischen Vertreter beab- 
sichtige, im stillen den Zweck der Besprechungen wesentlich zu 
vertiefen, Er wolle schon in Brüssel eine feste Grundlage für das 
Reparationsprogramm errichten und ziffernmäßige Vorschläge er- 
örtern, die alsdann den verbündeten Regierungen vorgelegt werden. 
sollten, Dieser plötzliche Programmwechsel wurde mir von jenem 
englischen Delegierten dahin erklärt, daß man die augenblicklich 
günstige politische Konstellation und die Geneigtheit der maß- 
gebenden französischen Kreise benutzen müsse, zu einer baldigen 
Lösung der Reparationsfrage zu gelangen, Wenn Deutschland in 
Anlehnung an den Plan von Boulogne (s. S. 54) mit einem An- 


712 





gebot jährlicher Sachleistungen von ungefähr zwei Milliarden 
Goldmark und einer Geldannuität von einer Milliarde Goldmark 
käme, so würde eine geeignete Grundlage für die Reparationsver- 
handlungen zu schaffen sein. Die Sachleistungen sollten Deutsch- 
land möglichst hoch angerechnet werden, so daß sie ausreichen 
würden, die vorgesehenen zwei Milliarden zu decken, 

Ich war zuerst sehr skeptisch, weil mein englischer Gewährs- 
mann, ganz abgesehen von der Höhe der Zahlungen, die Möglich- 
keiten einer Einigung viel zu optimistisch beurteilte und an- 
scheinend von dem ehrgeizigen Wunsche getrieben wurde, unter 
der Hand eine husarenmäßig schnelle Lösung des großen Problems 
zustande zu bringen. Aber auch von französischer Seite wurde mir 
bestätigt, daß die „positive Richtung‘ letzthin in Frankreich stark 
an Boden gewonnen habe. Es setze sich immer mehr die Ueber- 
zeugung durch, daß es notwendig sei, mit Deutschland zur wirt- 
schaftlichen Zusammenarbeit zu kommen, wenn man die Gefahr 
des baldigen Zusammenbruchs der europäischen Zivilisation ab- 


wenden wolle, Es gelte jetzt, die öffentliche Meinung in Frank- 


reich zu überzeugen, daß Deutschland den festen Willen habe, 
sogleich etwas Erhebliches für Frankreich zu leisten. Die Leistung 
könne zur Zeit zwar nicht in Geld, wohl aber in Materialien und 
Arbeit bestehen. Ob sich eine wirkliche Mitarbeit Deutschlands 
am Wiederaufbau entwickeln könne, hänge von ungelösten poli- 
tischen und sozialen Fragen ab. Vorläufig handle es sich um eine 


= vernünftige praktische Regelung der Sachlieferungen. 


Auf diesen vertraulichen Mitteilungen fußte meine oben wieder- 
gegebene Konferenzrede, 

Gleichzeitig erfuhr ich, daß es der Reparationskommission vor- 
aussichtlich möglich sein würde, zum 1. Mai 1921 eine Schadens- 
summe festzusetzen, die sich wesentlich unter den bisherigen 
Schätzungen halten würde. Da der Gesamtbetrag der von. 
den Alliierten angemeldeten Schadensansprüche auf 200 ‚bis 
300 Milliarden hinauslaufe, denke man daran, gewisse zweifel- 
hafte Vorschriften des Versailler Vertrages zugunsten von Deutsch- 
land auszulegen und damit den Gesamtbetrag des Schadens auf 
etwa 100 Milliarden Goldmark hinabzuschrauben. 


73 


Es war nicht möglich, sich allen diesen Eröffnungen gegenüber 
rein rezeptiv zu verhalten, Ich erklärte, daß der Plan von Boulogne 
wegen seiner ungeheuerlichen Zahlen und wegen der Art der ver- 
langten Sicherheiten unannehmbar sei, Als man darauf hinwies, 
daß die 269 Milliarden Mark Annuitäten des Planes von Boulogne 
nur einem Jetztwerte von 85 Milliarden entsprächen, fragte ich, 
warum man dann bei der erschreckend hohen Ziffer bleibe und 
nicht viel lieber von den 85 Milliarden ausgehe, natürlich nicht als 
Betrag der deutschen Schuld, sondern nur als Summe des am 
1. Mai 1921 festzustellenden Schadens, Diese Bemerkung fiel auf 
fruchtbaren Boden. Ich sagte dann ohne Widerspruch der alliierten 
Vertrauensleute, auch dies sei noch eine für Deutschland uner- 
schwingliche Summe, immerhin hätten wir damit wenigstens einen 
Anhaltspunkt, und es sei dann viel leichter möglich, sich zu einigen, 
als wenn man immer noch den Hunderten von Milliarden Gold- 
mark ins Gesicht sehen müsse, Der Meinungsaustausch schloß 
mit der Erkenntnis, daß man den Kreis der besprochenen Ge- 
danken zunächst auf beiden Seiten verarbeiten müsse. Um Zeit 
hierfür zu gewinnen, wurde die Konferenz vertagt. Inzwischen 
wollte man in Paris die Besprechungen im kleinsten Kreise weiter- 
führen, Die Konferenz in Genf sollte erst zusammentreten, wenn 
die Sache so weit spruchreif sei, daß die Minister der beteiligten 
Staaten ein Abkommen unterzeichnen könnten, 


Ich berichtete damals nach Berlin: „Der durch das Drängen 
einiger alliierten Vertreter in schnelle Fahrt gebrachte Wagen 
kann nun nicht mehr ohne Schaden aufgehalten werden. Es gilt, 
ihn auf der gefährlichen Bahn in vorsichtiger Weise weiter- 
zuführen, Ich halte den in Brüssel erzielten Fortschritt für be- 
deutend. Wenn morgen die Konferenz auf den Januar vertagt 
wird, können wir wohl sagen, daß sie trotz aller Fährlichkeiten 
besser verlaufen ist, als wir wagen konnten, zu hoffen.“ 


Unmittelbar nach Weihnachten wurden diese Besprechungen 
in Paris wieder aufgenommen. Dabei stellte sich gleich heraus, 
daß die Alliierten unter sich über die Art des Vorgehens keines- 
falls einig waren, Ich hörte von maßgebender Seite, daß die 


französische Regierung der Absicht, schon in Brüssel einen Repa- - 


74 





rationsplan aufzustellen und die Annuitäten der Höhe nach zu 


E | | 1 "anzösischen er 
bestimmen, vollkommen fernstehe, Die französischen Vertret 


hätten die strikte Order, nur die nötigen Vorbereitungen für die 
spätere Konferenz in Genf und für die Entscheidung der Repa- 
rationskommission und der alliierten Regierungen zu treffen, Des- 
halb habe es auch keinen rechten Zweck, die Konferenz in Brüssel 
schon am 10, Januar wieder aufzunehmen. 


Anfang Januar 1921 legte mir ein Mitglied der Reparations- 
kommission als seine eigene Idee einen förmlichen Reparations- 
plan vor. Er ging von einer Schadenssumme von 85 Milliarden 
Goldmark aus, auf die in weitestem Maße die bisherigen 
Leistungen und Abtretungen Deutschlands angerechnet werden 
sollten, Der verbleibende Rest war in der Weise zu belegen, daß 
Deutschland dreißig Jahre lang jedes Jahr drei Milliarden Gold- 
mark und außerdem bei einer Besserung der deutschen Wirt- 
schaftslage entsprechende Zuschläge nach einem bestimmten Index 
zahlen sollte, Die Sachlieferungen spielten bei der Abdeckung der 
Annuitäten eine große Rolle. Auch sollten einige der auf der 
Brüsseler Konferenz gestellten deutschen Bedingungen erfüllt 
werden. Vor allem war damit gerechnet, daß das von den Alliierten 
beschlagnahmte deutsche Eigentum freigegeben oder, soweit es 
schon liquidiert war, auf die deutsche Schuld angerechnet werden 
würde. Dieser Plan wurde nicht nur von mir, sondern auch von 
englischer und französischer Seite abgelehnt; von England haupt- 
sächlich wegen der Verknüpfung mit der Freigabe des deutschen 
Eigentums, das England auf jeden Fall behalten wollte, 

Nunmehr kam Seydoux mit einem Gegenvorschlage: „Deutsch- 
land zahlt fünf Jahre hindurch eine Annuität von drei Milliarden 
Goldmark. Während dieser Frist wird möglichst bald der Gesamt- 
betrag der Reparationsschuld festgesetzt.‘ 

Im Besitze dieses Vorschlages reiste ich am 7. Januar 1921 nach 
Berlin, um der deutschen Regierung zu berichten, Die Wiederauf- 
nahme der Konferenz in Brüssel wurde inzwischen weiter ver- 
schoben. | 


15 


SIEBENTES KAPITEL 


DER PLAN SEYDOUX UND DIE PARISER 
BESCHLÜSSE VOM 29. JANUAR 1921 


Durch die Besprechungen in und nach Brüssel hatten sich die 
Ereignisse überstürzt. Während bis dahin niemand sich getraute, 
mit einem Reparationsplan hervorzutreten, war jetzt ein konkreter 
Vorschlag für die vollständige Lösung des Problems bereits 
zwischen den Parteien durchgesprochen, freilich aber auch schon 
wieder beiseite gelegt. Nun schlug Seydoux im Namen der 
Alliierten eine Zwischenlösung für fünf Jahre vor. Das war etwas 
ganz Neues. Man mußte sich zunächst im Schoße der deutschen 
Regierung darüber klar werden, ob man von der bisher befolgten 
Politik der schleunigen Feststellung der gesamten Reparations- 
schuld abgehen und sich auf ein Provisorium einlassen solle, 

Bei beiden Wegen gab es viele Für und Wider. Die Erfahrung 
hatte gezeigt, daß bei der Ungewißheit über das Ausmaß der 
Reparationsschuld der Kredit des Reiches im In- und Ausland so 
gut wie verschwunden war, und daß aus demselben Grunde das 
Mißtrauen gegen die Markwährung besonders in Deutschland 
immer größer wurde. Die Mark hatte sich im Frühjahr 1920 von 
dem beständigen Fall seit Friedensschluß kräftig erholt, dann 
aber mit dem Fehlschlag der Konferenz von Spa wieder zu- 
sehends verschlechtert, Es war daher im Interesse einer durch- 
greifenden Gesundung der Wirtschaft logisch ganz richtig, dem 
Uebel an die Wurzel zu gehen und sogleich eine vollständige 
Regelung der Reparation anzustreben, Auf der anderen Seite aber 
stand schon damals die Erkenntnis, daß es noch für lange Zeit 


16 





unmöglich sein würde, eine Einigung der Alliierten mit Deutsch- 
land auf eine bestimmte Reparationssumme zu erzielen. Ein- 


sichtige Kreise beider Parteien sprachen offen aus, daß in dieser 


Richtung ein unüberbrückbarer Zwiespalt zwischen Frankreich 


4 und Deutschland klaffe, In Frankreich herrschte die große 


Angst, daß bei Festsetzung der Schuld in erträglichen Grenzen 


E Deutschland zu billigen Kaufes aus dem Versailler Vertrage los- 
kommen und in zehn oder zwanzig Jahren dem geschwächten 
e Frankreich wirtschaftlich und politisch wieder ein furchtbarer 
: Gegner werden würde, Man weigerte sich auch, als Maßstab für 
die Höhe der Reparationsschuld die deutsche Zahlungsfähigkeit 
E: zu einem Zeitpunkt anzunehmen, wo Deutschlands wirtschaftliche 


R _ Kraft gering sei und die Gefahr bestehe, daß die Möglichkeiten 


künftiger Entwicklung unterschätzt würden. Der Leitartikler des 


„Temps“ schrieb am 18. Januar 1921: „Die öffentlichen Finanzen 
Deutschlands sind in einem schauderhaften Zustand, aber die 


Entwicklung der deutschen Industrie und des deutschen Handels 
nimmt schon wieder einen mächtigen Aufschwung. Es würde 
daher unvernünftig sein, schon heute das Deutsche Reich auf zu 
schwere Zahlungen festzulegen, die es zum Bankerott bringen 


würden, Aber es wäre noch viel unerträglicher, auf die Summe 


zu verzichten, welche Deutschland später nach Maßgabe seiner 
wachsenden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit wird zahlen 
können.” 

Das klingt sehr vernünftig, ist aber bei Lichte besehen der 


E kurzsichtige Standpunkt des Rentiers, der ängstlich darauf be- 


dacht ist, ja nichts von seinen Forderungen aufzugeben, und der 
nicht überlegt, daß er es durch seine Hartnäckigkeit dem zur 
Zeit zahlungsunfähigen Schuldner schwer oder unmöglich macht, 
wieder auf die Beine zu kommen und überhaupt etwas zu zahlen. 


So verkehrt aber auch die französische Auffassung war, man 


mußte mit ihr rechnen, Da Frankreich als größte militärische 
a ; Macht Europas und als Hauptgläubiger Deutschlands sich einer 
3 & Einigung über die Schuldsumme verschloß, so war es für Deutsch- 
land nicht ratsam, das Angebot einer Zwischenlösung grund- 
4 sätzlich abzulehnen, Denn ein Arrangement auf fünf Jahre ent- 


71 


fernte wenigstens für geraume Zeit den unerträglichen Druck, den 
die andauernde Reparationskrise auf Deutschland und die ganze 
Welt ausübte, Man konnte hoffen, daß im Laufe der fünf Jahre 
die psychischen und sentimentalen Nachwehen des Krieges immer 
mehr schwinden und vernünftigen wirtschaftlichen Erwägungen 
Platz machen würden. Man konnte während dieser Ruhepause 
auch Erfahrungen darüber sammeln, ob es Deutschland überhaupt 
möglich sein würde, derartig große Zahlungen ohne Gegenwert an 
das Ausland zu leisten, und man konnte, was beinahe noch 
wichtiger war, ausfindig machen, ob solche Leistungen den 
Empfangsländern wirklich den erhofften Nutzen bringen würden. 
Denn schon die berühmten Goldschiffe des Pizarro waren dem 
Wohlstande Spaniens nicht förderlich, und der Zahlung der 
fünf Milliarden Franken Kriegsentschädigung aus dem deutsch- 
französischen Kriege folgte 1873 ein wirtschaftlicher Krach in 
ganz Deutschland, dessen Folgen lange Jahre anhielten, Es ist 
nicht abwegig, anzunehmen, daß auch die Reparationszahlungen 
ähnliche Erfahrungen zeitigen und auf die Dauer den Empfängern 
selbst unangenehm werden können, 


Trotz alledem sprachen andere sehr gewichtige Gründe 
gegen das Eingehen auf eine provisorische Lösung. In der angel- 
sächsischen Welt, vor allem in Amerika, weigerte man sich grund- 
sätzlich, vor endgültiger Regelung der Reparation irgend etwas 
zur Wiederherstellung des europäischen Kredits zu tun. In 
Deutschland aber lehnte man die Zahlung der geforderten großen 
Beträge für die nächsten Jahre ohne Festsetzung der Gesamt- 
schuld mit der Begründung ab, daß die gewaltige Anstrengung 
doch nichts nützen, sondern für die späteren Jahre nur noch 
schlimmeren Druck der Alliierten bringen werde. Dies Argument 
klang dem deutschen Volke besonders plausibel. 


In den Berliner Beratungen im Januar 1921 wurden alle diese 
Gedankengänge eingehend erörtert. Die Industrie unter F ührung 
von Stinnes erklärte geschlossen, daß man keine provisorische 
Regelung wolle, sondern eine endgültige Lösung haben müsse, So 
kehrte ich nach Paris mit dem Auftrage der Regierung zurück, 
gegen das Provisorium von Seydoux Stellung zu nehmen. 


78 





Dann aber erhielt Dr. Simons den Besuch des französischen 
Botschafters und des englischen Geschäftsträgers in Berlin, die 


beide im Namen ihrer Regierungen die Annahme der Zwischen- 


lösung für fünf Jahre empfahlen. Daraufhin mußte ich in neue 
Besprechungen mit Seydoux und Lord d’Abernon eintreten, Ich 


- machte geltend, daß die Annuität von drei Milliarden Goldmark 


viel zu hoch gegriffen sei und daß sie wesentlich ermäßigt werden 
müßte, wenn man zu einer Einigung gelangen wolle, Die Gegen- 
seite machte nun den Vorschlag, man könne mit zwei Milliarden 
anfangen und die Zahlungen nach einem bestimmten Wohlstands- 


index steigen lassen, Ich konnte den Vorschlag nicht annehmen, 


erklärte aber, daß er vielleicht eine Grundlage zu Verhandlungen 
biete, wenn er von den alliierten Sachverständigen ihren Regie- 
rungen empfohlen werde, Für eine Verständigung aber sei nach 
wie vor nötig, daß Oberschlesien bei Deutschland verbleibe und 
daß auch die anderen in Brüssel besprochenen deutschen Be- 
dingungen zugestanden würden, vor allem Herabsetzung der 
Besatzungskosten und Freigabe des deutschen Eigentums. 

Soweit waren wir gekommen, als der Oberste Rat am 24. Januar 
1921 unerwartet zu einer Konferenz in Paris zusammentrat. Außer 


‚anderen Fragen sollten wiederum die Entwaffnung Deutschlands 


und die Reparation behandelt werden. Die alliierten Sachver- 
ständigen für die Brüsseler Konferenz legten dem Obersten Rat 
eine Denkschrift vor, in der das in Brüssel gesammelte Material 
sorgfältig und verständig verarbeitet war. Sie nahmen den Plan 
Seydoux für ein Provisorium 1921—1926 in der Weise auf, daß 
die Annuität von drei Milliarden Goldmark im Durchschnitt der 
fünf Jahre erreicht werden sollte und daß ein erheblicher Teil 
der Jahresleistungen durch Sachlieferungen abzutragen sei. Sie 
empfahlen ferner die Beschränkung der Besatzungskosten auf 
240 Millionen Goldmark im Jahre und den Verzicht auf weitere 
Lieferungen von deutschen Schiffen. Deutschland sollte seine 
Finanzen in Ordnung bringen und seine Zölle als Pfand für die 
genannten Zahlungen bestellen, Die alliierten Sachverständigen 
brachten also in die Konferenz von Paris ein vollständiges Pro- 
&ramm mit, das besonders von der französischen Regierung ver- 


19 


treten wurde, Nach dem Sturz des Kabinetts Leygues hatte der 
neue Ministerpräsident Briand sich von der Kammer ermächtigen 
lassen, im Obersten Rat lediglich eine provisorische Regelung 
auf fünf oder möglichst nur auf drei Jahre zu vertreten. Die Fest- 
setzung einer Gesamtsumme für die Reparation (forfait) wurde 
hierbei ausdrücklich abgelehnt, weil sie den Interessen Frank- 
reichs widerspreche, 

In der Konferenz aber kam es ganz anders, Der französische 
Finanzminister Doumer hielt eine merkwürdige Rede, in der er 
von einer Schuld Deutschlands von 212 Milliarden Goldmark 
ausging und Annuitäten von 12 Milliarden Goldmark verlangte. 
Das richtete in den Köpfen der Teilnehmer allgemeine Verwirrung 
an. Heftige Auseinandersetzungen zwischen Engländern und 
Franzosen folgten, Es scheint, daß Lloyd George von der allseitig 
angenommenen Idee des Provisoriums ganz plötzlich abgesprungen 
ist und daß er dabei auch von Loucheur, der neuerdings wieder 
als Minister in das französische Kabinett eingetreten war, unter- 
stützt wurde. Die belgischen Delegierten Theunis und Jaspar 
führten schließlich eine Einigung zwischen den streitenden Alli- 
ierten herbei. Aber auch sie standen den Dingen nicht objektiv 
gegenüber, denn sie waren verärgert zur Konferenz gekommen, 
weil soeben ihre Verhandlungen mit Deutschland über den Rück- 
kauf der von den Deutschen im Kriege nach Belgien gebrachten 
Markbeträge fruchtlos verlaufen waren. R 

Das Ergebnis dieser seltsamen Konferenz waren die soge- 
nannten Pariser Beschlüsse vom 29, Januar 1921. Auch hierbei 
wurden, wie üblich, die Reparationsforderungen von politischen 
Drohungen wegen Nichterfüllung militärischer Vorschriften des 
Vertrages eingerahmt. Die Pariser Beschlüsse verlangten von 
Deutschland vom 1. Mai 1921 an folgende Jahresleistungen: 


2 Milliarden Goldmark für die nächsten 2 Jahre, 


3 Milliarden Goldmark für weitere 3 Jahre, 
4 Milliarden Goldmark für weitere 3 Jahre, 
5 Milliarden Goldmark für weitere 3 Jahre, 


6 Milliarden Goldmark für weitere 31 Jahre, 
ferner für die gesamten 42 Jahre eine jährliche Abgabe in Höhe 


80 





von 12 Prozent des Wertes der deutschen Ausfuhr. Für vorzeitige 
Zahlung der Annuitäten wurde ein Rediskont bewilligt, und 
zwar acht Prozent bis 1. Mai 1923, dann sechs Prozent bis 
zum 1. Mai 1925 und von dann ab fünf Prozent. Für jedes aus- 
wärtige Kreditgeschäft des Reichs, der Staaten, der Provinzen und 
der Kommunen war die Zustimmung der Reparationskommission 
einzuholen, Als Sicherheit wurden gefordert die deutschen Land- 
und Seezölle sowie alle Einfuhr- und Ausfuhrabgaben. Die deutsche 
Regierung sollte einen Generaleinnehmer für die Zölle einsetzen, 
dessen Ernennung durch dieReparationskommission zu genehmigen 
war. 


Dieser Plan erregte allgemeines Befremden. Die alliierten 
Sachverständigen selbst waren. wie vor den Kopf gestoßen. All 
ihre Arbeit war vergebens gewesen; ihre Vorschläge waren von 
der Konferenz einfach nicht beachtet worden. Das Seltsamste an 
dem Plane aber war, daß die englische und die französische Re- 
gierung, die vorher nicht scharf genug eine Festsetzung der 
deutschen Gesamtschuld (forfait) hatten ablehnen können, ja die 
soeben ihre diplomatischen Vertreter zum deutschen Außen- 
minister geschickt hatten, um ihn zur Annahme des Provisoriums 
zu bestimmen, daß diese selben Regierungen nunmehr innerhalb 
weniger Stunden einen endgültigen Reparationsplan beschlossen, 
ohne über die Gründe ihrer veränderten Stellungnahme auch nur 
ein Wort der Erklärung zu sagen. Daher ist vielfach behauptet 
worden, es sei den Alliierten mit den Pariser Beschlüssen über- 
haupt nicht ernst gewesen, und nur die deutsche Regierung habe 
die Torheit begangen, die Beschlüsse ernst zu nehmen. 


Die wirklichen Ursachen des plötzlichen Frontwechsels, den 
der Oberste Rat damals vorgenommen hat, sind bis heute nicht 
vollkommen klar geworden. Wahrscheinlich liegen sie tief im rein 
Menschlichen, wie so oft bei großen politischen Entscheidungen. 
Es scheint so, daß die Gegensätze zwischen Frankreich und 
England in jenem Augenblick nur auf dem Rücken von Deutsch- 
land ausgeglichen werden konnten, dadurch nämlich, daß man 
dem Besiegten eine Last aufpackte, die für den Anfang nicht 
allzu drückend aussah, in den späteren Jahren aber einen Um- 


Bergmann, Der Weg der Reparation 6 81 


fang annahm, der auch die weitestgehenden Ansprüche Frank- 
reichs befriedigte. Lloyd George mag sich wie schon so oft gedacht 
haben, daß es taktisch zunächst einmal darauf ankomme, einen 
derartigen Plan durchzudrücken und daß später die Zeit schon 
Rat bringen werde, 


Amüsant ist es, die Leitartikel des „lemps“, des Sprachrohrs 
der französischen Regierung, aus den Tagen vor und nach der 
Konferenz nachzulesen und miteinander zu vergleichen, Man 
wird daraus ersehen, daß es doch eines eleganten Eiertanzes be- 
durfte, um den Lesern klarzumachen, warum Frankreich vor der 
Konferenz nur ein Provisorium haben durfte und nach der 
Konferenz durchaus auf einer Gesamtregelung bestehen mußte, 
Bezeichnend ist auch, daß unmittelbar nach der Konferenz der 
vorher so milde und sanftmütige „Temps“ mit dem Gros der fran- 
zösischen Zeitungen die sofortige Anwendung von Gewaltmaß- 
regeln gegen Deutschland verlangte, vor allem eine Zollsperre 
zwischen dem besetzten und dem unbesetzten Gebiete. 

Der Oberste Rat teilte am 29, Januar der deutschen Regierung 


seine Beschlüsse mit und schlug vor, daß deutsche Vertreter sich 
Ende Februar mit den alliierten Delegierten in London treffen 


‚sollten. Der deutsche Botschafter in Paris und ich gaben der 


deutschen Regierung einmütig den Rat, jede Verhandlung über 
die Pariser Beschlüsse abzulehnen. Die eigenmächtige Festsetzung 
der Schuld Deutschlands durch den Obersten Rat war ein Bruch 
des in Spa gegebenen Versprechens, daß über die Reparation 
mit Deutschland auf einer Konferenz in Genf verhandelt werden 
solle. Die Pariser Beschlüsse verletzten auch die Vorschrift des 
Versailler Vertrags, nach welcher es der Reparationskommission 
oblag, die deutsche Schuld zum 1, Mai 1921 festzustellen. Deutsch- 
land konnte sich also getrost auf den Boden des Versailler Ver- 
trages zurückziehen und jede Aussprache über die Pariser Be- 
schlüsse verweigern, Von bester französischer Seite wurde mir 
später gesagt, man habe den Kopf darüber geschüttelt, daß 
Deutschland diese einfache und klare Haltung nicht angenommen 
habe, sondern nach London gegangen sei, obwohl es sich doch 
sagen konnte, was seiner dort harren würde, Wie dem auch sei, 


82 





Deutschland nahm die von England ausgehende offizielle Ein- 
ladung vom 8. Februar 1921 nach London sofort an. Es zeigte sich 
auch hier wieder, daß jede Berliner Regierung glaubte, sie würde 
durch Aussprache mit den Chefs der alliierten Regierungen selber 
mehr erreichen als bei dem Verfahren vor der Reparations- 
kommission. Dabei hat sicherlich der Gedanke mitgespielt, derart 
wichtige Verhandlungen dürften nicht der ständigen deutschen 
Vertretung in Paris überlassen, sondern müßten vom Berliner 
Kabinett persönlich geführt werden. Schließlich war auch bei der 
mangelhaften Zusammensetzung der Reparationskommission und 
bei den bisherigen Erfahrungen mit ihr keine Gewähr dafür ge- 
boten, daß sie den deutschen Verhältnissen das nötige Verständ- 
nis entgegenbringen werde. 

Zugleich mit der Annahme der Einladung nach London brach 
in der gesamten deutschen Presse ein Entrüstungssturm über 
die Ungeheuerlichkeit der Pariser Beschlüsse los. Die deutsche 
Regierung tat nichts, um dem entgegenzutreten, vielmehr hielt der 
deutsche Außenminister bei einer Reise durch Süddeutschland 
Mitte Februar 1921 in Stuttgart und in Karlsruhe Reden, in denen 
er nicht nur die Pariser Beschlüsse scharf ablehnte, sondern auch 
die Frage der Schuld am Kriege wieder anschnitt. Das war 
natürlich keine diplomatische Vorbereitung für eine mündliche 
Verhandlung mit der Gegenpartei. 

Die Rolle der Brüsseler Sachverständigen war ausgespielt. 
Ein englischer Vertreter meinte damals, es sei doch ganz nützlich, 
nochmals nach Brüssel zu gehen, weil sich da unter den Sach- 
verständigen leicht Anregungen für die Londoner Konferenz 
bieten würden. Ich lehnte dies ab, da Deutschland erst in London 
zu den Pariser Beschlüssen Stellung nehmen werde und vorher 
weder die Alliierten über eine etwaige Aenderung der Beschlüsse 
diskutieren noch die deutschen Vertreter in eine sachliche Be- 
ratung eintreten könnten. 

Auch die Berufung einer Konferenz in Genf war nunmehr 
gegenstandslos geworden. 

Inzwischen bereitete man in Berlin mit fieberhaftem Eifer 
Material für die Londoner Konferenz vor. Eine große Anzahl 


6* 83 


erster deutscher Sachverständiger erstattete ein Gutachten über 
die wirtschaftlichen Wirkungen der Pariser Beschlüsse, Es be- 
leuchtete in knappen Sätzen das Problem der Zahlung von Land 
zu Land, zählte die verschiedenen Wege dafür auf und kam zu 
dem Ergebnis, daß die deutsche Ausfuhr die unmögliche Höhe 
von 40 Milliarden Goldmark jährlich erreichen müßte, um den 
normalen Anforderungen der Pariser Beschlüsse zu genügen, Das 
Gutachten ist ein sehr wertvoller Beitrag zur Reparationsfrage 
und gerade im Hinblick auf den späteren Dawesplan und dessen 
Vorschriften für den Transfer auch heute noch lesenswert, Eine 
weitere Denkschrift diente als Antwort auf die Kritik der 
Brüsseler Sachverständigen am deutschen Haushalt und an den 
deutschen Steuern. Aber die deutsche Regierung beschränkte sich 
nicht auf negative Arbeit, sie wollte positive Vorschläge machen. 
Ueber diese Gegenvorschläge hat man in Berlin den ganzen Monat 
Februar beraten. 

Ich vertrat damals in Berlin folgende Ansicht: Die Pariser 
Beschlüsse sind unannehmbar. Eine Einigung über eine ver- 
nünftige Gesamtsumme ist vorläufig nicht zu erzielen. An den 
Ziffern der Gegner Abstriche zu machen, ist zwecklos. Also 
muß der deutsche Vorschlag — wenn durchaus einer gemacht 
werden soll — auf einer ganz anderen Grundlage ruhen, Er muß 
so sein, daß die Gegenseite ihn nicht kurzerhand ablehnen kann. 
Deshalb soll Deutschland entschlossen auf den Boden der Vor- 
schläge der Brüsseler Sachverständigen treten, nach denen 
Deutschland für fünf Jahre je drei Milliarden Goldmark zu 
zahlen. hatte. Diese 15 Milliarden sind so zu finanzieren, daß je 
eine Milliarde für fünf Jahre durch Sachleistungen gedeckt wird, 
Dann bleiben noch je zwei Milliarden für fünf Jahre, die im 
Anleihewege aufzubringen sind, Diese zehn Milliarden Goldmark- 
Annuitäten, zu acht Prozent rediskontiert, geben einen Jetztwert 
von acht Milliarden, deren Finanzierung auf den internationalen 
Märkten versucht werden muß, Etwa eine bis zwei Milliarden 
wären in Deutschland selber unterzubringen. Die Anleihe könnte 
mit nicht mehr als fünf Prozent verzinst werden, wenn sie in allen 
Absatzländern steuerfrei gemacht wird. Als Sicherheit wären die 


84 





deutschen Zölle und gewisse Exportabgaben zu bestellen. Voraus- 
setzung des Vorschlags ist, daß auf Grund der bevorstehenden 
Abstimmung Oberschlesien bei Deutschland verbleibt, und daß 
auch die sonstigen bereits in Brüssel betonten deutschen Forde- 


rungen in bezug auf Besatzungskosten, Privateigentum usw. 


berücksichtigt werden, 

Ich drang mit dem Vorschlag nicht durch. Die Bedenken gegen 
eine provisorische Lösung waren in Berlin zu groß. Man glaubte, es 
würde möglich sein, mit einem deutschen Gesamtplan wenigstens 
die Grundlage zu Verhandlungen zu schaffen, Man griff eine 
französische Berechnung auf, wonach der Jetztwert der 226 
Milliarden Goldmark Annuitäten der Pariser Beschlüsse bei einem 
Rediskont von acht Prozent nur etwa 53 Milliarden Goldmark 
betrug, und nahm in Anlehnung daran den Betrag von etwa 
50 Milliarden zum Ausgangspunkt der deutschen Offerte, Den 
Wert aller bisherigen deutschen Leistungen und Abtretungen 
brachte man mit etwa 20 Milliarden in Abzug. So gelangte man 
zu 30 Milliarden, die durch internationale Anleihen zu tilgen 
wären. Ich habe diese Idee als abwegig bekämpft, weil 30Milliarden 
Goldmark deutscher Anleihen auch in einer Reihe von Jahren 
nicht zu begeben seien. Besonders gefährlich aber schien es mir, 
in London 30 Milliarden als Gesamtschuld zu nennen. Das mußte 


‘bei der Stimmung im Lager der Alliierten verderblich wirken. 


Immerhin war es nicht ungeschickt, von dem Jetztwert der 
Annuitäten von Paris auszugehen, um aus dem ungeheuren Wust 
der Milliarden zu einigermaßen diskutablen Ziffern zu gelangen. 
Schließlich kam in Berlin folgende Kombination zustande: 


Die Ziffer der Alliierten von 53 Milliarden wird grund- 
sätzlich angenommen, Davon gehen jedoch ab die gesamten bis-. 
herigen Leistungen Deutschlands auf Grund des Vertrages von 
Versailles, soweit sie auf Reparationskonto gutzuschreiben sind. 
Der Wert dieser Leistungen ist so bald wie möglich in ange- 
messener Höhe festzusetzen. Die zwölfprozentige Abgabe von 
der deutschen Ausfuhr wird abgelehnt, An ihre Stelle tritt ein 
Besserungsschein, d. h. die Verpflichtung Deutschlands, einen 


_ angemessenen Teil seines späteren Zuwachses an Nationalein- 


85 


kommen für die Zwecke der Reparation an die Alliierten zu 
zahlen. Hierfür ist binnen zwei Jahren ein geeignetes Index- 
schema aufzustellen. 


Die feste Entschädigung von 53 minus x Milliarden — des 
noch zu ermittelnden Wertes der Vorleistungen — ist vom 1. Mai 
1921 ab mit 5 Prozent zu verzinsen, Sie soll im Wege der inter- 
nationalen Anleihe finanziert werden, Da es aber nicht möglich 
ist, so gewaltige Beträge in absehbarer Zeit auf dem Weltmarkt 
zu begeben, soll zunächst ein Teilbetrag finanziert werden, und 
zwar im Verlaufe von fünf Jahren 8 bis 10 Milliarden durch An- 
leihe und 5 Milliarden durch Sachleistungen. Als Sicherheiten 
kommen außer Zöllen einzelne Verbrauchsabgaben wie Zucker- 
steuer, Branntweinsteuer und Tabaksteuer in Betracht. Solange 
Deutschland die für den Anleihedienst erforderlichen Beträge 
regelmäßig bezahlt, bleibt es von jeder Einmischung in die Ver- 
waltung der als Sicherheit bestellten Abgaben frei. 


Den Entwurf für diesen Vorschlag habe ich noch vor London 
in den Kreisen der Reparationskommission vertraulich be- 
sprochen. Man fand ihn nicht schlecht, wies aber darauf hin, 
daß die Anrechnung der Vorleistungen auf Schwierigkeiten stoßen 
werde und daß die deutschen Vorstellungen über die Höhe dieser 
Vorleistungen phantastisch seien. In Berlin dagegen wollte man 
durchaus das Angebot so fassen, daß eine Gesamtschuld von 
30 Milliarden Goldmark nicht überschritten würde. Daher wurde 
die Bemerkung eingefügt, daß die deutsche Regierung die Vor- 
leistungen auf 20 Milliarden schätze, aber die Festsetzung des 
wahren Wertes dem Spruch von Sachverständigen überlasse. 
Auch wurden als Ausgangspunkt für die Gesamtschuld nicht 53, 
sondern rund 50 Milliarden genannt. Im übrigen lautete der Vor- 
schlag, den die deutsche Delegation unter der Führung des 
Außenministers Dr. Simons auf die Reise nach London mitnahm, 
genau so, wie ich ihn bei der Reparationskommission vorher ver- 
traulich mitgeteilt hatte, ohne ernstliche Bedenken dagegen zu 
hören. Vor allem war ein Besserungsschein ausdrücklich vorge- 
sehen, In dieser Form konnte man nach der Ansicht mehrerer 
Mitglieder der Reparationskommission das deutsche Angebot 


86 





unbedenklich in London vorlegen, wenn auch nicht zu erwarten 
war, daß die Alliierten ihm gleich zustimmen würden. 


Aber wiederum kam es anders. Bei der Ankunft in London 
erfuhr Dr. Simons von deutscher Seite, daß sein Vorschlag einen 
großen taktischen Fehler habe: er biete den Alliierten gleich zu 
viel. Das sei die Meinung von Leuten, die Lloyd George sehr nahe 
ständen, Es empfehle sich daher, nicht sofort den ganzen deutschen 
Vorschlag zu bringen, sondern eine Reserve für den Fall zu lassen, 
daß die Gegenseite mehr haben wolle, als von Deutschland ange- 
boten werde, Trotz dringender Warnungen aus dem Kreise der 
Delegation ließ sich Dr. Simons auf diesen Wink ein, weil ihm 
daran lag, den Intentionen von Lloyd George zu entsprechen. In 
der Nacht vor der Konferenz wurde der Passus über den 
Besserungsschein aus dem deutschen Angebot vorläufig gestrichen. 


87 


ACHTES KAPITEL 


DIE LONDONER KONFERENZ 
1, BIS 7, MÄRZ 1921 


Die Zusammenkunft mit den Alliierten in London fand am 
1, März 1921 statt. Die Chefs der Regierungen von England, 
Frankreich, Italien und Belgien waren mit den zuständigen 
Ministern und einer großen Anzahl von Sachverständigen er- 
schienen, außerdem auch Vertreter von Japan. Dr. Simons erhielt 
das Wort. Anstatt das schriftliche deutsche Angebot vorzulegen, 
gab er eine gewissenhafte Darlegung der Schwierigkeiten, unter 
denen der deutsche Vorschlag entstanden sei. Er knüpfte daran 
eine eingehende Kritik der Pariser Beschlüsse, die wirtschaftlich 
unausführbar seien. Eigentlich sei es der deutschen Regierung 
unmöglich, bei der Lage der heimischen Verhältnisse einen festen 
Vorschlag zu machen, trotzdem aber habe sie sich dazu ent- 
schlossen, um baldigst zu einer Lösung des Reparationsproblems 
zu gelangen. Er halte es nicht für richtig, auf lange Jahre hinaus 
Annuitäten festzusetzen, sondern wolle von einem festen Gegen- 
wartswert ausgehen, und zwar von 50 Milliarden Goldmark. So 
viel seien bei einem Diskontsatz von 8 Prozent die gesamten 
Annuitäten der Pariser Beschlüsse jetzt wert. Darauf müßten die 
deutschen Vorleistungen in Anrechnung kommen, welche er auf 
über 20 Milliarden Goldmark schätze, Dann ergäbe sich ein Rest- 
betrag von etwa 30 Milliarden, der im einzelnen noch nachzu- 
prüfen sei. Dr. Simons sprach auch bei seinen weiteren Aus- 
führungen immer von diesen 30 Milliarden. Er erklärte, daß davon 
vorläufig 8 Milliarden im Wege der internationalen Anleihe 


88 





finanziert werden sollten, und setzte unter immer steigender Un- 
ruhe der Versammlung auseinander, wie er sich die Finanzierung 
der restlichen 22 Milliarden denke. Diese Art der Darstellung, 
welche die verpönten 30 Milliarden sozusagen in die Köpfe der 
Versammlung einhämmerte und die Schuldsumme anscheinend 
immer weiter zusammenschrumpfen ließ, machte im Verein mit 
den Schwierigkeiten der Uebersetzung des verwickelten deutschen 
Vortrags auf die alliierten Zuhörer einen ungünstigen Eindruck. 
Dr. Simons sah sich daher veranlaßt, kurz abzubrechen, um zur 
Verlesung seiner formulierten Vorschläge überzugehen. Das aber 
erklärte Lloyd George als Vorsitzender sehr schroff für unnötig. 
Die Sitzung endigte daher mit der einfachen Uebergabe der 
deutschen Gegenvorschläge. 


Die Aufregung bei den Alliierten war ungeheuer. Die gesamte 
Presse der Alliierten und besonders die englischen: Blätter aller 
Richtungen verurteilten das Auftreten der deutschen Delegation 
in Grund und Boden. Man sprach in vollem Ernst von einer 
deutschen Herausforderung und alle Welt schrie sofort nach 
Sanktionen. Es liegt etwas Tragikomisches darin, daß man der 
deutschen Delegation, die unter der peinlich gewissenhaften, sorg- 
samen und würdigen Führung von Dr. Simons wochenlang uner- 
müdlich gearbeitet hatte, um den Alliierten annehmbare Vor- 
schläge zu machen, die Absicht einer dreisten Herausforderung 
zuschieben konnte, Hier zeigte es sich in besonders krasser Form, 
daß weder der Deutsche sich der Denkart anderer Völker anzu- 
passen versteht noch die Welt die Eigenart der deutschen Gründ- 
lichkeit und Schwerarbeit zu würdigen weiß. Was in Wirklichkeit 
vorlag, war ein taktisches Mißgeschick des deutschen Ministers, 
das bei ruhiger und sachgemäßer Besprechung im kleinen Kreise 
sicher zu vermeiden war. So aber wurde Dr. Simons genötigt, sich 
vor einer großen und feierlichen Versammlung zu verantworten. 
Seine Befangenheit wurde ohne weiteres zum Verbrechen ge- 


 stempelt, 


Bis zum 3, März blieb die deutsche Delegation ohne Fühlung 
mit den Alliierten, Dann wurde sie zur zweiten Sitzung vor- 


geladen. Lloyd George hielt eine donnernde Anklagerede gegen 
89 


Deutschland, Er nannte die deutschen Vorschläge eine klare Ver- 
höhnung des Vertrages von Versailles. Der Geist der deutschen 
Delegation ergebe sich aus den Reden, die Dr. Simons in Deutsch- 
land gegen die Pariser Beschlüsse gehalten habe. Besonders ernst 
sei seine Rede von Karlsruhe, in der er die deutsche Verantwort- 
lichkeit für den Krieg abgelehnt habe, Das sei das wahre Gesicht 
Deutschlands. Seine jetzigen Vorschläge folgten zwangläufig 
daraus. Deutschland habe noch nicht begriffen, daß es Reparation 
zu leisten habe. Die deutsche Behauptung, daß die alliierten 
Forderungen eine unerträgliche Bedrückung darstellten und das 
deutsche Volk versklavten, sei falsch. Die Alliierten wollten nur 
einen Teil ihres Schadens ersetzt haben. Es sei Zeitvergeudung, 
auf die deutschen Vorschläge einzugehen. Die Alliierten hätten 
nur zu sagen, daß wegen der vielfachen Verstöße der deutschen 
Regierung gegen den Versailler Vertrag, bei der Aburteilung der 
Kriegsverbrecher, der Entwaffnung, der Bezahlung von zwanzig 
Milliarden Goldmark für die Reparation usw., jetzt mit Strafmaß- 
nahmen vorgegangen werden müsse, Wenn Deutschland nicht bis 
zum 7, März erkläre, daß es die Pariser Beschlüsse annehme oder 
andere befriedigende Vorschläge mache, so würden die Alliierten 
zu folgenden Sanktionen schreiten: Sie würden 

1. die Städte Düsseldorf, Duisburg und Ruhrort besetzen, 

2. einen Teil des Kaufpreises für die Einfuhr deutscher Waren 
in den alliierten Ländern einbehalten, 

3. die deutschen Zölle im besetzten Gebiet in Beschlag nehmen 
und eine Zollgrenze zwischen besetztem und unbesetztem 
Gebiet errichten. 

Wieweit sich bei dieser Strafrede ehrliche Entrüstung mit poli- 
tischem Theater mischte, ist schwer zu beurteilen. Für den ge- 
sunden Menschenverstand ist es kaum faßbar, daß die alliierten 
Chefs etwa geglaubt haben könnten, die deutsche Delegation werde 
unter dem Drucke der angedrohten Sanktionen sich bereit finden, 


entweder die Pariser Vorschläge anzunehmen oder bessere eigene 


Vorschläge aus der Tasche zu ziehen. Wenn es wirklich die Ab- 
sicht war, nach dem berühmten Vorbild von Versailles und Spa 
ein deutsches Zugeständnis unter schwerem Druck zu erreichen, 


90 





so haben die Alliierten in London die Sachlage gänzlich verkannt. 
Es war der deutschen Delegation einfach nicht möglich, dem Ver- 
langen der Alliierten zu entsprechen. Es blieb ihr nichts weiter 
übrig, als den Sanktionen entgegenzusehen. 

In dieser verzweifelten Lage, die nur durch eine Reihe von auf- 
gebauschten Irrtümern entstanden war, wurde versucht, mit der 
Gegenseite persönlich Fühlung zu nehmen. Ich ging zu Philipp 
Kerr, dem damaligen Privatsekretär von Lloyd George, und setzte 
ihm unter vier Augen auseinander, daß die deutsche Haltung von 
den Alliierten gänzlich mißverstanden sei, Kerr begriff sogleich 
und schlug eine Zusammenkunft zwischen Lloyd George und 
Dr. Simons’vor. Um keinen Argwohn bei Frankreich zu erwecken, 
wurde auch Briand benachrichtigt. So fand in aller Stille am Vor- 
mittag des 5. März im Hause von Lord Curzon eine Begegnung 
statt, an der Lloyd George und Lord d’Abernon, Briand und 
Loucheur, Dr, Simons und ich teilnahmen, Die alliierten Vertreter 
hörten Dr, Simons zunächst mit kühler Zurückhaltung an. Ihr Ton 


wurde aber allmählich wärmer, besonders als ich ausführte, daß 


es bei dem Unterschied in den Ansichten über die deutsche 
Zahlungsfähigkeit jetzt nicht möglich sei, zu einer endgültigen 
Lösung zu kommen, sondern daß man auf das Provisorium der 
Brüsseler Sachverständigen zurückgehen müsse, Lloyd George 
griff die Anregung mit Freude auf und beraumte sogleich eine 
Besprechung zwischen alliierten und deutschen Sachverständigen 
an, Loucheur, der diese Sitzung leitete, erklärte aber, daß ein 
Provisorium jetzt nicht mehr möglich sei, weil die öffentliche 
Meinung in den alliierten Ländern eine endgültige Lösung ver- 
lange, Ein Arrangement auf fünf Jahre habe keinen Wert, weil 
man nicht wisse, was nach Ablauf der fünf Jahre geschehen werde. 
Man müsse auf dreißig Jahre Annuitäten haben, mindestens in 
Höhe von drei Milliarden jährlich. Da die deutschen Vertreter sich 
zu einem solchen Abkommen außerstande erklärten, wurde die 
Besprechung abgebrochen. Die deutsche Delegation arbeitete 
trotzdem einen Vorschlag für ein Provisorium von fünf Jahren 
aus, der über Sonntag von den Alliierten auf dem Landhause in 
Chequers eingehend beraten wurde, In der Nacht dieses Sonn- 


91 


tags (6. März) kamen Lord d’Abernon und Loucheur zur deutschen 


Delegation. Sie erklärten, daß das Provisorium abgelehnt sei, und 
stellten zwei neue Vorschläge zur Wahl: entweder Zahlung von 
je drei Milliarden jährlich auf dreißig Jahre und 25 Prozent Ab- 
gabe vom Werte der deutschen Ausfuhr oder aber Abgabe von 
40 Prozent des Wertes der deutschen Ausfuhr auf dreißig Jahre, 
mindestens aber drei Milliarden jährlich, Keiner der beiden Vor- 
schläge war für Deutschland annehmbar, 

Das Schicksal nahm seinen Lauf, Am nächsten Morgen fand 
die entscheidende Sitzung statt. Dr. Simons griff nochmals auf 
den Vorschlag des Provisoriums zurück und wies darauf hin, daß 
noch vor einigen Wochen sowohl die alliierten Sachverständigen 
wie die alliierten Regierungen selbst das Provisorium gefordert 
und das Definitivum abgelehnt hätten, Er erklärte sich bereit, 
für die ersten fünf Jahre die festen Annuitäten in Höhe der 
Pariser Beschlüsse anzunehmen und daneben einen vollwertigen 
Ersatz für die zwölfprozentige Abgabe von der deutschen Aus- 
fuhr anzubieten. Wenn innerhalb der fünf Jahre keine Ver- 
ständigung über die Gesamtschuld erreicht werde, dann solle es 
bei den Bestimmungen des Versailler Vertrages verbleiben. In 
geschickter Weise betonte Dr. Simons, daß es ungerecht sei, 
Deutschland aus dieser Haltung den Vorwurf einer hartnäckigen 
und vorsätzlichen Weigerung zu machen, für die es bestraft werden 
müsse, Er fand treffliche Worte für die Notwendigkeit der 
deutschen Mitwirkung beim Wiederaufbau Belgiens und Frank- 
reichs und wies an der Hand der Vorschriften des Versailler Ver- 
trages die Rechtswidrigkeit der angedrohten Sanktionen nach. Er 
schloß damit, daß jede Zwangsmaßnahme, die ihren Zweck ver- 
fehle, neue Zwangsmaßnahmen hervorrufen und vom Frieden weg 
zu einem neuen Zustande der Gewalt führen müsse, Nötig sei es 
für alle, aus der ungesunden Atmosphäre der Gewalt in die heil- 
same Atmosphäre freiwilliger Mitarbeit zu gelangen. Wie man 
auch die Schuldfrage entscheiden möge, es handele sich um eine 
gemeinsame Not, die nur durch gemeinsame Anstrengung behoben 
werden könne. Deutschland sei bereit, sich mehr als die anderen 
Länder anzustrengen. 


92 





Diese ausgezeichnete Rede machte sichtlich Eindruck, Aber 
es war zu spät. Die Alliierten waren zu weit gegangen, um noch 
umkehren zu können, Die Gewalt war in aller Oeffentlichkeit so 
laut angedroht worden, daß sie nun auch ausgeübt werden mußte, 
Als Lloyd George erklärte, daß die Sanktionen zur Ausführung 
kommen müßten, sah und hörte man ihm an, wie wenig er mit dem 
Herzen dabei war. Er wußte so gut wie die anderen Mitglieder 
der Konferenz, daß in London Vernunft und Recht geopfert 
wurden, um einen der großen Menge gefälligen Ausweg aus einer 
Zwangslage zu finden, die sich die alliierten Regierungen mit 
ihrer Gewaltpolitik gegen Deutschland ohne Not selbst geschaffen 
hatten. 


Das Angebot eines Provisoriums durch Dr. Simons in London 
ist sowohl von: deutscher Seite wie bei den Alliierten heftig kriti- 
siert worden, Briand erklärte der französischen Kammer und der 
Presse, daß Dr. Simons innerhalb dreier Tage sein ursprüngliches 


Angebot um das Dreifache erhöht und damit Deutschlands 


schlechten Willen erwiesen habe, Diese Behauptung ist grund- 
falsch. Nach dem ursprünglichen deutschen Angebot in London 
sollten in den ersten fünf Jahren durch Sachleistungen und An- 
leihen Annuitäten von zusammen 15 Milliarden Goldmark gezahlt 
werden. Der letzte deutsche Vorschlag in London nahm die 
Pariser Ziffern für fünf Jahre an, d, h. feste Annuitäten von zu- 
sammen 13 Milliarden, dazu 12 Prozent der Ausfuhr im Werte 
von etwa 3,5 Milliarden, insgesamt 16.5 Milliarden Goldmark. 
Der Unterschied in der Höhe der beiden Angebote ist deshalb 


nicht besonders groß, 


Wieder einmal hatte die hohe Politik in der Lösung der 
Reparationsfrage vollkommen versagt. Die Sanktionen traten so- 
fort in Kraft, Marschall Foch setzte seine Truppen schon am 
Morgen des 8, März 1921 in Bewegung. Düsseldorf, Duisburg und 
Ruhrort wurden besetzt, die Zollgrenze zwischen besetztem und 
unbesetztemi Gebiet errichtet, die deutschen Zölle an der West- 
$renze mit Beschlag belegt. England schritt zum Erlaß des 


_ German Reparation (Recovery) Act, nach welchem bis zu 50 Pro- 


zent — der Satz ist später auf 26 Prozent ermäßigt worden — 


93 





des Wertes der deutschen Einfuhr nach England für die Repa- 
ration einbehalten wurden, Andere alliierte Staaten erließen 
gleichartige Gesetze, die aber vorläufig nicht zur Ausführung 
gelangten, 


Daß die alliierten Regierungen aus dem Versailler Vertrag 
kein Recht auf die Anwendung der Londoner Sanktionen her- 
leiten konnten, ist von verschiedenen Seiten so überzeugend nach- 
gewiesen worden, daß wir darauf nicht weiter einzugehen 
brauchen. Aber ich muß schon hier darauf hinweisen, daß die 
Sanktionen von London den Grund für die spätere Besetzung der 


Ruhr gelegt haben. 


94 








NEUNTES KAPITEL 


DIE 

FESTSETZUNG DER REPARATIONSSCHULD 

UND DER LONDONER ZAHLUNGSPLAN 
VOM 5. MAI 1921 


Nach der Konferenz von London ging es in den Reparations- 
fragen drunter und drüber. Es ist schwer, sich in dem Wirrwarr 
der folgenden Ereignisse zurechtzufinden. 





Bei der Reparationskommission war man über die Londoner 
Vorgänge sehr bestürzt. Vernünftige Besprechungen waren unter 
dem frischen Eindruck der Sanktionen fast unmöglich. Aber 
dennoch boten einsichtige Mitglieder der Kommission mir bald 
ihre Hand, um abseits von den Wirren der Politik zu einer 
Verständigung zu kommen, Die Gelegenheit dazu ergab sich bei 
den Arbeiten zur Feststellung der deutschen Reparationsschuld 
gemäß dem Vertrage von Versailles. Vom Februar 1921 an 
fanden zwischen der Reparationskommission und einer deutschen 
Kommission unter Dr. Ruppel in Paris eingehende Besprechungen 
darüber statt, deren Einzelheiten wir übergehen können. Hervor- 
zuheben ist aber, daß die Zusammenarbeit der beiden Kom- 
missionen trotz des Widerstreites der Interessen sehr gut von 
statten ging und manchen Nutzen brachte, Damals wurde mir von 
alliierter Seite geraten, Deutschland möchte sich an die Re- 
parationskommission mit dem Vorschlag wenden, die beiden 
Kommissionen sollten nicht nur über die Höhe der Schäden, 
sondern auch über die Art und Weise beraten, in welcher Deutsch- 


95 
































land seiner Zahlungspflicht nachkommen könne. Daraus würde 
sich dann zwanglos die Möglichkeit ergeben, im Benehmen mit 
Deutschland einen Zahlungsplan aufzustellen, ohne daß von 
vornherein ein bestimmter deutscher Vorschlag gemacht werden 
müsse, Ich habe diese Anregung bei der deutschen Regierung 
nachdrücklich vertreten, aber ohne Erfolg. Vielleicht war es bei 
der allgemeinen politischen Aufregung schon zu spät dazu, zu- 
mal auch die Reparationskommission nach der Konferenz von 
London sich auf höheres Geheiß offiziell auf den Buchstaben des 
Versailler Vertrages versteifte und hintereinander eine Reihe von 
Forderungen erhob, die allesamt unerfüllbar waren, Die Kom- 
mission glaubte damit der Oeffentlichkeit nachweisen zu müssen, 
daß sie die ihr im Vertrage von Versailles zugewiesenen Aufgaben 


pflichtmäßig erledigt habe, 


In erster Reihe handelte es sich um die 20 Milliarden Gold- 


mark, welche Deutschland bis zum 1. Mai 1921 zu zahlen hatte, 
Wie erwähnt, war schon in Spa eine deutsche Aufstellung der ge- 
machten Zahlungen, Lieferungen und Abtretungen vorgelegt 
worden, die darauf hinauslief, daß Deutschland bereits mehr als 
die 20 Milliarden geleistet habe. Auf eine weitere Mitteilung 
der deutschen Regierung vom 20. Januar 1921, die zu ungefähr 
dem gleichen Ergebnis kam, antwortete die Reparationskom- 
mission am 26, Februar 1921, daß sie noch nicht in der Lage sei, 
endgültig festzustellen, wieviel von den bisherigen deutschen 
Leistungen auf die 20 Milliarden anzurechnen sei, Schon jetzt 
aber könne sie erklären, daß höchstens acht Milliarden für die 
Anrechnung in Betracht kämen. Deshalb seien noch 12 Milliarden 
bis zum 1, Mai 1921 zu zahlen. Deutschland solle sich äußern, 
wie es diesen Betrag begleichen wolle, Als die deutsche Re- 
gierung dabei beharrte, daß sie schon mehr als 20 Milliarden 
gezahlt habe, verlangte die Reparationskommission am 15, März 
kategorisch die Zahlung von 12 Milliarden Goldmark. Zunächst 
sei bis zum 23, März, d. h, innerhalb von acht Tagen eine 
erste Anzahlung von einer Milliarde Goldmark in französischen 
Franken, Pfund Sterling und Dollars zu leisten. Bis zum 1. April 
seien Vorschläge zur Bezahlung der restlichen 11 Milliarden 


96 


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einzureichen, wobei auch die Lieferung von Waren und von 
Wertpapieren sowie die Ausgabe einer Anleihe in Betracht 
kommen könne. Der Schriftwechsel über diese ungeheuerliche 
Forderung nahm solche Formen an, daß die Reparationskom- 
mission wieder mit der Anwendung der bekannten Sanktions- 
paragraphen des Versailler Vertrages drohte. Als auch das nichts 
half, verlangte die Reparationskommission den Abtransport des 
gesamten Gold- und Silberbestandes der Reichsbank an die 
Stellen der Reichsbank in Köln oder Koblenz. Wenn die Regierung 
sich dem widersetze, so werde die Auslieferung des Goldes und 
des Silbers an die Reparationskommission verlangt werden, Alle 
diese Forderungen wurden als Ultimatum gestellt, auf das binnen 
wenigen Tagen zu antworten war. Die deutsche Regierung lehnte 
die Uebertragung des Metallbestandes der Reichsbank als unmög- 
lich ab, weil letztere ein selbständiges, vom Reiche unabhängiges 
Institut sei, Sie erklärte ferner, daß die Wegschaffung des Goldes 
aus der Reichsbank in Berlin den letzten Rest des deutschen 
Kredits zerstören und damit die Reparation unmöglich machen 
würde, Daraufhin verlangte die Reparationskommission die Aus- 
lieferung von einer Milliarde Mark in Gold bis zum 30. April. 
Am 29, April teilte die deutsche Regierung mit, daß sie der 
Regierung der Vereinigten Staaten Vorschläge für die Lösung 
des Reparationsproblems übermittelt habe, wobei auch in Aus- 
sicht genommen sei, der Reparationskommission sofort die eine 
Milliarde Goldmark in folgender Weise zu zahlen: 

150 Millionen in Gold, Silber und Devisen sowie 

850 Millionen in dreimonatigen Schatzanweisungen fremder 

Währung. 

Die Reparationskommission antwortete lediglich mit der formellen 
Anzeige an die alliierten Mächte, daß Deutschland seine Ver- 
pflichtung zur Zahlung der zwanzig Milliarden nicht erfüllt habe 
und mit mindestens 12 Milliarden im Verzuge sei. 

Inzwischen war die deutsche Regierung in ihrer Not aul 
die seltsamsten Mittel verfallen, aus der verzweifelten Lage 
herauszukommen. Sie wendete sich an den päpstlichen Stuhl, 
natürlich ohne jeden Erfolg. Sie wollte auch auf den Vorschlag 


Bergmann, Der Weg der Reparation 7 97 


eines neutralen Mittelsmannes eingehen, der ein Angebot von 50 
Milliarden Goldmark direkt an die Iranzösische Regierung be- 
zweckte, Schließlich tat sie den gefährlichen Schritt, den Prä- 
sidenten der Vereinigten Staaten als Schiedsrichter anzurufen, 
Präsident Harding lehnte das ab, erklärte sich aber bereit, neue 
deutsche Vorschläge zu prüfen und, falls sie ihm zweckmäßig 
erschienen, an die Alliierten weiterzugeben, Darauf richtete am 
24, April 1921 die deutsche Regierung an die Vereinigten Staaten 
das bereits erwähnte Angebot, Sie erklärte sich darin bereit, eine 
Reparationsschuld von 50 Milliarden Goldmark Jetztwert anzu- 
erkennen und diese Summe, wenn gewünscht, auch in Annuitäten 
bis zur Gesamthöhe von 200 Milliarden Goldmark zu zahlen, 
Die Verzinsung der 50 Milliarden sollte mit vier Prozent be- 
Sinnen und später nach Maßgabe der deutschen Leistungsfähig- 
keit ausgestaltet werden. Ein möglichst hoher Betrag sollte 
unmittelbar durch eine internationale Anleihe flüssig gemacht 
werden. Außerdem sollten die alliierten Mächte in Form eines 
Besserungsscheines an der künftigen Hebung der deutschen 
Finanz- und Wirtschaftslage beteiligt werden. Deutschland er- 
bot sich nochmals, mit aller Kraft am Wiederaufbau der zer- 
störten Gebiete mit Arbeit, Materialien und sonstigen Hilfs- 
mitteln teilzunehmen und auch darüber hinaus Sachleistungen für 
die Alliierten zu machen, Eine Milliarde Goldmark sollte sofort 
in der oben beschriebenen Weise an die Reparationskommission 
gezahlt werden, Falls die Vereinigten Staaten von Amerika und 
‚die Alliierten es wünschen sollten, würde Deutschland bereit 
sein, nach Maßgabe seiner Leistungsfähigkeit Schulden der 
Alliierten an die Vereinigten Staaten auf sich zu nehmen, Außer- 
dem erklärte sich Deutschland zur Stellung jeder erforderlichen 
Garantie bereit, 


Am 3, Mai 1921 teilte die Regierung der Vereinigten Staaten 
Deutschland mit, daß die alliierten Regierungen das Angebot 
zurückgewiesen hätten, 


Es ist heute kaum verständlich, wie die damalige deutsche 
Regierung den Mut aufbringen konnte, ein derartig weitgehendes 
Angebot zu machen, das nach dem Urteil jedes Kundigen die 


98 





E 


deutschen Zahlungsmöglichkeiten bei weitem überschritt, Hätten 


die Alliierten das Angebot aufgegriffen und zur Grundlage von 
Verhandlungen gemacht, so war Deutschland von vornherein mit 
einem Zahlungsversprechen gebunden, das die Aufstellung aller 
späteren Reparationspläne unnötig machte, Jedenfalls werden 
die Alliierten auch nach dem Dawesplan nie das erhalten, was 
Deutschland damals selbst angeboten hat. Vielleicht haben die 
Alliierten das Angebot keiner ernsthaften Prüfung gewürdigt, weil 
sie inzwischen schon mit der Aufstellung ihres eigenen Zahlungs- 
planes beschäftigt waren. ) 

Am 27. April 1921 schloß die Reparationskommission ihre 
Arbeiten für die Festsetzung der deutschen Reparationsschuld ab. 
Sie gelangte zu einem Gesamtbetrage von 132 Milliarden Gold- 
mark. Davon sollten in Abzug kommen: 

a) die bereits für die Reparation geleisteten Beträge, | 

b) die Beträge, die nach und nach als Gegenwert des in den 

abgetretenen Gebieten liegenden Eigentums des Reiches 
und der Länder auf Reparationskonto gutzuschreiben seien, 

c) alle Beträge, die etwa noch von den früheren Bundes- 

genossen Deutschlands eingehen und auf Reparationskonto 
gutgebracht würden, 

Zu den 132 Milliarden sollte noch die belgische Kriegsschuld 
an die Alliierten treten, zu deren Uebernahme Deutschland nach 
dem Vertrage von Versailles verpflichtet war. 

Von allen Leistungen, welche Deutschland bis zum 1, Mai 1921 
gemacht hat, ist der Reparation nichts zugute gekommen. Die 
Reparationskommission hat offiziell festgestellt, daß der ihr 
bis zum 1. Mai 1921 wirklich zugeflossene Gegenwert für alle 
deutschen Zahlungen, Lieferungen und Abtretungen sich auf etwa 


2,6 Milliarden Goldmark beläuft. Gegen diesen Betrag waren 


zunächst die Besatzungskosten zu verrechnen, Letztere erreichten 
für die französische, belgische und englische Armee zusammen am 
1, Mai 1921 den Betrag von 2,1 Milliarden und für die kleine 
amerikanische Besatzungsarmee allein über 1 Milliarde Goldmark. 
Da gegen die gutgeschriebenen 2,6 Milliarden auch noch die 
360 Millionen Goldmark der Kohlenvorschüsse von Spa und die 


“ 99 





Kosten der alliierten Kontrollkommissionen verrechnet werden 
mußten, so waren die Eingänge auf Reparationskonto kaum hin- 
reichend, um die Kosten der Besatzungstruppen Frankreichs, 
Belgiens und Englands zu decken. Die Kosten der amerikanischen 
Besatzung sind noch heute unbezahlt; sie werden gemäß den 
Beschlüssen der interalliierten F inanzkonferenz vom 14, Januar 
1925 zu Paris aus den Jahresleistungen Deutschlands unter dem 
Dawesplane allmählich abgetragen. 


Diese Rechnung kennzeichnet die sinnlose wirtschaftliche 
Verwüstung und Verschwendung, welche die Ausführung des 
Vertrages von Versailles mit sich gebracht hat. Man bedenke: 
die Abtretung beinahe der gesamten deutschen Handelsflotte in 
dem von der Reparationskommission anerkannten Ausmaß von 
2 187 000 Bruttotonnen, die Lieferung von 24 Millionen Tonnen 
Kohle, von 15 Millionen Kilo F arbstoff, großer Mengen von 
Vieh (135000 Rinder und 50 000 Pferde) und des gewaltigen 
Materials (über 5000 Lokomotiven, 1200 Personen- und Ge- 
päckwagen, 135000 Güterwagen, 130 000 landwirtschaftliche 
Maschinen), das unter dem Waffenstillstand abgeliefert war, sind 
neben allen sonstigen Leistungen sämtlich von den Kosten der 
Besatzung verschlungen worden, Die Opfer und Entbehrungen, 
die sich Deutschland auferlegen mußte und die nur dann einen 
Sinn hatten, wenn sie wirklich der Wirtschaft der geschädigten 
Länder zugute kamen, wurden vollkommen zwecklos für mili- 
tärische Ausgaben vergeudet, Sie brachten Deutschland keinerlei 
Erleichterung seiner Reparationsschuld. Kein Wunder, daß mit 
einem solchen System, das alle deutschen Leistungen wie in einem 
Danaidenfaß spurlos verschwinden ließ, es außerordentlich schwer 
war, dem deutschen Volke klar zu machen, daß es alle An- 
strengungen auf sich nehmen müsse, um die Reparationsschuld 
abzuzahlen. Man muß das alles wissen, wenn man ein gerechtes 
Urteil über das deutsche Verhalten zur Reparation fällen will, 

Die 2,6 Milliarden Goldmark, welche die Bücher der Repa- 
rationskommission als effektive deutsche Zahlungen bis zum 
1, Mai 1921 verzeichnen, werden ergänzt durch weitere Gut- 
schriften unter dem F riedensvertrag in Höhe von reichlich 


100 











2.5 Milliarden. Darunter fallen hauptsächlich die an Frankreich 
abgetretenen Kohlengruben im Saargebiet mit 400 Millionen und 
das Reichs- und Staatseigentum in den an die Alliierten abge- 
tretenen deutschen Gebietsteilen, Diese Posten sind zwischen den 
Alliierten nur durch Verrechnung auf Kapitalkonto beglichen 
worden. Zahlung dafür hat die Reparationskommission nicht er- 
halten, Insgesamt sind also Deutschland für alle seine Leistungen 
und Abtretungen bis 1, Mai 1921 etwas über 5.1 Milliarden Gold- 
mark als Reparation gutgebracht worden, Nach deutscher Auf- 
fassung ist diese Summe viel zu niedrig. 

Der frühere Staatssekretär im F inanzministerium, jetzt Präsi- 
dent der Preußischen Staatsbank Dr. Schroeder hat in einer 
Denkschrift vom September 1922 den Wert der deutschen 
Leistungen bis 1. Mai 1921 auf über 37 Milliarden Goldmark be- 
rechnet. Dabei schließt er allerdings auch gewisse Posten ein, für 
welche die Reparationskommission bislang keine Gutschrift erteilt 
hat, wie den Wert des in Feindesland liquidierten deutschen 
Eigentums, die abgetretenen Ansprüche Deutschlands gegen seine 
früheren Verbündeten und Material, das die deutschen Truppen 
in den von ihnen besetzten fremden Gebieten zurückgelassen 
haben. 

Der Streit um die Bewertung der deutschen Leistungen bis 
1, Mai 1921 hat eine ganze Literatur hervorgerufen, Es würde den 
Rahmen dieses Buches überschreiten, näher darauf einzugehen, 
Bei einer endgültigen Festsetzung der Reparationsschuld wird 
voraussichtlich im Wege des Schiedsspruches eine Entscheidung 
über den wirklichen Wert jener Leistungen herbeizuführen sein, 

Der Oberste Rat der Alliierten trat Ende April in London 
abermals zusammen. Er entwarf selbst einen Zahlungsplan für 
die Reparationsschuld und berief die Reparationskommission aus 
Paris nach London, damit sie den fertigen Zahlungsplan über- 
nehme und als ihr eigenes Werk Deutschland mitteile, Das geschah 
und so entstand der Londoner Zahlungsplan vom 5, Mai 1921. 
Er wurde von einem Ultimatum der Alliierten an Deutschland 


_ begleitet: Wenn die deutsche Regierung den gesamten Plan nicht 


bedingungslos binnen sechs Tagen annahm, so drohten die 


101 


Alliierten, abgesehen von sonstigen militärischen Maßnahmen zu 
Land und zur See, mit der Besetzung des Ruhrgebiets, Auch dies- 
mal wurden wieder die angeblichen militärischen Verfehlungen 
Deutschlands in der Entwaffnung und in der Verfolgung der 
Kriegsschuldigen mit der Reparation zusammengeworfen, 

Der Londoner Zahlungsplan hat kurz folgenden Inhalt: 

1. Deutschland behändigt der Reparationskommission anstelle 


der unter dem Versailler Vertrage ausgelieferten Schuldver- 


schreibungen 


am 1. Juli 1921 12 Milliarden Goldmark A-Bonds 

am 1. November 1921 38 Milliarden Goldmark B-Bonds 

am 1. November 1921 82 Milliarden Goldmark C-Bonds. 
Die Kommission kann die A- und B-Bonds jederzeit ausgeben, die 
C-Bonds aber erst dann, wenn sie überzeugt ist, daß die deutschen 
Leistungen unter dem Zahlungsplan ausreichen, um Zinsen und 
Tilgung für die C-Bonds zu zahlen, Die Verzinsung aller Bonds ist 
mit fünf Prozent, die Tilgung mit einem Prozent jährlich vor- 
. gesehen. Im Verhältnis zueinander haben die A-, B- und C-Bonds 
ein erstes, zweites und drittes Pfandrecht auf die deutschen 
Zahlungen und Sicherheiten, 


2. Deutschland zahlt jährlich bis zur Tilgung der gesamten 
Bonds 


a) 2 Milliarden Goldmark, 


b) 26 Prozent des Wertes der deutschen Ausfuhr vom 
1. Mai 1921 an gerechnet oder einen gleichwertigen 
Betrag auf Grund eines zu vereinbarenden Index, 
Die Zahlungen sind vierteljährlich zu leisten. 

3. Als feste Leistung für das erste Halbjahr zahlt Deutschland 
sogleich eine Milliarde Goldmark in Gold, Devisen oder drei- 
monatigen Reichsschatzanweisungen, die von deutschen Banken 
indossiert sind, 

4. Die Reparationskommission errichtet ein Garantiekomitee 
in Berlin, das mit der Aufsicht über die Ausführung des 
Zahlungsplanes betraut ist. Als besondere Sicherheit für die 
deutschen Zahlungen werden bestellt: die deutschen See- und 


102 








Landzölle und eine Abgabe von 25 Prozent auf die deutsche 
Ausfuhr, sowie die Eingänge aus direkten oder indirekten Steuern 
oder sonstigen Abgaben, die zwischen der deutschen Regierung 
und dem Garantiekomitee vereinbart werden. Bei der Aufsicht 
über die deutsche Finanzgebarung hat sich das Komitee nicht in 
die deutsche Verwaltung zu mischen. 


5, Deutschland soll auf Verlangen einer alliierten Macht vor- 
behaltlich der Zustimmung der Kommission Material und Arbeiten 


‚nicht allein für den Wiederaufbau der zerstörten Gebiete, sondern 


auch zur Förderung der Wirtschaft der alliierten Mächt liefern‘). 


6. Deutschland unterstützt die Durchführung des englischen 
Reparation Recovery Act oder gleichartiger Gesetze einer anderen 
alliierten Macht, Abgaben von der deutschen Ausfuhr auf Grund 
solcher Gesetze werden Deutschland auf die geschuldete Zahlung 
von 26 Prozent seiner Ausfuhr angerechnet. Das Reich hat dem 
deutschen Exporteur den Abzug zu vergüten. 


Das Ultimatum zum Londoner Zahlungsplan löste in Deutsch- 
land einen heftigen politischen Kampf aus. Die Erbitterung über 
die Zwangsmaßnahmen, die wenige Wochen zuvor über Deutsch- 
land verhängt waren, wogte noch so stark, daß ein großer Teil 
der öffentlichen Meinung ohne weitere Prüfung dafür war, auch 
das jetzige Ultimatum glatt zu verwerfen, Man stand ganz unter 
dem Eindruck der Verkündung einer Schuld von 132 Milliarden 
Goldmark und erklärte, unter keinen Umständen dürfe ein so 
ungeheuerliches Schuldanerkenntnis unterschrieben werden. Auch 
die Regierung war der Ansicht, daß das Ultimatum unerfüllbar sei 
und abgelehnt werden müsse, Ebenso sprachen sich die meisten 
Kreise der Wirtschaft, vor allem Vertreter der Industrie, aus. 


Es war sehr schwer, gegen diese Stimmung anzukämpfen, Das 
deutsche Volk wollte endlich einmal aus dem unseligen Zustand 
heraus, in den es durch die Zeichnung des Versailler Vertrages 
gebracht worden war. Da hatte es Bedingungen auf sich nehmen 





*) Durch diese Bestimmung ist der Paragraph 19 Anhang II zu Teil 
VII -4 reihe von Versailles abgeändert. Bislang beschränkte sich ein 
Verpflichtung Deutschlands auf die Förderung des Wiederaufbaus der 
zerstörten Gebiete. 


103 








müssen, die unerfüllbar waren. Jetzt sollte es wieder durch un- 
barmherzigen politischen Druck zur Zeichnung eines Reparations- 
vertrages gepreßt werden, der ebenfalls auf wirtschaftliche Not- 
wendigkeiten keine Rücksicht nahm. Zum zweiten Male aber 
wollte man den Fehler von Versailles nicht machen, Lieber wollte 
man alle Schrecken der militärischen Besetzung und der wirt- 
schaftlichen Bedrückung erdulden, als wiederum unerfüllbare 
Bedingungen unterschreiben. Das waren etwa die Argumente, 
die gegen die Annahme des Londoner Ultimatums sprachen und 
die überall in Deutschland starken Eindruck machten, 

Für die Annahme des Zahlungsplanes aber sprachen folgende 
Gründe: Durch die Besetzung des Ruhrgebiets, deren Folgen un- 
absehbar waren, wurde die Lage Deutschlands viel schlimmer. 
Gegen Sanktionen, welche von allen Alliierten gemeinsam ange- 
wendet wurden, war Deutschland auch moralisch machtlos, Die 
Ablehnung des Ultimatums fand in der Welt kein Verständnis, 
sondern verstärkte den bereits bestehenden Eindruck, daß Deutsch- 
land grundsätzlich versuche, sich seiner Reparationspflicht zu 
entziehen. Das Londoner Ultimatum bedeutete immerhin einen 
wesentlichen Fortschritt gegenüber den Friedensbedingungen. 
Gewiß war die Bezahlung von 132 Milliarden unmöglich. Wer 
aber den Zahlungsplan genauer ansah, mußte finden, daß er gar 
nicht die Bezahlung der 132 Milliarden forderte, Im Gegensatz 
zu der Bestimmung des Versailler Vertrages war nicht die ge- 
samte Schuld fest zu verzinsen. Maßgebend war nämlich nicht 
der nominelle Schuldbetrag, sondern die jährliche Zahlung. Diese 
bestand aus einer festen Rate von zwei Milliarden und einem von 
der Höhe der Ausfuhr abhängigen, veränderlichen Betrag. Die 
deutsche Ausfuhr hatte damals einen Wert von vier bis fünf 
Milliarden Goldmark. Die davon geforderte Abgabe von 26 Prozent 
stellte sich also zunächst auf etwas über eine Milliarde, so daß 
im ganzen rund drei Milliarden jährlich zu zahlen waren. Das 
entsprach 5 Prozent Zinsen und 1 Prozent Tilgung auf ein Kapital 
von 50 Milliarden Goldmark. Das Diktat von London war also 
nicht schlimmer als das kurz vorher den Vereinigten Staaten über- 
mittelte deutsche Angebot, das die Zahlung von 50 Milliarden 


104 








Jetztwert und außerdem noch Leistungen auf Grund eines 
Besserungsscheines versprochen hatte. Die Ablehnung des Ultima- 
tums war daher auch logisch nicht richtig. Abgesehen davon 
mußte alles getan werden, um die Besetzung der Ruhr abzu- 
wenden. Gewiß war nicht abzusehen, wie Deutschland die ver- 
langten Leistungen aufbringen könne. Man mußte ‚eben darauf 
rechnen, daß wirklich ernstliche Anstrengungen für die Reparation 
mit der Zeit den Gegnern ein besseres Verständnis der wirtschait- 
lichen Notwendigkeiten Deutschlands beibringen würden. 


Diese Beweisführung gab den Ausschlag. Der Reichstag sprach 
sich mit schwacher Mehrheit für die Annahme aus. Eine neue 
Regierung unter der Führung von Dr. Wirth nahm das Ultimatum, 
wie von den Alliierten verlangt, ohne Bedingung und Vorbehalt an. 


105 





5. 70 





UN 











TEIL II 


UND DER KAMPF 
UM DAS MORATORIUM 


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ZEHNTES KAPITEL 


DIE ZAHLUNG DER ERSTEN MILLIARDE 
GOLDMARK 


Die Annahme des Londoner Zahlungsplanes bedeutet einen 
wichtigen Abschnitt in der Geschichte der Reparation. Nach den 
heftigen Stürmen der vergangenen Monate brachte sie eine Zeit- 
lang ruhiges Wetter, in welchem das Schifflein der Reparation 
auf seiner schwierigen Fahrt behutsam weitergesteuert werden 
konnte, Dem neuen Kapitän Dr. Wirth fehlte es nicht an Mut und 
Selbstvertrauen. Er hatte sich die Mitarbeit eines der bedeutendsten 
Köpfe Deutschlands gesichert, der seine reichen Gaben uneigen- 


Walther Rathenau trat zunächst als Minister für Wiederaufbau in 
das Kabinett Wirth ein. Bald aber bestimmte er auch alle finan- 
ziellen und außenpolitischen Maßnahmen der deutschen Regierung 
als vertrautester Berater des Reichskanzlers in entscheidender 
Weise, 
£ Die Aufgabe der Reparation hatte damals, verglichen mit den 
3 Vorschriften des Vertrages von Versailles, schon eine greifbare 
Gestalt angenommen. Das Problem war nicht leichter geworden, 
4 aber doch wesentlich vereinfacht. Niemand fragte weiter nach der 
Vollzahlung der bekannten 20 Milliarden Goldmark und niemand 
E = verlangte mehr die Auslieferung des Goldes der Reichsbank. Der 
Streit um die Festsetzung der Reparationsschuld war beendet. 
Es hieß nun, sich auf die Forderungen des Londoner Zahlungs- 
 planes einzurichten, Da stand in erster Linie die Pflicht zur 


ins von einer Milliarde Goldmark binnen drei Monaten. Ich 


We si 


109 


nützig und entschlossen in den Dienst der großen Sache stellte. 


A 


habe bei manchem Anlaß Mitgliedern der Reparationskommission 
gesagt, daß es ein großer Mißgriff gewesen sei, von dem finanziell 
geschwächten Deutschland eine so gewaltige Zahlung in kürzester 
Frist zu verlangen. Die Antwort war stets, daß damit nur das 
eigene Angebot der deutschen Regierung vom April 1921 auf- 
gegriffen sei. Man habe angenommen, daß sie das Geld habe, sonst 
hätte sie das Angebot doch gar nicht machen dürfen. Nun, die 
Milliarde war nicht da, sie mußte erst beschafft werden. Da nach 
Annahme des Ultimatums der Kurs der Mark sich zunächst 
besserte, konnten Devisen für 150 Millionen Goldmark schon 
im Mai für die Regierung angekauft und an die Reparations- 
kommission gezahlt werden. Ueber den Rest wurden vertrags- 
gemäß Schatzanweisungen ausgestellt, die am 31. August 1921 
fällig waren. Die vier größten deutschen Banken übernahmen 
die von den Alliierten geforderte Bankgarantie, obwohl sie bei 
weitem nicht über die nötigen Mittel verfügten, um im Falle der 
Not mit dem garantierten Betrage einzuspringen, Es war klar, daß 
sie bei jeder Gelegenheit darauf drängten, daß sich das Reich die 
nötigen Devisen so schnell wie möglich beschaffen müsse. Die 
allgemein bekannte Tatsache aber, daß das Reich binnen kurzem 
so gewaltige Mittel benötigte, brachte es mit sich, daß das an sich 
schon spärliche Angebot von Devisen in Deutschland immer 
knapper wurde. Die Reichsmark, welche vom Januar bis zum 
Juni 1921 beinahe stabil geblieben war, begann bei der dringenden 
Nachfrage des Reichs nach Devisen wieder stark zu fallen. Je 
mehr sie fiel, um so mehr wurden die kostbaren Devisen in 
Deutschland zurückgehalten und gesucht, Nach und nach gelang 
es, den größeren Teil der Milliarde für das Reich zu erwerben. 

Es fehlten aber schließlich immer noch Devisen in Höhe von etwa 

400 Millionen Goldmark, deren Ankauf nur auf Kosten einer 

gewaltigen Markverschleuderung möglich gewesen wäre, Die Auf- 

legung einer inneren Goldanleihe wurde nicht versucht, weil man 

einen Mißerfolg fürchtete, Schließlich gelang es, im Ausland, 

hauptsächlich in Holland und England, unter schweren Be- 

dingungen Kredite auf sechs Wochen aufzutreiben, die in Ver- 
bindung mit der Hergabe von Gold und Verpfändung von Silber 


110 





durch die Reichsbank es möglich machten, die Milliarde am 
31, August 1921 voll zu zahlen. 


Diese ungeregelte und kurzsichtige Finanzierung sollte bald 
üble Folgen haben. Sie hatte den Devisenmarkt in Deutschland 
ruiniert, Nunmehr galt es, den ausländischen Bankiers die kurz- 
fristigen Kredite zurückzuzahlen. Das ging nur mit Hilfe starker 
Markverkäufe, So kam es, daß im September 1921, obwohl 
Zahlungen für Reparation einstweilen nicht mehr zu leisten waren, 
ein noch schärferer Fall der Mark eintrat, Der Dollar, der vor dem 
Juni monatelang etwa 60 Mark gegolten hatte, stieg auf über 
100 Mark. 


Die zweite Aufgabe der deutschen Regierung war, das Ver- 
hältnis zu dem im Londoner Ultimatum geschaffenen Garantie- 
komitee der Reparationskommission zu regeln. Das ließ sich 
zunächst ganz gut an, Das Komitee unter dem Vorsitz des fran- 
zösischen Delegierten Mauclöre begab sich im Juni 1921 nach 
Berlin, wo in sachgemäßer Arbeit gründliche Besprechungen statt- 
fanden. In mehreren Noten an den Reichskanzler vom 28. Juni 
bestätigte das Komitee ein Abkommen, welches nicht nur die 


‘Zahlungen für die Zeit bis zum 1. Mai 1922 erträglich zu regeln 


schien, sondern auch die gefährliche Klippe der Kontrolle über die _ 
deutschen Finanzen weise umging. Das Komitee stellte fest, daß 
unter Anrechnung der auf 1.2 Milliarden Goldmark im Jahre 
geschätzten Sachleistungen und der Eingänge aus dem englischen 
Recovery Act nur noch etwa 300 Millionen Goldmark bis 
zum 1. Mai 1922 in bar zu zahlen seien und daß deshalb die 
verpfändeten Einnahmen erst gegen Ende 1921 abgeführt werden 
sollten. Für die späteren Jahre einigte man sich dahin, daß es 
genüge, wenn die deutsche Regierung für die Reparation eine 


Ei Reihe von bestimmten Abgaben wie Kapitalsteuer, die Steuern auf 


Zucker, Tabak und Alkohol, die Kohlensteuer und die Umsatz- 
steuer mit 50 Prozent ihres Ertrages als Sicherheit zur Ver- 
fügung stelle, Das Komitee verzichtete vorläufig auf die wirkliche 
Erhebung einer allgemeinen Ausfuhrabgabe von 25 Prozent und 
erklärte sich damit einverstanden, daß die deutsche Regierung 
ratenweise den Gegenwert von 25 Prozent der Ausfuhr in Devisen 


111 


an das Komitee abführe, Zur Einsicht in die Reichsfinanzen 
wurde eine ständige Vertretung des Garantiekomitees in Berlin 
eingerichtet, 


Schon im September 1921 zeigte es sich, daß man die Ent- 
wickelung der Dinge zu optimistisch beurteilt hatte, Die deutschen 
Sachleistungen blieben dermaßen hinter den Erwartungen zurück, 
daß sie kaum ausreichten, die am 15. November fällige Repa- 
rationsrate zu decken. Deshalb war voraussichtlich fast die 
gesamte feste Vierteljahrsrate — 500 Millionen Goldmark — am 
15. Januar 1922 in bar abzutragen. Am 15. Februar folgte dann 
schon die erste Rate der Abgabe auf die Ausfuhr mit über 250 
Millionen Goldmark. 

. Gerade in dieser Zeit nahm der Fall der Mark beängstigende 
Formen an, Es wurde immer schwieriger, Devisen für Reparations- 
zahlungen, sei es durch Eingehung von Krediten, sei es durch 
Markverkäufe, zu erwerben. Die anhaltende Verschlechterung der 
Mark verursachte auch immer größere Fehlbeträge im Haushalt 
des Reichs, weil die Steuereinnahmen naturgemäß nicht so schnell 
stiegen, wie der Bedarf des Reichs für Gehälter, Löhne und 
Materialpreise anwuchs, In diesen Nöten konnte das Garantie- 
komitee weder helfend eingreifen, noch eine eigene Entscheidung 
treffen, Es beriet im September und Oktober nochmals drei 
Wochen lang in Berlin. Alle seine Mitglieder, außer den Fran- 
zosen, ließen sich davon überzeugen, daß es nötig sei, die 
nächsten Raten des Londoner Zahlungsplanes zu ändern oder zu 
verschieben. Aber das Ergebnis der Arbeiten des Komitees be- 
stand nur in formellen Anordnungen darüber, wie die Papiermark- 
einnahmen aus den verpfändeten Reichseinkünften in Perioden 
von zehn Tagen an das Komitee abzuführen und in Devisen umzu- 
wandeln seien, 

Nun begab sich die Reparationskommission selbst im November 
zum ersten Male in corpore nach Berlin, um an Ort und Stelle die 
Verhältnisse zu untersuchen. Die Lage war inzwischen noch viel 
schlechter geworden. Unter dem Eindruck der Teilung von Ober- 
schlesien, die den größten Teil des Industriegebietes mit seinen 
Schätzen an Kohle, Eisen und Zink an Polen überwies, brach an 


112 





dem ohnehin sehr nervösen Devisenmarkt eine Panik aus, welche 
im November den Dollar auf über 300 Papiermark emporschnellen 
ließ, Die Reparationskommission wußte sich in Berlin keinen 
anderen Rat, als der deutschen Regierung den energischen Hin- 
weis zu geben, daß sie die Fälligkeiten am 15. Januar und 
15, Februar unbedingt bezahlen müsse, wenn sie sich nicht 
schweren Folgen aussetzen wolle. Sie müsse sich unter allen Um- 
ständen die nötigen Devisen. verschaffen, sei es bei den Reichs- 
angehörigen, die Guthaben im Auslande besäßen, sei es bei 
fremden Geldgebern. Die Schwierigkeit der Lage sei ja nicht zu 
leugnen, aber sie sei mehr finanzieller als wirtschaftlicher Natur. 
Außerdem sei die deutsche Regierung selbst schuld daran, weil 
sie nicht zur rechten Zeit Mittel ergriffen habe, um den Haushalt 
in Ordnung zu bringen und die Ausbreitung des Notenumlaufes 
zu verhindern, Mit diesen weisen Mahnworten ging die Repa- 
rationskommission nach Paris zurück, | 


Bergmann, Der Weg der Reparation 8 113 









































ELFTES KAPITEL 


DIE SACHLEISTUNGEN 
NACH DEN VORSCHRIFTEN 
DES VERTRAGES VON VERSAILLES 


Eine Uebersicht der Vorschriften des Vertrages von Versailles 
über die Sachleistungen ist im zweiten Kapitel gegeben. Die 
Kohlenlieferungen haben wir bereits ausführlich besprochen, Es 
wird jetzt nötig, im Zusammenhange zu schildern, wie die 
sonstigen Sachleistungen durchgeführt und welche Erfahrungen 
dabei gemacht worden sind, Auch abgesehen von der Kohle haben 
die Sachleistungen von Anfang an Anlaß zu schweren Reibungen 
zwischen Deutschland und der Reparationskommission gegeben. 
Man sollte an sich meinen, daß Lieferungen für den Wiederaufbau 
der zerstörten Gebiete eine zweckmäßige und für beide Teile 
sympathische Art der Reparation sind und daß ein industriell so 
leistungsfähiges und gut organisiertes Volk wie das deutsche viel 
eher durch Hergabe eigener Erzeugnisse als durch Geldzahlungen 
imstande sei, Kriegsschäden wieder gutzumachen, 

Diese Betrachtung ist aber nur in der Theorie richtig. Die 
Praxis der Reparation hat ein ganz anderes Bild ergeben, 

Finanziell allerdings boten die Sachleistungen Deutschland 
manche Vorteile gegenüber den Barzahlungen. Sie wurden 
durch die heimische Industrie ausgeführt, die ihre Bezahlung in 
deutscher Währung erhielt, Insoweit brauchte die Regierung daher 
für die Reparation kein fremdes Geld zu beschaffen und konnte 
die kranke eigene Währung schonen. Das galt aber nur so lange, 

wie die Sachleistungen aus den Ueberschüssen des Haushalts 


114 





oder im ordentlichen Anleihewege bestritten werden konnten. 
Wenn einmal — und das war bei der fortgesetzten Entwertung 
der Mark ständig der Fall — der Reichshaushalt mit Fehlbeträgen 
arbeitete und eine geregelte Kreditaufnahme nicht möglich war, 
so mußte die Finanzierung der Sachleistungen durch die Noten- 
presse ebenso verheerend auf die deutsche Währung wirken wie 
der Markverkauf ins Ausland. Im übrigen sind Sachleistungen 
nur durchzuführen, wenn Besteller und Lieferer über die Ware 
selbst, den Preis und alle sonstigen Bedingungen einig sind. Das ° 
setzt eine vollständige Freiheit der beiden Parteien in bezug auf 
die Lieferung voraus. 


Unter dem Vertrage von Versailles aber waren die Sachen 
zwangsweise zu liefern. Von einer Einigung über die Bedingungen 
war keine Rede, Der Vertrag von Versailles fordert von Deutsch- 
land einseitig und kategorisch den Warenbedarf der Alliierten 
ohne jede Rücksicht auf Handelsgebrauch. Er überläßt es dem 
parteiischen Urteil der Reparationskommission zu entscheiden, 
ob Deutschland zur Leistung imstande ist und ob die ange- 
forderten Mengen ohne Schädigung der eigenen deutschen Be- 
dürfnisse geliefert werden können, Er überläßt der Kommission 
auch die Festsetzung der Lieferbedingungen. Ein so willkürliches 
und wirtschaftlich verfehltes System mußte zum Konflikt führen. 


Das war denn auch im Verlaufe der Sachlieferungen die Regel. 
Eine auffallende Ausnahme bilden die Lieferungen von Farb- 
stoffen und pharmazeutischen Artikeln. Von ihnen ist deshalb 
auch nie viel Aufhebens gemacht worden. Sie wickelten sich nach 
anfänglichen Schwierigkeiten und eingehenden Besprechungen in 
Ruhe zur beiderseitigen Zufriedenheit ab. Ich lege Wert darauf, 
diese Tatsache rühmend hervorzuheben, weil sie ein Beispiel dafür 
ist, wie bei geschickter geschäftlicher Behandlung auch an- 
scheinend unmögliche Forderungen tragbar gemacht werden 
können, Erleichternd wirkten allerdings die treffliche Organisation 
der deutschen chemischen Industrie, der diese Lieferungen ob- 
lagen, die glänzende Verhandlungsgabe und die große inter- 
nationale Erfahrung ihrer Vertreter, vor allem ihres Wortführers 


Carl von Weinberg. 
8*+ | 115 














Auch die im Vertrage vorgeschriebenen Lieferungen von 
Nebenprodukten der Kohle, wie schwefelsaures Ammoniak, 
Benzol und Teer, sind nach Ueberwindung der Organisations- 

schwierigkeiten gut und reibungslos vonstatten gegangen. 

Für alle Sachlieferungen, abgesehen von Schiffen, Kohle und 
chemischen Produkten, hat der Versailler Vertrag ein besonderes 
Verfahren vorgeschrieben, das etwa wie folgt aussieht: 

Innerhalb einer bestimmten Frist, die von der Reparations- 
kommission mehrfach verlängert worden ist, reichten die alliierten 
Regierungen Listen über die angeforderten Gegenstände bei der 
Reparationskommission ein, Diese hatte bei Prüfung der Listen 
darauf zu achten, daß durch die Anforderungen das Wirtschafts- 
leben Deutschlands nicht zum Schaden seiner Reparationsfähigkeit 
gestört werde. Die durchgearbeiteten Listen gingen dann an die 
deutsche Regierung weiter, der es überlassen blieb, die Lieferungen 
durch die heimische Industrie an die Reparationskommission zu 
bewerkstelligen, Eine Pflicht zur Lieferung lag Deutschland ur- 
sprünglich nur insoweit ob, als Vieh und Materialien für den 
Wiederaufbau der zerstörten Gebiete in Betracht kamen. 

Der Londoner Zahlungsplan hat, wie wir gesehen haben, den 
Kreis der Pflichtlieferungen wesentlich erweitert. Nunmehr 
durften die alliierten Mächte mit Zustimmung der Reparations- 
kommission ganz allgemein zur F örderung ihrer Wirtschaft 
Material und Arbeit von Deutschland anfordern. Den Preis 
solcher Leistungen sollte eine Schätzungskommission bestimmen, 
bestehend aus je einem Vertreter Deutschlands und der inter- 
essierten Macht und bei Nichteinigung der beiden einem von der 
Reparationskommission ernannten Schiedsrichter, | 

Man hatte damals nämlich schon aus der Erfahrung etwas 
gelernt. Der Vertrag von Versailles legte die Bestimmung der 
Preise für die Sachlieferungen regelmäßig in die Hand der Repa- 
rationskommission, Sie sollte bei Lieferungen für den Wieder- 
aufbau normale Preise anrechnen und auch die Preise in Betracht 
ziehen, zu denen ähnliche Waren in den alliierten Ländern er- 
hältlich seien, 

Auf diesen sehr allgemeinen Richtlinien baute sich die 


116 





Organisation der Sachlieferungen auf. Die ersten Listen der 
alliierten Regierungen gingen im März und April 1920 ein. Der 
Wert dieser Anforderungen belief sich auf etwa zehn Milliarden 
Goldmark. Ein großer Teil entfiel auf Bauholz und Industrie- 
material. Neben Massenartikeln enthielten die Listen auch 
Tausende von verschiedenen Dingen, welche schwer zu sichten 
und zu ordnen waren. Um keine Zeit zu verlieren, gab die 
Reparationskommission die Listen ohne Einzelprüfung an die 
deutsche Regierung weiter. Diese hatte zwar eine umfangreiche 
Organisation unter dem Reichskommissar für Wiederaufbau ein- 
gerichtet, konnte aber mit der Masse des ihr zugestellten Materials 
wenig anfangen, da die nötigen Spezifikationen und vor allen 
Dingen die Preisangaben fehlten. Erst im September 1920 war ” 
in der Lage, der Reparationskommission Angebote zu übermitte n, 
die aber noch verhältnismäßig wenig Materialien für den eigent- 
lichen Wiederaufbau enthielten. Bausteine und Ziegel, die be- 
sonders dringend benötigt waren, bot Deutschland im ‚Anfang 
überhaupt nicht an. Noch schlimmer stand es mit spezifiziertem 
Material, vor allem Maschinen, deren Lieferung eine genaue 
Durcharbeitung für jeden einzelnen Fall erforderte. Die deutsche 
Regierung suchte zu helfen, indem sie durch ihre DE 
in Paris eine Reihe von deutschen Firmen namhaft machte, ie 
bereit waren, Reparationslieferungen zu machen. Mit a 
Firmen sollten die einzelnen Interessenten der alliierten Länder 
» in direkte Verbindung treten, um die technischen Fe 
die Lieferungsfrist und die Preise zu vereinbaren. So VE . 
Lieferungen gegen Ende 1920 langsam in Fluß, aber das me =. 
blieb unbefriedigend. Auch mit dem besten Willen aller ‘ e- 
teiligten war es nicht möglich, bei der schwerfälligen ee 
des Vertrages die Lieferungen so zu gestalten, dab ar ” 
Tempo des tatsächlichen Wiederaufbaues irgendwie Sc ri ne > 
konnten, Denn wie ging die Sache? Der Besitzer eines aus 
oder einer Fabrikanlage, die durch den Krieg zerstört 
mußte sich zunächst an seine Regierung wenden. N — 
alle Forderungen ihrer Staatsangehörigen zusammen m a w 
sie in einheitlichen Listen an die Reparationskommission. Letztere 


"T 





gab die Gesamtanforderungen aller beteiligten alliierten Länder 
an die deutsche Regierung weiter. Diese wiederum hatte die 
ungeheuere Masse der Anmeldungen irgendwie unter die deutsche 
Industrie aufzuteilen. Die deutschen Lieferanten aber konnten mit 
den spärlichen Angaben, die ihnen gemacht wurden, nichts an- 
fangen. Kamen wirklich auf solcher Grundlage Angebote zustande, 
so mußten sie wieder über die deutsche Regierung und die 
Reparationskommission an die einzelnen alliierten Regierungen 
zurückgehen, die sich dann mit den Geschädigten in Verbindung 
zu setzen hatten, Ein derart kompliziertes Verfahren mußte in der 
Praxis kläglich scheitern. Die Massenorganisation des Wieder- 
aufbaues großer Landgebiete ist unmöglich, es sei denn, daß 
man dazu übergeht, den Wiederaufbau in einheitlichem Stil für 
ganze Dörfer und Städte zuzulassen. Dann aber hätte man den 
Wiederaufbau von Staat zu Staat in die Hand nehmen müssen, 
d. h. man hätte der deutschen Regierung den Auftrag geben 
müssen, auf Grund von bestimmten Weisungen durch eine um- 
fassende deutsche industrielle Organisation bestimmte Gebiete 
mit deutscher Arbeit und allem nötigen Material wieder- 
herzustellen, Dazu hat sich Deutschland von Anfang an und 
immer wieder erboten, Aber gerade darauf gingen die alliierten 
Regierungen aus begreiflichen Gründen nicht ein. Sie wollten 
und konnten ihre eigene Industrie bei dem Wiederaufbau nicht 
ausschalten, Es kam hinzu, daß nach den französischen Gesetzen 


jeder einzelne Geschädigte frei bestimmen durfte, in welcher 


Weise er sein Haus oder seine F abrik wiederhergestellt haben 
wollte, Das ganze Verfahren, das der Versailler Vertrag vorsah, 


war krasse Theorie, es schwebte in der Luft und führte bald zu 
schweren Enttäuschungen, 


Tatsächlich ist der eigentliche Wiederaufbau ohne erhebliche 
deutsche Mitwirkung durchgeführt worden, Die Geschädigten 
konnten in den meisten Fällen nicht warten, bis das umständliche 
Verfahren über die Regierungen und die Reparationskommission 
zu einem Ergebnis führte, Die schweren Vorwürfe, welche gegen 
die deutsche Regierung wegen ihres Verhaltens zu den Sach- 
leistungen erhoben worden sind, fallen in der Hauptsache auf die 


118 





Verfasser des Vertrages zurück. Der Fehler lag im System, das 
von einer bureaukratischen Organisation die Durchführung einer 
Aufgabe erwartete, die nur in praktischer Einzelarbeit gelöst 
werden konnte, 

Ganz weltfremd aber war die Idee, Lieferungen vorzuschreiben, 
ohne vorher den Preis dafür festzusetzen, Es war klar, daß die 
Reparationskommission die Lieferungen möglichst billig i be- 
kommen wollte. Die deutsche Regierung aber hatte ein verständ- 
liches Interesse daran, eine möglichst hohe Gutschrift auf 
Reparationskonto zu erlangen. Da sie aber verpflichtet war, die 
deutschen Lieferanten zu entschädigen, so suchte sie die Ver- 
gütung an die Lieferanten niedrig zu halten. Das ergab einen 
Widerstreit der Interessen auf der ganzen Linie, Die Schwierig- 
keiten wurden dadurch erhöht, daß die deutsche Regierung aus 
sozialen Gründen versuchte, die Lieferungen auf die ‚gesamte 
deutsche Industrie gleichmäßig zu verteilen. Auch dabei konnte 
der bureaukratische Geist Orgien feiern. 

Ueber die Festsetzung der Preise ist lange Zeit zwischen der 
Reparationskommission und der deutschen Regierung ein zäher 
Streit geführt worden. Es kam nicht nur die Höhe des Preises 
selbst in Betracht, sondern auch die Frage, in welcher Währung. 
der Preis festzusetzen sei: ob in deutscher Währung oder in der 
Währung des Empfangslandes oder endlich in Gold. Um von 
diesem Streite die Lieferungen nicht aufhalten zu lassen, entschied 
die Reparationskommission, daß die Lieferungen grundsätzlich 
auch dann zu erfolgen hätten, wenn der Preis noch nicht fest- 
gesetzt sei. Das goß natürlich nur Oel ins Feuer. | 
| Die deutsche Regierung verlangte zunächst Goldpreise, die 
einen sicheren Anhalt für die Kalkulation der Lieferungen zu 
gewähren schienen, Aber auch das war nur so lange im deutschen 
Interesse, als die Bewegung der deutschen Papiermark ‚nach 
unten ging. Im Frühjahr 1920 stieg der Markkurs eine Zeitlang 
erheblich, Das erschwerte der deutschen Industrie die Arbeit 
mit Goldpreisen, ließ es vielmehr erwünscht erscheinen, die 
Preise in Papiermark festzusetzen. Endlich erkannte man auf 
beiden Seiten, daß es nötig sei, den Preis in irgendeiner be- 


119 


stimmten Landeswährung festzusetzen, und das Risiko des 


Wechselkurses jeder der beteiligten Regierungen zu überlassen. 


Die Gutschrift auf Reparationskonto erfolgte dann in Goldmark 
nach dem Wechselkurse eines bestimmten Datums, des Tages 
nämlich, an welchem die deutsche Offerte von der Reparations- 
kommission angenommen war. 

So mannigfach waren die Schwierigkeiten, die sich bei den 
Lieferungen für den Wiederaufbau ergaben, Bald setzte sich die 
Ansicht durch, daß man mit dem System des Vertrages grund- 
sätzlich brechen müsse, Im Herbst 1920 begannen zwischen der 
deutschen Vertretung in Paris und der Reparationskommission 
Besprechungen, die darauf abzielten, einen freien, geschäfts- 
mäßigen Verkehr zwischen den Geschädigten und den deutschen 
Lieferanten einzuführen. 

In der Brüsseler Sachverständigenkonferenz im Dezember 1920 
spielten die Sachleistungen eine große Rolle, Damals wurde in 
Frankreich ohne Scheu der Gedanke vertreten, daß es notwendig 
sei, mit Deutschland wirtschaftlich zusammenzukommen. Wie 
schon erwähnt, hatte ich in Brüssel mit den französischen Dele- 
gierten eine eingehende Aussprache über die Einführung des 
direkten Verkehrs zwischen dem französischen Besteller und dem 
deutschen Lieferanten. Die schwierigen geschäftlichen Verhand- 
lungen über die Lieferung selbst sollten dem Bureaukratismus der 
Länder entzogen und die Mitwirkung des Staates mehr auf eine 
Kontrolle der Zahlungen beschränkt werden. 


Ich habe diese Idee in Brüssel in einem Moment verwertet, 
wo es nötig war, einen positiven Zug in die Verhandlungen 
hineinzubringen, um die Gefahr des Abbruchs zu vermeiden. Die 
Konferenz beschloß, die Organisation der Sachlieferungen durch 
Besprechung zwischen alliierten und deutschen Vertretern weiter 
zu vertiefen. Das geschah Anfang Januar 1921 in Paris, Damals 
entwarf Seydoux einen Plan, nach welchem die deutschen 
Leistungen in den ersten Jahren zum größeren Teil aus Sach- 
lieferungen bestehen sollten. Bestellung, Lieferung und Preis- 
festsetzung waren danach der privaten Initiative zu überlassen. 
Nur einige Stapel- oder Massenwaren sollten von Regierung zu 


120 





Regierung geliefert werden. In allen übrigen Fällen hatten Be- 
steller und Lieferant einen vollkommen fertigen Vertrag abzu- 
schließen. Die Zahlung sollte durch ein gemischtes Bureau ver- 
mittelt werden, dessen alliierter Teil die Abrechnung zwischen 
dem Besteller und der alliierten Regierung veranlaßte, während 
der deutsche Teil die Zahlung bei der deutschen Regierung an- 
wies, Die deutsche Zahlstelle war ein für allemal zur Vornahme 
der Zahlung zu ermächtigen. Der Gegenwert sollte alsdann auf 
Reparationskonto gutgeschrieben werden. 

Seydoux dachte daran, das Verfahren auf Lieferungen aus- 
zudehnen, welche nicht für den Wiederaufbau bestimmt waren, 
und dabei sollte ein Teil des Preises von dem Besteller an den 
deutschen Lieferanten in bar gezahlt werden. Das System war 
auch für den Fall der deutschen Mitarbeit beim Wiederaufbau zu 
benutzen. Außerdem schwebte Seydoux vor, die Ausfuhr Deutsch- 
lands in der Weise für die Reparation heranzuziehen, daß der 
Verkauf der Waren ins Ausland vollkommen in deutscher Hand 
blieb, aber ein Teil des Erlöses für die Reparation gezahlt werden 
sollte. Nur einige bestimmte Massenwaren sollten dafür in Be- 
tracht kommen, wie Kohle, Kali, Stickstoff, Holz, Farben, Zucker, 
elektrisches Material, Stahl- und Eisenwaren, Papier. Die deutsche 
Regierung sollte die Lieferanten für diese Abgabe entschädigen. 

Aus dieser in vernünftigen Grenzen wohl durchführbaren Idee 
ist in den Händen der Politiker jener brutale Zugriff auf die 
deutsche Ausfuhr geworden, durch den in den Pariser Beschlüssen 
12 Prozent und im Londoner Ultimatum sogar 26 Prozent der 
gesamten deutschen Ausfuhr für die Reparation ergriffen wurden, 
ganz gleichgültig, um welche Ware es sich handelte, und ob mit 
der Ausfuhr etwas verdient wurde oder nicht. 


121 


ZWÖLFTES KAPITEL 


DAS WIESBADENER ABKOMMEN 
VOM 6. UND 7. OKTOBER 1921 


' Unter den politischen Stürmen des Frühjahres 1921 litt auch 
die Regelung der Sachlieferungen, 

Im Juni 1921 wurden von alliierter Seite Fühler ausgestreckt, 
um Rathenau zu einer Besprechung mit der Reparationskommission 
in Paris zu veranlassen. Kurz darauf kamenLoucheur und Rathenau 
überein, die Sachlieferungen zwischen Frankreich und Deutschland 
durch einen Vertrag zu regeln. Nach wiederholten Vorberatungen 
wurde am 6. und 7. Oktober 1921 das sogenannte Wiesbadener 
Abkommen gezeichnet. Es befaßt sich ausschließlich mit Liefe- 
rungen für den Wiederaufbau. Sonstige Lieferungen, wie Kohle 
und Farbstoffe, blieben den Vorschriften des Versailler Vertrages 
unterworfen, | : 

Das Wiesbadener Abkommen sieht die Errichtung einer 
deutschen Körperschaft privaten Charakters vor, welche unter 
Ausschaltung der beiden Regierungen Lieferungen an die fran- 
zösischen Kriegsgeschädigten übernimmt, Eine Kommission von 
drei Mitgliedern, bestehend aus einem F ranzosen, einem Deutschen 
und einem von beiden zu wählenden Schiedsrichter, entscheidet 
Streitfragen über die Möglichkeit der Leistungen und über alle 
Lieferungsbedingungen. Sie setzt auch die Preise fest, soweit sie 
nicht zwischen Besteller und Lieferant direkt vereinbart werden, 
Grundsätzlich wird die Absprache über alle Modalitäten der 
Lieferung dem direkten Verkehr zwischen Besteller und Lieferant 
überlassen, vor allem für Spezialmaterial, wie Maschinen und 


122 





industrielle Einrichtungen. Die Absicht war, möglichst umfang- 
reiche Sachlieferungen von Deutschland an Frankreich zu er- 
zielen. Für die Zeit vom 1. Oktober 1921 bis 1. Mai 1926 waren 
Lieferungen im Gesamtwerte von sieben Milliarden Goldmark in 
Aussicht genommen. Dafür war auf Reparationskonto aber 


höchstens eine Milliarde Goldmark jährlich gutzuschreiben. Der 


Rest wurde Frankreich mit fünf Prozent Zinsen zur Rückzahlung 
bis 31. Dezember 1937 gestundet. Die Einzelvorschriften des 
Abkommens über die Kreditierung sind verwickelt und bieten 
dem allgemeinen Interesse wenig. Frankreich sollte in keinem 
Jahr für alle Sachlieferungen, die es erhielt, auf Reparationskonto 
mehr vergüten als seinen Anteil von 52 Prozent an den gesamten 
Leistungen, welche Deutschland in dem betreffenden Jahre für 
die Reparation machen würde. 


Das Wiesbadener Abkommen stieß sowohl bei den Alliierten 
Frankreichs wie auch in Deutschland auf starken Widerstand. 
Im Verhältnis zwischen den Alliierten enthielt es finanzielle Vor- 
teile für Frankreich, zu denen ihm der Versailler Vertrag kein 
Recht gab. Seine Verbündeten wandten mit Recht ein, daß sie 
durch die einseitige Bevorzugung Frankreichs benachteiligt 
werden könnten, weil die Mehrleistungen an Frankreich die | 
deutsche Zahlungsfähigkeit schädlich beeinflussen würden. Es 
mußte ja auch seltsam erscheinen, daß Deutschland, das den 
Zahlungsplan von London nur unter dem Drucke des Ultimatums 
angenommen hatte, nun aus freien Stücken sich erbot, in Form von 
Sachlieferungen noch erheblich mehr an Frankreich zu leisten, als 
der Zahlungsplan von ihm verlangte. Denn alle Sachleistungen, 
die es nach dem Wiesbadener Abkommen Frankreich zu kredi- 
tieren hatte, mußte es den Lieferanten in deutscher Währung 
bezahlen. Um diesen Betrag erhöhte sich die jährliche Belastung 
des Reichshaushalts. Es hat daher in Deutschland an Angriffen 
gegen das Wiesbadener Abkommen nicht gefehlt. 


Der Widerstreit der Interessen innerhalb der Reparations- 
kommission dauerte lange. Die Verbündeten konnten sich über 


2 das Wiesbadener Abkommen erst am 11. März 1922 einigen. Die 


Genehmigung der Kommission erfolgte am 31. März 1922. Dabei 
123 


wurden im Interesse der anderen Alliierten gewisse Kredit- 
bestimmungen abgeändert. 


Trotz aller Bedenken, die gegen das Wiesbadener Abkommen 
vorgebracht worden sind, glaube ich, daß es seinerzeit nützlich 
war, Die deutsche Regierung verfolgte eine Politik der Erfüllung 
und der Versöhnung mit Frankreich, Es war für jeden Kundigen 
schon damals klar, daß der Zahlungsplan von London mindestens 
im ersten Jahr nicht in voller Höhe innegehalten werden konnte, 
Neue politische Konflikte, immer wieder zum Nachtejl des wehr- 
losen Deutschland, standen bevor, falls es diese oder jene 
Zahlung nicht leistete, Wenn der Beweis des guten Willens zur 
Erfüllung erbracht werden sollte, so konnte dies nur durch Sach- 
lieferungen geschehen. Damit fand auch die deutsche Industrie 
Beschäftigung. Für Frankreich waren die Lieferungen mindestens 
ebenso dringend wie bares Geld, Durch die Anbahnung eines 
lebhaften Geschäftsverkehrs zwischen beiden Ländern wurden 
Mißverständnisse und die Gefühle des Hasses und der F urcht am 
ehesten beseitigt. Auf geschäftlichem Wege konnte ein Einver- 
nehmen hergestellt werden, das von größter Bedeutung sein 
würde, wenn neue internationale Spannungen auftauchten, Frank- 
reich würde, wenn es die zum Wiederaufbau nöt; gen Sach- 
leistungen in reichem Maße erhielt, Verständnis dafür zeigen, 
daß es Deutschland nicht möglich war, die nötigen Devisen für 
die vollständige Erfüllung des Londoner Zahlungsplanes zu be- 
schaffen. | 


Das etwa war der Gedankenkreis, der Rathenau nach Wies- 
baden führte. Aehnliche Erwägungen müssen auch auf der 
französischen Seite vorgelegen haben. Beide Teile werden sich 
darüber klar gewesen sein, daß Waren im Werte von sieben 


Milliarden Goldmark in einer Zeit von etwa viereinhalb Jahren 


unmöglich geliefert werden konnten, Die hohe Zahl diente beiden 
Teilen als Staffage für ihre Politik, Die Lieferungen unter dem 
Wiesbadener Abkommen sollten sich aus kleinen Anfängen erst 
allmählich entwickeln, sofern es überhaupt gelang, den Wider- 
stand der französischen Industrie gegen eine massenhafte Ver- 
sorgung Frankreichs mit deutschen Erzeugnissen zu brechen. Es 


124 


KR 
“org 





"war nicht wahrscheinlich, daß das Abkommen von Anfang an der 


deutschen Regierung besondere finanzielle Lasten aufbürden 
würde, Tatsächlich sind die Sachlieferungen an Frankreich, 
abgesehen von Kohle, die nicht unter das Abkommen fällt, bis 
zum heutigen Tage sehr spärlich geblieben. Frankreich hat im 
Interesse seiner eigenen Industrie nur geringen Gebrauch von dem 
Rechte des Warenbezugs aus Deutschland gemacht. 


Die Einführung des freien Verkehrs zwischen dem alliierten 
Besteller und dem deutschen Lieferanten wurde auch von der 
Reparationskommission energisch weiter verfolgt. Bemelmans als 
Vertreter der Reparationskommission und Dr. Cuntze als Ver- 
treter der deutschen Regierung zeichneten am 28, Februar 1922 
in Berlin ein vorläufiges und am 2. Juni 1922 ein endgültiges 
Abkommen, das in engem Anschluß an den Plan Seydoux die 
Ausführung der Sachleistungen dem privaten Geschäftsverkehr 
überließ und eine praktische Regelung für die Form der Zahlung 
traf. Unter das Abkommen fielen die Waren nicht, deren Ausfuhr 
aus Deutschland verboten ist oder gesetzlichen Beschränkungen 
unterliegt. Die Lieferung solcher Waren, wie Lebensmittel, Futter- 
mittel, Düngemittel, Tiere, Holz, Oele und Oelirüchte, Zement, 
Benzol, Leder, Häute, Gerbstoffe usw., durfte wie bisher nur nach 


den Vorschriften des Versailler Vertrages, also unter Anrufung 
der Reparationskommission verlangt werden. Ferner fielen nicht 


unter das Abkommen Waren, die in Deutschland eingeführt und 
nicht weiter verarbeitet sind, die aus Importwaren hergestellten 
Lebensmittel und Waren aus Gold, Platin und Silber. Für eine 
Reihe anderer Waren war das Verfahren des Abkommens zwar 
"zugelassen, aber der Besteller mußte einen Teil der Waren in bar 
zahlen, weil sie nur mit Hilfe von Rohstoffen hergestellt werden 
nen, die erst in Deutschland eingeführt werden müssen, 
Lieferungen zum Wiederaufbau zerstörter Häuser und Fabriken 
waren von dieser Beschränkung frei. 


Die Verträge mußten einen Mindestwert von fünfzehnhundert 


Goldmark haben. Sie waren binnen vierzehn Tagen der 


Reparationskommission vorzulegen, letztere benachrichtigte die 


r. deutsche Regierung. Der Vertrag galt als genehmigt, wenn binnen 


125 


vierzehn Tagen nach der Benachrichtigung keine der beteiligten 
Regierungen Einspruch erhob. Ueber einen Einspruch entschied 
die Reparationskommission. Für alle genehmigten Verträge er- 
teilte die deutsche Regierung die etwa benötigte Ausfuhr- 
bewilligung. Sie übernahm ferner die Bezahlung an den deutschen 
Lieferanten, Der Kaufpreis wurde der deutschen Regierung auf 
Reparationskonto gutgeschrieben, in gleicher Höhe wurde die 
interessierte alliierte Regierung belastet, Die Zahlung erfolgte mit 
Hilfe von bestimmten Scheckformularen. 

Dem Bemelmans-Cuntze Abkommen sind die Gillet-Ruppel 
Verträge vom 15, März und 6./9. Juni 1922 nachgebildet, Sie 
regelten die Sachleistungen an F rankreich und änderten das 
Wiesbadener Abkommen entsprechend ab. Beide Regierungen be- 
tonten dabei, daß sie keinen Druck ausüben würden, um die 
Bestellungen bestimmten deutschen F irmen oder Landbezirken 
 Zuzuweisen, 

Das freie Verfahren war nur auf Lieferungen für den Wieder- 
aufbau anzuwenden, für alle übrigen Bestellungen alten die Vor- 
schriften des Vertrages von Versailles. | 

Eine Zeitlang schien es, als ob der Wiederaufbau der zer- 
störten Gebiete mit deutscher Hilfe nun wirklich gut in Gang 
kommen würde, Selbst der gewaltige Hugo Stinnes stellte sich 
auf den Boden des Wiesbadener Abkommens, Er schloß nach 
einer Zusammenkunft auf der Heimburg am Rhein mit dem 
Marquis de Lubersac, dem Präsidenten der französischen Ge- 
nossenschaften für den Wiederaufbau, am 30. August/4, Sep- 
tember 1922 einen Vertrag, der eine umfassende kaufmännische 
Organisation für Sachlieferungen vorsah. Aber dieser vielgerühmte 
Vertrag blieb eine leere Schale, Zur Ausführung ist er nicht 
gekommen, Wenige Monate später waren die Franzosen im 


Ruhrgebiet, 


Zum Schluß dürften einige Zahlenangaben von Interesse 


sein. Die gesamten deutschen Sachlieferungen nach Anhang IV 
Teil VIII des Vertrages von Versailles, also abgesehen von Schiffen, 
Kohle und F arbstoffen, stellten sich im Jahre 1922 auf rund 
230 Millionen Goldmark, Davon gingen 19 Millionen nach Frank- 


126 








reich, 17 Millionen nach Belgien, 47 Millionen nach Italien und 
116 Millionen nach Serbien. Den Löwenanteil also sicherte sich 
Serbien. Es hatte keine heimische Industrie, die sich gegen die 
deutschen Sachleistungen sträubte, Auch im Jahre 1923, nach 
der Besetzung der Ruhr, gingen die Lieferungen nach Serbien 
weiter. Im ganzen erhielt es bis 30. Juni 1924 auf Reparations- 
konto deutsche Waren im Werte von 264 Millionen Goldmark: 
weit mehr, als auf seinen Anteil entfiel. 

Um deutsche Arbeit für die Reparation in größerem Maße 
nutzbar zu machen, als dies für den Wiederaufbau selbst bisher 
möglich war, reichte die französische Regierung der Reparations- 
kommission im Juli 1922 ein Programm für öffentliche Arbeiten 
ein, die Deutschland ausführen sollte. Dazu gehörten Wasser- 
bauten an der Rhone, der Truyere und der Dordogne sowie an _ 
einem „Nordostkanal” zur Verbindung von Saar und Mosel einer- 
seits und Maas und Schelde andererseits. Die Arbeiten waren 
geschätzt auf 3,9 Milliarden Francs, sie sollten sich auf zehn 
Jahre verteilen. Bis jetzt ist es beim Projekt geblieben. 

Die im Vertrage vorgeschriebenen Lieferungen von Vieh ‚be- 
gegneten besonders großen Schwierigkeiten, Der eigene Vieh- 
bestand Deutschlands hatte im Kriege schwer gelitten. Dem aus- 
gehungerten Volke erschien das Verlangen, Hunderttausende von 
Milchkühen abzuliefern, als ein schreiendes Unrecht. Dazu kam, 
daß in den Jahren nach dem Kriege die Maul- und Klauenseuche 
bedenklich in Deutschland überhand nahm. In endlosen Ver- 
handlungen wurden die Programme der Viehlieferungen immer 
wieder geändert. Schließlich hat Deutschland aber doch sehr 
erhebliche Mengen an Vieh hergeben müssen. Am 31, Dezember 
1922 hatte es abgeliefert: 101 659 Pferde, 174 208 Stück Rindvieh, 
231 393 Schafe, 21 664 Ziegen und 245 668 Stück Geflügel, 


127 


























DREIZEHNTES KAPITEL 
RESTITUTION UND SUBSTITUTION 


Nach Art. 238 des Vertrages von Versailles ist Deutschland 
verpflichtet, kostenlos zurückzuliefern, was im Kriege aus den 
alliierten Ländern weggeschafft ist und in Deutschland oder in 
den Ländern seiner Verbündeten festgestellt werden kann, Die 
Rücklieferung wurde, wie wir gesehen haben, schon während des 
Waffenstillstandes eingeleitet und zu einem Sroßen Teile durch- 
geführt, vor allem in bezug auf Eisenbahn- und Industriematerial. 
Die alliierte Organisation hatte ihren Sitz in Wiesbaden, die 
deutsche Gegenkommission in F rankfurt a. M, 

Das ging unter bereitwilliger Mitarbeit der deutschen Be- 
hörden verhältnismäßig glatt. Sehr schwierig war aber die Resti- 
tution landwirtschaftlicher Geräte, Hier hätte man die Güter 
und Bauernhöfe durchsuchen und die etwa gefundenen fremden 
Geräte einzeln wegschaffen müssen, auf die Gefahr hin, daß die 
Feldbestellung und die anderen Landarbeiten darunter litten. 
Um diese Mißhelligkeiten abzuwenden, einigten sich Frankreich 
und Deutschland dahin, die Restitution der landwirtschaftlichen 
Geräte durch die Lieferung von neuem Material im Werte von 
20 Millionen Mark zu ersetzen, Das war der Anfang der 
sogenannten Substitution, eines Verfahrens, das zunächst in der 
Reparationskommission Widerspruch fand, weil es die Leistungen 
Deutschlands in erster Linie für Frankreich und Belgien an- 
spannte, während England daran kein Interesse hatte. Nach und 
nach aber überzeugte man sich auf allen Seiten, daß die Rück- 
lieferung, so wie sie im Vertrage vorgeschrieben ist, in der Praxis 


128 








gar nicht durchzuführen: war. In den meisten Fällen konnte der 
alliierte Eigentümer nicht darauf warten, bis ihm der wegge- 
nommene Gegenstand wieder zurückgebracht wurde. Er schaffte 
sich einfach etwas Neues an und damit war für ihn die Sache 
erledigt. Auf der deutschen Seite aber mußte alles getan werden, 
um die lästigen Nachforschungen in Fabriken und Privathäusern 
loszuwerden. So kam man immer mehr dazu, die Pflicht zur 
Restitution durch Abkommen allgemeiner Art abzulösen, nach 
denen Deutschland neues Material in bestimmter Höhe an die 
einzelnen alliierten Regierungen zu liefern unternahm, Auch für 
Vieh wurde die Substitution eingeführt. | 

Der Wert alles dessen, was Deutschland zurückgeliefert hat, 
beträgt etwa 500 Millionen Goldmark; Geld und Wertpapiere 
sind dabei nicht mitgerechnet. Es hat dafür gemäß der Vorschrift 
des Vertrages von Versailles keine Gutschrift auf Reparations- 
konto erhalten. ö 

Die Substitutionsverträge laufen jetzt noch in Höhe von 
mehreren Hundert Millionen Goldmark weiter, in der Hauptsache 
mit Frankreich und Belgien. 


i | 129 
Bergmann, Der Weg der Reparation 9 



























































| VIERZEHNTES KAPITEL 
_ DER ERSTE ANTRAG AUF STUNDUNG 


Im Herbst 1921 war es für jeden wirtschaftlich Denkenden 
klar geworden, daß Deutschland die nächsten unter dem 
Zahlungsplan von London fälligen Geldzahlungen aus eigenen 
Kräften nicht würde leisten können, Schon im August 1921 hatte 
Professor John Meynard Keynes geschrieben, daß Deutschland 
zwischen Februar und August 1922 mit den Zahlungen im Ver- 
zuge bleiben müsse, Inzwischen hatten die Umstände, unter 
welchen Deutschland es fertig brachte, die erste Milliarde Gold- 
mark zu zahlen, deutlich gezeigt, daß ein solches Experiment nicht 
ein zweites Mal glücken werde. In der Tat waren die Wirkungen 
dieser Zahlung nicht nur auf die deutsche Währung, sondern auch 
auf die fremden Wechselkurse ganz erstaunlich, Die deutsche Re- 
gierung hatte die am 31, Mai 1921 fälligen 150 Millionen 
bereits am 15. Mai in verschiedenen Devisen zur Hand. Auf Ver- 
langen der Reparationskommission mußten diese Devisen binnen 

zehn Tagen in Dollar umgewandelt der Federal Reserve Bank 
in New York überwiesen werden. Der forcierte Dollarkauf führte 
zu einem sofortigen Rückgang aller Devisen, die von Deutschland 
verkauft werden mußten, Diese Bewegung setzte sich auch nach 
dem 31. Mai 1921 fort, weil die internationale Spekulation 
andauernd Dollars weiter kaufte in der Annahme, daß die 
Reparationskommission die Zahlung der gesamten Milliarde Gold- 
mark in Dollars verlangen würde, So fiel in der Zeit vom 21. Mai 
bis 30. Juli 1921 das englische Pfund in New York von 4 auf 
3.57 Dollar, der französische Franc von 8,78 auf 1.64, der hol- 


130 














ländische Gulden von 35.95 auf 30.78, der belgische Franc yon 
8.77 auf 7.37, die schwedische Krone von 23.65 auf 20.45. Die 
Reparationskommission zog daraus die Lehre, da ß sie die deutschen 
Zahlungen nicht nur in Dollars, sondern auch in anderen Devisen, 
selbst auf die Gefahr eines Kursverlustes hin, in Zahlung nehmen - 
müsse, Als dies geschah, konnten sich die Wechselkurse mit Aus- 
nahme des französischen und des belgischen Franc bald wieder 
kräftig erholen. | | 
Ueber die Bewegung der Mark im Zusammenhange mit der 
Zahlung der Milliarde Goldmark haben wir schon gesprochen. | 
Der Marksturz kam erst Anfang Dezember 1921 zum Stillstand, 
als die Hoffnung auftauchte, daß mit Hilfe eines internationalen 
Arrangements Deutschland von weiteren großen Zahlungen für 
einige Zeit befreit bleiben würde. Bis dahin wußte jedermann = 
dem Londoner Zahlungsplan, daß Deutschland zu ganz besten 
Zeitabschnitten feste Zahlungen in gewaltiger Höhe leisten mußte. 
Es war daher für die internationale Spekulation ein re 
Geschäft, durch den Verkauf von Mark Devisen zu erwerben, lie 
man dann der deutschen Regierung, welche immer als ez 
Markte sein mußte, zu gestiegenen Preisen wieder = 
konnte; denn mangels eigener Deviseneinnahmen war die nn e 
Regierung gezwungen, jedes Angebot von Devisen zu benu = 
um sich nicht durch Zahlungsverzug neuen nn, — 
zusetzen, Dabei war im Sommer 1921 der Devisenbedart _ 2 
lands für andere Zwecke, vor allem für die Einfuhr - e je 
mitteln und für das Clearingverfahren, ee x I * 
gewesen. Um so schwerer wurde die Devisenbesc alfung be 
Herbst und Winter 1921, als der lange un mer 
Bedarf an fremden wer eo bee ee er 
so nicht weiter ging wie bisher, as war It | 
E; Nur darüber, was geschehen mußte, gingen a 
stark auseinander. InDeutschland versuchte man ee o oz 
der Anleihe, Im September spannen sich zwischen er de we 
Regierung und Vertretern der a a a 
f bzielten, daß die Industrie de nei 
rer ei Verfügung stellte, um die nächsten Raten des 


| 131 
9% 



































Londoner Zahlungsplans bis zur Höhe von einer Milliarde Gold- 
mark im Anleihewege zu beschaffen, Die Verhandlungen wurden 
ziemlich lau geführt, Man stellte bald fest, daß es sich nicht 
darum handeln könne, die Devisenbestände der Industrie der 
Reichskasse zuzuführen, sondern nur darum, unter Ausnützung 
des Kredites der deutschen Industrie im Auslande eine größere 
internationale Anleihe zu begeben. Damals tauchte der sogenannte 
Plan Hachenburg auf: eine Kreditvereinigung, die Industrie, 
Handel und Landwirtschaft umfaßte, sollte eine Anleihe ausgeben, 
welche durch hypothekarische Belastung des Grundbesitzes und 


des Vermögens aller Erwerbsstände zu sichern wäre, Zinsen und 


Tilgung der Anleihe sollten auf die Steuerleistung der belasteten 
Unternehmen verrechnet werden. Der Plan kam nur bis zur Ge- 
nehmigung durch den Reichswirtschaftsrat. Von der Industrie 
wurde er verworfen. Eine Versammlung des Reichsverbandes der 
Deutschen Industrie vom 4, und 5. N ovember 1921 beschloß, die 
Kreditverhandlungen mit dem Reich fortzusetzen, jedoch zu ver- 
langen, daß das Reich im gesamten Haushalt strenge Sparsamkeit 
einführe, das Wirtschaftsleben von allen Hemmnissen der Be- 
tätigung und Entwicklung befreie und die Staatsbetriebe alsbald 
in private Bewirtschaftung überführe, so daß sie, anstatt wie bis- 
her dem Reiche zur Last zu fallen, genügende Einnahmen schaffen 
könnten, um Zinsen und Tilgung der geplanten Auslandanleihe 
zu decken, Gegen das Verlangen der Industrie, den deutschen 
Eisenbahnen eine private Wirtschaftsform zu geben, erhob sich 
ein Sturm der Entrüstung. Die Sozialisten kamen mit Gegen- 
forderungen. Sie verlangten eine Beteiligung des Reiches am 
Kapital der Industrie, die Verstaatlichung der Kohlengruben, 
strenge Erfassung der Ausfuhrdevisen, Beschränkung der Einfuhr, 
Erhöhung der Ausfuhrabgaben, sofortige Eintreibung der direkten 
Steuern und anderes. In dem innerpolitischen Kampf, der darüber 
entbrannte, fiel das Anleiheprojekt der Industrie ins Wasser. 

Der Versuch der deutschen Regierung, auf ihren eigenen Kredit 
hin eine Anleihe von etwa einer Milliarde Goldmark in London 
zu erlangen, schlug gleichfalls fehl. Der Gouverneur der Bank 
von England erklärte in einem Schreiben an den Präsidenten der 


132 








Reichsbank Havenstein, daß im Hinblick auf die Vorschriften, 
welche die finanziellen Verpflichtungen des Reichs gegenüber der 
Reparationskommission für die nächsten Jahre regelten, weder 
eine langfristige deutsche Anleihe noch ein kurzfristiger Bank- 
kredit in England aufgenommen werden könne, 

Die deutsche Regierung entschloß sich nunmehr, durch ‚eine 
Note des Reichskanzlers vom 14. Dezember 1921 der Reparations- 
kommission anzuzeigen, daß es ihr unmöglich sei, den Gesamt- 
betrag der Fälligkeiten vom 15, Januar und 15, Februar 1922 zu 
beschaffen. Bei Anstrengung aller Kräfte und ohne Rücksicht auf 
die für den Reichshaushalt notwendigen Ausgaben würde, abge- 
sehen von den Sachlieferungen und den Gutschriften aus dem 
Recovery Act, nur ein Betrag von einhundertfünfzig bis zwei- 
hundert Millionen für die Reparation zusammengebracht werden 
können. Daher sehe sich die deutsche Regierung genötigt, die 
Reparationskommission um einen Zahlungsaufschub für diejenigen 
Beträge zu bitten, welche an den Fälligkeitsdaten des 15. Januar 
und 15. Februar 1922 nicht beschafft werden könnten. 

Das war der Antrag auf ein Moratorium. Die Reparations- 
kommission antwortete am 16. Dezember, daß sie nur mit Be- 
fremden von dem Schritt der deutschen Regierung Kenntnis 
nehmen könne, Sie werde den Antrag auf Zahlungsaufschub 
so lange nicht berücksichtigen, bis die deutsche Regierung wei 
einzelnen begründet haben würde. Zugleich sprach sie i - Bor 
dauern darüber aus, daß die deutsche Regierung in keiner eise 
auf das Verlangen der Kommission eingegangen sei, die geeigneten 
Mittel zu ergreifen, um den deutschen Haushalt in Ordnung zu 
bringen und den Notenumlauf einzudämmen. | ne 

Dieser Schriftwechsel zeigt, wie sehr es wieder einmal in einem 
kritischen Zeitpunkte an gegenseitigem Verständnis zwischen Repa- 
rationskommission und deutscher Regierung fehlte. Sie a 
beide in ihre politischen Scheuklappen eingezwängt, aneinander 
vorbei. Nach dem mehrwöchigen Aufenthalt des re 
und dem Besuch der gesamten Reparationskommission in Berlin 
hätte man erwarten sollen, daß eine Verständigung sich on 
mindesten anbahnen würde, Nichts davon ist in dem Schrift- 


133 

















wechsel zu spüren, sondern nur ein vorsichtiges, lauerndes Zurück- 
halten von zwei Parteien, die sich gegenseitig nicht verstehen, 

Auf Wunsch der deutschen Regierung fand am 29, Dezember 
1921 eine Sitzung der Reparationskommission statt, in welcher 
der deutsche Stundungsantrag begründet wurde. Das Ergebnis 
war unerfreulich. Es verschärfte nur die Spannung. Die deutsche 
Regierung hielt es für richtig, die Reparationskommission darauf 
zu verweisen, daß sie bereits mit einzelnen alliierten Regierungen 
vorläufige Besprechungen über die Reparation gepflogen habe, 
deren Entwicklung sie nicht vorgreifen wolle, Diese Anspielung 
bezog sich auf vertrauliche Unterhaltungen von Dr. Rathenau in 
London. Er war nach der Entscheidung der oberschlesischen 
Frage offiziell aus dem Kabinett ausgeschieden, ging aber im 
Dezember 1921 im Auftrage der Reichsregierung nach London, 
um in den Kreisen um Lloyd George und in der City Rat und 
Hilfe für Deutschland zu suchen, | 

Das war ein neuer Versuch, über den Kopf der schwerfälligen 
und in sich uneinigen Reparationskommission hinweg unmittelbar 
eine alliierte Regierung anzurufen, bei der man ein besseres Ver- 
ständnis der deutschen Notlage zu finden hoffte, Rathenau, der 
die schweren Enttäuschungen dieser Taktik noch nicht am eigenen 
Leibe erfahren hatte, glaubte, daß es ihm gelingen müsse, im 
direkten Benehmen mit Lloyd George die Reparationsfrage voran- 
zubringen, Die freundliche Aufnahme, die er in London fand, be- 
stärkte ihn in dieser Hoffnung. Dabei übersah er aber, daß gerade 
die Verhandlung mit einer einzelnen alliierten Macht um so 
heftiseren Widerstand bei den anderen Alliierten auslösen und 
daher der deutschen Sache schaden würde. In diesem Lichte ge- 
sehen wird die Haltung der Reparationskommission gegenüber 
dem ersten deutschen Moratoriumsgesuch einigermaßen ver- 
ständlich, 


134 





FÜNFZEHNTES KAPITEL 


DER MARKSTÜRZ 
UND DIE VEREINIGTEN STAATEN 


Ehe wir in der Entwicklung der Dinge weitergehen, ist es 
nötig, auf Ereignisse zurückzugreifen, die sich etwa gleichzeitig 





_ mit den Bemühungen von Dr. Rathenau fern vom Kriegsschauplatz 


der Reparation abspielten. "ie | a 
Ich war mit dem 31. August 1921 aus meiner offiziellen 
Stellung als Vertreter der deutschen Regierung bei der ! 
rationskommission in Paris ausgeschieden und in privaten ” 
schäften nach New York gegangen. Von vornherein hatte ich 9 
schwierige und undankbare Aufgabe in Paris nur auf men 
zwei Jahre übernommen, um zu versuchen, ob durch die ru is 
Methoden eines geschäftlichen Verkehrs das heikle a h - | 
Reparation einer vernünftigen Lösung näher gebrac ne 
"könnte, Die politischen Stürme, welche zum Londoner | er en 
führten, hatten aber die Keime einer Verständigung zwisc a: = 
Reparationskommission und der deutschen Regierung Mein joe 
Gleich nach der Londoner Konferenz vom März 1921 reic e 2 5 
meinen Abschied ein, und nur die dringenden et 
Regierung Wirth - Rathenau konnten mich noch einige No 
länger in Paris halten. | 
u meiner Ankunft in New bp nn m. = = 
a resse der amerikanischen Gesc äl skreis a 
auf das Phänomen des neuerlichen | ee 
der Reichsmark gerichtet. Wie in sehr vielen Ländern Be 
das Publikum der Vereinigten Staaten in den Jahren 


135 





















































große Mengen von Mark bei stark weichenden Kursen gekauft, 
weil sich jedermann sagte, daß Deutschland mit seiner arbeits- 
freudigen und disziplinierten Bevölkerung, seiner wohlausge- 
rüsteten und voranstrebenden Industrie und seiner bewährten 
organisatorischen Kraft sich aus der politischen Katastrophe des 
Krieges verhältnismäßig schnell erholen werde, und daß der Sturz 
der deutschen Währung nur eine vorübergehende Erscheinung sei. 
So waren allmählich gewaltige Beträge von Reichsmark in die 
Hände des amerikanischen Volkes übergegangen. Nach den großen 
Schwankungen des Markkurses im Jahre 1920 war zunächst eine 
gewisse Stabilität eingetreten, die der Anbahnung von Geschäften 
mit Deutschland wesentlich zugute kam, Der formelle Friedens- 
schluß zwischen den beiden Staaten im August 1921 ließ er- 
warten, daß ihre geschäftlichen Beziehungen bald lebhaft werden 
würden, Diese Aussicht war für Amerika um so willkommener, 
als damals infolge der Depression des Geschäftslebens in der 
Nachkriegszeit gerade in den Vereinigten Staaten Arbeitslosig- 
keit, Rückgang der Warenpreise und damit verbundene erheb- 
liche Verluste im Geschäftsleben sich besonders fühlbar machten, 
Ein starkes spekulatives Interesse an der Reichsmark bestand 
allerdings in New York selbst nicht mehr, weil die Enttäuschungen 
in der Reparationsfrage zur Vorsicht mahnten. Immerhin fand 
noch ein großes Geschäft in Reichsmark für südamerikanische 
Rechnung statt. Massenweise erhielt New York Verkaufsaufträge 
für Reichsmark, zum größten Teil über Amsterdam. Daraus ent- 
stand in amerikanischen Bankkreisen fast überall die Meinung, 
daß die Reichsbank selber durch ihre holländischen Beziehungen 
im größten Maßstabe Mark verkaufe, und daß in diesen Verkäufen 
die Ursache des erneuten Rückganges der Mark zu suchen sei. 
Einsichtige Leute fanden das bedauerlich, aber erklärlich, weil 
anscheinend nur auf diese Weise die Abtragung der ersten 
Milliarde Goldmark unter dem Londoner Zahlungsplan möglich 
war, Die Tagespresse aber und viele Geschäftskreise vertraten die 
Ansicht, daß der rücksichtslose Verkauf der Reichsmark auf eine 
ganz bestimmte Politik zurückzuführen sei. Vielfach hörte ich 
scharfe Kritik darüber, daß die deutsche Regierung fortgesetzt 


136 





Banknoten drucken lasse und absichtlich durch Inflation eine Ent- 
wertung der Reichsmark herbeiführe, um dadurch den Alliierten 
Sand in die Augen zu streuen und die Unfähigkeit Deutschlands 
zu weiteren Reparationszahlungen nachzuweisen, Ich machte es 
mir zur Aufgabe, dieser irrigen Meinung über die deutsche Finanz- 
politik in maßgebenden Bankkreisen entgegenzutreten. Natürlich 
war jede Hoffnung auf amerikanische Hilfe für Deutschland aus- 
geschlossen, solange der Verdacht bestand, daß die deutsche 
Regierung selber — direkt oder indirekt — eine derart frivole 
Politik betreibe, um sich ihren Reparationspflichten zu entziehen. 
So mußte ich sehen, wie in Amerika, auf dessen Hilfe alle deutschen 
Hoffnungen gesetztwaren, der Zusammenbruch der Mark.nicht nur 
das Ansehen der deutschen Regierung schädigte und das allge- 
meine Mißtrauen gegen ganz Deutschland verstärkte, sondern auch 
den Kredit der deutschen Banken und der deutschen Industrie 
aufs äußerste gefährdete und die neu angebahnten geschäftlichen 
Beziehungen zu ruinieren drohte. Auf meine Aringenden - 
stellungen in Berlin ging bald die kategorische Erklärung der 
Deutschen Reichsbank ein, daß sie weder zur Abtragung der 
Milliarde Goldmark noch zur Deckung sonstiger Bedürfnisse Mark 
in das Ausland verkaufen lasse, und daß sie auch mit den Mark- 
verkäufen über Holland nichts zu tun habe. Es blieb nur die Er- 
klärung, daß das deutsche Publikum selber, sei es aus - . 
aus spekulativem Interesse, Mark in das Ausland warf, = sic 
- dafür Devisen zu beschaffen. Wenn dem so war, dann “ te ner 
deutscher Seite alles versucht werden, dem andauern er a 
der Mark und vor allem der verderblichen er = 
Ziel zu setzen. Es war unvermeidlich, daß sich in Ameri gr . 
hütete, irgendwelche Geschäfte mit einem Lande zu ae a h 
Währung unaufhaltsam dem absoluten Nichts zueilte. er Ye . 
es im Interesse des Privatgeschäfts wie des gesamten .. Me 
Ansehens nötig, sofort energische Schritte für die ._. . 2 
September 1921 stark gesunkenen Mark zu tun. Daß hier — 
deutsche Kraft allein nicht ausreichen würde, a ae = 
amerikanische Hilfe einen baldigen durchgreifenden - e u 
sprach, war mir klar, Ich sprach über diese Frage eingehen 


137 





hervorragenden amerikanischen Bankleuten und mit Regierungs- 
kreisen in Washington, Fast überall fand ich ein williges Ohr 
und Verständnis, Vorbedingung für eine aktive Unterstützung in 
Amerika war aber, daß zunächst einmal durch eigenes Eingreifen 
der deutschen Regierung und der Reichsbank ein weiterer Rück- 
gang der Mark verhindert und ein gewisser Beharrungszustand, 
wenigstens auf dem letzten niedrigen Niveau, hergestellt werde, 
Der wahre Grund für den ständigen Verkauf der Mark durch 
Besitzer und Spekulanten lag natürlich in dem Pessimismus in 
bezug auf die deutsche Wirtschaft, den die ungeheure Reparations- 
last Deutschlands auch nach dem Londoner Zahlungsplan überall 
in der Welt ausgelöst hatte, Wollte man also eine nachhaltige 
Besserung oder einen Beharrungszustand des Markkurses schaffen, 
so mußte Hand in Hand mit einem aktiven Eingreifen der deutschen 
Regierung, der Reichsbank und einer etwaigen Hilfe ausländischer 
Bankkreise ein Abkommen mit der Reparationskommission gehen, 
das wenigstens für einige Jahre Deutschland die Möglichkeit gab, 
die ihm auferlegten Verpflichtungen zu erfüllen. Diese Gedanken- 
gänge führten mich zu einer Idee, welche sich nach eingehenden 
Besprechungen mit ersten amerikanischen Bankleuten zu einem 
festen Vorschlag verdichtete: es sollten mit der Reparations- 
kommission. Verhandlungen geführt werden, die ohne direkte 
Aenderung des Londoner Zahlungsplanes einen modus vivendi für 
einige Jahre schafften, Die Leistungen unter dem Zahlungsplan 
sollten Deutschland weder erlassen noch gestundet, sondern so 
gestaltet werden, daß unter wesentlicher Betonung der Sach- 
leistungen die noch nötigen Barzahlungen für etwa drei bis vier 
Jahre durch eine internationale Anleihe ab gegolten werden 
konnten, Sobald die Reparationskommission erklärt haben würde, 
daß sie auf einen solchen Vorschlag grundsätzlich einzugehen 
bereit sei, sollte ein amerikanisches Bankensyndikat sich bereit 
erklären, der deutschen Regierung einen Vorschuß etwa in Höhe 
von 50 Millionen Dollars zu gewähren, um damit die deutschen 
Markverkäufe im Auslande aufzufangen und nach einer anfäng- 
lichen, nicht zu starken Erholung Ruhe in der Bewegung der 
Reichsmark herbeizuführen. Das würde der deutschen Regierung 


138 





Gelegenheit geben, durch vernünftige Handhabung der Steuern 
und durch Sparsamkeit auf allen Gebieten den Haushalt in Ord- 
nung zu bringen und dann in aller Ruhe weitere ‚Verhandlungen 
zu pflegen, die allmählich zu einer Aenderung des in der bestehen- 
den Form unerfüllbaren Londoner Zahlungsplans führen würden. 
Die amerikanische Mitwirkung erschien mir zweckmäßig, obwohl 
die Reichsbank damals über einen Goldschatz von einer Milliarde 
Mark verfügte, mit dem sie unter den genannten Voraussetzungen 
die Stützung des Markkurses auf absehbare Zeit hinaus allein 
hätte durchhalten können, Aber einmal war es mißlich, Gold zur 
Stützung der Mark herzugeben, wenn es irgend zu vermeiden 
war, denn bei dem allgemeinen Pessimismus in bezug auf die 
deutsche Währung hätte die Spekulation aus der Weggabe des 
Goldes neue Nahrung gezogen. Andererseits schien mir der Kredit, 
den die Deutsche Reichsbank im Inlande und im Auslande genoß, 
keineswegs mehr stark genug, einen alsbaldigen Erfolg | a 
gewährleisten, Wenn dagegen ein amerikanisches Bankensyndikat, 
etwa, unter Führung von J. P, Morgan & Co., öffentlich mit der 
Erklärung auftreten würde, daß es der Reichsregierung einen sehr 
erheblichen Dollarvorschuß für die Stützung der Mark zur Ver- 
fügung stelle, so schien mir schon die bloße Ankündigung eines 
solchen mächtigen Syndikats genügend, das Vertrauen her- 
zustellen und die Markspekulation auf den entgegengesetzten 
Weg zu weisen. ie 38 I 
| Ich fand mit diesen Ideen in Amerika viel Sympathien, aber 
auch manchen Widerspruch. Einige Vertreter der Bankwelt, die 
mit deutschen Verhältnissen besonders gut vertraut waren, hielten 
mir das Argument entgegen, das in Europa fast allerorten sog 
Axiom galt: die Mark könne sich erst dann wieder erholen oder 
stabilisiert werden, wenn das Londoner Ultimatum geändert und 
die Reparationsforderungen auf ein vernünftiges Maß ._. 
geführt seien. Vorher habe es gar keinen Zweck, irgend .. jr 
die Hebung der Mark zu tun. Bis dahin müsse man eben nn 7 
land seinem Schicksal überlassen. Gewiß werde unsägliches E en 
über Deutschland hereinbrechen, weil bei einer ständig fallenden 
Mark geordnete Verhältnisse nicht mehr lange bestehen könnten, 


139 





Gewiß werde es Streiks, Unruhen, Umsturz der Regierung und 
Hungersnot geben, Alles das sei unvermeidlich, ja sogar ein aus- 
gezeichnetes Mittel, die Alliierten, besonders Frankreich, von 
der Unmöglichkeit der Durchführung des Londoner Ultimatums 
zu überzeugen, 

Gegen eine solche Pferdekur habe ich stets Front gemacht. 
Man kann sie als Arzt sehr leicht verordnen, wird sie aber kaum 
am eigenen Leibe erproben wollen. Deutschland, das war meine 
Entgegnung, habe in und nach dem Kriege genug, Elend durch- 
gemacht. Mir sei der Gedanke unerträglich, daß wir jetzt von 
neuem in eine noch schrecklichere Not hineinkommen sollten, so- 
lange es noch irgendeine Hoffnung gebe, uns aus den Schwierig- 
keiten des Marksturzes zu retten. 

Ein zweiter Einwand, dem ich häufig begegnete, war folgender: 
Solange die deutsche Regierung immer mehr Milliarden von neuen 
Noten in die Welt setze, sei dem Markkurs nicht zu helfen; die 
Tätigkeit der deutschen Notenpresse drücke den Markpreis auto- 
matisch weiter herab. Man solle das Notendrucken einstellen und 
das Budget in Ordnung bringen, dann werde die Mark schon von 
selbst wieder steigen. 

Auf diesen weisen Ratschlag, der auch immer von der Repa- 
rationskommission ins Feld geführt wurde, war schwer zu ant- 
worten, Man schüttelte ungläubig den Kopf, wenn ich zu erklären 
versuchte, daß die Entwertung der Mark, die nun einmal mit so 
katastrophaler Gewalt eingesetzt habe, durch den allgemeinen 
Verkaufsdrang immer mehr beschleunigt werde, daß der fort- 
gesetzte Marksturz eine entsprechende Erhöhung der Löhne und 
Preise hervorrufe, daß damit auch die Ausgaben des Reiches 
fortgesetzt stiegen, während die Einnahmen nur langsam nach- 
kämen, und daß deshalb das Reich mangels jeder sonstigen Kredit- 
quelle gezwungen sei, seinen Ausgabebedarf durch Inanspruch- 

nahme der Reichsbank, das heißt durch vermehrte Notenausgabe, 
zu befriedigen. 

Es gibt noch heute viel kluge Leute, die nicht begreifen können, 
daß die Markentwertung in jenen kritischen Zeiten nicht die F olge, 
sondern die Ursache des vermehrten Notenumlaufs gewesen ist. 


140 





Ich habe in den Monaten Oktober und November 1921 in 
New York keine Mühe gescheut, für die Stützung der Mark zu- 
gleich mit einer vorläufigen Regelung der Reparation Stimmung 
zu machen. Das mußte ich auf eigene Faust tun. Von Deutschland 
aus erhielt ich trotz eingehender Berichte keine Hilfe, weil man 
da andere Wege wandelte. Da mühte sich die Regierung m. 
gleichzeitig mit der Industrieanleihe von einer Milliarde Goldmar 
ab, von der wir schon gesprochen haben. Ich glaubte von vorn- 
in nicht daran, daß sie zustandekommen werde, Ihr etwaiges 
Gelingen aber wäre verhängnisvoll gewesen. Der Betrag von einer 
Milliarde Goldmark hätte knapp ausgereicht, den ‚Londoner 
Zahlungsplan bis zum Frühjahr 1922 durchzuhalten. Die os 
wäre für die ganze deutsche Industrie eine schwere Last Ba ER 
Für die Regelung der Reparation hätte sie nichts genützt. jie 
Reparationskommission hätte das mühsam beschaffte Geld ein- 
gesteckt und wäre nach einem halben Jahre wieder mit den unver- 
änderten Forderungen des Londoner Ultimatums vor die deutsche 
Regierung hingetreten. Dann hätte die deutsche Industrie . 
gesamten Kredit im Auslande für nichts geopfert. Das wirtse aft- 
liche und finanzielle Elend Deutschlands wäre um so größer ge- 
worden. Mir aber kam es darauf an, mit der Reparationskommission 
ein Abkommen zu treffen, das wenigstens für einige Jahre Ruhe 
und Zeit zur Ordnung der deutschen Wirtschaft und zur zur 
bereitung einer endgültigen Lösung der Reparation ae so te, 

Die Idee des Moratoriums an sich, das heißt eines ‚bloßen 
Aufschubs der deutschen Leistungen, war verfehlt. Ich bin stets 


- der Meinung gewesen, daß Deutschland den Alliierten für die 


. 


Aenderung der Zahlungsfristen etwas bieten müsse. Was sollten wir 
aber bieten, wenn uns die ständige Markentwertung immer tiefer 
in wirtschaftliches Elend und politische Unruhen brachte? . 
konnte nicht genug vor der falschen Hoffnung warnen, dab au 
die Dauer doch die deutsche Notlage das Mitgefühl der Den 
Feinde erwirken werde. Diese Notlage wurde außerhalb Deutsch- 
lands beinahe überall für selbstverschuldet gehalten. Man traute 
uns vollkommen die Kraft zu, nicht nur die Notlage zu beseitigen, 
sondern auch noch recht viel für die wirtschaftliche Hebung 


141 








der alliierten Länder .zu tun, Wir kamen keinen Schritt weiter, 
wenn wir nur mit unserem Elend an die Reparationskommission 
appellierten, Wir mußten ihr etwas Ordentliches bieten, und zwar 
außer Sachleistungen auch noch Geld. 

Einem Moratorium, unter dem Deutschland wenig oder gar 
nichts zu leisten haben würde, stellte sich vor allem Frankreich 
feindselig gegenüber. Es hatte von allen alliierten Mächten die 
größten Verluste erlitten. Auf seinem Boden waren die Ent- 
scheidungskämpfe des Weltkrieges geführt worden. Die durch 
den Krieg im Lande angerichteten Verwüstungen waren entsetz- 
lich. Frankreich hatte alsbald nach dem Waffenstillstand seinen 
Wiederaufbau selber energisch in die Hand genommen und inner- 
halb weniger Jahre die äußerlich sichtbaren Schäden, abgesehen 
von Fabriken und Wohnhäusern, aus eigenen Mitteln beinahe ganz 
beseitigt, die zerstörten Eisenbahnen und Straßen wieder her- 
gestellt und wesentlich verbessert und die verwüsteten Felder 
fast vollständig wieder unter den Pflug genommen, Diese ge- 
waltigen Ausgaben von vielen Milliarden Goldfrancs waren durch 
innere Anleihen, in der Hauptsache durch die kurzfristigen Bonds 
de la Defense N ationale, finanziert worden, also ohne Inanspruch- 
nahme der Notenpresse, Wenn es aber nicht gelang, bald größere 
Beträge als Reparation von Deutschland zu erhalten, so blieb 
Frankreich für lange Jahre unter einer drückenden Schuldenlast 
und ohne geordneten Staatshaushalt. F rankreich hatte daher ein 
Lebensinteresse an schnellem Beginn der Reparationszahlungen, 
von denen ihm allein 52 Prozent zufielen, Wir haben schon ge- 
sehen, daß infolge der gewaltigen Besatzungskosten von allen 
Leistungen Deutschlands vor dem 1. Mai 1921 nichts für die 
Reparation übrig blieb. Aber auch von der Milliarde Goldmark, 
die Deutschland im Sommer 1921 gezahlt hatte und die bei der 
Konferenz der alliierten Finanzminister in Paris vom 13. August 
1921 aufgeteilt wurde, erhielt Frankreich nichts. Die eine Hälfte 
davon ging an England für ungedeckte Besatzungkosten vor dem 
1. Mai 1921, die andere Hälfte an Belgien. Die belgische Priorität, 
von der wir schon sprachen, war ursprünglich auf zwei Milliarden 
Goldmark festgesetzt. Aus den deutschen Zahlungen bis Ende 


142 





1921 wurde sie auf etwa eine Milliarde verringert. Frankreich 
bekam nach wie vor nur Sachleistungen, vor allem Kohle, die 
allerdings einen Wert von mehreren hundert Millionen Goldmark 
im Jahre hatte, Daher konnte irgendeine Aenderung des Londoner 
Zahlungsplans nur dann die Zustimmung Frankreichs finden, wenn 
sie die Sachlieferungen an Frankreich verstärkte und außerdem 
Frankreich bald einen erheblichen Geldbetrag zuführte, Ein glattes 
Moratorium für Deutschland ohne entsprechende Gegenleistung 
an Frankreich war politisch und psychologisch ein Unding. Wer 
das Moratorium verlangte oder befürwortete, jagte einem Phantom 
nach, das sich niemals greifen ließ. So gingen auch alle die Leute 
in England und Amerika irre, die immer wieder erklärten, daß 
erst die endgültige Lösung der Reparationsfrage abgewartet werden 
müsse, ehe etwas für die wirtschaftliche Wiederherstellung Europas 
geschehen könne, Das waren Ideale, die sich vom sicheren Port 
der heimischen Wirtschaft schön vertreten ließen, die aber un- 
erfüllbar bleiben mußten. Der Zwang der politischen Machtver- 
hältnisse wies klar auf eine provisorische Verständigung mit Frank- 
reich hin, durch die der Boden für eine endgültige Lösung der 
Reparationsfrage langsam vorbereitet werden konnte. 

In dieser Ansicht bestärkten mich Gespräche mit französischen 
Finanzleuten, die mich aus eigenem Antriebe in New York und 
Washington Ende November 1921 aufsuchten. Gelegenheit dazu 
gab die internationale Entwaffnungskonferenz in Washington, an 
welcher der französische Ministerpräsident Briand mit einem 
Stabe von Sachverständigen teilnahm. Die französischen Herren 
erkannten die überragende Bedeutung der Stabilisierung der Mark 
nicht nur für Deutschland, sondern auch für Frankreich durch- 
aus an, Daher begrüßten sie jedes Mittel, das eine nachhaltige ih 
ruhigung des Markkurses herbeizuführen geeignet war. Aus N 
Besprechungen erwuchs die Idee, eine Regelung der Reparation für 
etwa vier Jahre anzustreben. Es sollten die Leistungen unter dem 
Londoner Zahlungsplan mit Rücksicht auf den zurzeit geringen 
Goldwert der deutschen Ausfuhr verhältnismäßig niedrig es 
griffen und auf einen bestimmten Gesamtbetrag, etwa er 
Milliarden Goldmark, für alle vier Jahre festgesetzt werden. 


‚143 












































Davon würde entsprechend dem Wiesbadener Abkommen der 
größere Teil durch Sachleistungen innerhalb der vier Jahre zu 
begleichen sein, während der verbleibende Betrag von etwa drei 
bis vier Milliarden Jetztwert durch eine internationale Anleihe 
Deutschlands abzutragen sei. Während der vierjährigen Frist 
sollte der Londoner Zahlungsplan selber revidiert und mit den 
wirtschaftlichen Notwendigkeiten der beteiligten Mächte in Ein- 
klang gebracht werden. So etwa sollte das Programm für die Be- 
sprechungen mit der Reparationskommission aussehen, Inzwischen 
aber sollte eine durchgreifende Stützung der Mark mit Hilfe eines 
amerikanischen Bankensyndikats in die Wege geleitet werden. 
Die Bedingungen der amerikanischen Geldgeber für ihre Hilfe- 
leistung waren wie folgt gedacht: 


1. Die Reparationskommission räumt dem amerikanischen 
Vorschuß an Deutschland für die Markstützung das un- 
bedingte Vorrecht vor den Barleistungen für die Repa- 
ration ein, 


2. Die Reparationskommission verschiebt den Zeitpunkt der 
Fälligkeit weiterer Geldzahlungen bis zum 1, Mai 1922, 
Vorher sind nur Sachleistungen zu machen. 


3. Die Reparationskommission erklärt sich bereit, mit 


Deutschland in Verhandlungen über eine Regelung der 


Reparation für vier Jahre auf der Grundlage des vor- 
stehenden Gedankenganges einzutreten. 


Meine französischen Gewährsleute erklärten nachdrücklich, 
daß es gänzlich aussichtslos sei, die Sache beim anderen Ende 
anzufangen, also etwa zunächst eine Aenderung des Londoner 
Ultimatums herbeizuführen. Dazu sei die öffentliche Meinung in 
Frankreich noch lange nicht reif. Sie lehnten aber auch den Ge- 
danken ab, gar nichts für die Stützung der Mark zu tun und die 
Dinge ihren Gang gehen zu lassen, damit die öffentliche Meinung 
durch das Elend der Welt belehrt werde, Sie nannten das eine 
unverantwortliche Katastrophenpolitik, der entschieden entgegen- 
zutreten sei, Sie übernahmen es, wegen des Vorschusses selber an 
J. P. Morgan & Co. heranzutreten und sich auch mit der Repa- 


144 











rationskommission wegen des ganzen Planes in Verbindung zu 
setzen, 
Inzwischen aber waren die Dinge in Europa einen anderen Weg 


gegangen, Die Besprechungen Rathenaus in London hatten den 


Erfolg, daß in englischen Regierungskreisen der Gedanke erwogen 
wurde, die Geldzahlungen Deutschlands für das Jahr 1922 auf 
insgesamt 500 Millionen Goldmark zu ermäßigen. Daneben sollten 
die vertragsmäßigen Sachlieferungen hergehen. Dieses Programm 
stand auf der Tagesordnung des Obersten Rates, der für Anfang 
Januar 1922 nach Cannes einberufen wurde. 


Auf die bloße Hoffnung hin, daß die Reparationslast Deutsch- 
lands erleichtert werden würde, besserte sich der Markkurs von 
selbst erheblich. Anfang Dezember fiel der Dollarkurs in Deutsch- 
land, der kurz vorher noch über 300 Mark gestanden hatte, unter 
200 Mark, wo er sich unter einigen Schwankungen vorläufig auch 
hielt, Damit war die Gefahr des wirtschaftlichen Zusammen- 
bruchs Deutschlands vorläufig abgewehrt. Zugleich aber waren 
die Reparationsverhandlungen nunmehr endgültig auf das Ziel 
des Moratoriums und auf den Weg der Entscheidung durch den 
Obersten Rat abgestellt. Es war also nicht mehr möglich, mit der 
Reparationskommission über ein anders geartetes Ziel zu ver- 
handeln. Der Holzweg des Moratoriums war beschritten; er sollte 
bald in dornigem Dickicht enden. 


Bergmann, Der Weg der Reparation 10 145 



























































SECHZEHNTES KAPITEL 


VON CANNES BIS GENUA 
JANUAR BIS APRIL 1922 


Der in Cannes versammelte Oberste Rat der Alliierten lud 
auf Anregung von Lloyd George die deutsche Regierung ein, an 
den Reparationsberatungen teilzunehmen. Eine kleine deutsche 
Delegation unter Führung von Dr. Rathenau traf am 11. Januar 
1922 in Cannes ein. Dr. Rathenau und ich wurden sofort zu einer 
ganz vertraulichen Besprechung nach der in der Nähe von Cannes 
gelegenen Villa des Broussailles gebeten, wo wir die Minister 
Loucheur und Sir Robert Horne antrafen, Beide machten uns auf 
den Ernst der Lage aufmerksam, Die innerpolitische Lage in 
Frankreich sei sehr bedenklich. Das französische Kabinett werde, 
wenn es Deutschland in dem in London besprochenen Sinne ent- 
gegenkäme, schweren Erschütterungen ausgesetzt sein. Aber die 
Stimmung in Cannes sei für Deutschland günstig. Nur müßten wir 
sofort zugreifen, Es erscheine möglich, uns ein einjähriges Mora- 
torium zu gewähren. Die Geldzahlungen für 1922 würden aller- 
dings nicht auf 500, sondern nur auf 720 Millionen Goldmark er- 

mäßigt werden können, Außerdem würden wir zu Sachlieferungen 
in Höhe von 1450 Millionen Goldmark, wovon 950 für F rankreich, 
verpflichtet werden. Jede Verzögerung der Annahme sei gefähr- 
lich. Morgen schon könne das französische Kabinett gestürzt sein. 

Unmittelbar darauf wurden die Deutschen zur Reparations- 
kommission gerufen, welche gleichfalls vom Obersten Rat nach 
Cannes entboten war. Hier verbreitete sich Rathenau in langer 
Rede über die Lage Deutschlands und über seine Zahlungsmöglich- 


146 








keiten, Währenddessen schob mir ein Mitglied der Reparations- 
kommission einen Zettel zu, auf dem stand: ‚Nehmen Sie schnell 
an, die Bedingungen sind 720 Millionen Goldmark und 1450 
Millionen Sachleistungen! 


Dr. Rathenau hielt es nicht für richtig, auf diese wiederholten 

Fingerzeige einzugehen. Er wollte nicht mit der Reparations- 
kommission, die in Cannes gleich ihm nur Gast sei, ein Abkommen 
treffen, sondern die Entscheidung des Obersten Rates einholen, 
Dabei hoffte er immer noch, die Ermäßigung der Geldzahlungen 
für 1922 auf 500 Millionen Goldmark durchzusetzen. Am folgen- 
den Tage, dem 12, Januar, fand dann eine stark besuchte Sitzung 
des Obersten Rates statt, in der Dr. Rathenau eine mehrstündige, 
groß angelegte Rede hielt, Er schilderte sehr eingehend die ee 
der deutschen Handels- und Zahlungsbilanz, die Ursachen un 
die Folgen des Marksturzes und wies daraus nach, daß ku _ 
lich sei, die im Zahlungsplan von London vorgesehenen. eis er» 
zu erfüllen. Auf den Einwand von Lloyd George, daß die B. e 
Industrie im Gegensatz zu England, Amerika und anderen Län > 
in.denen Millionen von Arbeitslosen vom Staate ernährt age w; 
müßten, mit Volldampf arbeite und Werte schaffe, DD Sn 
Ausfuhr, in der die deutsche Konkurrenz sich überal ; r 
mache, versuchte Dr. Rathenau darzulegen, daß die es " " 
Wirtschaft trotz voller Beschäftigung doch keine ‚Zuna ” r 
Volkseinkommens oder des Volkswohlstandes be vs Pi 
großer Teil der Wirtschaft nur dafür arbeite, ie Berl “ 
Versailler Vertrag geschlagenen Wunden zu hei ” er Fir 
„Deutschland auferlegten Lasten zu tragen. Er berec % r ai 
in diesem Sinne die Arbeit von etwa vier Millionen eu ” gi 
Arbeitern unproduktiv genannt werden müsse. Das ” ser u 
als ob diese vier Millionen Arbeiter nicht acheitelenns e ea 
er den paradoxen Ausdruck der „unsichtbaren T ie ip 
Dies geistreiche Wort hatte auf der Konferenz nic 

wollten Erfolg. 


Dr. Rathenau war noch mitten in seiner Rede, als Piz 
Nachricht kam, das Kabinett Briand sei soeben in Be he - 
worden. Damit wurde der Oberste Rat beschlußunfähig. 


147 
10* 


Konferenz in Cannes mußte abgebrochen werden, Um aber die 
Besprechung über die Reparation nicht ganz ohne Ergebnis zu 
lassen, wurde die anwesende Reparationskommission beauftragt, 
ihrerseits über den deutschen Moratoriumsantrag Beschluß zu 
fassen, So kam die Kommission, aus deren Händen die Ent- 
scheidung über das Moratorium erst genommen war, in seltsamer 
Weise wieder zu ihrem Recht, Weil der Oberste Rat nicht mehr 
beschlußfähig war, mußte er sich notgedrungen wieder an die 
Reparationskommission wenden. Diese beschloß am 13. Januar in 
Cannes, einen vorläufigen Zahlungsaufschub für die am 15. Januar 
und 15. Februar 1922 fälligen Barzahlungen zu gewähren. 
Während des Zahlungsaufschubs sollte Deutschland alle zehn 
Tage die Summe von 31 Millionen Goldmark zahlen, erstmalig 
am 18, Januar 1922. Weiter hatte die deutsche Regierung binnen 
fünfzehn Tagen der Kommission ein Reformprojekt für den Haus- 
halt und den Notenumlauf sowie einen Plan für die Barzahlungen 
und die Sachlieferungen für das Jahr 1922 einzureichen. 


Der auffallende Betrag von 31 Millionen Goldmark für je 
zehn Tage entsprach der Summe, die nach der Bestimmung des 
Garantiekomitees aus dem Ertrag der für die Reparation ver- 
pfändeten Zölle und der Abgabe von 25 Prozent auf die deutsche 
Ausfuhr alle zehn Tage als Sicherheit für die Reparations- 
zahlungen in Devisen hinterlegt werden mußte, 

So war das Ergebnis der Konferenz von Cannes, auf die man 
in England und Deutschland so große Hoffnungen gesetzt hatte, 
ein recht mageres geworden. An Stelle einer großzügigen Ent- 
scheidung durch den Obersten Rat erlangte man von der Repa=» 
rationskommission einen in jeder Hinsicht unbefriedigenden Auf- 
schub. Dieser belastete Deutschland mit schweren zehntägigen 
Zahlungen, ohne irgendwelche Gewähr für eine vernünftige Rege- 
lung auf längere Frist zu geben, Allerdings war einstweilen der 
Gefahr vorgebeugt, daß Deutschland wieder einmal in Zahlungs- 
‘ verzug kam und neuen Sanktionen ausgesetzt war. Aber der Kampf 
um das Moratorium nahm nun eigentlich erst seinen Anfang. 

Wie es geworden wäre, wenn Dr. Rathenau das Angebot der 
720 Millionen Goldmark sogleich angenommen hätte, läßt sich 


148 








schwer sagen. Vielleicht hätte ein rascher Entschluß auch die 
Entscheidung der Reparationskommission festgelegt und schon in 
Cannes ein Ergebnis gesichert, das erst nach Monaten unter un- 
säglichen Schwierigkeiten und viel zu spät zustande kam. 


In Cannes trat nach Schluß der Konferenz eine Kommission 
von alliierten Sachverständigen zusammen, um über die Be- 
dingungen eines Moratoriums für 1922 zu beraten. Ihr Bericht 
vom 14, Januar 1922 ging auch der deutschen Regierung ver- 
traulich zu. Er adoptierte die bereits genannten Zittern, nämlich 
Barzahlungen von 720 Millionen und Sachleistungen in Höhe von 
1450 Millionen Goldmark. Die Besatzungskosten für 1922 sollten 
nicht mehr als 220 Millionen Goldmark betragen und aus den 
deutschen Sachleistungen bestritten werden. Als Vorbedingung 
für das Moratorium sollte Deutschland eine Reihe von Garantien 
geben, die praktisch auf eine scharfe Kontrolle der deutschen 
Steuer- und Finanzgesetze durch das Garantiekomitee der Repa- 
rationskommission hinausliefen. Letzteres sollte seinen Sitz in 
Berlin nehmen. | 

DerBericht beschäftigte sich schließlich auch mit der Verteilung 
der deutschen Barzahlungen unter die Alliierten. Danach sollte 
Frankreich aus den Barzahlungen Deutschlands vom 1. Mai 1921 


bis Ende 1922 den Betrag von 140 Millionen Goldmark für Be- 


satzungskosten erhalten. England waren für den gleichen vz 
bereits früher 500 Millionen zuerkannt. Der gesamte Rest sollte 
an Belgien fallen. 

In wi sorgfältig vorbereiteten Note vom 28. Januar 1922 
legte Deutschland dem Verlangen der u ne 
entsprechend ein Reformprogramm für den Haushalt und den 
Notenumlauf nebst Garantien, ferner ein vollständiges ge 
für Barzahlungen und Sachleistungen im Jahre 1922 vor. Die Note 
verwies auf ein dem Deutschen Reichstag soeben vorgelegtes 
umfassendes Steuerprogramm (Steuerkompromiß), das durch er 
Reihe von erhöhten direkten und indirekten Steuern eine —— 
liche Steigerung der Einnahmen bringen sollte. Sie Br 
wesentliche Ersparnisse im Reichshaushalt an und stellte für Fos 


und Eisenbahn die Deckung der Betriebsausgaben durch die Be- 
149 


















































er u ln Zu ee Ka kn ee 


triebseinnahmen in Aussicht, Zur Bestreitung der Reparations- 
leistungen sollte ein Ueberschuß des Haushalts von 16% Milliarden 
Papiermark, damals gleich 300 Millionen Goldmark, erzielt 
werden. Ferner wurde der Versuch der Ausgabe einer inneren 
Anleihe und, unabhängig davon, die Auflegung einer Zwangs- 
anleihe versprochen, deren Ertrag den Gegenwert von einer 
Milliarde Goldmark bringen sollte und dazu bestimmt war, der 
Vermehrung der schwebenden Schuld Einhalt zu tun, Weiter sollte 
die Reichsbank vollkommen selbständig werden, indem durch 
Gesetz das bisher bestehende Recht des Reichskanzlers zu Ein- 
griffen in die geschäftliche Leitung der Reichsbank beseitigt wurde, 


Die Note betonte, daß die augenblickliche Zahlungsbilanz des 
Reiches mit etwa zwei Milliarden Goldmark im Jahre passiv sei 
und daß jede erhebliche Zahlung in Devisen den Markkurs von 
neuem erschüttern müsse, Dadurch würden alle inneren Ein- 
nahmen entwertet, alle Ausgaben gesteigert, die Inflation ver- 
mehrt und Deutschlands F ähigkeit zu Reparationsleistungen 
immer mehr geschwächt, Trotz dieser Bedenken nahm die deutsche 
Regierung die Ziffern von Cannes für 1922, nämlich 720 Millionen 
Goldmark bar und 1450 Millionen Goldmark Sachleistungen, an. 
Sie erklärte sich abermals bereit, mit allen verfügbaren Mitteln 
und Kräften an der Wiederherstellung der zerstörten Gebiete 
mitzuwirken, und schloß mit folgender Betrachtung: 


„Die deutsche Regierung ist der Meinung, daß die 
Regelung der Reparationsleistungen für das Jahr 1922 
allein nur einen ersten Schritt auf dem Wege zur Lösung 
des Reparationsproblems bedeutet. Das Programm für 1922 
beruht auf einem System, das, wie die vorliegenden Er- 
lahrungen ergeben haben, die deutsche Reparationsfähig- 
keit empfindlich schwächt, Monatlich oder vierteljährlich 
wiederkehrende Reparationszahlungen in fremder Währung 
verhindern Deutschland, seine Finanzen in Ordnung zu 
bringen. Es erscheint daher im Interesse aller beteiligten 
Länder geboten, für die deutschen Reparationsleistungen 
auf einer anderen Grundlage und auf längere Zeit Vorsorge 
zu treiien. Dies sollte schleunigst geschehen, da die Un- 


150 





gewißheit darüber, wie vom Jahre 1923 ab die deutschen 
Leistungen erfolgen sollen, auf die wirtschaftliche und 
finanzielle Lage nicht nur Deutschlands, sondern auch der 
alliierten Länder einen lähmenden Einfluß ausübt, 
Deutschland wird zur Leistung der Reparation nur dann 
imstande sein, wenn der Kredit des Inlandes und en 
landes für Finanzoperationen großen Stils in er 
genommen wird. Zurzeit wird aber die Kreditwürdigkeit 
Deutschlands weder von dem inländischen noch von dem 
ausländischen Anlagekapital anerkannt. Es a ee 
das Vertrauen, daß Deutschland imstande sein = u 
unter den gegenwärtig gegebenen Bedingungen a B 
lich so zu erstarken, daß es als ein zahlungs ä = 
Schuldner für eine große ee ee er 
erd ‚ Das Vertrauen der Welt ın sch 
por ernsten wiederherzustellen, ist die Vorbedingung 
für eine befriedigende Lösung des Problems. 


Die Entscheidung auf den deutschen Antrag En 
Reparationskommission rn =. 2. ine ne nei 

it, um einen Entschluß zu fassen. Nac ‚dem | 
cn Briand hatte .-— in ee nz 
Ü o n, Es stellte sich bald heraus, dab d r Wi | 
un Mitglieder der Be mZz 
Moratorium immer stärker wurde, Vertrauliche Rüc ee 
Paris ergaben, daß die Frage der Garantien - = et = 
Rolle spielte, In dieser Hinsicht befriedigte . ie ae 
deutschen Regierung nicht. Die vorgeschlagene . er 
einer Milliarde Goldmark fand keine ernsthafte a. _ . 
wurde auch gegenüber dem großen _. es 

aushalts nicht als ausreichend angesehen. | | 
E Als ich erkannte, daß das Moratorium nur gegen a 
Kontrollbefugnisse der Alliierten zugestanden wer hrs ae 
ich den Mitgliedern der Reparationskommission = a 
dagegen vor: Bei voller Würdigung der PRuZZ A 
keiten in den alliierten Staaten müsse man . weh 
die Kommission nicht etwa den Fehler mache, De 


151 













































































schroffe Garantievorschriften mit der einen Hand das wieder zu 
nehmen, was man an sachlichen Erleichterungen mit der anderen 
Hand geben wolle, Das Mißtrauen gegen die Kommission habe in 
Deutschland tiefe Wurzeln geschlagen. Wenn es nicht gelinge, das 
Vertrauen auf baldige Wiederkehr besserer Zeiten herzustellen, 
und wenn nicht die Entscheidung der Reparationskommission den 
Geist großzügigen Entgegenkommens und wirtschaftlichen Ver- 
ständnisses atme, dann werde es nicht einmal möglich sein, die 
720 Millionen Goldmark für das Jahr 1922 zu bezahlen, Man 
könne doch nicht wollen, daß Deutschland nach kurzer Zeit 
wiederkommen und erklären müsse, auch die ermäßigten Bar- 
zahlungen seien im Devisenmarkte nicht zu beschaffen. Und was 
solle dann werden? Solle etwa das Garantiekomitee selbst ver- 
suchen, die Maßnahmen in Deutschland durchzusetzen, welche 
nach Ansicht der Reparationskommission zu finanzieller Gesun- 
dung führten? Man müsse also die etwaigen Kontrollvorschriften 


sehr vorsichtig fassen, damit sie nicht unabsehbaren Schaden an- 
richteten, 


Aus gleichzeitigen Unterhaltungen mit Seydoux sah ich, daß 
auch die wirtschaftlich am weitesten blickenden französischen 
Kreise das Moratorium bekämpften, weil die damit erklärte 
deutsche Zahlungseinstellung einen üblen Eindruck mache und die 
schwierige Frage der Garantien aufrolle. Hierbei regte Seydoux 
wieder den Gedanken eines vorläufigen Reparationsplans bis zum 
1. Mai 1926 an. In dieser Zeit sollte Deutschland jährlich 720 
Millionen Goldmark in bar zahlen und innerhalb des Zahlungs- 
plans von London die Sachleistungen machen, welche die einzelnen 
alliierten Regierungen in Deutschland bestellen würden. Nach den 
vorliegenden Erfahrungen würden sich diese Sachleistungen, be- 
sonders an Frankreich, in mäßigen Grenzen halten, Das war im 
ganzen derselbe Plan, den ich schon in Amerika besprochen hatte, 
Er konnte aber wegen der vorgeschrittenen Verhandlungen über 
das Moratorium auch jetzt nicht weiter verfolgt werden. 


Inzwischen zahlte Deutschland alle zehn Tage die in Cannes 
provisorisch festgesetzten 31 Millionen Goldmark, Die Mark fiel 
weiter. Eine Zusammenkunft der alliierten F inanzminister in Paris 


182 





vom 8, bis 11. März 1922 verzögerte die Entscheidung der Repa- 
rationskommission noch mehr. Erst am 21. März kam ihr Beschluß 
zustande. Er setzte die Barzahlungen für 1922 in der Tat auf 
720 Millionen Goldmark fest. Die Summe wurde unter Anrechnung 
der von Januar bis März bereits gezahlten 282 Millionen Gold- 
mark so auf die einzelnen Monate verteilt, daß vom 15. Mai bis 
15, Oktober je 50 Millionen Goldmark und am 15. November und 
15, Dezember je 60 Millionen Goldmark zu zahlen waren. Sach- 
lieferungen wurden, wie vorgesehen, in Höhe von 1450 Millionen 
Goldmark verlangt, wovon 950 auf Frankreich und 500 auf die 
anderen Alliierten entfielen. Ferner wurde bestimmt, daß im 
Falle eines schuldhaften deutschen Verzuges in der Ausführung 
der Lieferungen ein etwaiger Fehlbetrag in bar zu u Bi 
Von der Zahlung der Besatzungskosten wurde Deutschland " reit. 
Sie waren aus den Sachlieferungen zu entnehmen. Der Za ren 
aufschub sollte nur einen vorläufigen Charakter haben. Die ” 
mission behielt sich vor, am 31. Mai nachzuprüfen, ob ars - 
land den in ihrem besonderen Schreiben an den ya . 
gestellten Bedingungen nachgekommen sei. Je nach den u - 
nissen der Prüfung sollte das Moratorium bestätigt oder NER: 
hoben werden. Im letzteren Falle waren die Kersanien, aufge- 
schobenen Leistungen unter dem Londoner Zahlungsp Dune 
Vermeidung von Sanktionen binnen vierzehn Tagen zu entrichten. 


Das besondere Schreiben der Kommission an den Pag 
kanzler nannte das Programm der deutschen ee ” is 
Ordnung des deutschen Haushaltes ungenügend. s er .. 
weiter den Plan der Auflegung einer inneren Zwangsan Moin 
für unbestimmt, Die Kommission verlangte, daß u. pen 
Lasten des Versailler Vertrages schrittweise und sc “ gräen 
Haushalt aufgenommen würden. Soweit die laufenden a. har 
des Reichs hierzu nicht ausreichten, müsse das a > = 
durch Anleihe oder direkte Abgaben herangezogen . er: - 
sehen von den durch das „Steuerkompromiß . er En 
Steuern sollte Deutschland bis zum 31. Mai 192 | = Be 
weitere Steuern in Höhe von 60 Milliarden ge ee 
Davon sollten 40 Milliarden bis zum 31. Dezember 


153 



























































Verlangt wurde ferner, daß die Steuersätze sich automatisch in 
dem Verhältnis erhöhten, in welchem die Verschuldung der 
deutschen Regierung bei der Reichsbank oder die Entwertung der 
Mark zunehme, Die nach diesem Programm zu schaffenden 
deutschen Steuergesetze sollten zwischen der deutschen Regierung 
und dem Garantiekomitee der Reparationskommission im einzelnen 
beraten werden. Das Garantiekomitee sollte eine ausgedehnte 
Kontrolle der deutschen Finanzen ausüben und das Recht er- 
halten, Vorschläge für die Abstellung von Mängeln in der Hand- 
habung des Haushalts zu machen. 


Das ganze Schreiben war auf einen scharfen Ton gestimmt, 
Für den bisher gezeigten guten Willen der deutschen Regierung 
und ihre Anstrengungen, der Reparationspflicht nachzukommen, 
gab es nicht ein Wort der Anerkennung, Der gewährte sachliche 
Aufschub wurde durch harte Kritik und Drohung vollständig 
wertlos gemacht. Daher fand die Entscheidung der Kommission 
die denkbar schlechteste Aufnahme in Deutschland. 


Am 30. März 1922 gab Dr. Wirth vor dem Reichstage eine 
ausführliche Erklärung ab, in der er mit auffallender Schärfe 
gegen die Reparationskommission auftrat. Das Verlangen, neue 
Steuern in Höhe von 60 Milliarden Papiermark zu schaffen, wies 
er als eine völlig unmögliche Zumutung ab: Die Reparations- 
kommission habe damit vor der ganzen Welt bewiesen, daß wirt- 
schaftliche Darlegungen der deutschen Regierung, so ernst und 
gewissenhaft sie auch seien, keinerlei Eindruck auf die Kom- 
mission machten. Zur Frage der Kontrolle erklärte der Reichs- 
kanzler: „Gegen das Prinzip muß ich schon heute im Namen der 
Reichsregierung schärfste Verwahrung einlegen. Auch erachte ich 
es mit dem Selbstbestimmungsrecht eines Volkes und mit der Ehre 
einer großen Nation für unvereinbar, daß man ihr fremde Organe 
zur Ueberwachung der einzelnen Zweige bestimmter ziviler Ver- 
waltungen beigibt. Wir haben auf dem Gebiete der Kontroll- 
kommissionen schon so trübe Erfahrungen hinter uns, daß es 
niemand bei uns verstehen würde, wenn dieses schikanöse, kost- 
spielige, gänzlich unproduktive System auch auf die deutsche 
Zivilverwaltung ausgedehnt würde,” 


154 





Dr. Rathenau, der den Entwurf zur Rede des Reichskanzlers 
geliefert hatte, unterstrich sie noch in eigenen Darlegungen. Er 
führte den Umschwung der internationalen Lage auf den Re- 
gierungsantritt Poincarös zurück, der den Kampf gegen England 
mit großem Erfolg auf allen Schauplätzen der Politik aufgenommen 
habe. Deutschland gegenüber habe sich das Vordrängen der fran- 
zösischen Politik in einem Hagel von Noten gezeigt, die von 
den interalliierten Militärkommissionen auf Deutschland nieder- 
geprasselt seien. Er habe zählen lassen, daß er im Laufe von won 
Monaten 100 Noten dieser Kommissionen zur Beantwortung - 
kommen habe, Man könne sich denken, daß es ‚nahezu einer 
Lahmlegung der Behörden gleichkomme, wenn sie ne 
seien, täglich und nächtlich an der Beantwortung We ’ r tm 
stücke zu arbeiten. Es liege etwas Tragisches darin, i a . M 
gegenwärtig stärkste Militärmacht der Welt, daß Fran reic ze 
seinem ganzen Tun und Handeln durch die pet. vor ein = 
deutschen Angriff bestimmt werde, vor einem Angril .. - 
kommen entwaffneten Landes, das kaum so viel Soldaten aui- 
bringe, um seine innere Ruhe zu erhalten. | 

Daß die deutsche Regierung mit diesen Reden den ke ameier, 
Beifall der großen Mehrheit des Reichstages erwarb, yon 5. 
Ebenso klar aber war es auch, daß sie sich damit - “— 
Reparationskommission öffentlich auf eine schroft e a 
Haltung festgelegt hatte. Aus den beiden Trägern = r . = 
politik, Rathenau und Wirth, waren Männer gewor = re = 
Kommission offene Fehde ansagten. Wie ist dieser 'an mn. 
erklären? Einen Grund hatte Dr. Rathenau schon in ne a 
angedeutet: die fortgesetzte Verärgerung und die re he 
bitterung der deutschen Regierung durch die ® - war 
tätigen Militärkommissionen der Alliierten. Schon der u .. 
von Rathenau als deutscher Außenminister, Dr. re .— a 
den täglichen Reibungen mit dem Chef der Kontrol ._— - 
Berlin zusammengebrochen. Wenn ein Minister fast we. gun: 
großen Teil seiner Zeit zur Beilegung der a nn rn 
welche eine übelwollende fremde Militärbehör e .- n ra 
Nachweis ihrer Existenzberechtigung zu führen, so 


155 





unmöglich, für internationale Wirtschaftsprobleme, wie die Repa- 
ration, seinen Körper frisch und seinen Geist frei zu halten. Die 
aufreibende Wirkung des Verkehrs mit dem fremden Militär 
äußerte sich nun auch bei Rathenau. Sie nahm ihm die frühere 
Frische und Unbefangenheit in der Behandlung der Reparation. 
Dazu kam aber wohl auch eine persönliche Verstimmung über die 
ihm bekannt gewordene abfällige Kritik, die sein Auftreten in 
Cannes im Auslande gefunden hatte, 


Wirth und Rathenau glaubten ebenso wie die früheren 
deutschen Regierungen, daß man auf die Reparationskommission 
nicht viel zu geben brauche, wenn sich die Möglichkeit bot, in 
unmittelbaren Verkehr mit den Chefs der alliierten Regierungen 
zu treten. Von dieser Verkennung der tatsächlichen und recht- 
lichen Verhältnisse ist Dr. Rathenau seit seinem Besuch in London 
. im Dezember 1921 nicht wieder losgekommen, Er dachte auch im 
März 1922 daran, daß er binnen kurzem Gelegenheit haben würde, 
den Streit um das Moratorium im direkten Verkehr mit Lloyd 
George auf der bevorstehenden Konferenz in Genua persönlich 
zu regeln, 

Die Reparationskommission war über den Eindruck, den ihre 
Note in Berlin gemacht hatte, ganz bestürzt, Man hatte in Paris 
geglaubt, daß die deutsche Regierung die Schwierigkeit der Sach- 
lage erfassen und die Note demgemäß aufnehmen würde. Es war 
den englischen und belgischen Vertretern in der Kommission nur 
nach schwerstem Kampf mit den Franzosen gelungen, die Ziffern 
von Cannes durchzusetzen. Um ein sachliches Entgegenkommen 
der Franzosen zu erreichen, war man genötigt gewesen, in der 
Note selbst eine scharfe Tonart anzuschlagen, die durch die fran- 
zösische Mitwirkung bei der Redaktion noch verschlimmert wurde. 


Nach dem deutschen Entrüstungssturm war die Lage gefährlich 
geworden, Alles kam darauf an, daß die deutsche Regierung nicht 
durch eine schroffe Antwort die Brücken zur Verständigung 
abbrach. Ich wurde wieder nach Paris geschickt und schlug nach 
Besprechung mit mehreren Mitgliedern der Reparationskommission 
der deutschen Regierung folgende Erklärung vor: „Deutschland 
versteht, daß die Forderung neuer Steuern auf die Balancierung des 


156 





Haushalts 1922 abzielt. Der von der Kommission gewollte Erfolg 
wird bestimmt erreicht durch die Ausgabe der Zwangsanleihe. 
Außerdem erwartet die Regierung noch erhebliche Mehreingänge 
aus bereits bestehenden Steuern. Sie wird weiterhin bemüht sin, 
neue Steuern zu schaffen, hält aber angesichts der ganzen Ver- 
hältnisse die Aufbringung eines bestimmten Betrages bis zum 
31, Mai für äußerst schwierig, wenn nicht unmöglich, Deutschland 
wird ferner das Aeußerste tun, um durch Aufnahme freiwilliger 
Anleihen Fehlbeträge des Haushalts zu finanzieren. Hierfür ist 
aber eine Besserung der Mark und die Rückkehr des Vertrauens 
nötig. Beides wird am besten durch die Ausgabe einer inter- 
nationalen Anleihe zu erreichen sein.” 

Die Antwort in bezug auf die Kontrolle empfahl ich Berlin be- 


sonders vorsichtig abzufassen, weil, genauer besehen, die ein- 
schlägigen Forderungen der Note vom 21. März mehr oder weniger 


Redensarten waren und eine effektive Kontrolle der Einnahmen 


und Ausgaben gar nicht verlangt wurde. Deutschland solle sich 
vor allem bereit erklären, über alle Punkte der Reparationsnote 
sofort in weitere Besprechungen einzutreten. 


Obwohl mein Rat auch von dem deutschen Botschafter unter- 
stützt wurde, lautete die deutsche Antwort, die am 7. April abge- 
geben wurde, doch ganz anders. Sie verbreitete sich eingehend 
über den weiteren Fall der Mark unter dem Eindruck der letzten 
Note der Reparationskommission und über die dadurch hervor- 
gerufene Teuerung in Deutschland, regte eine nochmalige Prüfung 
der’Sachlage und die Anstellung eines Vergleichs zwischen der 
Steuerlast in Deutschland und in den alliierten Ländern an, sprach 
über die Notwendigkeit einer internationalen Anleihe für die 
Reparation und die Stabilisierung des Markkurses, lehnte dann 
aber mit aller Bestimmtheit die von der Kommission verlangte 
Einführung von neuen Steuern und jede Kontrolle ab, die mit der 
deutschen Finanzhoheit nicht vereinbar sei oder dem Ausland 
einen maßgebenden Einfluß auf die Gesetzgebung im einzelnen 
verschafie. h 

Die deutsche Antwort wurde in Paris am Tage der Eröffnung 
der Konferenz von Genua überreicht, 


157 









































SIEBZEHNTES KAPITEL 
RAPALLOVERTRAG UND REPARATION 


Bei den Besprechungen in Cannes Anfang Januar 1922 hatte 
der Oberste Rat der Alliierten auf den Vorschlag Englands be- 
schlossen, eine internationale Konferenz nach Genua einzuberufen. 
Sie sollte eine umfassende Aussprache über wirtschaftliche und 
finanzielle Fragen bringen, Alle europäischen Staaten, auch 
Deutschland, Oesterreich, Ungarn, Bulgarien und Rußland, wurden 
eingeladen, damit endlich einmal ein wesentlicher Schritt auf dem 
Wege zum wirtschaftlichen Wiederaufbau Mittel- und Osteuropas 
getan werden konnte. Auf Betreiben der französischen Regierung 
wurde die Besprechung des Reparationsproblems offiziell von dem 
Programm der Konferenz ausgeschlossen, Poincar& machte dies zur 
Bedingung der französischen Teilnahme, Er ließ in einer Note vom 
15, Februar die vielfachen Bedenken der französischen Regierung 
in bezug auf die Tagesordnung der Konferenz niederlegen und er- 
langte von Lloyd George bei einer Zusammenkunft in Boulogne 
das Versprechen, daß in Genua Beschlüsse über Reparation nicht 
gefaßt werden dürften. Jedermann war sich darüber klar, daß es 
zwecklos sei, über die Wirtschaftslage Europas zu sprechen, wenn 
man nicht ihren Zusammenhang mit der Reparation und den 
internationalen Schulden berührte, Immerhin nahm Lloyd George 
die Bedingung Poincares an, wohl weil er hoffte, daß die Macht 
der wirtschaftlichen Notwendigkeiten stärker sein werde als 
politische Engherzigkeit, und daß der ungezwungene Verkehr der 
alliierten und deutschen Regierungsvertreter im Verlaufe der 


158 








Konferenz schließlich auch der Lösung der Reparationsfrage 
förderlich sein werde, 

Während von fast allen übrigen Staaten die Premierminister 
persönlich an der Konferenz teilnahmen, ließ sich Poincare 
ostentativ in Genua durch Barthou vertreten. Von der deutschen 
Regierung gingen außer dem Reichskanzler Dr. Wirth der Außen- 
minister Dr. Rathenau, der Finanzminister Hermes und der Wirt- 
schaftsminister Schmidt nach Genua. Die Konferenz trat am 
10. April 1922 zusammen. Zuerst ließ sich alles gut an. Die 
deutschen Vertreter wurden in alle Kommissionen hineingewählt, 
Ihre Darlegungen, besonders auf finanziellem und wirtschaft- 
lichem Gebiete, fanden stets große Beachtung. Es entwickelte sich 
gleich ein zwangloser und geselliger Verkehr mit den Vertretern 
der übrigen Mächte, so daß die Hoffnung berechtigt war, die 
Konferenz von Genua werde einen wirklichen Fortschritt in den 
internationalen Beziehungen bringen. Auch die Reparationsfrage 
wurde trotz des offiziellen Verbotes in privaten Besprechungen 
außerhalb des Programms der Konferenz behandelt. Ein ein- 
wandfreier Anlaß dazu war gegeben. Am 4. April 1922 hatte die 


 Reparationskommission beschlossen, ein Komitee von Sachver- 


ständigen zu berufen, um die Frage zu prüfen, unter welchen 

Bedingungen die deutsche Regierung Anleihen im Auslande auf- 

nehmen könne, deren Erlös zur teilweisen Tilgung der deutschen 

Reparationsschuld verwendet werden solle. Das Komitee sollte 

untersuchen: | 

1. die Bedingungen, unter denen die Anleihen aufgenommen 
werden könnten, sowie den Betrag, den man voraussichtlich in 
der nächsten Zukunft, vor allem im Laufe eines jeden der 
beiden nächsten Jahre, würde beschaffen können, [ir 

2. die Sicherheiten, die für die Anleihegläubiger ohne unbillige 
Schädigung der künftigen Reparationsinteressen bestellt werden 
könnten, 

3. die Art und Weise der Beaufsichtigung und Verwaltung der 
für den Dienst der Anleihe zu bestimmenden Einkünfte sowie 
die Beziehungen zwischen der deutschen Regierung, den Ver- 
tretern der Anleihegläubiger und der Reparationskommission. 


159 


















































Den Vorsitz im Komitee übernahm Minister Delacroix, erster 
belgischer Delegierter bei der Reparationskommission, Stellver- 
tretender Vorsitzender wurde D’Amelio, zweiter italienischer 
Delegierter bei der Reparationskommission. Außerdem sollte je ein 
englischer, französischer, amerikanischer, deutscher und neutraler 
Sachverständiger Mitglied des Komitees werden. Verschiedene 
dieser Persönlichkeiten, darunter der Vorsitzende Delacroix, 
nahmen an der Konferenz in Genua teil und benutzten die Ge- 
legenheit, in aller Ruhe die Arbeiten des Komitees der Sach- 


verständigen vorzubereiten, Dabei einigte man sich auf folgendes 
Programm: 


Eine Gesamtregelung der Reparation sei so lange nicht zu 
erreichen, als die Frage der interalliierten Schulden noch offen 
bleiben müsse, Wenn man aber, wie einflußreiche englische 
Finanzkreise es wollten, die Dinge weiter treiben lasse, so müsse 
eine Verschärfung der politischen und wirtschaftlichen Lage ein- 
treten, die in kurzer Zeit zum völligen Zusammenbruch Deutsch- 
lands und vielleicht auch anderer Länder führen werde, Deshalb 
sei eine vorläufige Regelung der Reparation auf etwa vier Jahre 
in der Weise anzustreben, daß Deutschland jährlich 720 Millionen 
Goldmark in bar zahlen und daneben Verträge über Sachleistungen 
mit den einzelnen alliierten Staaten schließen solle. Die vier 
Annuitäten von 720 Millionen seien durch eine internationale 
Anleihe zu finden, die zu einem Teil in Deutschland, zu einem 
andern Teil auf den internationalen Märkten aufgelegt werden 
könne, Der Gesamtbetrag der Anleihe solle vier Milliarden Gold- 
mark betragen, um aus dem Erlös auch die Mitte] für die Anleihe- 
zinsen der ersten Jahre zu beschaffen. Etwa eine halbe Milliarde 
des Erlöses solle zur Stabilisierung des Markkurses dienen, Als 
Sicherheit für die Anleihe seien die deutschen Zolleinnahmen zu 
bestellen. Die Reparationskommission solle den Anleihegläubigern 
ein dauerndes, unbedingtes Vorrecht vor den Reparations- 
ansprüchen der Aliierten gewähren. Abgesehen von den ge- 
nannten Leistungen solle Deutschland auf die Dauer von vier 
Jahren von allen sonstigen Zahlungsverpflichtungen aus dem 
Versailler Vertrage befreit bleiben. 


160 








Dieser Plan war bis in die Einzelheiten vorbereitet, Er wurde 
auch mit Seydoux und anderen französischen Sachverständigen in 
Genua besprochen und von ihnen gebilligt. Wir waren gerade da- 
bei, die anwesenden Vertreter der internationalen Bankwelt für die 
Sache zu interessieren, als der Abschluß des Vertrages von Rapallo 
die ganze mühselige Vorarbeit mit einem Schlage vernichtete, 


Es wird nützlich sein, mit einigen Worten auf dieses Ereignis 
einzugehen, das seinerzeit großes Aufsehen erregte und einen 
Zeitungskrieg entfesselte, der auf beiden Seiten die wirklichen 
Vorgänge entstellt hat. 


Schon lange vor der Konferenz von Genua verhandelte 
Deutschland mit Rußland über eine Regelung der gegenseitigen 
Beziehungen. Der im Frühjahr 1918 zwischen den beiden Staaten 
abgeschlossene Friede von Brest-Litowsk war durch Artikel 116 
des Versailler Vertrages aufgehoben, wobei die Alliierten alle 
Rechte Rußlands auf Wiedergutmachung Deutschland gegenüber 
nach den Grundsätzen des Vertrages von Versailles sich aus- 
drücklich vorbehalten hatten. Diese Bestimmung schwebte wie ein 
Damoklesschwert über Deutschland, Es war nicht möglich, die 
friedlichen Beziehungen mit Rußland wieder herzustellen, wenn 
nicht die Drohung der Reparation der russischen Kriegsschäden 
aus dem Wege geräumt war. Daher wurde in Verhandlungen 
zwischen Deutschland und Rußland ein Vertrag entworfen, nach 
welchem das Deutsche Reich und die Sowjet-Republik gegenseitig 
auf den Ersatz ihrer Kriegskosten und Kriegsschäden jeder Art 
verzichteten. Der Entwurf sah ferner die sofortige Wiederaufnahme 
der diplomatischen und konsularischen Beziehungen der beiden 
Länder sowie den Grundsatz der Meistbegünstigung im beider- 
seitigen Wirtschaftsverkehr vor. Das war ein sehr zweckmäßiger 
und normaler Vertrag, frei von jeder Vereinbarung, die etwa be- 
rechtigten Interessen Dritter schädlich werden konnte. Vor a 
enthielt er — entgegen dem, was in den Zeitungen immer wieder 
fälschlich behauptet worden ist — keinerlei N 
politischer oder militärischer Art. Der Vertrag war fertig. _ ätte 
recht gut schon mehrere Wochen vor der Konferenz in 
gezeichnet werden können. Aus irgendwelchen Gründen diplo- 


Bergmann, Der Weg der Reparation 11 161 





matischer Schwerfälligkeit verzögerte sich der Abschluß. In Genua 
nahmen die politischen Vertreter Deutschlands und Rußlands die 
Besprechungen über die Zeichnung des Vertrages wieder auf, 


Nun hatten die alliierten Sachverständigen schon vor Genua in 
London ein Memorandum vorbereitet, das Vorschläge für die Rege- 
lung der internationalen Beziehungen zu Rußland enthielt. Dabei 
war der Artikel 116 des Vertrages von Versailles nicht berück- 
sichtigt. Das erregte auf deutscher Seite begreifliches Mißtrauen. 
Es kam hinzu, daß die Unterkommission der Konferenz in Genua, 
welche die russischen F ragen behandelte, aus taktischen Gründen 
beschloß, daß zunächst die Alliierten allein, ohne Zuziehung der 
deutschen Vertreter, mit den russischen Delegierten sprechen 
sollten. Lloyd George glaubte offenbar, der Schwierigkeiten im 
diplomatischen Verkehr mit den ihm unbekannten Sowjetleuten 
und den deutschen Vertretern besser Herr werden zu können, 
wenn er erst einmal getrennt mit ihnen verhandele, Dabei übersah 
er aber, daß die Deutschen in diesem Vorgehen eine Falle wittern 
könnten, In der Tat entstand bei der deutschen Delegation die 
ernste Besorgnis, daß in den Vorbesprechungen der Alliierten mit 
den Russen das Londoner Memorandum der alliierten Sachver- 
ständigen, so wie es war, angenommen werden könnte und daß 
dann die Regelung der deutschen Sonderbeziehungen zu Rußland 
nicht mehr in der vereinbarten Weise möglich sein würde. Es heißt, 
daß Dr. Rathenau mehrfach vergebliche Versuche gemacht habe, 
Lloyd George zu sprechen, um ihm die Gefahren auseinanderzu- 
setzen, die der Ausschluß der Deutschen aus den russischen Ver- 
handlungen mit sich bringe, Ferner wird von deutscher Seite ver- 
sichert, daß mehrere alliierte Verbindungsleute darauf aufmerksam 
gemacht worden seien, daß Deutschland sich gezwungen sehe, ein 

‚Sonderabkommen mit Rußland zu treffen, wenn es nicht zu den 
Beratungen der russischen F ragen rechtzeitig hinzugezogen würde. 
Wie dem auch immer sei: der deutschen. Delegation wurde plötz- 
lich das bestimmte Gerücht zugetragen, die Alliierten ständen 
im Begriffe, mit den Russen abzuschließen, ohne die deutschen 
Wünsche auf Beseitigung des gefährlichen Artikels 116 des Ver- 
trages von Versailles zu beachten. Das brachte Dr. Wirth zu der 


‚162 








Ueberzeugung, er müsse von der Bereitschaft der Russen, jetzt den 
Vertrag mit Deutschland zu zeichnen, sofort Gebrauch machen. 


Es ist eine Fabel, daß Dr, Rathenau die Triebfeder des Ver- 
trages von Rapallo gewesen sei. Er hat ernstliche Bedenken 
dagegen gehabt und sich erst dazu bestimmen lassen, mit den 
Russen abzuschließen, als ihm klar wurde, daß Dr. Wirth den 
Vertrag auch ohne ihn zeichnen würde. Nachher hat er allerdings 
stets die volle Verantwortung für den Abschluß auf seine Schultern 
genommen, So fuhr er am Ostersonntag 1922, während die ganze 
Konferenz feierte, zu den Russen nach Rapallo hinaus tınd brachte 
am Abend den gezeichneten Vertrag nach Genua zurück. Die 
Nachricht dieses Abschlusses wirkte in Genua wie ein Blitzschlag 
aus heiterem Himmel. Wer es nicht miterlebt hat, kann sich keine 
Vorstellung von der Aufregung und der Erbitterung in den Kreisen 
der Teilnehmer an der Konferenz machen. Das deutsche Vorgehen 
fand bei niemand: Verständnis, Auch die Neutralen, besonders 
aber die Italiener stellten mit aufrichtigem Bedauern fest, daß die 
Stimmung von Genua durch den Vertrag von Rapallo gründlich 
verdorben sei. Die Sympathie, welche das Auftreten der Deutschen 
in Genua bis dahin gefunden hatte, war mit einem Schlage in das 
Gegenteil verwandelt. Es herrschte allgemeine Empörung darüber, 
daß Deutschland in unbegründetem Argwohn gegen die Absichten 
der Konferenz hinter dem Rücken aller anderen Delegationen 
seine Interessen Rußland gegenüber eigensüchtig wahrgenommen 
und damit die gemeinsame Arbeit der Konferenz gesprengt habe, 
In Kreisen, die Deutschland wohlwollten, beklagte man es sehr, 
daß die Franzosen aus der unbequemen Isolierung, in die sie durch 
die engherzigen Richtlinien Poincares versetzt worden waren, so 
wundervoll herausgekommen seien. Denn nun konnten die Fran- 
zosen mit einem gewissen Recht behaupten, ihr tiefes Mißtrauen 
gegen die deutsche Verhandlungsehrlichkeit sei durch den Vorgang 
von Rapallo nur allzu sehr gerechtfertigt. | 

Bei den Mitgliedern der deutschen Delegation, deren Mehrzahl 
von der Tatsache der Zeichnung des Vertrages von Rapallo ebenso 
überrascht wurde wie die Außenwelt, waren die Ansichten sehr 
geteilt. Viele meinten, daß die politischen Vorteile, die der Vertrag 


11* 163 












































mit Rußland vielleicht in Zukunft bringen könnte, nicht entfernt 
den Schaden aufwiegen würden, den das deutsche Ansehen in der 
Welt und die Aussicht auf eine baldige Regelung der Reparation 
durch den Vertrag gelitten hätten, 

In einer von allen alliierten Vertretern gezeichneten Note vom 

18, April 1922 wurde Deutschland mit bitteren Worten der Vor- 
wurf illoyaler Handlungsweise gemacht, weil es im geheimen ein 
Abkommen mit Rußland getroffen habe, das gerade die Fragen 
behandele, die Deutschland sich verpflichtet hatte, in loyaler Zu- 
sammenarbeit mit den Vertretern der anderen Länder zu erörtern. 
Deutschland wurde bis zum Schluß der Konferenz von der 
Diskussion eines Abkommens mit Rußland ausgeschlossen. Eine 
Gegenäußerung der deutschen Regierung, die aufklären und ein- 
lenken sollte, war ohne Wirkung. Der politischen Maßregelung 
Deutschlands in Genua entsprach die gesellschaftliche Behandlung 
seiner Vertreter. Sie wurden, wo es irgend anging, auf Festen und 
bei sonstigen Zusammenkünften direkt geschnitten, auch von den 
Neutralen. Das besserte sich mit der Zeit, aber das bittere Gefühl 
der Aechtung blieb bis zum Schluß, | 

Die Konferenz von Genua fristete von da ab ihr Leben mit 
Arbeiten, die nur formale und akademische Bedeutung hatten, Mit 
dem Tage von Rapallo war jede Aussicht auf einen wirklichen 
Erfolg der Konferenz in politischen oder wirtschaftlichen Fragen 
verschwunden. Statt freudiger Zusammenarbeit beherrschte bitteres 
Mißtrauen das Feld der Konferenztätigkeit. Daran änderte auch 
die glänzende Schlußrede Rathenaus nichts. Der rauschende Bei- 
fall, den er damit erzielte, galt der rednerischen Leistung, nicht 
der Politik des Landes, das er vertrat. 

Ueber die Reparation konnte man seit Rapallo in Genua mit 
niemand mehr sprechen, Seydoux, in dessen Hotelzimmer wir 
bisher jeden Tag den oben geschilderten Reparationsplan ein- 
gehend besprochen hatten, ließ mir sagen, er könne mich jetzt 
‚nicht mehr sehen, so leid ihm das auch persönlich tue, 

Derweilen feierte man zu Hause in Deutschland die mann- 
hafte Tat von Rapallo und den endlich gefaßten Entschluß der 
deutschen Regierung, eine aktive auswärtige Politik zu betreiben, 
Auf die Früchte des Vertrages von Rapallo warten wir noch heute, 
164 | 








ACHTZEHNTES KAPITEL 


DAS ANLEIHEKOMITEE 
DER REPARATIONSKOMMISSION 


Das Verhältnis der deutschen Regierung zur Reparations- 
kommission hatte sich mittlerweile verschärft, doch gelang es 
persönlicher Einwirkung auf Mitglieder der Kommission, einen 
direkten Bruch zu verhindern. Eine Note der Kommission vom 





13. April gab durch ungewohnt milde Tonart den Willen zur 


Einigung kund. Sie erklärte, daß die Erfüllung der für das Mora- 

torium gestellten Bedingungen auch im deutschen Interesse, vor 
allem zur Vorbereitung einer Anleihe nötig sei, und daß man der 
deutschen Souveränität nicht zu nahe treten wolle. Die Kom- 
mission wolle jeden praktischen Vorschlag prüfen, den > 
deutsche Regierung vorlege. Ein weiterer kurzer NV 
aber erregte neue Mißverständnisse, so daß die Lage Anfang Nai 
wieder sehr kritisch war. Abermals wurde es nötig, durch ap 
liche Beziehungen vermittelnd einzugreifen. Die deutsche ae 
gierung war letzthin ganz in den alten Fehler a en 
Verkehr mit der Reparationskommission im Wege des eo 
wechsels zu führen. Wenn die bestehende Spannung an 

noch zu beseitigen war, so konnte das nur durch = 
sprache mit einem verantwortlichen deutschen Vertreter geschel : ; 
Daher wurde in Genua angeregt, daß der deutsche Finanzminis ’ 
Hermes, der sich durch sein Auftreten in der a = 
Genua überall Sympathien erworben hatte, nach ee gehen Bi 
um in Einzelbesprechungen mit den Mitgliedern der -_ u. 
kommission eine Verständigung anzubahnen. Etwa gleichze: 


165 


sollten die Verhandlungen des internationalen Anleihekomitees in 
Paris beginnen, Ihr Erfolg hing davon ab, daß der Streitfall mit 
der Reparationskommission beigelegt wurde, 

In stiller und zäher Arbeit in Paris mußte ich den Frieden 
mit der Kommission vorbereiten. Die deutsche Regierung gab am 
9, Mai 1922 eine zwischen Mitgliedern der Kommission und mir 
vereinbarte Erklärung ab. Sie änderte sachlich den deutschen 
Standpunkt nicht, gab aber den Wunsch zu erkennen, so weit wie 
möglich den Anschauungen der Kommission gerecht zu werden. 
Minister Hermes konnte nun am 13, Mai nach Paris kommen, Er 
stellte fest, daß. die. Kluft, die der frühere Notenwechsel gerissen 
hatte, schwer zu überbrücken sein würde, Die Kommission war 
der Ansicht, daß die deutsche Regierung nichts anderes bezweckt 
habe als eine Herausforderung. Wenn der Besuch von Dr: Hermes 
sie darüber eines besseren belehrte, so blieb noch immer: die Auf- 
gabe, die beiden in ihre enigegengesetzten Thesen verbissenen 
Parteien einander sachlich: näher. zu bringen. Nach zehn mühe- 
vollen Tagen war endlich die erlösende Formel gefunden! Deutsch- 
land sollte die Forderungen: der Kommission vom 21..März 1922 
grundsätzlich anerkennen, dabei 'aber erklären, daß einige dieser 
Forderungen zurzeit nicht zu erfüllen seien, Die deutsche Re: 
gierung sollte sich dabei zum erstenmal verpflichten, ‚das An- 
schwellen .der 'schwebenden Schuld zu ‚beschränken, Gerade 
dieser Punkt, der eigentlich selbstverständlich sein mußte, gab 
zu: den schwersten Bedenken auf deutscher Seite Anlaß: Man 
stand in Berlin eben auf dem Standpunkt, daß es unmöglich ;sei, 
das, Anwachsen der schwebenden Schuld zu verhindern, solange 
die Reparationsfrage nicht befriedigend gelöst sei, Auf Vorschlag 
des ‚englischen Delegierten Bradbury wurde schließlich diese 
Verpflichtung dahin gemildert, daß sie nur gelten. sollte, wenn 
Deutschland eine angemessene Hilfe durch eine auswärtige An- 
leihe erhielte, Unter dieser Voraussetzung sollte die deutsche 
Regierung sich binden, die schwebende Schuld nicht über den 
Stand vom 31; März 1922 anwachsen zu lassen und eine etwaige 
Vermehrung nach drei Monaten 'zu beseitigen, notfalls durch 
neue Steuern, Die in Ausführung des Vertrages von Versailles 


166 








gezahlten Beträge sollten bei der Berechnung des Zuwachses der: 
schwebenden Schuld Deutschlands außer Betracht bleiben und 
aus der erwarteten ausländischen Anleihe abgedeckt werden. 
Die Berliner Regierung wehrte sich gegen diese in Paris ver- 
einbarte Formel mit Händen und Füßen. Sie sah darin eine Falle. 
Schließlich verlangte sie einen Zusätz des Inhalts, daß die ganze 
Abmachung :im Falle: höherer Gewalt nicht: gelten solle, Der 


‚Zusatz wurde abgelehnt, weil er selbstverständlich war, aber auch 


weil: die Kommission befürchtete, daß er als Hintertür zum Ent- 
wischen' ats der Verpflichtung benutzt werden könnte. Man sieht, 
wie weit das gegenseitige Mißtrauen gediehen war. | u 
Die Kontrollrechte der Reparationskommission wurden dahin 
präzisiert, daß sie der Souveränität der deutschen ‚Regierung 
keinen Eintrag tun, die Verwaltung nicht stören und das Steuer-, 
geheimnis nicht verletzen sollten, Die Gesetze gegen die Kapital- 
flücht sollten im Benehmen mit dem Garantiekomitee erweitert 
und das aus dem Lande geflüchtete Kapital sollte mit Hilfe einer 
äußeren oder inneren Änleihe zur Rückkehr veranlaßt werden. 
Die Reichsbank war inzwischen durch Gesetz vom 23. Mai 1922 
für vollkommen selbständig erklärt worden. Die Handelsstatistik 
sollte in derselben Weise wie:vor dem Kriege wieder aufge- 
nommen werden. © 1 ase and. SniIMEh ann. PA 
© Nach Berlin zurückgekehrt, brachte Dr. Hermes das Kabinett 
dazu, daß es die vorgeschriebene Erklärung an die Reparations- 
kommission in einer Note vom 28. Mai 1922 abgab. Bestimmend 
war dabei vor allem die Rücksicht auf das Anleihekomitee der 
Reparationskommission, das inzwischen erklärt hatte, es könne 
seine Arbeiten nur fortsetzen, wenn eine Einigung zwischen der 
Kommission und der deutschen Regierung zustande komme, Als 
Anhang zu der Note vom 28. Mai wurde ein Haushaltsplan ein- 
gereicht, Er zeigte einen Ueberschuß der Gesamteinnahmen über 
die inneren Ausgaben des Reiches von etwa 70 Milliarden Papier- 
mark -— damals eine Milliarde Goldmark —, die für die Ver- 
pflichtungen aus (dem: Vertrage von Versailles verwendet werden 


sollten, In einem weiteren Schreiben des. Reichskanzlers an .die 


Kommission vom 30, Mai: 1922 würde mitgeteilt, daß an Stelle der 
167 



































von der Kommission verlangten 60 Milliarden neuen Steuern eine 
Zwangsanleihe in gleicher Höhe aufgelegt werden würde, auf 
welche schon im Laufe des Jahres 1922 40 Milliarden Mark ein- 
gehen sollten. Der Gesetzentwurf hierfür lag bereits dem Reichs- 
tage vor, a) 

Die Antwort der Kommission erging am 31. März 1922. Sie 
stellte fest, daß die deutsche Regierung mit den von ihr ergriffenen 
und weiter in Aussicht gestellten Maßnahmen sich ernstlich be- 
mühe, den Forderungen der Kommission nachzukommen, und 
bewilligte nunmehr ohne weitere Bedingungen den am 21. März in 
Aussicht gestellten Teilnachlaß der Zahlungen für das Jahr 1922, 
Die Kommission behielt sich aber jederzeit das Recht vor, den 
Nachlaß aufzuheben und damit den Zahlungsplan von London 
wieder in Kraft zu setzen, sobald Deutschland den übernommenen 
Verpflichtungen irgendwie nicht nachkommen würde. Verschiedene 
noch offene Fragen sollten durch eine weitere Mitteilung der 
Kommission an den Kanzler geregelt werden. 


So war denn nach vielen Mühen der monatelange Streit zwischen 
der Reparationskommission und der deutschen Regierung not- 
dürftig beigelegt. Ein rechtes Gefühl der Befriedigung über diesen 
Ausgang konnte auf keiner Seite aufkommen. Der Riß war ge- 
flickt, aber noch deutlich zu sehen, Die kleine Atempause für 
Deutschland war durch die Möglichkeit der Zurücknahme in 
Frage gestellt. 

Das von der Kommission angekündigte weitere Schreiben er- 
ging am 14, Juni 1922, Es beschäftigte sich mit einigen Einzel- 
heiten, vor allem mit der Selbständigkeit der Reichsbank, und 
brachte keine Ueberraschungen. 

Das Anleihekomitee der Reparationskommission war am 
24. Mai 1922 unter dem Vorsitz von Delacroix in Paris zusammen- 
getreten. Mitglieder waren: J. Pierpont Morgan (Vereinigte 
Staaten), Sir Robert Kindersley (England), Sergent (Frankreich), 
D’Amelio (Italien), Delacroix (Belgien), Vissering (Holland) und 

ich. Die Arbeiten begannen mit einer allgemeinen Aussprache 
über die Möglichkeit einer internationalen Reparationsanleihe, 
Ueber die Notwendigkeit einer solchen Anleihe für die Gesundung 


168 











der Finanzen von Deutschland und von ganz Europa waren alle 
Mitglieder einig. Auch wurde allgemein anerkannt, daß die 
Stimmung der Anlagemärkte für den Absatz einer Reparations- 
anleihe günstig sei. Morgan betonte allerdings, daß der amerika- 
nische Markt zurzeit nur mit großem Widerwillen an europäische 
Werte herangehe, weil die öffentliche Meinung in Amerika der 
internationalen politischen Wirren überdrüssig und europamüde 
sei, Diese Atmosphäre unfreundlicher Gleichgültigkeit aber könne 
unter zwei Voraussetzungen leicht überwunden werden. Erstens 
müsse man Amerika überzeugen, daß die Anleihe von den 
alliierten Völkern gewünscht werde und ihnen zugute komme. 
Das könne sich nicht besser offenbaren als durch die tätige Mit- 
wirkung der Bankwelt in den alliierten und neutralen er: 
bei der Emission der Anleihe. Zweitens müsse Deutschland durc 
die Sicherheiten, die es für die Anleihe einräume, und die Ordnung 
seiner inneren finanziellen Lage den festen Willen zu er 
geben, daß es die Anleiheverpflichtungen auf sich nehmen wol e, 
um seinen Kredit in der Welt wieder herzustellen. Wenn diese 
beiden Vorbedingungen gegeben seien, würde die Reparations- 
anleihe auch in Amerika Erfolg haben. | 
Mit dieser Erklärung stand fest, daß eine internationale An- 

leihe für Deutschland nur zustande kommen konnte, ie m 
nächst einmal die gleichzeitig schwebenden Besprec ungen 
zwischen der deutschen Regierung und der BapikentioneSpEuEEEn 
einen guten Ausgang nahmen. Das wurde durch den w # . 
wechsel vom 28.131. Mai 1922 erreicht. Nunmehr konnte sic .. 
Komitee an seine eigentliche Aufgabe machen. Die Ber age 
waren dazu benutzt worden, genaue Auskunft über die . 
zielle und wirtschaftliche Lage Deutschlands zu gewinnen nen 
die verschiedenen Möglichkeiten der Ausstattung u ” Ai 
nationalen Anleihe zu besprechen. Dabei war ee _ 
Anfang herrschende kühle Zurückhaltung dem a 
gegenüber gewichen. Denn auch in die Kreise - | ar a 
hatte der Vertrag von Rapallo seine verderbliche ir ee in 
Von dem französischen Mitglied in die Debatte v. er 
Mißtrauen Frankreichs gegen die deutsche Verhandlungs 


169 





begründen, wurde der unglückselige Vertrag auch von Kindersley 
und Morgan mir gegenüber zur Sprache gebracht. Beide erklärten, 
daß sie es abgelehnt haben würden, dem Anleihekomitee beizu- 
treten, wenn der Vertrag von Rapallo bei ihrer Berufung in das 


Komitee schon vorgelegen hätte, Es war. für mich nicht leicht, die 


schlechte Stimmung im Komitee’ zu überwinden. 


2 Nun aber tauchte eine neue Schwierigkeit auf: abgesehen von 
dem französischen Mitglied hielt das Komitee eine Anleihe nur 


dann für aussichtsreich, wenn die Reparation auf eine Reihe von 
Jahren hinaus geregelt würde, Man dürfe daher nicht einfach im 
Rahmen des Vertrages von Versailles und des Londoner Zahlungs- 
planes versuchen, mechanisch einen Teil der deutschen Verpflich- 
tungen im Anleihewege zu begleichen, sondern müsse feststellen, 
welche Reparationslast von Deutschland und von den: Anleihe- 
gläubigern als tragbar anerkannt würde. Ohne die Wiederher- 
stellung des deutschen Kredits nach innen und außen sei’ die 
Emission einer Reparationsanleihe nicht möglich.’ Die Arbeiten: 
des Komitees würden keinen praktischen Zweck haben, wenn die 
Frage ‘der Anleihe’nicht mit einer gründlichen Behandlung’ des’ 
gesamten Reparationsproblems verbunden würde, srie! 
Der französische Vertreter erklärte innerhalb und außerhalb 
der Sitzungen, daß er sich nicht für berechtigt halte, an einer 
Besprechung ‚der Reparationsfrage teilzunehmen. Er stützte sich 
dabei auf den französischen Wortlaut des Beschlusses der 
Reparationskommission vom 4; April 1922, der besagte, daß das 
Komitee studieren solle, unter welchen Bedingungen die deutsche 
Regierung im Rahmen der Verpflichtungen, so wie sie der Vertrag 
von Versailles und der Zahlungsplan vom 5. Mai 1921. festgestellt 
habe, auswärtige Anleihen für Zwecke der Reparation aufnehmen 
könne. Daraus folgerte er, offensichtlich auf Weisung von Poincars, 
daß an der festgesetzten deutschen Reparationsschuld nicht ge- 
rüttelt werden dürfe, und daß sich die Anleihepläne des Komitees 
streng innerhalb der Vertragsgrenzen zu halten hätten, Um allen 
Zweifeln über die Befugnisse des Komitees ein Ende zu machen, 
beantragten Morgan und Kindersley, eine offizielle Anfrage an 
die Reparationskommission zu richten. Nach eingehender Beratung 


170 














beschloß das Komitee gegen die Stimme des französischen Mit- 
gliedes, durch seinen Vorsitzenden: die Reparationskommission 
darüber zu befragen, ob das Komitee bei seinen Arbeiten die 
vertragliche Reparationsschuld Deutschlands als ‚unabänderlich 
ansehen müsse ‘oder ob es: die Freiheit habe, die Möglichkeit 
anderer Lösungen zu prüfen. Damit war der Konflikt zwischen der 
französischen Regierung und der Mehrheit des Komitees gegeben. 
Die Gefahr lag nahe, daß an dieser Klippe die Aufgabe des 
Komitees scheitern würde. Ich versuchte vergebens, das Komitee 
davon zu überzeugen, daß die Anfrage nicht erforderlich sei, weil 
das Komitee ja nur seine sachverständige Meinung darüber abzu- 
geben habe, unter welchen Bedingungen eine Anleihe möglich 
erscheine, Die. Reparationsvorschriften des Vertrages von Ver- 
sailles seien so unbestimmt und die Reparationskommission habe 
so weitgehende Vollmachten in der Handhabung der er 
bedingungen, daß eine Aenderung .des Vertrages von Versail es 
gar nicht in Frage zu kommen brauche, selbst wenn das Komitee 
zu der: Ansicht gelangen sollte, daß für die Zwecke einer Anleihe 
die laufenden Zahlungen Deutschlands ermäßigt ‚oder Baden 
schoben werden müßten. Meine Vorstellungen machten Eindruc “ 
aber die Mehrheit des Komitees’ bestand darauf, volle Klarheik 
über ihre von dem französischen Mitglied angezweifelten Pr 
nisse zu erhalten, Am: Tage darauf —.am 2. Juni 1922 Sr 
Poincar& in. der französischen Kammer folgende Erklärung ab; 
„Selbst ‘vor. der Reparationskommission. — oder daneben Bene 
sehe‘ich zur jetzigen Stunde die gefährlichsten Machensc alten 
gegen uns im Gange, um die internationale Anleihe: von RER 
neuen Minderung unserer Forderung abhängig zu machen. her e 
morgen noch habe. ich 'krali, meiner Verantwortung als En ee 
Regierung die französische Vertretung in der Bananen om. 
mission wissen lassen, daß sie das nicht annehmen. dürie. 

So kam der Streit in die Oeffentlichkeit. Am 7, Juni a 
die Reparationskommission mit Stimmenmehrheit gegen ae 
zösischen Vertreter, daß das Anleihekomitee bei seinen pr I 
vollkommen frei sei, alle möglichen Bedingungen für die or 
deutscher auswärtiger Anleihen zu studieren. Jede Anregung. 


171 





























Komitees würde von großem Wert sein. Der Vorsitzende Dubois 
erklärte, daß er zwar gegen diesen Beschluß habe stimmen müssen, 
daß aber seiner Ansicht nach das Komitee durchaus befugt sei, 
dem Majoritätsbeschluß der Kommission Folge zu leisten, um seine 
Arbeiten auf einer breiteren Grundlage fortsetzen zu können, In 
der darauffolgenden Sitzung des Anleihekomitees wandte sich vor 
allem Kindersley mit scharfen Worten dagegen, daß der Chef der 
französischen Regierung die Arbeit des Komitees in der Oeffent- 
lichkeit kritisiert habe. Mit ihm erklärte Morgan, daß die Uneinig- 
keit zwischen den Alliierten, die bei dieser Gelegenheit so scharf 
zutage getreten sei, ein nutzbringendes Weiterarbeiten des An- 
leihekomitees unmöglich mache, Der französische Vertreter Sergent 
verlas eine sorgfältig formulierte Erklärung, in der er es ablehnte, 
an Beratungen teilzunehmen, die eine Revision der Reparations- 
schuld Deutschlands in sich schlössen. 

Das Komitee war damit gesprengt, bevor es seine wirkliche 
Arbeit begonnen hatte, Der Vorsitzende Delacroix und ich ver- 
suchten alles, um zu verhindern, daß das Komitee erfolglos 
auseinanderging. Ich wies darauf hin, daß eine Auflösung des 
Komitees oder seine Vertagung auf unbestimmte Zeit die 
schwersten Folgen für Deutschland, vor allem einen Sturz der 
Mark ins Bodenlose zur F olge haben müsse, Wenn das Komitee 
erkläre, daß eine Reparationsanleihe jetzt nicht möglich sei, 
würde auch das Moratorium in F rage gestellt werden, das 
Deutschland soeben erlangt habe, Denn dieses Moratorium sei 
darauf aufgebaut, daß Deutschland eine auswärtige Anleihe 
erhalte und dadurch befähigt werde, das Anwachsen der inneren 
Schuld und einen weiteren Fall der Mark zu verhindern, Wenn 
jetzt die Aussicht auf eine auswärtige Anleihe schwinde, werde 
der Pessimismus in Deutschland wieder überhandnehmen; die 
fortschreitende Entwertung der Mark werde Deutschland völlig 
zahlungsunfähig machen, Die Reparationskommission werde den 
Zahlungsplan von London wieder in Kraft setzen, und die alli- 
ierten Regierungen würden zu Sanktionen schreiten, deren Aus- 
wirkung nicht abzusehen sei. Ein solches Ergebnis sei umsomehr 
zu beklagen, als im übrigen die Lage Deutschlands gar nicht so 


172 











verzweifelt sei. Wenn man hoffen dürfe, daß innerhalb eines 
Jahres das Reparationsproblem der Lösung näher komme, und 
daß eine Anleihe im Bereich der Möglichkeit liege, könne man 
auch der allgemeinen Mutlosigkeit steuern und den weiteren Fall 
der Mark verhindern. Mit einer endgültigen Regelung der Repa- 
ration rechne im Augenblick doch niemand ernstlich. Man habe 
immer nur an eine vorläufige Lösung mit Hilfe einer Anleihe 
gedacht. Selbst eine kleinere Anleihe, mit der man die Bar- 
zahlungen für einige Jahre bestreiten könne, sei von größtem 
Wert. Dafür Sicherheiten zu geben, sei Deutschland recht wohl in 
der Lage, wenn es sich damit Schutz vor Sanktionen und eine 
Atempause zur Wiederherstellung seiner Währung und seines 
Kredites verschaffen könne. 

Alle diese Warnungen waren vergeblich. Die Mehrheit des 
Komitees sah in dem plötzlichen Angriff Poincares ‚den Beweis 
dafür, daß die öffentliche Meinung in Frankreich für eine ver- 
nünftige Behandlung des Reparationsproblems noch nicht reif sei. 
Es wurde ohne Umschweife gesagt, daß die aa oe 
Poincare es dem Komitee unmöglich machten, irgendeine An eihe, 
klein oder groß, in Aussicht zu nehmen. Ausschlaggebend seien 
dabei nicht so sehr die Bemerkungen an sich, wie die ungünstige 
Atmosphäre, die sie geschaffen hätten. 

So blieb nichts weiter übrig, als die Arbeiten des a 2 
unbestimmte Zeit zu vertagen. Um die Wirkung des = ._ 
abzuschwächen, sollten in einem ausführlichen Bericht ie er 
sichten der Mehrheit des Komitees über die a » - 
Reparationsanleihe niedergelegt werden. Das Dokumen ; nz 
das Komitee am 10. Juni 1922 der Reparationskommission uni 
erstattete, ist bemerkenswert durch seinen Mut und seine 
heit, Die Schlußsätze seien hier angeführt: 

Wenn das Komitee auch keine Hoffnung darauf on 
En daß eine Anleihe bei der jetzigen Lage des gi pi = 
Kredites Aussicht auf Erfolg hat, so wünscht es a 2 a 
seine Ueberzeugung hervorzuheben, daß erhebliche Ines a 
Erfolg in allen Hauptmärkten der Welt ausgege e Mg 
können, sobald einmal die notwendigen Bedingungen 


173 




































































Wiederherstellung des deutschen Kredites verwirklicht sind, Die 
rein finanziellen Verhältnisse sind jetzt entschieden günstig für 
die Ausgabe solcher Anleihen, günstiger, als sie je nach dem 
Kriege gewesen sind, Das Komitee wünscht der Reparations- 
kommission zu versichern, daß es sein ernster Wunsch ist, alles 
zu tun, was in seiner Macht liegt, um solche Anleihen auszugeben, 
wenn die erwähnten Bedingungen gesichert werden können, Das 
Komitee ist fest überzeugt, daß es für die wirtschaftliche Wieder- 

erstellung der ganzen Welt eine unschätzbare Hilfe sein würde, 
wenn die deutschen Verpflichtungen allmählich von einer Schuld 
zwischen Regierungen in eine Schuld an private Gläubiger umge- 
wandelt werden könnten, Das Komitee glaubt in der Tat, daß die 
Wiederaufnahme normaler Handelsbeziehungen zwischen den 
Ländern und die Stabilisierung der Wechselkurse unmöglich sind 
ohne eine endgültige Regelung der Reparationszahlungen und 
anderer auswärtiger öffentlicher Schulden. Wenn daher zu irgend- 
einer Zeit die Kommission in der Lage ist, durch eine einstimmige 
Entscheidung die Einladung zu wiederholen, die jetzt nur von 
einer Mehrheit ausgeht, wird das Komitee gern wieder zusammen- 
treten und die Untersuchung aufnehmen, die jetzt unterbrochen 
worden ist. Das Komitee kann nicht darüber urteilen, ob die 
alliierten Regierungen in der Lage sein würden, die notwendigen 
Bedingungen anzunehmen, aber wenn das der Fall sein sollte, 
dann kann nur wiederholt werden, daß gute Hoffnung auf die 
Unterbringung beträchtlicher Anleihen besteht,‘ 


„Zum Schluß wünscht das Komitee zu betonen, daß einstweilen 
und sogar in der Zeit zwischen der Wiederholung einer solchen 
Einladung und dem Abschluß der nachfolgenden Verhandlungen 
Deutschlands finanzielle Lage offenbar mit schweren Gefahren 
bedroht sein kann. Langwierige* Verhandlungen über eine große 
und langfristige Anleihe können zu spät reifen, wenn nicht eine 
unmittelbare Hilfeleistung vorangeht, Aber wenn das Programm 
von neuem unter den erwähnten besseren Bedingungen behandelt 
wird und wenn eine wirkliche Aussicht auf eine endgültige 


_ Regelung besteht, dann ist das Komitee der Meinung, daß die 


Hemmungen, welche jetzt noch einer zeitweiligen Anleihe ent- 


174 








ER wahrscheinlich nicht unüberwindlich sein werden. 


Mit berechtigter Hoffnung auf eine endgültige Regelung innerhalb 
einer vernünftigen Zeit würde es viel leichter sein, eine kurz- 
fristige Anleihe abzuschließen, die genügt, den deutschen Kredit 
vor dem Zusammenbruch während der Verhandlungen zu retten. 
Das Komitee braucht kaum hinzuzufügen, daß es gern unter diesen 
Bedingungen jede Hilfe leisten wird, die in seiner Macht steht, 
sowohl in bezug auf eine beschränkte Anleihe wie im Hinblick auf 
das größere und bedeutungsvollere Problem.” 

Der Bericht wurde von allen Mitgliedern des Komitees außer 
dem französischen Vertreter unterzeichnet, Dieser berief sich in 
einer besonderen Erklärung ausdrücklich darauf, daß er ‚bei 
keinem Anleiheplan mitwirken könne, der irgendwelche nn 
rungen der vertraglichen Rechte Frankreichs im Auge habe, un 
daß er mit dem französischen Delegierten in der Reparations- 
kommission der Meinung sei, daß das Bankierkomitee nicht das 
Recht habe, Aenderungen der deutschen Vertragsschuld zu 
studieren. | | 

Der Bericht des Komitees machte in weiten Kreisen Deutsch- 
lands einen ausgezeichneten Eindruck, weil er im Gegensatz zu 
den Entscheidungen der Reparationskommission und der Ar 
Regierungen zum ersten Male die wirtschaftlichen Gesichtspu ” 
für eine Lösung der Reparationsfrage in den a ” e 
und das System der politischen Sanktionen verurteilte. er | ” 
nunft aber, die aus dem Bericht sprach, konnte nicht über in 
Tatsache hinwegtäuschen, daß die Ansicht der hr 7 
Bankiers über die Reparation vor der politischen Gewalt " e 
zurückweichen müssen, und daß das Komitee En “ 
starren Haltung der französischen Regierung seine Bemühunge 
als nutzlos aufgab, 


175 


NEUNZEHNTES KAPITEL 


DER ZWEITE ANTRAG AUF EIN MORATORIUM 
DIE POLITIK DER „PRODUKTIVEN PFÄNDER" 


Deutschland stand vor einer neuen schweren Krise, Ihre Vor- 
boten zeigten sich in einem allmählich einsetzenden weiteren 
Fall der Mark. Die Hoffnung auf ein günstiges Ergebnis der Pariser 
Verhandlungen hatte ausgereicht, den Kurs des Dollar im April, 
Mai und Anfang Juni etwas unter 300 Mark zu halten, Unmittelbar 
nach dem Abbruch der Beratungen des Anleihekomitees stieg der 
Dollar über 300 Mark, Man wußte in Berlin, was das bedeutete, 
und man beschloß, die Mark aus den inzwischen von der Reichs- 
bank angesammelten Devisenbeständen zu stützen, Besonders 
eilrig setzte sich Rathenau dafür ein, Mit der Durchführung der 
Stützung wurde die Reichsbank betraut. Es gelang ihr, durch 
mäßige Abgabe von Devisen, hauptsächlich an der Berliner Börse, 
den Kurs einige Tage lang einigermaßen zu halten. Da sie sich 
aber scheute, mit wirklich großen Beträgen einzugreifen, konnte 
sie einen erheblichen Erfolg nicht erzielen, Das Publikum nahm 
die angebotenen Devisen der Reichsbank gierig aus der Hand, 
ohne im geringsten zu besorgen, daß die Stützungsaktion zu einem 


Rückgang des Dollar führen könne. 

Während die Operation im Gange war, fiel Rathenau den 
Schüssen verblendeter Mörder zum Opfer. Das allgemeine Ent- 
setzen, das diese Schreckenstat auslöste, legte sich lähmend auf 
die Entschlußkraft der deutschen Regierung. Mit Rathenau hatte 
das Kabinett Wirth seinen stärksten Kopf verloren, Wenn Rathenau 


176 | = 











selbst auch den letzten Pariser Verhandlungen fernstand und es 
im Inneren schmerzlich empfand, daß man ihn seit dem Tage 
von Rapallo, wie er glaubte, in den Reparationsiragen beiseite- 
geschoben habe, so hatte er doch alles getan, die in Paris getroffene 
Einigung mit der Reparationskommission in Berlin zur Annahme 
zu bringen, Von nun an schwankten die Schritte der Regierung 
Wirth hin und her. 


In der ersten Juliwoche erreichte der Dollarkurs einen Stand 
von über 500 Mark. Daraufhin glaubte die deutsche Regierung, 
keine weiteren Barzahlungen an die Alliierten leisten zu können. 
In einer Note vom 12, Juli ersuchte Deutschland um völlige Be- 
freiung von den für das Jahr 1922 vorgesehenen Restzahlungen 
und erklärte, daß die verzweifelte Lage der deutschen Finanzen 
Barzahlungen auch für die Jahre 1923 und 1924 unmöglich mache. 
Auf Grund von Besprechungen, die kurz vorher in London geführt 
worden waren, rechnete Dr, Wirth auf die Unterstützung seines 
Antrags durch England. 

Die Reparationskommission setzte den Beschluß über den 
deutschen Antrag aus, bis das Garantiekomitee, welches damals 
in Berlin über die Festsetzung seiner Kontrollbefugnisse ver- 
handelte, seine Arbeiten abgeschlossen haben würde. Inzwischen 
wurde die Zahlung der am 15. Juli fälligen Rate von 50 Millionen 
Mark gefordert und von Deutschland auch geleistet. Aber auch 
nachdem sich das Garantiekomitee am 18. Juli mit der deutschen 
Regierung geeinigt hatte, kam die Reparationskommission noch 
nicht zu einem Beschluß über den deutschen Antrag. Es war nicht 
möglich, bei ihr das Verständnis dafür zu erwecken, daß Deutsch- 
land in seinem Kampfe für die Markwährung wenigstens eine 
wohlmeinende Geste der Kommission brauchte. Statt dessen er- 
klärte die Kommission immer wieder, ‚daß Deutschland selbst an 
dem weiteren Verfall der Währung schuld sei, weil es versäumt 
habe, rechtzeitig sein Budget in Ordnung zu bringen. 

Für jeden, der sehen wollte, ergab sich schon damals mit voller 
Klarheit, daß keinerlei Aussicht auf ein längeres Moratorium, ge- 
schweige denn auf eine Befreiung von den Reparationszahlungen bis 
Ende 1924 bestand. Der französische Einfluß in der Reparations- 


Bergmann, Der Weg der Reparation 12 177 


kommission, deren Vorsitzender Louis Dubois hartnäckig jede 
Rücksichtnahme auf Deutschlands wirtschaftliche und finanzielle 
Not ablehnte, machte sich immer stärker fühlbar. Dubois wurde 
in seiner Haltung durch die Verbissenheit Poincares bestärkt. 
Dieser nahm jetzt den Kampf gegen das Moratorium mit schärferen 
Waffen auf. Die Pariser Presse leistete ihm nur zu gerne durch 


gehässige Ausfälle gegen Deutschland Gefolgschaft, Dabei hatte 


aufwies, 


Wiederum wurde versucht, die Entscheidung über den deutschen 
Antrag aus der Hand der Reparationskommission zu nehmen und 
durch unmittelbare Besprechungen zwischen den Chefs der 


alliierten Regierungen einen Ausweg zu finden, Zu diesem Zwecke - 


berief Lloyd George eine Konferenz der Alliierten auf den 7. August 
1922 nach London ein, Die französische Regierung hatte dafür in 
fieberhafter Arbeit umfassende Vorbereitungen getroffen, Poincare 


über die bisher verlangten Sicherheiten hinaus neue produktive 
Pfänder verschaffe, Diese „Politik der produktiven Pfänder“ be- 
zweckte in der Hauptsache einen direkten Zugriff der Alliierten 
auf die staatlichen Kohlengruben im Ruhrgebiet und auf die 
rheinischen F orsten, sowie die direkte Erhebung von Zöllen im 
besetzten Gebiet, das durch eine besondere Zollgrenze gegen das 
unbesetzte Deutschland abgeschlossen werden sollte, 


Dieses von Poincare hartnäckig vertretene Programm hat eine 
interessante Vorgeschichte, Es ist nicht dem Kopf Poincares ent- 
SPprungen, sondern stammt von Seydoux, der erkannt hatte, daß 
es zur Leistung der Reparation zunächst unbedingt erforderlich 
sei, die deutschen F inanzen zu sanieren und die deutsche Währung 


178 








zu stabilisieren, Da nach seiner Ansicht die deutsche Regierung 
nicht mit dem nötigen Ernst an diese Aufgabe heranging, ent- 
warf er einen Plan, nach dem Deutschland durch Stellung von 
sicheren Unterpfändern gezwungen werden sollte, seine Finanzen 
und seine Währung gründlich zu reformieren. Dagegen sollte es 
auf angemessene Zeit einen Aufschub der Reparationszahlungen 
erlangen, um binnen dieser Frist das Werk der Sanierung durch- 
zuführen, Währenddessen würden die Alliierten die produktiven 
Pfänder fest in der Hand behalten, Zu einer solchen Politik glaubte 
Seydoux auch die Zustimmung Englands erlangen zu können, das 
immer schon mit Nachdruck auf die Notwendigkeit einer ver- 
nünftigen finanziellen Wirtschaft in Deutschland hingewiesen 
hatte. Der Plan wurde Poincare vorgelegt und fand seinen Beifall, 
Ein zweiter Berater Poincares aus dem französischen Finanz- 
ministerium aber erhob lebhaften Einspruch. Er erklärte, Deutsch- 
land brauche kein Moratorium, um seine Finanzen und seine 
Währung zu ordnen, Es könne das bei gutem Willen aus eigenen 
Kräften tun und darüber hinaus sogar noch Zahlungen leisten. 
Poincar& ging nach London nicht mit Seydoux, sondern mit seinem 
Berater aus dem Finanzministerium, Aus dem Plan von Seydoux 
verschwand nun der wichtigste Teil, der sich auf die Notwendig- 
keit der finanziellen Gesundung Deutschlands und das Mora- 
torium bezog. Es blieben nur noch die produktiven Pfänder selber 
übrig. Sie sollten dazu benutzt werden, die F ortsetzung der 
Reparationsleistungen von Deutschland zu erzwingen. Aus dem 
Pferd mit vier Beinen war ein Pferd mit zwei Beinen geworden, 
Das konnte natürlich nicht laufen, Das Programm Poincar&s wurde 
daher auch in der Londoner Konferenz von den Sachverständigen 
aller übrigen alliierten Länder als wirtschaftlich unbrauchbar ab- 
gelehnt. Ein englischer Gegenvorschlag vom 12, August 1922 sah | 
ein vollständiges Moratorium für alle Barzahlungen bis zum Ende 
des Jahres 1922 vor. Er verlangte dafür von Deutschland keine 
neuen Garantien, sondern nur strikte Durchführung der von der 
Reparationskommission bereits geforderten Maßnahmen, und 
wollte eine Aufsicht über die staatlichen Forsten und Kohlen- 
$ruben nur für den Fall herbeiführen, daß Deutschland seiner 


12* 179 


Pflicht zur Lieferung von Holz und Kohle nicht nachkommen 
würde, Dieser Vorschlag fand bei Poincare keine Gnade. 


Die englische Regierung suchte noch immer nach einem Aus- 
wege. Nachdem ich aber im Auftrage der deutschen Regierung bei 
einer vertraulichen Aussprache in London bestimmt erklärt hatte, 
daß Deutschland unter keinen Umständen einen alliierten Zugriff 
auf die staatliche Verwaltung der Bergwerke und Forsten be- 
willigen würde, gab sie die weiteren Bemühungen, mit Poincare zu 
einer Einigung zu kommen, als nutzlos auf. Die Konferenz von 
London wurde am 14, August ohne Ergebnis abgebrochen. 


Nunmehr war das Spiel von selbst wieder in die Hand der 
Reparationskommission gegeben. Mit den unnützen Besprechungen 
zwischen den alliierten Chefs hatte man einen kostbaren Monat 
verloren. Der Dollarkurs war mittlerweile von 500 auf 1000 Mark 
gestiegen. Im Schoße der Kommission wußte man nach wie vor 
keinen Rat. Bei der ablehnenden Haltung Frankreichs war ein 
Moratorium für Deutschland nicht zu erlangen. Irgendwie mußte 
man aber doch versuchen, mit der Tatsache fertig zu werden, daß 
Deutschland für den Rest des Jahres weitere Barzahlungen nicht 
würde leisten können. Die Kommission griff zunächst zu dem ver- 
zweilelten Notbehelf, die Entscheidung damit hinauszuschieben, 
daß sie Sir John Bradbury und den Präsidenten des Garantie- 
komitees Mauclere am 18, August nach Berlin mit dem Auftrage 
entsandte, von der deutschen Regierung einige „unerläßliche Aus- 
künfte“ einzuziehen. Der Besuch der beiden Herren wurde in Berlin 
mit einer gewissen Hoffnung aufgenommen, Man glaubte, durch 
eine Aussprache mit ihnen die Lösung des Reparationsproblems 
anbahnen zu können. Sie erklärten aber sogleich bei ihrem Ein- 
treffen, daß sie hierzu keinerlei Auftrag hätten, sondern daß sie 
nur versuchen wollten, die Schwierigkeiten der Barzahlungen des 
Jahres 1922 beizulegen. Beide gaben sich alle Mühe, die Formel 
der produktiven Pfänder für Deutschland schmackhaft zu machen 
und in irgendeiner Art dem Verlangen Poincares dadurch Rech- 
nung zu tragen, daß die staatlichen Forsten und Kohlengruben 
direkt oder indirekt als Unterpfand für Holz- und Kohlen- 
lieferungen Deutschlands herangezogen würden, Die deutsche 


180 








Regierung aber blieb bei ihrer Ablehnung. Sie schlug ihrerseits 
vor, die Holz- und Kohlenlieferungen praktisch dadurch zu sichern, 
daß sie für den Fall der Minderlieferung einen angemessenen 
Sicherheitsfonds, etwa in Höhe von 50 Millionen Goldmark, in 
Devisen zur Verfügung der Alliierten stellte. Dieser Vorschlag 
wurde von dem französischen Vertreter nach Einholung von 
Instruktionen aus Paris abgelehnt. Darauf erbot sich die deutsche 
Regierung, die Kohlenlieferungen, welche ja die Hauptrolle bei 
den Sachleistungen spielten, dadurch zu sichern, daß die deutsche 
Kohlenindustrie sich verpflichten solle, direkte private Lieferungs- 
verträge mit den alliierten Abnehmern abzuschließen, und zwar 
vorläufig bis zum 31. Dezember 1923. Damit sollte außer der 
Haftung der deutschen Regierung auch noch die a, 
Haftung der deutschen Lieferanten selber erreicht werden. Da 
dieser Gedanke bei der Abreise der beiden Delegierten der Repa- 
rationskommission aus Berlin noch nicht genügend durchgearbeitet 
war, wurde vereinbart, ihn mit der Reparationskommission weiter 
zu behandeln. 

Nun konnte die Reparationskommission ihre Entscheidung über 
den Antrag auf das Moratorium wirklich nicht mehr länger hinaus- 
schieben. Sie gab gemäß der Vorschrift des Vertrages von Versailles 
der deutschen Regierung Gelegenheit, sich über ihren Antrag 
mündlich zu äußern. Staatssekretär Dr. Schröder ging nach Paris 
und schilderte am 30. August der Reparationskommission in einer 
eindrucksvollen Rede die deutschen Verhältnisse. Er wies darauf 
hin, daß Deutschland bis Ende Juni 1922 die schwebende Schuld 
des Reiches gemäß den Forderungen der Reparationskommission 
eingeschränkt habe, In der Zeit vom 31. März bis 30. Juni habe 
die schwebende Schuld sich nur um 23 Milliarden Mark erhöht, 
die fast vollständig für Leistungen aus dem Versailler Vertrag 
aufsewendet worden seien. Auch hätten sich die Einnahmen aus 
Zöllen und Steuern aller Art viel besser entwickelt, als man bei 
den Verhandlungen im Mai habe annehmen können. Es seien in 
diesem Vierteljahr also nicht nur alle eigenen Ausgaben Deutsch- 
lands aus dem Budget bestritten worden, sondern man habe auch 
hoffen können, daß für die Reparation im Verlaufe des Jahres 1922 


181 





ein sehr erheblicher Betrag zur Verfügung stehen würde, Alle 
Anstrengungen Deutschlands seien aber durch höhere Gewalt ver- 
eitelt worden, nämlich durch die Enttäuschung über den Mißerfolg 
des Anleihekomitees und durch die Ermordung des Ministers 
Rathenau, Diese beiden Ereignisse hätten den Pessimismus in 
Deutschland und im Auslande in bezug auf die Finanzen des Reichs 
zu einer Panik gesteigert, die immer schlimmere Formen annehme., 
Die Entwicklung der Wechselkurse in den letzten Monaten werfe 
jedes Budget über den Haufen und mache alle Hoffnung auf Ein- 
dämmung der schwebenden Schuld für absehbare Zeit zunichte, 


Dr. Schröder wendete sich ferner nachdrücklich gegen die An- 
nahme, als habe die deutsche Regierung oder die deutsche Industrie 
selber die Entwertung der Mark vorsätzlich herbeigeführt. Er wies 
nach, daß durch den Fall der Mark das mobile deutsche Kapital 
so gut wie vernichtet sei, und daß die deutsche Industrie, der es 
angeblich so glänzend gehe, in Wahrheit nur ganz geringfügige 
Dividenden — fast ohne Ausnahme viel weniger als ein Prozent — 
auf ihr Kapital verteile. Die Katastrophe des Markkurses sei in 
der Hauptsache auf die außenpolitische Lage und auf die Ver- 
schleppung der Reparation zurückzuführen, Die Heilung könne 
nicht durch Zwang, Drohung oder Diktat, sondern nur durch 
Wiederherstellung des Vertrauens im Wege der Verständigung und 
der Zusammenarbeit kommen. Eine Beschlagnahme der deutschen 
staatlichen Bergwerke und Forsten werde die Reparations- 
zahlungen nicht sichern, sondern die Flucht aus der Mark und die 
völlige Zerrüttung der deutschen Finanzen nur beschleunigen. Die 
deutsche Regierung sei aber bereit, für die Kohlenlieferungen noch 
eine besondere Sicherheit in Form langfristiger privater Verträge 
der deutschen Kohlenindustrie zu bestellen. 


Ein Erfolg war diesen Ausführungen bei der Lage der Dinge 
nicht beschieden. Ein Antrag Bradburys, das Moratorium bis Ende 
1922 ohne weitere Bedingungen zu bewilligen und baldmöglichst 
die Zahlungen für 1923 und 1924 festzusetzen, wurde mit drei 
Stimmen gegen eine abgelehnt. Die Reparationskommission konnte 


sich aber auch nicht dazu entschließen, den deutschen Antrag glatt 
zurückzuweisen, 


182 











In letzter Stunde sprang Belgien mit einem Vermittlungsvor- 
schlag ein. Da es kraft seiner Priorität die restlichen deutschen 
Zahlungen für 1922 allein zu empfangen hatte, so erklärte es sich 
bereit, an Stelle baren Geldes sechsmonatige deutsche Schatz- 
wechsel anzunehmen, die von der Reichsbank zu garantieren seien. 
Daraufhin faßte die Reparationskommission am 31, August folgen- 
den Beschluß: 


„Mit Rücksicht auf die Zerrüttung des deutschen Kredits und 
der deutschen Währung wird die Entscheidung über: den Mora- 
toriumsantrag noch ausgesetzt, bis die Reparationskommission ihre 
Pläne für eine radikale Umgestaltung der deutschen öffentlichen 
Finanzen, für eine dazu etwa nötige Ermäßigung der Reparalions- 
last sowie für die Ausgabe von auswärtigen und inneren Anleihen 
zwecks Besserung der deutschen Finanzlage ausgearbeitet hat. 
In der Zwischenzeit ist die Reparationskommission bereit, .— 
monatige in Gold zahlbare Reichsschatzwechsel für die bis ir 
1922 zu leistenden Zahlungen anzunehmen. Die Garantien . 
die Schatzwechsel sind zwischen der deutschen Regierung un 
den zum Empfang der Zahlungen berechtigten Regierungen zu 
vereinbaren." | 

Die beiden belgischen Delegierten Delacroix und Ber mans 
führten am 9. September 1922 eine entsprechende Verstän 
in Berlin herbei. Die Reichsbank garantierte | die m. En 
Schatzwechsel der deutschen Regierung für die Baer .- 
zahlungen vom 15. August bis 15. Dezember 1922, im ganzen. 
270 Millionen Goldmark. | 

Das war der Ausgang der langwierigen des 
Sommers 1922 über das Moratorium. Deutschland sah wir: are 
mehr von weiteren Barzahlungen für den Rest des J a e air 
Aber diese Zahlungen waren nur aufgeschoben. Sie ee 
Fälligkeit der Schatzwechsel vom 15, Februar bis eur m er 
1923 geleistet werden, vermehrten also die deutsche Sc - _ 
für das nächste Jahr. Ueber die Regelung der a a 
dem 1. Januar 1923 war noch gar nichts a = on 
bis zum Schluß des Jahres nur noch vier Monate : - here 
diese Lebensfrage geregelt werden mußte, wenn anders 


183 





blickliche Erleichterung irgendeinen Zweck haben sollte, DerErfol 
bestand vorläufig nur darin, daß für einige Monate keine Dan 
mehr für die Reparation anzuschaffen waren. Aber um welchen 
Preis war dieser Vorteil erkauft? Die deutsche Währung war 
durch den neuerlichen Sturz der Mark vollkommen zerrüttet der 
ae es ‚Reichs wegen in Unordnung gebracht, Der Bellire 
riall der Finanzen ließ sich erzi atori Ü 
1922 nur für ganz kurze Frist Eee erging 


ZWANZIGSTES KAPITEL 


| DIE NEBENLEISTUNGEN 
AUS DEM VERTRAGE VON VERSAILLES 


Während die deutsche Regierung mit der Reparationskom- 
mission über den Aufschub der Barzahlungen aus dem Londoner 
Zahlungsplan verhandelte, suchte sie von den alliierten Regie- 
rungen auf diplomatischem Wege eine Milderung der vertrag- 
lichen Leistungen zu erreichen, die außer der Reparation laufend 
zu entrichten waren. 

Wir haben von diesen Nebenleistungen schon im zweiten 
Kapitel gesprochen und müssen noch ein Wort darüber sagen, 
wie sie bis zum Abschluß des Moratoriums im Sommer 1922 be- 
handelt worden sind, 
| Bei ihren Beschwerden über die Nebenlasten konnte die deutsche 
F Regierung bis zu einem gewissen Grade auf das Verständnis und 
die Unterstützung der Reparationskommission rechnen. Denn was 
Deutschland darauf abzahlte, ging nur an einzelne Alliierte und 
benachteiligte alle anderen, die nichts davon bekamen. 

Das galt vor allem von den Besatzungskosten. Sie wurden, 
wie wir wissen, gemäß dem Beschluß der Reparationskommission 
vom 21. März 1922 auf die Sachleistungen des Jahres 1922 an- 
gerechnet, so daß Deutschland keine besonderen Zahlungen dafür 
4 zu leisten hatte, Aber Verpflegungs- und Futtermittel für die 

’ Besatzungstruppen mußten weiter geliefert werden; dazu kamen 
3 die Requisitionen und die Kosten für militärische Anlagen und 
i Bauten und für die Unterbringung der Truppen sowie die Kosten 
der Rheinlandkommission. 





184 
185 








Der Ausgleich der privaten Forderungen und Schulden aus der 
Zeit vor dem Kriege — das Clearingverfahren nach Artikel 296 
des Vertrages von Versailles — erforderte schon im Jahre 1929 
derartig hohe Zahlungen, vor allem an England, daß auch die 
Reparationskommission im gemeinsamen Interesse der Alliierten 
sich bemühte, die deutschen Leistungen für das Clearing auf 
längere Zeit zu verteilen, Ein Abkommen vom 10. Juni 1921 
zwischen Deutschland und den am Ausgleichsverfahren beteiligten 
Staaten — England, Frankreich, Belgien, Italien, Griechenland 
und Siam — sah vor, daß Deutschland monatlich einen Pauschal. 
betrag von 2 Millionen Pfund Sterling abzahlen solle. Ueber die 
Auslegung des Abkommens entstand Streit, der sich längere 
Zeit hinzog, Im Juli 1922 erklärte Deutschland, daß es auch beim 
Clearing einen Aufschub haben müsse, Das führte zum Konflikt 
mit Poincare, und am 17, August kündigten die Alliierten das 
ganze Clearingabkommen, Seither hat Deutschland nichts mehr 
im Ausgleichsverfahren geleistet, 

Wie drückend diese Last für Deutschland war, ergibt sich aus 
folgenden Zahlen: Deutschland hat im $Sanzen für das Clearing 


die restlichen Verpflichtungen Deutschlands aus dem Clearing 
insgesamt noch etwa 230 Millionen Goldmark betragen. 


Mit besonders großer Sorge wurde in Deutschland die Tätig- 
keit der gemischten Schiedsgerichtshöfe des Vertrages von 
Versailles beobachtet, Wenn sie auch nur einen kleinen Teil der 
Ersatzansprüche anerkannten, die auf Grund von deutschen Maß- 
nahmen während des Krieges bei ihnen erhoben wurden, so drohte 
die Gefahr, daß Deutschland neben der eigentlichen Reparation 
noch eine zweite Entschädigung an eine Menge von Einzelpersonen 
würde leisten müssen, Und in den meisten Fällen waren diese 
privaten Ansprüche schon in den Forderungen enthalten, welche 
die alliierten Staaten für die Reparation angemeldet hatten, 


Im ganzen wurden be; den gemischten Schiedsgerichtshöfen 
—— darunter fällt nicht das besondere Schiedsgericht für Kriegs- 
schäden zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland — 


186 








SLR im Betrage von 8500 Millionen Goldmark erhoben. 


Bei dem langsamen Gange des Verfahrens läßt sich das End- 


' Ü hland 
| is heute nicht übersehen. Barzahlungen hat Deutsc 
en bisher nicht geleistet. Und für die Zukunft ist 


die Gefahr einer nochmaligen Reparation abgewendet, da auch 


’ Ä Deutschland durch die Ent- 
die Beträge, zu deren Zahlung 
a Fi Schiedsgerichtshöfe verpflichtet werden wird, aus 
seinen Leistungen unter dem Dawesplan zu entnehmen sind. 


187 











EINUNDZWANZIGSTES KAPITEL 
DIE ZEIT DER REPARATIONSPLÄNE 


Im Herbst 1922 wurde die politische Lage Europas ständig 
schlimmer, das Verhältnis zwischen Frankreich und England 
immer gespannter, Dieser Zustand vernichtete die Hoffnung auf 
eine baldige Regelung der Reparation. Fast jeden Sonntag hielt 
Poincar& in irgendeinem Orte Frankreichs eine Rede — seine 
„Sonntagspredigt” —, in der er mit hartnäckigem Haß aller Welt 
immer die gleiche Lehre von dem verbrecherischen Deutschland 
verkündete, das nur darauf hinarbeite, sich der Reparation zu 
entziehen und das notleidende Frankreich um die Frucht seiner 
vertraglich verbrieften Rechte zu bringen. Besonderes Aufsehen 
erregte eine Rede von Poincar& in Bar le Duc am 21. August 1922, 
die als Antwort auf die Note Balfours vom 1, August gemünzt 
war, Balfour hatte in dieser berühmt gewordenen Note erklärt, 
daß England bereit sei, bei einer vernünftigen Gesamtregelung 
der interalliierten Schulden und der Reparation auf seine Forde- 
rungen gegen die Alliierten und auf seinen Anteil an den Repa- 
rationszahlungen Deutschlands zu verzichten, Dagegen predigte 
Poincar&: Die interalliierten Schulden und die deutsche Repa- 
rationsschuld könnten gar nicht in einem Atem genannt werden, 
weil die Schulden zwischen den Alliierten eingegangen seien, um 
der gemeinsamen guten Sache gegen Deutschland zu dienen. Die 
deutsche Schuld aber sei entstanden aus Kriegsverbrechen, die 
gesühnt werden müßten, Deutschland habe den Zusammenbruch 
der Mark absichtlich herbeigeführt, um sich seinen Verpflichtungen 
zu entziehen. Ein Moratorium dürfe nur gegen ganz bestimmte 


188 





Rechnung, der angeblich nur wegen der Veröffentlichung der 





neue Pfänder in Betracht kommen, Frankreich werde keines der 
Rechte aufgeben, die es für den Ersatz seiner Kriegsschäden er- 
langt habe. . 
Diese Reden Poincarös, die sich ständig und eintönig wieder- 
holten, ließen klar erkennen, daß unter seiner Regierung Frank- 
reich einer vernünftigen Auffassung der wirtschaftlichen Weltlage 
nicht zugänglich sein würde. Dennoch gingen die Bemühungen 
um die Regelung der Reparation unablässig weiter. Kein Jahr 
hat so viel Reparationspläne an das Licht kommen sehen wie das 
Jahr 1922. Daß man an den 132 Milliarden des Londoner Zahlungs- 
planes nicht mehr festhalten konnte, war ‚auch in Frankreich 
jedermann klar geworden. Dem trug sogar ein französischer Plan 


' | im August 1922 
Balfour-Note nicht auf der Londoner Konferenz im. 
a wurde. Danach sollte Deutschland 50 Milliarden Gold- 
mark zahlen, in der Hauptsache durch internationale Anleihen. 
Der Restbetrag sollte gegen die interalliierten Schulden kom- 
pensiert werden, 


Ueberall ging man davon aus, daß der on ao 
Zahlungen; die man von Deutschland erwarten könne, _ au 
50 Milliarden Jetztwert zu bemessen sei. Innerhalb dieses Ra _ 
wurden alle möglichen Vorschläge gemacht. Sie krankten ‘ er 
meist an dem Fehler, daß sie die Verzinsung und ee: einer 
bestimmten Schuld von Deutschland in einer Zeit a - = 
wegen der Zerrüttung der Finanzen die Zahlungsfähig -. er 
Reichs überhaupt nicht zu übersehen war. Die aa en 
brachten auch die Regelung der Reparation ın direkten ka Pi 
hang mit der Frage der interalliierten Schulden. Sie wo rn er 
Lösung durch einen umfassenden Verzicht Amerikas Fai Ns 
lands auf ihre Forderungen Kr ” Kun h er 

echende Ermäßigung der deutschen ratio % 
ra zeigte sich ar daß in Amerika keinerlei Neigung be 
stand, einen solchen Verzicht auszusprechen. 


Aus der Erkenntnis, daß es nicht möglich sein ei ne pe 
Wegen voranzukommen, entstanden Pläne, die - . . _ 
zu einer vernünftigen Lösung zu gelangen suchten. Ich ha 


189 





im Sommer 1922 einen Plan entworfen, der seinerzeit vom 
„Manchester Guardian“ veröffentlicht worden ist. Mir war klar, 
daß damals weder eine endgültige Regelung des Reparations- 
problems noch ein Moratorium erreichbar sei. Daher schlug ich 
vor, die Reparation vorläufig so zu regeln: 


„Deutschland macht Sachleistungen — einschließlich Kohle — 
in Höhe von 1 Milliarde Goldmark jährlich. Soweit die alliierten 
Regierungen ihren Anteil an den Sachleistungen innerhalb jedes 
einzelnen Jahres nicht voll ausnutzen, verfällt ihr Anspruch. 
Deutschland zahlt außerdem einen gewissen Prozentsatz seiner 
jährlichen Bruttoausfuhr an die Alliierten, aber so, daß die Aus- 
fuhr bis zur Höhe von mindestens vier Milliarden Goldmark für 
die Deckung des eigenen Einfuhrbedarfs von der Abgabe frei- 
bleibt. Von der Ausfuhr, die vier Milliarden übersteigt, zahlt 
Deutschland einen mit 10 Prozent beginnenden und allmählich 
bis zu 25 Prozent wachsenden Betrag als Reparation. Deutsch- 
land verpflichtet sich ferner, Zinsen und Tilgung auf jede inter- 
nationale Anleihe zu zahlen, die zu vernünftigen Bedingungen 
angeboten wird. Der Anleihedienst wird auf die jährlichen Ge- 
samtleistungen Deutschlands angerechnet, Das Abkommen gilt 
zunächst für drei Jahre, dient aber als Grundlage für eine end- 
gültige Lösung, wenn es zwei Jahre lang für beide Teile be- 
friedigend gearbeitet hat, Die Zahlungen nach diesem Schema 
umfassen die sämtlichen deutschen finanziellen Verpflichtungen 
aus dem Vertrage von Versailles," 


Der Plan ist gleich vielen anderen Vorschlägen unbeachtet ge- 
blieben. Neu an ihm war, daß er zum erstenmale dem Problem 
zu Leibe ging, wie Deutschland sich die zur Zahlung der Repa- 
ration an das Ausland nötigen Devisenbeträge beschaffen könne. 
Er schöpfte aus der einzig richtigen Quelle des Ausfuhrüber- 
schusses und benutzte der Einfachheit halber den im Londoner 
Zahlungsplan eingeführten Schlüssel der prozentualen Abgabe 
von der deutschen Ausfuhr, suchte ihn aber dadurch praktisch 
brauchbar zu machen, daß die Reparationszahlungen erst dann ein- 
setzen sollten, wenn die Ausfuhr einen bestimmten, für Deutsch- 
lands eigenen dringenden Devisenbedarf erforderlichen Mindest- 


190. 








betrag überschreiten würde, Dafür sollten die Alliierten durch 
eine mit der Höhe der deutschen Ausfuhr steigende prozentuale 
Abgabe an der Besserung der deutschen Wirtschaft interessiert 
werden. 


Ende September 1922 setzte ein neuer Marksturz ein, der den 
Dollarkurs in Berlin bis zum 8. November auf über 9000 Mark 
trieb, Der Streit um das Moratorium ging weiter. In den Kreisen 
der Reparationskommission bemühte man sich krampfhaft, eine 
Formel zu finden, der auch die französische Regierung zustimmen 
könnte, Sir John Bradbury schlug zunächst vor, Deutschland solle 
— ohne formelle Aenderung des Londoner Zahlungsplanes — 
von Barzahlungen für 1923 und 1924 befreit werden, aber in Höhe 
der gestundeten Schuldbeträge fünfjährige Schatzscheine aus- 
stellen, welche die alliierten Mächte mit ihrer eigenen Garantie 
voraeien in Umlauf setzen würden. Die Sachleistungen sollten 
wie bisher weiterlaufen und gegen die deutschen Schatzscheine 
verrechnet werden, Damit wären die deutschen Barzahlungen für 
1923 und 1924 auf fünf Jahre gestundet worden. Während der 
Ruhepause sollte Deutschland zur Goldwährung zurückkehren. Die 
Papiermark sollte mit Hilfe eines Reservefonds von 500 Millionen 
Goldmark, den die Reichsbank zur Verfügung zu stellen hätte, 
zum Kurs von 4000 Mark für den Dollar eingelöst werden. Der 
Rest des Reichsbankgoldes von 500 Millionen Goldmark sollte 
als Sicherheit für ausländische Handelskredite in das Ausland 
gebracht werden. 


Auch dieser Vorschlag wurde nicht weiter verfolgt. Ein 
französischer Gegenvorschlag zur Stabilisierung der Mark, von 
dem damals viel Aufhebens gemacht wurde, erblickte nicht das 
Licht des Tages. Die französischen Sachverständigen erstickten 
förmlich in dem Wust der Entwürfe, die nach den Weisungen 
Poincares ständig von Grund auf geändert werden mußten. 
Schließlich kam bei der ganzen Sache überhaupt nichts a 
In jener Zeit arbeitete man in der es Br 
jede Fühlung miteinander, meist sogar gegeneinander. hc . 
mand einen besseren Rat zu geben wußte, nach außen ae © 
der Eindruck erweckt werden sollte, als ob doch etwas geschehe, 


191 


einigte man sich vor lauter Verlegenheit wieder darauf, daß die 
Reparationskommission, diesmal in corpore, nach Berlin gehen 
sollte. Einen Plan nahm sie nicht mit, da sie keinen hatte, Ver- 
nünftige Vorschläge waren genug gemacht, aber die Entschluß- 
kraft fehlte, In der Reparationskommission tauchte die Idee auf, 
das Bankierkomitee wieder zusammenzurufen, zumal da J. P. 
Morgan sich noch in Europa aufhielt, Das Komitee sollte sofort ein 
internationales Syndikat bilden, um im Verein mit der deutschen 
Regierung Maßnahmen zur Stabilisierung der Mark zu ergreifen. 
Schon damals sprach man davon, daß ein Komitee von Sachver- 
ständigen die Zahlungsfähigkeit Deutschlands und die Frage der 
interalliierten Schulden untersuchen solle. Diese Ideen waren so 
weit gefördert, daß sie auch mit der französischen Regierung be- 
handelt wurden. Dabei gelang es angeblich, die Zustimmung des 
Präsidenten der Republik Millerand zu erhalten, während Poincare 
sich nach wie vor gegen alles sträubte, 


Die Reparationskommission hielt sich Anfang November etwa 
eine Woche lang in Berlin auf. Allgemein erwartete man, daß 
sie der deutschen Regierung wenigstens einige Fingerzeige geben 
würde, die in der verzweifelten Lage von Nutzen sein könnten. 
Aber ihr Vorsitzender Barthou drehte in Berlin den Spieß um. 
Er forderte die deutsche Regierung auf, selber einen Vorschlag 
für die Stabilisierung der Währung und die Ordnung des Haus- 


halts zu machen, und beschränkte sich auf die Kritik, 


Es traf sich, daß gerade in jenen Tagen die deutsche Regierung 
aus eigenem Antriebe eine Reihe internationaler Sachverständiger 
auf dem Gebiete der Währungsfragen nach Berlin berufen hatte, 
um ihren Rat über die Möglichkeit der Stabilisierung der Mark 
einzuholen, Anfänglich schien es, als ob dieser selbständige Schritt 
der deutschen Regierung bei der Reparationskommission eine 
gewisse Verstimmung auslösen würde, zumal da unter den Sach- 
verständigen Männer wie Keynes und Cassel waren, welche die 
Reparationspolitik der Alliierten scharf angegriffen hatten. Es 


gelang aber nicht nur, jede Reibung zu vermeiden, sondern auch 


die Arbeit der Sachverständigen für die Verhandlungen mit der 
Reparationskommission nutzbar zu machen, Am 4, November 1922 


192 





übergab die deutsche Regierung der Reparationskommission 
folgenden Plan: 

„Eine wirksame und dauernde Stabilisierung der Mark ist erst 
möglich, wenn die Reparationsfrage entsprechend der Leistungs- 
fähigkeit Deutschlands endgültig geregelt ist. Darauf kann jedoch 
nicht gewartet werden, weil die Lösung des Reparationsproblems 
bei aller Beschleunigung zu viel Zeit beansprucht. Jeder Zeit- 
verlust bedeutet eine neue Verschlechterung der Mark und macht 
die Finanzreform immer schwieriger. Es müssen deshalb schon 
jetzt unverzüglich alle Schritte unternommen werden, die geeignet 
erscheinen, der weiteren Zerrüttung der Mark Einhalt zu tun.” 

„Zur Stützung der Mark ist das Zusammenwirken Deutsch- 
lands mit der Kapitalkraft des Auslandes nötig. Deshalb soll 
unter Mitarbeit der Reichsbank ein internationales Syndikat zur 
Beschaffung eines Bankkredits von mindestens 500 Millionen 
Goldmark für die deutsche Regierung gebildet werden.” 

„Da die Erörterungen über das Zustandekommen eines solchen 
Bankkredits und über die Bedingungen hierfür Verhältnisse be- 
rühren, die zur Zuständigkeit der Reparationskommission ge- 
hören, so möchte die deutsche Regierung zunächst davon ab- 
sehen, einen bestimmten Antrag zu stellen. Sie glaubt, daß ge- 
eignete Vorschläge am besten durch eine gemeinsame Beratung 
von internationalen Finanzmännern vorbereitet werden können, 

und schlägt daher vor, daß die Reparationskommission ohne 
Verzug ein solches Komitee einberuft, um die Frage zu prüfen, 
ob und unter welchen Bedingungen die Gewährung von inter- 
nationalen Bankkrediten zum Zwecke der Festigung des Mark- 
kurses möglich erscheint. Wenn durch einen derartigen Bank- 
kredit die Vorbedingungen für eine wirksame Stützung der Mark 
gegeben sind, ist Deutschland entschlossen: 

a) seinen Haushalt im Gleichgewicht zu halten, 

b) eine Besserung der Handels- und Zahlungsbilanz durch 
wirtschaftliche Maßnahmen, insbesondere durch Steigerung 
der Produktion, herbeizuführen, 

c) die schwebende Schuld einzudämmen, 

d) innere Anleihen aufzunehmen. 


Bergmann, Der Weg der Reparation 13 193 





Dieser etwas zaghafte Vorschlag wurde durch eine weitere 
Note vom 8. November erläutert und durch das Gutachten der 
Herren Vissering, Dubois und Brand unterstützt, Diese Sachver- 
ständigen verlangten, daß während der Tätigkeit des inter. 
nationalen Syndikats und bis zur vollständigen Rückzahlung der 
vom Syndikat geleisteten Vorschüsse Deutschland von jeder Bar- 
zahlung auf Grund des Vertrages von Versailles sowie von allen 
Sachlieferungen für Reparationszwecke vorübergehend befreit 


Gebiete auch während des Stabilisierungsprozesses zu über- 
nehmen, insoweit es möglich sei, diese Leistungen ohne Ver- 
mehrung der schwebenden Schuld aus dem Reichshaushalt oder 
durch innere Anleihen zu bestreiten. 


Die Reparationskommission nahm den Vorschlag stillschweigend 
entgegen und reiste nach Paris zurück. Eine Antwort darauf er- 
teilte sie auch später nicht, 


Die Note stellte weiterhin Richtlinien für die Ordnung des Reichs- 
haushalts auf und schloß mit dem Antrag, die Reparations- 
kommission möge schleunigst eine endgültige Festsetzung der 
deutschen Schuld herbeiführen und eine Konferenz von inter- 
nationalen Finanzleuten zur Beratung der geplanten Stützungs- 
aktion einberufen, Der Note beigefügt waren die Berichte der 
internationalen Sachverständigen über die Stabilisierung der Mark. 
Diese stimmten darin überein, daß Deutschland für einige Jahre 


194 








von allen Leistungen aus dem Vertrage von Versailles befreit 
werden müsse, Die Gruppe Brand, Cassel, Jenks und Keynes ver- 
trat aber nachdrücklich die Ansicht, daß die Stabilisierung der 
Mark in erster Linie von Deutschlands eigener Kraft, dem Einsatz 
seiner eigenen Mittel und dem entschlossenen Vorgehen seiner 
Regierung ausgehen müsse, Es sei verkehrt, die Hilfe des Aus- 
landes zur Grundlage des Stabilisierungsplanes zu machen. Einige 
technische Voraussetzungen für den Erfolg der Stabilisierung 
lägen schon vor: die große Goldreserve der Reichsbank, die 
Knappheit an Zahlungsmitteln und die Differenz zwischen der 
äußeren und inneren Kaufkraft der Mark. Diese Tatsachen machten 
es leicht, die Herrschaft über den Geldmarkt zu gewinnen, Bei 
einem Dollarkurs von 3500 Mark sei der Goldbestand der Reichs- 
bank mehr als doppelt so groß wie der Wert des Notenumlaufs, 
Das sei noch nie dagewesen. Noch keine Währung sei mil einer 
so großen unausgenutzten potentiellen Tragkraft zusammen- 
gebrochen. 

Das Gutachten der Herren Vissering, Dubois und Kamenka 
kam dagegen zu dem Schluß, daß zur vorläufigen Stabilisierung 
der Mark die finanzielle Hilfe des Auslandes von vornherein in 
großem Umfang notwendig sei, um das verlorengegangene Ver- 
trauen in die Zukunft der deutschen Währung wieder zu erwecken. 
Diese zweite Gruppe der Sachverständigen faßte eine allmähliche, 
sehr erhebliche Besserung der Mark ins Auge, während die 
angelsächsische Gruppe es für richtig erklärte, von vornherein 
einen festen niedrigen Stabilisierungskurs einzuführen und zu 
diesem Kurs sofort die Papiermark in Gold umzutauschen., 


Die gründliche und wertvolle Arbeit all dieser Sachver- 
ständigen hat damals leider keinerlei Nutzen gebracht. Die Repa- 
rationskommission gab der Note der deutschen Regierung vom 
14, November 1922 keine Folge. 

Wenige Tage später wurde mir in Paris mitgeteilt, daß irgend- 
ein praktisches Interesse für die deutschen Finanzen in Amerika 
und England nur in dem Fall zu erwarten sei, daß die Repa- 
rationsschuld endgültig auf eine bestimmte Summe herabgesetzt 
würde. Der Gedanke des Moratoriums in Verbindung mit einer 


195 





vorläufigen Lösung der Reparation trat wieder in den Hinter- 
grund. Offenbar scheiterten alle die schönen Pläne an dem Wider. 
stand der französischen Regierung. 


. Von neuem wandte man sich der Frage zu, ob nicht eine end- 
gültige Lösung zu finden sei. Vor allem beschäftigte sich Sir John 
Bradbury damit. Auch die anderen Mitglieder der Reparations- 
kommission schlossen sich der Meinung an, daß man mit der 
Stabilisierung der Mark und dem Moratorium allein nicht vorwärts 
komme, sondern sich trotz aller Schwierigkeiten mit dem Ge- 
danken einer vollkommenen Regelung der Reparation befreunden 
müsse. Die Alliierten, insbesondere Frankreich, planten damals 
eine neue interalliierte Konferenz in Brüssel, um die Reparation 


im Zusammenhange mit der Frage der interalliierten Schulden zu 


behandeln. Die Einberufung der Konferenz aber wurde durch den 
Rücktritt des englischen Kabinetts unter Lloyd George verzögert. 
Auch brauchte man auf allen Seiten Zeit, um Vorschläge zur 
Lösung der beiden großen Probleme vorzubereiten, Ich erhielt 
den Rat, die deutsche Regierung zur Einreichung eines umfassen- 
den Reparationsprogramms zu bestimmen, da es für keinen der 
Alliierten möglich sein würde, mit einem Plan hervorzutreten, 
der eine wesentliche Herabsetzung der deutschen Schuld in sich 
schlösse, 


Die neue englische Regierung unter Bonar Law verhielt sich 
abwartend und ließ die Dinge an sich herankommen. Die 
Stimmung in England war gegen die Abhaltung der Konferenz 
von Brüssel, weil man fürchtete, daß Frankreich als Entgelt für 
eine geringfügige Herabsetzung der deutschen Reparation die 
Streichung seiner gesamten interalliierten Schulden verlangen 
würde, Die Engländer wollten sich nicht der Gefahr aussetzen, 
daß in Brüssel die sämtlichen Verbündeten von England fordern 
würden, es solle seine eigenen Ansprüche aus Darlehen während 
des Krieges und nach dem Kriege streichen und außerdem seinen 
Anteil an der Reparation aufgeben, während in der Reparations- 
frage Frankreich auf unvernünftig harten Bedingungen bestehen 
würde, deren Annahme wiederum nur durch Bedrohung mit 
Sanktionen von Deutschland zu erreichen war. Eine solche Lösung 


196 





wäre für die englische öffentliche Meinung unerträglich gewesen. 
Poincar& dagegen hatte sich in der Oeffentlichkeit dermaßen auf 
eine baldige Eröffnung der Brüsseler Konferenz festgelegt, daß 
er alle Hebel in Bewegung setzte, um die Bedenken Englands zu 
überwinden. Dabei wurde er von Mussolini, dem neuen Chef der 
italienischen Regierung, energisch unterstützt. Schließlich kam 
man überein, die neue Reparationskonferenz durch eine Be- 
sprechung der alliierten Premierminister in London vorbereiten 
zu lassen, Einen Erfolg versprach man sich davon freilich von 
vornherein nicht. 

Die bei der Reparationskommission immer noch gehegten Hoff- 
nungen, daß das Bankierkomitee für die Reparationsanleihe wieder 
zusammentreten könnte, waren inzwischen jäh vernichtet worden. 
J. P. Morgan hatte sich im Sommer und Herbst 1922 in Europa 
aufgehalten und stand im Begriff, von London aus nach New York 
zurückzureisen. Nun waren auf Veranlassung von Delacroix, 
der trotz aller Fehlschläge seine Bemühungen eifrig fortsetzte, 
Vissering und Dubois nach Abschluß ihrer Arbeiten für die Stabili- 
sierung der deutschen Mark von Berlin nach Paris gefahren, um 
die Bildung des internationalen Stützungssyndikats für die Mark 
weiter zu verfolgen. Delacroix führte sie in Paris mit den 
belgischen Ministern Theunis und Jaspar zusammen. Man trat 
auch an Poincar& heran, und es gelang tatsächlich, ihn dazu zu 
überreden, daß er J. P. Morgan nach Paris einladen ließ, um mit 
ihm über das Reparationsproblem zu sprechen. Das mag rg 
nicht ganz leicht gefallen sein, weil die Einladung als eine Zurüc - 
nahme der schroffen Aeußerung aulgefaßt werden konnte, mit 
der Poincar& im Juni die Bankierkonferenz auseinandergesprengt 
hatte, Morgan antwortete auf die nach London übermittelte 
ladung zunächst ausweichend, wohl um zu zeigen, daß er sich 
nicht beliebig heranzitieren lasse. Kurz vorher hatte Poincare 
nämlich im Senat und in der Kammer erklärt, daß die nd 
der Pariser Bankierkonferenz vom Juni nicht weiter bedauerlic 
sei, weil die Bankiers gern jederzeit wieder a 
Würden, wenn man sie nur riefe, denn sie hätten ja lediglich ihr 
Geldinteresse im Auge. Diese Bemerkung muß Morgan ganz be- 


197 





sonders verstimmt haben. Immerhin erklärte er sich nach einigem 
Zureden bereit, nach Paris zukommen. Es erging nun eine formelle 
Einladung an ihn, allerdings nicht von Poincar& persönlich, sondern 
durch den französischen Finanzminister, in der eine Begegnung 
zwischen Poincare und Morgan auf den 22. November fest ver- 
einbart war. Alles schien in bester Ordnung zu sein, als ein Tele- 
gramm von Morgan bei Poincar& eintraf, in dem unter anderem 
gesagt war, daß eine Besprechung über die Reparationsfrage nur 
dann Zweck haben würde, wenn Poincar& sich grundsätzlich 
darüber klar sei, daß Deutschland ein mehrjähriges Moratorium 
haben müsse, Darauf ließ Poincare antworten, daß seine Zeit am 
22. November mit wichtigen Ministerratssitzungen dermaßen be- 
legt sei, daß er zu seinem Bedauern Morgan an dem festgesetzten 
Tage nicht sprechen könne, Damit war die Sache zu Ende. Morgan 
reiste von London direkt nach New York ab. 


Der Eindruck, den dieser zweite Zwischenfall in den Kreisen 
der Reparationskommission machte, war niederschmetternd, Man 
sah die wirtschaftliche Katastrophe nicht nur in Deutschland, 
sondern in ganz Europa kommen, Der Stabilisierungsplan für die 
Mark hatte keine Aussicht auf Verwirklichung mehr, nachdem 
Morgan voller Aerger abgereist war. 


Immer mehr: vertrat das angelsächsische Kapital den Stand- 
punkt, kein Geld für Deutschland aufzuwenden, solange die 
Reparationsfrage nicht vollständig gelöst sei. Poincares politische 
Stellung aber wurde immer stärker, da er wegen seiner Erfolge in 
der französischen Orientpolitik die ganze Kammer hinter sich 
hatte und niemand wagte, ihn öffentlich anzugreifen. Nunmehr 
verstummten auch die Ratschläge, Deutschland solle selbst einen 
Plan für die endgültige Regelung der Reparation vorlegen. In 
Paris und London gab man offen zu, daß keine deutsche Offerte 
Aussicht auf Erfolg habe, solange Poincar& am Ruder sei. 


Wenn Deutschland die Stabilisierung der Mark durchführen 
wollte, so war es klar, daß es die Aufgabe nunmehr ohne aus- 
ländische Hilfe würde lösen müssen. Da aber die Stabilisierung 
ohne ein mehrjähriges Moratorium nicht möglich schien und von 
Poincar& kein Moratorium zu haben war, wenn Frankreich dafür 


198 


2 
’ 





nicht eine Gegenleistung in Form von erheblichen Zahlungen er- 
hielt, so mußte Deutschland, wenn es überhaupt noch praktisch 
Reparationspolitik treiben wollte, den Boden seiner letzten Note 
vom 14, November erheblich erweitern. Trotz der bitteren Ent- 
täuschungen, die die deutsche Regierung mit ihren Vorschlägen 
bisher erlebt hatte, entschloß sie sich doch dazu, ein neues An- 
gebot an die Alliierten zu machen. | 
Auch Deutschland hatte soeben seine Regierung gewechselt. Die 
durch innere und äußere Schwierigkeiten vollständig erschöpfte 
Regierung Wirth war gefallen. Sie wurde durch das Kabinett 
Cuno ersetzt, in welchem Hermes Finanzminister blieb. Dr. Cuno 
brachte aus seiner bisherigen Stellung als Generaldirektor der 
Hamburg - Amerika Linie weitreichende Beziehungen mit, vor 
allem zu amerikanischen Finanzkreisen. Hermes war durch se 
erfolgreichen Pariser Verhandlungen vom Mai 1922 rw : 
genoß bei den Alliierten Achtung und Vertrauen. Mit a Fat- 
kraft und frischem Entschluß trat das Kabinett an seine schwierige 
außenpolitische Aufgabe heran. In seinem Eifer, die Reparation 
durch eigene Vorschläge zu fördern, ließ es sich durch Warnungen 
von keiner Seite irre machen, Leider aber mußten alle An 
der Reparation und der französischen Regierung en < 
jeder Vorschlag, den Deutschland machen würde, ganz gleich- 
gültig, ob er vernünftig oder unvernünftig war, zwecklos . 
müsse, Poincare würde ihn schon deshalb ablehnen, weil er er 
von Deutschland kam. Bei dem Uebergewicht der politisc pie 
Macht Frankreichs war keine Aussicht dafür, Free in der 
Reparationsfrage umzustimmen oder zu überstimmen. Wol - man 
einen deutschen Vorschlag mit Aussicht auf Erfolg mac "es ” 
durfte man ihn nicht auf einer Konferenz vorlegen, wo er sofor 
nach seiner Verlesung zurückgewiesen worden wäre, sondern ga 
mußte ihn erst mit Sachverständigen der Allüierten, am a: 
Mitgliedern der Reparationskommission, sorgfältig ae je 
Der einfachste Weg wäre sicherlich gewesen, nei we 
Sachverständige der französischen Regierung beraru 2 
dieser Weg, der früher offenstand und auch Br: w 2. er 
seit der Konferenz von Genua und dem Zwischenfall von Rap 


199 





verschlossen, Diejenigen F ranzosen, vor allem Seydoux, welche 
das Reparationsproblem kannten und vernünftig beurteilten, waren 
seit jener Zeit von Poincare kaltgestellt worden und für deutsche 
Vertrauensleute nicht mehr zu erreichen, Mit Poincar& selber aber 
die Dinge so zu behandeln, daß man einer praktischen Lösung 
näher kam, war ganz unmöglich. Er ließ sich grundsätzlich mit 
Deutschen nur auf ganz offizielle Audienzen ein, bei denen er 
nichts anderes sagte als: ‚Ich verlange die strikte Erfüllung des 
Vertrages von Versailles.“ Er hatte eben keinerlei Verständnis 
dafür, daß es nötig war, durch vernünftige Verhandlungen den 
Vertrag erst ausführbar zu machen. Durch alle diese Tatsachen 
aber ließ sich, wie gesagt, die neue deutsche Regierung nicht ent- 
mutigen, 

Bei der Begegnung der Premierminister von England, Frank- 
reich, Italien und Belgien in London ließ Reichskanzler Cuno am 
9. Dezember 1922 mit einem Schreiben an Bonar Law einen Vor- 
schlag überreichen, der die Verpflichtungen Deutschlands aus dem 
Londoner Zahlungsplan für die nächsten J ahre regeln, aber auch 
der endgültigen Ordnung der Reparationsfrage die Wege ebnen 
sollte. Der Vorschlag, der auf Anregungen des Direktors der 
Deutschen Bank Wassermann zurückging, bezweckte in erster 
Reihe die Stabilisierung der Mark gemäß der deutschen Note 
vom 14, November, jedoch mit dem Zusatze, daß die deutsche 
Regierung entschlossen sei, den Versuch zur Stabilisierung mit 
eigenen Mitteln zu unternehmen, falls sich die Gewährung fremder 
Kredithilfe für den Augenblick als unmöglich erweisen sollte. 
Ferner schlug Deutschland vor, für die nächsten Jahre die laufen- 
den Reparationsverpflichtungen durch eine in Deutschland und 
im Auslande aufzulegende Goldanleihe zu begleichen. Der in 
Deutschland zu begebende Teil der Anleihe sollte mit 4 Prozent 
verzinst und mit % Prozent getilst werden. Die Zeichner sollten 
weitgehende Steuerfreiheit genießen, vor allem in bezug auf Erb- 
schaftssteuer und Kapitalertragssteuer. Außerdem sollte eine 
Amnestie wegen etwaiger Verstöße gegen die Kapitalfluchtgesetze 
zugesichert werden. Auf diese Weise hoffte man das im Ausland 
versteckte deutsche Kapital zur Rückkehr nach Deutschland und 


200 








zur Beteiligung an der Reparationsanleihe zu veranlassen. Der 
Erlös der äußeren Anleihe sollte der Reparation in voller Höhe 
zugute kommen, Von dem Erlöse der inneren Anleihe sollte die 
Hälfte an die Reparationskommission abgeführt werden, während 
die andere Hälfte bis zur Höhe von anderthalb Milliarden Gold- 
mark Deutschlands eigenen Bedürfnissen, insbesondere der Ord- 
nung der Währung und dem Ausgleich des Reichshaushalts dienen, 
mit einem etwaigen Mehrerirag aber ebenfalls der Reparation zu- 
fließen sollte. Gleichzeitig mit der Ausgabe der inneren Anleihe 
wollte die deutsche Regierung der Reparationskommission drei 
Milliarden deutsche Goldschatzanweisungen zur freien Verfügung 
übergeben. Diese sollten durch die deutschen Zolleinnahmen sicher- 
gestellt werden und das Vorrecht vor allen anderen Zahlungs- 
verpflichtungen aus dem Vertrag von Versailles erhalten. 


Dafür beantragte die deutsche Regierung Befreiung von allen 
Barzahlungen für zwei Jahre sowie von Sachlieferungen, die 
nicht aus dem deutschen Haushalt bestritten werden könnten. Für 
jede Milliarde Goldmark, welche die Reparationskommission aus 
dem Erlös der inneren Goldanleihe erhalten würde, sollte Reue 
land für ein weiteres Jahr von Barzahlungen frei sein. Die Regelung 
war für höchstens fünf Jahre gedacht. 


Das Angebot von Dr. Cuno wurde von Bonar Law in der 
Konferenz der Premierminister verlesen. Wie nicht anders zu = 
warten war, beantragte Poincar& sofort die Zurückweisung = 
deutschen Vorschlags ohne jede Diskussion, da er völlig —_ 
nehmbar sei. Dabei blieb es denn auch. Bonar Law teilte Dr. Cuno 
am 10. Dezember 1922 mit, daß sein Angebot bei der Pe 
wärtigen Lage nicht als befriedigend angesehen werden h jean 
Wieder einmal hatte der Starrsinn Poincares jede kiasran 
Besprechung des deutschen Vorschlags von ... ._ “ 
Dabei wäre dieser einer ernsthaften Behandlung woh 2 z - 
wesen, Das wurde mir damals in London von wi 
belgischen Mitgliedern der En er = is wer 

n, Das Angebot der Goldanleihe wa h 
en wenn . im einzelnen mehr ausgebaut ee 
Sie vermißten vor allem eine Erklärung dahin, daß die 


201 





Großindustrie das Angebot der Regierung unterstütze und den 
Erfolg’ der Anleihe zu einem Teile selber garantiere, Zu einer 
glatten. Zurückweisung des sorgfältig überlegten deutschen Vor- 
schlags lag jedenfalls kein ernsthafter Anlaß vor. 


Mussolini brachte dann noch einen italienischen Vorschlag für 
die Lösung der Reparationsfrage vor, der in der Konferenz eben- 


falls keinen Anklang fand. 


Da sachliche Ergebnisse nicht zu erzielen waren, beantragte 
Poincare die Ergreifung von Strafmaßnahmen gegen Deutsch- 
land, vor allem die Besetzung des Ruhrgebiets. Das wurde von 
der Konferenz abgelehnt. Darauf vertagte man sich mit dem Be- 


schluß, die Besprechung unter den Premierministern am 2. Januar 
1923 fortzusetzen, 


In den beiden letzten Wochen des Dezember 1922 arbeitete 
die Berliner Regierung trotz des Mißerfolges in London fieberhaft 
an der Aufstellung eines umfassenden Angebotes für die voll- 
ständige Lösung der Reparationsfrage. Sie wollte den Alliierten 
durch die Tat beweisen, daß es ihr mit der Erfüllung ihrer Repa- 
rationspflicht bitterer Ernst sei. Zahlreiche Sachverständige aus 
Finanz und Industrie wurden zu den Beratungen hinzugezogen. Es 
sollte ein Plan ausgearbeitet werden, der die deutsche Leistungs- 
fähigkeit voll ausschöpfte. Bei diesen Besprechungen teilte ich 
die Grundzüge eines Planes von Sir John Bradbury mit, die ich 
soeben in London erfahren hatte. Er baute sich im wesentlichen 
auf den Ideen des Vorschlags auf, den England bald darauf der 
Pariser Konferenz vorlegte, und den wir noch näher behandeln 
werden. Man hatte mir in London nahegelegt, die deutsche 
Regierung solle den englischen Plan aufgreifen und zu dem ihrigen 
machen. Die deutschen Sachverständigen aber lehnten ihn als 
unausführbar ab. Sie selber kamen freilich auch nur sehr schwer 
zur Verständigung über einen eigenen Plan. Erst in den Weih- 
nachtstagen wurde das deutsche Angebot fertiggestellt. Dr. Cuno 
und sein Außenminister von Rosenberg wollten es noch vor dem 
Zusammentreffen der Alliierten in Paris veröffentlichen. Nur mit 
Mühe ließen sie sich endlich davon überzeugen, daß es unter 
den gegebenen Verhältnissen ganz aussichtslos war, mit irgend- 


202 








welchem: deutschen Angebot auch nur einen moralischen Erfolg 
zu erzielen. Es wäre von der französischen Presse sofort nieder- 
geschrien und von Poincare glatt abgelehnt worden. 


In Paris herrschte bei der Reparationskommission gleichfalls 
eifrige Tätigkeit. Sie war aber nicht aufbauender Natur, sondern 
beschränkte sich darauf, deutsche Verfehlungen festzustellen. 
Nach dem Mißerfolg der Londoner Konferenz wurde es immer 
klarer, daß die französische Politik darauf ausging, Sanktionen 
gegen Deutschland zu ergreifen. Das war nur möglich, wenn die 
Reparationskommission Verstöße Deutschlands gegen seine Repa- 
rationspflicht feststellte. Allerdings sah es zunächst so aus, als 
trete die von Poincar& ständig angedrohte Besetzung des Ruhr- 
gebietes in den Hintergrund. Er erklärte in der Kammer und vor 
den Vertretern der Presse, daß die militärische Besetzung der 
Ruhr nicht der einzig mögliche Weg sei, von Deutschland 
materielle Sicherheiten zu erhalten, daß er vielmehr seine Politik 
der produktiven Pfänder durch administrative Maßnahmen ım 
Rheingebiet zu verwirklichen suche, _ 

Schon am 20. Oktober 1922 hatte die französische Delegation 
bei der Reparationskommission beantragt, Deutschlands .. 
hafte Verfehlung in bezug auf die Holzlieferungen an Frankreic 
festzustellen. In der Tat waren die Lieferungen von Holz aus 
dem Vertrage von Versailles Gegenstand dauernden Streites mit 
der Kommission gewesen. Die Alliierten behaupteten, daß Deutsch- 
land dank seines Waldreichtums gerade in Holzlieferungen für 
den Wiederaufbau Großes leisten könne. Dagegen erklärte die 
deutsche Regierung, daß das Reich keine eigenen Holzbestände 
habe, sondern sich an die einzelnen Länder als Besitzer der 
Waldungen und an den Holzhandel wenden müsse, also ganz 
von der Marktlage abhängig sei. Wie bei allen re aus 
dem Vertrage von Versailles spielte auch beim Holz die Preis rage 
eine große Rolle. Als man schließlich über den Preis einig . 
worden war, stellte es sich heraus, daß die in dem Be e 
Kommission für 1922 festgesetzten Mengen nur mit Kan ” 

zögerung zu liefern waren. Die deutsche Regierung Min 
liche Angebote mit festen Preisen in. Papiermark ausgeschri 


203 











aber nicht damit gerechnet, daß infolge der starken Entwertung 
der Mark im Sommer 1922 niemand zu den festgesetzten Preisen 
das Holz liefern konnte, Auch hatte sie versäumt, ihr Preis- 
angebot rechtzeitig der Markentwertung anzupassen. So kam es, 
daß gegen Ende des Jahres nur ein. Teil der verlangten Holz- 
mengen geliefert war. Bei den Lieferungen an Frankreich blieben 
20000 Kubikmeter Schnittholz und 130000 Telegraphenstangen 
im Werte von einigen Millionen Goldmark im Rückstand. 


Am 1. Dezember 1922 wurden deutsche Vertreter vor der 
Reparationskommission über die Holzlieferungen gehört. Sie er- 
klärten die Rückstände mit den Folgen der Markentwertung und 
mit verschiedenen technischen Schwierigkeiten, vor allem damit, 
daß die von den Alliierten verlangten Typen und Abmessungen 
im deutschen Holzhandel nicht gebräuchlich seien, versprachen 
aber Nachlieferung bis 1. April 1923, Die Art und Weise der 
Verhandlung mit den deutschen Vertretern war unerfreulich, Sie 
standen mit Recht unter dem Eindruck, als ob der Vorsitzende 
der Kommission Barthou ihnen mit jeder Frage einen Strick 
drehen wollte, und waren deshalb in ihren Aeußerungen befangen 
und gar zu vorsichtig. Die Atmosphäre war bereits mit Gewitter- 
schwüle geladen, Die Mehrheit der Kommission wollte auch gar 
keine Verständigung mehr, wenngleich Sir John Bradbury sein 
Bestes tat, um die Sache in Güte beizulegen. 


Am 26. Dezember 1922 kam es zum Urteilsspruch. Die Repa- 
rationskommission stellte einstimmig fest, daß Deutschland die 
Holzlieferungen an Frankreich für 1922 nicht vollständig erfüllt 
habe, Sie stellte ferner gegen den Widerspruch des englischen 


Delegierten fest, daß darin eine schuldhafte Verfehlung Deutsch- 


lands gegen seine Pflichten liege. Unter Stimmenthaltung des 
englischen Delegierten wurde beschlossen, dies den beteiligten 
Regierungen anzuzeigen, aber auch daran zu erinnern, daß die 
Reparationskommission in ihrer Note vom 21. März 1922 erklärt 
hatte: „Wenn die Reparationskommission im Laufe des Jahres 
1922 findet, daß Sachlieferungen an Frankreich oder an andere 
Alliierte durch schuldhafte Verfehlung Deutschlands gegen den 
Vertrag nicht ausgeführt worden sind, werden Ende 1922 ent- 


204 





sprechende Zuschläge zu den Geldzahlungen von Deutschland als 
Ersatz der nicht ausgeführten Lieferungen gefordert werden.” 
Diese Mitteilung an die alliierten Regierungen konnte nur heißen, 
daß die Kommission ihnen den Weg angab, wie nach ihrer Meinung 
ein Verstoß Deutschlands gesühnt werden konnte und sollte, 


Je näher der Tag heranrückte, an dem sich die alliierten 
Finanzminister wieder in Paris treffen sollten, um so unruhiger 
wurde die Regierung in Berlin. Sie wollte ihren neuen Reparations- 
plan durchaus zur Kenntnis der alliierten Konferenz bringen. Am 
30, Dezember sandte sie an ihre diplomatischen Vertretungen in 
Paris, London, Rom und Brüssel telegraphisch die Weisung, den 
alliierten Regierungen mitzuteilen, daß ein neuer deutscher Repa- 
rationsplan vorliege, der durch einen bevollmächtigten Vertreter 
der deutschen Regierung der Konferenz in Paris auf Wunsch mit- 
geteilt werden solle, Dies wurde der französischen Regierung 
durch den deutschen Botschafter am 1. Januar 1923 offiziell über- 
mittelt, Es ist wichtig, das festzustellen, weil Poincare in einer 
Rede am 23. April 1923 behauptet hat, das deutsche Angebot für 
die Pariser Januarkonferenz sei nachträglich erfunden. 


205 




















ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL 


DIE PARISER KONFERENZ 
VOM 2.BIS 4 JANUAR 1923 


Ich traf am 2, Januar 1923 in Paris mit dem Auftrag ein, mich 
zur Verfügung der Konferenz zu halten, falls sie die Absicht 
habe, den deutschen Plan kennenzulernen. Auf vertrauliche Er- 
kundigung bei der Reparationskommission erhielt ich den Rat, 
mit der Bekanntgabe des Planes noch zurückzuhalten und die 
Entwicklung der nächsten Tage abzuwarten. Zugleich sagte man 
mir, es bestehe wenig Aussicht, daß ich von der Konferenz über 
den deutschen Plan gehört würde; Frankreich würde vielleicht 


der deutschen Regierung anheimstellen, ihre Vorschläge schriftlich 


einzureichen, Es blieb mir daher, wenn ich nichts verderben 
wollte, nur übrig, ruhig zu warten, bis die Konferenz etwa den 
Wunsch äußern würde, den deutschen Plan kennenzulernen. Dazu 
ist es bei der Schnelligkeit, mit der die Konferenz abgebrochen 
wurde, nicht gekommen, Keine der alliierten Regierungen hat die 
Mitteilung, daß die deutsche Regierung bereit sei, ihren Plan vor- 
zulegen, irgendwie beantwortet, 

Bei Eröffnung der Konferenz am 2. Januar wurde von jeder 
beteiligten Regierung mit Ausnahme der belgischen ein Repa- 
rationsplan vorgelegt. 

Der englische Plan wollte die Reparation zugleich mit den 
europäischen interalliierten Schulden regeln. Die deutsche Schuld 
sollte auf der Grundlage der Vorschläge festgesetzt werden, die 
Sir John Bradbury bereits seit einiger Zeit ausgearbeitet hatte. 
Danach hatte Deutschland an Stelle der 132 Milliarden des 
Londoner Zahlungsplanes neue Obligationen in Höhe von 


206 








50 Milliarden Goldmark der Reparationskommission zu über- 
geben. Diese sollten mit 5 Prozent jährlich verzinslich und am 
31, Dezember 1954 zu pari rückzahlbar sein. Die Zinsen waren 
für die ersten vier Jahre (bis zum 1. Januar 1927) ganz zu stunden, 
für die darauffolgenden vier Jahre nur mit 4 Prozent zu zahlen, 
Für den Kapitalwert der gestundeten Zinsen sollte Deutschland 
am 1. April 1933 weitere fünfprozentige Obligationen in Höhe 
von 17,31 Milliarden Goldmark ausgeben, die am 31. März 1965 
zu pari rückzahlbar waren. Doch sollte ein auf Antrag der 
deutschen Regierung einzusetzendes Schiedsgericht vor dem 
1. April 1933 darüber entscheiden, ob und inwieweit die Nach- 
zahlung der gestundeten Zinsen innerhalb der Leistungsfähigkeit 
Deutschlands liege. Danach stellten sich die jährlichen Gesamt- 
leistungen Deutschlands wie folgt: 


Für die ersten vier Jahre. . . nichts 

Für weitere vier Jahre . ‚ je 2 Milliarden Goldmark 

Für die folgenden zwei Jahre . je 2% Milliarden Goldmark 

Nach zehn Jahren 3% Milliarden Goldmark oder 
eine geringere Summe, je 
nach der Entscheidung des 
Schiedsgerichts, mindestens 
aber 2% Milliarden. 


Zur Ueberwachung der deutschen Finanzen war ein Finanzaus- 
schuß in Berlin vorgesehen, bestehend aus Vertretern Englands, 
Frankreichs, Belgiens und Italiens sowie einem amerikanischen 
und einem neutralen Mitglied. Der deutsche Finanzminister sollte 
den Vorsitz führen, aber nur bei Stimmengleichheit mitstimmen, 
Er sollte verpflichtet sein, dem Rat des Finanzausschusses in allen 
Fragen der Währungsgesetze, des Haushalts und der Steuer- 
gesetze, der allgemeinen Finanzverwaltung, der Kapitalflucht und 
des Devisenverkehrs Folge zu leisten. Der Finanzausschuß sollte 
die deutsche Verwaltung so weit wie möglich in deutschen Händen 
lassen und jede Initiative in Einzelheiten der Gesetzgebung ver- 
meiden. Er sollte das Recht haben, den Beginn der Jahres- 
leistungen von 2 Milliarden bis zu zwei Jahren vorzudatieren und 
auch die weiteren Zahlungen verschieden zu regeln, ohne jedoch 


207 




















die deutsche Gesamtschuld zu erhöhen. Eine fortlaufende Tilgung 
der deutschen Schuld war im Plane nicht vorgesehen. Dafür war 
es Deutschland gestattet, die 50 Milliarden Obligationen auf Basis 
eines Rediskontsatzes einzulösen, der von ursprünglich 8, v. H. 
allmählich auf 5 v. H. herabging. Der Kapitalwert der gesamten 
deutschen Leistungen stellte sich hiernach, wie der Plan selber 
berechnete, auf 37 bis 39% Milliarden Goldmark. Damit sollten 
alle deutschen finanziellen Verpflichtungen aus dem Vertrage von 
Versailles, also nicht nur die Reparation, sondern auch Besatzungs- 
kosten, Schulden im Ausgleichsverfahren, Kosten der Kom- 
missionen usw. abgegolten sein. Die Sachlieferungen Deutschlands 
sollten während der ersten vier Jahre von den empfangenden 
Ländern bar bezahlt oder auf ein Mindestmaß — Koks an Frank- 
reich, Kohlen an Italien, vielleicht auch Farbstoffe — ermäßigt 
werden. Die Reparationskommission war aufzulösen oder nur 
noch als richterliche Instanz zu belassen. 


Deutschland hatte sofort seine Währung und seinen Haushalt 
zu ordnen, Bei Nichterfüllung der Bedingungen des Planes sollte 
es allen Maßnahmen unterworfen sein, die von den alliierten 
Mächten einstimmig als notwendig erachtet würden, einschließ- 
lich militärischer Besetzung weiterer deutscher Gebiete, 


Der englische Plan schiug ferner einen Ausgleich der inter- 
alliierten Schulden vor, die während des Krieges zwischen den 
europäischen Alliierten entstanden waren. Die amerikanischen 
Forderungen an Europa blieben natürlich außer Betracht, Aber 
auch die Anleihen, welche den Alliierten nach Kriegsschluß ge- 
geben waren, sollten in Kraft bleiben, 


Für die Streichung seiner Kriegsforderungen verlangte Eng- 
land: 1. die Aufhebung des belgischen Prioritätsrechts auf Repa- 
ration, 2, das Anerkenntnis Frankreichs und Italiens, daß die 
von ihnen während des Krieges in England hinterlegten Gold- 
depots als verfallen gelten sollten. Es handelte sich bei Frank- 
reich um etwa eine Milliarde Goldmark, bei Italien um etwa 
400 Millionen Goldmark. Das Gold war während des Krieges 
im Einvernehmen zwischen den beteiligten Ländern nach Amerika 
verkauft worden, so daß in Wirklichkeit kein Depot mehr in Eng- 


208 





land bestand. Diese Tatsache wurde damit zum erstenmal öffent- 
lich bekanntgegeben. Uebrigens wird das französische Golddepot 
in England noch heute im Ausweis der Bank von Frankreich als 


Gold im Ausland aufgeführt. 


Außerdem sollte Frankreich seinen Anteil an den deutschen 
Obligationen, die zur Bezahlung der belgischen Kriegsschuld be- 
stimmt waren, an England abtreten. Ebenso sollte Italien 
1% Milliarden Goldmark deutscher Obligationen an England 
übertragen, Auch für den Ausgleich der Schulden zwischen den 
sogenannten kleinen Alliierten waren Bestimmungen getroffen. 


Der französische Plan erklärte: 


Frankreich lehnt es ab, seinen Anteil an den Zahlungen ver- 
ringern zu lassen, die Deutschland nach dem Londoner Zahlungs- 
plan schuldet. Eine Ermäßigung der deutschen Schuld kommt 
nur dann in Frage, wenn andere Alliierte ihren Anteil an der 
Reparation zugunsten Frankreichs abändern oder ein Vorrecht 
für den Wiederaufbau der zerstörten Gebiete zugestehen. Frank- 
reich wird Zinsen oder Kapital seiner interalliierten Schulden 
erst bezahlen, wenn durch deutsche Leistungen sämtliche Aus- 
gaben für den Wiederaufbau der zerstörten Gebiete gedeckt 
sind. Diese Ausgaben entsprechen ungefähr dem französischen 
Anteil an den Obligationen A und B des Londoner Zahlungs- 
plans, also 52 Prozent von 50 Milliarden = 26 Milliarden 
Goldmark. | 

Unter dieser Voraussetzung ist Frankreich bereit, von seinem 
Anteil an den Obligationen C des Londoner Zahlungsplans einen 
Betrag in Höhe seiner Schuld an die Alliierten abzutreten. Es 
will auch den Rest der ihm zustehenden Obligationen C annul- 
lieren, wenn alle Alliierten dies gleichfalls tun. Ein Moratorium 
kann Deutschland nur auf zwei Jahre und nur in beschränktem 
Umfange zugestanden werden. Deutschland muß aber auch 
während des Moratoriums 1. die Kosten für die Besatzungs- 
truppen und für die interalliierten Kommissionen weiterzahlen, 
2. die vertraglichen Sachlieferungen machen, 3. die sonstigen 
Zahlungen für die Ausgleichsämter, Schiedsgerichte usw. leisten 


Bergmann, Der Weg der Reparation 14 209 

















und die Rücklieferungen vornehmen und außerdem 4. bestimmte 
Barzahlungen für die Reparation leisten. 

Zur Sicherung dieser Leistungen werden Pfänder bestellt. Die 
Kohlenlieferungen werden durch eine interalliierte Kontroll- 
kommission in Essen unter französischem Vorsitz überwacht. Die 
Kontrollkommission erhält das Recht, dem Kohlensyndikat und 
der deutschen Verkehrsverwaltung Befehle zu erteilen. Die 


alliierten Regierungen können in den Staats- und Gemeindeforsten - 


des besetzten Gebietes Holz einschlagen lassen. Für die Sach- 
lieferungen darf unter Kontrolle der Rheinlandkommission im 
besetzten Gebiet und im Ruhrbezirk requiriert werden, soweit 
Deutschland mit den Lieferungen im Rückstand bleibt. Von der 
Ausfuhr aus dem besetzten Gebiet und dem Ruhrbezirk werden 
Abgaben in Devisen erhoben. Die Zolleinnahmen und die Kohlen- 
steuer im besetzten Gebiet und im Ruhrbezirk werden für Rech- 
nung der Alliierten beschlagnahmt; ein Teil davon ist in Devisen 
zu erheben. 

Der französische Plan berechnete die deutschen Jahres- 
leistungen für die Reparation während des Moratoriums auf 
mindestens eine Milliarde Goldmark. Tatsächlich würden sie viel 
höher gewesen sein, weil auch die Kosten für die Besatzung, für 
die Ausgleichsämter, für Rücklieferungen usw. von Deutschland 
zu tragen waren, 

Jeder Verstoß Deutschlands gegen das vorgesehene Pro- 
gramm sollte automatisch folgende Sanktionen nach sich ziehen: 
1. Militärische Besetzung der Bezirke von Essen und Bochum und 
sonstiger Teile des Ruhrbeckens, die Marschall Foch bestimmen 
würde, 2. die Errichtung einer Zollgrenze östlich der gesamten 
besetzten Gebiete. 

Es ist nicht möglich, zu berechnen, welchen Jetztwert die 
deutsche Gesamtschuld nach den französischen Vorschlägen 
gehabt haben würde, da zu dem Mindestbetrag der eigentlichen 
Reparationsschuld von 50 Milliarden Goldmark noch die jähr- 
lichen Besatzungskosten von 220 Millionen Goldmark und die 
sonstigen der Höhe nach unbestimmten Nebenleistungen aus dem 
Vertrage von Versailles treten sollten. 


210 





Der italienische Plan schloß sich an die Gedanken an welche 
Mussolini, der in Paris nicht anwesend war, bereits 9 der 
Londoner Zusammenkunft im Dezember 1922 entwickelt hatte 
Für jede Ermäßigung der deutschen Schuld wurde ein ange 
messener Ausgleich der interalliierten Schulden durch England 
verlangt, Mit dieser Maßgabe sollte die Reparationsschuld auf 
>0 Milliarden Goldmark verringert werden, Gegen Gewährung 
eines zweijährigen Moratoriums sollte Deutschland unverzüglich 
eine Anleihe von mindestens 3 Milliarden Goldmark aufnehmen. 
Ein Teil davon war nach den Vorschlägen der im November 1922 
nach Berlin berufenen Sachverständigen zur Stabilisierung und 
Besserung der Mark zu verwenden, der Rest unter die Repa- 
rationsgläubiger zu verteilen. Die deutschen Banken und die 
deutsche Industrie sollten die Unterbringung der Anleihe von 
3 Milliarden Goldmark garantieren. Nach Ablauf des Mora- 
toriums und nach Wiederherstellung des deutschen Kredits sollte 
Deutschland die Reparationszahlungen mit Hilfe großer Anleihen 
aufnehmen. Für schnelle Abzahlung war ein stärkerer Rediskont 
vorgesehen. Auch der italienische Plan schlug, abgesehen von 
der allgemeinen Kontrolle der vertraglichen Sicherheiten, be- 
sondere Pfänder vor, nämlich unmittelbare Zollerhebung durch 
die Alliierten an der äußeren Rheinlandgrenze, Kontrolle der 
staatlichen deutschen Forstverwaltung und der Staatsbergwerke 


im Ruhrgebiet, 


Die Bekanntgabe des englischen Planes erregte innerhalb und 
außerhalb der Konferenz gewaltiges Aufsehen. Er stieß alle 
Alliierten vor den Kopf, weniger durch die vorgeschlagene 
Regelung der Reparation als durch die Opfer, welche er von den 


Verbündeten Englands verlangte. Belgien fühlte sich gekränkt 


durch die Zumutung, es solle seine Priorität aufgeben, die ihm 
das Recht auf die nächste Milliarde Goldmark aus der Reparation 
sicherte, Frankreich und Italien nahmen besonderes Aergernis 
an dem Verlangen, daß ihre Golddepots in England verfallen 
sein sollten, 

In der Konferenz waren alle nichtenglischen Vertreter sofort 
darüber einig, daß der englische Plan vollständig unannehmbar 


er 211 





























sei. Poincar& warf Bonar Law vor, daß sein Vorschlag in vielen 
Punkten gegen den Vertrag von Versailles verstoße, ja ihn voll- 
kommen umstürze, Auch erklärte er, daß der englische Plan die 
deutschen Zahlungen auf eine unerträglich niedrige Ziffer herab- 
setze, Bei sofortiger Abzahlung der Gesamtschuld komme 
Deutschland mit 27 Milliarden Goldmark weg. Dann würde 
Frankreich weniger erhalten, als seine eigene Schuld in Amerika 
betrage, und für den Wiederaufbau der zerstörten Gebiete würde 
nichts übrig bleiben. 

Ebenso scharfe Kritik übte Bonar Law an dem französischen 
Plan. Seine Durchführung würde den deutschen Kredit vollends 
zerstören und eine geregelte Reparation unmöglich machen. Man 
müsse wählen zwischen der Hoffnung auf künftige erhebliche 
Zahlungen Deutschlands, wie sie der englische Plan vorsehe, und 
der Gewißheit, daß nach einer kurzen Periode, in welcher unter 
dem französischen Plan einige beschränkte Zahlungen von 
Deutschland erzwungen werden könnten, die Möglichkeit der 
Reparation überhaupt zunichte gemacht werde, Das Moratorium, 
das Frankreich zugestehen wolle, sei in Wirklichkeit nicht des 
Namens wert, weil es von Anfang an Jahresleistungen von 
Deutschland fordere, die sich auf etwa 1% Milliarden Goldmark 
stellten. 


Die erregten Verhandlungen zwischen den Alliierten dauerten 
nur zwei Tage, Schon am 4. Januar wurde die Konferenz ergebnis- 
los abgebrochen. Die Vertreter der Alliierten wechselten schließ- 
lich höfliche Redensarten, in denen sie den negativen Ausgang 
der Zusammenkunft bedauerten und sich gegenseitig die Fort- 
dauer der freundschaftlichen Beziehungen zusicherten. In Wirk- 
lichkeit hatte jedoch die Konferenz von Paris die tiefgehende 
Zwietracht unter den Alliierten, vor allem zwischen Frankreich 
und England, zum offenen Ausdruck gebracht. Bedeutsam war 
die Schlußerklärung Poincares, daß Frankreich nunmehr seine 
Aktionsfreiheit wiedergewinne, um den Vertrag, den man unter- 
zeichnet habe, zur Ausführung zu bringen. 

In der allgemeinen Aufregung dachte keiner der Alliierten 
mehr daran, daß auch ein deutscher Reparationsplan bestand, zu 


212 








dessen Bekanntgabe ich in Paris anwesend war, Diesen Plan ohne 
Aufforderung vorzulegen, wäre nicht nur ein $rober taktischer 
Fehler, sondern auch den deutschen Interessen sehr schädlich 
gewesen. Schon der englische Plan, der immerhin von einer 
‚deutschen Gesamtleistung von 50 Milliarden Goldmark ausging 
war von den übrigen Alliierten als unannehmbar bezeichall 
worden. Wie hätte es möglich sein können, einen besseren Ein- 
druck mit den deutschen Vorschlägen zu machen, die naturgemäß 
weit hinter dem englischen Plan zurückblieben! Der deutsche 
Plan für Paris, dessen Träger ich war, ist nie veröffentlicht 
worden, Er sei hier aber wenigstens in seinen Grundzügen 
angegeben: 

Deutschland erbot sich, alsbald eine internationale Anleihe 
von 20 Milliarden Goldmark aufzunehmen, die mit 5 Prozent zu 
verzinsen und mit 1 Prozent zu tilgen war. Aus dem Erlös der 
Anleihe war der Zinsendienst für die ersten vier Jahre zu be- 
streiten. Die Tilgung der Anleihe sollte nach vier Jahren beginnen. 
Ein Teil der Anleihe war in Deutschland selbst zu begeben. Davon 
sollte die Hälfte des Erlöses für die eigenen deutschen Bedürf- 
nisse, vor allem für die Stabilisierung der Mark Verwendung 
finden, Soweit die 20 Milliarden bis zum 31. Dezember 1926 nicht 
im Wege der Anleihe begeben sein würden, sollten sie von da ab 
mit 5 Prozent verzinst und mit 1 Prozent getilgt werden. 


Deutschland erklärte sich ferner bereit, falls seine Leistungs- 
fähigkeit es zulassen würde, nach dem 1. Januar 1927 eine weitere 
Anleihe von 5 Milliarden Goldmark für Reparationszwecke 
auszugeben, die ebenfalls mit 5 Prozent zu verzinsen und mit 
1 Prozent zu tilgen war. Die Fähigkeit zu. dieser Leistung 
sollte dann erwiesen sein, wenn das Finanzkonsortium, welches 
die erste große Anleihe begeben haben würde, die weiteren 
5 Milliarden im Ausland durch öffentliche Zeichnung auf den 
allgemeinen Kredit des Reiches hin zu normalen Bedingungen 
unterbringen könne, 


Nach dem 1, Januar 1931 würde Deutschland unter den 
gleichen Bedingungen eine dritte Anleihe von 5 Milliarden Gold- 
mark begeben. Deutschland versprach, dem Anleihekonsortium 


213 


. jede vernünftige Sicherheit einzuräumen. Die Einzelheiten darüber 
sollten der Verhandlung mit dem Anleihekonsortium vorbehalten 
bleiben. Deutschlands Industrie- und Bankwelt werde trotz ihrer 
Bedenken, ob das Angebot die Leistungsfähigkeit Deutschlands 
nicht schon überschreite, die Regierung bei der Durchführung des 
Planes unterstützen. Die Regierung werde die gesetzlichen Maß- 
nahmen treffen, die zur Heranziehung aller schaffenden Kräfte 
und Erwerbsstände des Volkes notwendig seien. 


Im übrigen stellte sich der Plan auf den Boden des deutschen 
Angebots vom 14. November 1922, 

Wären diese Vorschläge in der gereizten Stimmung, die im 
Verlaufe der Konferenz entstanden war, den Alliierten bekannt- 
gegeben worden, so konnte man nach allen Erfahrungen mit den 
früheren deutschen Angeboten bestimmt erwarten, daß die ent- | TEIL UI 
zweiten Alliierten in heller Empörung über die deutsche „An- 


maßung‘ sich wieder in gemeinsamem Strafzuge gegen Deutsch-_ DIE BESETZUNG DES RUHRGEBIETS 


land geeinigt haben würden. 














| 
214 | | : 
: 
| z 









































DREIUNDZWANZIGSTES KAPITEL 
GEWALT UND PASSIVER WIDERSTAND 


Sofort nach dem Abbruch der Konferenz von Paris sprach alle 
Welt von der Besetzung des Ruhrgebiets wie von einer nun 
unvermeidlichen Sache, Man hat sich in jenen Tagen nicht klar 
gemacht, welcher logische Unsinn darin lag, daß deutsches Gebiet 
von den Alliierten gewaltsam besetzt werden sollte, weil sie unter 
sich nicht zu einer Einigung über die Reparation und ihre 
internen Schuldverhältnisse kommen konnten, Deutschland selber 
war von Rechts wegen gar nicht im Spiele. Es handelte sich durch- 
aus nicht darum, daß die deutsche Regierung durch irgendeine 
Handlung oder Unterlassung den Zorn der alliierten Mächte 
heraufbeschworen hatte, der sich durch neue Strafmaßnahmen 
Luft machen mußte. Deutschland war überhaupt nicht aufge- 
fordert worden, sich auf der Konferenz irgendwie zu äußern. Ohne 
sein Zutun waren die politischen Gegensätze zwischen England 
und Frankreich auf der Pariser Konferenz zu feindseligem Aus- 
bruch gekommen. Daß Deutschland für diesen Streit zwischen den 
Alliierten, für den es doch nichts konnte, in so schrecklicher Weise 
büßen mußte, das ist eine der schlimmsten Ungerechtigkeiten, 
welche die Weltgeschichte aufzuweisen hat. Der Schwache stand 
dabei, als die Starken sich stritten, und bekam die Prügel. 

Belgische und englische Mitglieder der Reparationskommission 
überlegten schon am 5. Januar 1923 mit mir in Paris, was 
Deutschland im Falle der Ruhrbesetzung tun solle. Sie rieten 
mir, Deutschland solle die Reparationskommission um eine 
authentische Feststellung ersuchen, ob die Besetzung innerhalb 


217 

















der alliierten Vertragsrechte liege. Ein solcher Spruch der Kom- 
mission müsse einstimmig sein und die Einstimmigkeit würde 
wahrscheinlich nicht erzielt werden. Wenn aber die Kommission 
sich der verlangten Feststellung entziehen würde, solle Deutsch- 
land seine zeitweilige Aufnahme in den Völkerbund beantragen 
und den Völkerbund zum Schiedsspruch auffordern. Es sei etwas 
anderes, ob Deutschland allein den Einmarsch für rechtswidrig 
erkläre oder ob es durch die öffentliche Meinung der Welt unter- 
stützt werde, Die deutsche Regierung hat von diesen Ratschlägen, 
deren Nutzen immerhin recht fraglich war, keinen Gebrauch 
gemacht. 


Frankreich wollte diesmal die sofortige Besetzung. Das ging 
aus allem hervor, Wie aber kam Poincare, der Zauderer, gerade 
jetzt zu dem Entschluß, die Drohung auszuführen, mit der er so 
lange gefuchtelt hatte, daß ihm zuletzt selber davor bange ge- 
worden war? Hier liegt ein psychologisches Rätsel vor, das 
schwer zu lösen ist. Nach dem Abbruch der Pariser Konferenz 
steckte Poincare in einer bösen Klemme, Durch den offenen Streit 
mit England war der Wagen der Reparation hoffnungslos fest- 
gefahren. Nun mußte Frankreich versuchen, die Reparation auf 
eigene Faust zu betreiben. Das schien nur auf dem Wege eines 
Gewaltstreichs möglich. 


Die Entscheidung über die Besetzung der Ruhr soll wie folgt 
gefallen sein: Poincare ging in seiner Not zu Millerand, dem 
Präsidenten der Republik, um sich Rat zu holen, Millerand, all- 
zeit unter dem Einfluß der lothringischen Hüttenleute um de 
Wendel, die in der Besetzung der Ruhr ein treffliches Mittel zum 
gesicherten Bezuge der für ihre Betriebe nötigen Mengen von 
Koks und Kohle sahen, erklärte Poincare, nun müsse er endlich 
Ernst mit der Ruhrbesetzung machen, die er so lange im Munde 
geführt habe, Poincar& aber schwankte noch immer. Erst als der 
Verkehrsminister Le Trocquer, ein nationalistischer Heißsporn, 
der ständig für die Besetzung eingetreten war, ihm an der Hand 
von Zahlen nachwies, daß der seit Monaten ausgearbeitete Plan 
einer französischen Zwangsverwaltung im Ruhrgebiet unter militä- 
rischem Schutz große und sichere Reparationsgewinne abwerfen 


218 








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müsse, ließ sich Poincar& zu dem gefürchteten Entschluß be- 
stimmen, 

Ich kann nicht verbürgen, daß sich der Vorgang genau so 
abgespielt hat. Die Geschichte ist mir aber von unterrichteter 
Seite erzählt worden und klingt recht wahrscheinlich. 


Wie dem auch sei, Frankreich beantragte bei der Reparations- 
kommission, schleunigst die Verfehlung Deutschlands in den 
Kohlenlieferungen festzustellen. Denn die Besetzung des Ruhr- 
gebiets mußte, wenn die Rechtsform gewahrt bleiben sollte, als 
eine Vertragsstrafe für den Verstoß Deutschlands gegen seine 
Reparationspflicht konstruiert werden. Dazu war nötig, daß die 
Reparationskommission eine solche Schuld feststellte und Anzeige 
an die alliierten Mächte erstattete, Diese waren dann auf Grund 
des $ 18 Anhang II zu Teil VIII des Vertrages von Versailles 
berechtigt, wirtschaftliche und finanzielle Sperr- und Vergeltungs- 
maßregeln zu ergreifen und überhaupt alle Schritte zu unter- 
nehmen, die sie durch die Umstände für geboten hielten. Die fran- 
zösische Regierung stand von jeher auf dem Standpunkt, daß zu 
diesen Maßnahmen auch die Besetzung weiteren deutschen Ge- 
bietes gehöre, und daß jede einzelne verbündete Regierung auf 
eigene Faust handeln könne, Wir werden auf diese Rechtsfrage 
später noch etwas näher einzugehen haben. 

Wie wir wissen, hatte die Reparationskommission wenige 
Tage zuvor eine Verfehlung Deutschlands in den Holzlieferungen 
festgestellt und zwar gegen die Stimme des englischen Dele- 
gierten. Auf diese Schuld allein aber ließ sich selbst nach Ansicht 
der französischen Regierung die Strafe der Ruhrbesetzung nicht 
aufbauen, da der Gegenstand zu geringfügig war. Außerdem 
konnte man die Holzlieferungen durch die Beschlagnahme des 
Ruhrgebiets nicht bessern. Im Ruhrgebiet gab es kein Holz, wohl 
aber viel Kohle, Und Frankreich wollte noch mehr Kohle, noch 
viel mehr Koks, als es bisher bekam. Daher mußte Deutschland 
auf dem Gebiet der Kohlenlieferungen für schuldig erklärt werden. 


Es war in der Kohlenfrage nach den Stürmen der ersten Jahre 
ziemlich ruhig geworden. Die Reparationskommission setzte letzt- 
hin das Lieferungsprogramm für die Kohlen in Höhe von etwa 


219 

















1 700 000 Tonnen im Monat fest und Deutschland lieferte ständig 
etwa 10 Prozent weniger. Natürlich gab es von Zeit zu Zeit immer 
noch Beschwerden über mangelhafte Lieferung nach Menge und 
Sorten. Die deutsche Regierung erklärte dann regelmäßig, daß 
die einzelnen Kohlensorten, vor allem Koks, nicht in den ver- 
langten Mengen verfügbar seien. Dabei blieb es dann in den 
meisten Fällen und im allgemeinen wurde der Zustand von beiden 
Seiten als erträglich angesehen. Die Reparationskommission dachte 
bis zur Pariser Konferenz nicht daran, gerade aus der Kohlen- 
irage einen Konflikt herzuleiten. Für die ersten elf Monate 
des Jahres 1922 hatte, wie eine Denkschrift der französischen 
Regierung vom 2. Januar 1923 angab, die Reparationskommission 
für Frankreich und Luxemburg zusammen 13 864100 Tonnen 
angefordert, Davon hatte Deutschland 84,4 Prozent, nämlich 
11 710365 Tonnen tatsächlich geliefert. Nach deutschen Angaben 
war mehr, nämlich 89 Prozent geleistet, In den letzten drei 
Monaten waren die deutschen Lieferungen noch über diesen 
Prozentsatz hinaus gestiegen. Trotz alledem mußte die Kohle 
dazu herhalten, den Rechtsgrund für die Ruhrbesetzung zu 
schaffen. Alle anderen Beschwerden über mangelhafte deutsche 
Lieferungen, welche die genannte französische Denkschrift auf- 
zählt, betrafen Dinge minderer Bedeutung — Stickstoff, Pflaster- 
steine und Wasserbauarbeiten gemäß dem großen Programm von 
Le Trocquer. Sie waren auch zu unbestimmt und zu wenig be- 
gründet, Man konnte vor der Welt die Besetzung des Ruhrgebiets 
mit seinen reichen Kohlenschätzen am besten durch ungenügende 
Belieferung Frankreichs mit deutschen Kohlen rechtfertigen, 
Die Reparationskommission stellte am 9, Januar 1923 gegen 
die Stimme des britischen Delegierten die schuldhafte Ver- 
fehlung Deutschlands in der Kohlenfrage fest. Formell war die 
Kommission in ihrem Recht, denn Deutschland hatte in der Tat 
nicht alle verlangten Mengen geliefert. Die Kommission hatte 
aber den beständigen Ausfall in den Lieferungen, der, wie gesagt, 
etwas mehr als 10 Prozent betrug, viele Monate hindurch still- 
schweigend geduldet. Sie war sich dessen bewußt, daß ihre An- 
forderungen sehr scharf an die Grenze der überhaupt möglichen 


220 














Leistung herangingen, Deshalb durfte sie sich nicht dazu her- 
geben, die Kohlenfrage auf einmal als Vorwand zu benutzen, um 
die militärische Besetzung des wichtigsten deutschen Industrie- 
gebietes zu rechtfertigen, Alle Mitglieder der Reparations- 
kommission ohne Ausnahme waren sich auch darüber klar, daß 
die Besetzung ein politisches Zwangsmittel war und zu einer 
wirtschaftlichen Katastrophe führen mußte, Gerade die Repa- 
rationskommission war durch den Vertrag von Versailles dazu 
berufen, die wirtschaftliche Gesundheit Deutschlands zu wahren, 
damit es in der Lage blieb, Reparation zu leisten, Sie wußte 
genau, was auf dem Spiel stand, als sie die Schuld Deutschlands 
in der Kohlenfrage feststellte, Sie erniedrigte sich damit von einer 
wirtschaftlich unabhängigen Behörde zu einem politischen Werk- 
zeug der französischen Regierung. Der britische Delegierte war 
das einzige Mitglied der Kommission, das offen gegen die Ent- 
scheidung Stellung nahm. 


Mehrere andere Mitglieder der Kommission standen dabei 
sicherlich in einem schweren Gewissenskampf. Sie mußten unter 
politischem Druck so handeln, wie es ihre Regierung verlangte, 
um die guten Beziehungen mit dem mächtigen Frankreich auf- 
rechtzuerhalten. 


Schon am 11. Januar 1923 rückten französische und belgische 
Truppen in das Ruhrgebiet ein. Der Einmarsch wurde der 
deutschen Regierung durch gleichlautende Noten Frankreichs 
und Belgiens mitgeteilt, Es hieß darin: 


Wegen der Verfehlung Deutschland in der Holz- und Kohlen- 
frage sei beschlossen worden, eine Kontrollkommission von 
Ingenieuren in das Ruhrgebiet zu entsenden, um die Tätigkeit des 
Kohlensyndikats zu überwachen, die strikte Durchführung des 
Lieferungsprogramms zu sichern und alle für die Bezahlung 
der Reparation erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, Die 
italienische Regierung habe gleichfalls beschlossen, sich durch 
Entsendung von Ingenieuren an der Mission zu beteiligen. Die 


‚Alliierten hätten im Augenblick nicht die Absicht, zu einer 


militärischen Operation oder zu einer Besetzung politischer 
Art zu schreiten. Sie ließen nur die zum Schutze der Mission 


221 











nötigen Truppen einrücken, Im normalen Leben der Bevölkerung 
werde keine Störung und keine Veränderung eintreten. Die 
deutsche Regierung habe das größte Interesse daran, die Arbeit 
der Mission und die Unterbringung der Truppen zu erleichtern. 
Notfalls würden: jedoch Zwangs- und Strafmaßnahmen ergriffen 
werden, Die Kontrollkommission für die Bergwerke und Fabriken 
sei ermächtigt, im besetzten Gebiet Auskünfte aller Art von jeder- 
mann einzufordern, Bureaus, Gruben, Fabriken, Bahnhöfe usw. 
zu betreten und alle Dokumente, kaufmännischen Bücher und 
Statistiken einzusehen. Das Personal der deutschen Verwaltung 
und die Vertreter der deutschen Industrie- und Handelsverbände 
sollten sich zur Vermeidung schwerer Strafen der Mission zur 
Verfügung stellen und nach ihren Befehlen handeln. Vom 
11, Januar 1923 ab würde die bisher vom Kohlensyndikat vorge- 
nommene Verteilung von Kohlen und Koks den Anordnungen 
der Kontrollkommission unterliegen. In erster Linie seien die 
alliierten Länder und das linksrheinische besetzte Gebiet zu be- 
liefern. Auch die neu besetzten Gebiete sollten ausreichend ver- 
sorgt werden. | 

Von den Bedürfnissen des unbesetzten Deutschland war keine 
Rede. 

Das Kohlensyndikat hatte die Ankunft der Kontrollkommission 
und der Truppen nicht abgewartet. Es war mit seinen gesamten 
Akten kurz vor dem Einmarsch nach Hamburg übergesiedelt. 


Die deutsche Regierung unterwarf sich, wie vorauszusehen 
war, den Anordnungen der besetzenden Mächte nicht. In ihrer 
Antwortnote vom 12, Januar erklärte sie, daß sie den Schleier 
zerreißen müsse, den Frankreich und Belgien über den wahren 
Charakter der Besetzung zu werfen suchten. Diese verletze das 
Völkerrecht und den Vertrag von Versailles. Die Schwere des 
Vertragsbruchs sei nicht damit zu verhüllen, daß man der Aktion 
einen friedlichen Namen gebe. Die Grenze des unbesetzten 
deutschen Gebiets sei durch eine Armee in kriegsmäßiger Zu- 
sammensetzung und Bewaffnung überschritten. Das kennzeichne 
eine militärische Aktion. Die deutsche Regierung erhebe gegen 
die Gewalt, die einem wehrlosen Volke angetan werde, vor der 


222 














ganzen Welt feierlichen Protest, Sie könne sich gegen Gewalt 
nicht wehren, lehne es aber ab, sich dem Friedensbruch zu fü n 
oder gar bei der Durchführung der französisch-belgischen Ab 
sichten mitzuwirken. Die Verantwortung für alle Folgen falle 
allein auf die Regierungen, die den Einmarsch vollzogen hätten 
Diese Folgen zeigten sich bereits in einer weiteren Entwertung 
der Mark und in einer sprunghaften Steigerung aller Preise in 
Deutschland. Solange der vertragswidrige Zustand und seine 
Folgen andauerten, sei Deutschland nicht in der Lage, Leistungen 


an die Mächte zu bewirken, die jenen Zustand herbeigeführt 
hätten, | | 


| Der deutsche Botschafter in Paris und der deutsche Gesandte 
in Brüssel verließen ihre Posten. Die diplomatischen Beziehungen 
mit Frankreich und Belgien wurden durch Geschäftsträger weiter- 
geführt, 

Durch Bekanntmachung vom 13, Januar 1923 wurden die 
Sachleistungen an Frankreich und Belgien eingestellt. Der Reichs- 
kohlenkommissar hatte am 11. Januar 1923 allen Zechen des 
Ruhrgebiets mitgeteilt, daß das Deutsche Reich für Lieferung und 
Transport von Reparationskohle an Frankreich und Belgien keine 
Zahlungen mehr leiste. Einige Tage darauf verbot er den Zechen 
ausdrücklich die Lieferung von Kohle und Koks an Frankreich 
und Belgien selbst für den Fall, daß die Alliierten die Lieferungen 
selbst bezahlen oder bevorschussen sollten. Am 19, Januar 1923 
erging an alle Beamten des Reiches und der Länder im besetzten 
Gebiet die Weisung, den Befehlen der besetzenden Mächte keine 
F olge zu geben, sondern sich ausschließlich an die Vorschriften 
der eigenen Regierung zu halten. Am gleichen Tage ordnete der 
Reichsverkehrsminister an, daß das deutsche Eisenbahnpersonal 
in den besetzten Gebieten den Befehlen des französischen Ober- 
kommandeurs nicht nachzukommen habe, und daß es den Beamten 
und Arbeitern verboten sei, Kohle für Frankreich und Belgien zu 
befördern. | | 

Es war in der Tat ein Zustand des Krieges, nur daß dem 
Vorrücken der französischen und belgischen Truppen kein mili- 
tärischer Widerstand geleistet wurde, Die Besetzung beschränkte 


223 








sich nicht, wie ursprünglich wohl vorgesehen war, auf den Bezirk 
von Essen, den Mittelpunkt des Ruhrkohlengebiets, sondern 
wurde binnen wenigen Tagen nach Norden und Süden sowie 
auf die Bezirke von Bochum und Dortmund ausgedehnt, Schließ- 
lich war fast das gesamte Kohlengebiet der Ruhrgegend in den 
Händen der Franzosen und Belgier. 

War die Besetzung der Ruhr rechtmäßig oder nicht? Diese 
Frage ist von allen Seiten mit mehr oder weniger Leidenschaft 
erörtert worden, Das Recht der Besetzung wurde auf gewisse 
Bestimmungen des Vertrages von Versailles gestützt. Prüft man 
diese ohne Vorurteil, so ergibt sich, daß der Vertrag Frankreich 
und Belgien kein Recht zur Besetzung gibt. Der Einmarsch 
in fremdes Gebiet ist die schärfste Maßnahme gegen einen 
souveränen Staat. Er führt an sich den Kriegszustand herbei. 
Wenn der bekannte $ 18 Anhang II zu Teil VIII des Vertrages 
von Versailles davon spricht, daß bei einem Verstoße Deutsch- 
lands gegen seine Reparationspflicht außer wirtschaftlichen und 
finanziellen Zwangsmaßregeln auch sonstige Schritte unter- 
nommen werden dürfen, so kann die Besetzung weiterer deutscher 
Gebiete damit nicht gemeint sein. Von der Besetzung deutschen 
Gebiets handelt ein besonderer Abschnitt des Vertrages von Ver- 
sailles. Nirgends ist da von einer Besetzung über die im Vertrag 
bestimmten Grenzen hinaus die Rede. Daher ist es nicht möglich, 
anzunehmen, daß der $ 18, der in dem Abschnitt über Reparation 
steht, so nebenher in einer unklaren, allgemeinen Bestimmung 
auch die weitere Besetzung deutschen Gebiets hätte zulassen 
wollen. Ueberdies hat der Vertrag gerade die Reparation so 
aufgebaut, daß die Alliierten ihre Ansprüche gegen Deutschland 
nur gemeinsam geltend machen und verfolgen dürfen. Zu diesem 
Zwecke ist die Reparationskommission eingesetzt. Wenn Straf- 
maßnahmen gegen Deutschland ergriffen werden sollen, so müssen 
sie gemeinsam von den Alliierten beschlossen und durchgeführt 
werden, Allerdings sagt der $ 18, daß die „betreffenden Re- 
gierungen (gouvernements respectifs) derartige Maßnahmen 
ergreifen können. Darunter kann aber nur die Gemeinschaft der 
in der Reparationskommission vertretenen Regierungen gemeint 


"224 








sein, nicht eine einzelne alliierte Macht, Ein Vorgehen auf eigene 


Faust würde das gesamte Reparationssystem des Vertrages von 
Versailles durchbrechen. 


Von den alliierten Mächten hat die* englische Regierung im 
Laufe der Zeit immer fester den Standpunkt eingenommen, daß 
die Besetzung der Ruhr mit dem Vertrage nicht vereinbar und 
daher rechtswidrig sei. Einen formellen Widerspruch hat sie 
jedoch zu keiner Zeit erhoben, Sie hat vielmehr aus politischen 
Rücksichten das französische und belgische Vorgehen gewähren 
lassen. Im Grunde aber fällt gerade auf England die Mitschuld 
daran, daß der Gedanke der Besetzung sich weiter entwickeln 
und verwirklichen konnte. Es muß daran erinnert werden, daß 
die Regierung von Lloyd George in den Konferenzen von Spa 
(Juli 1920) und von London (März 1921) sowie im Londoner 
Ultimatum vom 5. Mai 1921 die Drohung, weiteres deutsches 
Land, vor allem das Ruhrgebiet zu besetzen, dazu benutzt hat, 
um von Deutschland Reparationsleistungen zu erzwingen. Lloyd 
George ist nicht nur bei der Drohung geblieben, er hat sie auch 
wahr gemacht. Unter seiner Führung sind im März 1921 wegen 
der Haltung der deutschen Delegation auf der damaligen Lon- 
doner Konferenz die Städte Düsseldorf, Duisburg und Ruhrort 
besetzt worden. Und als Deutschland sich dem Ultimatum von 
London im Mai 1921 unterwarf und damit die Reparation — auf 
dem Papier — in Ordnung kam, sind zwar nach geraumer Zeit 
die außerdem noch über Deutschland verhängten Strafmaßnahmen 
wirtschaftlicher Art aufgehoben worden, aber die Besetzung der 
drei Städte blieb trotzdem bestehen, 


Den militärischen Einfall in das Ruhrgebiet haben das deutsche 
Volk und die deutsche Regierung mit einer Haltung beantwortet, 
die allgemein als passiver Widerstand bekannt geworden ist. 
Aus der Tatsache, daß dieser passive Widerstand nach einem 
halben Jahre zusammengebrochen ist, hat man später der Re- 
gierung von Dr. Cuno die schwersten Vorwürfe gemacht. Aber 
man muß gerecht sein. Man darf die Politik des passiven Wider- 
standes an sich nicht verurteilen. Daß die deutsche Regierung 
der französischen Gewalt sich nicht unterwarf, sondern entgegen- 


Bergmann, Der Weg der Reparation 15 225 





trat, war sie nicht nur dem Rechtsgefühl des deutschen Volkes, 
sondern auch dem Ansehen Deutschlands in der Welt schuldig. 
Allgemeine Verachtung würde Deutschland getroffen haben, wenn 
es sich ohne Widerstand den Befehlen der französischen Gewalt- 
haber im Ruhrgebiet gefügt hätte. Deutschland, das sich durchaus 
im Recht fühlte, würde sich damit selbst ins Unrecht gestellt und 
die Besetzung des Ruhrgebiets als eine verdiente Strafe für die 
Nichterfüllung seiner Reparationspflicht hingenommen haben. In 
den Augen der Welt wäre es damit als ein Land ohne Ehrgefühl 
gerichtet gewesen. Mit einer glatten Unterwerfung unter die 
Fremdherrschaft hätte es jeden Anspruch auf politische Selb- 
ständigkeit verwirkt, 

Der deutsche Widerstand gegen die Besetzung war daher 
geboten. Es fragt sich nur, wie er am besten zu organisieren und 
durchzuführen war. In dieser Hinsicht allerdings hat die deutsche 
Regierung Fehler begangen. Bei richtiger Leitung hätte das 
deutsche Volk, das in einem Sturme vaterländischer Begeisterung 
opferwillig alle Drangsale und Entbehrungen auf sich nahm, den 
Widerstand gegen die fremde Gewalt besser und länger leisten 
und vielleicht auch zum guten Ende führen können. 


Von den Maßnahmen der Regierung im Anfang der Besetzung 
war manches unnötig und verfehlt. Richtig war es zum Beispiel, 
die Sachlieferungen für die Reparation einzustellen. Unklug aber 
war die Begründung, mit der das geschah. Man durfte daraus 
keine Vergeltung gegen Frankreich und Belgien machen. Man 
mußte vielmehr die Lieferungen an alle alliierten Länder mit 
der Begründung einstellen, daß der Einbruch in das Ruhrgebiet 
die deutsche Wirtschaft und besonders die Kohlenversorgung zer- 
rüttet und Deutschland damit unfähig zur Reparation gemacht 
habe. Das hätte der wirklichen Sachlage entsprochen und wäre 
im Ausland verstanden worden, 


Ob es richtig war, der deutschen Industrie die Lieferung von 
Kohle an Frankreich und Belgien ausdrücklich zu verbieten, auch 
wenn diese die Kohle bezahlten, ist mindestens zweifelhaft. Im 
ersten Schreck über den unerwarteten deutschen Widerstand 
hatte die französisch-belgische Mission den deutschen Zechen- 


226 











besitzern tatsächlich das Angebot gemacht, die Kohle bar zu 
bezahlen. Das Angebot anzunehmen, wäre ein Akt politischer 
Klugheit gewesen, Wenn es ehrlich gemeint war, hätte es die 
besetzenden Mächte an ihrem Geldbeutel, einer sehr empfind- 
lichen Stelle, getroffen und den wirtschaftlichen Fehler der Ruhr- 
besetzung von vornherein erwiesen, Und wenn das Angebot eine 
Finte war, so hätte es Frankreich und Belgien politisch ins 
Unrecht gesetzt, | 

Es fragt sich auch, ob es zweckmäßig war, die Eisenbahner im 
besetzten Gebiet zu geschlossenem Widerstand aufzurufen und 
alle Reichs- und Staatsbeamten in die Abwehr hineinzuziehen, 
Das forderte unmittelbar scharfe Gegenmaßregeln heraus und 
spielte den Gegnern den Betrieb des Eisenbahnnetzes und die 
Verwaltung des besetzten Gebiets in die Hände, 

Aus diesen Anordnungen der deutschen Regierung erwuchs 
der Zwang, für den Unterhalt der stillgelegten Industrien, der 
verjagten Eisenbahner und der deutschen Beamten im besetzten 
Gebiet fortlaufend gewaltige Summen aufzuwenden. So entstand 
eine Last, die selbst bei größter Sparsamkeit im Reich auf die 
Dauer nicht zu tragen war, die aber mit dem weiteren Verfall der 
Währung zu baldigem Zusammenbruch führen mußte, 

Die Zwangsmaßnahmen der besetzenden Mächte ließen nicht 
auf sich warten. Die interalliierte Rheinlandkommission — das 
Kontrollorgan der Alliierten im besetzten Gebiet — erließ am 
13, und 18. Januar eine Reihe von Verordnungen, welche die 
Kohlensteuer, die Zölle, die Abgaben von Ein- und Ausfuhr 
sowie die Einkünfte aus den kommunalen und fiskalischen Wal- 
dungen mit Beschlag belegten und die Kohlenverteilung voll- 
kommen der französisch-belgischen Kontrollkommission unter- 
stellten. Weitere Verordnungen der Rheinlandkommission vom 
20. und 25, Februar führten für die Verwaltung der beschlag- 
nahmten deutschen Einnahmen besondere interalliierte Behörden 
ein. Bald war das ganze besetzte Gebiet durch Zollgrenzen und 
Ausfuhrverbote wirtschaftlich vom: unbesetzten Deutschland ab- 
gesperrt. 

Gleichzeitig wurde die militärische Besetzung auch über das 


15* | 227 





Ruhrbecken hinaus so weit vorgeschoben, daß vom unbesetzten 
Deutschland zu der von englischen Truppen besetzten Kölner 
Zone kein direkter Zugang mehr blieb, Auch die süddeutschen 
Rheinhäfen wie Mannheim und Karlsruhe fielen in französische 
Hände. Die Weigerung der Reichsbahn, die internationalen Züge 
von Frankreich und Belgien weiterhin durch Deutschland zu leiten, 
führte Anfang Februar zur Besetzung der wichtigen Eisenbahn- 
knotenpunkte von Offenburg und Appenweier,. Dadurch wurde die 
Verbindung zwischen Nord- und Süddeutschland sehr erschwert. 


Systematisch wurden alle Beamten des besetzten Gebietes 
und die Angestellten der Eisenbahn, soweit sie den Befehlen der 
besetzenden Mächte keine Folge leisteten, mit ihren Familien in 
brutaler Weise ausgewiesen. Sehr viele von ihnen wurden wegen 
Widerstandes gegen die fremde Gewalt ins Gefängnis geworfen. 
Das gleiche Los erlitten auch zahlreiche Führer der Industrie. 
Alltäglich und zahlreich waren Verhaftungen und Aburteilungen 
durch das Kriegsgericht. Eine französisch-belgische Eisenbahn- 
regie ergriff Besitz von der Verwaltung und dem Betrieb der 
Eisenbahn im besetzten Gebiet mit Ausnahme der Kölner Zone, 
wo die deutschen Beamten verblieben. Um sich Mittel zur Be- 
zahlung der Besatzungskosten zu verschaffen, scheuten die fran- 
zösisch-belgischen Machthaber sich nicht, bei der Reichsbank und 
bei anderen privaten Banken Gelder wegzunehmen, Viele Geld- 
transporte aus dem unbesetzten Deutschland wurden abgefangen. 
In den Werken des besetzten Gebietes wurden die Warenvorräte, 
besonders an Kohle, Eisen und Stahl, beschlagnahmt. Da. die 
Kohlenförderung im Ruhrgebiet mehr und mehr zum Erliegen 
kam, richtete die französisch - belgische Mission auf mehreren 
großen Gruben einen eigenen Zwangsbetrieb ein. Eine lange Reihe 


von blutigen Zusammenstößen der Truppen mit der Bevölkerung 


auf der Straße, auf den Gruben und in den Fabriken verschärfte 
den Zustand immer mehr, Binnen kurzem stand das ganze wirt- 
schaftliche Leben im Rheinland und an der Ruhr still. 


Auch die Reparationskommission mußte sich an den Straf- 
maßnahmen gegen das unbotmäßige Deutschland beteiligen. Am 
26. Januar stellte sie fest, daß die deutsche Regierung durch 


228 








Einstellung der Reparationslieferungen eine allgemeine Ver- 
fehlung gegenüber Frankreich und Belgien begangen habe, und 


daß der Londoner Zahlungsplan vom 5. Mai 1921 wieder in voller 
Kraft sei, 


Die größte Gefahr der Besetzung lag für ganz Deutschland in 
dem vernichtenden Einfluß, den.sie auf die Währung ausübte, Im 
November und Dezember 1922 schwankte der Preis des Dollars an 
der Berliner Börse im allgemeinen zwischen 7000 und 8000 Mark. 
Die Mark war also verhältnismäßig widerstandsfähig geblieben. 
Von Anfang Januar 1923 an aber schnellte der Preis des Dollars 
in Berlin derart in die Höhe, daß man am Ende des Monats 
50 000 Mark für einen Dollar zahlen mußte. Wenn man die Dinge 
so weiter treiben ließ, war jeder Versuch des Widerstandes gegen 
den Einbruch ins Ruhrgebiet vergeblich. Es blieb nur die Wahl 
zwischen Unterwerfung auf Gnade und Ungnade und einer ent- 
schlossenen Anstrengung, die Mark als Lebensnerv der Wirt- 
schaft mit allen Kräften zu halten, Der Reichsfinanzminister 
Hermes, dem ich diese Notwendigkeit vortrug, entschloß sich so- 
fort zu einer durchgreifenden Stützungsaktion trotz der Fehl- 
schläge, welche die bisherigen Versuche der Reichsbank stets er- 
litten hatten, Auch der Reichskanzler Dr. Cuno erkannte sogleich 
das Gebot der Stunde und trat persönlich mit allem Nachdruck 
für die Stützung ein. Die Reichsbank, welche allein über die not- 
wendigen Mittel zur Intervention an den deutschen und fremden 
Börsen verfügte, warnur schwer für eine umfassende und energische 
Aktion zu gewinnen, da sie nicht an einen nachhaltigen Erfolg 
glaubte, In den übrigen Zweigen der Reichsverwaltung stand man 
den Absichten des Finanzministers teils lau, teils verständnislos 
gegenüber. Es war klar, daß ein wirklicher Erfolg nur dann zu 
erringen war, wenn es gelang, durch massenhaften Aufkauf von 
Reichsmark an deutschen und ausländischen Börsen den Geld- 
markt derart einzuengen, daß den Verkäufern der Reichsmark 
— und dazu gehörten bei der bestehenden Panik leider sehr viele 
Wirtschaftskreise Deutschlands — die Mittel zu weiteren Mark- 
verkäufen abgeschnitten wurden. Man mußte also damit anfangen, 
durch Hergabe großer Mengen von Devisen das gesamte Angebot 


229 








- En 





























von Mark im Inland und Ausland aufzukaufen. Damit brachte 
man zwangläufig die Mark nicht nur zum Stillstand, sondern zu 
einer Aufwärtsbewegung, die so lange genährt werden mußte, bis 
auch das Publikum dazu überging, seine Devisen zu verkaufen 
und die Mark zu behalten. Die technischen Vorbedingungen zu 
einem großen Erfolg dieser Aktion waren durch den letzten 
starken Sturz der Mark von selbst geschaffen. Am 31, Januar 1923 
betrug die gesamte schwebende Schuld des Reiches — die von der 
Reichsbank diskontierten Reichsschatzanweisungen — rund zwei 
Billionen Papiermark. Der gesamte Umlauf an Reichsbanknoten 
war ebenfalls zwei Billionen. Private Handelswechsel waren von 
der Reichsbank in Höhe von rund 700 Milliarden Papiermark dis- 
kontiert. Demgegenüber hatte die Reichsbank einen Goldbestand 
von 1005 Millionen Goldmark, nach dem Kurse vom 31, Januar 
gleich 12% Billionen Papiermark. Außerdem besaß die Reichsbank 
etwa 100 Millionen Goldmark an freien Devisen. Aus der Abgabe 


‚ von der deutschen Ausfuhr flossen ihr täglich, auch in jener 


kritischen Zeit, ein bis zwei Millionen Goldmark neuer Devisen 
zu. Für die Reparation aber wurden, abgesehen von der monat- 
lichen Abzahlung der belgischen Schatzwechsel mit 50 Millionen 
Goldmark, damals keine Mittel benötigt. Die Reichsbank hatte 
also die Hände für die Markstützung frei und auch reichliche 
Mittel dafür. Nach dem Dollarkurse von Ende Januar konnte man 
theoretisch mit 180 Millionen Goldmark den gesamten Noten- 
umlauf der Reichsbank einlösen oder die schwebende Schuld des 
Reiches tilgen. Da die Notenpresse schon mit dem letzten ge- 
waltigen Marksturz nicht hatte Schritt halten können, war von 
selbst eine sehr starke Einschränkung der Umlaufsmittel und eine 
allgemeine Geldknappheit eingetreten, Jeder Aufkauf von Mark 
mußte den Mangel an Zahlungsmitteln verschärfen und die Wirt- 
schaft zum Verkauf der bisher sorgfältig gehüteten Devisen 
zwingen, Ein sofortiges Steigen der Mark war daher sicher, sobald 
die Reichsbank entschlossen mit starken Mitteln die Stützung 
unternahm. 


Im Reichsfinanzministerium wollte man aber mehr als einen 
Augenblickserfolg. Die einmal erreichte Besserung der Mark sollte 


230 


das wirtschaftliche Durchhalten im Ruhrkonflikt zu ermöglichen. 





mindestens einige Monate hindurch aufrechterhalten werden, um 
die übermäßig gestiegenen Warenpreise zu senken und dem Volke 


Nur in diesem Falle bestand eine Aussicht, den Widerstand gegen 
die Besetzung so zu leiten, daß bei geschickter Außenpolitik viel- 
leicht nach einigen Monaten vernünftige Verhandlungen mit den 
alliierten Mächten angeknüpft werden konnten. Den Ruhrkampf 
auf unabsehbare Zeit zu führen, bis Frankreich etwa seine Truppen 
aus dem Ruhrgebiet zurückzog, war natürlich sinnlos. Ziel der Ab- 
wehr mußte sein, die Gegner davon zu überzeugen, daß sie durch 
Gewalt nur sich selber wirtschaftlich und politisch schädigten, und 
daß sie nicht auf einen baldigen Zusammenbruch der deutschen 


Abwehr hoffen durften. 


Neben die börsentechnische Aktion der Reichsbank mußte 
also eine sorgfältige Finanzwirtschaft des Reiches treten. Das 
war der Kernpunkt der Markstützung und zugleich der schwierigste 
Teil des Problems. Eine durchgreifende Sanierung der Reichs- 
finanzen konnte in jenem Zeitpunkt nicht in Frage kommen. Die 
Abschnürung der Rhein- und Ruhrgebiete beraubte das Reich 
eines wesentlichen Teiles seiner Einkünfte und machte neue, 
schwere Ausgaben unvermeidlich. Steigende Fehlbeträge im 
Reichshaushalt waren deshalb zu erwarten; sie mußten aber 
durch Sparsamkeit an allen Enden auf ein Mindestmaß beschränkt 
werden. Die Erfahrungen des letzten Jahres hatten gelehrt, daß 
ein vernünftiges Wirtschaften überhaupt nur möglich war, wenn 
die Währung zunächst einmal ein paar Monate stabil blieb, Und 
um das zu erreichen, mußte man den Verkäufern der Mark im 
Inland und Ausland nicht nur den Glauben an die Festigung der 
Währung beibringen, sondern ihnen auch jedes Interesse daran 
nehmen, daß wieder eine Verschlechterung der Mark eintrat. Und 
dies Interesse war leider vorhanden, solange die Reichsbank nicht 
ihrer bisherigen Kreditpolitik ein Ende machte. Bei dem an- 
dauernden Fall der Mark hatten immer weitere Kreise des 
Handels und der Industrie begriffen, daß das beste Geschäft zu 
machen war, wenn man sich bei der Reichsbank durch Diskon- 
tierung von Handelswechseln einen Kredit in Papiermark ver- 


231 








schaffte, diese schleunigst in Waren oder wenn möglich in Devisen 
umsetzte und dann bei Fälligkeit des Wechsels die Schuld an 
die Reichsbank in der inzwischen weiter entwerteten Papiermark 
mit großem Nutzen zurückzahlte. Was so im großen bei der 
Reichsbank geschah, wurde natürlich im Verkehr mit allen öffent- 
lichen und privaten Geldinstituten, besonders bei den Banken 
zur Gewohnheit. Es dauerte merkwürdig lange, bis diese üble 
Geschäftspraxis allgemein erkannt und in der Oeffentlichkeit 
gebrandmarkt wurde. Sie war nur auszurotten, wenn das Reich 
sich kurzerhand entschloß, sofort mit der ganzen Papiergeld- 
wirtschaft zu brechen und die Währung auf die Goldbasis umzu- 
stellen. Vor diesem Radikalmittel, das seit einiger Zeit von ver- 
schiedenen Seiten dringend empfohlen wurde, waren Regierung 
und Reichsbank bisher immer zurückgeschreckt, weil sie von der 
plötzlichen Rückkehr zur Goldwährung für die deutsche Wirt- 
schaft schlimme Folgen befürchteten. Der Präsident der Reichs- 
bank Havenstein, in seinem Tun und Denken das Vorbild eines 
konservativen Ehrenmannes, hing mit Zähigkeit an der alten 
Markwährung. Er hoffte immer noch, daß sie eines Tages mit 
der Regelung der Reparation in Ordnung kommen werde, und 
konnte den Gedanken nicht fassen, daß die Reichsbank mit ihrer 
hergebrachten Kreditpolitik von großen Kreisen der Wirtschaft 
systematisch ausgebeutet würde. 

Als die Stützungsaktion für die Mark Ende Januar 1923 be- 
schlossen wurde, verlangte der Reichsfinanzminister Hermes von 
der Reichsbank, sie solle vorläufig Handelskredite nicht mehr 
in Papiermark, sondern nur noch in Goldrechnung gewähren. Das 
aber lehnte die Reichsbank, unterstützt durch den Widerspruch 
des Reichswirtschaftsministers, mit Rücksicht auf die Wohlfahrt 
von Industrie und Handel ab. Sie versprach nur, die Handels- 
kredite nach Möglichkeit einzuschränken. Havenstein wies dabei 
nicht mit Unrecht auf die Tatsache hin, daß das erschreckende 
Anwachsen des Banknotenumlaufs weniger auf die freigebige 
Kreditgewährung der Reichsbank an Private als auf die ständig 
schlimmer werdende Defizitwirtschaft des Reiches selbst zurück- 
zuführen sei. Er drängte seinerseits darauf, daß das Reich in 


232 








I 
a _ 








allen seinen Verwaltungszweigen strengste Sparsamkeit üben 


müsse, 


So gingen schließlich Reich und Reichsbank mit Energie und 
guten Vorsätzen in den Kampf um die Mark hinein, ohne jedoch 
für die Sicherung eines nachhaltigen Erfolges durchgreifende Maß- 
nahmen zu treffen, 

Die Stützung der Mark setzte am 31, Januar 1923 gleichzeitig 
in Berlin, Amsterdam und New York ein. Nach Schwierigkeiten 
im Anfang erzielte sie einen unerwarteten Erfolg. Als die Reichs- 
bank etwa 100 Millionen Goldmark an Devisen in den Markt 
geworfen hatte, überzeugten sich Inland und Ausland, daß die 
Aktion diesmal ernst gemeint sei. Der Preis des Dollars fiel in 
vierzehn Tagen von 50000 unter 20000 Mark, dann hielt er sich 
mit einigen Schwankungen bis zum 17. April 1923 ständig auf 
etwa 21 000 Mark. Dieser Umschlag war natürlich für Handel 
und Industrie mit manchen Schwierigkeiten und für viele, die mit 
dem weiteren Fall der Mark gerechnet hatten, auch mit schweren 
Verlusten verbunden. Da die Reichsbank jedes Markangebot auf- 
nahm, verschärfte sich die Geldknappheit in unerhörter Weise. 
An einigen Tagen konnten sich selbst die größten deutschen 
Banken keine Zahlungsmittel beschaffen. Aber das war unver- 
meidlich und mußte im Interesse der Allgemeinheit in den Kauf 
genommen werden. Der andauernde Druck auf den Geldmarkt 
führte bald dazu, daß die deutsche Wirtschaft große Beträge an 
Devisen hergab, welche die Reichsbank zu fallenden Preisen auf- 
nahm. Anfang März wurde berechnet, daß die Stützung dem 
Reiche und der Reichsbank im ganzen nur etwa 20 Millionen 
Goldmark an Devisen gekostet hatte. Dann hielt sich der Kurs 

der Mark eine Zeitlang von selber. Die Angriffe gegen die Mark 


hörten wegen völliger Erschöpfung der Gegner auf. 


Aber diese Ruhe sollte nicht von langer Dauer sein. Dem 
Kundisen blieb nicht verborgen, daß der Mark neue schwere Ge- 
Ehren drohten. Trotz der starken Besserung der Währung war 
die schwebende Schuld des Reiches von Ende Januar bis Ende 
März 1923 von 2 Billionen auf 6.6 Billionen Mark gestiegen. In 
der gleichen Zeit vermehrte sich der Notenumlauf der Reichsbank 


233 























von 2 Billionen auf 5.5 Billionen und der Betrag der von ihr ge- 
währten Handelskredite von 697 auf 2372 Milliarden, Das be- 
deutete eine völlige Umkehrung der Verhältnisse, Bei einem Dollar- 
kurs von 20000 Mark stellte der Notenumlauf von 5,5 Billionen 
Mark einen Wert von 275 Millionen Dollar, also mehr als den 
gesamten Goldschatz der Reichsbank dar. Die Geldknappheit war 
allmählich verschwunden. Reich und Reichsbank hatten der Wirt- 
schaft in dieser kurzen Frist mit verschwenderischer Hand ge- 
waltige Beträge in Reichsmark zur Verfügung gestellt. Eine eigens 
für diesen Zweck geschaffene Zentralstelle des Reichs zahlte in 
das besetzte Gebiet so ziemlich alles, was an Unterstützungen 
verlangt wurde, Die Reichsbahn forderte im täglichen Durchschnitt 
den Gegenwert von zwei Millionen Dollar als Betriebszuschüsse 
vom Reiche an. Gegen solche Mißwirtschaft erhob der Reichs- 
finanzminister, dem eine Kontrolle dieser Verwaltungen nicht zu- 
stand, immer wieder dringende Beschwerde. Aber seine warnende 
Stimme drang nicht durch, Auch der Reichskanzler Cuno ver- 
mochte gegen die Indolenz der übrigen Reichsstellen nichts aus- 
zurichten, Es hieß einfach, es sei nicht möglich, die Ausgaben für 
das besetzte Gebiet und für die Reichsbahn einzuschränken. 


Mit der wachsenden Flüssigkeit des Geldmarktes stiegen die 
Anforderungen von Devisen bei der Reichsbank immer mehr. Diese 
hielt an dem Dollarkurs von 21000 Mark unverrückt fest. Sie 
vermied ängstlich jede Schwankung. Bald wußte jedermann, daß 
der Dollar nicht mehr fallen würde, und daß eine große und 
sichere Gewinnchance darin lag, sich Devisen zu diesem Grund- 
preise bei der Reichsbank zu kaufen. Denn die Kreise des Handels 
und der Industrie sagten sich mit Recht, daß bei dem lawinen- 
artigen Anwachsen des Notenumlaufs und der schwebenden 
Schuld die Reichsbank eines Tages aus Mangel an Mitteln ge- 
zwungen sein würde, den Aufkauf von Reichsmark einzustellen 
und der steigenden Tendenz der Devisen freien Lauf zu lassen. 


Der Finanzminister Hermes versuchte noch weitere Mittel für 
die Markstützung zu gewinnen. Er gab 50 Millionen Dollar drei- 
jährige Dollarschatzanweisungen aus, deren Einlösung von der 
Reichsbank garantiert wurde, und die vom Publikum in Devisen 


234 











zu bezahlen waren, Aber die Emission dieses glänzend fundierten 
und bald sehr gesuchten Papiers war zunächst ein Fehlschlag. 
Nur etwas mehr als der vierte Teil der 50 Millionen Dollar wurde 
gezeichnet, und es bedurfte schärfsten Druckes, um durch die 
Uebernahme weiterer Beträge durch die Banken den Mißerfolg 
nach außen etwas zu verschleiern. Von diesem Zeitpunkt an — 
Ende März — wurde die Lage unhaltbar. 


Die Reichsbank gab täglich mehr als 20 Millionen Goldmark 
an Devisen ab, um den Markkurs zu stützen. Als jedoch am 
18. April 1923 mehr als 60 Millionen Goldmark bei ihr angefordert 
wurden, erklärte sich die Reichsbank außerstande, die verlangten 
Devisen in voller Höhe zuzuteilen. An diesem Tage sprang der 
Dollarkurs auf 25000 Mark, um tags darauf den Kurs von 30 000 
Mark zu erreichen. Damit war die Stützungsaktion im Grunde ge- 
scheitert. Das wurde freilich nach außen noch nicht zugegeben. 
Um den Kampf für die Mark fortzusetzen, mußte die Reichsbank 
von nun an ihren bis dahin unangetasteten Goldschatz durch Ver- 
pfändung und Verkauf im Auslande angreifen. 


Der erste Erfolg der Markstützung fand im Ausland große 
Beachtung. Man hatte der deutschen Regierung die Stärke dieses 
finanziellen Widerstandes nicht zugetraut. In der französischen 
Presse äußerten sich lebhaftes Befremden und wachsende Un- 
sicherheit darüber, ob die Besetzung zu dem gewünschten Erfolg, 
nämlich zur Unterwerfung Deutschlands unter den militärisch- 
politischen Druck Frankreichs, führen werde. Poincare und 
Theunis, die Häupter der besetzenden Mächte, trafen sich mehr- 
fach, um über die Fortsetzung der Ruhrpolitik zu beraten. Bei der 
ersten Zusammenkunft in Brüssel am 14. März wurde ziemlich 
farblos erklärt, daß das Ruhrgebiet nicht auf ein bloßes Ver- 
sprechen Deutschlands hin, sondern nur nach Maßgabe der Er- 
füllung der Reparationsverpflichtungen geräumt werden würde, 
Am 13, und 14, April fand eine neue Besprechung statt, diesmal 
in Paris. Jetzt wehte schon ein schärferer Wind. Die Beschlüsse 
von Brüssel wurden bekräftigt, zugleich aber wurden neue Druck- 
mittel angekündigt, bis Deutschland sich entschließen würde, 


235 


direkte Reparationsvorschläge zu machen, Das Programm für die 
Ausbeutung des besetzten Gebietes wurde wie folgt festgesetzt: 


Die in Deutschland beschlagnahmten Güter werden durch die 
französischen und belgischen Behörden verkauft und in eine 
Pfänderkasse — caisse de comptabilit& des gages — abgeführt, 
Daraus werden die Kosten der Besetzung und Eintreibung be- 
stritten, Der verbleibende Rest fließt der Reparationskasse zu, 


Alle diese Proklamationen dienten dazu, die Verlegenheit 
Frankreichs würdevoll zu decken, Im Grunde aber richteten sie 
sich an die deutsche Adresse, Aufgabe der deutschen Politik war 
es nun, Möglichkeiten zur Verhandlung zu eröffnen und auszu- 
nutzen. Das war insofern schwierig, als jedes neue deutsche 
Angebot an die Alliierten als Zeichen der Schwäche aufgefaßt 
werden konnte. Doch fehlte es nicht an Fühlern aus F rankreich 
und Belgien, um zu einer Verständigung zu gelangen. Direkte 
Verhandlungen mit der französischen Regierung waren freilich 
bei dem Starrsinn Poincares nicht gut möglich. Die deutsche 
Regierung war lange unschlüssig, ob sie es wagen dürfe, den An- 
stoß zu Verhandlungen zu geben, Sie arbeitete im stillen den 
Reparationsplan, den sie für die Pariser Konferenz vom Januar 
bereitgehalten hatte, weiter aus und ließ über die Schweiz und 
Belgien sondieren, ob auf der Grundlage dieser neuen deutschen 
Vorschläge eine Verständigung möglich sei, und ob die belgische 
Regierung deswegen an Frankreich herantreten würde, Belgien 
wagte das nicht, empfahl aber, Deutschland solle sich direkt an 
die französische Regierung wenden. 

Im ganzen waren die Aussichten auf eine Beilegung des Streites 
damals nicht schlecht. Auch Loucheur bemühte sich darum. Er 
reiste Anfang April nach London, besuchte unter anderen Lloyd 
George und lancierte durch den „Daily Telegraph“ einen eigenen 
Reparationsplan, Poincare aber, der erst die Reise hatte geschehen 
lassen, schüttelte diesen Versuch der Annäherung alsbald von sich 
ab. Er wußte auch zu hintertreiben, daß ein Reparationsplan 
Delacroix - Barthou zustande kam. Die Anregung zu dem Plan 


stammte von der belgischen Regierung, und Poincar& hatte am 


13. April in Paris dem Ministerpräsidenten Theunis seine Zu- 


236 








stimmung dazu gegeben. Diese Quertreibereien machten das Ver- 
hältnis zwischen den Alliierten nicht besser. Auch in Frankreich 
wuchs die Unzufriedenheit mit der sterilen Politik Poincares zu- 
sehends. Die deutsche Regierung aber konnte in dieser kritischen 
Zeit den rechten Weg nicht finden. Erst als Lord Curzon am 
20. April im englischen Unterhaus eine Rede hielt, deren Sinn 
so verstanden werden mußte, daß Deutschland neue Reparations- 
vorschläge machen und Garantien dafür bezeichnen sollte, rang 
sich Berlin zu dem schweren Entschlusse durch. 


237 






































VIERUNDZWANZIGSTES KAPITEL 


SERGEBLICHE DEUTSCHE ANGEBOTE, 
VERGEBLICHE ENGLISCHE VERMITTELUNG 


Am 2, Mai 1923 sandte die deutsche Regierung eine Note mit 
einem neuen Angebot an die Hauptmächte der Alliierten und an 
die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika. Die Wirkung 
war verhängnisvoll, 

Um das Angebot zu begreifen, muß man die Geschichte seiner 
Entstehung kennen. Die Absicht war, als Gesamtleistung Deutsch- 
lands unter dem Vertrage von Versailles den Betrag von 30 
Milliarden Goldmark anzubieten, der durch mehrere internatio- 
nale Anleihen und durch Sachleistungen aufgebracht werden 
sollte, Eine große Anleihe von 20 Milliarden sollte möglichst 
sogleich zur Ausgabe kommen. Ihre Zinsen für die ersten vier 
Jahre waren einstweilen aus dem Kapital zu nehmen, damit 
Deutschland eine Schonzeit für Geldzahlungen erhielt. Ueber die 
Nachzahlung der Zinsen und über die Begebung der späteren 
Anleihen sollte ein unparteiisches Schiedsgericht entscheiden. 
Falls die Alliierten das Angebot für zu niedrig erachteten, sollte 
gemäß dem Vorschlag, den der amerikanische Staatssekretär 
Hughes in einer Rede in Newhaven am 29, Dezember 1922 ge- 
macht hatte, ein Komitee von internationalen Sachverständigen 
die Leistungsfähigkeit Deutschlands für Reparationszahlungen 
festsetzen. Als Garantien waren in Aussicht genommen: 


1. für die Sachlieferungen langfristige Lieferungsverträge 
der deutschen Industrie, 


238 








2. für die Geldzahlungen eine Generalhypothek auf die 
Deutsche Reichsbahn, die ein selbständiges Wirtschafts- 
gebilde werden sollte, sowie bestimmte Einnahme- 
quellen des Reiches wie Zölle, Tabaksteuer und Alkohol, 

In den Beratungen des Kabinetts Cuno wurde dieser ein- 
fache und bestimmte Plan aus innerpolitischen Bedenken, die 
von mehreren Ministern hartnäckig vertreten wurden, seltsam 
entstellt und verwässert. Kapitalbetrag und Zinsen wurden der- 
art verklausuliert, daß der wirkliche Wert der angebotenen 


‚30 Milliarden wesentlich geringer erschien. Die Verpfändung der 


Eisenbahn und bestimmter Reichseinnahmen verschwand aus dem 
Entwurf des Angebots, Dafür erklärte sich die Regierung nur 
mit allgemeinen Worten zu besonderen Garantien bereit, die 
durch Verhandlung mit dem internationalen Anleihekonsortium 
und der Reparationskommission festzustellen seien. Ferner wollte 
die Regierung durch geeignete Maßnahmen auch auf gesetzlichem 
Wege dafür sorgen, daß die gesamte deutsche Wirtschaft zur 
Sicherung des Anleihedienstes herangezogen würde. Der Vor- 
schlag von Hughes, die Zahlungsfähigkeit Deutschlands von inter- 
nationalen Sachverständigen bestimmen zu lassen, war nur zag- 
haft angedeutet. 

Schon der Eingang der deutschen Note betonte scharf, daß 
der passive Widerstand fortdauern werde, bis die Räumung der 
über den Versailler Vertrag hinaus besetzten Gebiete und die 
Wiederherstellung vertragsmäßiger Zustände in den Rheinlanden 
erreicht sein würden. Und der Schluß wiederholte: Ausgangspunkt 
der Verhandlungen müsse sein, daß innerhalb kürzester Frist der 
status quo ante wiederhergestellt werde. Dazu gehöre auch, daß 
die verhafteten Deutschen in Freiheit gesetzt und den Ausge- 
wiesenen ihre Wohnstätten und Aemter zurückgegeben würden. 

Um dem französischen Verlangen nach politischer Sicher- 
stellung entgegenzukommen, besagte die Note noch, daß die 
deutsche Regierung nach wie vor zu jeder friedensichernden Ver- 
einbarung auf der Grundlage der Gegenseitigkeit bereit sei, ins- 
besondere zur schiedsrichterlichen Erledigung von Streitigkeiten 
zwischen Deutschland und Frankreich. 


239 








Im übrigen wurde das Angebot noch von der Stabilisierung | 


der deutschen Währung und von der Gleichberechtigung Deutsch- 
lands im internationalen Wirtschaftsverkehr abhängig gemacht, 
Diese letzteren Bedingungen waren schon in jedem früheren 
deutschen Angebot enthalten und zur Genüge bekannt. 

Die ganze deutsche Note war fast in jedem Wort ein Kom- 
promiß zwischen äußeren Notwendigkeiten und inneren Rück- 
sichten, Ihre letzte Form erhielt sie erst nach endlosen Beratungen. 
Dann aber wurde sie in nervöser und unnötiger Hast der Oeffent- 
lichkeit übergeben. Der erkrankte Finanzminister Hermes erhob 

in letzter Stunde Bedenken gegen Inhalt und Form der Note, 
drang aber damit nicht durch. 


Das Angebot erregte selbst in Deutschland vielfach Be- 
fremden. Im gesamten Ausland wurde es als unbrauchbar abge- 
lehnt. Frankreich und Belgien vergaßen darüber einen -Augen- 
blick ihre schwerwiegenden Differenzen in der Ruhrfrage und 
sandten schon unter dem 6. Mai nach einer weiteren Zusammen- 
kunft in Brüssel ihre gemeinsame Antwort, die offenbar von 
Poincare selber verfaßt war. Ganz im Stile seiner wöchentlichen 
Sonntagsreden behandelte er darin das deutsche Angebot mit 
jenem höhnischen Haß, dessen Tonarten er im Verkehr mit 
Deutschland so meisterlich beherrschte, Ihm war die deutsche 
Note von Anfang bis zu Ende nichts „als der kaum verhehlte 
Ausdruck einer systematischen Auflehnung gegen den Vertrag 
von Versailles“, an den Deutschland durch seine Unterschrift 
gebunden sei. Die Erklärung, daß Deutschland den passiven 
Widerstand fortsetzen werde, beantwortete Poincar& damit, daß 
der Widerstand nicht von der Bevölkerung ausgehe, sondern daß 
die deutsche Regierung selber blutige Zusammenstöße, Angriffe 
gegen die französische Besatzung, Sabotageakte und gemeine Ver- 
brechen im Ruhrgebiet organisiert habe. 

Die französische und die belgische Regierung erklärten nun- 
mehr offiziell, daß sie keinen deutschen Vorschlag in Erwägung 
ziehen würden, solange der Widerstand im Ruhrgebiet andauere, 
und daß sie das neu besetzte Gebiet nur nach Maßgabe und im 
Verhältnis der geleisteten Reparationszahlungen räumen würden. 


240 








Verbindlich in der Form, aber sachlich sehr bestimmt war die 
Ablehnung, welche das deutsche Angebot am 13, Mai von Eng- 
land und Italien erfuhr. Beide Regierungen brachten ihre tiefe 
Enttäuschung über Form und Inhalt der deutschen Vorschläge 
zum Ausdruck. Die Höhe des Angebots sei unbefriedigend, die 


Sicherheiten zu unbestimmt. 


Das Angebot, zu dem sich die deutsche Regierung so spät und 
so schwer entschlossen hatte, war damit vollkommen fehlge- 
schlagen. Es hatte den außenpolitischen Konflikt verschärft, 
die innerlich bereits uneinigen Alliierten wieder zusammen- 
gebracht und Poincare die Parole verschafft, daß Deutschland 
durch Aufgabe des passiven Widerstandes sich unterwerfen 
müsse, ehe man zu Verhandlungen kommen könne. Damit war 
das Kabinett Cuno am Ende, Es durfte nach seinen feierlichen 
Erklärungen den passiven Widerstand nicht aufgeben, auch wenn 
er ins Verderben führte. | | 

Die Lage Deutschlands wurde nun verzweifelt. Der völlige 
Abschluß des besetzten Gebietes durch Paß- und Zollgrenzen 
verschärfte täglich die wirtschaftliche Not. Die Markentwertung 
setzte sich trotz aller weiteren Stützungsversuche der Reichsbank 
in erschreckender Weise fort. Ebenso schnell stiegen Warenpreise 
und Löhne zu schwindelnden Höhen. 


Der drohende Zusammenbruch Deutschlands begann aber auch 
die Alliierten ernstlich zu beunruhigen. Während Poincar& mit 
dumpfer Entschlossenheit unentwegt darauf ausging, Deutschland 
zur Unterwerfung zu bringen und inzwischen aus dem besetzten 
Gebiet so viel wie möglich an Geld und Leistungen heraus- 
zupressen, bemühte sich die belgische Regierung schon seit einiger 
Zeit, das Ruhrabenteuer zu einem vernünftigen Ende zu bringen. 
Da die Aufstellung eines belgisch-französischen Reparationsplans, 
wie schon erwähnt, von Poincar& systematisch hintertrieben 
wurde, ließ die belgische Regierung selbständig einen Plan 
ausarbeiten, der unter der Bezeichnung ‚Belgische Studien” be- 
kannt geworden ist. Die Studien beschäftigten sich nicht mit der 
Festsetzung der Gesamtschuld Deutschlands, sondern mit einer 
Berechnung der Beträge, welche aus bestimmten Einnahmequellen 


Bergmann, Der Weg der Reparation 16 241 



















































































des Reiches jährlich für die Reparation gewonnen werden könnten. 
Danach sollten abwerfen- 


1, die an eine Betriebsgesellschaft zu verpachtende Reichs- 


bahn aueh Sp ann - - 1000 Millionen Goldmark 
2. Verbrauchsmonopole a. 4830 R Ki 
davon Tabak 450 Millionen 
Bar 2... 'O0g 


Alkohol . 600 
Zucker . 130 


Dale. au mn h 
Verschied. 80 % 
3 Kohlenlieferungen a Ne sr * 
u ur ul la a 
zusammen jährlich . . , 2870 Millionen Goldmark 


Die Studien rechneten ferner mit einer Abgabe an die Repa- 
rationskasse von 25 Prozent der Gewinne der deutschen Industrie- 
und Handelsunternehmungen, Für die Aktiengesellschaften allein 
schätzten sie diesen Betrag auf 250 Millionen Goldmark. Trotz 
aller dieser Leistungen — so erklärten die Verfasser — sei der 
Reichshaushalt leicht im Gleichgewicht zu halten. 


Die Belgischen Studien wurden der- französischen Regierung 
am 9, Juni 1923 übergeben. 


der Regierung ausgeschieden, Sein Nachfolger wurde Baldwin, 
Mit ihm wurde die Haltung Englands in der Reparationsfrage 
tatkräftiger. Als die deutsche Regierung, völlig ratlos, wie sie 
nach dem Fiasko ihrer Note vom 2, Mai die zerrissenen Fäden 
der internationalen Verhandlung wieder aufnehmen sollte, keine 
geeignete Form fand, um ihren mißverstandenen Reparationsplan 
zu erläutern, entstand unter englischem Einfluß das deutsche 
Memorandum vom 7. Juni 1923, Das Memorandum, das den 
Alliierten und den Vereinigten Staaten von Amerika mit gleich- 
lautenden Noten zuging, ist kurz und klar. Es ergänzt mit er- 
freulicher Bestimmtheit die deutsche Note vom 2, Mai durch 
den Vorschlag bestimmter Garantien für .die Reparation, Die 


242 








Reichsbahn sollte hiernach selbständig werden und Schuldver- 
schreibungen mit erster Hypothek auf das Reichsbahnvermögen 
in Höhe von 10 Milliarden Goldmark ausgeben, die vom 1. Juli 
1927 ab mit 5 Prozent zu verzinsen waren. Damit war eine 
Jahresleistung von 500 Millionen durch die Reichsbahn sicher- 
gestellt. Der gleiche Betrag sollte vom 1, Juli 1927 ab durch eine 
erste Hypothek von 10 Milliarden Goldmark auf den gesamten 
Grundbesitz der Industrie, der Banken, des Handels, des Ver- 
kehrs und der Landwirtschaft Deutschlands beschafft werden. 
Außerdem wurden die Zölle auf Genußmittel und die Verbrauchs- 
steuern auf Tabak, Bier und Zucker sowie die Erträgnisse des 
Branntweinmonopols als Sicherheit angeboten, Der Ertrag dieser 
Zölle und Abgaben war mit 800 Millionen Mark im letzten Jahre 
vor dem Kriege angegeben. Das Memorandum verwies die näheren 
Erörterungen über Deutschlands Zahlungsfähigkeit auf münd- 
liche Verhandlungen und wiederholte das Ersuchen, hierzu eine 
Konferenz zu berufen. 


Poincars, getreulich gefolgt durch die ihm ergebene Pariser 
Presse, vertrat nach der deutschen Note vom 2, Mai verbissen 
den Standpunkt, vor Einstellung des passiven Widerstandes dürfe 
über die Reparation nicht einmal unter den Alliierten gesprochen 


‘werden, Kurz vor dem zweiten deutschen Angebot vom 7. Juni 


aber mußte er doch dem belgisch-englischen Druck nachgeben und 
in eine weitere persönliche Besprechung mit Theunis in Brüssel 
willigen. Als Ergebnis wurde wie üblich verkündet, daß auch dies- 
mal die belgische und die französische Regierung in der Behand- 
lung der Ruhrfrage vollkommen einig seien und ihre früheren Be- 
schlüsse ohne Einschränkung aufrechterhielten. Tatsächlich hatte 
Sich jedoch der Unterschied zwischen der französischen und der 
belgischen Richtung in Brüssel wesentlich verschärft, Belgien be- 
‚trachtete die Ruhrbesetzung nur als Mittel zum Zweck, um durch 
den Druck auf Deutschland eine Lösung der Reparationsfrage 
herbeizuführen und alsdann das Ruhrgebiet wieder freizugeben. 
Poincar& wollte zwar auch Deutschland zur Ergebung zwingen, 
dann aber Rhein und Ruhr behalten und das System ihrer wirt- 
schaftlichen Ausbeutung durch allierte Organe unverändert weiter- 


16* 243 




































































führen. Deshalb waren ihm jetzt Verhandlungen über dieReparation 
ungelegen. Theunis erreichte in Brüssel aber doch wenigstens die 
Zustimmung Poincares zur Uebergabe der Belgischen Studien an 


England und zur Aufnahme von Besprechungen zwischen den 
Alliierten. 


Das deutsche Memorandum vom 1. Juni war für Poincare 


natürlich ein rotes Tuch. Schon am selben Tage erteilte er seinen 
Botschaftern in London, Rom und Brüssel den Auftrag, zu er- 
klären, daß die deutsche Note völlig unannehmbar sei. Sie ent- 
halte erstens keine Verpflichtung zur Aufgabe des passiven Wider- 
standes, zweitens biete sie keine bestimmten Beträge an, drittens 
wolle sie die Reparationskommission durch internationale Sach- 
verständige und eine Konferenz ersetzen, viertens spreche sie nur 
von theoretischen Pfändern, die den Gläubigern nicht ausge- 
händigt würden und keine Sicherheit böten. Jedoch ließ sich 
Poincar& durch Belgien und England dazu bewegen, von einer 
sofortigen Antwort an Deutschland abzusehen und die nötigen 
Schritte mit den Verbündeten zu beraten. Innerlich aber blieb 
er ganz der Alte. Durch eine Note vom 10. Juni ließ er in London 
und Brüssel erklären, Deutschland müsse erst den passiven 
Widerstand aufgeben, ehe man ein Reparationsprogramm auf- 
stellen könne. Alsdann aber müsse Deutschland eine Anzahl 
seiner Einkommenquellen den Alliierten direkt überlassen, Und 
dafür stellte er folgende Liste auf: 


1. Die Eisenbahnen links vom Rhein seien einer Gesellschaft 
zu übergeben, an der Frankreich, Belgien, England und 
vielleicht auch die Rheinländer teilnehmen sollten; 

2. die deutsche Großindustrie müsse bestimmte Kohlen- 
gruben im Ruhrgebiet dem Reiche übertragen, damit sie 
ebenfalls durch eine interalliierte Gesellschaft betrieben 
würden; 


3. die Sachlieferungen seien in bestimmtem Umfange wieder 
aufzunehmen; 


4. die Zölle seien in Gold zu erheben und den Alliierten zu 
übergeben; 


244 








3. eine Ausfuhrabgabe von 26 Prozent in Devisen sei von den 
großen deutschen Produktionsverbänden zu erheben und 
an die Alliierten abzuführen; 

6. im besetzten Gebiet sollten die Alliierten die Zölle und 
die Ausfuhrabgabe selbst erheben; | 

7. das Ruhrgebiet werde nur nach Maßgabe der Zahlungen 
geräumt werden, die Deutschland für die Reparation leiste, 

Die englische Regierung stand vor einer schwierigen Ent- 
scheidung. Nach wie vor hielt sie daran fest, daß die ganze Ruhr- 
besetzung vertragswidrig sei. Nachdem sie aber die Besetzung 
ohne Protest zugelassen hatte, mußte sie sich mit den Tatsachen | 
abfinden. Anwendung von Gewalt Frankreich gegenüber war aus- 
geschlossen. Ein offener Bruch mit Frankreich hätte die Ord- 
nung der Dinge in Europa unabsehbar verzögert. England mußte 
daher versuchen, in Güte mit Poincar& voranzukommen und die 
Aufgabe des deutschen Widerstandes in einer Weise herbei- 
zuführen, die für Deutschland erträglich war und die Lösung der 
Reparationsfrage näher brachte, Daher lehnte die englische Regie- 
rung die französische Anregung, sie solle im Namen der Alliierten 
Deutschland zur Aufgabe des passiven Widerstandes auffordern, 
nicht grundsätzlich ab, Sie ersuchte jedoch am 13. Juni die 
französische Regierung um genaue Auskunft über die Tragweite 
ihrer Forderungen, vor allem darüber, was Poincar& eigentlich 
unter der Aufgabe des passiven Widerstandes verstehe. Zugleich 
wies sie auf ihre eigenen Bedenken gegen die französischen 
Forderungen hin. Darauf sandte Poincar& unter dem 29. Juni 
eine Antwort, die in der Geschichte der Reparation einen be- 
sonderen Platz verdient, Poincare leistet sich darin das folgende 
Urteil über Deutschland: 

„Die Engländer haben von Deutschland eine ganz falsche an 
fassung. Man darf mit den Deutschen nicht auf gleichem Fu ’e 
verhandeln und nicht erwarten, daß sie einen von ihnen freiwillig 
übernommenen Vertrag ausführen. Deutschland hat stets ver- 
sucht, sich seinen Verpflichtungen zu entziehen, weil es bisher 
von seiner Niederlage nicht überzeugt ist. Frankreich hat zu oft 
erfahren, daß Deutschland als Nation sich nur unter dem Drucke 


245 


























der Not dazu bequemt, sein Wort zu halten, und nur wenn es fühlt, 
daß es mit einem Stärkeren zu tun hat; das aber hat es seit 1919 
nicht gefühlt. Die Alliierten haben von Deutschland niemals etwas 
erlangt, außer wenn sie einig waren und mit Gewalt drohten. 
Nach der Konferenz von Spa hat Deutschland unter dem Drucke 
der drohenden Ruhrbesetzung einige Monate lang Kohlen in 
normaler Weise geliefert. Es hat aber sofort die Lieferungen 
wieder eingeschränkt, als es glaubte, von der Gefahr eines Ein- 
marsches befreit zu sein. Auch im Mai 1921 hat Deutschland den 
Londoner Zahlungsplan unter den Drohungen der Alliierten an- 
genommen. Als aber nach Zahlung der ersten Milliarde die wirt- 
schaftlichen Sanktionen wieder aufgehoben wurden, hat Deutsch- 
land immerfort ein Moratorium und: Herabsetzung seiner Schuld 
verlangt. Um diesem Zustand ein Ende zu machen, sind die 
Belgier und Franzosen in das Ruhrgebiet eingerückt. Wenn Eng- 
land jetzt als Vermittler erscheint, wird Deutschland sicher er- 
klären, daß es der Stärkere gewesen ist und den Alliierten seinen 
Willen aufgezwungen hat. Es wird seine künftigen Versprechen 
nicht besser halten als die früheren, Deutschland muß erst merken, 
daß es wirklich besiegt ist. Englands Furcht, daß die Ruhr- 
besetzung den völligen Ruin Deutschlands herbeiführen werde, 
ist grundlos: nur die Fassade ist zerstört, weil Deutschland seinen 
Kredit und seine Zahlungsmittel absichtlich vernichtet hat. Die 
ganze Welt weiß, daß die Deutschen den Gegenwert ihrer Aus- 
fuhr systematisch in Devisen im Ausland behalten, daß die Steuern 
zugunsten einer habgierigen, alles an sich raffenden Großindustrie 
nicht erhoben werden, daß der Zusammenbruch der Mark die 
deutsche Ausfuhr begünstigt und alle inneren Schulden Deutsch- 
lands tilgt, wobei das von seinen Renten lebende Bürgertum ver- 
schwindet und gezwungen wird, sich produktiv zu betätigen, daß 
alle Gewinne der Landwirtschaft, der Industrie und des Handels 
in Sachwerten angelegt werden und das deutsche Kapital ver- 
mehren. Wenn Deutschland will, kann es leicht seine Ausgaben 
mit seinen Einnahmen in Einklang bringen und wird dann ohne 
andere Schulden als die Reparation am freiesten von Lasten und 
am reichsten auf der ganzen Welt dastehen, 


246 











Da Deutschland ohne Zwang nichts leistet, muß der Zwang an- 
halten und ohne Schwäche durchgeführt werden. Darum ja keine 
Maßnahmen, die unter dem Vorwand der Aufgabe des passiven 
Widerstandes auf einen verringerten Druck der Besetzung hin- 
zielen. Das Pfand darf nicht eher freigegeben werden, als bis 
Deutschland seinen sämtlichen Verpflichtungen nachgekommen 
ist, Der Druck muß vor allem auf der deutschen Industrie lasten, 
da sie die Seele des Widerstandes ist und eine ständige Gefahr 
für die französische und belgische Industrie bildet. Die durch Aus- 
beutung des besetzten Gebietes erschlossenen Einnahmequellen 
müssen dauernd beibehalten werden. Mit der Bezahlung seiner 
eigenen Kriegsschulden kann Frankreich erst beginnen, wenn 
seine zerstörten Gebiete wieder aufgebaut und die Lasten des 
Wiederaufbaues aus seinem Budget verschwunden sind.” 


In seiner Begleitnote an die englische Regierung wies Poincare 
besonders darauf hin, daß England früher selbst die Besetzung 
weiteren deutschen Gebietes gebilligt und mitgemacht habe, Im 
übrigen gab er auf die einzelnen Punkte der englischen Anfragen 
vom 13. Juni keine bestimmte Auskunft. 


Mit diesem fanatischen Ausbruch Poincare&s war in der 
Reparation nicht weiter zu kommen. Auch Belgiens Antwort auf 
die englische Note vom 13. Juni war eine Enttäuschung. Deshalb 
entschloß sich die englische Regierung, selber den Entwurf einer 
Antwort der Alliierten an Deutschland vorzuschlagen. In seiner 
Note an Frankreich und Belgien vom 20. Juli sagte Lord Curzon: 
Nach der Ansicht von England und Italien seien die deutschen 
Vorschläge vom 7. Juni einer sorgfältigen Prüfung wert. Die 
internationale Lage verschärfe sich von Tag zu Tag. Die ‚Be- 
setzung des Ruhrgebietes, möge sie rechtmäßig sein oder nicht, 
verfehle den gewollten Zweck. Der ständige Fall der deutschen 
Währung mache es Deutschland unmöglich, seine Verpflichtungen 
aus dem Londoner Zahlungsplan zu erfüllen. Es müsse etwas ge- 
schehen, um das wirtschaftliche Leben Deutschlands wieder 
herzustellen. Wenn der passive Widerstand ein Hindernis sei, so 
wolle England der deutschen Regierung die Aufgabe des Wider- 


standes vorschlagen. Das aber verspreche nur Erfolg, wenn man 


247 
















































































bereit sei, die deutsche Zahlungsfähigkeit zu prüfen und die Lage - 


im Ruhrgebiet so zu gestalten, daß das Land wieder produktions- 
fähig werde, England empfehle daher: 

1, Aufgabe des passiven Widerstandes; 

2. Wiederaufnahme der Zivilverwaltung im Ruhrgebiet und 
seine schrittweise Räumung; 

3. Berufung unparteiischer Sachverständiger mit der Aufgabe, 

die Alliierten und die Reparationskommission über die 
deutsche Zahlungsfähigkeit und die Art der Zahlung zu 
beraten. Mitwirkung eines amerikanischen Sachverständigen 
und Anhörung deutscher Sachverständiger; 

4. Beratung derReparationskommission durch Sachverständige 
in bezug auf wirtschaftliche Sicherheiten und Bürgschaften, 
die Deutschland den Alliierten zu geben habe; 

5. baldige interalliierte Besprechungen über einen umfassen- 
den Plan für allgemeine und endgültige Regelung der 
Reparation; 

6. Räumung aller deutschen Gebiete, die über die im Versailler 
Vertrag bestimmten Grenzen hinaus besetzt seien, sobald 
die wirtschaftlichen Garantien wirksam würden. 

Ein Entwurf der Antwort an die deutsche Regierung lag der 
englischen Note vom 20. Juli bei. Er war aus lauter Vorsicht sehr 
allgemein gehalten, um den Zwiespalt zwischen den Alliierten 
" möglichst zu verdecken, England ermunterte Deutschland darin 
zur Fortsetzung des zuletzt beschrittenen Weges, machte aber 
die Aufgabe des passiven Widerstandes zur Vorbedingung für 
jedes Entgegenkommen der Alliierten und betonte, daß neben 
Bürgschaften auch eine internationale Kontrolle der deutschen 
Finanzverwaltung vorzusehen sei, 

Zwischen Frankreich und England saß nun Belgien in der 
Klemme. Es hätte gern den unerträglichen Zustand im Ruhrgebiet 
beendigt gesehen, konnte aber von-Frankreich nicht los, dem es 
sich letzthin durch die Aufnahme einer Anleihe für die Stützung 
des belgischen Franken noch mehr verschrieben hatte. Belgien 
mußte sich krampfhaft anstrengen, zwischen seinen großen Ver- 
bündeten so zu lavieren, daß es auf keiner Seite Anstoß erregte. 


248 














Die belgische und die französische Antwort auf den englischen 
Vorschlag vom 20, Juli wurden gleichzeitig am 30, Juli in London 
überreicht. Belgien betonte, daß die deutsche Schuld nur herab- 
gesetzt werden könne, wenn man entweder die interalliierten 
Schulden streiche oder den zerstörten Gebieten ein Vorzugsrecht 
auf Reparation einräume, Im übrigen erklärte es sich bereit, auf 
die englischen Reparationsideen einzugehen. 

Frankreichs Antwort aber bekundete nach wie vor die Hals- 
starrigkeit des unerbittlichen Gläubigers: 

„Auge um Auge, Zahn um Zahn! Genau nach dem deutschen 
Vorbild von 1871 wird das Ruhrgebiet als Unterpfand erst 
freigegeben, wenn Deutschland gezahlt hat. Das Reich soll in 
eine solche Notlage gebracht werden, daß es sich dazu bequemt, 
die Durchführung des Vertrages von Versailles dem Zustande 
der Besetzung vorzuziehen. Der deutsche Widerstand muß be- 
dingungslos, ohne Gewährung von Vorteilen eingestellt werden. 
Die Zahlungsfähigkeit Deutschlands ist bei der derzeitigen Ver- 
wirrung seiner Wirtschaft überhaupt nicht festzustellen. Außer- 
dem ist es sinnlos, sie ein für allemal zu bestimmen, da sie sich 
stetig ändert. Die deutsche Regierung wird keinen Betrag als 
gerecht und als möglich anerkennen. Und wenn sie das doch tut, 
wird sie am nächsten Tage das Gegenteil sagen. 1871 hat kein 
Mensch auf der Welt danach gefragt, ob Frankreich den Ver- 
trag von Frankfurt für gerecht und ausführbar hält. Und die 
Prüfung der deutschen Zahlungsfähigkeit durch unparteiische 
Sachverständige? Was heißt unparteiisch? Wer hat die Sachver- 
ständigen zu wählen? Wie soll ihr Verhältnis zur Reparations- 
kommission sein? Lloyd George selber hat im Januar 1921 die 
Beschlüsse der Sachverständigen aus der Brüsseler Konferenz 

abgelehnt und erklärt, daß er keinen Wert auf sie lege. Man kann 
jetzt nicht festsetzen, was im Ruhrgebiet zu geschehen hat, wenn 
der passive Widerstand aufhört. Das hängt ganz von der Haltung 
des Reiches und der Bevölkerung ab.“ | 
Lord Curzon verhehlte seine schwere Enttäuschung über 
belgische und: besonders die französische Antwort er r 
empfand es bitter, daß Poincar& sich mit keinem Wort zu dem 


249 











































































































englischen Entwurf der Antwort an Deutschland äußerte, Am 
2. August kündigte er im Oberhause die Veröffentlichung des 
gesamten Notenwechsels zwischen den Alliierten an, um der Welt 
die ganze Tragweite des Problems und die Dringlichkeit seiner 
Lösung zu offenbaren. 


Die belgische Regierung bemühte sich in weiteren Noten an 
England, ihre Haltung begreiflich zu machen. Sie schlug eine 
mündliche Aussprache über die Reparation zwischen den alliierten 
Ministern an der Hand der Belgischen Studien vor. Die franzö- 
sische Regierung schwieg sich aus, 

Unter dem 11, August sandte Lord Curzon an Frankreich 
und Belgien eine weitere N ote, in der er das ganze Problem noch- 
mals ausführlich und im einzelnen erörterte und die Differenzen 
zwischen den Alliierten vom englischen Gesichtspunkte aus 
scharf analysierte, Er lehnte es ab, die Zustimmung Frankreichs 


Englands zu bezahlen. Die zerstörten Gebiete hätten keinen be- 
$ründeten Anspruch auf bevorzugte Befriedigung vor anderen 
Kriegsschäden, wie sie England durch Vernichtung von Schiffen 
erlitten habe, | 

Die Reparationskommission in ihrer jetzigen Zusammensetzung, 
ohne Beteiligung Amerikas — das sagt die englische Note aus- 
drücklich —, sei in der Praxis ein Werkzeug französisch-belgischer 
Politik geworden. Man dürfe die unparteiischen Sachverständigen 
nicht nur aus alliierten Ländern aussuchen, sondern müsse auch 
Vertreter der Vereinigten Staaten, neutraler Mächte und Deutsch- 
lands zuziehen, Die Reparationskommission sowohl wie die 
alliierten Hauptmächte hätten wiederholt festgestellt, daß es der 
deutschen Regierung nicht möglich gewesen sei, gewisse, ihr im 
Vertrage aufgezwungene Verpflichtungen zu erfüllen. 

Die höchsten juristischen Autoritäten in England hätten die 
britische Regierung dahin beraten. daß die rechtlichen Einwen- 
dungen Deutschlands gegen die Ruhrbesetzung wohl begründet 
seien. Die britische Regierung habe bei früheren Gelegenheiten die 
Drohung mit der Besetzung des Ruhrgebiets nicht ausgesprochen 


250 











wegen Verletzung von Reparationsvorschriften, sondern eben nur 
als eine Drohung, genau so wie eine Kriegsdrohung. Aber auch die 
Drohung mit Krieg sei nutzlos, weil der Zahlungswille Deutsch- 
lands, der damit erzwungen werden solle, nichts bedeute, wenn 
seine Zahlungsfähigkeit durch die Ruhrbesetzung vernichtet sei. 
Frankreich habe nach dem Kriege 1870/71 nur vier Milliarden 
Goldmark zahlen müssen. Die Reparationsansprüche aus dem 
Weltkriege seien dreiunddreißigmal so groß. Die Parallele mit 
1871 lasse sich auch deshalb nicht ziehen, weil Frankreich infolge 
seines Kredits damals die nötigen Anleihen mit Leichtigkeit habe 
aufbringen können, während es Deutschland vollkommen un- 
möglich sei, ausländische Anleihen zu bekommen. 


England erkläre sich abermals bereit, seine gesamten An- 
sprüche an die Alliierten und an Deutschland auf 14.2 Milliarden 
Goldmark herabzusetzen, eine Summe, die den Wert der kapitali- 
sierten Schuld Großbritanniens an die Vereinigten Staaten dar- 
stelle. England werde auch hiervon den Alliierten noch so viel 
nachlassen, als es auf die 14.2 Milliarden von Deutschland er- 
halten werde. | 

Die Methode der französischen und der belgischen Regierung, 
die Reparation beizutreiben, sei zum Mißerfolg verurteilt, weil 
trotz aller Beschlagnahmen im Ruhrgebiet bei großen Kosten 
weniger Erträge erzieit worden seien als im Jahre zuvor. Die 
Sache könne schließlich so weit getrieben werden, daß England 
im Interesse beschleunigter Regelung der Reparation zu ge- 
sondertem Handeln schreiten müsse. 


Niemals zuvor war der tiefe Riß zwischen England und Frank- 
reich so scharf und gründlich beleuchtet worden wie in vn 
englischen Note vom 11. August. Niemals auch hatten sich ie 
beiden Alliierten vor aller Welt so ernste Wahrheiten gesagt er 
in dem ganzen denkwürdigen Notenwechsel. Er gibt ” 
Schwierigkeiten des Reparationsproblems und in die versc . ". 
Denkart der beiden Völker tieferen Einblick als lange Abhand- 
lungen. Er wirft ein grelles Licht auf Vorgänge, deren K 
hang bis dahin mehr oder weniger dunkel geblieben war. Un 


251 


deshalb schien es mir nötig, die wichtigsten und interessantesten 
Stellen aus dem Notenwechsel hier getreulich wiederzugeben. 

Poincare antwortete am 20, August mit einer Note, die an 
Ausführlichkeit, Offenheit und Schärfe nichts zu wünschen übrig 
läßt. Er führte als geschickter Advokat den Nachweis, daß Lloyd 
George die Besetzung weiteren Gebietes ebenfalls als Druckmittel 
für die Bezahlung der Reparation angedroht und angewendet 
habe, Er versuchte ferner mit Scheingründen nachzuweisen, daß 
Deutschland sich konsequent den Reparationszahlungen entzogen 
und den Zusammenbruch seiner Geldwirtschaft selber herbeige- 
führt habe. Den französischen Beschluß, im Ruhrgebiet zu bleiben, 
bis Deutschland seine Gesamtschuld bezahlt habe, begründete er 
unter anderem mit der Phrase, daß andernfalls das Wort von 
Lloyd George wahr werde, das er am 3. März 1921 in der Londoner 
Konferenz ausgesprochen habe: es würden die Sieger die Kosten 
der Niederlage bezahlen und die Besiegten die Früchte des Sieges 
ernten. 

Auch dieser politische Schriftsatz Poincar&s läßt bei aller 
Dialektik jedes wirtschaftlicheVerständnis vermissen, Er klammert 
sich mit formal-juristischer Logik an die Forderung, die Poincare 
stets im Munde führte: 

„Der Vertrag von Versailles muß ausgeführt werden.“ 


Damit schloß der äußerst lehrreiche, aber praktisch vollkommen 
nutzlose Notenaustausch zwischen den Alliierten im Sommer 1923, 
Der Versuch der englischen Regierung, die Alliierten wieder zu 
einem gemeinsamen Vorgehen in der Reparationsfrage zu bringen, 
war fehlgeschlagen. Deutschland erhielt auf seine Note vom 
7. Juni, in der es auf englisches Betreiben ein sehr weitgehendes 
Angebot gemacht hatte, überhaupt keine Antwort. Poincar& war 
auf der ganzen Linie Sieger geblieben, 


252 








FÜNFUNDZWANZIGSTES KAPITEL 


DIE EINSTELLUNG 
DES PASSIVEN WIDERSTANDES 


Mittlerweile griff der Verfall der Währung und der Wirt- 
schaft Deutschlands in verhängnisvoller Weise um sich. Das zeigt 
sich am besten an der Bewegung der Wechselkurse. Der offizielle 
Preis für einen Dollar an der Berliner Börse war: 


Mitte Juni : 2. Die 100 000 
Mitte Jan onen S 200 000 
am 8. August, . . 5.000 000 
Mitte September . . . „100.000 000 
am 9, Oktober. . über „1000000000 


Ein Halten bei diesem Absturz gab es nicht mehr: die deutsche 
Mark war zur völligen Wertlosigkeit verurteilt. Trotzdem be- 
mühten sich Regierung und Reichsbank noch immer vergeblich, 
einen Damm gegen die Markvernichtung aufzubauen. Schon im 
Juni hatte alle Welt den Glauben daran verloren, daß diese 
Stützungsversuche noch etwas nützen könnten. Der Unterhalt des 
besetzten Gebietes, der beinahe ausschließlich auf Reichskosten 
betrieben wurde, verschlang Summen, die, in Papiermark be- 
rechnet, immer unermeßlicher wurden, Das Defizit der Reichs- 
betriebe, vor allem der Eisenbahn, wuchs in gleicher Weise. 
Trotz aller neuen Steuererlasse bildeten die Reichseinnahmen nur 
einen verschwindenden Teil der Ausgaben. Jede Woche und 
schließlich beinahe jeden Tag mußten die Gehälter und Löhne in 
den Staats- und Privatbetrieben erhöht werden. Längst konnte 
die Notenpresse dem Bedarf an Zahlungsmitteln mit dem Druck 
von neuen Noten nicht mehr folgen. Industrie und Landwirtschaft 


253 























und ebenso der Handel weigerten sich schließlich, ihre Waren 
überhaupt noch gegen Papiermark zu verkaufen. Daraus ent- 
standen Unruhen und blutige Zusammenstöße,. Das Gespenst 
allgemeiner Hungersnot drohte in den Städten. 


Alle Versuche der Regierung, durch immer schärfere Devisen- 
vorschriften der Verschleuderung der Mark ein Ende zu setzen, 
blieben ohne jede Wirkung. Nun entschloß man sich endlich dazu, 
neben der wertlosen Papiermark neue wertbeständige Umlaufs- 
mittel auszugeben, Durch Verordnung vom 14. August wurde eine 
Goldanleihe von 500 Millionen Goldmark geschaffen, deren Ab- 
schnitte auf Dollars und Teilbeträge von Dollars lauteten und als 
Zahlungsmittel in den Verkehr gebracht wurden, Die Regierung 
schritt weiter am 25. August zu einer Zwangsabgabe von Devisen. 
Hierauf gingen bis zum 27, Dezember 137 Millionen Goldmark ein. 

Ende September 1923 hatte die Reichsbank aus ihrem Gold- 
vorrate, der noch am 15. April über 1000 Millionen Goldmark 
betragen hatte, mehr als 550 Millionen Goldmark verloren. Davon 
waren über 100 Millionen für die Einlösung der am 15. Mai und 
15. Juni fälligen letzten beiden belgischen Schatzwechsel ausge- 
geben. 450 Millionen Goldmark in barem Gold aber hatte 
die ebenso hartnäckige wie erfolglose Fortsetzung der Mark- 
stützungsaktion verschlungen. 


Um dem erschreckenden Mangel an Umlaufsmitteln zu steuern, 
ließ die Regierung die Ausgabe von Notgeld nicht nur in Papier- 
geld, sondern auch auf Goldbasis zu. Man schätzt die erlaubte 
und unerlaubte Ausgabe von Papiernotgeld auf etwa 200 Trillionen 
Mark und die Ausgabe des wertbeständigen Notgeldes auf etwa 
200 Millionen Goldmark. Auch die Reichsbahn gab damals etwa 
114 Trillionen Papiermark und 150 Millionen Goldmark als Eisen- 
bahnnotgeld aus. Endlich schufen verschiedene deutsche Länder 
und preußische Provinzen Goldanleihen im Betrage von etwa 
50 Millionen Goldmark, die gleichfalls als Umlaufsmittel dienten. 

Die Erbitterung des Volkes über den völligen Mißerfolg der 
äußeren Politik und über die Verschärfung der Zustände im 
Reiche führte am 12. August den Sturz der Regierung Cuno herbei, 
Ein neues Kabinett unter Stresemann sicherte sich die Mitwirkung 


254 





der sozialdemokratischen Partei. Diese entsandte Dr, Hilferding 
auf den schwierigen und undankbaren Posten des Finanzministers. 
Um der finanziellen Mißwirtschaft ein Ende zu machen, suchte 
Hilferding sogleich die von ihm schon seit längerer Zeit vertretene 
Politik der schleunigen Rückkehr zur Goldwährung in die Tat 
umzusetzen. Dazu gehörte aber nicht nur die Ausgabe von Gold- 
anleihe und von Goldgeld, sondern auch die Einstellung der ver- 
hängnisvollen Praxis der Reichsbank, immer noch Papierkredite 
an Industrie und Handel zu geben. Vor allem aber mußte, wenn 
das ganze Reich vor dem wirtschaftlichen Chaos bewahrt bleiben 
sollte, mit der planlosen Verschwendung von Geld in den be- 
setzten Gebieten gebrochen werden. Hörte aber die finanzielle 
Unterhaltung der besetzten Gebiete auf Reichskosten auf, so war 
damit auch der passive Widerstand zu Ende. Es ist der deutschen 
Regierung sehr schwer geworden, das Bekenntnis der Niederlage 
in diesem Kampfe abzulegen. Die Not war schließlich stärker als 
der Stolz. Nachdem der Kanzler Stresemann bereits öffentlich 
erklärt hatte, der passive Widerstand sei ein Fehlschlag gewesen, 
verkündete die Reichsregierung am 26. September formell, daß 
der Widerstand aufgegeben sei. Hinzugefügt wurde freilich, daß 
diese Erklärung keine Kapitulation vor Frankreich bedeute, 


So groß die Erwartung gewesen war, daß dieser Schritt zu 
Verhandlungen mit den Alliierten führen werde, so groß war die 
Enttäuschung. Die diplomatischen Versuche der neuen Regierung, 
wenigstens die Zustände in den besetzten Gebieten zu erleichtern, 
waren vergeblich. Frankreich ließ sich auf nichts ein, weder auf 
Verhandlungen noch auf die Freilassung der politischen Ge- 
fangenen und die Rückkehr der aus dem besetzten Gebiet Ver- 
triebenen. Poincare erklärte, er müsse sich erst davon überzeugen, 
daß der passive Widerstand wirklich zu Ende sei. 


Nun entstanden in Deutschland ernste politische Wirren. 
Bayern trat in offenen Gegensatz zur Reichsregierung. Be- 
waffnete Scharen unter Ludendorff und Hitler versuchten eine 
nationalistische Gegenrevolution anzuzetteln. Das führte sofort 
zu kommunistischen Unruhen in Sachsen und Thüringen. Letztere 
wurden mit Hilfe der Reichswehr bald niedergeschlagen. In 


255 






































München kam es am 9, November zu einem Putsch, der durch das 
Eingreifen der Reichswehr mit der Gefangennahme von Hitler 
schon am folgenden Tage sein Ende fand. Im Rheinland wurde 
sowohl zu Aachen wie zu Koblenz von Separatisten die Errichtung 
der selbständigen Rheinrepublik proklamiert. Auch in der Pfalz 
entstand eine gleichartige Bewegung. Sie breitete sich unter dem 
Schutze der französischen Besatzungstruppen zunächst rasch aus, 
Ueberall aber setzte sich die reichstreue Bevölkerung gegen die 
separatistischen Minderheiten zur Wehr, und bis zum Ende des 
Jahres gelang es allerorten, den Aufstand vollkommen nieder- 
zuschlagen. Das politische Eingreifen Englands gegen den Separa- 
tismus war dabei von Bedeutung. 


Deutschlands wirtschaftlicher Zusammenbruch schien im Ok- 
tober 1923 unvermeidlich. 


Die französische Regierung verhielt sich bei alledem durchaus 
passiv, Sie stellte nicht einmal mehr das Verlangen, daß die 
deutsche Regierung ihre Unterwerfung formell bekunde, sondern 
sie zog es vor, die Dinge weiter treiben zu lassen. Damals 
herrschte fast überall, besonders auch in Amerika die feste 
Ueberzeugung, daß Poincar& kein anderes Ziel habe, als die 
völlige Auflösung Deutschlands herbeizuführen. Es war klar, 
daß mit jedem Tage die Aussicht auf -Reparation immer mehr 
verschwand. Daraus folgerte man allgemein, daß es Frank- 
reich gar nicht mehr auf Reparation, sondern nur auf den 
politischen Zerfall Deutschlands ankam, um auf diese radikale 


Art völlige Sicherheit vor Deutschland zu erreichen. Vielfach . 


wurde behauptet, die Ueberwindung der deutschen Gegenwehr 
sei Poincar& zu plötzlich und zu früh gekommen. Er hätte mit 
diesem Triumph lieber gewartet, bis der Zeitpunkt der fran- 
zösischen Parlamentswahlen näher gerückt wäre, Denn in den 
Monaten, welche zwischen der Aufgabe des passiven Wider- 
standes und den französischen Wahlen lagen, mußte die Wahrheit 
über das Ruhrabenteuer herauskommen, Wenn sich dann zeigte, 
daß der politische Sieg Poincar&s auch für Frankreich schwere 
wirtschaftliche und finanzielle Nachteile brachte, so konnte die 


256 








Enttäuschung des französischen Volkes leicht den Sturz der Re- 
gierung Poincar& zur Folge haben. 

Ich glaube nicht, daß so tiefe und bestimmte Absichten hinter 
der Politik von Poincar& zu suchen sind. Poincar&s Stärke war 
starrsinniges Beharren bei einmal gefaßten Ideen und Beschlüssen, 
Er war nur im Verneinen groß. Er scheute sich nach der deutschen 
Niederlage, einen positiven Entschluß zu treffen, weil er in der 
veränderten Situation nicht aus noch ein wußte. Vorläufig gefiel 
er sich in der Rolle des siegreichen Diktators. Er zögerte auch, 
die weitere Entscheidung in den Reparationsfragen wieder der 
dazu berufenen Reparationskommission zu übertragen, weil er 
dann mit dem Widerstand Englands und vielleicht auch mit den 
Bedenken Italiens und Belgiens zu rechnen hatte. So blieb an 
Rhein und Ruhr vorläufig alles beim alten. 

Unter solchen Verhältnissen konnte auch das Kabinett Strese- 
mann keinen Bestand haben, Denn es hatte den passiven Wider- 
stand ja gerade aufgegeben, um wieder zu wirtschaftlich erträg- 
lichen Zuständen zu gelangen. Das Kabinett trat am 3. Oktober 
zurück. Die sozialistischen Minister schieden aus. Anstelle von 
Dr. Hilferding wurde Dr. Luther Reichsfinanzminister. Stresemann 
führte mit einem Rumpfkabinett in diktatorischer Form bis zum 
23. November die Geschäfte weiter. Dann bildete sich aus den 
Mittelparteien eine neue Regierung mit Marx als Reichskanzler, 
Stresemann als Außenminister und Luther als Finanzminister, 


Bergmann, Der Weg der Reparation 17 257 














































































































SECHSUNDZWANZIGSTES KAPITEL 


DIE REFORM DES DEUTSCHEN GELDWESENS 
UND DES REICHSHAUSHALTS 


DIE MICUMVERTRÄGE 


Inmitten aller dieser Wirren wurde in Deutschland eine 
gründliche Währungs- und Finanzreform durchgeführt. Am 
15. Oktober 1923 erging die Verordnung über die Errichtung der 
deutschen Rentenbank. Sie machte der Papierwirtschaft des 
Reiches ein Ende. Die Reichsbank wurde der Sorge für die 
Reichsfinanzen enthoben und ganz selbständig gemacht. Sie durfte 
fortan keine Schatzanweisungen des Reiches diskontieren, Die 
bisherigen Schulden des Reiches bei der Reichsbank wurden mit 
Hilfe eines zinslosen Darlehens der Rentenbank an das Reich von 
300 Millionen Rentenmark abgelöst. Die Fehlbeträge im Reichs- 
haushalt, die bis zur Herstellung des Gleichgewichts der Ein- 
nahmen und Ausgaben entstehen würden, sollte das Reich aus 
verzinslichen Krediten der Rentenbank bestreiten. Diese durften 
einschließlich des zinslosen Darlehens von 300 Millionen den Ge- 
samtbetrag von 1200 Millionen Rentenmark nicht übersteigen. 

Die Einführung der Rentenmark war ein seltsames Experiment. 
Man mußte mit der Papierwirtschaft aufhören, weil sie durch die 
Vernichtung der Mark ad absurdum geführt worden war. Man 
wollte zur Goldwährung zurückkehren, hatte aber dafür keine 
genügende Unterlage an Gold und besaß auch keinerlei Kredit 
im Inland und Ausland mehr. Mit diesem Problem hatten sich in 
Deutschland schon seit langer Zeit Berufene und Unberufene 
abgequält. Es lagen Projekte vor für Goldnotenbanken auf reiner 
Goldwährung und auf der sogenannten goldgeränderten Währung. 


258 











Der Plan der Rentenbank stammt von Helfferich, Er brachte 
schon Anfang August 1923 dem Finanzminister Hermes im 
Kabinett Cuno einen vollständigen Entwurf, der abgesehen von 
wenigen Punkten einige Monate später fast unverändert Gesetz 


. geworden ist, Der einzige wirklich grundlegende Unterschied des 


Rentenbankgesetzes von dem Helfferichschen Entwurf liegt darin, 
daß Helfferich die Einheit der neuen Währung nicht auf die 
Goldmark abstellen wollte, sondern auf den Wert eines Pfundes 
Roggen. Schon bei den ersten Besprechungen im Finanzministerium 
wurde ihm gesagt, daß der Roggenpreis keine g&ignete Grund- 
lage für eine Währung sei, weil er bekanntlich schon im Verlaufe 
eines einzigen Jahres erheblich schwankt. Helfferich wußte sehr 
wohl, daß es theoretisch allein richtig sei, die Goldmark als 
Grundlage zu nehmen. Er erwartete aber von der Roggenmark ein 
besonderes Vertrauen der Landwirtschaft in die neue Währung, 
da das Land mit dem Begriff der Goldmark nichts anfangen 
konnte und das Gold selbst fehlte, während Roggen das Haupt- 
erzeugnis des deutschen Landbaus ist. Nun hatte der Plan von 
Helfferich gerade den Zweck, während einer Uebergangszeit 
wieder ein Zahlungsmittel zu schaffen, gegen das die Land- 
wirtschaft ihre Erzeugnisse verkaufen würde, Darüber, daß die 
Roggenwährung nur ein Schritt auf dem Wege zur Goldwährung 
sein könne, war sich Helfferich natürlich klar. 

Seine Konstruktion der Rentenbank zeugt von genialer Auf- 
fassung. Die produktiven Stände Deutschlands: Landwirtschaft, 
Industrie,-Gewerbe und Handel einschließlich der Banken wurden 
zugunsten der Deutschen Rentenbank mit einer Schuld in Höhe 
von vier Prozent ihres für die Zwecke des Wehrbeitrages im 
Jahre 1913 geschätzten Vermögens, im ganzen mit 3200 Millionen 
Goldmark, belastet. Die Last ruhte auf den Grundstücken in Form 
einer erststelligen Grundschuld. Wo nicht genügend Grundbesitz 
vorhanden war, trat an die Stelle der Grundschuld eine Schuld- 
verschreibung des belasteten Unternehmens. Diese Schuld war 
mit 6 Prozent jährlich zu verzinsen, Zinsen und Kapital waren bei 
Fälligkeit nach dem Goldwert in Rentenmark zu zahlen. Auf 
diese Weise wurden die Schuldner, das heißt die gesamte deutsche 


17% 259 





| 































































































Wirtschaft, daran interessiert, die Rentenmark auf der Höhe der 
Goldmark zu halten, Denn je mehr die Rentenmark unter den 
Goldwert sinken würde, um so mehr Rentenmark mußte der 
Schuldner an Zinsen und Kapital an die Rentenbank abführen. 


Das Grundkapital der Rentenbank betrug 2400 Millionen, ihre 
Grundrücklage (Reserve) 800 Millionen Rentenmark. Kapital und 
Reserven gegenüber stand als Aktivum der Rentenbank ihre 
Forderung von 3200 Millionen, die zur Hälfte auf die Landwirt- 
schaft, zur anderen Hälfte auf Industrie. Gewerbe und Handel 
entfiel, Die Eigentümer der belasteten Grundstücke und die Unter- 
nehmer der belasteten Betriebe waren der Höhe ihrer Schuld 
entsprechend an dem Kapital der Rentenbank beteiligt. Die 
Rentenbank sollte bis zur Höhe ihrer Forderung an die deutsche 
Wirtschaft fünfprozentige Rentenbriefe über 500 Goldmark oder 
ein Vielfaches davon ausstellen. Diese Rentenbriefe sollten als 
Deckung der von der Rentenbank als Zahlungsmittel auszugeben- 
den, auf Rentenmark lautenden Rentenbankscheine dienen. Der 
Wert aller in Umlauf gesetzten Rentenbankscheine durfte den 
Gesamtwert der ausgestellten Rentenbriefe nicht überschreiten. 
Die Rentenbank wurde verpflichtet, ihre Rentenmark jederzeit 
auf Verlangen so einzulösen, daß auf 500 Rentenmark ein Renten- 
brief über 500 Goldmark zu geben war. 

Die Rentenbank sollte Bankgeschäfte nur mit dem Reich, der 
Reichsbank und den Privatnotenbanken machen. Abgesehen von 
den erwähnten Krediten an das Reich durfte die Rentenbank der 
Reichsbank und den Privatnotenbanken zum Zwecke der Kredit- 
versorgung der Privatwirtschaft Kredite bis zum Betrage von 


1200 Millionen Rentenmark gewähren. Aus dem Gewinn der 


Rentenbank waren vorweg 40 Prozent des Reingewinns einem 
Tilgungskonto zuzuführen. Alsdann sollte ein Betrag bis zu 6 Pro- 
zent der gemachten Einlagen den Anteilseignern zufallen, bezw. 
auf deren Schuldzinsen verrechnet werden. Ein etwaiger Rest- 
betrag war zur Verstärkung des Tilgungskontos zu verwenden. 
Die Verwaltung der Rentenbank sollte ganz in den Händen der 
Anteilseigner liegen. 


260 








> Die Rentenbank begann ihre Tätigkeit am 15, November 1923 


mit der Ausgabe der Rentenbankscheine. Damals betrug die 
schwebende Schuld des Reichs bei der Reichsbank etwas über 
191 Trillionen Papiermark. Vom 20. November ab gelang es, den 
Kurs des Dollars auf 4.2 Billionen Papiermark festzuhalten, Im 
Ausland war kurz vorher die Bewertung der Mark noch weit 
geringer gewesen, Durch den geschickten Aufkauf von Papiermark 
im Ausland wurde dann auf einem Dollarkurs von 4.2 Billionen 
das Gleichgewicht wiederhergestellt. Dieser Kurs ist nach einigen 
Schwankungen, die im Januar 1924 einsetzten, ständig aufrecht 
erhalten worden. Damit hat sich auch das Problem, ein festes 
Wertverhältnis zwischen der Rentenmark und der Papiermark zu 
schaffen, das den Erfindern der Rentenmark zunächst viel Kopf- 
zerbrechen gemacht hatte, von selbst gelöst. Denn nunmehr erhielt 
die Rentenmark, welche nach dem Gesetz einer Goldmark gleich 
ist, einen Börsenpreis von einer Billion Papiermark. Zu diesem 
Preise ist die Hauptmasse der schwebenden Schuld des Reiches 
bei der Reichsbank insgesamt mit etwa 200 Millionen Rentenmark 
eingelöst worden. 


So hat die Einführung der Rentenmark mit einem Schlage 
die Papiermark vorläufig stabilisiert. Gesetzliches Zahlungsmittel 
blieb die Papiermark nach wie vor. Die Rentenmark erhielt diesen 
Charakter nicht, wenngleich sie an allen öffentlichen Kassen als 
Zahlungsmittel anzunehmen war. Der große Erfolg der Renten- 
mark ist umso bemerkenswerter, als sie bei ihrer Einführung von 
den berufenen Vertretern des Bankgewerbes fast durchweg auf 
das heftigste bekämpft worden war. Es stand aber hinter der 
Rentenmark vor allem das Vertrauen der Landwirtschaft, die in 
der neuen Währung das Werk ihres politischen Vertreters 
Helfferich sah und stützte, Ein schlagender Beweis dafür, daß 
das Vertrauen des Volkes von wesentlicher Bedeutung für die 
Geschicke der Landeswährung ist. 


Die Einführung der Rentenmark war aber nur eine der nötigen 
Voraussetzungen für die Währungs- und Finanzreform. Sie hätte 
nur vorübergehend Erfolg haben können, wenn nicht gleichzeitig 


261 



































im Steuerwesen und in den Ausgaben des Reiches grundlegende 
Aenderungen eingetreten wären. 

Durch Verordnung vom 11. Oktober wurde kurzerhand be- 
stimmt, daß alle Reichssteuern auf Gold umzustellen seien. Durch 
drei Steuernotverordnungen wurden weitere tief in die Wirtschaft 
einschneidende Steuermaßnahmen getroffen. Das Kontrollrecht 
des Finanzministers über die einzelnen Reichsressorts wurde 
wesentlich erweitert, Die Ausgaben wurden stark eingeschränkt, 
vor allem durch einen sehr scharfen Abbau der Beamtenschaft. 
Etwa 25 Prozent der Reichsbeamten wurden entlassen, Eisenbahn 
und Post wurden in ihren Finanzen ganz auf eigene Füße gestellt. 
Sie führten Goldtarife ein und erhielten keinerlei Unterstützung 
vom Reiche mehr. | 

Trotz aller dieser Maßnahmen war es ein kühnes und gefähr- 
liches Unterfangen, das Gleichgewicht im Reichshaushalt lediglich 
durch die Kredithilfe der Rentenbank herzustellen. Es blieben 
dem Reiche nach Ablösung seiner Schuld von 200 Millionen bei 
der Reichsbank von dem Gesamtkredit der Rentenbank noch 
1000 Millionen Rentenmark. Davon verbrauchte das Reich schon 
bis Ende Dezember 800 Millionen, weil die Einnahmen zunächst 
noch stark hinter den nötigen Ausgaben zurückblieben. Von An- 
fang Januar 1924 an aber gelang es, ohne weitere Benutzung des 
Rentenbankkredits Ausgaben und Einnahmen des Reichs im 


‚Gleichgewicht zu halten. Bald wurden sogar Ueberschüsse erzielt. 


Die Reichsfinanzen waren Ende 1923 besonders dadurch be- 
lastet worden, daß man trotz der Einstellung des passiven Wider- 
standes sich auch nach dem 15. November genötigt sah, die Unter- 
stützung der Erwerbslosen im besetzten Gebiet fortzuführen, Dafür 
wurde ein Höchstbetrag von 100 Millionen Rentenmark ausge- 
setzt, der natürlich nur für kurze Zeit helfen konnte, So stand die 
Regierung vor der Frage, wie nach Aufgabe des passiven Wider- 
standes die Wirtschaft in den besetzten Gebieten aufrecht erhalten 
werden sollte. Rhein und Ruhr hatten im letzten Jahr fast aus- 
schließlich von den Geldsendungen der Regierung gelebt. Industrie 
und Handel waren durch die Zwangsmaßnahmen der Besetzung 
lahmgelegt. Die Arbeit in den Bergwerken und Fabriken stand still. 


262 








Die Aufgabe des passiven Widerstandes war eine unvermeid- 
liche Folge des allgemeinen: Finanzelends. Sie hatte keinen Sinn, 
wenn das Reich seine Zahlungen in das besetzte Gebiet doch nicht 
einstellte, Was aber sollte an Rhein und Ruhr geschehen, wenn 
die Unterstützung durch das Reich vollkommen aufhörte? 


Frankreich lehnte es ab, sich auf Verhandlungen mit Deutsch- 
land über die Ordnung der Verhältnisse im besetzten Gebiet ein- 
zulassen, Somit konnte die Arbeit in den stillgelegten Betrieben 
nur dann wieder beginnen, wenn die deutschen Unternehmer sich 
mit den fremden Machthabern einigten, das heißt sich ihren Be- 
dingungen unterwarfen. Ein solcher Entschluß mußte das Ein- 
geständnis der deutschen Niederlage besiegeln. Er verleugnete die 


bisherige Abwehrpolitik der Regierung. Alle Opfer und Leiden 


des Volkes im Ruhrkampf wurden damit vergeblich. Unter dem 


Machtwort der Besatzung die Arbeit wieder aufzunehmen, war 
daher unlogisch und unpolitisch. Die Welt war darauf gefaßt, daß 
Deutschland in seiner Verzweiflung die Aufgabe des passiven 
Widerstandes etwa so begründen würde: 

„Der ungleiche Kampf ist aus. Wir sind am Ende unserer 
Kräfte, Ihr habt durch den Einfall in das Ruhrgebiet das wirt- 
schaftliche Zentrum Deutschlands vernichtet und die Zahlung von 
Reparationen unmöglich gemacht. Wir müssen die besetzten 
Gebiete ihrem Schicksal überlassen. Tut mit ihnen, was ihr wollt, 
und seht zu, wie ihr auf eure Kosten die verzweifelte Lage wieder 
in Ordnung bringt.” | 

Dieser Weg, den die besetzenden Mächte mehr als alles 
fürchten mußten, wurde nicht eingeschlagen. Der Trieb zur Selbst- 
erhaltung war stärker als Logik und Stolz. Wenn die Arbeiter 
im rheinisch-westfälischen Industriegebiet kein Geld und keine 
Lebensmittel mehr bekamen, würde Verzweiflung sie zum Auf- 
ruhr getrieben haben. Die Verantwortung für blutige Unruhen und 
für den Untergang weiter Volkskreise wollte niemand über- 
nehmen. Die Industrie scheute sich aus guten Gründen, ihr Eigen- 
tum den besetzenden Mächten vollkommen auszuliefern. Ferner 
war zu befürchten, daß die Bewegung des Abfalls vom Reich, die 
ohnehin offen ausbrach, aus der allgemeinen wirtschaftlichen 


263 











































































































Katastrophe so viel Kraft ziehen würde, daß die besetzten Ge- 
biete auf lange Zeit vom Reiche auch politisch abgetrennt wurden. 


Das etwa waren die Gründe, aus denen man sich schweren 
Herzens entschloß, den bitteren Weg der Unterwerfung unter die 
iremde Gewalt zu gehen. Da die deutsche Regierung mit mehr- 
fachen Verhandlungsversuchen von F rankreich glatt abgewiesen 
worden war, überließ sie es der Industrie des besetzten Gebietes, 
auf eigene Faust die Dinge zu ordnen. Mehrere Unternehmungen, 
zuerst die Phoenix-Gruppe, in der holländisches Kapital maß- 
gebend vertreten war, verhandelten mit den französischen Macht- 
habern, um ihre beschlagnahmten Vorräte an Eisen- und Stahl- 
produkten zum Verkauf frei zu bekommen. Dem folgte nach und 
nach fast die ganze Schwerindustrie, Die Verhandlungen wurden 
mit der Mission Interallige de Contröle des Usines et des Mines 
(Micum) geführt. Die Micum verlangte zunächst, die deutsche 
Industrie solle die von ihr geforderten Abgaben an die Besatzungs- 
mächte ohne jede Entschädigung leisten. Dagegen stellte sich die 
Industrie auf den Standpunkt, daß sie nur auf Grund des Ver- 
trages von Versailles Leistungen machen könne, die demgemäß der 
deutschen Regierung auf Reparationskonto gutzuschreiben seien. 


Die Regierung in Berlin wurde von dem Gange der Verhand- 
lungen ständig unterrichtet. Sie erkannte durch die Schreiben des 
Reichskanzlers vom 1. November und 21. November an die Ver- 
treter der Schwerindustrie (die sogenannte Sechserkommission) 
an, daß sie verpflichtet sei, die Micumlasten des besetzten Ge. 


bietes zu vergüten, Bedingung dafür war, daß diese Leistungen 


auf Reparationskonto gutgeschrieben werden würden. Die Ver- 
gütung sollte nach Ordnung der Reichsfinanzen stattfinden. Bis 
dahin sollten die Zechen berechtigt sein, gewisse Steuern auf die 
Lieferungen an die Micum zu verrechnen. 


Nach vielfachem Hin und Her wurde endlich am 23. November 
zwischen der Micum und der Sechserkommission ein Vertrag ge- 
zeichnet, der im wesentlichen auf folgendes hinauskam: 


1. Die Bergwerke zahlen binnen sechs Monaten an die Micum 
für den Zeitraum bis zum 1, November 1923 einen Teilbetrag 


264 











der deutschen Kohlensteuer, im ganzen nicht mehr als 

15 Millionen Dollar; 

2. die Kohlenvorräte aus der Förderung bis zum 1, Oktober 1923 
bleiben für die Alliierten beschlagnahmt. Die neue Förderung 
wird Eigentum der Bergwerke. Diese haben für jede Tonne 
der von ihnen verkauften Kohle eine Abgabe von zehn 
Francs zu zahlen; 

3. die Bergwerke nehmen in einem bestimmten Verhältnis zu 
ihrer gesamten Erzeugung die Kohlen- und Kokslieferungen 
an die Alliierten wieder auf. Die Lieferungen an Frankreich 
und Belgien sollten 18 Prozent der geförderten Kohle und 
bis zu 35 Prozent des erzeugten Koks betragen. Für die 
Lieferung von Nebenprodukten der Kohle galten besondere 
Abmachungen; 

4. die Bergwerke liefern die für den Bedarf der Besatzungs- 
armeen benötigte Kohle ohne Entschädigung; 

5. die beschlagnahmten Vorräte an Eisen und Stahlwaren und 

an Nebenprodukten der Kohle werden im allgemeinen nach 

Maßgabe der auf die rückständige Kohlensteuer gezahlten 

Beträge freigegeben. Ihre Ausfuhr aus dem besetzten Gebiet 

wird aber kontrolliert und unterliegt Abgaben, die gegen 

früher ermäßigt werden; 

die gelieferten Mengen von Kohle, Koks und Neben- 

produkten werden gemäß dem Vertrage von Versailles auf 

Reparationskonto gutgeschrieben. Die zu zahlenden Steuern 

und Gebühren werden vorbehaltlich der Rechte der Repa- 

rationskommission in die französisch-belgische Pfänder- 
kasse[caisse des gages) eingezahlt. Hieraus werden einst- 
weilen die Kosten der Ruhrbesetzung bestritten; 

7. das Abkommen soll bis zum 15. April 1924 gelten. 

Der Micumvertrag erregte durch seine Härte in der ganzen 
Welt Aufsehen. Ganz abgesehen von den Barzahlungen, die den 
Bergwerken auferlegt wurden, schien es undenkbar, daß die Ruhr- 
industrie die von ihr verlangten Kohlenmengen für die Reparation 
liefern könnte. Alles zusammengerechnet (auch die vertrags- 


265 


a 















































mäßigen Lieferungen an Italien kamen noch hinzu) stellten sich die 
verlangten Mengen auf 30 bis 40 Prozent der Gesamtförderung. 
Die Kohlenindustrie selbst erklärte, daß sie den Vertrag nur 
aus bitterer Not eingegangen sei, um das besetzte Gebiet vor dem 
völligen Zusammenbruch zu bewahren. Sie wolle deshalb den 
Versuch machen, dem Vertrage nachzukommen, glaube aber, daß 
sie nach einigen Wochen am Ende ihrer Mittel und Kräfte sein 


werde. Keinesfalls könne sie den Vertrag bis zum 15, April 1924 
durchhalten, 


Gleichartige Verträge kamen auch mit der rheinischen Braun- 
kohlenindustrie und der Rheinschiffahrt zustande, Nach dem 
Vorbild der Micum trat alsbald auch die interalliierte Rheinland- 
kommission mit den verschiedensten Wirtschaftskreisen des 
besetzten Gebiets in Verhandlungen. Sie schloß mit ihnen Ver- 
träge für den Absatz und die Ausfuhr von chemischen Produkten, 
Stahl und Eisen, Leder, Papier, Textilwaren, Zucker, Holz, 
Wein usw. Die einzelnen Industrien verpflichteten sich darin zu 
bestimmten Abgaben an die Besatzungsmächte, 

So wurde in derselben Zeit, in der Deutschland auf die eigene 
Kraft des Landes angewiesen und ohne jede fremde Kredithilfe 
das bisher so gefürchtete Wagnis der Rückkehr zu einer festen 
Währung und der Ordnung des Reichshaushalts entschlossen 
unternahm, im besetzten Gebiet durch Zwangsverträge mit der 
Industrie das System der produktiven Pfänder organisiert, das 
schon seit langem das Ziel der französischen Politik gewesen war. 
Kein Sachkundiger glaubte Mitte November 1923 daran, daß die 
deutsche Regierung das Experiment der Rentenmark, welches 
der althergebrachten . Währungstheorie geradezu ins Gesicht 
schlug, länger als einige Wochen durchhalten werde. Ebenso- 
wenig dachte jemand im Ernst daran, daß das System der Micum- 
verträge, das anscheinend den Rest der Lebenskraft aus der 
rheinisch-westfälischen Wirtschaft herauszog, auf längere Zeit 
hinaus wirksam bleiben könne, 

In beiderlei Hinsicht hat sich die Welt getäuscht. Die mit 
so geringen Hoffnungen unternommene deutsche Finanz- und 
Währungsreform wurde ein dauernder, voller Erfolg. Das System 


266 






ER 











der Micumverträge aber hat, so schwere Opfer es auch der 
deutschen Wirtschaft auferlegte, bis zur endgültigen Regelung der 
Verhältnisse an Rhein und Ruhr auf Grund des Londoner Ab- 
kommens vom 16. August 1924 bestanden und den Alliierten, 
sogar nach Abzug der Besatzungs- und Verwaltungskosten, erheb- 
liche Einkünfte gebracht. 


Durch die Tatsache, daß Deutschland aus eigener Kraft seine 
Währung und seinen Haushalt zu einer Zeit der allerschlimmsten 
finanziellen und wirtschaftlichen Not geordnet hat, wird einwand- 
frei die These widerlegt, mit der bis dahin die überwiegende 
Mehrheit der Wirtschaftskundigen in aller Welt jeden früheren 
Versuch der Markstabilisierung bekämpft und abgetan hatte. Die 
Mark zu stützen und das Gleichgewicht im Reichshaushalt anzu- 
streben, galt ganz allgemein als verkehrt und aussichtslos, solange 
nicht die Reparationsfrage geregelt sei. 


Nun denn: Niemals sah das Reparationsproblem so schwarz 
und unlösbar aus wie im Herbst 1923, als die Rentenmark einge- 
führt und die Finanzen des Reichs saniert wurden. Daß der 
Dawesplan kommen, und daß die Gewaltpolitik ein Ende nehmen 
würde, davon hatte damals kein Mensch eine Ahnung. Das große 
Reformwerk gelang, obwohl anscheinend alle Vorbedingungen 
wirtschaftlicher und finanzieller Art dazu fehlten. Es gelang, weil 
bitterste Not das ganze deutsche Volk endlich belehrt hatte, daß 
es vor allen Dingen eine feste Währung haben müsse, um über- 
haupt weiterleben zu können. Diese Ueberzeugung hatte bei einem 
großen Teil des, Volkes bisher gefehlt. Im Gegenteil: viele deutsche 
Wirtschaftskreise befanden sich in den Jahren der allmählichen 
Markentwertung ganz wohl, weil ihre Geschäfte gut gingen und 
ihre Verdienste in Papiermark groß aussahen. Sie erklärten eine 
plötzliche Rückkehr zur Goldwährung oder, was praktisch aul 
dasselbe hinauslief, eine Stabilisierung der Papiermark, die nicht 
etwa ganz von selbst kommen würde, für eine große, wirtschaft- 
liche Gefahr. Bei solchen. Widerständen im eigenen Volke, die bis 
in die Regierungskreise hineinreichten, war die Papiermark vor 
dem völligen Untergang nicht zu retten. Erst als das ganze Volk 
sich von der Verderblichkeit der Inflation überzeugt hatte, war es 


267 





möglich, eine feste Währung in Deutschland einzuführen. Mit 
dieser Erkenntnis war die schwere Aufgabe schon halb gelöst, Nur 
so kann man sich das Wunder der Rentenmark erklären. 


Eines allerdings ist sicher: Die deutsche Währungs- und 
Finanzreform blieb auf die Dauer schweren Gefahren ausgesetzt, 
wenn ihr nicht von außen durch die Regelung der Reparation bald 
Hilfe kam. Und das geschah. Endlich siegte nach so vielen Fehl- 
schlägen die wirtschaftliche Notwendigkeit über den politischen 
Starrsinn. 

Das Verdienst daran, daß noch gerade zur rechten Zeit die 
Verhandlungen wieder aufgenommen werden konnten, gebührt in 
erster Linie den belgischen und englischen Delegierten und dem 
amerikanischen „Beobachter bei der Reparationskommission. 
Diese Männer arbeiteten auch in den schlimmsten Zeiten ruhig 
und unermüdlich weiter, um die Fehler und Torheiten der großen 
Politik wieder gutzumachen. ; 


268 





TEIL WV 


DER DAWESPLAN 














SIEBENUNDZWANZIGSTES KAPITEL 
DIE AUFGABE DER SACHVERSTÄNDIGEN 


Am 20. September 1923 hatte eine erste kurze Aussprache 
zwischen Poincar& und Baldwin in Aix les Bains stattgefunden. 
Zum Staunen der Welt wurde als Ergebnis verkündet, daß die 
beiden Regierungen in Sachen der Reparation vollkommen einig 
seien. Das war aber nur eine Redensart. Sachlich war in Aix nichts 
besprochen worden und alles blieb beim alten. | 

Am 30. Oktober regte die britische Regierung bei den Ver- 
einigten Staaten unter Bezugnahme auf den bekannten Vorschlag 
des Staatssekretärs Hughes an, die wirtschaftliche Fähigkeit 
Deutschlands zur Reparation alsbald durch Sachverständige 
untersuchen zu lassen, weil nur auf diesem Wege das europäische 
Wirrsal zu ordnen sei. Die Regierung in Washington stimmte 
$rundsätzlich zu. Darauf wandte sich England an Frankreich, 
Belgien und Italien. Diese erklärten ebenfalls, daß sie im Prinzip 
einverstanden seien, Aber der Entwurf, den die englische Re- 
gierung für die Einladung zu einer solchen Konferenz von Sach- 
verständigen einsandte, wurde von Poincar& dahin abgeändert, 
daß nur die gegenwärtige Zahlungsfähigkeit Deutschlands geprüft 
werden dürfe. Auch verlangte er, die Sachverständigen dürften 
sich mit der Frage, ob die Ruhrbesetzung zu Recht erfolgt sei, 
nicht beschäftigen. Staatssekretär Hughes erklärte dem franzö- 
sischen Botschafter, der ihm diese Forderungen übermittelte, daß 
die politische Seite der Ruhrbesetzung die Sachverständigen nichts 
anginge, Insofern gab er dem französischen Verlangen nach, da- 
‚gegen lehnte er es ab, die wirtschaftliche Untersuchung zeitlich zu 


beschränken. | 
271 








Poincare verschanzte sich mit allerlei formalen Gründen 
dahinter, daß nach dem Vertrage von Versailles die Prüfung der 
Sachverständigen keinen längeren Zeitraum umfassen dürfe als 
bis zum Jahre 1930, weil über diesen Zeitpunkt hinaus selbst 
die Reparationskommission nur bei Einstimmigkeit befugt sei, 
Deutschland Stundungen zu bewilligen. In Verbindung mit 
anderen Vertragsbestimmungen ergebe sich hieraus, daß die 
Reparationskommission die Prüfung der deutschen Zahlungs- 
fähigkeit nicht ein für allemal vornehmen dürfe, sondern von Zeit 
zu Zeit wiederholen müsse. Die amerikanische Regierung er- 
klärte eine derart beschränkte Tätigkeit der Sachverständigen 
für nutzlos und schädlich und lehnte die Mitwirkung amerika- 
nischer Sachverständiger ab. Nun hatte eine Konferenz ohne 
Beteiligung Amerikas bei der Uneinigkeit der Aliüierten keinen 
Sinn. Gegen den Widerspruch Frankreichs etwa mit England 
und den anderen Verbündeten die Konferenz abzuhalten, kam 
für Amerika nicht in Frage. Damit schien im November 1923 
der, ganze Plan gescheitert zu sein. 


Jetzt entschloß sich die Reparationskommission, den Gedanken 
in etwas veränderter Form wieder aufzunehmen, alle Fragen der 
hohen Politik auszuscheiden und die rechtlichen Bedenken 
Poincares zu umgehen, Ein äußerer Anlaß dazu lag vor, da die 
deutsche Regierung am 24. Oktober den Antrag gestellt hatte, 
gemäß Art, 234 des Versailler Vertrages eine Untersuchung der 
wirtschaftlichen Hilfsquellen und der Zahlungsfähigkeit Deutsch- 
lands anzustellen und deutsche Vertreter darüber zu hören. Am 
2, November teilte die deutsche Regierung der Reparations- 
kommission offiziell mit, daß sie wegen ihrer finanziellen Notlage 
die Sachlieferungen vorläufig nicht mehr bezahlen könne, 


Wie bekannt, hatte Deutschland gleich nach der Ruhrbesetzung 
die Lieferungen an Frankreich und Belgien eingestellt. Der Zu- 
sammenbruch der Mark hatte dann am 11. August dazu geführt, 
mit den Leistungen an alle anderen Alliierten aufzuhören, auch 
mit den Zahlungen aus dem englischen Recovery Act. Weil aber 
die Sachlieferungen auf Grund des Vertrages mit der Micum von 
der Industrie des besetzten Gebietes wieder aufgenommen werden 


272 








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sollten, hielt es die deutsche Regierung für nötig, anzuzeigen, daß 
sie diese Lieferungen zurzeit nicht bezahlen könne, 


Die Reparationskommission ging auf den deutschen Antrag 
vom 24. Oktober ein, Der deutsche Staatssekretär Fischer erhielt 
am 27. November Gelegenheit, in einer eindrucksvollen Rede vor 
der Reparationskommission den verhängnisvollen Zustand der 
deutschen Finanzen und der deutschen Wirtschaft zu schildern. 
Die Kommission beschloß am 30. November, zwei Komitees von 
Sachverständigen zu ernennen. Das eine sollte Mittel und Wege 
untersuchen, wie der deutsche Haushalt ins Gleichgewicht gebracht 
und die deutsche Währung stabilisiert werden könne, Das zweite. 
sollte eine Untersuchung darüber anstellen, wie groß das ins Aus- 
land gebrachte deutsche Kapital sei und wie es nach Deutschland 


zurückgeführt werden könne, 


Auf diese Formel hatten sich die Mitglieder der Reparations- 
kommission geeinigt, um die Zustimmung aller beteiligten Mächte, 
vor allem Frankreichs zu sichern. Der englische Vorschlag, daß 
auch neutrale und deutsche Sachverständige in den Komitees 
mitwirken sollten, fiel dabei unter den Tisch. So, wie der Beschluß 
lautete, mußte er selbst in den Ohren von Poincare völlig unver- 
dächtig klingen. Von der Prüfung der deutschen Zahlungsfähigkeit, 
der Festsetzung der Reparationsschuld und der Ruhrbesetzung 
war mit keinem Wort die Rede, Was Poincar& an dem Beschluß 
besonders gefallen konnte, war die Untersuchung der deutschen 
Kapitalflucht ins Ausland, ein Steckenpferd, auf dem er in allen 
seinen Reden herumritt. Die den Sachverständigen zugedachten 
Aufgaben lagen ohne jeden Zweifel innerhalb der Befugnisse 
der Kommission. Sie waren aber auch weit genug gefaßt, um bei 
großzügiger Auslegung das Ziel zu erreichen, auf das einige Mit- 
glieder der Reparationskommission, vor allem Delacroix, schon 
seit dem Frühjahr 1922 hinarbeiteten. Auf dem Umwege über 
das Gutachten von internationalen Sachverständigen, fern von 
politischen Einflüssen und Schwierigkeiten, wollte man eine ver- 
nünftige Lösung des Reparationsproblems herbeiführen. Diese 
Absicht war bisher stets an Poincare gescheitert. Nun wurde sie 
ihm unter einer geschickten Maske nochmals vorgeführt. 


Bergmann, Der Weg der Reparation 18 273 







































































Ob Poincare sich damals darüber klar geworden ist, was der 
Beschluß der Reparationskommission bedeutete, ist eine inter- 
essante Frage, Im Grunde hatte er trotz der feindseligen Schärfe, 
die er stets gegen Deutschland zur Schau trug, kein bestimmtes 
politisches Ziel, vielmehr schwankte er dauernd zwischen dem 
Verlangen nach Reparation und dem Wunsche der Vernichtung 
Deutschlands hin und her. Schließlich wurde ihm wohl selber 
bange vor dem Unheil, das er mit seiner Ruhrbesetzung ange- 
richtet hatte. So mag ihm vielleicht eine Form willkommen ge- 
wesen sein, die seiner bisherigen Politik gegenüber wenigstens 
den Schein wahrte. Tatsache ist jedenfalls daß Poincar& dem 
Beschlusse der Kommission seine Zustimmung gab. Von den 
übrigen Alliierten waren Schwierigkeiten nicht zu erwarten. 


James A, Logan, nach dem Ausscheiden von Roland W, Boyden 
der alleinige amerikanische Beobachter bei der Reparations- 
kommission, vermittelte in kluger Weise die Genehmigung der 
Vereinigten Staaten zur Teilnahme amerikanischer Sachver- 
ständiger. Vorher schon hatte die deutsche Regierung durch ihre 
Botschafter in London und Washington ihr Einverständnis mit der 
Absicht der Kommission erklärt. 


Die wirtschaftliche Notlage Deutschlands wurde damit nicht 
sogleich erleichtert. Auch in der Politik blieb die ersehnte Ent- 
spannung vorläufig aus. Im Dezember stellte die deutsche Re- 
gierung bei der Reparationskommission den Antrag, für einen in 
Amerika aufzunehmenden Kredit von 70 Millionen Dollar zur 
Einfuhr von Brotgetreide das Vorrecht vor den Reparations- 
forderungen zu bewilligen. Belgien und Frankreich widersprachen 
dem mit der Begründung, daß Deutschland sein in das Ausland 
geflüchtetes Kapital zu dem genannten Zweck heranziehen solle. 
Der Antrag wurde daher abgelehnt und der amerikanische Kredit 
kam nicht zustande, Es zeigte sich bald, daß die Reparations- 
kommission mit ihrer Ablehnung diesmal das Richtige getroffen 
hatte, Waren, vor allem Getreide, gab es in Deutschland genug. 
Die Not bestand darin, daß es an gutem Geld fehlte, mit dem man 
die Waren hätte kaufen können. Die Rentenmark brachte darin 
bald eine gründliche Besserung. | 


274 





Im Dezember 1923 versuchte die deutsche Regierung noch- 
mals, auf diplomatischem Wege mit Belgien und Frankreich zu 
einem modus vivendi im besetzten Gebiet zu gelangen. Die Be- _ 
sprechungen verliefen ohne rechtes Ergebnis. Störend wirkte vor 
allem die französische Forderung, daß die seit dem Ruhreinfall 
unterbrochene Militärkontrolle in Deutschland wieder in Wirk- 
samkeit treten solle, Die deutsche Regierung lehnte das ab. 
Immerhin trat sie wieder in geregelte diplomatische Beziehungen 
mit Frankreich und Belgien. Auf den seit dem Tode des Bot- 
schafters Dr. Mayer verwaisten Posten in Paris kam Dr. v. Hoesch, 
der sich als Geschäftsträger während der Ruhrbesetzung an 
schwieriger Stelle glänzend bewährt hatte. 


Das zur Untersuchung des deutschen Haushalts und der 
deutschen Währung berufene erste Komitee trat am 14, Januar 
1924 in Paris zusammen. Es bestand aus folgenden Mitgliedern: 

Charles G. Dawes, Vorsitzender, Amerika 
Owen D. Young, Amerika 

Robert M, Kindersley, England 

J. C. Stamp, England 

J. Parmentier, Frankreich 

Edgar Allix, Frankreich 

Alberto Pirelli, Italien 

Federico Flora, Italien 

E. Francqui, Belgien 

Maurice Houtart, Belgien. 

Das zweite Komitee, welches die deutsche Kapitalflucht 
untersuchen sollte, vereinigte sich erst am 21. Januar in Paris. 
Seine Mitglieder waren: 

Reginald Mc Kenna, Vorsitzender, England 
Henry M. Robinson, Amerika 

Andre Laurent-Atthalin, Frankreich 

Mario Alberti, Italien : 

Albert E. Janssen, Belgien. 


Beide Komitees waren mit einer Unterbrechung von 14 Tagen, 


_ die sie in der ersten Hälfte des Februar in Berlin zubrachten, 


275 


18% 





unausgesetzt in Paris tätig. Am 9, April erstatteten sie gleich- 
zeitig ihren Bericht an die Reparationskommission. 


Das Gutachten des ersten Komitees ist die Grundlage für die 
Regelung der Reparation geworden, die am 16, August 1924 auf 
der Londoner Konferenz erreicht wurde, Man kann die Arbeit, 
welche diese Männer in weniger als drei Monaten geleistet haben, 
nicht genug bewundern. Sie wurden von der Reparations- 
kommission zu einer Zeit berufen, als die deutsche Wirtschaft 
unter dem Drucke der Ruhrbesetzung völlig zusammenzubrechen 
schien. Die politischen Beziehungen zwischen den Alliierten waren 
aufs äußerste gespannt. Alle Versuche, durch Verhandlungen in 
der Reparationsfrage irgendwie voranzukommen, waren ge- 
scheitert. Die Hoffnung der Reparationskommission, mit Hilfe 
der Sachverständigen einen Ausweg aus der verzweifelten Lage 
zu finden, stand auf schwachen Füßen. Immerhin, es war das 
letzte Mittel, das sich bot, und es mußte versucht werden. 


Wer sich das alles vor Augen hielt, konnte staunen über den 
frohen Mut, mit dem zumal die amerikanischen Mitglieder des 
Komitees an ihre Aufgabe herangingen. Das waren Männer, die 
in den Vereinigten Staaten ein hohes Ansehen genossen und von 
denen man viel erwartete, Wenn sie scheiterten, so setzten sie 
ihren großen Ruf aufs Spiel. Und doch waren sie von Anfang an 
überzeugt, daß ihre Arbeit glücken würde, Vielleicht führte gerade 
dieser Optimismus über alle Schwierigkeiten hinweg zum Ge- 
lingen. Vielleicht war auch die Zeit reif, wo nach endlosen Fehl- 
schlägen schließlich der Erfolg kommen mußte. 

Wenn aber wirklich alles gut ging, was war bestenfalls von 
der Arbeit der Sachverständigen zu erwarten? Niemand wagte 
beim Zusammentritt des Komitees zu hoffen, daß es die Repa- 
rationsleistungen Deutschlands gründlich regeln und eine ver- 
nünftige Beilegung des Ruhrkonflikts herbeiführen würde. Es 
schien ja schon unmöglich, die verschiedenen Ansichten der ein- 
zelnen Mitglieder, die sich in der Mehrzahl nicht einmal persönlich 
kannten und deren Heimatländer in scharfen politischen und 
wirtschaftlichen Gegensätzen lebten, unter einen Hut zu bringen. 


276 


. 


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Und wenn das auch erreicht wurde, was dann? Welchen prak- 
tischen Wert konnte ein noch so vortreffliches Gutachten über die 


Finanzen und die Währung Deutschlands haben? Denn genau 


genommen ging die Aufgabe des ersten Komitees nicht weiter 
als bis zur Erstattung eines Gutachtens darüber, was nötig sei, 
um Deutschlands Haushalt und Währung in Ordnung zu bringen. 
Die Währungsfrage war, wie wir wissen, schon im November 1922 
von einer Reihe erster internationaler Sachverständigen beant- 
wortet worden, ohne daß man daraus irgendeine praktische 
Folgerung gezogen hätte, An das heiße Reparationsproblem zu 
rühren oder es gar in den Kreis der Untersuchung zu ziehen, dazu 
hatten die Sachverständigen nach dem Wortlaut ihres Auftrages 
keine Ermächtigung. Nach allem, was vorangegangen war, mußte 
man daher befürchten, daß bei einer Besprechung der eigent- 
lichen Reparationsfragen im Komitee die Meinungen aufeinander- 
platzen würden. Möglich, daß ein vorsichtig gewundenes und 
schön klingendes, aber unbrauchbares Gutachten dabei heraus- 
kam. Wie oft hatte nicht Poincare aller Welt verkündet, er werde 
es nicht zulassen, daß die Rechte Frankreichs von unverant- 
wortlichen internationalen Sachverständigen verhandelt oder gar 
verkürzt würden! Wer hätte ahnen können, daß er diesmal seine 
starren Grundsätze verleugnen und sich einem Urteil von Sach- 
verständigen anschließen würde, das die bisherige französische 
Reparationspolitik in Grund und Boden verwarf? Und wer hätte 
vorausgesagt, daß sein bis zum Ueberdruß wiederholtes Wort, 
Frankreich werde auch nach Deutschlands Unterwerfung die 
Pfänder im Ruhrgebiet und am Rhein festhalten, durch das Gut- 
achten der Sachverständigen zu einer leeren Redensart gemacht 
werden würde? Wer endlich konnte annehmen, daß die Besetzung 
des Ruhrgebiets, die laut den feierlichen Beschlüssen Frankreichs 
und Belgiens nur nach Maßgabe der deutschen Reparations- 
zahlungen abgebaut werden sollte, binnen kurzer Frist ihr Ende 
finden würde? Wie die Dinge lagen, konnte man der Arbeit der 
Sachverständigen wirklich nur mit bangen oder mit spöttischen 
Zweifeln entgegensehen. 


In der Tat gab es im Kreise der beiden Komitees anfangs 


277 


































































































einige Verwirrung, ehe sie eine klare Richtschnur für die Durch- 


führung ihrer Aufgaben fanden. 


Verhältnismäßig leicht hatte es das zweite Komitee, Ueber die 
Frage der deutschen Kapitalflucht war schon viel geschrieben. 
Praxis und Wissenschaft waren einig darin, daß die Höhe des 
deutschen Kapitals im Auslande genau nicht zu ermitteln war 
und daß es durch Zwangsmaßnahmen keinesfalls nach Deutsch- 
land zurückgeführt werden konnte, Die Schwierigkeit der Aufgabe 
des zweiten Komitees bestand eigentlich nur darin, daß es einen 
weitverbreiteten Irrglauben auszuräumen hatte. Zumal in Frank- 
reich, aber auch in Amerika wurden immer wieder phantastische 
Zahlen über das ins Ausland geflüchtete deutsche Kapital kol- 
portiert. Aus solchen durch nichts bewiesenen Angaben zog man 
vielfach den Schluß, die deutsche Regierung könne mit Leichtig- 
keit viele Milliarden für die Reparation auf einmal zahlen, wenn 
sie sich nur ernsthaft bemühen wolle, das geflüchtete Kapital 
wieder nach Deutschland hineinzubringen. 


Dieses Argument wurde ausgenutzt, um in politischen Reden 
und in Zeitungsartikeln den bösen Willen Deutschlands darzutun, 
In der gleichen Richtung bewegten sich die Angriffe, welche der 
neue deutsche Unternehmungsgeist im Auslande erfuhr, Besonderen 
Anstoß erregten die Käufe und Anlagen von Hugo Stinnes in 
Europa und Uebersee. Aus dem Maße seiner durch die Inflation 
begünstigten kaufmännischen Energie folgerte man ohne weiteres, 
daß für die Zwecke des Handels und der Industrie ungeheure 
deutsche Kapitalien im Auslande verfügbar sein müßten, Ebenso 
irreführend wirkte die Eröffnung zahlreicher deutscher Banken 
und Bankfirmen im Auslande, vor allem in Holland. Die fremde 
Kritik bedachte nicht, daß der deutsche Handel durch den Verlust 
aller seiner früheren Stützpunkte in den alliierten Ländern ge- 
zwungen war, sich für das Geschäft mit dem Auslande neue Ver- 
bindungen zu schaffen, Dafür kam infolge seiner Lage zunächst 
Holland in Betracht. Auch die leidige Tatsache, daß die Ent- 
wertung der Mark in Deutschland eine große Anzahl von neuen 
Reichen hervorgezaubert hatte, die mit vollen Händen und 
schlechten Manieren das schnell verdiente Geld wieder aus- 


278 


‘ streuten und sich besonders im Auslande unbeliebt machten, 





wurde übel vermerkt. Alle diese unvermeidlichen Erscheinungen 
einer fieberkranken Wirtschaft beutete man aus, um Deutschlands 
schlechten Willen und seine versteckten Reichtümer vor aller 
Welt anzuklagen. Es war zu begrüßen, daß endlich einmal von 
ernsthaften Kennern der internationalen Wirtschaft gründlich 
untersucht werden sollte, wie es denn eigentlich mit den deutschen 
Schätzen im Auslande stehe, 


Das Komitee McKenna kam bald zu dem Schluß, daß die 
direkte Ermittelung der deutschen Guthaben im Auslande, etwa 
durch Umfrage bei den Banken und sonstigen Geldinstituten, nicht 
möglich sei. Dem standen das Geschäftsgeheimnis und das eigene 
Interesse der ausländischen Banken im Wege. Auch wäre das Er- 
gebnis solcher Umfragen selbst bei gewissenhafter Auskunft un- 
vollständig geblieben, weil das Kapital für sein Anlagebedürfnis 
viele Wege kennt, die nicht über die Banken führen. Mc Kenna 
entwarf deshalb ein sinnreiches Schema, um die deutschen Gut- 
haben indirekt zu ermitteln, Es gibt in der volkswirtschaftlichen 
Literatur mehrere Schätzungen über die Höhe des deutschen . 
Kapitals im Auslande vor dem Kriege. Davon ging Mc Kenna ap 
Er zog alle Verluste ab, die Deutschland durch den Krieg ur 
nach dem Kriege an seinem Auslandskapital erlitten hatte, un 
zählte alles hinzu, was es nach dem Kriege, insbesondere durch 
Markverkäufe ins Ausland, wieder an neuem Kapital gewonnen 
hatte, Auf dieser theoretisch zutreffenden, praktisch freilich sehr 
unsicheren Grundlage bauten sich die Arbeiten des zweiten 
Komitees auf. 


Beim ersten Komitee lagen die Dinge viel verwickelter. Es 
mußte sich zuerst einmal darüber einig werden, ob und ehe 
die Reparation in seine Arbeiten einbeziehen sollte. Er. ® 
energische und gründliche Leute hätten aus Scheu ve 4 
waltigen Verantwortung leicht dazu kommen können, die “ 4 Br 
stellten Aufgaben eng aufzufassen und allgemeine Leitsä £ gi 
über aufzustellen, was Deutschland tun müsse, um sein u g i 
in Ordnung zu bringen und Ueberschüsse für die Repara - Z 
erzielen. So ähnlich war es auf der Finanzkonferenz des VÖ er- 


279 














bundes in Brüssel 1920 und bei der Konferenz in Genua 1922 ge- 
gangen. Damit war natürlich niemandem geholfen. Wollte das 
Komitee wirklich etwas Bedeutsames leisten, so mußte es allen 
Schwierigkeiten zum Trotz das Problem der Reparation mutig 
anpacken und zum Hauptpunkt seiner Arbeit machen. Die dem 
Komitee gestellte Aufgabe war also wie folgt aufzufassen: 


Was kann Deutschland für die Reparation leisten, ohne das 
Gleichgewicht des Reichshaushalts und den Bestand der Währung 
zu gefährden? 


Offiziell durfte die Aufgabe nicht so lauten, weil die Ein- 
berufung der Sachverständigen dann an dem Widerspruch der 
französischen Machthaber gescheitert wäre, Es ist ein großes Ver- 
dienst des Komitees, daß es sich zu dieser kühnen Umstellung 
durchgerungen hat. Auch kann nicht genug anerkannt werden, 
daß die französischen und belgischen Delegierten in offenem 
Gegensatz zu der bisher bekundeten Politik ihrer Regierungen 
die Schwenkung geschlossen mitgemacht haben. Nun aber galt 
es, eine zweite gefährliche Klippe zu vermeiden. 


Ueber die Höhe der Reparation, die man von Deutschland 
fordern sollte, herrschte unter den Alliierten seit Jahren erbitterter 
Streit. Es war sicher, daß auch die Meinungen der Sachver- 
ständigen gerade darin weit auseinandergehen würden. Wenn die 
Alliierten sich früher über einen Plan aus ihrer Mitte nicht einigen 
konnten, hatten sie regelmäßig die deutsche Regierung aufge- 
fordert, selber anzugeben, wieviel Deutschland jährlich an Repa- 
ration zahlen könne, Auf diese Weise waren letzten Endes alle 
jene deutschen Angebote entstanden, die dann von den Alliierten 
mit Schimpf und Schande verworfen und mit den berüchtigten 
Sanktionen beantwortet wurden. Alles kam darauf an, daß die 
Sachverständigen nicht etwa auf denselben Ausweg verfielen. Das 
Komitee wäre sonst in eine gefährliche Sackgasse geraten. Die 
deutsche Regierung konnte unmöglich weiter gehen als in ihrem 
letzten Angebot vom 7. Juni 1923, das von Frankreich und Belgien 
für ungenügend erklärt war. Inzwischen aber hatte sich die Lage 
in Deutschland so viel schwieriger gestaltet, daß es für ein neues 
deutsches Angebot überhaupt keine Grundlage mehr gab. Zum 


280 





Glück bestand während der ganzen Tätigkeit des Komitees 
zwischen den Sachverständigen und deutschen Vertrauensleuten 
eine enge private Fühlung, so daß alle diese Dinge vertraulich 
besprochen werden konnten. So wurde mancher Mißgriff ver- 
mieden und manches auf den richtigen Weg gebracht. Deutsch- 
land wurde diesmal nicht gefragt, wieviel es zahlen könne. 


Die Vorarbeiten der beiden Komitees in Paris bezweckten vor 
allem, die Mitglieder untereinander bekannt zu machen und in 
allgemeiner Aussprache ein gemeinsames Programm zu finden. 
Die sachliche Beratung konzentrierte sich zunächst auf die 
Währungsfrage. Dr. Schacht, der neue Präsident der Reichsbank, 
wurde nach Paris gebeten. Mit ihm besprach das erste Komitee 
das Währungsproblem, die Lage der Rentenbank und das Projekt 
einer Goldnotenbank, Das zweite Komitee befragte ihn über die 
Kapitalflucht, 

Ein bestimmtes Ergebnis wurde bei den Vorbesprechungen 
in Paris noch nicht erzielt. Nur zeigte sich schon, daß die Ueber- 
führung der deutschen Reichsbahn in die Form einer Privat- 
gesellschaft, die in den belgischen Studien eingehend behandelt 
war, das besondere Interesse der Sachverständigen fand. Dieses 
Projekt war in doppelter Hinsicht bedeutsam. Erstens sollte und 
konnte aus der Reichsbahn ein erheblicher Teil der Reparation 


gewonnen werden. Zweitens bot, wie es schien, ein internationales 


Interesse an der Reichsbahn die einzige Möglichkeit, Frankreich 
zur Aufgabe seiner Pfänderpolitik zu bestimmen und damit die 
besetzten Gebiete wirtschaftlich wieder mit dem übrigen Deutsch- 
land zu vereinigen. Dabei galt es, die Franzosen davon zu über- 
zeugen, daß sie durch die Garantie der von einer Gesellschaft 
betriebenen Reichsbahn ein besseres Unterpfand erhielten als 
durch den kostspieligen Apparat der militärischen Besetzung, 
‘durch Micumverträge und sonstige Zwangsmittel im besetzten 
Gebiet. 

Man war auch in deutschen Kreisen darauf gefaßt, daß anstelle 
der bisherigen Reichsverwaltung eine private Betriebsgesellschaft 
mit Kapitalbeteiligung des Auslandes treten müsse. Nur so konnte 
man hoffen, Frankreich und Belgien den Ersatz ihrer bisherigen 


281 


Pfänder durch die Reichsbahn schmackhaft zu machen. Auch mit 
diesem gewaltigen Opfer wäre die Wiedergewinnung von Rhein 


und Ruhr für Deutschland nicht zu teuer erkauft worden, Wir 


werden jedoch sehen, daß die Umgestaltung der Reichsbahn 
schließlich eine für das nationale deutsche Empfinden bei weitem 
erträglichere Form gefunden hat. 

Anfang Februar begaben sich die Sachverständigen nach 
Berlin. Sie traten mit den maßgebenden Regierungsstellen in 
Verbindung, suchten aber auch durch private Unterhaltungen mit 
Vertretern der verschiedenen Wirtschaftskreise Einblick in die 
deutschen Verhältnisse zu gewinnen, 


Das zweite Komitee wandte sich an die Großbanken, um für 
das Schema von McKenna die nötigen Angaben über die Be- 
wegung des deutschen Auslandskapitals zu ermitteln, 

Das erste Komitee arbeitete sich in die Einzelheiten des 
Reichshaushalts für 1924 ein. Daneben setzte es die Besprechungen 
mit Dr. Schacht über die Goldnotenbank fort. 

Es war eine seltsame Fügung, daß das Komitee bei Ankunft 
in Berlin seine eigentliche Aufgabe schon beinahe gelöst fand. 
Die deutsche Währung war mit Hilfe der Rentenmark vorläufig 
auf der Goldbasis stabilisiert. Das Gleichgewicht im Reichshaus- 
halt war dank der Energie des Reichsfinanzministers Dr, Luther 
bereits hergestellt. Vom Januar 1924 an zeigten die laufenden 
Ausweise des Reichshaushalts einen Ueberschuß der Einnahmen, 
der in Wirklichkeit noch größer war, als dies nach außen hin 
erschien. Das Reich verwandte nämlich einen erheblichen Teil 
seiner Einnahmen dazu, das ständige Angebot in der deutschen 
Goldanleihe von 1923 aufzunehmen. Die kleinen Stücke dieser 
Anleihe waren als Umlaufsmittel im Verkehr. Dieser aber stieß 
die Goldanleihe nach der Einführung der Rentenmark und nach 
der Stabilisierung der Papiermark wieder ab. Von einem Disagio 
der Goldanleihe befürchtete man Erschütterungen der soeben 
geordneten Währung. Daher entschloß sich das Finanzministerium 
dazu, die zurückströmenden Goldanleihestücke zum Nennwerte 
einzulösen, Dafür wurden schon im Januar und Februar mehrere 
hundert Goldmillionen aufgewendet. Auch das im Umlauf be- 


282 





findliche Notgeld wurde eingelöst. Ende Mai 1924 waren fast die 
gesamte Goldanleihe von 500 Millionen und die Hauptmasse des 
Notgeldes, im ganzen 625 Millionen Goldmark, aus laufenden 
Reichsmitteln zurückgekauft. Das war eine Leistung, die bei den 
Mitgliedern des Komitees Erstaunen und Befremden weckte. Sie 
fanden es nicht in der Ordnung, daß ein Staat, der eben erst an- 
fing, sich aus dem finanziellen Zusammenbruch zu erheben, eine 
fundierte Schuld von 500 Millionen Goldmark aus laufenden Ein- 
nahmen zurückzahlte, 

So war es begreiflich, daß die Sachverständigen bei ihrem 
Aufenthalt in Berlin von der Zahlungsfähigkeit Deutschlands 
eine sehr hohe Meinung bekamen. Was mußte ein Land, das trotz 
des Verlustes aller Einnahmen aus dem besetzten Gebiete seine 
zerrütteten Finanzen so schnell ordnete und gleich anfing, in 
sroßem Maße Schulden zu tilgen, was mußte ein solches Wunder- 
land für die Reparation leisten können, wenn erst einmal die 
politische Lage gebessert und die wirtschaftliche Einheit Deutsch- 
lands wieder hergestellt war? Es wurde damals allen Ernstes 
behauptet, die Sachverständigen wollten Deutschland eine jähr- 
liche Reparationslast von vier Milliarden Goldmark auferlegen. 

Und doch zeigte sich gerade in jenen Tagen, wie unsicher die 
Grundlage der deutschen Währung noch war. Plötzliche starke 
Verkäufe von Rentenmark — man sagte: aus dem besetzten 
Gebiet — warfen den deutschen Wechselkurs im Ausland um 
20 Prozent zurück, Daran knüpfte sich allerlei Gerede über Un- 
stimmigkeiten zwischen dem ersten Komitee und Dr. Schacht 
in Sachen der Goldnotenbank. Durch eine geschickte Bekannt- 
machung des Komitees wurde die Gefahr beschworen. Der Kurs 
der Mark stellte sich wieder auf die Goldparität ein. 


283 








ACHTUNDZWANZIGSTES KAPITEL 
DIE LÖSUNG DER AUFGABE 
Mit der Rückkehr nach Paris gegen Mitte Februar begannen 


die Arbeiten der Sachverständigen festere Umrisse anzunehmen. 
Das erste Komitee griff nunmehr seine Aufgabe im weitesten 
Sinne an. Es ging entschlossen dazu über, einen eigenen Repa- 
rationsplan aufzustellen, Wie die Mitwirkung der französischen 
Vertreter im Komitee, wie vor allem die Zustimmung Poincares 
zu einer solchen Erweiterung des Problems erreicht wurde, dar- 
über läßt sich nach der Art der Sache Genaueres nicht sagen. Ein 
Sroßes Verdienst daran hat Seydoux, der im Laufe der Zeit seinen 


früheren starken Einfluß in der französischen Regierung wieder- 
gewonnen hatte, 


Wenn man bedenkt, wie Poincarö es immer wieder abgelehnt 
hatte, die Reparation in die Hände von Sachverständigen zu 
legen, und wie eifersüchtig er darüber wachte, daß kein Un- 
berufener in die verbrieften Rechte des französischen Volkes ein- 
griff, so wird man das Wunderbare an seiner plötzlichen Schwen- 
kung voll empfinden, 

Zur Erklärung hat man den Sturz des französischen Franken 
herangezogen, der sich gerade in jener Zeit ereignete, Das eng- 
lische Pfund Sterling, das Anfang Januar 1924 in Paris noch 
85 Francs galt, stieg bis zum 9, März auf 120 Francs. Diese panik- 
artige Bewegung wurde durch eine energische Stützungsaktion 
mit Hilfe eines englischen und eines amerikanischen Syndikats 
unter der Führung von J, P. Morgan & Co, zum Stillstand und 
zu scharfem Rückschlag gebracht, Es ist sicher, daß die fremden 


284 





Bankiers, welche Frankreich mit Kredit unterstützten, dafür als 
Bedingung gefordert haben, daß Frankreich gewisse Maßnahmen 
zur Gesundung seiner Finanzen treffe, Es ist aber nicht richtig, 
daß eine dieser Bedingungen — wie vielfach behauptet wurde — 
darin bestanden habe, daß die französische Regierung das Gut- 
achten der Sachverständigen in der Reparationsfrage annehme. 


Durch den nachhaltigen Erfolg in der Francs-Stützung stärkte 
sich die Stellung der französischen Regierung erheblich. Auch 
die Ausbeutung der besetzten deutschen Gebiete durch die Micum- 
verträge und durch den Betrieb der französisch-belgischen Eisen- 
bahnregie begann nunmehr beträchtliche Einkünfte abzuwerfen. 
Alles in allem schien die Stellung Poincare&s im März 1924 fester 
als je zu sein. Wie war es nur möglich, daß dieser Politiker, 
dessen Stärke in seiner verbissenen Konsequenz lag, sich gerade 
damals zur Umkehr entschloß, als er nach außen hin auf der 
Höhe seiner Macht stand? Sollte er einsichtig genug gewesen 
sein, zu erkennen, daß alle seine Erfolge sich bald in ihr Gegenteil 
kehren würden, wenn die Konferenz wieder einmal unverrichteter 
Dinge auseinanderging und die Verzweiflung über Deutschland 
und Frankreich hereinbrach? Sollte er schon im März geahnt 
haben, daß das französische Volk, das seiner Führung nur wider- 
willig durch dick und dünn gefolgt war, sich innerlich längst von 
der Politik der Gewalt abgewandt hatte und bereit stand, ihn 
‚bei den kommenden Wahlen über Bord zu werfen? 


Poincar& hat den Sachverständigen bis zum Abschluß ihrer 
Arbeiten keine Schwierigkeiten mehr bereitet. Die französische 
Mitarbeit konnte natürlich nur gesichert werden, wenn en 
Sachverständigen im Komitee den französischen Ideen über ie 
deutsche Zahlungskraft und die Stellung von Sicherheiten einiger- 
maßen entgegenkamen, Darüber war man sich im Komitee einig, 
daß Deutschland wirkliche Reparation nur für den Fall leisten 
könne, daß es seine wirtschaftliche Einheit und Bewegungsfreiheit 
Bier erhielt, Mit diesem Grundsatz war das System der = 
duktiven Pfänder unvereinbar. Vor allem mußte die a 
die das wichtigste Unterpfand für die Reparation werden u er 
wieder unter eine einheitliche Verwaltung kommen. Die große 


285 


a a a 
























































Mehrheit des Komitees verlangte daher, daß mit dem Sonder- 


betrieb der Rhein- und Ruhrbahnen durch eine alliierte Regie 
vollständig aufgeräumt werden müsse, Das war ein Schritt, zu 
dem Frankreich nur allmählich gebracht werden konnte, weil 
hier auch die Frage der politischen Sicherheit hineinspielte, Bis 
zuletzt wurde von französischer Seite versucht, für die Bahnen 
des besetzten Gebietes einschließlich des Ruhrgebietes eine eigene 
Verwaltung unter alliiertem Einfluß zu bilden. Man berief sich 
dabei auf das Vorbild Bayerns, das in der deutschen Eisenbahn- 
verwaltung ebenfalls eine Sonderstellung einnahm, 


Den Ausschlag für die Entscheidung der Sachverständigen 
gab ein eingehender Bericht, den zwei hervorragende Fachleute, 
der Engländer Sir William Acworth und der F ranzose Gaston 
Leverve, im Auftrage des Komitees über die deutschen Eisen- 
bahnen erstatteten, Sie erklärten darin, daß die Reichsbahn, aber 
nur bei Einschluß der Rhein- und Ruhrbahnen, unter einheitlicher 
kaufmännischer Leitung in der Form einer Gesellschaft nach 
einigen Jahren des Uebergangs einen Reingewinn von einer 
Milliarde Goldmark jährlich abwerfen werde. Dieser materiellen 
Sicherheit gegenüber verlor die F rage, ob das internationale 
Kapital an der Reichsbahn interessiert werden solle, wesentlich 
an Bedeutung. Aus den Verhandlungen, bei denen auch deutsche 
Vertrauensleute gehört wurden, kristallisierte sich schließlich 
folgendes Kompromiß: 


An der Form einer kaufmännischen Gesellschaft wird fest- 
gehalten. Aber das. Stammkapital der Gesellschaft verbleibt 
beim Deutschen Reich, Im Verwaltungsrat erhalten das Reich 
und die Reparationsgläubiger je die Hälfte der Sitze. Damit die 
Leitung der Reichsbahn immer mehr von kaufmännischem Geiste 
durchzogen wird, soll sich privates Kapital mit Vorzugsaktien an 
der Gesellschaft beteiligen. Aus dem Erlös der Vorzugsaktien 
werden die Mittel für die Kapitalausgaben der Reichsbahn ge- 
wonnen. Für die Zwecke der Reparation wird die Reichs- 
bahn mit einer großen Anleihe belastet, die auf dem gesamten 
Bahneigentum an erster Stelle hypothekarisch zu sichern ist. Vor- 


286 











aussetzung für den ganzen Plan aber ist die Rückgabe der Eisen- 
bahnen im besetzten Gebiet an die Verwaltung der Gesellschaft. 


Bei der Ermittelung weiterer Quellen für die Reparation folgte 
das Komitee den Grundzügen der Belgischen Studien. Neben den 
Erträgen der Zölle sollte eine Reihe von indirekten Steuern, näm- 
lich die Abgaben auf Branntwein, Tabak, Bier und Zucker für die 
Reparation nutzbar gemacht werden. Dabei war grundsätzlich zu 
entscheiden, ob etwa aus dem Reichshaushalt im voraus die not- 
wendigen inneren Ausgaben bestritten werden müßten und nur 
die etwaigen Ueberschüsse der genannten Abgaben an die 
Reparationskasse abzuführen seien. Dafür traten die englischen 
Sachverständigen ein. Sie wollten ein einheitliches Budget haben, 
das sowohl den eigenen Bedarf des Reiches wie die Reparation 
zu umfassen hätte, Das aber war nur durchzuführen, wenn man 
die gesamten Einnahmen und Ausgaben des Reiches in allen 
Zweigen des Haushalts einer scharfen alliierten Kontrolle unter- 
warf. Eine solche Finanzkontrolle war von Deutschland bei den 


Kämpfen um die Reparation stets als unerträglich und unzweck- 


mäßig abgelehnt worden. 

Die englische Idee scheiterte im Komitee an dem Widerstand 
der Franzosen und Belgier. Sie wollten sich nicht mit Ueber- 
schüssen begnügen, sondern verlangten einen direkten Zugriff auf 
den Ertrag bestimmter Abgaben. So wurde auch im Komitee be- 
schlossen. Die große Masse der Einnahmen blieb zur freien Ver- 
fügung des Reiches, während bestimmte Einnahmezweige, näm- 
lich die Zölle und die Verbrauchssteuern, in erster Linie der 
Reparation zugewiesen wurden, Die interalliierte Kontrolle sollte 
sich auf diese einzelnen Einnahmen beschränken. 


Ein weiteres Objekt für die Reparation fand das Komitee in 
der Reichsabgabe aus dem Eisenbahnverkehr, der sogenannten 
Verkehrssteuer. Diese Abgabe ist in den vom Publikum erhobenen 
Tarifen mit eingeschlossen, tritt also nach außen nicht in Er- 
scheinung und legt dem Verkehr keine besondere neue Last auf. 
‚Die Sachverständigen glaubten, daß das Reich diese Steuer nach 
einer Uebergangsfrist von einem Jahre werde entbehren können. 
Die Verkehrssteuer ist einfach zu handhaben und bedarf keiner 


287 





Kontrolle, da sie von der Reichsbahn direkt an die Reparations- 
kasse abgeführt werden kann. 


Endlich blieb die Frage zu entscheiden, ob auch die deutschen 
Erwerbsstände direkt zur Reparationsleistung herangezogen 
werden sollten, Einen Anspruch darauf hatten die Alliierten nach 
dem Vertrage von Versailles nicht. Der Gedanke war jedoch seit 
langer Zeit eingehend erörtert worden, besonders in Frankreich, 
wo man mit Vorliebe eine Beteiligung der Alliierten an den 
Erträgen der deutschen Industrie forderte, Zwei Gründe wurden 
dafür ins Feld geführt. Einmal glaubte man den von der franzö- 
sischen Eisenindustrie geforderten Einfluß auf die deutsche 
Kohlenwirtschaft zu sichern, wenn ein Teil des Kapitals der 
deutschen Industrie in Form von Aktien oder sonstigen Anteil- 
scheinen der Reparation zufloß. Zweitens war es in aller Leute 
Munde, daß Deutschland nur als Staat verarmt und vorläufig 
wenig leistungsfähig sei, daß aber die deutsche Industrie sich 
gerade an dem Niedergang der Mark derart bereichert habe, daß 
sie verpflichtet sei, einen Teil ihrer Gewinne für die Reparation 
abzugeben. 

Wir haben gesehen, daß die Garantie der Reparation durch 
die deutsche Industrie bereits in früheren Plänen eine Rolle 
spielte, In ihrem letzten Vorschlag vom 7. Juni 1923 hatte die 
deutsche Regierung selbst angeboten, durch eine erststellige 
Hypothek von 10 Milliarden Goldmark die gesamte deutsche 
Wirtschaft zur Garantie einer Jahresleistung von 500 Millionen 
Goldmark heranzuziehen, Seitdem waren neue private Vorschläge 
aufgetaucht, die dasselbe Ziel durch Abgabe von 30 Prozent des 
Aktienkapitals der deutschen Industrie zu erreichen suchten. Der 
Plan wurde außerhalb Frankreichs besonders von dem Deutschen 
Arnold Rechberg und dem Belgier Barnich vertreten, 


Die Sachverständigen haben die Idee einer alliierten Be- 
teiligung an der deutschen Industrie fallen lassen, ohne jedoch 
auf die direkte Belastung der Industrie zu verzichten, Sie kamen 
immer wieder darauf zurück, daß die deutsche Industrie durch 
die Entwertung der Mark so gut wie schuldenfrei geworden sei 
und dadurch im Wettbewerb auf den verschiedenen Absatz- 


288 








gebieten der Welt einen Vorsprung vor den mit Goldschulden 
belasteten Industrien des Auslandes besitze, Um das Gleich- 
gewicht in der Konkurrenz wieder herzustellen, sollte die deutsche 
Industrie mit einer besonderen Reparationsschuld beschwert 
werden, und zwar in Höhe ihrer Vorkriegsschuld, die etwa fünf 
Milliarden Goldmark betragen hatte, Vorkämpfer für diese Idee 
war der italienische Delegierte Pirelli. Die Amerikaner und Eng- 
länder schlossen sich ihm noch aus einer anderen Erwägung an. 
Sie wollten den Vorwurf vermeiden, daß die Sachverständigen 
als Vertreter des Kapitalismus die ganze Reparationslast durch 
indirekte Abgaben aus Verbrauch und Verkehr auf die Schultern 
der breiten Massen legten. 

Die deutsche Landwirtschaft blieb von einem direkten Beitrag 
zur Reparation verschont. Der Landbesitz war durch die Ent- 
wertung der Mark zwar gleichfalls entschuldet, es schien den 
Sachverständigen jedoch zweifelhaft, ob man ihn ohne Schädigung 
der deutschen Wirtschaft mit einem Teile der Reparation be- 
lasten könne. 

Um sich von vornherein die Zustimmung der Industrie zu 
sichern, zog das Komitee Dr. Buecher, Geschäftsführer des 
Zentralverbandes der deutschen Industrie, zu vertraulichen Be- 
sprechungen heran. Dabei wurde ein grundsätzliches Einver- 
ständnis erreicht. 

So hatte das .Komitee die einzelnen Quellen der Reparation 
für seinen Plan gefunden, Als schwerste Aufgabe blieb noch 
übrig, die jährliche Gesamtsumme festzusetzen, mit der Deutsch- 
land belastet werden sollte, Hier galt es, die wirtschaftlichen Mög- 
lichkeiten mit den politischen Forderungen auszugleichen. Daß 
Deutschland einer Schonungsfrist bedurfte und in den ersten 
Jahren nur allmählich ansteigende Leistungen tragen konnte, 
stand fest. Wie groß aber sollte die Jahreslast in normalen 
Zeiten sein? 

ANNUITÄTEN 


Der englische Plan vom Januar 1923 sah eine regelmäßige 
Annuität von 2% Milliarden Goldmark vor, die vom Jahre 1923 
ab auf 3% Milliarden Goldmark erhöht werden konnte, falls ein 


Bergmann, Der Weg der Reparation 19 ES 289 









































unparteiisches Schiedsgericht dies mit der deutschen Leistungs- 
fähigkeit für vereinbar erklärte, Seitdem hatte die verhängnisvolle 
Besetzung des Ruhrgebietes die Zahlungskraft Deutschlands erheb- 
lich geschwächt, Die englischen Sachverständigen befürworteten 
daher eine normale Annuität von nicht mehr als 2 Milliarden 
Goldmark. Sie drangen jedoch mit ihrer Ansicht gegen die weiter- 
gehenden französischen Forderungen nicht durch. In dem Kampfe, 
der sich um die Höhe der Annuität entspann, gaben die amerika- 
nischen Vertreter den Ausschlag. Gegen Ende März waren sie so 
weit, einer Jahresleistung von etwa 3 Milliarden Goldmark zuzu- 
stimmen, Ihr Gedankengang war: 


„Deutschland ist industriell wundervoll ausgerüstet, Es hat 
seine staatliche und private Wirtschaft vollständig entschuldet. 
Seine praktische Intelligenz ist im ganzen genommen der anderer 
Völker überlegen. Nach Regelung der Reparation wird ein großer 
Aufschwung in Deutschland einsetzen, mit dem es alle Kon- 
kurrenten auf dem Weltmarkt schlägt, Dieser wirtschaftlichen 
Kraft müssen auch die Zahlungen Deutschlands entsprechen, Es 
soll verhältnismäßig ebenso hoch besteuert werden wie die Länder 
der Alliierten. Das ist ein Grundsatz, den auch jeder vernünftige 
Deutsche als gerecht anerkennt, Wird er auf das innerlich 
schuldenfreie Deutschland angewendet, so sind aus den Ueber- 
schüssen des deutschen Haushalts für die Reparation gewaltige 
Summen verfügbar. Etwa 3 Milliarden können von der deutschen 
Wirtschaft beiseite gestellt werden, natürlich zunächst nur in 
deutscher Währung. Ob dieser Betrag ins Ausland. übergeführt 
werden kann, hängt von dem Umfang des deutschen Außen- 
handels ab. Ueber die Möglichkeit der Zahlung ins Ausland soll 
ein internationales Komitee entscheiden, das sich aus F inanz- 
sachverständigen zusammensetzt. Politische Einflüsse werden 
dabei ausgeschaltet, Solange die Reparationsgelder in Deutsch- 
land verbleiben, befruchten sie die deutsche Wirtschaft, schaffen 
billiges Geld und geben deutschem Handel und Wandel neuen 
Aufschwung. Darum liegt auch in einer jährlichen deutschen Ge- 
samtleistung von 3 Milliarden Goldmark noch keine Gefahr für 
Deutschland.“ 


290 


h u aD 











Sobald ich von diesen Absichten erfuhr, ging ich zu Owen 
Young. Ich erklärte ihm, daß die Festsetzung einer Annuität von 
drei Milliarden Goldmark verderblich wirken müsse, Das sei 
gerade die Zahl, die uns von den ersten Verhandlungen an stets 
verfolgt habe. Sie bilde den Kern des Londoner Ultimatums vom 
5. Mai 1921 und trage die Schuld am Zusammenbruch unserer 
Währung. Wenn die Sachverständigen zu solchen Ziffern kämen, 
dann würden alle Hoffnungen, die man in Deutschland auf ihren 
Spruch gesetzt habe, mit einem Schlage vernichtet sein. Das 
jetzt erwachte Vertrauen würde allgemeiner Verzweiflung Platz 
machen, Die deutsche Währung würde von neuem zugrunde 
gehen. Auch die innerpolitische Lage würde unhaltbar werden. 
Im Innern seien die Amerikaner selber überzeugt, daß derart 
hohe Reparationszahlungen nicht durchführbar seien. Wollten sie 
aus politischen Rücksichten den französischen Forderungen ent- 
gegenkommen, so sollten sie lieber von dem Besserungsschein, als 
dem kleineren Uebel, Gebrauch machen. Es sei immer noch erträg- 
licher, bei einer wesentlichen Besserung in den Finanzen und der 
Wirtschaft Deutschlands mehr zahlen zu müssen, als von vorn- 
herein mit einer festen Belastung zu rechnen, die nach der Üeber- 
zeugung aller Kundigen die Zahlungskraft Deutschlands bei 
weitem übersteige. 

Diese Aussprache fand am 20, März 1924 statt. Bald darauf 
einigten sich die Sachverständigen auf. eine normale Jahres- 
leistung Deutschlands von 2% Milliarden Goldmark. Davon sollten 
fließen: 

1250 Millionen aus Zöllen und Verbrauchsabgaben, 


660 . aus der Eisenbahn (5 Prozent Zinsen und 
1 Prozent Tilgung auf elf Milliarden Obli- 
gationen), 
290 s“ aus der Verkehrssteuer 
300 aus der Industrie (5 Prozent Zinsen und 
1 Prozent Tilgung auf fünf Milliarden Obli- 
gationen) 
2500 Millionen. | 
19: 291 


Man sieht, daß in dieser Jahresleistung 1 Prozent Tilgung auf 
16 Milliarden Obligationen der Eisenbahn und der Industrie ent- 
halten ist. Die Annuität von 2% Milliarden schließt daher auch 
160 Millionen an jährlicher Kapitalrückzahlung ein. 

Durch die Tilgung fällt nach sechsunddreißig Jahren die Be- 
lastung der Eisenbahn mit 660 Millionen und der Industrie mit 
300 Millionen aus der Annuität weg. Was dann aus den Zahlungen 
des Haushalts und aus der Verkehrssteuer werden soll, haben die 
Sachverständigen im Dunkeln gelassen, 


INDEX 


Daß die französischen Sachverständigen im Komitee nicht 
länger auf den früheren, viel höheren Ziffern Frankreichs be- 
standen haben, spricht für ihre wirtschaftliche Einsicht und für 
den Mut ihrer Ueberzeugung. Immerhin wurde die Einigung auf 
2” Milliarden nur dadurch möglich, daß man durch die Ein- 
führung des Besserungsscheines der Phantasie der alliierten 
Gläubiger gewisse Hoffnungen auf spätere Erhöhung der deutschen 
Leistungen machte, | 

An dem Problem des Besserungsscheines hatten sich seit der 
Konferenz von Spa schon viele gelehrte Leute den Kopf zerbrochen. 
Es war bisher noch nicht gelungen, einen Gradmesser (Index) zu 
‚linden, an dem die Hebung des Wohlstandes der Volkswirtschaft 
praktisch und zuverlässig abzulesen war. Deshalb war die ganze 
Idee in der letzten Zeit in den Hintergrund geraten. Sie wurde 
auch grundsätzlich von vielen Seiten bekämpft, weil sie die Repa- 
rationslast der Zukunft unsicher gestaltete und damit ein weiteres 
großes Moment der Unruhe in die Entwicklung der deutschen 
Wirtschaft trug. 

Die Sachverständigen aber griffen den Gedanken sogleich 
wieder auf und führten ihn durch. Der Index, den sie im wesent- 
lichen unter dem Einfluß von Sir Josiah Stamp aufgestellt haben, 
ist ein verwickeltes Gebilde, Er wird ermittelt aus sechs ver- 
schiedenen Faktoren, nämlich: 

1. der Gesamtsumme der deutschen Ein- und Ausfuhr, 

2. der Gesamtsumme der Einnahmen und Ausgaben des 


292 





Reichshaushaltes zuzüglich Preußens, Sachsens und 
Bayerns, aber abzüglich der Jahresleistungen aus dem 
Vertrage von Versailles, | 

3, dem Gewicht der im Eisenbahnverkehr beförderten Güter- 
mengen, 

4, dem Wert des Gesamtverbrauchs in Deutschland an 
Zucker, Tabak, Bier und Branntwein, 


5. der Gesamtbevölkerung Deutschlands, 
6. dem Verbrauch von Kohle auf den Kopf der Bevölkerung, 


Die Grundziffern des Index werden für die Faktoren unter 
2, 5 und 6 aus dem Durchschnitt der drei Jahre 1927, 1928 und 
1929, für die anderen Faktoren aus dem Durchschnitt der sechs 
Jahre 1912, 1913, 1926, 1927, 1928 und 1929 errechnet. Vom 
sechsten Jahre der Ausführung des Dawesplanes, d. h. vom Jahre 
1929/30 ab, sollen nun jährlich die Leistungen des Reichshaus- 
haltes für die Reparation erhöht werden, sofern die sechs 
Indexfaktoren in dem betreffenden Jahre eine Zunahme im Ver- 
gleich mit den Grundziffern des Index anzeigen. Die prozentuale 
Veränderung jedes der sechs Faktoren gegenüber der Vergleichs- 
basis wird getrennt berechnet; das arithmetische Mittel aus diesen 
sechs Zahlen ergibt den eigentlichen Index, d. h. den Prozentsatz, 
der für die Aenderung der Leistungen des Reichshaushalts maß- 
gebend ist. In den fünf Jahren 1929/30 bis 1933/34 wird die Index- 
ziffer nur auf 1,250 Milliarden, d.h. auf die Hälfte der normalen 
Annuität für die Reparation angewendet. Von 1934 an trifft der 
Index aber die gesamte Normalzahlung des Jahres von 2.500 
Milliarden. Zeigt der Index in irgendeinem Jahre eine Abnahme 
gegenüber der Vergleichsbasis, so bleibt die Normalzahlung unver- 
ändert, die Abnahme muß jedoch bei späteren Zunahmen berück- 
sichtigt, d. h. von den etwaigen neuen Zuschlägen in Abzug ge- 
bracht werden. 

Die Indexrechnung wird sich bei der praktischen Anwendung 
wohl noch schwieriger gestalten, als sie schon auf den ersten Blick 
aussieht, In dieser Voraussicht haben die Sachverständigen die 
Festsetzung aller Einzelheiten einem Komitee überwiesen, das 


293 


ga Pi 
























































aus zwei Deutschen und zwei von der Reparationskommission zu 
ernennenden Mitgliedern bestehen soll, 


Die normale Jahresleistung für die Reparation kann abge- 
sehen vom Index auch in dem Falle abgeändert werden, daß sich 
die Kaufkraft des Goldes im Vergleich zu dem Jahre 1928 um 
mindestens zehn Prozent ändern sollte, Der Anspruch auf Ab- 
änderung kann sowohl von der deutschen Regierung wie von der 
Reparationskommission und den in ihr vertretenen Regierungen 
geltend gemacht werden. Falls eine Verständigung nicht zu 
erreichen ist, soll ein vom Völkerbund zu ernennendes Komitee 
entscheiden. Die hiernach veränderte Leistung bleibt bestehen, 
bis wiederum nach Ansicht einer der Parteien eine Veränderung 
der Kaufkraft des Goldes von mindestens zehn Prozent ent- 
standen ist. 


LEISTUNGEN NEBEN DER REPARATION 


In der von den Sachverständigen festgesetzten Jahresleistung 
sollen die sämtlichen Beträge einbegritfen sein, zu deren Zahlung 
Deutschland den Alliierten und Assoziierten Mächten aus Anlaß 
des Weltkrieges verpflichtet ist. 

Mit dieser klaren Bestimmung des Planes ist einer der gröbsten 
Fehler des Vertrages von Versailles beseitigt. Was die Erfüllung 
der Reparationspflicht bislang unmöglich machte, war nicht allein 
die Höhe der Schuld, wie sie im Londoner Ultimatum vom 5. Mai 
1921 festgesetzt war, sondern ebenso sehr die Tatsache, daß neben- 
her noch eine Reihe anderer Leistungen zu entrichten war, deren 
Höhe man auch nicht annähernd schätzen konnte, Hierher ge- 
hörten vor allem die direkten und indirekten Kosten, welche die 
Besatzungsheere mit Zahlungen, Requisitionen, Quartierlasten, 
Kasernenbauten, Beschlagnahme von Grundbesitz usw. ver- 
ursachten. Dazu kamen weiter die Lasten des Ausgleichsver- 
fahrens, die trotz der großen Summen, die Deutschland bereits 
dafür gezahlt hatte, noch lange nicht beglichen waren, Unüber- 
sehbar vor allem war die Inanspruchnahme Deutschlands aus der 
Rechtsprechung der gemischten Schiedsgerichte. Ferner waren 
die Kosten der zahlreichen Kommissionen zu bestreiten, die der 


294 








Vertrag von Versailles zur Aufsicht über Deutschland eingesetzt 
hat. Und endlich verpflichtete der besondere Friedensvertrag, den 
Deutschland am 25. August 1921 mit den Vereinigten Staaten von 
Amerika geschlossen hatte, die deutsche Regierung zur Vergütung 
von Kriegsschäden amerikanischer Untertanen, die im Wege des 
Schiedsgerichts festzustellen waren. ' 

Hier überall hat der Spruch der Sachverständigen einen 
erfreulichen Wandel geschaffen, Es gibt außer der festgesetzten 
Annuität, welche normal 2% Milliarden Goldmark beträgt, keine 
Nebenleistungen mehr aus dem Vertrage von Versailles und aus 
Anlaß des Weltkrieges überhaupt. Die Sachverständigen haben 
deshalb auch bestimmt, daß alle Kosten für Aufsichtsorgane, die 
aus ihrem eigenen Reparationsplan erwachsen, ebenfalls aus der 
festen deutschen Jahresleistung zu entnehmen sind. 


ÜBERGANGSJAHRE 


Die Annuität von 2% Milliarden wird erst nach Ablauf von 
vier Jahren erreicht, Bis dahin läuft eine Art Schonungsfrist. Damit 
ist der viel umstrittene Gedanke des Moratoriums verwirklicht, 
"Freilich sieht das Moratorium ganz anders aus, als Deutschland 
es gefordert und als auch der englische Plan vom Januar 1923 es 
vorgesehen hatte. | 

Eine vollkommene Befreiung von der Reparation für einige 
Jahre tritt nicht ein. 

Das ist abermals ein Kompromiß zwischen den wirtschaftlichen 
Nöten Deutschlands und denen der Alliierten. Frankreich und 
Belgien hatten sich mit der Besetzung des Ruhrgebietes, ganz 
abgesehen von den Gewinnen, die sie in barem Gelde aus den 
Eisenbahnen, den Forsten und aus den Zwangsverträgen mit der 
Industrie zogen, ganz erhebliche Sachleistungen gesichert, vor 
allem an Kohle und Koks. Wollte man Frankreich zur Freigabe 
der Wirtschaft an Rhein und Ruhr bewegen, so mußte man auch 
dafür sorgen, daß die Sachlieferungen weitergingen, wenn auch 
in beschränktem Umfange. Ein solches Entgegenkommen hatten 
übrigens auch die deutschen Reparationsvorschläge versprochen. 
Wie aber war das Bedürfnis Deutschlands nach einer längeren 


295 


Ruhepause mit der Fortsetzung erheblicher Sachlieferungen zu 
vereinbaren? 

Die Frage, wie die Sachleistungen in den ersten Jahren finanziert 
werden könnten, hat den Sachverständigen viel Arbeit gemacht. 
Die Lösung, die sie schließlich vorgeschlagen haben, läßt ihr 
Dilemma deutlich erkennen. Sie haben sich damit geholfen, daß sie 
die Zahlungen der Eisenbahn und der Industrie in viel schnellerem 
Tempo für die Reparation heranzogen als die Zahlungen aus dem 
Reichshaushalt. Hier finden wir das Dogma der Alliierten wieder, 
daß die schuldenfreie Eisenbahn und die schuldenfreie Industrie 
nur in geringem Maße schonungsbedürftig und von vornherein 
leistungsfähig seien. 

Der Reichshaushalt selber genießt unter dem Dawesplan ein 
ziemlich durchgreifendes Moratorium. Er ist in den ersten zwei 
Jahren vollkommen frei von der Reparation. Im dritten Jahre führt 
er aus den verpfändeten Zöllen und Steuern nur 110 Millionen, 
im vierten Jahre 500 Millionen an die Reparationskasse ab. 


Die Zahlungen dieser beiden Jahre können sich aber bis zur 
Höhe von 250 Millionen Goldmark nach oben oder unten ändern, 
je nachdem sich die verpfändeten Zölle und Steuern entwickeln. 
Bringen diese im dritten Jahre (1926/27) mehr als eine Milliarde, 
im vierten Jahre (1927/28) mehr als 174 Milliarde, so ist der dritte 
Teil eines solchen Ueberschusses als weiterer Beitrag für die 
Reparation zu zahlen. Betragen die Einkünfte weniger als die ge- 
nannten Summen, so wird der dritte Teil des Fehlbetrages von der 
Reparationszahlung des Haushalts abgezogen. Alle diese Aende- 
rungen aber halten sich innerhalb der Grenze von 250 Millionen. 


Erst im fünften Jahre beginnt die normale Reparationsleistung 
des Haushalts mit 1250 Millionen Goldmark. 


Die Eisenbahn soll nach dem Gutachten der Sachverständigen 
ihre Reparationsschuld von elf Milliarden Goldmark 
im ersten Jahre schon mit 3 Prozent 
im zweiten Jahre mit . . . 4 Prozent 
im dritten Jahre mit . .*. , 5 Prozent 


verzinsen. Im vierten Jahre tritt dazu die jährliche Tilgung der h 


296 





Schuld mit 1 Prozent, so daß von da ab die volle Jahresleistung 
der Eisenbahn von 660 Millionen Goldmark läuft, 

Von der Industrie wird im ersten Jahre nichts, im zweiten 
Jahre nur die Hälfte der Zinsen auf die Schuld von fünf Milliarden, 
also 2% Prozent = 125 Millionen Mark beansprucht. Vom dritten 


Jahre an zahlt die Industrie die vollen Zinsen mit 250 Millionen 


und vom vierten Jahre an auch die Tilgung mit 1 Prozent, im 
ganzen 300 Millionen jährlich. 

Die Verkehrssteuer wird im ersten Jahre der Regierung be- 

lassen. Im zweiten Jahre fließt sie in Höhe von 250 Millionen, 
vom dritten Jahre ab in Höhe von 290 Millionen an die Reparations- 
kasse. Etwaige Ueberschüsse der Verkehrssteuer verbleiben dem 
Reiche. 
Um die Lücke auszufüllen, welche hiernach bei dem Aufbau 
der Reparationszahlungen im ersten Jahre entstehen würde, haben 
die Sachverständigen die Ausgabe einer Anleihe von 800 Millionen 
Goldmark vorgeschlagen. Ihr Erlös wurde dazu bestimmt, bereite 
Mittel für Sachleistungen, Besatzungskosten und sonstige not- 
wendige Ausgaben des ersten Jahres zu schaffen. Diese große 
Reparationsanleihe sollte Deutschland vom Ausland gegeben und 
aus den jährlichen deutschen Reparationsleistungen verzinst und 
getilgt werden, Die Gläubiger der Anleihe sollten als Sicherheit 
den ersten Anspruch auf die deutschen Jahreszahlungen, also ein 
Vorrecht vor allen Forderungen der Alliierten erhalten. 

Die Anleihe sollte nicht nur den Zwecken der Reparation 
dienen, sondern zu gleicher Zeit auch der deutschen Währung zu- 
gute kommen. Ihr Erlös war in Gold oder Devisen in eine neu zu 
errichtende Goldnotenbank einzuzahlen. Letztere hatte nach An- 
weisung des Generalagenten für die Reparation der deutschen 


Regierung die Zahlungen zu erstatten, welche die Regierung für 


Sachlieferungen und sonstige Zwecke der Reparation einstweilen 
auslegte, Der gesamte Erlös der Anleihe sollte somit in fremdem 
Gelde der deutschen Wirtschaft zufließen und die deutsche 
Währung stärken. | 

Im einzelnen hat das Bild der Uebergangsjahre noch einige 
Aenderungen erhalten. So wurde die wirkliche Leistung der 


297 


EDER U UBER 














Reichsbahn im ersten Jahre auf 200 Millionen Mark beschränkt, 
aber zum Ausgleich schon im zweiten Jahre stark erhöht. 


Die folgende Aufstellung gibt einen genauen Ueberblick über 
die Entwicklung der Reparationszahlungen bis zur normalen 
Annuität. Es sind zu zahlen: 


Im 1. Jahre: aus der Eisenbahn 200 Mill. Goldmark 
aus der Reparationsanleihe 800 


El 


1000 Mill. Goldmark 


Im 2. Jahre: aus der Eisenbahn 595 Mill. Goldmark 
aus der Verkehrssteuer. . 250 
aus der Industrie. . . . 125 
aus dem Verkauf von Vor- 
zugsaktien der Eisenbahn 250 > 


1220 Mill. Goldmark 


Bl 


Ur) 


Im 3. Jahre: aus der Eisenbahn 


550 Mill. Goldmark 


aus der Verkehrssteuer. . 290 n 
aus der Industrie”... u... 250 u 
aus dem Reichshaushalt . 110 


Bl 


1200 Mill. Goldmark 


Im 4, Jahre: aus der Eisenbahn 


aus der Verkehrssteuer. . 290 “N 
aus der Industrie. . . . 300 . 
aus dem Reichshaushalt . 500 


„ 


1750 Mill. Goldmark 


Im 5, Jahre: aus der Eisenbahn 660 Mill. Goldmark 
aus der Verkehrssteuer . . 290 
aus der Industrie 5. / 2172800 
aus dem Reichshaushalt . 1250 5 


2500 Mill. Goldmark 


” 


l 


IR 


298 


660 Mill Goldmack 





Die Zahlungen für das dritte und vierte Jahr können sich je 
nach den Erträgen der verpfändeten Zölle und Steuern bis zur 
Höhe von 250 Millionen Mark nach oben oder unten ändern, 


TRANSFERSYSTEM 


Alles, was Deutschland für die Reparation zahlt, soll in Gold- 
mark oder mit dem Gegenwert in deutscher Währung bei der 
neuen Goldnotenbank zugunsten des „Agenten für Reparations- 
zahlungen“ entrichtet werden. Diese Zahlung bildet den endgültigen 
Akt, durch den sich die deutsche Regierung ihrer finanziellen 
Verpflichtungen unter dem Dawesplan entledigt. 

Hier haben wir die grundlegende Neuerung, den entscheidenden 
Sprung vorwärts zur Lösung des Problems. Bisher war jeder Plan 
davon ausgegangen, daß die Festsetzung der Schuld in Goldmark 
Deutschland verpflichte, die jeweils fälligen Beträge in fremder 
Währung — Dollars, Pfund Sterling, Francs, Lire usw. — nach 
Weisung der Reparationskommission selbst anzuschaffen, also das 
deutsche Geld durch Verkauf in fremdes Geld umzuwandeln, Wir 
haben gesehen, daß darin der tiefste Grund für den Zusammen- 
bruch der Mark lag. Niemand konnte sagen, wie und wann Deutsch- 
land imstande sein würde, seine Reparationsschuld in fremdem 
Gelde abzuzahlen. Der Versuch, die erste Milliarde Goldmark 
unter dem Londoner Zahlungsplan ins Ausland zu legen, hatte die 
Markwährung aufs schwerste erschüttert. Von deutscher Seite 
war schon immer betont worden, es sei dem verarmten Lande 
unmöglich, Milliardenbeträge Jahr für Jahr ohne jede Gegen- 
leistung in das Ausland zu zahlen, zumal da die deutsche Handels- 
bilanz stark passiv geworden sei. Kein Mensch aber hatte bisher 
die Kühnheit besessen, den Knoten des Problems mit dem Vor- . 
schlag durchzuhauen, daß die Schuld Deutschlands durch Zahlung 
in seiner eigenen Währung beglichen werden solle und daß es 
Sache der Gläubiger sei, die Reparationszahlungen in fremdes 
Geld umzuwandeln. | 

Wer ist der Vater dieser neuen Idee? Sie ist nicht erst aus den 
Beratungen des Daweskomitees entstanden, Sie findet sich schon 
in dem Bericht, den das vom Völkerbund eingesetzte Finanz- 


299 










































































komitee am 20, Dezember 1923 über den finanziellen Wieder- 
aufbau Ungarns erstattet hat. Dort heißt es, daß es zum Schutze 
der Währung nötig sei, daß alle Zahlungen Ungarns aus dem 
Friedensvertrage in ungarischen Kronen bei der Bank von Ungarn 
eingezahlt würden und daß der Präsident der Bank diese Gelder 
so bald wie möglich in fremde Währung überführen solle, ohne 
aber den Wert der Krone zu gefährden, 


Die SachverständigendesDawesplanesfandenalsoden Transfer. 
gedanken bereits vor. Sie griffen ihn entschlossen auf und be- 
Sründeten ihn ausführlich, In ihrem Berichte sagen sie: 


Es bestehe ein großer Unterschied zwischen dem, was Deutsch- 
land in seinem eigenen Gelde für die Reparation erübrigen könne, 
und zwischen dem, was es davon nach anderen Ländern zu über- 
weisen imstande sei. Auf die Dauer dürften die den Allierten ge- 
zahlten fremden Gelder nicht die Beträge übersteigen, welche die 
deutsche Zahlungsbilanz zu überweisen gestatte, ohne Währung 
und Haushalt zu gefährden, Mit dem Begriff der Handelsbilanz 
sei allerdings praktisch nicht viel anzufangen, Sie beruhe nur auf 
Schätzungen, zumal bei den wichtigen Posten der unsichtbaren 
Ein- und Ausfuhr, Wenn man aber auch die Grenzen der wirt- 
schaftlichen Bilanz nicht genau bestimmen könne, so seien sie doch 
von der Wirklichkeit gezogen. Um die Währung eines Landes 
dauernd zu sichern, müsse nicht nur der Haushalt im Gleich- 
gewicht sein, sondern es müßten auch die Einnahmen von außen 
so groß sein wie die Zahlungen, die das Land nach außen zu 
machen habe, einschließlich der Beträge für die Reparation, Daher 
könne die Reparation nur aus Ueberschüssen der deutschen Wirt- 
schaft gezahlt werden. 


Der Jahresbetrag, den Deutschland nach der Leistungsfähig- 
keit seines Haushalts zahlen könne, werde in Goldmark fest- 
gesetzt. Zugleich .aber werde Schutz dagegen geschaffen, daß 
durch die Umwandlung der gezahlten Markbeträge in fremdes 
Geld die Stabilität der deutschen Währung zerstört und die 
Reparation in Zukunft gefährdet werde, Auf diese Weise seien 
nur die Höchstsummen angegeben, welche die Alliierten aus der 
Reparation erlangen können. Stelle sich heraus, daß nur ein Teil 


300 








dieser Summen in fremde Währung übertragen werden könne, so 
werde die Einschränkung bedingt durch die tatsächliche Entwick- 
lung der Wirtschaft und nicht durch irgendwelche Schätzung, Die 
Einschränkung erfolge also nur insoweit, als sie wirklich not- 
wendig sei. Die Reparationszahlungen, welche nicht in fremde 
Währung übertragen werden könnten, ständen unter gewissen Be- 
dingungen den Alliierten als Anlage innerhalb Deutschlands zur 
Verfügung. So kämen beide Parteien zu ihrem Recht. Es wäre ge- 
wagt und unbillig, die Möglichkeiten der künftigen Entwicklung 
der Wechselkurse vorauszusagen und Deutschlands Reparations- 
last im voraus durch Schätzung feststellen zu wollen, Nur die Er- 
fahrung könne lehren, inwieweit die Umwandlung in fremde 
Währung möglich sei. Inzwischen werde der deutsche Steuer- 
zahler nach Gebühr belastet, und damit entstehe für die Alliierten 
ein Guthaben in Goldmark, das je nach der Lage der Wechsel- 
kurse in fremdes Geld umgewandelt werden könne, 

Nach diesen Grundsätzen ist das Transfersystem im einzelnen 
wie folgt ausgebaut: | 

Die in Goldmark gezahlten Reparationsbeträge werden von 
einem Ausschuß, dem sogenannten Transferkomitee, verwaltet. 
Er besteht aus sechs Mitgliedern. Den Vorsitz hat der Agent 
für Reparationszahlungen. Die übrigen fünf Mitglieder sollen in 
Devisengeschäften erfahren sein. Die Vereinigten Staaten, Frank- 
reich, England, Italien und Belgien stellen je ein Mitglied, das 
nach Vorschlag der Zentralbank des betreffenden Landes von der 
Reparationskommission ernannt wird. Das Transferkomitee hat 
mit dem Präsidenten und dem Kommissar ‘der neuen deutschen 


- Goldnotenbank Fühlung zu halten. 


Das Komitee verfügt im Benehmen mit der Reparations- 

kommission über die von Deutschland gezahlten Beträge 

1, für Bezahlung von Sachlieferungen und der Abgabe unter 

dem Reparation Recovery Act, 

2. für die Umwandlung der Markbeträge in fremde Währung, 
beides soweit es nach dem Urteil des Transferkomitees 
möglich ist, ohne die Stabilität der deutschen Währung 
zu gefährden, | 


301 




















3. für die Anlage fremder Gelder innerhalb Deutschlands in 
festverzinslichen Werten, soweit das Komitee dies für 
zweckmäßig hält. 

Darüber hinaus kann das Komitee nach Weisung der Reparations- 
kommission und auf Ersuchen des Landes, welchem der Anspruch 
zusteht, Reparationsbeträge in Mark an Private überweisen, um 
Ankäufe in Deutschland zu machen, Solche Anlagen dürfen aber 
keinen vorübergehenden Charakter tragen und sich nur auf eine 
Liste von Sachen erstrecken, die zwischen dem Transferkomitee 
und der deutschen Regierung von Zeit zu Zeit unter Berücksich- 
tigung der wirtschaftlichen Lage Deutschlands festgesetzt wird. 


Die deutsche Regierung und die deutsche Goldnotenbank sind 
verpflichtet, die Tätigkeit des Transferkomitees bei der Umwand- 
lung von Markbeträgen in fremdes Geld auch mit ihrer Diskont- 
politik zu unterstützen, Wenn das Komitee von der deutschen 
Regierung oder irgendeiner Gruppe in der Umwandlung von 
Geldern vorsätzlich gestört werden sollte, so kann es derartigen 
Manövern mit geeigneten Schritten entgegentreten, Es wird dann 
auch frei von den Einschränkungen, die ihm für die Ansammlung 
von Markbeträgen oder für die Anlage von Geldern in deutschen 
Werten gesetzt sind. 


Soweit die Reparationsbeträge im gewöhnlichen Geschäfts- 
gang des Transferkomitees, das heißt durch Bezahlung von Sach- 
leistungen, sonstigen Ausgaben und durch Umwandlung in fremde 
Währung keine Verwendung finden, bleiben sie bis zum Betrage 
von zwei Milliarden Goldmark als Depositen in der Bank liegen. 
Ueber zwei Milliarden Mark hinaus kann das Transferkomitee 
das Reparationsdepot zu festverzinslichen Anlagen in Deutsch- 
land benutzen. Wenn jedoch die sämtlichen Guthaben und An- 
lagen des Reparationsfonds in Deutschland (Bankguthaben, Dar- 
lehen, Wertpapiere usw.) die Summe von fünf Milliarden Gold- 
mark übersteigen, werden die Abgaben aus dem Haushalt ein- 
schließlich der Verkehrssteuer so weit und so lange herabgesetzt, 
bis keine weitere Anhäufung des Reparationsfonds über fünf 
Milliarden hinaus stattfindet. 


3 


302 








Die Sachverständigen haben selber erkannt, daß ihr Transfer- 
system ganz neuartige Schwierigkeiten mit sich bringt, die nur 
durch Erfahrung behoben werden können, Sie schildern ihr 
Dilemma wie folgt: 

Wollten sie die jährliche Reparationsleistung mit einer Ziffer 
begrenzen, die ganz sicher innerhalb der Fähigkeit Deutschlands 
liest, Ausfuhrüberschüsse zu erzielen, so wären sie zu einem so 
niedrigen Betrage gekommen, daß ihr Vorschlag für die Gläubiger 
unannehmbar und für Deutschland unverantwortlich günstig ge- 
wesen wäre, Auf der anderen Seite hätten sie die Schuld auch 
ohne jede Rücksicht auf den deutschen Ausfuhrüberschuß fest- 
setzen und Zahlung verlangen können, ohne etwaige Schwierig- 
keiten in den Wechselkursen zu beachten. Letzteren Weg wollten 
sie nicht gehen, weil er zu Unsicherheit in der Zukunft und zum 
Unheil führen müßte, Nach ihrer Ueberzeugung muß ein jeder 
Plan, der den Alliierten die höchstmögliche Reparation von 
Deutschland verschaffen will, mit einer verständnisvollen und 
sorgfältigen Handhabung der Wechselkurse verbunden sein. 

So sind sie zu ihrem Vorschlag gekommen. 


DAUER DER ZAHLUNGEN 


Die den Sachverständigen ursprünglich gestellte Aufgabe ging 
bekanntlich nur dahin, Mittel und Wege für die Herstellung des 
Gleichgewichts im Reichshaushalt und für die Stabilisierung der 
Währung anzugeben. Es ist nun sehr interessant, dem Gedanken- 
ang zu folgen, mit dem sie ihren Reparationsplan entwickelt und 
begründet haben: 

Haushalt und Währung können nur in Ordnung gebracht 

werden, wenn festgestellt wird, welche Reparationsleistungen aus 
dem Haushalt zu bestreiten sind. Es wäre falsch, die Reparation 
nur für einige wenige Jahre zu bestimmen, innerhalb deren 
Deutschland eine gesunde Währung und einen ausgeglichenen 
Haushalt erreichen soll. Denn das einmal erreichte Gleichgewicht 
im Haushalt und in der Währung geht verloren, wenn nach wie vor 
Unsicherheit darüber herrscht, was Deutschland in den späteren 
Jahren für die Reparation zu zahlen hat. Die Anstrengung ist 


303 




















Zukunft Deutschlands abhängt. Ohne solches Vertrauen wird 
weder das deutsche Kapital im Ausland heimwandern, noch wird 
das Ausland: durch Zeichnung der Reparationsanleihe und Ge. 
währung von Krediten die nötige Hilfe leisten, Nicht einmal die 
Steuern können dann richtig eingezogen werden. Aber das Ver- 
trauen kommt erst wieder, wenn Deutschland und die Außenwelt 
eine Sicherheit dafür bekommen, daß für geraume Zeit weder die 
deutschen Finanzen noch die Beziehungen zum Ausland durch 
neuen Streit gefährdet werden, Unter „geraumer Zeit” muß eine 
Periode verstanden werden, welche das Kapital für Anleihen und 
Anlagen als ausreichend ansieht, Nun ist es nicht möglich, die 
Reparationsschuld ein für allemal genau festzusetzen, Auch sollen 
die Alliierten an dem Anwachsen des deutschen Wohlstandes 
einen Anteil haben, Zıı diesem Zweck ist der Index eingeführt. 

Die Sachverständigen haben sich nicht für zuständig erklärt, 
zu bestimmen, für welche Dauer von J ahren oder bis zu welchem 


leistungen festzusetzen, da dies gleichbedeutend wäre mit der 
Festsetzung einer neuen deutschen Kapitalschuld, Doch haben sie 
die Anwendung ihres Planes auch für die endgültige Regelung 
der verschiedenen internationalen Kriegsschulden empfohlen, so- 
weit die deutsche Schuld dabei in Betracht kommt, 


SACHLEISTUNGEN 


Die Sachleistungen sind vom Daweskomitee wie fol $t analysiert 
worden: 

Sachleistungen sind in ihrer finanziellen Auswirkung nicht 
wesentlich verschieden von Geldzahlungen, Auch sie dürfen auf 
die Dauer den Ueberschuß der deutschen Produktion über den 
deutschen Verbrauch nicht übersteigen, sonst gefährden sie die 
Währung oder machen fremde Anleihen nötig. Mit dieser Maß- 


304 R 








gabe aber sind die im Versailler Vertrag fes tgesetzten Sach- . 
leistungen auszuführen, Sie können nicht ohne große Schädigung 
der interessierten alliierten Mächte beseitigt werden, Auch regen 
sie, wenn sie sich in vernünftigen Grenzen halten, die deutsche 
Erzeugung an und wirken als ein Stimulus für größeren Ausfuhr- 
überschuß, Zugleich geben sie den Alliierten ein Vorzugsrecht auf 
die Erfassung des Ueberschusses in der deutschen Ausfuhr und 
erweitern die Möglichkeiten für die Abführung der Reparations- 
zahlungen an die Gläubiger. Die Sachlieferungen dürfen aber 
nicht wirtschaftsfeindlich werden. Sie müssen beschränkt bleiben 
auf natürliche Erzeugnisse Deutschlands wie Kohle, Koks, Farben : 
u. s. w. und in zweiter Linie auf solche Exportartikel, für die nicht 
vorher ein großer Prozentsatz ihres Wertes nach Deutschland 
eingeführt werden muß. 


In den ersten zwei Jahren sind die Zahlungen Deutschlands 
so begrenzt, daß auch die Sachleistungen sich von selber in engem 
Rahmen halten, Für die F olgezeit aber muß die Reparations- 
kommission zusammen mit dem Transferkomitee sorgfältig das 


Programm der Sachlieferungen prüfen, um Schwierigkeiten im 


Wechselkurse zu vermeiden. Da die Leistungen der beiden ersten 
Jahre fast ausschließlich zu Zahlungen innerhalb Deutschlands 
Verwendung finden müssen, werden die alliierten Regierungen 
sich zu überlegen haben, ob sie nicht das System fortsetzen sollen, 
wonach die Kosten der Besatzung in erster Linie aus dem Erlös 
der Sachlieferungen zu bestreiten sind, welche die Besatzungs- 
mächte erhalten, 


Die von Deutschland den Gläubigerstaaten gelieferten Waren 
dürfen nur für den eigenen Bedarf der Empfangsländer einschließ- 
lich ihrer Kolonien und Schutzgebiete verwendet werden. Die 
Weiterausfuhr aus diesen Ländern ist nur auf Grund einstimmigen 
Beschlusses des Transferkomitees mit Zustimmung der deutschen 
Regierung gestattet. 

Unter Sachlieferungen fallen auch die Zahlungen, die in 
Deutschland aus der Anwendung der Exportabgabe (Reparation 
Recovery Act) entstehen. 


Bergmann, Der Weg der Reparation 20 & 305 


























































































































SICHERHEITEN 


Den Sicherheiten für die Reparation gelten folgende Be- 
trachtungen des Komitees: 

Die deutschen Zahlungen müssen automatisch und gewohn- 
heitsmäßig erfolgen, unabhängig von der Haltung der jeweiligen 
politischen Leitung Deutschlands in Sachen der Reparation, Um 
so geringer wird die Reibung und um so größer wird das wirt- 
schaftliche Gleichgewicht des deutscshen Haushalts sein. Letzten 
Endes liegt die beste Sicherheit darin, daß Regierung und Volk 
in Deutschland ein Interesse daran haben, gutwillig eine Last auf 
sich zu nehmen, die nach der Ansicht der Welt innerhalb der 
‚deutschen Zahlungsfähigkeit liegt, und diese Last, die schwer ist 
und schwer sein soll, so bald wie möglich abzutragen. Aber 
moralische Sicherheit genügt in Geschäften nicht, vor allem nicht 
bei den gemachten Erfahrungen und beim gegenwärtigen Zustand 
der deutschen Finanzen. Greifbare und fruchtbringende Pfänder 
liegen auch im Lebensinteresse von Deutschland selber, Es wird 
erst frei von einem großen Teil seiner politischen Wirren, wenn 
ihre Hauptquelle durch ein System verstopft wird, das die Zahlung 
der Reparation nicht länger von fortlaufenden Entscheidungen 
der Regierung abhängig macht. 

Eine allgemeine Finanzkontrolle über Deutschland ist abzu- 
lehnen. Damit würden die Aufsichtsorgane die Verantwortung für 
alle Finanzschwierigkeiten übernehmen und darin gerade könnte 
ein Vorwand für die Entstehung solcher Wirren liegen. Die allge- 
meine Kontrolle muß vielmehr für den Fall vorbehalten bleiben, 
daß Deutschland absichtlich seine Verpflichtungen nicht erfüllt, 


Die vorgeschlagenen Sicherungen sollen eine Verbindung von 
eigenem Interesse und indirektem Druck darstellen. Zu diesem 
Zweck werden bestimmte Einkünfte der Kontrolle der deutschen 
_ Gläubiger als Pfand zugewiesen, nämlich Zölle, Alkohol, Tabak, 
Bier und Zucker. Ihre Erträge gehen unmittelbar in die Hände der 
Kontrollinstanz. Letztere führt daraus zuerst die den Alliierten 


geschuldeten Beträge ab und Deutschland erhält den Rest für ° 


seine eigenen Zwecke, Obwohl Deutschland in den beiden ersten 
Jahren von Zahlungen aus dem Budget frei ist, setzt die Kontrolle 


306 . 





sofort ein, weil es gut ist, die Wirksamkeit des ganzen Planes 
öffentlich und endgültig zu erweisen, Der Ertrag der verpfändeten 
Einkünfte ausschließlich der Zölle ist von deutschen Behörden 
für das Jahr 1928/29 auf 1.7 Milliarden Mark geschätzt worden. 
Die technischen Berater der Sachverständigen schätzen den Ertrag 
auf 2,146 Milliarden, Daher ist ein weiter Spielraum gegenüber 
den geforderten normalen Zahlungen aus dem Haushalt von 
1.25 Milliarden gegeben. Der ganze Ueberschuß soll Deutschland 
gehören. Es hat daher alles Interesse daran, den: Ertrag zu 
steigern. Mit jedem Zuwachs des Ertrages aber steigt auch die 
Sicherheit der Alliierten, die ja zuerst daraus befriedigt werden. 

Das alles gilt für die Zahlungen aus dem Haushalt. Die 
Leistungen der Eisenbahn und der Industrie werden nach geschäft- 
lichen Grundsätzen durch Schuldverschreibungen und erste Hypo- 
theken gesichert. — — | | | 

Wir werden uns mit den Sicherheiten noch im einzelnen be- 
schäftigen, wenn wir das Londoner Abkommen vom 16. August und 


die damit zusammenhängenden deutschen Gesetze besprechen. 


GOLDNOTENBANK 


Die Vorschläge der Sachverständigen für die deutsche Währung 
konzentrierten sich von Anfang an auf die Errichtung einer Gold- 
notenbank, die mit einem angemessenen Kapital versehen und 
einer gewissen internationalen Aufsicht unterworfen sein sollte, 
Der Zustand der Beharrung, welcher, von kurzen Schwankungen 
abgesehen, schon vom 15. November 1923 an sowohl für die 
Rentenmark wie für die Papiermark erreicht war, konnte die 
Sachverständigen nicht in ihrer Ueberzeugung erschüttern, daß 
eine große Goldnotenbank in Deutschland errichtet werden müsse, 
Gleich vom Beginn ihrer Tätigkeit ab führten sie eingehende Ver- 
handlungen mit Dr. Schacht, dessen Ansichten zunächst nicht 
in allen Punkten mit denen des Komitees übereinstimmten. 
Dr. Schacht legte vielmehr Wert auf die sofortige Gründung einer 
Golddiskontbank, um die notwendigen Bedürfnisse des deutschen 
auswärtigen Handels zu finanzieren. Auf die Goldnotenbank der 
Sachverständigen wollte er nicht warten. Allmählich fand aber 


20* 307 


auf beiden Seiten eine Angleichung der Ideen statt. Man einigte 
sich dahin, die Diskontbank so zu organisieren, daß sie in der 
neuen Goldnotenbank leicht aufgehen könne. Noch während der 
Arbeiten des Komitees schritt Dr. Schacht zur Gründung der 
Golddiskontbank (Gesetz vom 19, März 1924). 


Sie erhielt ein Kapital von 10000 000 Pfund Sterling. Davon 
übernahm die Reichsbank die Hälfte mit voller Einzahlung. Die 
restlichen 5000000 wurden zunächst von einem Syndikat deutscher 
Banken übernommen und mit 25 Prozent einbezahlt, Später hat 
die Reichsbank sämtliche Aktien angekauft. Die Diskontbank er- 
hielt das Recht zur Ausgabe von 5000000 Pfund Sterling Bank- 
noten, wovon sie jedoch keinen Gebrauch machte. Für die von 
ihr diskontierten Handelswechsel sicherte sie sich in England einen 
Rediskontkredit von 5000000 Pfund Sterling, in Amerika einen 
solchen von 25000 000 Dollar. Auch diese Kredite sind kaum in 
Anspruch genommen worden. Durch die Entwicklung der Dinge 
nach der Annahme des Dawesplanes verlor die Diskontbank bald 
ihre Bedeutung. 

Für die neue Goldnotenbank haben die Sachverständigen 
folgende Organisationsgrundsätze vorgeschrieben: 

Entweder wird sie neu errichtet oder die Reichsbank wird dazu 
ausgebaut. Sie erhält — abgesehen von den noch bestehenden 
kleinen Notenbanken in Baden, Bayern, Sachsen und Württem- 
berg — das ausschließliche Notenrecht in Deutschland für fünfzig 
Jahre, Das gesamte zurzeit kursierende deutsche Papiergeld muß 
aus dem Verkehr gezogen werden, Die Rentenbank wird allmählich 
liquidiert. Die Banknoten der neuen Bank erhalten eine normale 
Deckung von 33% Prozent in Gold und Devisen. Vorläufig findet 
keine freie Einlösung der Noten in Gold statt. Die neue Bank 
wird wie die Reichsbank nur eine Bank für die Banken, Sie 
diskontiert Primawechsel und handhabt die offizielle Diskont- 
politik sowie den Giroverkehr für Banküberweisungen. Sie wird 
Depotstelle für das Deutsche Reich und nimmt seine Finanz- 
geschäfte wahr, darf aber nur kurzfristige Vorschüsse in be- 


stimmter Höhe an die Regierung geben, Letztere nimmt teil an 


308 





den Gewinnen der Bank. Sonst aber ist diese vollkommen frei 
von Kontrolle oder Einmischung der Regierung. 


Alle Zahlungen für die Reparation gehen auf ein besonderes 
Konto bei der neuen Bank. Sie dürfen von den Gläubigerstaaten 
nur unter Bedingungen abgezogen werden, welche den deutschen 
Wechselkurs und die Interessen der Gläubigerstaaten und der 
deutschen Wirtschaft gleichmäßig schützen, — — 


Ueber die Verwaltung der Bank wird aus Anlaß des neuen 
deutschen Bankgesetzes später zu sprechen sein. 


ORGANISATION 


Die Sachverständigen haben die Ausführung ihres Planes nicht 
einfach der Reparationskommission überlassen, sondern eine Orga- 
nisation vorgeschlagen, die zwar von der Reparationskommission 
ausgeht und ihr verantwortlich ist, im übrigen aber in ihren 
einzelnen Abteilungen selbständig arbeitet. Danach ist je ein 
Kommissar zu bestellen für die Goldnotenbank, die Reichsbahn 
und die verpfändeten Einnahmezweige des Haushalts. Neben den 
Kommissaren steht der Agent für Reparationszahlungen. Er soll 
die Verbindung zwischen der Reparationskommission und den 
Kommissaren herstellen und darauf achten, daß unter ihnen keine 
Reibungen und kein Kompetenzstreit entstehen. Er soll verhüten, 
daß doppelte Arbeit geleistet wird, kurz die harmonische Zu- 


 sammenarbeit bei der Ausführung des Planes sichern, 


Diese Aufgaben verschaffen dem Agenten die wichtigste 
Stellung in der Organisation. Jedoch kann jeder Kommissar bei 


Meinungsverschiedenheiten mit dem Agenten an die Reparations- 


kommission appellieren, 


Der Plan sieht ferner einen Treuhänder — Trustee — für die 
Schuldverschreibungen der Reichsbahn und der Industrie vor. 
Tatsächlich ist später je ein Trustee für beide Arten von Schuld- 
verschreibungen bestellt worden. Der Agent und die Trustees 
werden von der Reparationskommission ernannt, ebenso der 
Kommissar für die verpfändeten Einkünfte. Der Kommissar für 
die Reichsbahn dagegen wird von den auswärtigen Mitgliedern des 


309 


Mr 











Verwaltungsrats der Gesellschaft gewählt, in ähnlicher Weise 
auch der Kommissar für die Bank, Um die Zusammenarbeit zu 
erleichtern, sollen die Kommissare, der Agent und die Trustees 
einen Rat (Coordinating Board) bilden, der jedoch keine Ent- 
scheidungen treffen und in der Hauptsache dem Agenten die 
nötigen Unterlagen für seine Weisungen liefern soll. 


Die Ausgaben dieser Organisation sollen sich in mäßigen 
Grenzen bewegen und werden in jedem Falle aus der deutschen 
 Jahresleistung bestritten. 


310 





NEUNUNDZWANZIGSTES KAPITEL 


DIE ANNAHME DES GUTACHTENS 
UND DIE LONDONER KONFERENZ. 
VOM 16. JULI BIS 16. AUGUST 1924 





DER BERICHT DES DAWES KOMITEES 


Am 9, April 1924 wurden die Berichte der beiden Komitees 
an die Reparationskommission in englischer und französischer 
Sprache veröffentlicht. 

Der Bericht des Daweskomitees umfaßt mit allen Anlagen 
einen stattlichen Band von 124 Druckseiten. Er zerfällt in drei 
Teile. Der erste Teil enthält die Vorschläge und die Grundzüge 
des Planes, Der zweite Teil beleuchtet die finanziellen, wirt- 
schaftlichen und steuerlichen Verhältnisse Deutschlands und be- 
handelt die Kontrolle der für die Reparation zu verpfändenden 
Einkünfte des Reiches. Der dritte Teil bringt in Anlagen aus-' 
gearbeitete Einzelpläne für die Bank (Anlage I), für den Index 
{Anlage II), für die Reichsbahn (Anlagen III und IV), für die 
Industrieobligationen (Anlage V), für das Transfersystem (An- 
lage VI). | 

‘Der eigentliche Bericht, zumal sein erster Teil, ist eine er- 
staunliche Leistung. Er ist glänzend geschrieben. Alle seine Aus- 
führungen atmen den frischen Geist gesunder wirtschaftlicher 
Erkenntnis, Sie halten sich sorgfältig fern von politischen Rück- 
sichten und Erwägungen. Aus dem Ganzen spricht eine Kraft der 
Ueberzeugung, die unwiderstehlich wirkt. | | 

An der Spitze des Berichts steht die Erklärung, daß Deutsch- 


E land nicht wieder gesunden kann, solange Teile des Landes 


31T 


























finanziellen und wirtschaftlichen Eingriffen von außen unter- 
liegen. Alle Vorschläge des Berichts haben deshalb zur Voraus- 
setzung, daß die wirtschaftliche Einheit und Freiheit innerhalb 
der gesamten Reichsgrenzen wiederhergestellt werden. 


Mit politischen Sicherheiten und Strafmaßnahmen oder mit 
Fragen der militärischen Besetzung sich zu beschäftigen, lehnt 
der Bericht ab. Er stellt aber fest, daß fremde Eingriffe, soweit 
sie die wirtschaftliche Tätigkeit Deutschlands hemmen, aufhören 
müssen, Die Kontrollen, die das Komitee selber vorschlägt, sollen 
für die Ausführung des Planes genügen, solange Deutschland 
nicht in flagranter Weise dagegen verstößt, | 

Und nun kommt, ganz in der Gedankenreihe von Owen Young, 
die Lehre von Deutschlands Pflicht und Deutschlands Kraft: 

„Es muß Reparation leisten, nicht nur zum Nutzen der Ge- 
schädigten, sondern zu seinem eigenen Heil. Seine Wirtschaft 
kann nicht gedeihen, wenn die benachbarten Länder nicht auch 
in gesunden Verhältnissen leben und zu normalem Verkehr unter- 
einander zurückkommen. Und Deutschland ist stark: es hat ein 
wachsendes und gewerbfleißiges Volk, große technische Erfahrung, 
reiche Naturschätze, eine entwickelte und fortschreitende Land- 
wirtschaft, es ist hervorragend in industrieller Wissenschaft, Seit 
1919 hat das Land seine industrielle Ausrüstung ohne Scheu 
vor Ausgaben stets verbessert, vor allem seine Eisenbahnen, 
Telephon- und Telegraphenanlagen, Häfen und Kanäle, Die 
deutsche Industrie hat sich völlig neue Einrichtungen geschaffen, 
die vielfach mehr produzieren können als vor dem Krieg. Daher 
ist Deutschland wohl versehen mit Hilfsquellen und Betriebs- 
mitteln. Wenn die zeitige Kreditknappheit überwunden ist, wird 
es im normalen Wettbewerb der Welt wieder eine bevorzugte 
Stellung haben. Es gehört kein besonderer Optimismus dazu, um 
anzunehmen, daß Deutschlands Schaffenskraft ausreicht, seinen 
eigenen Bedürfnissen gerecht zu werden und daneben die in dem 
Plan vorgesehene Reparation zu leisten.” 

Die Schlußworte des Berichts sagen: 


„Der Plan ist ein unteilbares Ganzes. Will man Erfolg haben, 
so darf man nicht einzelnes aus den Vorschlägen zur Annahme 


312 





aussuchen und anderes verwerfen. Auch darf der Plan keine Ver- 
zögerung erleiden. Er kann erst anfangen zu arbeiten, wenn 
Deutschlands wf£#tschaftliche Einheit wiederhergestellt ist, Je 
länger dies hinausgeschoben wird, um so mehr verzögert sich die 
Wirksamkeit des Planes, 

Deutschlands Wiederaufrichtung ist kein Endzweck in sich 
selbst, sondern nur ein Teil des großen Problems der Wieder- 
herstellung Europas. 

Wenn auch der Plan bei der Lage der Dinge es nicht unter- 
nehmen konnte, das gesamte Reparationsproblem zu lösen, so 
zeigt er doch den Weg zu einer Regelung, die sich über genügend 
lange Zeit erstreckt, um das Vertrauen wiederherzustellen. Er 
ist so aufgebaut, daß er eine endgültige und umfassende Einigung 
über alle Fragen erleichtert, die zur Reparation gehören oder mit 
ihr verwandt sind, sobald es die Umstände erlauben werden.“ 


DER BERICHT DES MC KENNA-KOMITEES 


Ueber die Grundlage der Arbeiten des zweiten Komitees haben 
wir bereits gesprochen, Sein Bericht ist ziemlich kurz. Er kommt 
nach genauer Prüfung aller Faktoren, welche auf das deutsche 
Kapital im Auslande seit 1914 eingewirkt haben, zu dem Er- 
gebnis, daß am Ende des Jahres 1923 das gesamte Eigentum 
und alle Guthaben der Deutschen im Auslande nicht weniger 
als 5,7 Milliarden Goldmark und nicht mehr als 7,8 Milliarden 
Goldmark betragen haben können. Als wahrscheinlich zutreffend 
wird die mittlere Ziffer von 63% Milliarden Goldmark genannt. 
Dazu kommt der deutsche Besitz an fremden Zahlungsmitteln, 
der nach der Ansicht des Komitees zum gleichen Zeitpunkt nicht 
geringer als 1.2 Milliarden Goldmark gewesen ist. Dabei darf 
man freilich den ausländischen Sachbesitz in Deutschland nicht 
außer Betracht lassen. Das Komitee schätzt ihn auf 1 bis 
1% Milliarden Goldmark. 

In einem Anhang zum Bericht werden Einzelheiten der Be- 
rechnungen gegeben, welche das Komitee angestellt hat. Sie er- 
strecken sich auf alle Posten, die für die Schwankungen ‚des 
deutschen Besitzes im Ausland maßgebend gewesen sind. Leider 


313 





ist es aber nicht möglich, aus diesen Angaben das Schlußergebnis 
nachzurechnen, weil bei mehreren Posten die Zahlen fehlen. 
Trotz der großen Mühe, die sich das Komitee gegeben hat, und 
trotz der Vielseitigkeit des verwendeten Materials wird man 
sich doch fragen müssen, ob seine Schätzungen wirklich als zu- 
treffend anzusehen sind. Jedenfalls darf nach der Entwicklung 
des Geldmarktes in Deutschland seit der Wirksamkeit des 
Dawesplanes wohl mit Recht daran gezweifelt werden, daß 
Ende 1923 das Eigentum und die Guthaben der Deutschen im 
Ausland die erstaunlich hohe Summe von insgesamt acht Mil- 
liarden Mark erreicht haben sollen, 


Auf die Frage, wie däs geflüchtete Kapital nach Deutschland 
zurückzubringen ist, antwortet der Bericht: 


„Wie in anderen Ländern ist die deutsche Kapitalflucht vor 
allem dadurch verschuldet, daß es die Regierung unterlassen 
hat, ihren Haushalt zu ordnen, daß sie infolgedessen große 
schwebende Schulden eingegangen ist und selbst Papiergeld 
ausgegeben hat. Ein weiterer Grund liegt bei den Spekulanten 
und mißtrauischen Kapitalisten, die ihre Mark gegen fremde 
Währung verkauft haben. Ferner haben die Exporteure von 
Waren den Erlös ihrer Verkäufe in möglichst großem Umfang im 
Ausland zurückgehalten. Bei Deutschland kam nun noch die 
Stellung des Volkes zu den Zahlungen an die Kriegsgläubiger 
dazu. Es fand neue und sinnreiche Wege, um die gesetzlichen 
Schranken zu umgehen und die wirklichen Eigentumsverhältnisse 
an Guthaben im Ausland zu verbergen. Dem so starken Anreiz 
zur Kapitalflucht gegenüber mußte jeder Gesetzeszwang ver- 
sagen. Weder Gesetz noch schwere Strafen haben Kapital.im 
Ausland aufgedeckt oder die Kapitalflucht verhindert, Ob dabei 
die Regierung ihr möglichstes getan hat, die Gesetze und Ver- 
ordnungen durchzuführen, spielt im Ergebnis keine Rolle, Der 
einzige Weg, die Flucht des Kapitals zu verhindern und es zur 
Rückkehr zu ermutigen, besteht darin, die Wurzel des Uebels 
 auszurotten. Die Inflation muß für immer aufhören. Wenn die 
Ausgabe von Zahlungsmitteln nur innerhalb der wirklichen 
Grenzen der heimischen Erfordernisse auf solider Grundlag- 


314 





erfolgt, wird der Deutsche, der Kapital im Ausland besitzt, nicht 
mehr zu fürchten haben, daß er Verlust erleidet, wenn er es nach 
Hause bringt, Der Spekulant kann dann aus Markverkäufen 
keinen Nutzen mehr erwarten. Einen Vorgang bietet die Ent- 
wicklung in Oesterreich. Gesetzliche Beschränkungen, die bisher 
im ganzen nutzlos gewesen sind, werden in dem Augenblick 
völlig überflüssig, wo kein Anreiz mehr vorliegt, das Gesetz 
zu umgehen. Man muß sogar fürchten, daß Gesetze, welche die 
Rückkehr des Kapitals bezwecken, den gegenteiligen Erfolg 


haben können.” 


„Wenn das Werk des ersten Komitees, der Reparationsplan, 
durchgeführt wird, dann kehrt sicher ein erheblicher Teil des 
deutschen Kapitals auf dem gewöhnlichen Handelswege zurück. 
In der Uebergangszeit bis zur Stabilisierung und bis zur Wieder- 
kehr des Vertrauens sollten für eine beschränkte Zeit Amnestie 
für Kapitalflucht und besondere Vorteile für die Zeichnung von 
Anleihen der Regierung in fremder Währung angeboten werden. 
Wohlüberlegte Maßnahmen dieser Art würden die Rückkehr des 
Kapitals und die endgültige Wiederherstellung des finanziellen 
Gleichgewichts in Deutschland zum Vorteil der Reparation be- 


_ schleunigen.“ 


DIE VORBEREITUNG DER LONDONER KONFERENZ 


Schon am 11. April 1924 teilte die Reparationskommission der 
deutschen Regierung mit, daß sie das Gutachten der Sachver- 
ständigen als eine praktische Grundlage für die schnelle Lösung 
des Reparationsproblems betrachte. Sie sei daher geneigt, den 
Plan anzunehmen, soweit ihre eigene Kompetenz in Frage komme, 
und den Regierungen die Annahme der Punkte zu empfehlen, die 
von ihnen entschieden werden müßten. Die Kommission könne 
aber erst dann handeln, wenn das Reich sich bereit erkläre, seine 
Mitwirkung bei der Ausführung des Gutachtens zuzusichern. 

Am 16. April erklärte die deutsche Regierung mit kurzen 
Worten ihre volle Zustimmung. Darauf bestätigte die Reparations- 


_  _kommission den alliierten Regierungen und den Vereinigten 
_ Staaten in einem Rundschreiben vom 17. April, daß sie be- 


315 





schlossen habe, das Gutachten anzunehmen, und den beteiligten 
Regierungen empfehle, die zu ihrer Zuständigkeit gehörenden 
Punkte gleichfalls im Sinne des Planes zu entscheiden. Die 
Kommission werde die deutsche Regierung auffordern, sogleich 
die nötigen Maßnahmen für die Ausführung des Planes zu treffen, 
Das gleiche werde die Kommission selber tun. 


England, Belgien und Italien gaben am 24. April ihr Einver- 
ständnis. Für Frankreich schickte Poincar& am 25. April eine 
gewundene Note, die sich zwar in Ausdrücken der Anerkennung 
für die Arbeit der Sachverständigen und der Reparations- 
kommission erschöpfte, aber um den heißen Brei der Zustimmung 
vorsichtig herumging. Erst solle Deutschland die nötigen Maß- 
nahmen treffen, dann solle die Reparationskommission diese Maß- 
nahmen genehmigen und dann erst würden die alliierten Regie- 
rungen unter sich zu prüfen haben, was zu tun sei. Frankreich 
werde dabei das größte Entgegenkommen zeigen, aber nur soweit 
es seine Lebensinteressen gestatteten. 


Das war wieder ganz der alte Poincare: Nur ja keinen Ent- 
schluß fassen, der etwas Neues bringt! Ablehnen konnte er den 
Plan nicht mehr gut. Aber die Annahme wenigstens wollte er 
so weit hinausschieben, wie es irgend ging, und erst einmal ab- 
warten, wie die Dinge liefen. 

Mit seiner Note war wenig anzufangen. Zwar verhinderte sie 
die Reparationskommission nicht, die Ausführung des Planes 
weiter vorzubereiten, aber sie ließ die endgültige Stellungnahme 
Frankreichs doch noch ganz im ungewissen. Zum Glück halfen 
die politischen Ereignisse, Bei den französischen Kammerwahlen 
am 11. Mai siegten unerwartet die Parteien der Linken. Die 
Regierung Poincar& stürzte, An ihre Stelle trat ein Kabinett der 
Linken unter Herriot. Von nun an zeigt die Entwicklung der 
Dinge einen straffen Zug. Auf der einmal betretenen Bahn gab 
es kein Schwanken mehr. In gerader Linie ging alles vorwärts. 
Die Reparationskommission, durch politischen Druck nicht mehr 
behindert, leistete tüchtige Arbeit. Bradbury, Delacroix und 
Seydoux wirkten harmonisch zusammen. | 


316 





Nach dem Gutachten der Sachverständigen lag es der deutschen 
Regierung ob, Gesetzentwürfe für die Gründung der Goldnoten- 
bank, für die Umwandlung der Reichsbahn in eine Gesell- 
schaft und für die Aufbringung von fünf Milliarden Schuldver- 
schreibungen der deutschen Industrie vorzubereiten. Die Grund- 
züge dafür waren im Dawesbericht und in seinen Anlagen vor- 
geschrieben. Die Sachverständigen hatten aber vorgesehen, daß 
ihre Vorschläge auf allen drei Gebieten von Organisationskomitees 
weiter ausgearbeitet werden sollten. Diese Komitees traten nun 
zusammen, Dr. Schacht als Präsident der Reichsbank und Sir 
Robert Kindersley bearbeiteten die Gründung der Bank. Sir 
William Acworth und Mr. Leverve, die Verfasser des Berichts 
über die Reichsbahn, bildeten mit zwei deutschen Vertretern — dem 
Staatssekretär Vogt und mir — das Komitee für die Gründung der 
Bahngesellschaft. Der Zusammentritt des Industriekomitees ver- 
zögerte sich wegen Schwierigkeiten in der Auswahl der alliierten 
Vertreter. Schließlich gehörten ihm an von deutscher Seite Staats- 
sekretär Trendelenburg und Dr. Buecher, von alliierter Seite die 
Herren Allix und Bianchini, Als neutrales Mitglied wurde vom 
Komitee der bekannte schwedische Bankier Marcus Wallenberg 
zugezogen, 

Verhältnismäßig am einfachsten lag die Aufgabe der Gründung 
der Bank. | 

Das Komitee für die Reichsbahn hatte umfangreiche und 
schwierige Materien zu bearbeiten. Es galt, das Verhältnis der 
Bahngesellschaft zu der Reichsregierung in den Fragen der Auf- 
sicht und der Tarifhoheit sowie zu den einzelnen Ländern zu 
regeln, welche im Jahre 1920 durch Staatsverträge ihre Eisen- 
bahnen an das Reich übertragen und sich gewisse Rechte vor- 
behalten hatten, Nicht geringere Schwierigkeiten verursachte bei 
der Umstellung des Reichsbetriebs in die Form eines Privat- 
betriebs die Personal- und Beamtenfrage. In allen diesen Dingen 
gelangte man zur Einigung, ohne daß es nötig war, das im Dawes- 
bericht vorgesehene fünfte, neutrale Mitglied zuzuziehen. 


Für das nationale Empfinden der Deutschen war die Ueber- 
tragung des Eisenbahnbetriebs auf eine Gesellschaft, in deren 


317 

















Verwaltung auch Ausländer sitzen sollten, ein schwerer Schlag. 
Die Arbeit des Organisationskomitees aber hat in wichtigen 
Punkten dem deutschen Interesse Rechnung getragen und manche 


Bedenken zerstreut. Die deutsche Mehrheit im Verwaltungsrat 


der Gesellschaft ist für alle Fälle gesichert. Etwaige Streitig- 
keiten zwischen der Gesellschaft und dem Reich entscheidet zu- 
nächst ein besonderes deutsches Gericht, und erst in zweiter 
Instanz, aber nur in besonderen Fällen, der ursprünglich als 
Schiedsrichter vorgesehene internationale Gerichtshof. Endlich ist 
die Gefahr beseitigt, daß etwa die deutschen Eisenbahnen in 
fremde Hände fallen könnten, wenn die Zinsen und die Tilgung der 
Reparationsschuldverschreibungen nicht gezahlt werden sollten. 
Derals Vertreter des Treuhänders fungierende Eisenbahnkommissar 
hat im schlimmsten Falle nur das Recht, den Betrieb der Bahn 
ganz oder zum Teil an eine andere Gesellschaft zu verpachten, 
jedoch nur dann, wenn der Schiedsrichter festgestellt hat, daß 
diese Maßnahme nötig und geeignet ist, die Durchführung des 
Dienstes der Reparationsschuldverschreibungen zu sichern. 


Das Eigentum an den Eisenbahnen bleibt daher unter allen 
Umständen dem Reiche erhalten. 


Das Organisationskomitee für die Schuldverschreibungen der 
Industrie hatte mit einem ganz neuartigen Problem zu tun. Die 
fünf Milliarden Obligationen auf die einzelnen deutschen Industrien 
zu verteilen war eine schwere Aufgabe. Ursprünglich waren die 
Sachverständigen im Daweskomitee überwiegend der Ansicht ge- 
wesen, daß es zweckmäßig sei, jedes einzelne Unternehmen in 
bestimmter Höhe zu belasten, die Schuldverschreibungen jedoch 
von einer zentralen Gesellschaft ausgeben zu lassen, welche die 
Zinsen und die Tilgungsraten der Kapitalschuld von den einzelnen 
Unternehmen einzuziehen und den Gläubigern gegenüber den 
Dienst der Gesamtobligationen zu übernehmen hätte. Zuletzt aber 
entschied sich das Daweskomitee dahin, daß grundsätzlich jedes 
industrielle Unternehmen seine eigenen Obligationen ausgeben 
und dem Treuhänder abliefern solle. Dem Organisationskomitee 
wurde überlassen, bei kleineren Unternehmen Ausnahmen zu 
machen. Diese Frage bildete den Mittelpunkt der Schwierigkeiten. 


318 





Schließlich wurde eine Lösung gefunden, nach welcher die große 
Masse der fünf Milliarden in Form von Gesamtobligationen einer 
Zwischenstelle (Industriebank) und nur 500 Millionen als Einzel- 
obligationen der größeren deutschen Unternehmen auszugeben 
sind. Von Bedeutung war ferner die Frage, auf welche wirtschaft- 
lichen Kreise sich die Belastung erstrecken und wie die im Dawes- 
bericht verlangte hypothekarische Sicherung gefunden werden 
könne. Wir werden über alles dies noch zu sprechen haben. 


Während der Arbeit der drei Organisationskomitees suchten 
die treibenden Kräfte in der Reparationskommission einen Weg 
zu finden, wie der Plan zum bindenden Vertrage zwischen den 
Alliierten und Deutschland erhoben werden könne. Es entstand 
der Gedanke eines gemeinsamen Protokolls, in dem alle Teile den 
Plan anzunehmen hätten und in dem sich Deutschland verpflichten 
solle, innerhalb einer bestimmten Frist die Gesetze für die Reichs- 
bank, die Reichsbahn und die Industrieobligationen zu erlassen. 
Ueber die Kontrolle der verpfändeten Einnahmen sollte gleich- 
falls ein Protokoll gezeichnet werden. Darauf sollten Frankreich 
und Belgien sich verpflichten, bis zu einem bestimmten Tage die 
Maßnahmen im besetzten Gebiete zu ergreifen, die nötig seien, 
um die finanzielle und wirtschaftliche Einheit Deutschlands 
wiederherzustellen. | 


Aus diesen Erwägungen erwuchs der Gedanke einer Konferenz, 
zu der sich zunächst die Alliierten und Vertreter der Vereinigten 
Staaten am 16. Juli in London zusammenfinden sollten. 

Bei einem Besuche des britischen Ministerpräsidenten Mac- 
donald in Paris am 9, Juli wurde durch ein Memorandum bekannt- 
gegeben, Frankreich und England seien darin einig, daß der Plan 


' schleunigst in Kraft treten müsse und daß auf der Konferenz in 


London alle beteiligten Regierungen die Annahme des Planes be- 
stätigen sollten. Die Rechte der Reparationskommission dürften 
nicht beeinträchtigt werden, wohl aber solle, wenn möglich, ein 
Amerikaner in die Reparationskommission eintreten, falls eine 
Verfehlung Deutschlands zu konstatieren sei. Auch solle der 
Agent für die Reparationszahlungen zugezogen werden, wenn die 
Reparationskommission nicht zu einer einheitlichen Entschließung 


319 


kommen könne, Für den Fall eines böswilligen Verstoßes Deutsch- 
lands gegen den Plan würden sich die Alliierten über Gegenmaß- 
regeln zu verständigen haben. Die Reparationskommission solle 
zur Londoner Konferenz einen Plan für die wirtschaftliche Frei- 
gabe des besetzten Gebietes vorbereiten. Für die Fragen des 
Transfers und der Sachlieferungen solle eine besondere Orga- 
nisation geschaffen werden, welche die beteiligten Regierungen zu 
beraten habe, ebenso für Fragen der Auslegung und der Durch- 
führung des Dawesplanes. | 

Damit waren bereits alle die Materien angeschnitten, die bald 
darauf in London entschieden werden sollten. 


DIE LONDONER KONFERENZ 


Die Londoner Konferenz wurde am 16. Juli feierlich eröffnet. 
England, Belgien und Frankreich waren durch ihre Premier- 
minister selber, Italien und Japan durch besondere Delegierte 
vertreten, Für die Vereinigten Staaten nahmen nichtoffiziell der 
Londoner Botschafter Kellogg und James A. Logan teil. Von den 
kleineren Alliierten waren Portugal, Griechenland, Rumänien 
und Jugoslawien beteiligt. 

Man schritt sofort zur Errichtung von drei Komitees. Als 
Grundlage ihrer Arbeiten sollte das englisch-französische Memo- 
randum vom 9, Juli dienen, Das erste Komitee unter dem Vorsitz 
des Schatzkanzlers Snowden behandelte die Frage etwaiger Ver- 
fehlungen Deutschlands gegen den Plan. In dem zweiten Komitee 
unter dem Vorsitz des englischen Ministers Thomas wurde das 
Programm für die Wiederherstellung der finanziellen und wirt- 
schaftlichen Einheit Deutschlands ausgearbeitet. Das dritteKomitee 
unter Sir Robert Kindersley hatte festzustellen, in welcher Weise 
die deutschen Zahlungen den Gläubigerstaaten zu überweisen 
seien, 

Die Arbeiten des zweiten und dritten Komitees waren in der 
Hauptsache technischer Art. Von erfahrenen Sachverständigen 
geleitet, machten sie schnelle Fortschritte. Im ersten Komitee da- 
gegen kam es sehr bald zu einem ernsten Konflikt zwischen Eng- 
land und Frankreich, Hier stand im Mittelpunkt die Frage, was 


320 





geschehen solle, wenn bei einem böswilligen Verstoß Deutsch- 
lands gegen den Plan die Alliierten sich über die zu treffenden 
Maßnahmen — Sanktionen — etwa nicht einigen würden. In dem 
Plan selber war dieser Punkt wegen seiner eminent politischen 
Bedeutung ausdrücklich der gemeinsamen Entscheidung der 
Gläubigerstaaten überlassen worden. Nun erklärte Frankreich, 
daß jede Regierung in bezug auf die Sanktionen volle Handlungs- 
freiheit wiedergewinne, falls eine Einigung darüber nicht zu er- 


zielen sei. Dieser Standpunkt, auf den sich Herriot inzwischen 


auch vor der französischen Kammer öffentlich festgelegt hatte, 
wurde in der Konferenz von England energisch bekämpft. 


Nicht minder schwierig war die Frage zu entscheiden, wer 
einen solchen Verstoß Deutschlands festzustellen habe, Hier hielten 
die Franzosen starr an der Reparationskommission fest, während 
die Engländer in Sachen des Planes die Kommission für nicht 
zuständig erklärten. Von amerikanischer und belgischer Seite 
wurde eine Reihe von Vermittlungsvorschlägen gemacht. Sie waren 
schon so gut wie angenommen. Da erklärten aber die englischen 
und amerikanischen Bankiers, mit denen in London über die Aus- 
gabe der im Plane vorgesehenen Reparationsanleihe von 800 
Millionen Goldmark gesprochen wurde, daß sie keine ausreichende 
Sicherheit für die Anleihe sehen würden, solange die Reparations- 
kommission über eine Verfehlung Deutschlands entscheide und so- 
lange nicht Frankreich ein für allemal auf selbständige Sanktionen 


'in der Art militärischer Maßnahmen usw, verzichte, Auch in der 


Zuziehung eines amerikanischen Mitgliedes zur Reparations- 
kommission, in der Beteiligung des Reparationsagenten und von 
Vertretern der Anleihegläubiger bei der Beratung über eine 
deutsche Verfehlung — alles dies und noch anderes wurde vor- 
geschlagen — sahen die Bankiers keine genügenden Garantien 
für die Anleihe. Selbst die Erklärung, daß die Anleihe das absolute 
Vorrecht vor jeder anderen Reparationsforderung erhalten solle, 
genügte den Bankiers nicht. 


Ebenso hartnäckig erklärte aber auch Frankreich, daß es auf 
das Recht des selbständigen Eingreifens zur Wahrung seiner Ver- 
tragsrechte im äußersten Notfalle nicht verzichten könne, Der 


Bergmann, Der Weg der Reparation 21 321 








Konflikt wurde so scharf, daß die Konferenz zu scheitern drohte, 
Erst die letzten Tage des Juli brachten eine Wendung zum 
Besseren. Die Vertreter der Vereinigten Staaten in der Konferenz 
erkannten, daß die amerikanischen Bankiers mit ihren Forde- 
 Tungen zu weit gegangen waren, und gaben vor der Konferenz 
eine feierliche Erklärung dahin ab, daß Amerika auf das Gelingen 
der Konferenz den größten Wert lege. Gleichzeitig schlug Logan 
vor, die Frage der Garantien für die Reparationsanleihe aus den 
Beratungen der Konferenz einstweilen auszuschalten und durch 
eine besondere Besprechung zwischen der Reparationskommission, 
der deutschen Regierung und den internationalen Banken zu 
regeln. Das brachte die Verhandlungen wieder in Fluß, Frank- 
reich machte für die Feststellung einer etwaigen deutschen Ver- 
fehlung einen neuen Vorschlag, wonach die Reparationskommission 
nur bei Einstimmigkeit unter Zuziehung eines amerikanischen Ver- 
treters die Verfehlung endgültig feststellen könne. Bei Meinungs- 
verschiedenheiten innerhalb der Kommission sollte jedes Mitglied 
das Recht haben, gegen die Entscheidung der Kommission an 
ein Schiedsgericht von drei Unparteiischen unter Vorsitz eines 
Amerikaners zu appellieren, Der Vorschlag wurde von dem ersten 
Komitee am 31, Juli angenommen. 


Nun erst erging die Einladung an die deutsche Regierung, Ver- 
treter zur Konferenz zu entsenden. Auch das war bisher ein Punkt 
des Streites gewesen. Frankreich hatte die Ansicht vertreten, daß 
Deutschland gemäß den Vorschriften des Vertrages von Versailles 
nur anzuhören sei, aber an den Beratungen der Konferenz selber 
nicht gleichberechtigt teilnehmen dürfe. Nachdem aber ein be- 
sonderes rechtskundiges Komitee festgestellt hatte, daß die Aus- 
führung des Dawesplanes in manchen Punkten über den Vertrag 
von Versailles hinausgehe und daher Deutschland nicht auf- 
gezwungen werden dürfe, war die deutsche Teilnahme an der 
Konferenz gesichert, 


Die militärische Räumung der Ruhr stand nicht auf der Tages- 
ordnung der Konferenz, weil sie keinen unmittelbaren Gegenstand 
des Planes bildete. Von Deutschland aus wurde die Räumung der 
Ruhr im Zusammenhange mit dem Reparationsplan laut und 


322 


“ 











dringlich gefordert, Mit dem F ortschreiten der Konferenz wurde 
es immer klarer, daß man in London auch über diese wesentliche 
Frage notgedrungen sprechen müsse, Auf nachdrückliches An- 
raten von Macdonald erklärte sich schließlich auch Herriot be- 
reit, die militärische Räumung außerhalb der Tagesordnung der 
Konferenz zu behandeln. Von Iranzösisch-belgischer Seite wurde 
vorgeschlagen, die Frist für die militärische Räumung auf zwei 
Jahre festzusetzen, Die Räumung sollte aber sofort eintreten, 
wenn Deutschland 1% Milliarden Goldmark von den unter dem 
Plane vorgesehenen Eisenbahn- und Industrieobligationen zurück- 
kaufe, Mit jedem Rückkauf eines Teilbetrages dieser 1% Milliarden 
sollte ein entsprechendes Stück des besetzten Gebietes geräumt 
werden, Dies unwürdige Ansinnen wurde von allen Seiten ab- 
gelehnt und fiel unter den Tisch, 


Im zweiten Komitee hatten sich die Alliierten über die Art 
der wirtschaftlichen Räumung des besetzten Gebietes und über 
die verschiedenen Fristen für die Beseitigung der willkürlichen 
Zollgrenzen und der Micumverträge sowie der französisch- 
belgischen Eisenbahnregie im wesentlichen geeinigt. Nur in einem 
Punkte machten die Franzosen einen wichtigen Vorbehalt, An- 
geblich zur Sicherheit der Besatzungstruppen, in Wirklichkeit 
aber aus Prestigegründen, nämlich um ihren politischen Rückzug 
zu bemänteln, verlangten sie, daß bei der Auflösung der Regie 
ein Trupp von mehreren tausend französisch-belgischen Eisen- 
bahnern im Betriebe der deutschen Bahn, am besten in einer 
Grenzdirektion wie Trier, bleiben sollte. Die Forderung war mit 
dem Geiste des Dawesplans unvereinbar und praktisch völlig 
nutzlos. 


Die deutsche Delegation traf in London am 5. August ein, Sie 
wurde geführt vom Reichskanzler Marx, dem der Minister des Aus- 
wärtigen Stresemann und der F inanzminister Dr. Luther zur Seite 
standen, Die Lage auf der Konferenz hatte sich inzwischen so weit 
geklärt, daß in allen drei Komitees ein gemeinsames Programm 
der Alliierten festgelegt war. Offen standen noch die zwei Haupt- 
fragen der militärischen Räumung des Ruhrgebietes und des Ver- 
bleibs von Regiebeamten im Betriebe der deutschen Eisenbahnen. 


21% 323 



































Aber auch da war schon von den rührigen Amerikanern vor- 
gearbeitet worden. Neben Kellogg und Logan bemühte sich auch 
in London wieder Owen D. Young in aller Stille und mit größtem 
Erfolg um eine verständige Einigung auf allen Gebieten. Mit ihm 
wirkte im gleichen Sinne der ebenfalls in London anwesende 
amerikanische Botschafter in Berlin, Alanson B. Houghton, Ein 
glücklicher Zufall wollte, daß auch der Staatssekretär Hughes in 
jenen kritischen Tagen auf Urlaub in London weilte, 


Beobachter des Verlaufes der Konferenz konnten der deutschen 
Delegation schon bei ihrem Eintreffen mitteilen, daß es gelingen 
würde, die militärische Räumung des Ruhrgebiets innerhalb eines 
Jahres zu erreichen und Frankreich zum völligen Verzicht auf 
die Belassung von Regiebeamten im Eisenbahnbetrieb zu be- 
wegen, In’ganz Deutschland aber forderte man die Räumung der 
Ruhr in viel kürzerer Frist. Sie zu erreichen, war eine der Haupt- 
aufgaben der deutschen Delegation. | 


Die Dinge liefen jedoch nicht so glatt, wie man gehofft hatte, 
Die deutschen Vertreter hielten es für nötig, ihre Vorschläge zur 
Abänderung der Beschlüsse des zweiten und dritten Komitees 
eingehend schriftlich zu begründen. Die Verhandlung darüber 
ergab langwierige technische Auseinandersetzungen, die von 
beiden Seiten sachlich und gründlich geführt wurden, aber alle 
Teilnehmer an der Konferenz auf das äußerste ermüdeten, In 
dieser Atmosphäre war es nicht möglich, die Räumung des Ruhr- 
gebiets zu beschleunigen. Bei den langwierigen Debatten in den 
einzelnen Komitees wurden zwar noch verschiedene deutsche 
Forderungen durchgesetzt. Diese Teilerfolge boten aber keinen 
Ersatz dafür, daß es nicht gelang, die einjährige Frist für die 
Räumung des Ruhrgebiets abzukürzen. Der Entschluß, sich mit 
diesem Ergebnis abzufinden, wurde den Deutschen dadurch etwas 
erleichtert, daß Frankreich sich bereit erklärte, nach der Zeich- 
nung des Londoner Abkommens sofort den Bezirk von Dortmund 
sowie die zugleich mit dem Ruhrgebiet besetzten sonstigen Landes- 
teile — Offenburg, Appenweier und die Häfen von Karlsruhe und 
Mannheim, Wesel und Emmerich — zu räumen. Endlich sollten 


324 


ein Abkommen gezeichnet, in welchem beide Teile sich ver- 





auch die Reste der Londoner Sanktionen von 1921 beseitigt werden: 
Frankreich stellte die Räumung von Düsseldorf, Duisburg und 
Ruhrort gleichzeitig mit der Räumung des Ruhrgebiets in Aussicht. 


Während der Konferenz wurden in besonderen Verhandlungen 
zwei Materien geregelt, die ebenfalls zum Dawesplan gehörten, 
Alliierte und deutsche Sachverständige einigten sich über ein 
Protokoll, welches die Zahlungen aus dem Reichshaushalt und 
die Befugnisse des Kommissars für die verpfändeten Reichsein- 
nahmen im einzelnen bestimmte. Ferner wurde am 9. August 
zwischen der Reparationskommission und der deutschen Regierung 


pflichteten, die zur Ausführung des Dawesplans nötigen Maß- 
nahmen zu treffen. 


Am 16. August 1924 war die Londoner Konferenz beendet. 
Das Schlußprotokoll stellte die Annahme des Dawesplanes durch 
alle beteiligten Regierungen und durch die Reparationskommission 
fest, Die formelle Unterzeichnung der verschiedenen Abkommen 
sollte am 30. August in London stattfinden. Bis dahin mußten die 
von den Organisationskomitees entworfenen und von der Repa- 
rationskommission inzwischen gebilligten Gesetze über die Reichs- 
bank, die Reichsbahn-Gesellschaft und die Industrie-Obligationen 


vom Deutschen Reichstag angenommen sein. 





Für das Inkrafttreten des Dawesplanes war in der Konferenz 
ein genauer Plan vereinbart. Zunächst hatte die Reparations- 
kommission zu konstatieren, daß die deutschen Gesetze für die 
Durchführung des Planes verkündet seien, und daß der Agent 
für Reparationszahlungen seine Tätigkeit aufgenommen habe. 
Diese Feststellung geschah am 1. September 1924. Das Amt des 
Agenten übernahm für die Uebergangszeit Owen D. Young. An 
seine Stelle trat am 31. Oktober als ständiger Generalagent 


S, Parker Gilbert. 


Binnen fünf Wochen nach der ersten Feststellung mußte die 
Reparationskommission weiter erklären, daß die volle Organisation 
für den Plan eingerichtet, daß die Reichsbank und die Reichs- 
bahr-Gesellschaft konstituiert, daß die Zertifikate für die Eisen- 
bahn- und die Industriebonds an die Treuhänder übergeben, und 


325 





daß Verträge abgeschlossen seien, welche die Zeichnung der 
Reparationsanleihe von 800 Millionen Goldmark gewährleisteten. 
Die Erklärung erfolgte plangemäß am 13, Oktober. 

Am 28. Oktober endlich konnte die Reparationskommission 
feststellen, daß die französische und die belgische Regierung dem 
Londoner Abkommen gemäß die nötigen Maßnahmen für die 
Wiederherstellung der finanziellen und wirtschaftlichen Einheit 
Deutschlands durchgeführt hätten. 


‚ Schrittweise wurden alle Eingriffe in die Verwaltung und 
Gesetzgebung der besetzten Gebiete seit dem 11, Januar 1923 
beseitigt. Die deutschen Behörden, vor allem die Zollverwaltung, 
traten wieder in Funktion. Am 9, September fiel die Zollinie 
zwischen dem besetzten und dem unbesetzten Gebiet. Alle Berg- 
werke, Kokereien und die sonstigen wirtschaftlichen Unter- 
nehmungen, die von den Besatzungsmächten zwangsweise aus- 
gebeutet waren, wurden an die Eigentümer zurückgegeben. Ferner 
waren alle Einrichtungen der Besatzungsmächte für die Erhebung 
und Verwaltung von Abgaben und die Beschränkungen des Ver- 
kehrs im besetzten Gebiet aufzuheben. Damit fanden auch die un- 
seligen Micumverträge ihr Ende. Sie waren seit dem 15. April 1924 
mehrfach verlängert worden, schließlich auch mit einigen Milde- 
rungen in den Geldabgaben. Aber die Zwangslieferungen von 
Kohle und Koks gingen bis zum Inkrafttreten des Dawesplanes 
weiter, 

Während der Uebergangsperiode bis zum 28. Oktober 1924 
hatte die deutsche Regierung monatlich ein Zwölftel der im Dawes- 
plan vorgesehenen ersten Annuität von 1000 Millionen Mark, d.h. 
rund 83 Millionen Mark an den Generalagenten abzuführen. An- 
gerechnet wurden darauf die Abgaben, welche die französisch- 
belgische Verwaltung im besetzten Gebiete seit dem 1. September 
noch erhob, ferner die Eingänge aus dem Reparation Recovery 
Act und die deutschen Leistungen für die Besatzungsheere. Alle 
diese Zahlungen sind später der deutschen Regierung aus dem 
Erlös der Reparationsanleihe wieder vergütet worden. Die An- 
ordnung war nötig, um während der Uebergangszeit den Fortgang 
der Sachlieferungen zu sichern. So war es auch möglich, trotz 


326 





der ziemlich langen Uebergangszeit das erste Reparationsjahr 
bereits mit dem 1. September 1924 beginnen zu lassen. Von diesem 
Tage an ist der Dawesplan in Kraft. 

Die Freigabe der Regiebahnen im besetzten Gebiet war im 
Londoner Abkommen besonders geregelt. Danach sollte der 
Betrieb der Regie innerhalb sechs Wochen nach Inkrafttreten des 
Dawesplans allmählich auf die neue Reichsbahn-Gesellschaft 
übertragen werden. Tatsächlich ist die volle Uebergabe der Regie- 
strecken im ganzen am 16. November 1924 erfolgt. 


So wurden in London die wirtschaftlichen Eingriffe der 
Alliierten, die dem Ruhrabenteuer entsprangen, systematisch be- 
seitist. Um alles auszuräumen, kamen die Alliierten und Deutsch- 
land auch überein, für alle politischen Vergehen aus der Zeit der 
Ruhrbesetzung gegenseitig Amnestie zu bewilligen. 

Im Anschluß an das Abkommen zwischen der deutschen 
Regierung und der Reparationskommission vom 9. August wurden 
in London die Grundlinien für das Verfahren bei Sachleistungen 
gezogen: 

Regel wird von nun an der freie Verkehr und die kaufmännische 
Gewohnheit. Für die Lieferungen hat die Reparationskommission 
nach Beratung mit dem Transferkomitee von Zeit zu Zeit Pro- 
gramme aufzustellen. Dabei sind die wirtschaftliche Lage und 
der eigene Bedarf Deutschlands zu beachten. Innerhalb dieser 
Grenzen können auf Reparationskonto alle Arten von deutschen 
Lieferungen und Leistungen verrechnet werden, auch wenn nach 
dem Vertrage von Versailles Deutschland dazu nicht verpflichtet 
ist. Immer aber muß ein frei geschlossener Vertrag zwischen, dem 
deutschen Lieferanten und dem alliierten Abnehmer vorliegen. 
Die deutsche Regierung bleibt nur verantwortlich für die Liefe- 
rung von 


1. Kohle, Koks und Braunkohlebriketts, 
2. schwefelsaurem Ammoniak, 
3. Farbstoffen (bis zum 15. August 1928), 
wenn die Lieferung dieser Waren nicht im freien Verkehr ge- 


schieht oder von deutscher Seite absichtlich hintertrieben wird. 


327 





Die alliierten Länder haben die Wiederausfuhr der von Deutsch- 
land gelieferten Waren zu verhindern, 


Die Ausarbeitung des Verfahrens im einzelnen wurde einem 
Sonderkomitee aus alliierten und deutschen Sachverständigen 
unter Mitwirkung eines neutralen Schiedsmannes übertragen, 


Das Londoner Abkommen hat ferner einige Fragen geklärt, 
die im Verhältnis zwischen der deutschen Regierung und dem 
Transferkomitee zu Zweifeln Anlaß geben konnten. Nach dem 
Dawesplan kann, wie wir gesehen haben, das Transferkomitee 
aus den Geldern des Reparationsfonds Markbeträge an Privat- 


entscheiden. 


Das Transferkomitee hat einzugreifen, wenn etwa durch 
finanzielle Manöver versucht wird, den Transfer zu verhindern. 
Gehen darüber im Transferkomitee die Meinungen so auseinander, 
daß die Stimmen gleich verteilt sind, so soll ebenfalls ein unab- 
hängiger und unparteiischer Schiedsrichter entscheiden. Sonst gibt 
im Transferkomitee immer die Stimme des Vorsitzenden den 
Ausschlag. 

Wenn der Reparationsfonds die Grenze von fünf Milliarden 
Goldmark oder einen etwa vom Transferkomitee bestimmten 
geringeren Höchstbetrag erreicht hat und das Transferkomitee 
etwa durch Mehrheitsbeschluß entscheidet, daß keine finanziellen 
Manöver zur Verhinderung des Transfer vorliegen oder bestimmte 
Maßnahmen gegen solche Manöver nicht ergriffen werden sollen, 
so kann jedes Mitglied der Minderheit des Komitees ebenfalls 
ein Schiedsgericht anrufen. | 

Endlich ist ein Schiedsgericht auch für den F all vorgesehen, 
daß nach der Meinung einer alliierten oder der deutschen Re- 
gierung bei der technischen Durchführung des Dawesplans Mängel 
auftreten, die abgestellt werden können, ohne die wesentlichen 


328 








Grundsätze des Planes zu verletzen. Hier soll die Reparations- 
kommission nach Prüfung der Frage durch die alliierte Organi- 
sation in Berlin eine einstimmige Entscheidung fällen. Kommt 
diese nicht zustande oder wird sie von der deutschen Regierung 
nicht angenommen, so kann jede der Parteien ein unparteiisches 
Schiedsgericht von drei Sachverständigen anrufen. 


Das alles sind Beispiele dafür, wie der mit der Bestellung der 
beiden Komitees betretene Weg, in Reparationsfragen die Ent- 
scheidung von unparteiischen Sachverständigen anzurufen, im 
Londoner Abkommen zielbewußt ausgebaut worden ist. Alle mög- 
lichen Streitfragen, die in London wegen der Ausführung des 


Planes auftauchten, sind der Entscheidung durch Schiedsrichter 


anvertraut, Dabei sind Verfahren und Besetzung des Schieds- 
gerichts jeweils bis ins einzelne vorgesehen. 


Das ist überhaupt das Kennzeichen der Londoner Konferenz, 
daß sie im bewußten Gegensatz zu allen früheren Zusammen- 
künften der Alliierten das System der Gewalt in Sachen der 
Reparation nach Möglichkeit beseitigt und die Lösung von Zweifeln 
dem unparteiischen Schiedsspruch von Sachverständigen über- 
lassen hat, falls eine gütliche Einigung der Parteien nicht möglich 
sein sollte, 

Der gleiche Grundsatz ist nach hartnäckigem Kampf zwischen 
Frankreich und England sogar auf die Tätigkeit der Reparations- 
kommission übertragen worden. Wir wissen, daß durch den 


Rückzug Amerikas aus dem gemeinsamen Friedensvertrage das 


Uebergewicht in der Kommission an Frankreich fiel. In seinen 
Händen lag die tatsächliche Gewalt in allen Reparationsfragen. 
Nur deshalb kam es zur Besetzung der Ruhr, 

Der Dawesbericht legte die erste Sroße Bresche in das Boll- 
werk der Reparationskommission. In London wurde der Wall 
ihrer Macht ganz eingerissen. Den Ansturm führten die alliierten 
Bankiers mit ihrer Weigerung, die Reparationsanleihe aufzulegen, 
solange die Rechte der Anleihegläubiger nicht gegen willkürliche 
Maßnahmen der Kommission oder der in ihr vertretenen alliierten 
Regierungen gesichert schienen. 


329 





Der Streit wurde schließlich so geschlichtet: 

Bei allen Fragen, die den Dawesplan betreffen, wird ein 
Bürger der Vereinigten Staaten als gleichberechtigtes Mitglied 
an den Beratungen der Reparationskommission teilnehmen, Dies 

gilt so lange, wie die Vereinigten Staaten nicht offiziell in der 
Kommission vertreten sind. Jede Entscheidung der Kommission 
über Verstöße Deutschlands gegen seine Pflichten aus dem Ver- 
trage von Versailles oder dem Dawesplan muß einstimmig sein, 
um rechtswirksam zu werden. Bei Beschlüssen, die nur mit 
Stimmenmehrheit gefaßt werden, kann jedes Mitglied der Kom- 
mission ein Schiedsgericht von drei unparteiischen und unab- 
hängigen Personen anrufen. Vorsitzender des Schiedsgerichts ist 
ein Bürger der Vereinigten Staaten. 

Verstößt Deutschland etwa gegen seine Reparationspflicht, so 
dürfen Sanktionen nur ergriffen werden, wenn eine krasse Ver- 
fehlung (manquement flagrant) festgestellt ist. Ein solcher Fall 
tritt dann ein, wenn Deutschland böswillig mit einem erheblichen 
Teil der geschuldeten Leistungen im Rückstand bleibt. Dann sollen 
die alliierten Mächte miteinander beraten, um die Art der 
Sanktionen zu bestimmen und um sie schnell und wirksam durch- 
zuführen. Kommt es hiernach zu Sanktionen, so sollen die be- 
sonderen Sicherheiten gewahrt bleiben, die für den Dienst der 
Reparationsanleihe bestellt sind. Alle Meinungsverschiedenheiten 
hierüber, die nicht gütlich beigelegt werden können, sind dem 
ständigen internationalen Gerichtshof im Haag zu unterbreiten. 
Im übrigen bleiben die Rechte der alliierten Regierungen aus 
dem Vertrage von- Versailles vorbehalten. 

Das ist in kurzen Worten der Inhalt des Abkommens, mit dem 
in London die heiß umstrittene Sanktionsfrage geregelt worden 
ist. Auch die Bankiers für die Reparationsanleihe haben sich dabei 
beruhigt, obwohl sie diese Kautelen immer noch nicht für ge- 
nügend hielten. Man muß schließlich auch anerkennen, daß mit 
dem vorliegenden Abkommen die Gefahr des eigenmächtigen 
Eingriffs einer alliierten Macht in das Reparationsverfahren so 
gut wie ganz beseitigt ist. 


330 





DREISSIGSTES KAPITEL 
DIE DEUTSCHEN REPARATIONSGESETZE 


Die deutschen Gesetze zur Ausführung ‚des Dawesplanes 
wurden am 29, August 1924 vom Reichstag angenommen und am 
30. August verkündet. Da sie neben den schweren finanziellen 
Lasten, die der Dawesplan dem deutschen Volke auferlegt, auch 
die Mitwirkung des Auslandes in wichtigen Zweigen der Wirt- 
schaft einführen, ist es begreiflich, daß der Annahme der Gesetze 
ein harter innerpolitischer Kampf vorausging. Das bezog sich vor 
allem auf die Reichsbahn. Ihre Umwandlung in die Form einer 
Gesellschaft bedeutete eine Aenderung der deutschen Verfassung, 
zu deren Annahme eine Mehrheit von zwei Dritteln der im 
Reichstag abgegebenen Stimmen gehörte. Bei der Abstimmung 
über das Reichsbahngesetz kam aber auch diese Mehrheit zustande. 

Die Vorschriften der Gesetze sind auf dem Dawesplan auf- 
gebaut und uns daher in den Hauptsachen schon bekannt. Soweit 
sie im übrigen die Reparation unmittelbar betreffen, seien sie hier 
kurz zusammengefaßt. 


1. BANKGESETZ 


Für die Zwecke des Dawesplanes ist keine neue Goldnoten- 
bank errichtet, Vielmehr wurde die bisherige Reichsbank ent- 
sprechend ausgebaut, was einschneidende Aenderungen des alten 
deutschen Bankgesetzes vom 14, März 1875 bedingte. Die Reichs- 
bank ist von der Regierung vollkommen unabhängig. Sie hat ihren 
gesamten bisherigen Notenumlauf aufzurufen und gegen neue 
Reichsmarknoten im Verhältnis von einer Billion alter Mark 


331 


gegen eine Reichsmark umzutauschen. Das Kapital der Reichs- 


bank soll mindestens 300 Millionen, höchstens 400 Millionen 


Reichsmark betragen. Die Bank wird verwaltet durch das Reichs- 
bankdirektorium, dessen Präsident und Mitglieder sämtlich 
Deutsche sind. Daneben ist ein aus 14 Mitgliedern bestehender 
Generalrat gebildet. Er besteht zur Hälfte aus Deutschen. Die 
andere Hälfte setzt sich aus je einem britischen, französischen, 
italienischen, belgischen, amerikanischen, holländischen und einem 
schweizerischen Mitglied zusammen. Den Vorsitz im Generalrat 
führt der Präsident des Reichsbankdirektoriums. Der Generalrat 
hat mit der eigentlichen Verwaltung der Bank nichts zu tun. Er 
ernennt den Präsidenten und den Kommissar, der ein Ausländer 
sein muß, und faßt Beschluß über alle Vorschläge, die ihm von 
dem Präsidenten und dem Kommissar gemacht werden. Der 
Kommissar hat im wesentlichen darauf zu achten, daß die gesetz- 
lichen Vorschriften über die Notenausgabe und über ihre Deckung 
durch Gold innegehalten werden. 


Alle Noten der Reichsbank müssen den Stempel des Kom- 
missars tragen. Sie sind regelmäßig mit mindestens 40 Prozent 
in Gold oder Devisen zu decken, davon muß mindestens drei- 
viertel Gold sein. Die Deckung kann nur durch Beschluß des 
Generalrats herabgesetzt werden. In diesem Fall ist eine Noten- 
steuer an das Reich zu zahlen. 


Der Geschäftskreis der Bank ist der einer zentralen Noten- 
bank und deckt sich im allgemeinen mit den Aufgaben der 
früheren Reichsbank. Die Bank darf dem Reiche nur bis zu 
100 Millionen Reichsmark und höchstens auf drei Monate Kredit 
gewähren, der am Ende des Geschäftsjahres stets abgedeckt sein 
‚muß, Bei der Reichsbank ist ein Sonderkonto für die Reparations- 
zahlungen eingerichtet, dessen Guthaben ohne Zustimmung der 
Bank die Summe von zwei Milliarden Reichsmark nicht über- 
steigen darf. 

Die Noten der Bank sind grundsätzlich in Gold einlösbar. Die 
Einlösung ist jedoch ausgesetzt, bis sie von dem Reichsbank- 
Direktorium und dem Generalrat übereinstimmend beschlossen 
werden wird. 


332 





Das neue Bankgesetz ist am 11. Oktober 1924 in Kraft ge- 
treten. Am 15. Oktober erschien der erste Ausweis der Reichsbank 
in Reichsmark, der Einheit der neuen deutschen Goldwährung. 

Mit dem Bankgesetz zugleich ist das Gesetz über die Ein- 
ziehung der Rentenbankscheine ergangen. 

Das Kapital der Rentenbank ist auf zwei Milliarden Renten- 
mark herabgesetzt und wird lediglich von der Landwirtschaft 
aufgebracht. Die Belastung der Industrie und des Handels zu- 
gunsten der Rentenbank ist aufgehoben. Die Rentenbankscheine 
sind binnen zehn Jahren zu liquidieren. Bei der Reichsbank ist 
hierfür ein Tilgungsfonds gebildet. In ihn müssen jährlich von der 


. Rentenbank mindestens 60 Millionen Mark, vom Reiche ebenfalls 


60 Millionen Rentenmark und der Gewinnanteil an der Reichs- 
bank abgeführt werden, bis der Bestand des Tilgungsfonds 1200 
Millionen Rentenmark erreicht hat. Alsdann sind die im Umlauf 
befindlichen Rentenbankscheine mit einer Frist von sechs Monaten 
zum Umtausch in gesetzliche Zahlungsmittel aufzurufen. 

Die Hauptaufgabe der Rentenbank besteht von nun an in der 
Pflege des landwirtschaftlichen Kredites. Zu diesem Zwecke ist 
durch Gesetz vom 18, Juli 1925 die Rentenbankkreditanstalt 
gegründet worden. 


2. GESETZ ÜBER DIE INDUSTRIEBELASTUNG 
UND GESETZ ZUR AUFBRINGUNG DER INDUSTRIEBELASTUNG 


Wir haben schon davon gesprochen, daß die Verteilung der 
Reparationslast von fünf Milliarden Goldmark auf die einzelnen 
Betriebe der deutschen Industrie große Schwierigkeiten bot. Um 
ihnen zu begegnen, ist die Sache in zwei Gesetzen geregelt. Das 
eine betrifft die Träger der Last nach außen, d. h. die Zweige der 
Industrie, welche für ihren Anteil an der Last Schuldver- 
schreibungen ausstellen, diese mit ihren Grundstücken hypo- 


thekarisch sichern und den Gläubigern für Zinsen und Tilgung 


der Schuld haften, Das ist ein ziemlich enger Kreis. Er umfaßt 
nur solche Betriebe, deren Grundbesitz eine genügende Sicher- 
heit für die Schuld bietet. Ausgeschieden sind deshalb aus 


diesem Kreise die Betriebe des Bank-, Versicherungs-, Gast-, 


333 


Schank- oder Beherbergungsgewerbes und des Handels. Auch 
das Verkehrsgewerbe gehört im allgemeinen nicht dazu, wohl 
aber die Betriebe der Schiffahrt, Privatbahnen, Kleinbahnen 
und Straßenbahnen. Der Kreis umfaßt ferner nicht Betriebe des 
Reichs und der Länder sowie Unternehmen, deren Erträge aus- 
schließlich dem Reiche oder den Ländern zufließen. Frei bleibt 
endlich jeder, dessen Betriebsvermögen 50 000 Goldmark nicht 
übersteigt. Damit ist aber nur der äußere Rahmen für die Ver- 
teilung der Industrieschuld gegeben. In Wirklichkeit werden fast 
alle Betriebe der Industrie und des Handels herangezogen, um 
die jährliche Belastung von 300 Millionen Goldmark aufzubringen. 
Das ist die Regelung nach innen. Ihr dient das Gesetz zur Auf- 
bringung der Industriebelastung. Danach werden zur Verzinsung 
und Tilgung der fünf Milliarden Goldmark auch alle die Unter- 
nehmen verpflichtet, die im Belastungsgesetz ausgeschieden sind, 
mit Einschluß der Betriebe des Reichs, der Länder und der Ge- 
meinden. Befreit sind nur Unternehmen, deren Betriebsvermögen 
20 000 Goldmark nicht übersteigt, sowie grundsätzlich alle Be- 
triebe der Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Gärtnerei und Vieh- 
zucht, des Weinbaues und der Fischerei. 

Wir haben also vor uns zwei konzentrische Kreise, Der kleinere 
trägt die Schuld gegenüber den Reparationsgläubigern, der 
größere gegenüber dem Reich. Dieselbe Last muß daher zweimal 
umgelegt werden, auf die Teilnehmer eines jeden Kreises be- 
sonders. Und daraus entsteht im einzelnen ein sehr verwickeltes 
Verfahren, das seine praktische Eignung erst noch erweisen muß. 


Die ganze Regelung wird nur dadurch möglich, daß eine 
Zwischenstelle eingeschoben ist, die Bank für deutsche Industrie- 
oblisgationen. Sie nimmt die Jahresleistungen von allen zur Auf- 
bringung verpflichteten Betrieben entgegen, verwaltet sie und 
führt sie auf das Konto des Generalagenten bei der Reichsbank 
für Rechnung des Treuhänders ab. Die nach außen haftbaren 
Betriebe — der kleinere Kreis — zahlen an die Bank in Wirklich- 
keit nicht die Gesamtsumme an Zinsen und Tilgung, die sie nach 
dem Nennbetrage ihrer Haftung schulden, sondern nur die ge- 


ringere Jahresleistung, die sich aus der Verteilung der ganzen 


334 








Last auf den großen Kreis aller Verpflichteten ergibt. Durch Ver- 
ordnung vom 13, Dezember 1924 ist die Reparationsschuld der 
haftbaren Betriebe auf 17,1 Prozent ihres Betriebsvermögens 
festgesetzt, später aber auf 15,73 Prozent ermäßigt worden. In 
dieser Höhe hatte jedes Unternehmen Einzelobligationen auszu- 
stellen und der Bank zu übergeben. Seine tatsächliche Jahres- 
leistung berechnet sich aber nicht auf den Nennbetrag dieser 
Obligationen, sondern wird durch die Verteilung der Jahreslast von 
300 Millionen Goldmark innerhalb des großen Kreises bestimmt. 
Diese Verteilung ist noch nicht durchgeführt und deshalb lassen 
sich ziffernmäßige Angaben darüber, wie hoch ein jedes Unter- 
nehmen in Wirklichkeit belastet sein wird, zur Zeit nicht machen. 


Die Einzelobligationen lauten auf Goldmark und auf den 
Namen der Industrie-Bank. Sie sind vom 1. September 1925 an 
ein Jahr lang mit 2% Prozent, dann mit 5 Prozent zu verzinsen 
und vom 1. September 1927 an mit 1 Prozent jährlich zu tilgen. 
Die Industrie-Bank stellt gegen diese Obligationen fünfprozentige 
auf den Inhaber lautende Industriebonds aus, und zwar in zwei 
Serien von je 2% Milliarden Goldmark, Eine Serie bleibt bis zum 
1, September 1925, die andere bis zum 1. September 1926 unver- 
zinslich. Dann tragen sie beide 5 Prozent Zinsen. Sie werden ab 
1, September 1927 mit 1 Prozent jährlich getilgt. 


Der Dawesplan schreibt vor, daß grundsätzlich die Einzel- 
obligationen auf den Markt kommen sollen. Um dem gerecht zu 
werden, ist im Gesetz bestimmt, daß der Treuhänder 500 Millionen 
der Einzelobligationen verkaufen kann. Hierzu werden die größten 
deutschen Unternehmen herangezogen, deren Belastung zusammen 
1” Milliarden Goldmark beträgt. Sie haben auf Verlangen des 
Treuhänders ihre bei der Bank hinterlegten Einzelobligationen 
gegen neue Stücke einzutauschen, die auf den Inhaber lauten. 
Der Treuhänder darf immer nur die Hälfte der Obligationen eines 
einzelnen Unternehmers verkaufen, im ganzen, wie gesagt, nicht 
mehr als 500 Millionen Goldmark. Die Bank liefert daher dem 
Trustee, der insgesamt 5 Milliarden Obligationen zu verwalten 
hat, 4% Milliarden Industriebonds und 750 Millionen Einzel- 
obligationen aus. Wenn der Treuhänder von den letzteren 500 


335 


Millionen verkauft hat, werden die restlichen 250 Millionen an 
die Bank zurückgegeben und durch Industriebonds ersetzt. 

Die Obligationen der Schiffahrts- und Bahnunternehmen sind 
nicht veräußerlich. 

Jeder Unternehmer hat das Recht, seine Einzelobligationen, 
solange sie in der Hand des Treuhänders sind, zum Nennbetrage 
oder zu einem mit dem Treuhänder vereinbarten Preise zurück- 
zukaufen. Der Treuhänder muß dem Unternehmer, dessen 
Obligationen er veräußern will, einen Monat lang Gelegenheit 
zum Rückkauf geben. 

Die Belastung der Unternehmer wird auf Grund der Ver- 
mögenssteuer von Jahr zu Jahr, nach fünf Jahren aber höchstens 
alle zwei Jahre neu umgelegt. Eine förmliche Hypothek für die 
Reparationslast wird nicht bestellt, vielmehr hat man dafür die 
Form der öffentlichen Last gewählt, die keiner Eintragung im 
Grundbuch bedarf und bei der Zwangsversteigerung nicht erlischt, 
sondern ohne weiteres auf den Erwerber übergeht. Diese Hypothek 
des öffentlichen Rechts geht der Regel nach allen anderen 
Rechten am Grundstück im Range vor. 

Kapital, Zinsen und Tilgungsraten der Obligationen werden 
von der deutschen Regierung gewährleistet, Es haften dafür im 
besonderen die für die Reparation verpfändeten Einnahmen des 
Haushalts. | 

Für Streitigkeiten, die zwischen der Regierung und der Bank 
auf der einen Seite und der Reparationskommission oder dem 
Treuhänder entstehen, ist ein unparteiisches Schiedsgericht 
vorgesehen, 

Die Bank für deutsche Industrieobligationen hat ein Kapital 
von zehn Millionen Goldmark und ihren Sitz in Berlin. Der Vor- 
stand ist deutsch, der Aufsichtsrat besteht einschließlich des 
Präsidenten aus 15 Mitgliedern. Sieben werden von der Reichs- 
regierung, drei von der Reparationskommission und vier von den 
fremden Mitgliedern des Generalrats der Reichsbank gewählt. 
Der Präsident muß Deutscher sein, 

Die Einzelobligationen über fünf Milliarden Goldmark, ausge- 
stellt von 60500 belasteten Unternehmen, sind von der Regierung am 


336 





28. Februar 1925 derBank fürRechnung des Trustee übergeben wor- 
den. Die Bank hat die entsprechenden Industriebonds ausgestellt. 


3. GESETZ ÜBER DIE DEUTSCHE REICHSBAHN-GESELLSCHAFT 
UND DEREN SATZUNG 


Der Betrieb der Reichseisenbahnen ist für die Zwecke der 
Reparation bis zum 31. Dezember 1964 an die Deutsche Reichs- 
bahn-Gesellschaft übertragen. Die Konzession endet aber auf 
jeden Fall mit dem Zeitpunkte, in welchem alle Reparations- 
schuldverschreibungen und die Vorzugsaktien der Gesellschaft 
eingelöst sind; sie kann sich daher entsprechend verkürzen oder 
verlängern, Das Eigentum an den Reichseisenbahnen mit allem 
Zubehör einschließlich des rollenden Materials verbleibt dem 
Reich. Dagegen werden Eigentum der Gesellschaft die Betriebs- 
vorräte, die Kassenbestände und die Bankguthaben, 

Die Reparationslast der Reichsbahn von 11 Milliarden Gold- 
mark wird durch einen gleichen Betrag von Schuldverschreibungen 
der Gesellschaft gesichert, Diese haben kraft Gesetzes eine erst- 
stellige Gesamthypothek auf allen Grundstücken der Reichs- 
eisenbahnen und der Gesellschaft nebst deren Zubehör. Die 
Schuldverschreibungen werden vom 1. September 1927 an mit 
3 Prozent verzinst und mit 1 Prozent getilgt, Von da ab läuft die 
normale Jahreslast der Gesellschaft mit 660 Millionen Mark. 
Die Reparationszahlungen der Gesellschaft werden von der 
Reichsregierung gewährleistet. Für diese Garantie haften auch 
die verpfändeten Einnahmen des Reichshaushalts, 


Die Gesellschaft hat ein Kapital von 2 Milliarden Goldmark 
Vorzugsaktien und 13 Milliarden Goldmark Stammaktien. Letztere 
gehören sämtlich dem Reich. Die Vorzugsaktien lauten auf den 
Inhaber. Ihr Erlös soll in der Hauptsache den Zwecken der Gesell- 
schaft dienen, vor allem für Erweiterungen und Verbesserungen, 


die nicht aus dem Betriebe zu bestreiten sind. Das Reich hat nach 


dem Dawesplan Anspruch auf den Erlös der ersten 500 Millionen 
Mark Vorzugsaktien, um sich daraus die Mittel zu seinen eigenen 
Leistungen im zweiten Reparationsjahr zu verschaffen. Die Ge- 


Bergmann, Der Weg der Reparation 22 337 
































sellschaft hat dem Reich zu diesem Zwecke bereits 500 Millionen 
Mark Vorzugsaktien zur Verfügung gestellt. 


Die Organe der Gesellschaft sind der Verwaltungsrat und der 
Vorstand. Dieser führt die Geschäfte der Gesellschaft unter der 
Aufsicht des Verwaltungsrates. Er besteht aus dem General- 
direktor und mehreren Direktoren, die sämtlich Deutsche sein 
müssen. Der Verwaltungsrat besteht aus achtzehn Mitgliedern. 
Sie werden zur Hälfte von der Reichsregierung, zur Hälfte vom 
Treuhänder ernannt. Unter den vom Treuhänder bestellten Mit- 
gliedern befinden sich fünf Deutsche, Im Verwaltungsrat sitzen 
daher vierzehn Deutsche neben vier Ausländern. Nach Ausgabe 
der Vorzugsaktien sind ihren Inhabern vier der Regierungsstellen 
im Verwaltungsrat einzuräumen, wobei auf je 500 Millionen Gold- 
mark ausgegebene Vorzugsaktien ein Sitz entfällt. Die Vertreter 
der Vorzugsaktien müssen Deutsche sein. 


. Der Präsident des Verwaltungsrats ist Deutscher. Er wird 
jährlich vom Verwaltungsrat mit einer Mehrheit von drei Vierteln 
der abgegebenen Stimmen gewählt. Er soll aus den Vertretern 
der Vorzugsaktien entnommen werden, sobald diese drei Sitze 
im Verwaltungsrat haben. 


Die Inhaber der Reparationsschuldverschreibungen werden 
durch den Treuhänder vertreten, Zur Wahrung ihrer Rechte ist 
ein Eisenbahnkommissar bestellt, der von den ausländischen Mit- 
gliedern des Verwaltungsrats gewählt wird. Der Kommissar nimmt 
an den Sitzungen des Verwaltungsrats ohne Stimmrecht teil. Er 
hat jedoch nur das Recht der Einsicht und der Auskunft, solange 
der Dienst der Schuldverschreibungen nicht gefährdet ist. Gerät 
‚die Gesellschaft mit ihren Leistungen für die Reparation in Ver- 
zug, so erweitern sich die Rechte des Kommissars. Er kann dann 
einen Wechsel in der Person des Generaldirektors fordern. Bleibt 
die Gesellschaft mehr als sechs Monate im Verzug und wird der 
Fehlbetrag der Schuld auch von der Reichsregierung nicht ersetzt, 
so kann der Kommissar die Eisenbahnen selbst in Betrieb nehmen 
und schließlich auch das Betriebsrecht weiter verpachten. In letzte- 
rem Falle muß aber erst eine Entscheidung des im Gesetz vorge- 
sehenen unparteiischen Schiedsgerichts dahin ergangen sein, daß 


338 


1  Monatsraten zu decken. Alles übrige erstattet er binnen einer 





die geplante Verpachtung nötig und geeignet ist, die Durchführung 
des Dienstes der Reparationsschuüldverschreibungen zu sichein. | 

Die Reichsregierung hat im öffentlichen Interesse die Aufeich 
über den Betrieb und über die Tarife der Gesellschaft, Sie darf 
dieses Recht jedoch nicht so ausüben, daß die Gesellschaft etwa 
gehindert wird, die Einnahmen zu erzielen, die für den Dienst der 
Schuldverschreibungen und der Vorzugsaktien erforderlich sind, 

Die bisherigen Beamten, Angestellten und Arbeiter der Reichs- 
bahnen sind von der Gesellschaft übernommen. Ihre Rechte und 


Pflichten sind durch ein besonderes Personalgesetz und durch 
eine Personalordnung geregelt. 5 


4. DIE VERPFÄNDETEN EINNAHMEN DES REICHSHAUSHALTS 


Es bleibt noch ein Wort darüber zu sagen, welche Rechte nach 
dem Protokoll von London dem Kommissar für die verpfändeten 
Einnahmen zustehen. | 

Die deutschen Dienststellen führen schon jetzt diese Ein- 
nahmen spätestens am 20, eines jeden Monats an den Kommissar 
ab. Der Einfachheit halber sind damit nur die zehn größten Zoll- 
kassen, die Oberfinanzkassen und die Branntweinmonopolver- 
waltung befaßt. Bis zum 31. August 1926 hat aber Deutschland 
noch keine Zahlung aus dem Haushalt zu leisten. Daher wird in 
den ersten zwei Jahren der Kommissar regelmäßig die auf sein 
Konto eingezahlten Beträge sofort wieder zur Verfügung der 
deutschen Regierung stellen. Vom dritten Jahre ab behält er von 
den monatlichen Zahlungen jedesmal ein Zehntel der Jahres- 
leistung aus dem Haushalt zurück. Er überweist davon die fälligen 
Monatsraten, das heißt ein Zwölftel der Jahresleistung, an den 
Generalagenten und sammelt aus dem Rest einen Reservefonds 
an. Wenn dieser 100 Millionen Goldmark erreicht hat, behält er 
immer nur so viel zurück, als nötig ist, um die jeweils fälligen 


Woche nach Eingang der sämtlichen monatlichen Einnahmen an 
die deutsche Regierung zurück. Aus dem Reservefonds werden 
etwaige Fehlbeträge der Monatsraten aufgefüllt. 

Solange die Zahlungen aus dem Haushalt in der festgesetzten 


22* 339 











Höhe eingehen, hat der Kommissar nur ein Recht auf Einsicht und 
Auskunft, das allerdings weit geht. Er ist auch rechtzeitig von den 
Entwürfen der Gesetze und Verordnungen zu unterrichten, welche 
die verpfändeten Einnahmen betreffen. Die Rechte des Kommissars 
erweitern sich, wenn drei Monate hindurch die an ihn abgeführten 
Beträge weniger als je ein Zehntel der Jahresrate betragen oder 
wenn die Einnahmen bei unveränderter Lage der Gesetze wesent- 
lich hinter der gleichen Periode des Vorjahres zurückbleiben, In 
diesen Fällen ist er befugt, dem Reichsminister der Finanzen 
Vorschläge zu machen und durch seine Vertreter oder Sachver- 
ständige den Ursachen des Rückganges nachzuforschen. Wenn 
die Einnahmen aus den verpfändeten Steuern längere Zeit nicht 
ausreichen sollten, um trotz Erschöpfung des Reservefonds die 
fälligen Monatsraten zu decken, oder wenn der Finanzminister 
die Vorschläge des Kommissars nicht ausführt und die Einnahmen 
unbefriedigend bleiben, muß die Reichsregierung vorübergehend 
andere indirekte Steuern verpfänden. Wenn alles nichts hilft, 
kann der Kommissar im Einverständnis mit dem Generalagenten 
fordern, daß eine Aenderung der Organisation bei den Einnahme- 
quellen eintritt, deren Rückgang den Fehlbetrag herbeigeführt 
hat. Dabei kann er verlangen, daß diese Steuerzweige eine selb- 
ständige und vom Reiche unabhängige Verwaltung erhalten. Eine 
solche Aenderung der Verwaltung darf aber erst eintreten, wenn 
der unparteiische Schiedsrichter, der alle Meinungsverschieden- 
heiten zwischen Regierung und Kommissar schlichtet, dahin ent- 
schieden hat, daß die Maßnahme notwendig und geeignet ist, die 
Eingänge aus den Steuern so zu heben, daß die jährliche Haus- 
haltszahlung sichergestellt wird. Das alles ist nach dem Muster 
der Reichsbahn gestaltet. B 


Im einzelnen sind die Vorschriften des Protokolls sehr ver- 
wickelt, Man sieht ihnen ordentlich den harten Kampf an, der in 
London um sie geführt worden ist. 


Die Steuersätze auf Branntwein, Tabak, Bier und Zucker sollen 
ohne Einwilligung des Kommissars nicht herabgesetzt werden. 
Der Kommissar hat sich jeder Einmischung in die Zolltarifpolitik 
der deutschen Regierung zu enthalten. 


340 


y 











EINUNDDREISSIGSTES KAPITEL 
DIE AUSFÜHRUNG DES PLANES 


DIE REPARATIONSANLEIHE 


Nach Abschluß der Londoner Konferenz blieb es in der An- 
leihefrage eine Zeitlang recht still, Die englischen und amerika- 
nischen Bankkreise, welche während der Konferenz eine stärkere 
Sicherung der Anleihe gegen politische Zwischenfälle gefordert 
hatten, verhielten sich abwartend, Erst gegen Ende September 
kam es zu Besprechungen über die Anleihe in London, die auf 
der Seite der Geldgeber von der Firma J, P. Morgan & Co. und 
der Bank von England, auf deutscher Seite von Dr. Schacht und 
Dr. Luther geführt wurden, Die Verhandlungen waren kurz, die 
Bedingungen wurden mehr oder weniger diktiert, 

Am 10, Oktober wurde das Abkommen über die Anleihe ge- 
zeichnet. Die Bedingungen waren: 7 Prozent Zinsen, ein Ausgabe- 
kurs von 92 Prozent, Rückzahlung am 15. Oktober 1949 mittels 
eines Tilgungsfonds, in Amerika zu 105 Prozent, in den anderen 
Ländern zu pari. Die Banken übernahmen die Anleihe in Amerika 
zu 87 Prozent, in Europa zu 87% Prozent abzüglich Stempelsteuer. 
Da der Reinerlös für die Reparation 800 Millionen Mark betragen 
sollte, mußte der Nennbetrag der Anleihe erheblich höher ge- 
nommen werden, Inzwischen ist auch das englische Pfund Ster- 
ling, auf das der größte Teil der europäischen Anleihetranchen 
lautet, auf die Goldparität gestiegen, Daher stellt sich der Kapital- 
betrag der gesamten Reparationsanleihe, in Goldmark umge- 
rechnet, zur Zeit auf etwa 960 Millionen. 


341 


IndenVereinigten Staaten wurden vonder Anleihe 110 Millionen 
Dollars, in England 12 Millionen Pfund, in Holland, Schweden, 
der Schweiz, Frankreich, Belgien und Italien kleinere Beträge 
ausgegeben. Die zur Aufrundung des Reinertrages auf 800 Millionen 
Goldmark noch fehlenden 360000 Pfund Anleihe wurden in 
Deutschland durch die Reichsbank übernommen. 


Am 13, Oktober 1924 räumte die Reparationskommission dem 
Dienst der Anleihe ein unbedingtes Vorrecht auf alle Zahlungen 
unter dem Dawesplan, auf die verpfändeten deutschen Einnahmen 
des Haushalts und auf alle Vermögenswerte oder Einkünfte 
Deutschlands ein, die dem Pfandrecht der Alliierten nach dem 
Vertrage von Versailles unterliegen. Ihrerseits erkannte die 
deutsche Regierung den Dienst der Anleihe als eine direkte und 
unbedingte Verpflichtung des Reiches an. 


Die Ausgabe der Anleihe, die in New York und Londen am 
14, Oktober stattfand, war ein glänzender Erfolg. Der Börsen- 
kurs stieg sofort um einige Prozent. Seither hat er in London und 
New York den Nennwert überschritten, 

Am 31. Oktober 1924 bestätigte auch das Transferkomitee bei 
seiner ersten Sitzung in Berlin das Vorrecht der Anleihe und 
beschloß, daß die für ihren Dienst erforderlichen Goldmarkbeträge 
ohne Rücksicht auf die Wechselkurse in fremde Währung umge- 
wandelt werden können. Der gesamte Erlös der Anleihe ist in 
fremder Währung der Reichsbank zugunsten des Generalagenten 
zugeflossen, In Uebereinstimmung mit dem Dawesplan hat die 
Reichsbank diese Devisen für sich erworben und den Gegenwert 
in Reichsmark einem Konto des Reiches gutgeschrieben, das unter 
der Kontrolle des Generalagenten steht. Er allein kann darüber 
verfügen. Für die Anleihe sind drei Treuhänder bestellt. An 
ihrer Spitze steht der Generalagent, der auch den Anleihedienst 
versieht, 


DIE ORGANE DER REPARATION 


Dem Londoner Abkommen gemäß ernannte die Reparations- 
kommission am 10, Oktober 1924 den Bostoner Anwalt Thomas 
N. Perkins zum Mitglied der Reparationskommission für die 


342 





Durchführung des Dawesplans, Sie ernannte gleichzeitig die Mit- 
glieder des Transferkomitees und bestellte die Inhaber der Aemter, 
deren Besetzung ihr nach dem Dawesplan oblag. Die dauernde 
Organisation für die Ausführung des Planes besteht zurzeit aus 
folgenden Personen: 
Generalagent für Reparation: S, Parker Gilbert (Amerika), 
Kommissar für die Reichsbank: G. W. Bruins (Holland), 
Kommissar für die Reichsbahn: Gaston Leverve (Frankreich), 
Kommissar für die verpfändeten Einnahmen: Sir Andrew 
Mc Fadyean (England), | 
Treuhänder für die Eisenbahn-Obligationen: Leon Delacroix 
(Belgien), 
Treuhänder für die Industrie-Obligationen: Bernardino Nogara 
(Italien). 


Das Transferkomitee setzt sich aus dem Generalagenten als Vor- 
sitzendem und aus folgenden Mitgliedern zusammen: 

Joseph E. Sterrett (Amerika), 

Jean Parmentier (Frankreich), 

Henry Bell (England), 
Pasquale Jannaccone (Italien), 
Rense Tilmond — für den ausgeschiedenen Minister Janssen 
(Belgien). 

Die neue Organisation für den Dawesplan schränkt die Tätigkeit 
der Reparationskommission stark ein. Ein Abbau der Kommission 
war umso nötiger, als ihre Kosten etwa 50 Millionen Francs jähr- 
lich betrugen. Im November 1924 beschloß die Kommission daher, 
alle nunmehr überflüssigen Teile ihrer Verwaltung aufzuheben. 
Die Hauptdelegierten haben ihren ständigen Sitz nicht mehr 
in Paris, sondern versammeln sich nur noch zu bestimmten 
Sitzungen. Ihre Vertreter bilden in Paris ein ständiges Direktions- 
komitee, das in Verbindung mit dem Generalsekretariat die laufen- 
den Geschäfte der Kommission wahrnimmt. Die meisten Neben- 
stellen, vor allem für die Restitution und die Finanzangelegen- 
heiten, sind abgeschafft oder sehr verkleinert. _ | 


343. 


DAS VERFAHREN BEI DEN SACHLEISTUNGEN 


Nach Abschluß des Londoner Abkommens war es die erste 
Sorge des Generalagenten, Ordnung in den Gang der Sach- 
leistungen zu bringen. Während der Zeit der Micum-Verträge und 
der sonstigen Zwangsleistungen des besetzten Gebietes herrschte 
das Chaos. Auch die Verrechnung der Sachleistungen bei der 
Reparationskommission war vollkommen durcheinandergeraten. 
Im ersten Jahre des Dawesplanes standen dem Generalagenten 
monatlich 83% Millionen Goldmark zur Verfügung. Daraus mußte 
er die gesamten Ausgaben unter dem Vertrage von Versailles be- 
streiten, Um klar zu sehen, führte er ein System von monatlichen 
Programmen für Lieferungen und Leistungen ein. Dabei stellte 
sich gleich heraus, daß es nötig war, die Anforderungen der 
Alliierten herabzusetzen. Auf Betreiben des Generalagenten wurde 
schon am 18. September 1924 das Programm der Kohlenlieferungen 
um 10 Prozent ermäßigt. 

Nunmehr galt es, ein geordnetes Verfahren für das gesamte 
Feld der Sachleistungen zu finden. Das im Londoner Abkommen 
vorgesehene Sonderkomitee trat mit vier deutschen und vier 


alliierten Mitgliedern — je ein Vertreter von Belgien, England, 


Frankreich, Italien — am 6, November 1924 in Paris zusammen. 
Es beschloß bald, zur Schlichtung der Meinungsverschiedenheiten 
das neutrale Mitglied zuzuziehen. Hierfür wurde wiederum der 
in Reparationssachen erprobte Markus Wallenberg ausersehen, 
der auch den Vorsitz im Komitee übernahm. Nach eingehenden 
Arbeiten erstattete das Komitee am 9, März 1925 der Reparations- 
kommission seinen Bericht nebst einem Entwurf für das Verfahren 
bei den Sachleistungen. Dieser ist mit einigen Aenderungen vom 
Transferkomitee und von der Reparationskommission angenommen 
worden und am 1. Mai geltende Vorschrift geworden. 


Das Verfahren findet auf alle Sachleistungen Deutschlands 
Anwendung. Es regelt sowohl die freien Reparationsverträge 
zwischen deutschen Lieferanten und alliierten Bestellern wie die 
sogenannten Zwangslieferungen unter dem Vertrage von Versailles, 
soweit das Londoner Abkommen sie noch in Kraft gelassen hat. 


344 





Das Komitee war bestrebt, ein einfaches und rasch arbeitendes 
Verfahren für die Aufstellung der Programme und die Ge- 
nehmigung der Verträge zu schaffen, Die Reparationskommission 
und die deutsche Regierung errichten je ein technisches Bureau 
in Paris, die eng zusammenarbeiten sollen, Grundsätzlich können 
alle Waren und Dienste, die aus der deutschen Wirtschaft 
stammen, den Gegenstand von Sachleistungen bilden. Bestimmte 
Waren, hauptsächlich fremde Rohstoffe, Edelmetalle, Grund- 
stoffe der Eisen-, Leder- und Papierindustrie, Rohholz und die 
meisten landwirtschaftlichen. Erzeugnisse, sind jedoch von den 
Reparationsleistungen ausgeschlossen. Andere Waren dürfen nur 
in Höhe bestimmter Kontingente geliefert werden. Endlich soll 
eine große Anzahl von Waren, zu deren Herstellung ein starker 
Prozentsatz ausländischer Rohstoffe gebraucht wird, nur zum Teil 
vom Generalagenten bezahlt werden, während der Wert der in 


ihnen enthaltenen fremden Rohstoffe vom Käufer direkt an den 


Lieferanten in bar zu entrichten ist. Für die verschiedenen Gruppen 
hat das Komitee ausführliche Listen ausgearbeitet. Die Aufstellung 
der Lieferprogramme ist wie folgt geregelt: 


ti. Dia Programme für Kohle, Koks und Braunkohlenbriketts 
werden von der Reparationskommission vorläufig jeweils auf drei 
Monate festgesetzt. Die Verteilung nach Sorten erfolgt nach den 
Wünschen der Empfangsländer, denen Deutschland nach Mög- 
lichkeit Rechnung trägt. Normalerweise sollen Steinkohle und 
Koks aus dem Ruhrgebiet und dem Aachener Revier, Braunkohle 
aus dem Kölner Revier kommen, Die Lieferungen können auch auf 
Grund freier Verträge zwischen alliierten Bestellern und deutschen 
Lieferanten ausgeführt werden, Solche Abschlüsse werden von der 
Gesamtmenge der offiziellen Vierteljahrsprogramme abgezogen. 
Das Bureau der Reparationskommission hat sich zu vergewissern, 
daß das Transferkomitee keinen Einspruch gegen die Ausführung 
der Programme erhebt. 


2, Für schwefelsaures Ammoniak und andere synthetische 
Düngemittel hat das Sonderkomitee selbst ein vorläufiges Pro- 
gramm bis 1. April 1927 aufgestellt. Danach sind jährlich an 
Frankreich 20 000 Tonnen, an Belgien 2000 Tonnen und an Italien 


345 











3000 Tonnen Stickstoff durch das deutsche Stickstoff-Syndikat 
zu liefern. | 
3, Für Farbstoffe und pharmazeutische Produkte haben die 
alliierten Besteller mit der Interessengemeinschaft der deutschen 
chemischen Fabriken ein Abkommen über alle Lieferungen bis 
zum 15. August 1928 getroffen. 

4, Bei den kontingentierten Waren werden alle sechs Monate 
Programme für die Lieferungen in den jeweils folgenden achtzehn 
Monaten festgesetzt, Die Programme werden von dem alliierten 
und dem deutschen Bureau in Paris vorbereitet, dem Transfer- 
komitee vorgelegt und von der Reparationskommission genehmigt. 

Die Kontingente für Holz und Rohzucker hat das Sonder- 
komitee selbst bis zum 1. April 1927 bestimmt. 

5. Alle anderen Waren können frei und unbeschränkt geliefert 
werden, soweit die deutsche Wirtschaft dadurch nicht beein- 
trächtigt wird. - | 

Die Alliierten haben das Recht, aber nicht die Pflicht, die in 
den Programmen vorgesehenen Warenmengen abzunehmen, 

Alle freien Verträge über Lieferungen sind vom Bureau der 
Reparationskommission zu genehmigen. Das deutsche Bureau er- 
hält rechtzeitig Kenntnis und kann Einspruch erheben. Streitfälle 
zwischen den Bureaus werden von dem amerikanischen Mitglied 
der Reparationskommission endgültig entschieden. | 

Ein besonderes Verfahren ist für sogenannte außergewöhnliche 
Verträge vorgesehen. Darunter fallen: 

a) Verträge über vollständige Einrichtungen, öffentliche 
Arbeiten und den Bau von Schiffen; | 

b) Verträge über Lieferungen und Zahlungen, die sich über 
mehr als vierundzwanzig Monate erstrecken; 

c) Verträge über Waren, für die keine Programme oder Kon- 
tingente bestehen, wenn die jährlichen Zahlungen 12 Millionen 
Goldmark überschreiten, | 

Alle diese Verträge werden durch die vereinigten Bureaus 
unter Vorsitz des amerikanischen Mitgliedes der Reparations- 
kommission geprüft. Alsdann ist die Zustimmung des Transter- 


346 





komitees und die Genehmigung der Reparationskommission ein- 
zuholen. Die Sachleistungen werden auf Grund von Wechseln 
oder Anweisungen, die der deutsche Lieferant bzw. die deutsche 
Regierung einreicht, aus der Kasse des Generalagenten bezahlt. 


Nach dem Londoner Abkommen ist die Wiederausfuhr der 
Reparationswaren verboten. Auch hierfür hat das Sonderkomitee 
Vorkehrungen im einzelnen getroffen, ebenso für Verstöße gegen 
das Verfahren und Betrug. Die gesamte Vorschrift kann vom 
1. April 1927 ab alle zwei Jahre revidiert werden. Das Komitee 
hat auch entschieden, daß ein gewöhnlicher, im freien Handel ab- 
geschlossener Vertrag nicht ohne Zustimmung des deutschen Ver- 
käufers in einen Vertrag auf Reparationskonto umgewandelt 
werden kann. | 

Auf die Einzelheiten der Listen und der sehr ausführlich ge- 
haltenen Vorschriften, besonders für die Lieferung, den Transport 
und die Bezahlung von Kohle und Koks, können wir im Rahmen 
dieses Buches nicht eingehen. In ihnen spiegelt sich der jahrelange 
Kampf zwischen der Reparationskommission und der deutschen 
Regierung um die Sachleistungen wider. Die dabei gemachten 
Erfahrungen sind in der Vorschrift natürlich weitgehend berück- 
sichtigt. | 

Immerhin wird sich erst zeigen müssen, ob mit den neuen Be- 
stimmungen wirklich ein Verfahren gefunden ist, unter dem die 
Sachleistungen nach den Regeln des Handelsgebrauches glatt und 
in großem Maßstabe vonstatten gehen. Ein wirklich freier Ver- 
kehr auf Reparationskonto wird sich nach wie vor kaum ent- 
wickeln. Das ist bei der Einmischung und der Kontrolle so vieler 
offizieller Organe nicht gut möglich. Vielleicht ist es jetzt im 
deutschen Interesse nicht mehr nötig, gegen die Ausdehnung und 
den Mißbrauch von Sachleistungen so weitgehende Vorsorge zu 
treffen. Die Vorsicht war durchaus berechtigt, solange in den 
Zeiten der Inflation die deutsche Wirtschaft schwer unter Waren- 
mangel litt und solange kein fester Plan für die jährlichen Repa- 
rationsleistungen bestand, alle Sachlieferungen vielmehr in dem 
Danaidenfaß der 132 Milliarden verschwanden. Das alles ist aber 
anders geworden. Jetzt hat Deutschland bis zur vollständigen 


347 








Ordnung der Weltmärkte und seiner eigenen Wirtschaft selber 
ein lebhaftes Interesse daran, auf Reparationskonto Waren zu 
liefern, deren Absatz auf den Weltmärkten stockt. 


DIE ABGABE VON DER DEUTSCHEN EINFUHR 
(REPARATION RECOVERY ACT) 


Der Dawesplan stellt die Abgabe von der deutschen Einfuhr 
in den alliierten Ländern auf eine Stufe mit den Sachleistungen. 
Es war daher die Aufgabe des Transferkomitees, auch diese 
deutschen Leistungen in das System des Dawesplanes einzube- 
ziehen und sich die Aufsicht darüber zu sichern, | 

Wie wir wissen, wurde die Erhebung der Abgabe auf der 
Londoner Konferenz vom März 1921 beschlossen und auch nach 
Inkrafttreten des Londoner Ultimatums vom 5. Mai 1921 von Eng- 
land in Höhe von 26 Prozent der deutschen Einfuhr erhoben. 
Während der Ruhrbesetzung konnte Deutschland am 25. Februar 
1924 ein Abkommen mit England schließen, das wegen der großen 
deutschen Finanznot die Abgabe auf 5 Prozent herabsetzte. Aber 
schon am 29. August 1924 führte die englische Regierung den 
alten Satz von 26 Prozent wieder ein, um sich gegenüber den 
Alliierten, welche Sachleistungen von Deutschland bezogen, eben- 
falls den unmittelbaren Zugriff auf einen Teil der deutschen 
' Zahlungen unter dem Dawesplan zu verschaffen. 

Frankreich hatte im April 1921 gesetzliche Maßnahmen zur 
Erhebung der Einfuhrabgabe beschlossen, aber nicht durchgeführt. 
Vom 1. Oktober 1924 ab legte die französische Regierung, trotz der 
Vorstellungen Deutschlands, gleichfalls eine Abgabe von 26 Prozent 
auf die deutsche Einfuhr, wobei der englische Recovery Act zum 
Vorbild diente, Andere Staaten wie Belgien und Italien hatten 
die gleiche Absicht, sind aber bisher nicht zur Durchführung ge- 
schritten. | 

Die deutsche Regierung vertritt grundsätzlich den Standpunkt, 
daß die Einfuhrabgabe mit dem Grundgedanken des Dawesplanes 
in Widerspruch steht, weil sie die wirtschaftliche Gleichberech- 
tigung und die Bewegungsfreiheit Deutschlands beeinträchtigt und 
geeignet ist, die deutsche Währung zu gefährden. Auch der 


348 














Generalagent erhob starke Bedenken gegen den Recovery en 
Ihn störte vor allem die Tatsache, daß die Erhebung der Abgabe 


sich völlig außerhalb der Kontrolle des Transferkomitees vollzog. 


Das englische Verfahren bestand darin, daß die Zollbehörden 
von jeder deutschen Warensendung, die nach England kam 
26 Prozent des Verkaufspreises einzogen und es dem Importe 
überließen, sich den Gegenwert der Abgabe von der deutschen 
Regierung oder nach Inkrafttreten des Dawesplanes aus der Kasse 
des Generalagenten wieder zu holen, Das Transferkomitee stand 
also immer vor einer vollendeten Tatsache, Es war ihm bei dem 
willkürlichen Eingriff Englands und später auch Frankreichs in 
die Reparation nicht möglich, die ihm zukommende Aufsicht aus- 
zuüben, Auch wurde dem Transferkomitee damit die ordnungs- 
mäßige Verteilung der deutschen Leistungen unter die Alliierten 
erschwert. Denn die englischen und französischen Zollbehörden 
zogen natürlich die 26 Prozent ohne Rücksicht darauf ein, ob die 
Abgabe sich innerhalb des vertragsmäßigen Anteils ihrer Regierung 
an den Reparationsgeldern hielt. In der Tat ergab der englische 
Recovery Act monatlich immer etwas mehr als den Betrag, den 
die englische Regierung jeweils vom Generalagenten aus der 
deutschen Annuität zu fordern hatte. Was England recht war, 
mußte den anderen Alliierten billig sein. Wurde dieses Mittel, 
direkte Reparationen von Deutschland einzutreiben, von allen 
Seiten schrankenlos angewendet, dann mußte das Transferkomitee 
fürchten, daß ihm die deutsche Annuität unter den Händen zer- 
floß, und daß die deutsche Währung wieder in Gefahr geriet. 
Das Transferkomitee verschloß sich aber auch den Nachteilen 
nicht, welche dem deutschen Handel aus dem Verfahren bei der 
Erhebung der Abgabe unnütz erwuchsen. Der Eingriff der Zoll- 
behörden in die Einfuhr war ebenso störend und lästig für den 
alliierten Käufer wie für den deutschen Verkäufer. Es war klar, 
daß der Käufer, um solchen Schwierigkeiten zu entgehen, sich 
möglichst nach Bezugsquellen aus anderen Ländern umsah. Wenn 
es aber schließlich dem deutschen Importeur trotzdem gelang, 
seine Waren in England oder Frankreich abzusetzen, so hatte er 
damit zu rechnen, daß er den Gegenwert der Abgabe in jedem 


349 





einzelnen Fall erst nach geraumer Zeit auf dem Wege eines um- 


ständlichen Geschäftsganges von der deutschen Regierung oder 
vom Generalagenten zurückerhielt,. | 


ihr für die Abgabe verauslagten Summen. 


Im Dezember begannen die Verhandlungen mit England, Sie 
führten am 25, März 1925 zum Abschluß eines Protokolls zwischen 
der britischen und der deutschen Regierung, das die Zustimmung 
des Transferkomitees und der Reparationskommission fand. Das 
Abkommen der beiden Regierungen wurde am 3. April gezeichnet 
und am 7. April vom englischen Parlament genehmigt. Vom 
1. Mai 1925 an ist das neue Verfahren in England in Kraft. 


Die Abgabe von 26 Prozent wird danach nicht mehr bei der 
Einfuhr einer jeder Warensendung erhoben, sondern von den eng- 
lischen Zollbehörden nur statistisch festgestellt, Die Zahlung selbs 


gesamten deutschen Ausfuhr nach England vertreten, haben sich 
dem Reichsfinanzminister gegenüber verpflichtet, jeden Monat 
30 Prozent des Wertes ihrer im Vormonat nach Großbritannien aus- 
350 


ww. 











geführten Waren in Pfund Sterling an die Reichsbank abzuliefern, 


Dabei ist angenommen, daß diese Zahlung hinreicht, um 26 Prozent 


Für den Fall, daß die Einzahlungen der deutschen Exporteure 
bei der Reichsbank nicht ausreichen sollten, um die Abgabe von 


aus etwaigen Ueberschüssen aufzufüllen, die sich aus den Ein- 
zahlungen der deutschen Exporteure bei der Reichsbank ergeben. 


zurückvergütet wird. In der Praxis ist nämlich das deutsch-eng- 
lische Abkommen noch mehr vereinfacht worden. Die Reichsbank 
kauft den Exporteuren die abgelieferten Pfunddevisen sofort ab 
und läßt sich die Ueberweisung der Pfunde nach England vom 
Generalagenten für eigene Rechnung vergüten. 


351 





Aber das neue Verfahren beseitigt doch die grundsätzlichen 
Bedenken nicht, die von der deutschen Wirtschaft gegen die Ab- 
gabe selber erhoben werden. 


Auch die französische Regierung hat sich dazu entschlossen, 
die Verwaltung der von ihr erhobenen Abgabe von 26 Prozent auf 
deutsche Waren unter die Aufsicht des Transferkomitees zu 
stellen. Vom 1. Mai 1925 ab hinterlegt sie den Erlös aus der Ab- 
gabe bei der Bank von Frankreich für Rechnung des General. 
agenten. Dieser läßt ihn der Regierung wieder auszahlen, soweit 
der entsprechende Betrag innerhalb des französischen Anteils an 
der Reparation bei ihm dafür verfügbar ist. Mit dieser Maßgabe 
erfolgt dann auch die Rückvergütung an die deutschen Exporteure, 
Im Gegensatz zu England ist es also in Frankreich bei dem alten 
lästigen Verfahren geblieben, wobei die Abgabe von jeder ein- 
zelnen Warensendung erhoben wird. 


DIE VERTEILUNG DER REPARATIONSLEISTUNGEN 


Am 27. Oktober 1924 trafen sich die Finanzsachverständigen 
der alliierten Regierungen und der Vereinigten Staaten in Paris, 
um die Frage der Verteilung der deutschen Reparationsleistungen 
nach langer Pause wieder aufzunehmen, Diesmal war ihre Auf- 
gabe besonders schwierig. Auch die Vereinigten Staaten erhoben 
Anspruch darauf, für ihre Kriegsforderungen an Deutschland aus 
den Annuitäten des Dawesplanes befriedigt zu werden. Zu gleicher 
Zeit aber mußte die Reparationsrechnung aus der Zeit vor dem 
Dawesplane, d. h. bis zum 1, September 1924, in Ordnung ge- 
bracht werden, Und darin bestand wegen der Ruhrbesetzung ein 
heilloser Wirrwarr. England hatte immer die Ansicht vertreten, 
die Besetzung sei unrechtmäßig. Frankreich und Belgien hatten 
die Ausbeutung der besetzten Gebiete auf eigene Faust betrieben, 
Die Reparationskommission war dabei so gut wie ausgeschaltet, 
Alle Streitfragen, die aus dieser Lage entstanden waren, galt es 
zu schlichten, 


Trotz wochenlanger Arbeit kamen die Sachverständigen zu 
keinem bestimmten Vorschlag. In dem Bericht über ihre Verhand- 
lungen, der interessante Aufschlüsse gibt, beschränkten sie sich 


352 


* 











darauf, den Standpunkt der einzelnen Regierungen zu den ver- 
schiedenen Fragen festzustellen. Am 6. Januar 1925 traten die 
alliierten Finanzminister selber und als Vertreter der Vereinigten 
Staaten der damalige Botschafter in London, Mr. Kellogg, zur 
Konferenz in Paris zusammen, Sie erreichten am 14, Januar eine 
Verständigung, die als das Pariser F inanzabkommen bekannt ge- 
worden ist. Fe 

Wie es nicht anders sein konnte, wurde in den meisten Punkten 
ein Kompromiß zwischen den widerstreitenden Interessen ge- 
funden, Das traf vor allem auf die Verrechnung der Einnahmen 
und Ausgaben aus der Zeit der Ruhrbesetzung vom 11. Januar 1923 
bis 1. September 1924 zu. Die Frage der Rechtmäßigkeit des 
Ruhrunternehmens wurde nicht weiter erörtert. Sonst hätte ja 
England bei der Verteilung des Ertrages nicht mitwirken können. 

Frankreich und Belgien hatten die folgende Abrechnung vor- 
gelegt: 








Eingänge: in Millionen Goldmark 
Geldstrafen und Requisitionen , . 4550 
Sachleistungen . .. Daniele igee 

zusammen , 491,90 

Bareinnahmen: 

Kohlensteuer er 
Zölle BE I a  E 
Sonstige Abgaben . °. . . ,°.2..101.— 
Forsten : ...- ,; N er 
Pässe usw. neh an ao 3.— 
Reingewinn der Regiebahn. . . . 67— 

| im ganzen . 490,— 

Davon ab Kosten: 

Verwaltung I RUN IE. 
Transport von Kohle und 

Betrieb von Fabriken . . 54.— 
Militärische Kosten . . . 14.2 7142 





Reinertrag der Bareinnahmen . 306.— 


Bergmann, Der Weg der Reparation 23 353 


Dagegen machte England geltend, daß nach dem alliierten 
Finanzabkommen vom il, März 1922 die Besatzungskosten aus 
den Sachleistungen zu bestreiten seien und nicht aus den Bar- 
einnahmen, so daß die Reineinnahmen in bar um 114 Millionen 
steigen würden, die der belgischen Priorität zu gute kämen. 

Die Konferenz der Finanzminister hat es der Reparations- 
kommission überlassen, die Abrechnung der einzelnen Posten zu 
prüfen. Sie hat aber dafür bestimmte Richtlinien aufgestellt: Sach- 
leistungen und Bareinnahmen sollen gesondert verrechnet werden. 
Von dem Wert der Sachleistungen sind die militärischen Aus- 
gaben im Ruhrgebiet nur insoweit abzusetzen, als sie die normalen 
Unterhaltskosten in der heimischen Garnison übersteigen. Mit dem 
Nettobetrage der Sachleistungen, der sich so ergibt, werden die 
Empfangsländer auf Reparationskonto belastet. 

Von den Bareinnahmen aller Art dürfen nur die zivilen Kosten 
der Erhebung und Verwaltung, des Transports von Kohlen und des 
Betriebes der Gruben und Kokereien in Abzug gebracht werden. 
Der Ueberschuß mit Ausnahme eines bereits für amerikanische 
Besatzungskosten hinterlegten Betrages von etwa 14% Millionen 
Dollar ist an Belgien für Rechnung seiner Priorität abzuführen. 

Die deutschen Leistungen unter dem Dawesplan werden gemäß 
demPariser Finanzabkommen nach folgendenGrundsätzen verteilt: 


I. Forderungen mit Vorrecht 


a) Allem voran geht der Dienst der Reparationsanleihe. Abge- 
sehen vom ersten Reparationsjahre, wo er sich noch nicht voll 
auswirkt, beansprucht er nach der Angabe des Generalagenten 
bis zu 93 Millionen Goldmark jährlich; 

b) die Kosten der Reparationskommission mit der Organisation 
für den Dawesplan dürfen im ersten Jahre bis zu 9:4 Millionen 
Goldmark, später nur 7% Millionen Goldmark betragen. Davon 
sind für die Organe des Dawesplanes 3,7 Millionen Goldmark 
vorgesehen. Dieser Betrag darf erhöht werden, wenn es für den 
Ausbau der Schiedsgerichte nötig ist; 

c) die Interalliierte Rheinlandkommission soll im ersten 
Jahre nicht mehr als 10 Millionen Goldmark, die militärische 


354 





Be ea nicht mehr als 8 Millionen Goldmark ver- 
rauchen, Die Beträge für die folgend | ä 
eure genden Jahre werden später 
d) sodann werden den Vereinigten S 

„.d) sod: gten Staaten zur Erstattung der 
EEE Kosten ihres Besatzungsheeres jährlich 55 Millionen 
re vom 1, September 1926 an gezahlt, bis der Gesamt- 

etrag beglichen ist. Diese Abmachung tritt an die Stelle des 
sogenannten Wadsworth-Vertrages vom 25. Mai 1923, wonach die 
auf 255 ‚Millionen Dollar bezifferten amerikanischen Besatzungs- 
kosten in zwölf Jahresraten von 83 Millionen Goldmark vom 
31. Dezember 1923 an aus der Reparation zu bezahlen waren; 


e) für die rückständigen Besatzungskosten von Frankreich 
und England aus der Zeit vor dem 1. Mai 1921 sind besondere 
Zuweisungen aus den Annuitäten beginnend mit 15 und steigend 
bis zu 30 Millionen Goldmark vorgesehen; 


| f) für die laufenden Besatzungskosten des ersten Reparations- 
jahres zahlt der Generalagent im voraus eine Pauschalsumme 
von 160 Millionen Goldmark. Davon entfallen auf Frankreich 

110 Millionen, auf Belgien und England je 25 Millionen Gold- 

mark. Die etwa überschießenden Kosten hat jede Macht aus ihrem 

Anteil an der Annuität selber zu tragen. Sie darf sie jedoch ihrem 

Gesamtanspruch an der Reparation hinzurechnen., Für die späteren 

Jahre soll eine neue Regelung eintreten, die noch vor dem 

1. September 1925 zu erörtern ist. 


Il. Forderungen ohne Vorrecht 


Der Betrag der deutschen Annuität, der nach Befriedigung der 

F orderungen mit Vorrecht übrig bleibt, wird wie folgt verwendet: 
a) 5 Prozent zur Begleichung der belgischen Kriegsschuld. 
Hiervon erhalten vorläufig Frankreich 46 Prozent, England 


42 Prozent und Belgien selbst für Rechnung seiner Schuld an 
Amerika 12 Prozent; | 


b) für Restitutionen werden ausgesetzt in den ersten vier 
Jahren 1 Prozent des zu verteilenden Gesamtbetrages, in den 
späteren Jahren 1 Prozent der ersten Milliarde nach Akad der 
Vorrechte und 2 Prozent vom Rest der Annuität, Die Zuweisung 


23* 


355 


sun ee u es ee ee Me ee A 


wird auf die Mächte verteilt, welche mit Deutschland Ver. 
träge über die Ablösung der Restitution durch Pauschalbeträge 
(Substitution) geschlossen haben; 

c) belgische Priorität. 

Der genaue Restbetrag der Priorität wird von der Reparations- 
kommission ermittelt. Im ersten Jahre erhält Belgien jedenfalls 
seinen Anteil von 8 Prozent weiter, im zweiten Jahre ebenfalls 
8 Prozent monatlich, bis die Priorität vollständig bezahlt ist. 
Alsdann wird der belgische Anteil an der Reparation von 8 Prozent 
auf 4,5 Prozent herabgesetzt, Mit diesem Zeitpunkt, spätestens 
vom 1, September 1926 ab werden die aus dem ursprünglichen 
belgischen Anteil freiwerdenden 3% Prozent an Frankreich und 
England im Verhältnis von 52 zu 22 über ihre in Spa festgesetzten 
Anteile hinaus gezahlt; 


d) die Vereinigten Staaten erhalten von der Annuität nach 
Abzug der Vorrechte einen Anteil von 2% Prozent, jedoch nicht 
mehr als 45 Millionen Goldmark im Jahr. Sie sind mit 2% Prozent 
auch an der Verteilung und der gemeinsamen Verwertung der 
Eisenhahn- und Industrieobligationen und aller anderen Wert- 
papiere beteiligt, die unter dem Dawesplan ausgegeben werden; 

e) im übrigen verbleibt es bei den Prozentsätzen von Spa. Diese 
betragen, wie wir bereits wissen, für Frankreich 52 Prozent, für 
England 22 Prozent, für Italien 10 Prozent, für Serbien 5 Prozent. 

Die Finanzkonferenz hat außerdem noch eine Reihe von 
Einzelheiten geregelt. Darunter ist wichtig, daß für die restlichen 
Forderungen der Alliierten aus dem Ausgleichsverfahren (clearing) 
in den ersten vier Jahren keine besonderen Beträge zurückgestellt 
werden, Die interessierten Mächte sind vielmehr zur Befriedigung 
ihrer Ansprüche auf das deutsche Privateigentum verwiesen, das 
sie nach den Bestimmungen des Vertrages von Versailles liqui- 
dieren dürfen. 


DIE ERGEBNISSE DES ERSTEN JAHRES 


Mit dem 31, August 1925 war das erste Jahr der Ausführung 
des Dawesplanes abgeschlossen. Seine Ergebnisse liegen ziffern- 
mäßig vor. ) 


356 








Ueber den Eingang der ersten Annuität ist nicht viel zu sagen. 
Sie setzt sich zusammen aus dem Erlös der Reparationsanleihe, 
die bei ihrer Ausgabe im Herbst 1924 rund 801 Millionen Gold- 
mark in die Reparationskasse geliefert hat, und aus dem Beitrag 
der Reichsbahn-Gesellschaft von 200 Millionen Goldmark, der 
pünktlich gezahlt ist. Von Interesse aber ist es, die Erträge fest- 
zustellen, welche die Zweige der deutschen Wirtschaft und des 
Reichshaushaltes, die nach dem Dawesplan von nun an die jähr- 
lichen Leistungen aufbringen müssen, im ersten Reparationsjahr 
abgeworfen haben. 


Die Reichsbahn-Gesellschaft hat ihren Betrieb erst am1. Oktober 
1924 begonnen, In den elf Monaten bis zum 31. August hatte sie 
folgendes Betriebsergebnis: | | 


| Reichsmark 
Betriebseinnahmen . . . . . 2. .2..,4033 050 000 
Nach Bestreitung der Betriebsausgaben ver- | 
bleiben ui mn. ea SEN 
Davon gehen ab; Reichsmark 
Außerordentliche Ausgaben . 268 016 000 
FT iD a ie 7 700 000 
Dienst der Reparationsanleihe 200 095 000 475 811 000 
Somit bleibt ein Ueberschuß von . . . . 289 255 000 


der zu Rückstellungen verwendet wird. 


Dieses Ergebnis wurde erreicht, obwohl der Güterverkehr im Zu- 
sammenhang mit den allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnissen 
in Deutschland daniederlag und die Ausgaben der Gesellschaft 


für Gehälter, Löhne und Pensionen sehr stark anwuchsen. Bei 


einer normalen Entwicklung des Verkehrs in der Folgezeit ist zu 
hoffen, daß auch der künftighin wesentlich höhere Beitrag der 
Gesellschaft zu der Reparationslast — 1925/26 schon 595 Millionen 
und von 1927/28 an ständig 660 Millionen Goldmark — aus dem 
Betrieb der Gesellschaft aufgebracht werden kann. 


Die Reichssteuer auf den Eisenbahnverkehr — Verkehrs- 
steuer — wird im zweiten Reparationsjahre mit 250 Millionen, 


357 











vom dritten Jahre an mit 290 Millionen zur Reparation heran- 
gezogen, Sie hat im ersten Jahre insgesamt 280 Millionen Gold- 
mark erbracht. 

Die deutsche Industrie war im ersten Jahre noch nicht be- 
lastet, Ihre Zahlungen setzen im zweiten Jahre mit 125 Millionen 
ein, steigen im dritten Jahre auf 250 Millionen und betragen vom 
vierten Jahre an ständig 300 Millionen Goldmark, Wie sie sich 
wirtschaftlich auswirken werden, darüber läßt sich zurzeit nichts 
sagen. Da diese Last aber eine erste Hypothek auf die gesamte 
deutsche Wirtschaft mit Ausnahme der Landwirtschaft darstellt, 
wird sie unter allen Umständen aufgebracht werden müssen. 

Die unter dem Dawesplan verpfändeten Reichseinnahmen 
haben im ersten Jahre folgende Erträge abgeworfen: 


Zölle: . . . . .. .453.— Millionen Reichsmark 
Tabaksisier . . '. 584,70 I i 
massamer 0.2.0230 a „ 
Zuckersteuer . . . 264.— * ” 


Branntweinmonopol. 164.40 i 


insgesamt . 1699.10 Millionen Reichsmark 


Sie verbleiben im zweiten Jahre noch ganz dem Reich und 
werden erst vom fünften Jahre ab mit der vollen Höhe von 
1250 Millionen Goldmark für die Reparation herangezogen. 

Wenn nicht außergewöhnlich ungünstige Verhältnisse ein- 
treten, ist zu erwarten, daß sie über die Reparationsquote hinaus 
noch erhebliche Einnahmen für den Reichshaushalt selber ab- 


werfen werden, 


Nach dem Bericht des Generalagenten sind die Eingänge des 
ersten Reparationsjahres von 1000 Millionen Goldmark wie folgt 
verwendet worden: 

Für Forderungen mit Vorrecht: 

Dienst der Anleihe . 77,50 Millionen Goldmark 

Kosten der Kommissionen . 26,50 A h 

Besatzungskosten. . . . . 187.40 . a 


im ganzen . 291.40 Millionen Goldmark 


% 


358 











Der Generalagent hatte am 31. August 1925 insgesamt 
893 Millionen Goldmark ausgezahlt, während die restlichen 
107 Millionen noch unverrechnet in seiner Kasse lagen. 


Einschließlich des noch nicht verteilten Betrages entfallen 
von den Zahlungen des ersten Jahres auf: 


Frankreich . . . . .. 00000 Ge 
Ensland., : ©, . 00 on e 
Italien. .. .......0.0000 20 ee N 
Belgien... 2, ea 00 x 
Serbien...) US SR ee 


Für Sachleistungen waren am 31. August 
im ganzen ausgegeben . . . . . . 420 Millionen 


Davon haben beansprucht: 


Kohle, Koks und ihre 


Nebenprodukte . . 217.20 Millionen 
Transportkosten 

0 A # 
Chemische Dünge- 

Imsttel: 0 0 ee u 


Farbstoffe und phar- 
mazeutische Waren 26.20 R 


Verschiedene Liefe- 


rungen. . » 2, 00 RS 
Die Einfuhrabgabe (Reparation Reco- 

very Act) hat erfordert. . . . . . 180 Millionen 
wovon für England . . 155 Millionen 
für Frankreich . . . . 23 “ 


Aus den Ziffern der Ergebnisse des ersten Reparationsjahres 
lernen wir manches: 

Sachleistungen und Einfuhrabgabe haben zusammen fast den 
gesamten Betrag der Annuität erreicht, der nach Abzug der 
bevorrechteten Forderungen zur Verteilung blieb. Eine Ueber- 


359 





weisung von baren Geldern hat sich daher im ersten Jahre so gut 
wie ganz erübrigt, | | 

Die Pflichtlieferungen aus dem Vertrage von Versailles an 
Kohlen, Farbstoffen und Düngemitteln stellen bei weitem den 
größten Teil der Sachleistungen dar. | 

Im sogenannten freien Verkehr sind sonstige Waren aus 
Deutschland nur in der verhältnismäßig geringen Höhe von 
18,40 Millionen geliefert und davon hat Serbien mit 30 Millionen 
den Hauptanteil erhalten, der große Gläubiger Frankreich nur 
20 Millionen Goldmark. 











TEILV 


DER AUSBLICK AUF DAS ZIEL 











ZWEIUNDDREISSIGSTES KAPITEL 
DAS TRANSFERPROBLEM 


Die Leistungen Deutschlands für die Reparation sind durch 
den Dawesplan genau begrenzt. Die normale Annuität von 
2” Milliarden Goldmark kann sich vom 1. September 1929 an bei 
einer Besserung der deutschen Wirtschaft nach dem Schlüssel des 
Index erhöhen. Nach etwa sechsunddreißig Jahren fällt durch die 
Tilgung der Eisenbahn- und Industrieschuld ein erheblicher Teil 
der Annuität in Höhe von 960 Millionen Goldmark hinweg. Was 
dann mit dem Rest der Annuität geschehen soll, darüber sagt der 
Dawesplan nichts. Soweit also die deutsche Leistung in Betracht 
kommt, könnte das Reparationsproblem auf absehbare Zeit als 
gelöst gelten. Denn Deutschland erfüllt seine Pflicht damit, daß 
es die jeweils fälligen Beträge in seiner eigenen Währung, der 
Reichsmark, in die Kasse des Generalagenten einzahlt, 


Die Frage ist nur, ob Deutschland in der Lage sein wird, jahr- 
aus, jahrein die von ihm verlangten Zahlungen aufzubringen. Nach 
den Ergebnissen des ersten Reparationsjahres wird man sagen 
müssen, daß Aussicht dafür vorhanden ist, wenn die allgemeinen 
Verhältnisse in Deutschland und in der Welt sich in Ruhe weiter- 
entwickeln. Eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür ist, daß 
die neue deutsche Währung stabil bleibt, daß also die Reichsmark 
nicht eine Entwertung erleidet, welche etwa die Reparationslast 
des Haushalts und der Wirtschaft erheblich erschweren könnte. 
Dafür zu sorgen, ist die erste Aufgabe der Reichsbank. Zugleich 
muß aber auch das Transferkomitee darüber wachen, daß durch 
den Reparationsdienst die deutsche Währung nicht gefährdet wird. 


363 





“ Re 





Das erste Reparationsjahr gibt in dieser Hinsicht noch keinen 
Anlaß zu Befürchtungen. Durch eine energische und vorsichtige 
Diskont- und Kreditpolitik und dank der Reparationsanleihe 
steht die Reichsbank heute stark da. Nach ihrem Ausweis vom 
31. August verfügte sie über einen Bestand an Gold in Höhe von 
1138 Millionen Reichsmark. Das bedeutet gegenüber dem Tief- 
punkte des Goldbestandes der alten Reichsbank von 444 Millionen 
im Jahre 1923 einen Zuwachs von 694 Millionen Reichsmark. Seit 
der Errichtung der neuen Reichsbank am 11. Oktober 1924 ist der 
Goldbestand um 543 Millionen Reichsmark gewachsen. Daneben 
zeigt der Ausweis Devisen in Höhe von 357 Millionen Reichsmark, 
die zur weiteren Deckung der Reichsbanknoten dienen. Der ge- 
samte Umlauf von 2594 Millionen Reichsbanknoten war daher am 
31, August 1925 durch Gold allein mit 43.9 Prozent, durch Gold 
und Devisen zusammen mit 57.7 Prozent gedeckt. 


Die Reichsmark hat seit anderthalb Jahren in ihrer inter- 
nationalen Bewertung so gut wie gar nicht mehr geschwankt. Sie 
ist zur Zeit mit der Goldmark vollkommen identisch. 


Auch der Reichshaushalt befindet sich am Schlusse des ersten 
Reparationsjahres in günstiger Lage. Das Gleichgewicht zwischen 
Ausgaben und Einnahmen ist erhalten geblieben. Mehr als das: 
das Reich erzielte schon in dem am 31. März 1925 abgelaufenen 
Rechnungsjahre — das freilich noch immer nicht abgeschlossen 
ist — gegenüber dem Voranschlag einen Ueberschuß, so daß eine 
Reihe von Verpflichtungen nach innen und außen befriedigt 
werden konnte, Das neue Rechnungsjahr verläuft bisher ähnlich. 
Die ersten fünf Monate des Haushalts bis zum 31. August 1925 
zeigen gegenüber dem Voranschlag von 2669 Millionen Reichs- 
mark einen Mehreingang an Steuern und sonstigen Einnahmen 
von insgesamt 392 Millionen Reichsmark, das heißt von etwa 
15 Prozent. Allerdings war dieses Ergebnis nur dadurch möglich, 
daß die Wirtschaft mit Steuern in einem Maße und in einer Weise 
belastet wurde, die auf die Dauer nicht zu tragen sind. Bis zu 
einem gewissen Grade hat die notwendige Steuerreform bereits 
begonnen. Sie muß fortgesetzt werden und dann erst wird sich 
zeigen, ob die eigenen Bedürfnisse des Reichshaushalts aus den 


> 


364 








Einnahmen gedeckt werden können, welche nicht für die Rep: 
ration verpfändet sind. 


Von dieser Frage hängt es im wesentlichen ab, ob Deutschland 
auf die Dauer imstande sein wird, den Verpflichtungen unter dem 
Dawesplan nachzukommen. Das aber ist, wie die Sachverständigen 
selber in ihrem Plane ausgeführt haben, nur die eine Seite der 
Reparation. Es kommt nicht nur darauf an, daß Deutschland seine 
Last in Reichsmark trägt und zahlt. Für die Alliierten ist vor 
allem wichtig, die deutsche Zahlung so zu erhalten, daß es ihnen 
möglich ist, sie für ihre Zwecke zu verwerten, Dazu ist nötig, daß 
die in der Reparationskasse ruhenden Reichsmark entweder zur 
Bezahlung deutscher Leistungen an die Gläubigerländer benutzt 
oder in eine fremde Währung übertragen werden, Soweit auf 
diesen beiden Wegen der Reparationsfonds keine Verwendung 
findet, bleiben die Gelder in ihm liegen und häufen sich nach und 
nach an. Das verschafft zwar der deutschen Wirtschaft billiges 
Geld, muß aber schließlich zu schweren Unzuträglichkeiten führen. 
Die Alliierten werden es nicht in Ruhe ansehen, daß die Reichs- 
mark im Reparationstopf die Höchstgrenze von 5 Milliarden Gold- 
mark erreichen. Sie werden noch größere Schwierigkeiten machen, 
wenn etwa — wie der Dawesplan es vorsieht — die deutsche 


 Jahresleistung so weit herabgesetzt werden soll, wie es nötig ist, 


um die 5 Milliarden des Reichsmarkfonds nicht weiter an- 
schwellen zu lassen, | 


Sie werden vielmehr alle Mittel versuchen, zu ihrem Gelde zu 
kommen. Es gehört nicht viel Phantasie oder Menschenkenntnis 
dazu, sich auszumalen, was für Streitigkeiten dann zwischen den 
einzelnen Alliierten, in der Reparationskommission und innerhalb 
des Transferkomitees entstehen werden. Vor allem wird Deutsch- 
land darunter zu leiden haben. Man wird seiner Regierung oder 
bestimmten deutschen Wirtschaftsgruppen vorwerfen, daß sie dem 
Transfer Hindernisse bereiten. | 

Dieses sogenannte Transferproblem ist das große Rätsel, über 
das sich Berufene und Unberufene seit geraumer Zeit den Kopf 
zerbrechen, Der Dawesplan hat die Aufgabe, die Uebertragung der 
Reparationsgelder durchzuführen, in die Hände des Transter- 


365 





komitees gelegt. Es besteht nur aus Vertretern der Gläubiger- 
staaten. Deutschland ist dabei nicht beteiligt. Daher ist es aus- 
schließlich Sache der Gläubiger, alle für den Transfer erforder- 
lichen Maßnahmen zu treffen, Die deutsche Regierung und die 
Reichsbank sollen aber die Arbeit des Komitees nach Kräften 
erleichtern und dürfen nichts tun, was die Möglichkeiten des 
Transfer beeinträchtigen könnte, 


Der Dawesplan sagt selber, daß es nötig sein wird, die Repa- 
rationsgelder in den ersten zwei Jahren fast ausschließlich in 
Deutschland wieder auszugeben, So lange käme also der Transfer 
von Geld, d, h, die Umwandlung von Reichsmark in fremde 
Währung grundsätzlich nicht in Betracht. Von dieser Regel ist 
natürlich zunächst der Dienst der Reparationsanleihe ausge- 
nommen, Für ihn müssen die nötigen Devisen ohne Rücksicht auf 
die deutsche Währung beschafft werden. 


Ferner sind mäßige Beträge für Verwaltungsausgaben — etwa 
30 Millionen Goldmark — in fremder Währung aus der Repa- 
rationskasse zu bestreiten, Abgesehen davon ist es die Politik 
des Generalagenten und des Transferkomitees, in den ersten zwei 
Jahren alle Ausgaben aus der Reparationskasse in Reichsmark 
und innerhalb Deutschlands zu machen, Gegen diesen Grundsatz 
arbeiten jedoch die englischen und französischen Maßnahmen aus 
den Reparation Recovery Acts — den Einfuhrabgaben auf deutsche 
Waren. Damit werden der deutschen Wirtschaft jährlich einige 
hundert Millionen Goldmark in Devisen entzogen, die der deutsche 
Ausfuhrhandel über die Reichsbank oder direkt an die Regierungen 
der beiden Länder abführt, um den Gegenwert in Reichsmark aus 
der Reparationskasse wiederzuerhalten, Die Wirkung ist genau 
die gleiche, als ob das Transferkomitee selber mit seinen Reichs- 
mark die Devisen im freien Markte ankaufte, Wir haben also doch 
schon jetzt damit zu rechnen, daß für die Zwecke der Anleihe, 
der Verwaltung und der Einfuhrabgaben mindestens 300 Millionen 
Goldmark jährlich in fremde Währung übertragen werden. 

Im dritten Reparationsjahre, wo die Annuität 1200 Millionen 
Goldmark beträgt, wird die Transferfrage nicht wesentlich anders 
liegen als jetzt. Erst im vierten Jahre, also in zwei Jahren von 


366 


%* 











heute ab, wird das Programm wirklich ernsthaft werden. Die 
Schwierigkeiten werden noch wachsen, wenn vom 1. September 
1928 ab die volle Annuität von 2500 Millionen Goldmark zu 
zahlen ist. Man macht sich das Problem am besten an Zahlen 
klar. Heute werden, wie gesagt, unter dem Dawesplan rund 300 
Millionen Goldmark transferiert, Dazu kommen etwa 400 bis 
300 Millionen Goldmark für Sachleistungen. Die Besatzungskosten, 
Kommissionen usw, erfordern weitere rund 200 Millionen Gold- 
mark. Damit ist über die erste Annuität von 1000 Millionen ver- 
fügt, Nehmen wir einmal an, diese Posten bleiben, wie sie sind. 
Dann würden von der vollen Annuität von 2500 Millionen für den 
eigentlichen Transfer, d, h, für den Ankauf von Devisen gegen 
Reichsmark noch 1500 Millionen Goldmark jährlich in der Repa- 
rationskasse übrig sein. Wenn man erwägt, daß die jährliche 
Zahlung Englands zur Verzinsung und Tilgung seiner Schuld an 
die Vereinigten Staaten nur 500 Millionen Goldmark ausmacht, 
aber doch schon eine schwere Belastung für Budget und Währung 
darstellt, so erscheint die Frage, ob das ungleich ärmere Deutsch- 
land imstande sein wird, neben den Reparationsleistungen, die es 
schon heute ausführt, später jährlich dreimal so viel wie England 
an seine Gläubiger in fremdem Gelde zu überweisen, in einem 
recht ernsten Licht. 

Viele hervorragende Kenner der Volkswirtschaft sind der 
Ansicht, daß die Uebertragung der deutschen Reparationsschuld 
in diesem Ausmaß nicht möglich sein wird, und daß bei einem 
ernsthaften Versuche des Transferkomitees, derartig hohe Be- 
träge fremder Währung durch Markverkäufe anzuschaffen, die 
deutsche Währung wiederum zusammenbrechen müßte, Diese 
Stimmen kommen nicht nur aus Deutschland und den an der 
Reparation unbeteiligten Ländern, sondern in immer größerer 
Zahl auch aus den Gläubigerländern, mit Einschluß der Ver- 
einigten Staaten. Mehr und mehr setzt sich in der ganzen Welt 
die Ueberzeugung durch, daß letzten Endes jedes Land Zahlungen 
an das Ausland, für die es keine Gegenleistung erhält, nur aus 
dem Ueberschusse seiner Produktion leisten kann, das heißt nur 
in Höhe des Betrages, den es in Waren oder Leistungen in das 


367 





Ausland absetzen kann, nachdem der notwendige Bedarf des In- 
landes befriedigt ist. Will man die Möglichkeiten solcher Ueber- 
schüsse abschätzen, so darf man sich freilich nicht auf die reinen 
Zahlen der offiziellen Handelsstatistik beschränken, Man muß 
vielmehr die Begriffe Einfuhr und Ausfuhr in ihrem weitesten 
Sinne auffassen und in die Handelsbilanz alle Posten einstellen, 
die in Zahlen nicht ohne weiteres zu greifen sind, wie inter- 
nationaler Frachtverkehr, Reiseverkehr, Einkünfte aus Anlagen im 
Ausland usw. 


Nur durch Ausfuhr deutscher Güter oder durch Leistung 
deutscher Dienste ins Ausland werden deutsche Guthaben im 
Ausland geschaffen. Nur so werden Devisen verfügbar, die für 
die Umwandlung der Reichsmark des Reparationsfonds in fremde 
Währung in Betracht kommen, Die Devisen dürfen dazu aber nur 
insoweit benutzt werden, als sie nicht zur Bezahlung des wich- 
tigsten deutschen Einfuhrbedarfs nötig sind. Der Ankauf von 
Devisen für die Reparation ohne Rücksicht auf den deutschen 
 Einfuhrbedarf muß, wie die Geschichte der Reparation deutlich 
zeigt, die deutsche Währung gefährden und schließlich verwüsten. 
Das alles haben die Verfasser des Dawesplanes klar erkannt und 
deshalb haben sie dem Transferkomitee auch vorgeschrieben, daß 
es bei seiner Tätigkeit in erster Linie darauf achten muß, daß die 
deutsche Währung stabil bleibt. Es ist nun interessant, festzu- 
stellen, daß diese Erkenntnis jetzt auch in den alliierten Ländern 
überall’ da, wo von dem Transfer gesprochen oder geschrieben 
wird, als oberster Grundsatz gilt. Systematisch wird mit dem Irr- 
glauben aufgeräumt, daß der Dawesplan durch die Festsetzung der 
deutschen Annuität die ganze Reparation geregelt habe, und daß 
die Umwandlung von Reichsmark in die Währung der alliierten 
Länder nur eine Sache bankmäßiger Technik sei. Es wird dabei 
stark betont, daß der Dawesplan die Transferfrage absichtlich 
olfengelassen und nur die Maschinerie dazu in Gestalt der 
Organisation für die technische Durchführung des Transfer ge- 
schaffen habe, 


Wie sehr das Transferproblem zur Zeit das allgemeine Interesse 
im internationalen Geschäftsleben anzieht, läßt sich am besten 


368 


x 














daran erkennen, daß es den Hauptgegenstand in der Tagung der 
Internationalen Handelskammer vom 21. bis 27, Juni 1925 in 
Brüssel gebildet hat. Die Gründung dieser Organisation wurde im 
Jahre 1919 auf einer Wirtschaftskonferenz der amerikanischen 
Handelskammer in Atlantic City beschlossen, Sie hatte zunächst 
einen rein alliierten Anstrich. Nach und nach sind ihr jedoch die 
Handelskammern fast aller wichtigen Länder beigetreten. Ihr 
Zweck ist, den internationalen Handelsverkehr zu erleichtern, den 
Fortschritt und die Aufrechterhaltung des Friedens zu fördern. 
und freundschaftliche Beziehungen zwischen den Völkern zu 
sichern. Sie hält alle zwei Jahre Kongresse ab. Bekannt ist vor 
allem der Kongreß in Rom vom März 1923, wo Beschlüsse über 
den Wiederaufbau der Welt, über Reparation und interalliierte 
Schulden gefaßt wurden. Im Anschluß daran errichtete die 
Handelskammer ein „Komitee für den wirtschaftlichen Wieder- 
aufbau“ unter dem Vorsitz des amerikanischen Bankpräsidenten 
Fred J. Kent. Nach der Annahme des Dawesplanes wurde das. 
Komitee erweitert. Zu ihm gehören auch Mitglieder der Komitees 
von Dawes und Mc Kenna: Mario Alberti, Alberto Pirelli, Henry 
M. Robinson, Sir Josiah Stamp, Owen D. Young. Das Komitee 
wandte sein Hauptinteresse der Erforschung des Transferproblems 
zu. Es beauftragte Sir Josiah Stamp, Alberto Pirelli und Graf 
Andre Chalendar, den Transfergedanken eingehend zu studieren 
und dabei besonders die Frage zu berücksichtigen, ob die Repa- 
ration dazu benutzt werden könne, wirtschaftliche Unternehmungen 
großen Stils durchzuführen. Der Bericht von Stamp, Pirelli und 
Chalendar wurde der Konferenz der Internationalen Handels- 
kammer in Brüssel unter dem Titel „Reparationszahlungen und 
künftiger internationaler Handel“ vorgelegt. Er zerfällt in einen 
ersten allgemeinen Teil, der von allen drei Berichterstattern unter- 
zeichnet ist, und in einen besonderen Teil, der nur die Unter- 
schrift von Stamp trägt. Diese Zweiteilung rührt davon her, daß 
es bei dem großen Rätsel des Transfer wohl möglich ist, sich über 
allgemeine Thesen zu einigen, daß aber die Meinungen sofort aus- 
einandergehen, sobald es sich um bestimmte Vorschläge für die 


Durchführung des Transfer handelt. Solche Vorschläge hat Stamp 


Bergmann, Der Weg der Reparation 24 369 


in dem besonderen Teile des Berichts gemacht und im einzelnen 
begründet. 


An dem Transferproblem fesselt die Aufmerksamkeit des Aus- 
landes vor allem die Frage, welche Rückwirkung es auf die Wirt- 
schaftsordnung der Welt haben müßte, wenn Deutschland seine 
Ausfuhr soweit ausbreitet, daß aus ihr die zur Uebertragung der 
2* Milliarden Goldmark nötigen Devisen gewonnen werden 
können, Schon jetzt, wo die deutsche Handelsbilanz, im weitesten 
Sinne genommen, noch passiv ist und die Zahlung von Devisen 
aus dem Reparationsfonds auf einen mäßigen Betrag beschränkt 
bleibt, wird die deutsche Energie bei der Konkurrenz auf den 
Weltmärkten allgemein gefürchtet, Wird aber erst einmal der 
Transfer von Reparationsgeldern in großem Umfange nötig, dann 
muß die Ausfuhr Deutschlands sich in einer Weise entfalten, der 
die großen Industriestaaten der Welt nur mit schwerer Sorge ent- 
gegensehen. Nun sind aber gerade diese Staaten zugleich die 
Hauptgläubiger Deutschlands aus der Reparation. Wenn sie den 
Transfer sichern wollen, so müssen sie die deutsche Ausfuhr be- 
günstigen. Tun sie das aber, so handeln sie gegen die Interessen 
ihrer eigenen Ausfuhrindustrien. Dies Dilemma ist es, was der Be- 
handlung der Transferfrage im Ausland eine besondere Note gibt. 


Wir haben uns daher mit folgender Fragenkette zu be- 
schäftigen: Wie läßt sich die deutsche Erzeugung steigern, damit 
aus ihr die für den Transfer der Annuität von 2% Milliarden 
Goldmark nötigen Devisen zu gewinnen sind? 


Welche Widerstände würde ein so stark gesteigerter Absatz 
deutscher Güter und Leistungen in der Welt finden? 


Wie sind solche Schwierigkeiten zu überwinden oder zu ver- 
meiden? 

Das sind die gleichen Fragen, die schon die deutschen 
Sachverständigen in ihrem Gutachten über die wirtschaftlichen 
Wirkungen der Pariser Beschlüsse vom 29, Januar 1921 eingehend 
erörtert hatten. Damals handelte es sich freilich um jährliche 
Reparationslasten bis zu 6 Milliarden Goldmark, wozu noch 


370 








12 Prozent der deutschen Ausfuhr kamen, und da lautete die 
Antwort ganz einfach: „Unmöglich!” 


Aber von den Zahlen ganz abgesehen, haben die wirtschaft- 
lichen Grundsätze, zu denen sich die Sachverständigen im Früh- 
jahr 1921 bekannten, auch für den Dawesplan ihre Bedeutung 
behalten. 


Für die Brüsseler Tagung der Internationalen Handelskammer 
hat Sir Josiah Stamp die Beantwortung der genannten Fragen 
unternommen. In seiner scharfsinnigen und tiefgründigen Weise 
stellt er ganz im Einklang mit dem früheren Urteil der deutschen 
Sachverständigen fest, daß der Transfer nur geringe Aussichten 
hat, wenn man von den Zahlen des deutschen Handels vor dem 
Kriege ausgeht und dazu noch die wirtschaftlichen Verluste 
Deutschlands im Kriege und nach dem Kriege in Betracht zieht, 
Stamp lehnt jedoch diese Grundlage als ungeeignet ab, Er ver- 
sucht nachzuweisen, daß der deutschen Ausfuhr jetzt eine größere 
Entwicklung offensteht, weil die Verhältnisse ganz anders ge- 
worden sind. Dafür zählt er eine Reihe von Gründen auf: 


1. Der Wert des Goldes ist um 60 Prozent gesunken. Die 
Zahlung von 2% Milliarden Goldmark erfordert in Zukunft eine 
entsprechend geringere Leistung, weil bei den stark gestiegenen 
Preisen viel weniger Waren dazu gehören, einen Wert von 
2”* Milliarden darzustellen, als vor dem Kriege, 


2, Der Ausbau der deutschen Industrieanlagen, vor allem der 
Wasserkräfte, macht es Deutschland möglich, viel mehr zu pro- 


. duzieren als früher. 


3. Die wirtschaftlich wenig produktive Kriegsindustrie ist in 
Deutschland zum großen Teil weggefallen. Es kann mit den so 
freigewordenen Kräften neue Werte für die Ausfuhr schaffen, 


4. Die deutschen Arbeitskräfte haben durch den Wegfall der 
bei der Markentwertung ruinierten Rentnerklasse einen großen 
Zuwachs gewonnen, 


5. Deutschland besitzt auch jetzt noch im Ausland Eigentum 
und Guthaben, deren Erträge dem Transfer zugute kommen. 


er 371 


6. Eine wichtige Erwerbsquelle liegt darin, daß die deutsche 
Industrie ihre technische und wirtschaftliche Erfahrung durch 
Leistungen und Patentabgaben im Ausland verwerten wird. 


7. Endlich gibt schon die Tatsache der großen Verschuldung ins 
Ausland einen kräftigen Antrieb dahin, daß Deutschland selbst 
alle Mittel in Bewegung setzt, die Schuld abzutragen. Kapital, das 
unter anderen Verhältnissen im Inland angelegt werden würde, 
geht so ins Ausland und schafft daselbst neue deutsche Guthaben. 


Trotz alledem kommt auch Stamp zu dem Schluß, daß die Aus- 
breitung der deutschen Ausfuhr von Waren und Leistungen auf 
normalem Wege wahrscheinlich nicht dazu ausreichen wird, den 
Transfer der gesamten 2% Milliarden des Dawesplanes zu sichern. 
Denn dem Absatz deutscher Werte im Ausland sind natürliche 
Grenzen gesetzt. Selbst wenn es Deutschland gelänge, seine Pro- 
duktion so zu steigern, wie es nötig wäre, um einen Ueberschuß 
von 2% Milliarden zu erzielen, würde es nicht möglich sein, ihn 
zu verwerten. Das liege in der Eigenart der deutschen Ausfuhr 
begründet. Sie bestehe in der Hauptsache nicht aus Waren, die 
alle Welt braucht und glatt zu stetigen Preisen aufnimmt, wie 
Weizen und Vieh, sondern aus industriellen Fertigwaren, deren 
Markt beschränkt ist und deren Massenangebot sofort die Preise 
drücken und bald gar keine Nachfrage mehr finden würde. Damit 
würde aber der deutsche Handel schwer geschädigt und der ge- 
samte Weltmarkt in Verwirrung gebracht. Alle Länder, die mit 
Deutschland in der Ausfuhr von Fertigwaren wetteifern, würden 
sich im Interesse ihrer eigenen Industrie dagegen wehren, daß die 
deutsche Ausfuhr hemmungslos ausgreife, ohne Rücksicht auf die 
bestehende Ordnung in den verschiedenen Absatzgebieten der 
Welt zu nehmen. 

Die Richtigkeit dieser Erwägungen leuchtet ohne weiteres ein. 
Je mehr sich die deutsche Ausfuhr entwickelt, um so größere 
Widerstände wird sie im Auslande finden. Der Kampf, den die 
französische Industrie von jeher gegen die Lieferung deutscher 
Waren nach Frankreich auf Reparationskonto geführt hat, wird 
sich in der ganzen Welt in weit größerem Maßstabe wiederholen. 


Schon jetzt sind die meisten Länder, an ihrer Spitze die Ver- 


372 


* 








einigten Staaten von Amerika, sorgsam darauf bedacht, ihre eigene 
Industrie durch hohe Schutzzölle gegen die Unterbietung aus 
Ländern mit billigeren Arbeitskräften zu schützen. Eine solche 
Handelspolitik ist aber, wenn sie zum allgemeinen System erhoben 
wird, der ärgste Feind der Reparation, weil sie es Deutschland 


. von vornherein unmöglich macht, durch Hebung seiner Ausfuhr 


die für den Transfer nötigen Devisen zu erwerben. 


In einer viel beachteten Ansprache an den Brüsseler Kongreß 
hat Stamp dieses Thema noch eindringlicher behandelt und 
folgende Lehren daraus gezogen: 


„Jeder Staat, dem daran liegt, im allgemeinen Interesse des 
Landes Reparation einzuzieben und damit die Steuerlast des 
Landes zu erleichtern, handelt verkehrt, wenn er zu gleicher Zeit 
versucht, die Grenzen gegen die Einfuhr von Waren aus dem 
Schuldnerland durch Schutzzölle und sonstige Schranken abzu- 
schließen. Das Interesse des ganzen Volkes an der Reparation 
ist nun einmal im Widerstreit mit dem Einzelinteresse der 
Industrien, die sich von der fremden Konkurrenz beeinträchtigt 
fühlen. Der Schuldner hat keine Wahl. Er kann seine Schuld nur 
durch den Ertrag seiner Ausfuhr begleichen. Je größer die Schuld, 
desto mehr muß er die Ausfuhr steigern. In dem Maße, wie seine 
Waren vom Weltmarkt ausgeschlossen werden, sinkt seine Fähig- 
keit, die Schuld zu bezahlen. Daher muß der Gläubiger zwischen 
zwei Dingen wählen. Entweder muß er seine Industrie schützen 
und auf Reparation verzichten, oder er muß, wenn er Reparation 
haben will, die Bedenken seiner Industrien zurückstellen.” 

Bei der Warnung allein läßt es Stamp nicht bewenden. Weil 
die Konkurrenz auf den Weltmärkten die deutsche Ausfuhr und 
damit die Reparation bedroht, suchte er nach Mitteln, der Kon- 
kurrenz aus dem Wege zu gehen. Er lehrt: 


„Wenn der Strom der Waren aus Deutschland durch die alten 


“Kanäle fließt, die für ganz andere Verhältnisse bestimmt waren, 


wird er sie überfluten und zerstören. Man muß daher für den 
Abfluß der deutschen Waren neue Kanäle schaffen und für die 
Verwendung der deutschen Arbeit im Ausland neue Wege finden. 
Das ist nur möglich bei internationaler Zusammenarbeit nach einem 


373 


bestimmten Programm. Es kommt nicht darauf an, neuen Bedarf 
für Gebrauchsgüter zu finden, um unmittelbaren Bedürfnissen zu 
genügen, sondern es soll Nachfrage nach solchen deutschenGütern 
und Leistungen entstehen, die dauernde Kapitalwerte schaffen 


In den Berichten für die Brüsseler Konferenz der Inter- 
nationalen Handelskammer sind folgende vier Methoden dafür 
angegeben, wie der Reparationsfonds an die Gläubiger überwiesen 
werden kann: 


1. Ausbreitung der deutschen Ausfuhr auf den allgemeinen 
Weltmärkten in der hergebrachten Weise ohne besondere Organi- 
sation oder Mitarbeit der Gläubigerländer. Das sei der ideale und 
wünschenswerte Weg, der direkte Geldzahlungen für die Repa- 
ration möglich macht. 


2. Abkommen zwischen den einzelnen Gläubigerländern und 
Deutschland über Sachleistungen. } 


3. Internationale Zusammenarbeit bei großen Unternehmungen 
von öffentlichem Interesse, 


4. Verkauf von Eisenbahn-, Industrie- und sonstigen deutschen 
Schuldverschreibungen auf den internationalen Märkten und Kauf 
von deutschen Werten zu dauernder Anlage in Deutschland durch 
nichtalliierte Privatpersonen, Das biete den Vorteil, daß sogleich 
ein Teil des Kapitals der Reparationsschuld überwiesen und 
getilgt werden könne. Allerdings führten derartige Anlagen in 
deutschen Werten eine neue Verschuldung Deutschlands herbei, 
die wiederum verzinst und getilgt werden müsse, Aber die daraus 
entstehende Last verteile sich auf viele Jahre und könne später 
übertragen werden, wenn die Reparationsschuld nicht mehr so 
stark wie jetzt auf Deutschland drücke. 


An dieser Aufstellung ist neu die Methode zu 3, die Lehre von 
den sogenannten Assisted Schemes. Sie soll die deutsche Ausfuhr 
und die deutsche Arbeit nach solchen Gebieten ableiten, wo sie 
keiner Konkurrenz begegnen und alliierten Interessen nicht 
schädlich sind. Dieser Gedanke ist in der letzten Zeit besonders 
in Amerika auf fruchtbaren Boden gefallen, Stamp hat ihn in 


374. 


* 





seinem Bericht an den Kongreß von Brüssel genauer untersucht. 
Er stellt sich die Sache so vor: 


In neutralen Ländern, die noch wenig entwickelt sind, oder in 
Kolonien der alliierten Länder sollen mit Hilfe von Reparations- 
geldern große Unternehmungen durchgeführt werden, wie Eisen- 
bahn- und Hafenbauten, Wasserkraftanlagen, Stromregulierungen 
usw., die auf andere Weise nicht oder nicht so bald zustande- 
kommen könnten. Vorbedingung soll dabei sein, daß das Land, 
dessen Entwicklung die geplanten Anlagen dienen, selbst 60 oder 
70 Prozent des dazu nötigen Kapitals beschafft, und daß nur die 
verbleibenden 40 oder 30 Prozent vom Ausland kommen. In 
solchen Fällen würde die alliierte Regierung, welche ein Interesse 
an dem Unternehmen hat — zum Beispiel England — ihre zur Zeit 
nicht anders verwendbaren Markguthaben in der Reparations- 
kasse dazu benutzen, deutsche Waren und deutsche Arbeit für 
das Unternehmen heranzuziehen und mit Reichsmark zu bezahlen. 
In Höhe dieser Leistungen würde dann das alliierte Land einen 
angemessenen Anteil an dem Kapital des neuen Unternehmens 
erhalten; Dieser Anteil könnte später veräußert werden, wenn 
das Unternehmen die entsprechenden Gewinne abwirft. 


Das etwa ist in kurzen Zügen der Grundgedanke der Assisted 
Schemes. Es hat gewiß etwas Verlockendes, sich auszumalen, wie 
mit Hilfe der Reparation weite Landstriche der Welt, die heute 
noch öde und unfruchtbar daliegen, wirtschaftlich aufgeschlossen 
werden, Es ist auch wohl möglich, daß sich eine solche Gelegen- 
heit von Zeit zu Zeit bietet, wenn alle dazu nötigen Voraus- 
setzungen vorliegen. Daß dies aber ein Programm werden soll, 
um einen erheblichen Teil der Reparationsschuld abzutragen, ist 
doch wohl nur ein Traum und nicht einmal immer ein schöner 
Traum, Erweisen sich derart große Unternehmen nach eingehen- 
der Prüfung als wirtschaftlich gesund und in der Zukunft rentabel, 
so nimmt sie in der Regel der interessierte Staat in die Hand und 
finanziert sie durch Ausgabe eigener Anleihen, oder es findet sich 
das Privatkapital bereit, sie selbständig durchzuführen, Bestehen 
aber an der Ertragsfähigkeit der Unternehmen ernstliche Zweifel, 
so wird in den meisten Fällen ein Zuschuß von 30 oder 40 Prozent 


375. 


der Anlagekosten durch Reparationsgelder auch nicht genügen, 
die Ausführung des Unternehmens zu ermöglichen. Es kommt 
dabei weniger darauf an, das Kapital für den Bau der Anlage 
selbst zusammenzubringen, als Sicherheit dafür zu haben, daß 
sich der Betrieb des Unternehmens lohnt. Und wenn das nicht 
nachzuweisen ist, werden die 60 oder 70 Prozent des Kapitals, 
die von dem interessierten Lande selber aufzubringen sind, ebenso. 
wenig bereitstehen, als wenn das Land die gesamten Kosten selber 
bestreiten müßte, Kommt aber trotzdem das Unternehmen zu- 
stande, so besteht die Gefahr, daß die Zuschüsse von beiden 
Seiten verloren gehen. Dann nützt das Unternehmen weder dem 


eigenen Lande noch den Staaten, welche einen Teil ihrer Repa- 


rationsforderungen dazu hergeben wollen, Man vergleicht die 
Förderung solcher Kulturpläne durch die Reparation ganz richtig 
mit der Anzucht von Pflanzen im Treibhaus. Hier und da muß 
man sich davor hüten, durch übermäßige Zufuhr von Wärme 


und Nährstoffen ein zu schnelles und ungesundes Wachstum zu 
erzielen, | 


Aber auch das deutsche Interesse kann in solchen F ragen nicht 
außer acht bleiben, Es ist klar, daß die deutschen Waren und die 
deutsche Arbeit, die herangezogen werden sollen, nur im Wege der 
freien Vereinbarung und niemals durch Zwang zu gewinnen sind, 
In den Fällen, wo sich deutscher Unternehmungsgeist für große 
Anlagen im Ausland einsetzt,.wird es ihm weniger darauf an- 
kommen, Waren zu verkaufen oder Arbeiten gegen Bezahlung 
auszuführen, als vielmehr darauf, sich dauernd an den Unter- 
nehmen zu beteiligen. Diese Möglichkeit ist bei den Assisted 
Schemes grundsätzlich ausgeschlossen, Die deutsche Leistung wird 
mit der Bezahlung aus Reparationsgeldern abgelohnt. Der Gewinn, 
den sie dem Unternehmen bringt, fällt einem alliierten Staate zu. 
Auf diese Weise läßt sich die deutsche Mitwirkung bei solchen 
Plänen nicht systematisch heranziehen, Freilich können die Um- 
stände so liegen, daß ein größeres deutsches Interesse an einem 
solchen Unternehmen nicht besteht. Aber das werden immer nur 
vereinzelte Fälle sein. Ein allgemeines Schema zur Anwendung 
im großen Stile kann man daraus nicht machen, 


376 








Aehnliche Bedenken sind auch im Schoße des Wiederauf- 
baukomitees der Internationalen Handelskammer laut geworden. 
Pirelli hat bei den Assisted Schemes ausdrücklich den Vorbehalt 
gemacht, daß er bezweifele, daß die deutsche Ausfuhr durch künst- 
liche Mittel in großem Maßstabe und auf praktische und nützliche 
Weise angeregt werden könne, Das Wiederaufbaukomitee selber 
hat zwar auch die Methode der Assisted Schemes für möglich er- 
klärt, aber hinzugefügt, daß der Gedanke noch gründlicher Prüfung 
bedürfe, und daß das letzte Wort darüber jetzt noch nicht ge- 
sprochen werden könne, 


Der Bericht von Stamp, Pirelli und Chalendar empfahl, eine 
ständige Organisation für das Studium der Assisted Schemes zu 
schaffen. Der Vorschlag ist aber von dem Komitee nicht weiter 
verfolgt worden. 


Der Kongreß der Handelskammer hat schließlich in Brüssel 
in bezug auf die Transferfrage keine bestimmte Stellung ein- 
genommen, sondern nur eine Resolution ganz allgemeiner Art ge- 
faßt, die besagt: | 

„Die Transferfrage bietet offensichtlich große Schwierigkeiten, 
die nur durch wirtschaftliche Erfahrung und beständiges Studium 
der Ereignisse überwunden werden können. Es ist wenig wahr- 
scheinlich, daß das Problem durch irgendwelche bestimmte Mittel 
gelöst werden kann, sondern der Erfolg wird wahrscheinlich nur 
auf verschiedenen Wegen zu erreichen sein. Das ist Aufgabe des 
Transferkomitees. Es muß dabei von allen Regierungen und von 
den geschäftlichen Verbänden der Welt unterstützt werden. Die 
Internationale Handelskammer verpflichtet sich zu solcher Mit- 
wirkung.‘ 

Auch der Generalagent Gilbert hat vor der Konferenz in Brüssel 
über die Transferfrage gesprochen. Nach seiner Ansicht ist die 
Zeit noch nicht reif, sich auf bestimmte Theorien festzulegen. 
Es würde töricht sein, wenn irgend jemand jetzt versuchen wollte, 
vorauszusagen, welcher Betrag einmal nach drei oder vier Jahren 
an die Reparationsgläubiger überwiesen werden kann. Natürlich 
müsse man sich klar darüber sein, daß Schwierigkeiten entstehen 
können, aber das biete keinen Anlaß zur Mutlosigkeit oder zu 


377 


düsterer Voraussage, Es gelte vielmehr, durch verständige Zu- 
sammenarbeit die Schwierigkeiten zu überwinden, Es sei ein gutes 
Zeichen, daß die Welt die Art und den Umfang des Problems 


so zeitig erkenne, 


Den von Stamp und anderen vorgetragenen Schwierigkeiten 
hat Gilbert die Momente entgegengehalten, welche die Lösung 
des Problems wesentlich erleichtern können. 


In erster Linie glaubt er an die natürlichen Kräfte der wirt- 
schaftlichen Entwicklung. Sie würden, wenn man nicht zu viel 
künstliche Experimente damit mache, schon in den nächsten 
Jahren einen Erfolg bringen können, der alles übertrifft, was man 
zurzeit für möglich hält, Das zeige sich schon daran, was diese 
Kräfte seit Ende des Krieges für die Wiederherstellung der Welt 
getan haben, 

Ferner müßten die Sachlieferungen erst einmal voll erprobt 
werden. Bisher hätten sie sich nicht entwickeln können, weil sie 
in den Gläubigerstaaten aus Konkurrenzbedenken Widerstand 
fanden und besonders weil vor dem Dawesplan in allen Repa- 
rationssachen Unordnung und Stillstand herrschten, Gewisse An- 
zeichen für eine Ausbreitung der Sachleistungen seien schon vor- 
handen. 

Man müsse sich weiter auch auf die Kräfte verlassen, welche 
die Tätigkeit des Transferkomitees in Bewegung setze, das die 
weitesten Vollmachten für seine Arbeit habe. Dazu komme, daß 
der Dawesplan nicht starr, sondern elastisch sei, Er könne dem 
Wechsel der Verhältnisse angepaßt werden, da für die Auslegung 
seiner Vorschriften ein Schiedsgerichtsverfahren vorgesehen sei. 
Was nach Gilbert am meisten nottut, ist allgemeine Aufklärung 
der Welt über die Eigenart des Reparationsproblems. Darin sieht 
er den Hauptwert der Mitarbeit der Internationalen Handels- 
kammer. Er fordert aber als materielle Unterlage eine zuver- 
lässige Statistik über die Wirtschaftslage und rechtzeitige und 
vollständige Angaben über den Haushalt, mit denen zum Beispiel 
Deutschland noch stark im Rückstande sei. 


Das gespannte Interesse, dem das Transferproblem in der 
ganzen Welt begegnet, gilt nicht der Reparation allein, Es richtet 


378: 





sich in den alliierten Ländern, die untereinander und vor allem 
an die Vereinigten Staaten verschuldet sind, mit mindestens der 
gleichen Stärke auf die Behandlung der interalliierten Schulden. 
Denn im Grunde steht es mit ihnen ebenso wie mit der Reparation, 
Ihre Zahlung ist ebenfalls nur insoweit möglich, als das Schuldner- 
land den Ueberschuß seiner Produktion an den Gläubigerstaat ab- 
führen kann. Da nun alle diese Länder Reparationsforderungen an 
Deutschland besitzen, schließlich aber alle interalliierten Schulden 
bei den Vereinigten Staaten als dem großen Gläubiger der ganzen 
Welt zusammenlaufen, so wird die Transferfrage dazu benutzt, 
Reparation und interalliierte Schulden miteinander zu verquicken, 
Der Zweck ist durchsichtig: 


Das Schicksal der Forderungen an die Alliierten soll von der 
Zahlung der Reparation abhängig gemacht werden. 


Die Vereinigten Staaten — auf sie kommt es vor allem an — 
sollen nur in dem Maße von ihren alliierten Schuldnern bezahlt 
werden, wie diese wiederum Zahlungen unter dem Dawesplan er- 
halten, Oder aber — das ist noch einfacher — die Schulden und 
die Reparation werden so weit wie möglich gegeneinander aus- 
geglichen, und die Vereinigten Staaten werden an Stelle der 
Alliierten direkt der Hauptgläubiger Deutschlands aus der 
Reparation, 


Das ist schon seit mehreren Jahren, seitdem es alliierte Repa- 
rationspläne gibt, der Standpunkt vor allem von Frankreich und 
Italien gewesen. Die Vereinigten Staaten haben sich aus nahe- 
liegenden Gründen entschieden geweigert, darauf einzugehen. 
Auch heute noch lehnt die öffentliche Meinung in Amerika diesen 
Gedankengang ab. Aber wenn man auch der Meinung ist, daß die 
interalliierten Schulden unabhängig von der Reparation geregelt 
werden können, so haben doch unstreitig die wirtschaftlichen 
Grundsätze, welche der Dawesplan für die Reparation ausspricht, 
dieselbe Geltung für die Begleichung der interalliierten Schulden. 
Ein bekannter französischer Journalist hat dies witzig so aus- 
gedrückt, daß der Transfer — ein neu entdeckter Bazillus im 
Körper Deutschlands — auch im Organismus der alliierten Länder 
zu finden sein müsse, wenn sie ihre Schulden aus dem Kriege 


379 


bezahlen wollten. Auch hier müsse das Prinzip der Zahlung im 
eigenen Lande und in der eigenen Währung gelten. In dem schon 
erwähnten Bericht von Stamp, Pirelli und Chalendar wird gesagt, 
bei einer allgemeinen Schuldenregelung zwischen den Staaten 
werde es so kommen, daß alle Zahlungen von Deutschland an die 
Alliierten dazu dienen, die Schulden dieser Alliierten an andere 
Alliierte oder an die Vereinigten Staaten zu begleichen. Da die 
Vereinigten Staaten letzten Endes die Gläubiger aller alliierten 
Staaten seien, so bildeten letztere nur Durchgangsstellen zwischen 
Deutschland und den Vereinigten Staaten. Die Reparation könne 
daher in der Hauptsache direkt von Deutschland nach Ameriba 
gezahlt werden, und damit werde das T ransierproblem zu einer 
deutsch-amerikanischen Angelegenheit. 

Die Resolution des Brüsseler Kongresses spricht sich auch zu 
diesem Punkte vorsichtiger und allgemeiner aus: 

„Die grundlegenden Erwägungen, die sich auf das Transfer- 
problem beziehen, gelten mit gleicher Kraft auch in Anwendung 
auf die interalliierten Schulden. Versuche, übermäßige Beträge 
zur Tilgung von Schulden zu transferieren, müssen notwendig den 
Haushalt und die Währung des Schuldnerlandes antasten und 
seine finanziellen Verhältnisse stören. Gegen solche Schwierig- 
keiten ist besondere Vorkehr zu treffen. Die inneren und äußeren 
wirtschaftlichen Verhältnisse der betroffenen Länder sind ge- 
bührend zu beachten.” 


380 





DREIUNDDREISSIGSTES KAPITEL 
EIN WEG ZUR LÖSUNG 


Der Streit der Ansichten über die Möglichkeiten des Transfer 
wird noch lange Zeit weitergehen. Den zahlreichen Stimmen im 
Ausland und im Inland, die da sagen, Deutschland werde seiner- 
zeit die volle Annuität von 2% Milliarden Goldmark an seine 
Gläubiger überweisen können, werden auch fernerhin viele ernste 
Vertreter der Wissenschaft und der Praxis mit guten Gründen 
entgegnen, daß dies ganz unmöglich sei. 





Die Tagung der Internationalen Handelskammer in Brüssel hat 
uns in der Erkenntnis der praktischen Möglichkeiten für den 
Transfer nicht viel weiter gebracht. Das Wort des Dawesplanes, 
daß in dieser Frage nur die Erfahrung Lehrmeister sein kann, 
wird seine Wahrheit behalten. Es hat keinen Zweck, von vorn- 
herein ein bestimmtes System aufzubauen, in das man die Mög- 
lichkeiten des Transfer einordnet. Daß die Internationale Handels- 
kammer die Transferfrage ebenfalls in diesem Sinne weiter be- 
handeln will, ist zu begrüßen. Ihre Arbeiten werden jetzt noch 
mehr Nutzen bringen können, weil Deutschland letzthin der 
Handelskammer beigetreten ist und nunmehr auch deutsche Ver- 
treter in dem Komitee für den wirtschaftlichen Wiederaufbau mit- 
wirken können, Denn die Transferfrage ist für Deutschland genau 
so lebenswichtig wie für die Alliierten, und eine verständnisvolle 
deutsche Mitarbeit ist bei jedem Mittel nötig, das in bezug auf 
den Transfer Erfolg versprechen soll. 

Diese Tätigkeit der internationalen Wirtschaftskreise muß im 
engsten Anschluß an das Transferkomitee vor sich gehen. Ihm 


381 





steht nach dem Gesetz die Verantwortung und die Initiative zu. 
Es kann ja auch bei seiner täglichen Beschäftigung mit der 
Reparationsfrage die meisten praktischen Erfahrungen sammeln 
und verwerten, 


Wenn es hiernach heute noch nicht möglich ist und in der 
nächsten Zeit ebensowenig möglich sein wird, ein Urteil darüber 
abzugeben, wie der Transfer sich gestalten wird und welche Be- 
träge man für die Reparation aus Deutschland herausziehen kann, 
so gibt uns doch die gründliche wissenschaftliche Vorarbeit, die 
Stamp und andere geleistet haben, wertvolle Anhaltspunkte. Wir 
können heute schon zu den einzelnen Methoden, die in Brüssel 
für die Hebung der deutschen Ausfuhr genannt worden sind, 
folgendes sagen: 

Mit künstlichen Mitteln, etwa durch das systematische Auf- 
spüren von neuen Äbsatzgebieten für deutsche Ware und deutsche 
Arbeit, ist die deutsche Ausfuhr nicht wesentlich zu heben. Die 
Industrie eines Landes und der Welthandel lassen sich nicht in 
bestimmte Bahnen leiten, auch wenn noch so viel kluge und er- 
fahrene Leute für diesen Zweck zusammenarbeiten. Das gilt in 
erster Reihe von der Methode der Assisted Schemes. 


Es besteht aber auch keine große Aussicht dafür, daß die 
deutsche Ausfuhr sich auf natürliche Weise jemals so weit ent- 
falten wird, um Ueberschüsse zu liefern, die auch nur annähernd 
der Annuität von 2% Milliarden gleichkämen. Die Welt ist beim 
normalen Verlauf der Dinge nur in beschränktem Maße und inner- 
halb bestimmter Zahlengrenzen zur Aufnahme von deutschen 
Waren fähig. Länder, die bisher ein großes Absatzgebiet für die 
deutsche Industrie waren, machen sich, je länger je mehr, durch 
eigene Produktion selbständig. Der Wettbewerb zwischen den 
großen Ausfuhrländern wird immer stärker. Trotz aller wohl- 
gemeinten Warnungen der Wirtschafter werden sich die Gläubiger- 
länder nicht davon abhalten lassen, ihre Industrien durch Zoll- 
tarife und Sperrmaßnahmen gegen Unterbietung von außen zu 
schützen, 

Auffallend ist, daß bei den neueren Untersuchungen über den 
Transfer meist nur davon gesprochen wird, wie die deutsche Aus- 


382 








fuhr gehoben werden kann, um einen Ueberschuß der Produktion 
zu schaffen. Es wird nicht genügend betont, daß ein Ueberschuß 
auch durch Beschränkung der Einfuhr zu erzielen ist. 


In dem wiederholt erwähnten Gutachten über die deutsche 
Wirtschaftslage, das die deutschen Sachverständigen für die 
Londoner Konferenz vom März 1921 erstattet hatten, war schon 
darauf hingewiesen, daß durch Ersparnisse in der deutschen Ein- 
fuhr die Handelsbilanz erheblich gebessert werden könne, Natür- 
lich ist richtig, daß Deutschland die Einfuhr wichtiger Rohstoffe 
im bisherigen Ausmaß und vielleicht noch darüber hinaus nicht 
entbehren kann. Wohl aber wäre es denkbar, die Einfuhr von 
Lebensmitteln durch die Hebung der eigenen landwirtschaftlichen 
Produktion wesentlich zu beschränken, Noch sind weite Moor- 
strecken in Deutschland fruchtbar zu machen, die heute völlig 
brach liegen. Der Landbau kann noch viel intensiver und ertrag- 
reicher betrieben werden. Für die Einführung arbeitsparender 
Maschinen und für den Ersatz von Zugtieren durch Motoren 
bietet die deutsche Landwirtschaft noch ein weites Feld, Stick- 
stoff, das wichtigste Düngemittel, wird in Deutschland schon jetzt 
in solchen Mengen künstlich erzeugt, daß er den eigenen Bedarf 
des Landes deckt und in steigendem Maße die Ausfuhr gestattet. 
Das Ziel, Deutschland in bezug auf die Ernährung von der Ein- 
fuhr unabhängig zu machen, ist nicht unerreichbar, abgesehen 
vielleicht von der Versorgung mit Fleisch. Jedenfalls wäre es wohl 
möglich, auf diese Weise eine Besserung der deutschen Handels- 
bilanz um mehrere hundert Millionen Goldmark herbeizuführen. 


Auf den Aufschwung der Sachleistungen wird man keine großen 
Hoffnungen für den Transfer setzen dürfen. Wir haben schon 
mehrfach über die Gründe gesprochen, welche die Sachleistungen 
bisher in verhältnismäßig engen Grenzen gehalten haben. Diese 
Hemmungen liegen in der Natur der Sache und sind nicht zu be- 
seitigen, 

Die Lieferung von Kohlen an die Alliierten ist von dem Höchst- 
punkt von 2 Millionen Tonnen monatlich, den sie im Jahre 1920 
erreichte, ständig gefallen. Sie betrug im Sommer 1925 im Monats- 
durchschnitt nur wenig mehr als 1 Million Tonnen. In einem ge- 


383 


wissen Umfange — Koks nach Frankreich und Kohle nach Italien 
— werden diese Reparationslieferungen noch eine Zeitlang be- 
stehen bleiben, aber sie werden sicherlich nicht mehr wachsen. Die 
F arbenlieferungen, zu denen Deutschland verpflichtet ist, nehmen 
am 15. August 1928 ein Ende. Künstliche Düngemittel werden auf 
Reparationskonto nur so lange geliefert werden als Deutschland 
in ihrer Herstellung einen Vorsprung hat. Der Wiederaufbau der 


Ländern wehren werden. 


Gegen diese inneren Widerstände hilft keine noch so lose 
Form des Verfahrens bei Sachleistungen, Der freie Handelsver- 


auf Reparationskonto durch deutsche Unternehmer wird in den 
alliierten Ländern immer wieder auf Schwierigkeiten der gleichen 
Art stoßen, In einzelnen F ällen werden solche Arbeiten zustande- 
kommen. Großartige Pläne aber, wie sie seinerzeit der franzö- 
sische Arbeitsminister Le Trocquer für Wasserbauten in Frank- 
reich auf Reparationsrechnung entworfen hat, werden sich wohl 
nie verwirklichen lassen. 


Nach alledem scheint es in der Tat, daß weder die Ausfuhr 
von deutschen Waren noch die Verwendung deutscher Arbeit im 
Auslande sich jemals so steigern lassen wird, daß die ständige 
Uebertragung der gesamten deutschen J ahreszahlungen unter dem 


Dawesplan an die Gläubigerländer damit gewährleistet werden 


allgemeinere Anwendung der Einfuhrabgabe auf die deutschen 
Waren (Reparation Recovery Act) dazu dienen werde, sehr viel 


384 








größere Transfermöglichkeiten als jetzt zu eröffnen, Denn diese 
Abgabe beeinträchtigt ihrer Natur nach die deutsche Ausfuhr, 
auch wenn sie in noch so leichten F ormen erhoben wird, Deshalb 
kann sie zwar den einzelnen Gläubigerstaaten im Augenblick als 
direkter Zugriff auf die deutsche Ausfuhr willkommen sein, sie 
wird sich aber auf die Dauer als reparationsfeindlich erweisen, 
weil sie der Hebung der deutschen Produktion hindernd im 
Wege steht. 

Als letzter Weg für die Durchführung des Transfer war der 
Konferenz in Brüssel der Verkauf von deutschen Schuldver- 


ganz anderer Art als alle die Mittel, von denen wir bisher ge- 
sprochen haben, Ihre Anwendbarkeit und ihr Erfolg hängen 
nicht unmittelbar von der deutschen Produktion an Waren und 
Leistungen ab, sondern gründen sich auf den deutschen Kredit 
und auf das Maß des Vertrauens, das man im Ausland und 
im Inland auf den allgemeinen Fortschritt der deutschen Wirt- 
schaft setzt, 


Das ist der altgewohnte Weg der Anleihe, Er eignet sich 
seinem Wesen nach weniger dazu, die jährlich wiederkehrenden 
Reparationsleistungen Deutschlands unter dem Dawesplan in das 
Ausland zu überweisen, sondern ist recht eigentlich dazu be- 
stimmt, das Kapital der Reparationsschuld selbst in großen Posten 
durch Zahlung des Anleiheerlöses an die Reparationsgläubiger 
zu tilgen. Der Zweck dabei ist, die politische Schuld Deutschlands 
an die Siegerstaaten in eine Schuld an private Gläubiger umzu- 
wandeln, um die Reparation schnell durchzuführen. Es gilt also, 
das anlagesuchende Kapital des Auslandes und den deutschen 
Besitz an Guthaben in fremder Währung für deutsche Reparations- 
anleihen zu interessieren, Der Erfolg wird um so größer sein, je 
mehr das allgemeine Vertrauen in die Sicherheit der politischen 
und wirtschaftlichen Verhältnisse Deutschlands zunimmt, 

Dieses Ziel hat schon den Verfassern des Vertrages von 
Versailles vorgeschwebt; es findet sich wieder in dem Londoner 
Ultimatum vom 5, Mai 1921, und es bildet das Rückgrat eines 
jeden deutschen Angebots für die Reparation. Nach allen diesen 


Bergmann, Der Weg der Reparation 25 385 


Plänen sollte die deutsche Schuld im Wege der Aufnahme von 
Anleihen abgetragen werden, 


Auch der Dawesplan hat sich die Anleihe-Idee zu eigen ge- 
macht, aber nur für einen Teil der Reparationsschuld, nämlich 
nur insoweit, als sie auf der Reichsbahn und auf der deutschen 
Industrie lastet. Weiter zu gehen und für die gesamte Reparations- 
schuld die Ausgabe von Anleihen vorzusehen, war dem Dawes- 
plan nicht möglich. Er hätte dann ja die Höhe der gesamten 
Reparationsschuld festsetzen müssen, was, wie wir wissen, nicht 
seine Aufgabe sein durfte, Er hat sich notgedrungen darauf be- 
schränken müssen, das Endziel der Reparation, die Gesamt- 
anleihe, sozusagen verhüllt und verschämt anzudeuten. 


Die Jahresleistungen können aber erst dann in eine Kapitalschuld 
umgewandelt werden, wenn sich die Alliierten dazu entschlossen 
haben, die seit dem Londoner Zahlungsplan vom 5. Mai 1921 noch 
immer unveränderte Reparationsschuld endgültig mit einem ver- 
nünftigen Gesamtbetrage festzusetzen. Dazu muß es im Interesse 
der beiden Seiten über kurz oder lang kommen, Die Alliierten 
wollen ja doch die Reparation, das heißt den Ersatz ihrer Kriegs- 
schäden, Je früher sie den Ersatz bekommen, um so besser für ihre 
Finanzen und für ihre Wirtschaft. Von den deutschen Jahres- 
leistungen unter dem Dawesplan haben sie verhältnismäßig wenig. 
Sie sind zwar für Deutschland eine gewaltige Last, aber für die 
einzelnen Alliierten in ihren finanziellen Nöten nur Tropfen auf 
einen heißen Stein. Sie können den Schaden nur sehr langsam 
wieder gutmachen. Der Dawesplan hat sie als einen Notbehelf ein- 
geführt, um für eine gewisse Uebergangszeit geordnete Verhältnisse 
in der Welt wiederherzustellen. Aber schließlich hat die Reparation 
nur dann einen Zweck, wenn sie in absehbarer Zeit geschieht so- 
lange die Schäden und die Folgen der Schäden noch bestehen. 
Diese verschwinden von Jahr zu Jahr immer mehr. Die Reparation 
wird widersinnig, wenn sie in der Hauptsache erst zu einer Zeit 
erfolgt, wo keine Schäden mehr zu ersetzen sind. Die Zahlungen 
Deutschlands an die Alliierten verlieren auch rein rechnerisch 
von Jahr zu Jahr mehr an Wert. Was zum Beispiel nach dreißig 
Jahren gezahlt wird, stellt heute nur einen geringen Bruchteil des 


386 








Betrages dar, über den die Leistung lautet. Alles drängt im 
Interesse der Alliierten dahin, die Zeit der Reparationszahlungen 
Deutschlands möglichst kurz zu bemessen und die ständigen 
Jahresleistungen in eine feste, durch Anleihe zu tilgende Kapital- 
schuld zu verwandeln, 


Für Deutschland liegen die Dinge, wenn möglich, noch klarer, 
Es kann zu normalen wirtschaftlichen Verhältnissen erst dann 
kommen, wenn es genau weiß, was es im ganzen zu zahlen hat 
und wie lange es daran abzahlen muß. Erst wenn das deutsche 
Volk das weiß und überzeugt ist, daß die verlangte Leistung seine 
Zahlungsfähigkeit nicht übersteigt, wird es alle seine Kräfte an- 
spannen, sich der Reparationsschuld so schnell wie möglich zu 
entledigen und seine volle Selbständigkeit wieder zu gewinnen, 
Alles das klingt selbstverständlich und ist schon oft gesagt worden, 
kann aber nicht eindringlich genug wiederholt werden. Weshalb 
diese einfachen Gedanken bisher noch nicht in die Tat umgesetzt 
worden sind, wissen wir, Während der ganzen Dauer der Repa- 
rationsverhandlungen bis zur Annahme des Dawesplans haben 
stets politische Beweggründe die wirtschaftliche Einsicht über- 
schattet, Die Leiter der alliierten Mächte, die bei Ende des Welt- 
krieges ihren Völkern zunächst den Ersatz der gesamten unge- 
heuren Kriegskosten durch Deutschland versprochen hatten, haben 
sich bis zuletzt gescheut, durch entschlossenes Anpassen an die 
Wirklichkeit die von ihnen so lange genährten Illusionen über 
die deutsche Zahlungskraft zu zerstören, 


Wenn die Welt erst einmal so weit sein wird, die Reparations- 
frage nicht mehr politisch, sondern rein wirtschaftlich zu be- 
trachten, werden sich die Alliierten dazu entschließen müssen, 
die Reparationsschuld so festsetzen zu lassen, daß Deutschland 
in der Lage ist, den Gesamtbetrag im Wege der Anleihe zu mobili- 
sieren und regelmäßig Zinsen und Tilgung auf diese Anleihen in 
das Ausland zu zahlen. Die Reparationsschuld darf aber auch 
nicht höher bemessen werden als der Betrag an Anleihe, den das 
Kapital des Auslandes und Inlandes bereit ist in deutschen An- 
leihen anzulegen. Denn Anleihen, die keinen Käufer finden, nützen 


25% = 387 








den Alliierten nichts. Sie können immer nur ein politisches Aus- 
hängeschild ohne jeden wirtschaftlichen Zweck sein. 

Mit diesen Grundsätzen würden wir zu folgendem Ergebnis 
kommen: 

Die Reparationsschuld darf nicht größer sein als der Gesamt- 
betrag der Anleihen, die Deutschland in einem bestimmten Zeit- 
raum — etwa in zehn Jahren — zu angemessenen Bedingungen 
auf den Kapitalmärkten der Welt unterbringen kann. Den richtigen 
Maßstab dafür wird wiederum der Jahresbetrag geben, den nach 
dem Urteil des anlagesuchenden Kapitals Deutschland in das 
Ausland zu zahlen vermag. 

Die Möglichkeiten des Transfer sind heute noch ein voll- 
kommenes Rätsel, Aber die Erfahrungen der nächsten zwei Jahre 
werden uns viel lehren. Dann wird es an der Zeit sein, der Unge- 
wißheit über die Reparationsschuld durch einen Schiedsspruch ein 
Ende zu machen, Der Schiedsspruch müßte vom Transferkomitee 
des Dawesplanes ausgehen. Er müßte auf Grund der Erfahrungen 
mit dem Transfer ein für allemal den Höchstbetrag der Reparation 
festsetzen, den Deutschland im Wege der Anleihe binnen zehn 
Jahren abzutragen hat. Die Höhe und der Zeitpunkt einer jeden 
einzelnen Reparationsanleihe würden gleichfalls vom Transier- 
komitee je nach der Lage des Anleihemarktes zu bestimmen sein. 
Die Bedingungen der Anleihen wären jeweils zwischen Deutsch- 
land und dem Uebernahmekonsortium unter Aufsicht des Transter- 
komitees zu vereinbaren. 

Der Betrag der Höchstschuld, der innerhalb der Frist von zehn 
Jahren nicht durch Anleihe begeben werden kann, müßte ver- 
fallen, so daß nach Ablauf der zehn Jahre die deutsche Repa- 
rationsschuld unter allen Umständen als vollständig getilgt zu 
gelten haben würde. 

Eine derartige Lösung bietet mancherlei Vorteile. Sie beseitigt 
nach dreijähriger Durchführung des Dawesplanes in seiner jetzigen 
Gestalt den heutigen Schwebezustand, bei dem niemand weiß, 
wie groß die deutsche Schuld ist und wann sie getilgt sein wird. 
Da sie einen Höchstbetrag festsetzt, den Deutschland nach dem 
Urteil von Sachverständigen voraussichtlich ins Ausland zahlen 


388 





kann, wird für die Wiederkehr sicherer und normaler Zustände 
in der Welt der Boden geebnet. Deutschland gewinnt endlich eine 
genaue Uebersicht über seine Wirtschaft und seinen Haushalt. 
Die Reparationsgläubiger erhalten anstatt jährlicher Zahlungen 
in Reichsmark, mit deren Abführung ins eigene Land sie nicht 
bestimmt rechnen können, einen gesicherten Anspruch auf Be- 
friedigung aus dem Erlöse großer deutscher Anleihen, deren Aus- 
gabe sich nach der jeweiligen Lage der Anlagemärkte richtet. 
Das maßgebende Urteil darüber, wieviel von dem Höchstbetrag 
der Reparationsanleihen ausgegeben werden kann, behalten die 
Gläubigerstaaten dem Transferkomitee, das heißt sich selber vor. 


Diese Lösung würde endgültig, aber immer noch elastisch sein. 
Es darf auch keine starre Lösung geben. Denn niemand kann selbst 
nach einigen Jahren bestimmt vorhersagen, welchen Gesamtbetrag 
an deutschen Anleihen der Weltmarkt aufnehmen wird. Und 
ebensowenig ist die Frage zu beantworten, welche Zahlungen des 
Schuldners die Wirtschaft des Gläubigerlandes vertragen kann, 
ohne selbst ernstlichen Schaden zu nehmen. Man darf diese 
letztere Erwägung nicht mit einer billigen Phrase oder mit einem 
Achselzucken abtun. Zahlungen von Land zu Land, die viele 
Milliarden erreichen sollen, sind nicht mit gewöhnlichen Ge- 
schäften zu vergleichen, wo es niemandem schadet, wenn er seine 
Forderungen einkassiert. Gewiß wird das Gläubigerland sich der 
großen Zahlungen des Schuldners eine Weile erfreuen. Es kann 
mit ihrer Hilfe die Lage seines Haushalts bessern und seine 
Steuern ermäßigen. Aber auch das hat schließlich seine Grenze, 
Sie liegt da, wo es keinen Sinn mehr hat, die Steuern weiter herab- 
zusetzen, und wo der beständige Zustrom von Gold und Gold- 
werten zu einer allgemeinen Teuerung der gesamten Lebens- 
bedingungen im Lande führt. Damit entsteht die Gefahr, daß die 
Anspannung der eigenen Wirtschaft des Gläubigerlandes im 
Wettbewerb auf den Gütermärkten der Welt nachläßt und daß 
seine Tüchtigkeit hinter der des Schuldnerlandes zurückbleibt, 
das darauf angewiesen ist, alle Kräfte zu üben und frisch zu er- 
halten, um die Schuld abzuzahlen, 


Alle diese wirtschaftlichen und moralischen Momente werden 


389 





sich in der Zukunft auswirken, Sie können dahin führen, daß die 
Gläubigerstaaten ein wesentliches Interesse daran haben, ihre An- 
sprüche aus der Reparation nicht bis zum letzten auszunutzen. 


Das eben Gesagte gilt in gleicher Weise für die Zahlung der 
interalliierten Schulden. Nach und nach werden die alliierten 
Länder untereinander und jedes für sich mit den Vereinigten 
Staaten von Amerika nach dem Vorbild der bereits geschlossenen 
Verträge Einzelabkommen treffen, welche dazu bestimmt sind, 
die durch den Weltkrieg hervorgerufenen Schuldverhältnisse 
zwischen den verschiedenen Ländern zu regeln. Die wirtschaft- 
lichen Wirkungen dieser Abkommen sind heute nicht zu über- 
sehen. Ob sie in der ursprünglichen Form durchzuführen sein 
werden, ist fraglich. Vielleicht endet doch einmal alles in einem 
allgemeinen Ausgleich der Reparation mit den Schulden der 
Alliierten, so daß in der Hauptsache Amerika als Gläubiger und 
Deutschland als Schuldner übrig bleibt. Gerade im Hinblick auf 
solche unabsehbare Möglichkeiten müssen bei der endgültigen 
Festsetzung der Reparationsschuld alle Türen offen stehen. 


Unter den Dawesplan fallen bekanntlich auch die Reparations- 
ansprüche der Vereinigten Staaten von Amerika an Deutschland 
aus dem besonderen Friedensvertrag vom 25. August 1921, Sie 
werden daher, wenn die Gesamtschuld durch Anleihe beglichen 
werden soll, gleichfalls im Anleihewege abzutragen sein. Da sie im 
Gegensatz zu den Forderungen der anderen Alliierten durch den 
Spruch des Gemischten Schiedsgerichts in Washington demnächst 
fest bestimmt werden und nur einen mäßigen Betrag erreichen, 
voraussichtlich nicht über 200 Millionen Dollar, wäre es sehr 
wünschenswert, daß die Anleihe hierfür — das Einverständnis der 
übrigen Gläubigerländer vorausgesetzt — bald begeben würde, 
ohne die endgültige Festsetzung der gesamten Reparationsschuld 
abzuwarten. Im Hinblick auf diese Lösung sollte sich der 
Kongreß der Vereinigten Staaten von Amerika alsbald dazu 
entschließen, das in den Vereinigten Staaten beschlagnahmte 
deutsche Eigentum sofort und bedingungslos freizugeben. Für 
die deutsche Wirtschaft mit ihrem heutigen Kapitalmangel 
bedeutet die Freigabe sehr viel, Amerika hat an der weiteren 


390 





Fesselung des deutschen Eigentums kein anderes Interesse, als 
daß es damit eine zusätzliche Sicherheit für die Befriedigung 
seiner Reparationsansprüche besitzt, obschon die im Dawesplan 
vorgesehenen Sicherheiten auch für Amerika ebenso wie für 
die anderen Gläubiger genügend sein sollten, 


An der Uebernahme der Reparationsanleihen wird sich Deutsch- 
land bei wachsendem Wohlstand selber immer mehr beteiligen. Es 
hat das größte Interesse daran, einen Teil der Anleihen im eigenen 
Lande unterzubringen und aus einer äußeren in eine innere Schuld 
zu verwandeln. Es kann dies natürlich nur in dem Maße tun, wie 
seiner Wirtschaft Guthaben im Auslande zur Verfügung stehen. 
Die Anlage solcher Guthaben in Reparationsanleihe erleichtert das 
Transferproblem und kommt auch der deutschen Wirtschaft zu- 
gute, weil Zinsen und Tilgung der Anleihe, die mit deutschen 
Mitteln gezeichnet wird, in Deutschland selber bleiben. Je mehr 
dies geschehen kann, um so schneller wird die deutsche Wirt- 
schaft zur völligen Gesundung zurückkehren. 


Was hier als endgültige Lösung der Reparationsfrage vorge- 
schlagen wird, deckt sich im wesentlichen mit früheren Angeboten 
Deutschlands an die Alliierten. Alle deutschen Vorschläge für die 
Reparation gründeten sich auf die Ausgabe von Anleihen zur Be- 
gleichung der Schuld. Auf der Londoner Konferenz vom März 1921 
bot die deutsche Regierung 30 Milliarden Goldmark an, wovon 
8 Milliarden sofort im Wege der Anleihe aufgebracht werden 
sollten. Das Angebot wurde als Verhöhnung des Versailler Ver- 
trages betrachtet; die Antwort darauf waren schwere Sanktionen 
wirtschaftlicher und militärischer Art. Vom Herbst 1922 ab ver- 
dichteten sich die deutschen Pläne für eine Gesamtlösung immer 
mehr zu dem Angebot von 30 Milliarden, die nach und nach durch 
Anleihen auf den Weltmärkten beschafft werden sollten. Ihre 
Ausgabe sollte nur durch die deutsche Zahlungskraft und durch 
die Aufnahmefähigkeit der Märkte für deutsche Werte bedingt 
sein, Diese Vorbehalte entsprechen im Wesen genau den Ein- 
schränkungen, die der Dawesplan durch seine Transfervorschriften 
für die deutschen Zahlungen vorgesehen hat. 


Der Weg zur endgültigen Lösung der Reparalionsfrage würde 


391 





demnach zu der Stellung zurückführen, die Deutschland lange vor 
der Besetzung der Ruhr eingenommen hat, und für die es so 
schwer hat büßen müssen. 


Das Ziel der Reparation wird wahrscheinlich in der Ver- 
schmelzung des Dawesplans mit den früheren deutschen Anleihe- 
angeboten bestehen. Für die Ausgabe der Reparationsanleihen 
werden die Sicherheiten, die der Dawesplan eingeführt hat, vor- 
treffliche Dienste leisten. Die erste Hypothek auf die Reichsbahn 
und auf die deutsche Industrie, die Zölle und die verpfändeten 
Steuern werden eine ausgezeichnete Garantie der Reparations- 
anleihe bilden, solange überhaupt noch besondere Sicherheiten 
für die Anleihen des Deutschen Reiches gefordert werden. 


Die äußerste Grenze für den Höchstbetrag der Reparations- 
schuld ist schon durch die Annuitäten des Dawesplanes gegeben. 
Man berechnet den heutigen Kapitalwert aller dieser Zahlungen 
auf 30 bis 40 Milliarden Goldmark, je nach der Höhe der Zinses- 
zinsen, die der Rechnung zugrunde liegen. In diesem Rahmen 
würde also nach dem Dawesplan die Kapitalschuld der Reparation 
liegen, vorausgesetzt, daß alle Annuitäten jeweils in voller Höhe 
an die Gläubiger überwiesen werden können, Bei der großen Un- 
sicherheit, die heute darüber besteht und die auch im Verlauf der 
Jahre nicht weichen wird, scheint es unerläßlich, in der end- 
gültigen Regelung, die wir uns nach etwa zwei weiteren Jahren 
denken, den Höchstbetrag der im Wege der Anleihe zu begeben- 
den Schuld erheblich niedriger als 30 Milliarden Mark zu setzen, 
wenn anders die Alliierten eine genügende Sicherheit dafür haben 
wollen, daß die Reparationsanleihen bis zur Höhe des Gesamt- 
betrages und ungefähr zu ihrem Nennwert begeben werden 
können. Ueberspannen sie ihre Gesamtforderung, so laufen sie 
Gefahr, daß schon die erste Anleihe nur schwer und mit Verlust 
unterzubringen ist. Ein Mißerfolg der ersten Anleihe aber würde 
das Ergebnis der folgenden Emissionen schwer beeinträchtigen. 


Der Dawesplan wird in seinen Grundzügen weiter bestehen und 
wirksam bleiben können, Nur werden die jährlichen Leistungen 
Deutschlands nach und nach ihren Charakter als direkte Zahlung 
an die Gläubigerstaaten verlieren, da sie in immer steigendem 


392 





Maße für den Dienst der einzelnen Anleihen Verwendung finden 
müssen, Grundsätzlich zu revidieren ist die Höhe der normalen 
Jahresleistung Deutschlands unter dem Dawesplan. Sie wird bei 
Feststellung der endgültigen Reparationsschuld nach dem Betrage 
zu bemessen sein, der für die Zinsen und die Tilgung der Gesamt- 
schuld erforderlich ist. Alle ziffernmäßigen F aktoren, die hierbei 
mitsprechen, sind heute unbekannt und erst durch die Erfahrung 
der nächsten Jahre zu ermitteln. Wie dies etwa geschehen kann, 
dafür gibt uns der Dawesplan einen Anhalt. Er hat die normale 
Jahresleistung der Reichsbahn für die Reparation auf660 Millionen, 
ihre Kapitalschuld auf 11 Milliarden Goldmark festgesetzt. Die 
Jahresleistung stellt 5 Prozent Zinsen und 1 Prozent jährliche 
Tilgung auf die Kapitalschuld dar, Diese Berechnung könnte ohne 
weiteres auf die Jahresleistung für die gesamte Reparationsschuld 
übertragen werden. Die so festgesetzte Annuität wäre nach den 
Bestimmungen des Dawesplanes weiter zu zahlen und zu ver- 
walten. Bei der Ausgabe einer jeden Reparationsanleihe würden 
für ihren Dienst 5 Prozent Zinsen und 1 Prozent Tilgung aus der 
Annuität entnommen werden. Solange die Kasse des Reparations- 
agenten nicht vollständig für den Anleihedienst in Anspruch ge- 
nommen wird, könnte sie noch Zahlungen für Besetzungskosten, 
Sachleistungen, Einfuhrabgaben (Reparation Recovery Act) usw. 
leisten. Aber alle diese Ausgaben werden sich im Laufe der Zeit 
von selbst verringern und schließlich ganz verschwinden, Sach- 
leistungen und Einfuhrabgaben haben für die Reparationsgläubiger 
nur so lange Wert, als diese auf jährliche Zahlungen angewiesen 
sind. Wenn erst der Erlös der Reparationsanleihen den Gläubiger- 
staaten zufließt, werden alle die Hilfsmittel entbehrlich, die heute 
noch dazu dienen müssen, die jährlichen Zahlungen Deutschlands 
in das Ausland zu überführen, 


Im klaren Lichte der wirtschaftlichen Erkenntnis, das seit dem 
Dawesplane den Weg der Reparation erhellt, zerrinnen die nebel- 
haften Gebilde, denen die vom Kriegstaumel noch befangene Welt 
so viele Jahre durch Leid und Not vergeblich nachgejagt ist. Der 
Sinn für die harte Wirklichkeit ist überall erstarkt, das Milliarden- 
fieber geschwunden, 


393 





Vom sicheren Horte des Dawesplanes aus erspähen wir nun 
im Dunste der Zukunft das langersehnte, schwer umkämpfte Ziel, 
Und siehe: es liegt auf dem Wege, den wir schon hinter uns haben, 
Viele des Weges Kundige wiesen es den Völkern, als sie in ihrer 
Verblendung daran vorübereilten. Aber ihre Rufe verhallten un- 
gehört in dem Getümmel, und die rasende Fahrt ging weiter durch 
Elend und Jammer. Jetzt endlich können wir, an Erfahrung reich, 
dem Ziele ruhigen und festen Schrittes zustreben. 


394 





BAKHREGELS:TER 


Abkommen: über den Waffenstillstand vom 11, 11. 1918 S, 18 
Finanzabkommen von Trier vom 13. 12, 1918 S, 19 
von Trier vom 16, 1. 1919 S, 19 
über das Ausgleichsverfahren vom 10. 6. 1921 S. 186 
Wiesbadener vom 6. und 7. 10, 1921 S, 51, 122 ff, 144 
Cuntze’Bemelmans vom 28, 2, 1922 und 2, 6. 1922 S. 125 
Gillet/Ruppel vom 15. 3, und 6., 9, Juni 1922 S, 126 
D’Abernon, Lord, Englischer Botschafter in Berlin S. 70, 79, 91, 9 
Acworth, Sir William, Englisches Mitglied des Verwaltungsrats der Deut- 
schen Reichsbahn-Gesellschaft S. 286, 317 
Agent für Reparationszahlungen S, 299, 309, 310, 325, 326, 342, 343 
Alberti, Mario, Italienisches Mitglied des zweiten Sachverständigenkomitees 
a Mo 
Alkoholabgabe S. 111, 239, 306 
Allix, Edgar, Französisches Mitglied des ersten Sachverständigenkomitees 
3.235, 317 
D’Amelio, Italienisches Mitglied der Reparationskommission S, 70, 160, 168 
Amerika, Friedensvertrag mit — vom 25. 8, 1921 S. 136, 295 
Ammoniaklieferungen S. 26, 35, 45, 116, 327, 345 
Anleihekomitee S. 165 ff., 182, 192 
Assisted Schemes S. 374 ff,, 382 
Aufbauvertretung Paris S. 117, 120 
Ausfuhrabgabe S. 81, 85, 92, 93, 102#f., 111, 112, 121, 132, 148, 245 
Ausgleichsverfahren S. 30, 32, 71, 131, 186, 208, 294, 356 
Baldwin, Englischer. Premierminister S. 242, 271 
Balfour, Lord, S. 188 
Bank für Deutsche Industrieobligationen, S. 319, 334, 336 
Bank von England, S. 132, 341 
Bar le Duc, Rede Poincares in — S. 188 
Barnich, Georg, Direktor des belgischen Solvay-Instituts S. 288 
Barthou, Louis, Vorsitzender der Reparationskommission, S. 159, 192, 
204, 236 
Belgische Kriegsschulden, S. 99, 355 
Belgische Markguthaben, S. 80 
Belgische Nationalbank, S. 18 


395 








Belgische Priorität, S. 65, 142, 183, 356 

Belgische Studien, S, 241, 242, 244, 250, 287 

Bell, Henry, Englisches Mitglied des Transferkomitees, S. 343 

Bemelmans, Belgisches Mitglied der Reparationskommission, S. 125, 183 

Benzollieferungen, S, 26, 35, 45, 116, 125 

Besatzungskosten, S. 24, 30, 32, 36, 52, 71, 79, 85, 99, 100, 142, 149, 153, 
185, 208, 209, 228, 294, 297, 393 

Besserungsschein, S. 57, 85, 86, 87, 98, 105, 291, 292 

Bianchini, Treuhänder für Industrieobligationen, S. 317. 

. Bonar Law, Englischer Premierminister, S, 196, 200, 201, 212, 242 

Boulogne, Plan von — S, 54, 73, 74 

Boyden, Roland W., Amerikanischer Beobachter in der Reparationskom- 
mission, S. 40, 274 

Bradbury, Lord, Englisches Mitglied der Reparationskommission, 5. 70, 
166, 180, 182, 191, 196, 202, 204, 206, 316 | 

Brand, Teilhaber der Firma Lazard Brothers & Co., London, S. 194, 195 

Branntweinsteuer, S. 86, 243 

Brest-Litowsk, Friede von — S$, 161 

Briand, Französischer Premier- und Außenminister, S. 80, 91, 93, 143, 147, 151 

‚Bruins (Holland), Kommissar für die Reichsbank, S. 343 

Buecher, Dr., Präsidialmitglied des Reichsverbandes der Deutschen In- 
dustrie, S. 289, 317 


Cannes, S. 145 ff,, 152, 156 

Cassel, Gustav, Schwedischer Professor der Volkswirtschaft, S. 192, 195 
Chalendar, Andre, Graf, S, 369, 377, 380 

Cheysson, Französischer Sachverständiger für Reparationsfragen, S, 70. 
Clearing s. Ausgleichsverfahren 

Clemenceau, G., Französischer Ministerpräsident, S. 18, 20, 34, 38, 48 
Coordinating Board, S. 310 

Cuno, Dr., Reichskanzler, S. 199 ff,, 225, 229, 234, 239, 241, 254 
Cuntze, Dr., Reichskommissar für Reparationslieferungen, S. 125 
Curzon, Lord, Englischer Außenminister, S. 91, 237, 247, 249, 250 


Davis, Norman, Amerikanischer Delegierter zur Konferenz von Versailles, 
Ss, 19 

Dawes, Charles G., Vorsitzender des ersten Sachverständigenkomitees, 
S. 275, 369 

Dawesplan, S, 43, 69, 84, 99, 100, 187, 269 ff, 

Devisenbeschaffungsstelle, S. 351 

Delacroix, Leon, Belgischer Ministerpräsident a. D,, Belgischer 1. Dele- 
gierter der Reparationskommission, Treuhänder für die Eisenbahn- 
obligationen, S, 61, 70, 160, 168, 172, 183, 197, 236, 273, 316, 343 

Dordogne, S. 127 | 

Doumer, Französischer Finanzminister, S. 80 

Dubois, Leopold, Präsident des Schweizer Bankvereins, S. 194, 195, 197 

Dubois, Louis, Vorsitzender der Reparationskommission, S. 55, 172, 178 


Eisenbahn s, Reichsbahn 
Eisenbahnregie, französisch-belgische, S. 228, 285, 323, 327 


396 





Entwaffnung, S, 61, 79, 143 
Essener Kohlenkommission, S. 63, 210 


Farbstofflieferungen, S, 27, 97, 100, 115, 116, 121, 208, 327, 346, 360, 384 

Federal Reserve Bank, New York. S. 130 

Fehrenbach, Reichskanzler, S. 60, 61 

Finanzabkommen von Trier vom 13, 12. 1918, S, 19 

Finanzkonferenz von Brüssel vom 24. 9, — 8, 10. 1920, S. 66, 67 

Finanzkonferenz von Paris 14, 1. 1925, S, 100 

Fischer, David, Staatssekretär im Reichsfinanzministerium, S, 273 

Flora, Federico, Italienisches Mitglied des ersten Sachverständigenkomitees, 
S. 275 

Foch, Französischer Marschall, S, 56, 93, 210 

a E,, Belgisches Mitglied des ersten Sachverständigenkomitees, 
219 

Friedenskonferenz, S, 22, 34 

Garantiekomitee, S, 202,103, 111,:112..198 148, 149, 152, 154 165 177, 180 

Gemischte Schiedsgerichte, S, 31, 33,.186,.:209%: 294 

Generalrat der Reichsbank, S, 332 

Genf, S. 65, 69, 74, 15,..82,: 83 

Genua, S. 146, 156ff,, 199 

Giannini, Italienischer Sachverständiger, S. 70 

Gilbert S. Parker, Agent für Reparationszahlungen S. 325, 343, 377, 378 

Gillet-Ruppel-Abkommen, S. 126 

Golddiskontbank, S. 307, 308 

Goldnotenbank, S. 281ff,, 297, 299, 301, 302, 307, 309, 317 

Hachenburg, Professor, S. 132 

Harding, Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, S. 98 

Havenstein, Reichsbankpräsident, S. 70, 133, 232 

Helfferich, Dr. Staatsminister a. D., S. 259, 261 

Hermes, Dr., Reichsfinanzminister a, D., S. 159, 165 if,, 199, 229, 232, 234, 
240, 259 ß 

Herriot, Französischer Ministerpräsident, S. 316, 321, 323 

Hilferding, Reichsminister, S. 255, 257 

Hitler, S. 255 

v. Hoesch, Dr., Deutscher Botschafter in Paris, S. 275 

Holzlieferungen, S. 117, 121, 180, 181, 203, 204, 219, 221 

Horne, Sir Robert, Englischer Finanzminister, S, 146 

Houghton, Alanson B., Amerikanischer Botschafter, S, 324 

Houtart, Maurice, Belgisches Mitglied des ersten Sachverständigenkomitees, 
S. 275 

Hue, Deutscher Bergarbeitervertreter und Abgeordneter, S. 62 

Hughes, Amerikanischer Staatssekretär, S, 238. 239; 271,324 

Hughes, Australischer Premierminister, S. 19 

Index, Wohlstands-, S, 79, 292 ff, 311 

Industriebank s. Bank für deutsche Industrieobligationen 

Industrieobligationen, S. 311, 318, 325 

Interalliierte Schulden, S. 160, 188, 189, 196, 206 

Änternationale Finanzkonferenz in Brüssel vom 24. 9,—8, 10, 1920, S. 66 


397 








Internationale Handelskammer, S, 369, 371, 374, 377, 378, 381 
Internationale Oberschlesische Abstimmungskommission, S. 47 
Internationaler Gerichtshof im Haag, S. 330 


Jannacone, Pasquale, Italienisches Mitglied des Transferkomitees, S, 343 

Janssen, Albert E, Belgisches Mitglied des zweiten Sachverständigen- 
komitees, Belgischer Finanzminister, S, 275, 343 

Japan, S.:. 28, 41,61, 70.88 

Jaspar, Belgischer Außenminister, S. 80, 197 

Jenks, Professor, Amerika, S., 195 

Jonnart, Präsident der Reparationskommission, S. 48 


Kalilieferungen, S., 121 
Kamenka, Präsident der Azow-Donbank, S. 195 
Kapitalflucht, S. 167, 200, 275, 278, 281, 314, 315 
Kapitalsteuer, S, 111 
Kapp-Putsch, S, 48 
Karlsruhe, Rede des Reichsministers Simons in —.S. 83, 90 
Kellogg, Botschafter der Vereinigten Staaten in London, später Ameri- 
kanischer Staatssekretär des Aeußern, S, 320, 324, 353 
Kent, Fred. J., Amerikanischer Bankpräsident, S. 369 
Kerr, Philipp, Kabinettschef von Lloyd George, S. 91 
Keynes, John Meynard, Professor, England, S. 130, 192, 195 
Kindersley, Sir Robert, Inhaber der Firma Lazard Brothers, London, Eng- 
lisches Mitglied des ersten Sachverständigenkomitees, S. 168, 170, 172, 
215, 317, 320 
Klotz, Französischer Finanzminister, °S. 21 
Kohlenlieferungen, S. 26, 35, 45ff., 59 ff, 67ff., 99, 100, 114, 116, 121, 143, 
180, 181, 208, 210, 218, 219, 221, 223, 226, 327, 360, 383 
Kohlenprotokoll vom 29, 8, 1919, S, 45 
Kohlenprotokoll vom 16. 7. 1920, S. 63, 
Kohlensteuern, S. 111, 210, 227, 265 
Kohlensyndikat, S. 47, 50, 210, 222 
Kohlentransporte, S. 50 
Kolonien, S. 28, 31, 59 
Konferenzen: San Remo, 19, bis 26. April 1920, S. 52 
Hythe, 15. Mai 1920 und 19, Juni 1920, S. 54 
Boulogne, 20. Juni 1920, S. 54 
Brüssel, 2. und 3. Juli 1920, S. 55 
Spa, 5. Juli 1920, S.50 ff.. 225 
Brüssel, Internationale Finanzkonferenz 24. September bis 
8. Oktober 1920, S. 66, 67 
Brüssel 16. Dezember 1920, S, 70, 120 
des Obersten Rats in Paris 24, bis 29, Januar 1921, S, 79 
London, 1. bis 7. März 1921, S.83, 88 if., 225 
Paris, Interalliierte Finanzkonferenz, 13. August 1921, S. 142 
Washington, Internationale Entwaffnungskonferenz, 12. Novem- 
ber 1921, S. 143 
Cannes, 6.—13, Januar 1922, S. 146 ff. 


398 








Konferenzen: Paris, Alliierte Finanzministerkonferenz, 8, bis 11, März 1922 
S. 153 
Genua, 10. April 1922, S. 158 £f, 
London, 7. August 1922, S. 178 
Paris, 2, bis 4. Januar 1923, S, 206 ff, 
London, 16. Juli bis 16. August 1924, S, 315 ff, 
Paris, Interalliierte Finanzkonferenz, 14, Januar 1925, S, 100 
Kontrollkommission, militärische, S, 100, 155 
Kriegslastenkommission, S, 40, 68 
Kriegsschuldfrage, S,61, 83, 90, 92 


Lansing, Amerikanischer Staatssekretär, S, 17 

Laurent-Atthalin, Andre, Französisches Mitglied des zweiten Sachverstän- 
digenkomitees, S. 275 

Lepreux, Belgischer Bankdirektor, S, 70 

Leverve, Gaston (Frankreich), Kommissar für die Reichsbahn, S, 286, 317, 343 

Leygues, Französischer Premierminister, S. 80 

Lloyd George, Englischer Premierminister, S. 18 £f,, 32, 63, 65, 69, 80, 82, 87, 
89, 91, 93, 134, 146, 147, 156, 158, 162, 178, 1°6, 225, 236 

Logan, James A., Amerikanischer Beobachter in der Reparationskommission, 
S. 40, 274, 320, 322, 324 

Londoner Zahlungsplan, S, 29, 95, 101 ff., 109, 111, 112, 116, 121, 123, 124, 132, 
135, 136, 138 ff, 143, 144, 152, 153, 168, 170, 172, 206, 229, 294, 299 

Loucheur, Französischer Minister, S.39, 40, 44, 45, 48, 80, 91, 92, 122, 
146, 236 

Lubersac, Marquis de, Präsident der französischen Genossenschaften für 
den Wiederaufbau, S. 126 

Ludendorff, S, 255 

Luebsen, Direktor des Kohlensyndikats, S, 47 

Luther, Dr., Reichskanzler, S. 257, 282, 323, 341 

Luxemburg, S.35, 46 


Macdonald, Englischer Premierminister, S. 319, 323 

Marx, Reichskanzler, S. 257, 323 

Mauclere, Französisches Mitglied der Reparationskommission, S, 111, 180 

Mayer, Dr., Deutscher Botschafter in Paris, S. 275 

Mc. Fadyean, Sir Andrew, Kommissar für die verpfändeten Einnahmen, S. 343 

Mc. Kenna, Reginald, Vorsitzender des zweiten Sachverständigen-Komitees, 
S. 275, 279, 282, 313, 369 

Melchior, Dr. Carl, Teilhaber des Bankhauses M.M. Warburg, Hamburg, S. 57 

Wer Dr. Hans, Oberregierungsrat, Deutsche Kriegslastenkommission, Paris, 

st3 

„Micum” Mission Interalliee de Contröle des Usines et des Mines, S, 258, 
264, 265, 267, 272, 285, 323, 326, 344 

Millerand, Präsident der Französischen Republik, S. 48, 61, 62, 64, 192, 218 

Morgan, J. P., Amerikanischer Bankier, S,. 139, 144, 168 ff., 172, 192, 197, 198, 
284, 341 

Mussolini, Italienischer Ministerpräsident, S, 197, 202, 211 

Newhaven, S. 238 

Nitti, Italienischer Ministerpräsident, S. 52 


399 














Nogara, Bernardino, Treuhänder für die Industrieobligationen, S, 343 
Nordfranzösische Kohlengruben, S. 26, 35, 44 


Oberschlesien, S.35, 47, 48, 69, 71, 79, 85, 112, 134 

Oberschlesische Abstimmungskommission, S. 47 

Oberster Rat der Alliierten, S.20, 21, 52, 56, 60, 62, 69, 79, 80#f., 101, 
145 if,, 158 

Organisationskomitee der Reparationskommission, S.40, 45 


Pariser Beschlüsse vom 29, Januar 1921, S. 76, 80, 82, 84, 88, 90, 121 

Pariser Finanzabkommen vom 14, Januar 1925, S. 353 

Parmentier, J., Französisches Mitglied des ersten Sachverständigenkomitees, 
Mitglied des Transferkomitees, S. 275, 343 

Perkins, Thomas N., (Boston), Amerikanisches Mitglied der Reparations- 
kommission für die Durchführung des Dawes-Planes, S. 342 

Pharmazeutische Produkte, S. 27, 115 

Phönix-Gruppe, S. 264 

Pirelli, Alberto, Italienisches Mitglied des ersten Sachverständigenkomitees, 
S, 275, 289, 369, 377, 380 

Poincare, Präsident der Reparationskommission, Französischer Minister- 
präsident, S.48, 49, 55, 56, 151, 155, 158, 159, 163, 170f£, 178 #f,, 186, 
188, 189, 191, 192, 197 if,, 212, 218, 235 ff., 241, 243 ff,, 247, 249, 252, 
255 ff., 271 ff, 277, 284, 285, 316 

Privateigentum, beschlagnahmtes, S. 71, 75, 79, 85, 101 

Produktive Pfänder, S. 176, 178, 277 

Protokoll über Vorlieferungen von Kohle vom 29. August 1919, S. 45 


Rapallo, Vertrag von — S. 158ff., 169, 170, 199 

Rathenau, Dr. Walter, Reichsminister, S.109, 122, 124, 134, 135, 145 it. 
149, 155, 156, 159, 162 ff,, 176, 182 

Rechberg, Arnold, Deutscher Industrieller, S, 288 

Reichsbahn, S.18, 28, 132, 150, 228, 234, 239, 242, 243, 262, 282, 285 ff., 309, 
311, 312, 317, 319, 325, 327, 331,:337,:397,:396, 392,38 

Reichsbank, S. 19, 97, 109, 111, 139, 150, 167, 168, 176, 183, 229 ff., 255, 258, 
281, 308, 318, 319, 325, 331, 342, 363, 366 

Reichskohlenkommissar, $. 223 

Reichskommissar für den Wiederaufbau, S.44, 117 

Reichsministerium für Wiederaufbau, S. 44, 109 

Reichsverband: der Deutschen Industrie, S. 132 

Reichswirtschaftsrat, S. 132 

Rentenbank, S. 258 ff., 281, 308, 333 

Reparation Recovery Act, S.93, 103, 111, 121, 133, 272, 301, 305, 326, 348, 
349, 366, 384, 393 

Restitution, S. 27, 128, 129 

Rheinlandkommission, S, 185, 210, 227, 354 

Robinson, Henry N., Amerikanisches Mitglied des zweiten Sachverständigen- 
Komitees, S. 275, 369 

Rosen, Dr., Deutscher Außenminister, S. 155 

Rosenberg, Dr. von, Deutscher Außenminister, S. 202 

Rotterdam, S. 50 


400 








Ruhrbesetzung, S,35, 43, 61 ff., 67, 69, 90, 93, 94, 104, 105, 202, 203, 216 ff, 
250, 252, 274, 324, 330 

Ruppel, Ministerialdirektor, Deutsche Kriegslastenkommission, Paris, S. 95, 
126 

Rußland, S.28, 158, 161 fi. 


Saargruben, S. 27, 101 

Sachlieferungen, S. 25, 44, 64, 68, 71, 79, 84, 86, 98, 111£,, 138, 142—146, 
152, 153, 160, 181, 194, 201, 209, 210, 223, 226, 238, 272, 296, 297, 301, 
304 if,, 320, 325 

Sanktionen, S, 30, 33, 50, 61, 82, 89 bis 95, 97, 104, 148, 153, 172, 173, 175, 
202, 203, 210, 222, 228, 321 

Schacht, Dr. Hjalmar, Präsident der Reichsbank, S. 281 ff,, 307, 308, 317, 341 

Schiffslieferungen, S. 22, 25, 79, 116 

Schmidt, Reichswirtschaftsminister, S. 159 

Schroeder, Dr., Staatssekretär im Reichsfinanzministerium, später Präsident 
der Preußischen Staatsbank, S, 70, 101, 181, 182 

Sergent, Französischer Finanzsachverständiger, S, 168, 172 | 

Seydoux, Direktor der Handelsabteilung im französischen Auswärtigen Amt, 
S, 70, 75, 76, 78, 79, 120, 121, 125, 152, 161, 164, 178, 179, 200, 284, 316 

Simons, Dr., Reichsminister des Auswärtigen, S, 61ff,, 79, 86 ff. 

Snowden, Englischer Schatzkanzler, S, 320 

Sowjetrepublik, S. 161 

Spa, Konferenz vom Juli 1920, S. 50, 52—65, 82 

Stamp, Sir Josiah, Englisches Mitglied des ersten Sachverständigenkomitees, 
S, 275, 292, 369, 371 #., 377, 378, 380, 382 

Sterret, Joseph E., Amerikanisches Mitglied des Transferkomitees, S. 343 

Stickstofflieferungen, S. 121, 220 

Stinnes, Hugo, Deutscher Industrieller, S. 62, 63, 78, 126, 278 

Stresemann, Dr., Reichskanzler, Außenminister, Ss. 254.:255, 257,. 323 

Stuttgart, Rede des Reichsministers Simons in — S. 83 

Substitutionen, S. 128, 129 

Sumner, Lord, Mitglied der Friedenskonferenz, S, 19 


Tabaksteuer, S.86, 111, 239, 306 
Teerlieferungen, S. 26, 116 
Theunis, Belgischer erster Delegierter in der Reparationskommission, später 

Beigischer Premierminister, S. 70, 80, 197, 235, 236, 243, 244 
Thomas, Englischer Minister, S. 320 
Tilmond, Rene, Belgisches Mitglied des Transferkomitees, S. 343 
Transferfrage, S.84, 299 #., 311, 320, 370, 377, 379, 381, 391 
Transferkomitee, S. 301, 302, 305, 328, 348, 349, 363, 365, 368, 388, 389 
Trendelenburg, Staatssekretär im Reichswirtschaftsministerium, S. 317 
Trier: Finanzabkommen vom 13. Dezember 1918, 5.39 

Abkommen vom 16. Januar 1919, S. 19 

Trocquer, Le, Französischer Verkehrsminister, S. 218, 220, 384 
Trustee, S. 309, 310 
Truyere, S. 127 


Umsatzsteuer, S. 111 


Bergmann, Der Weg der Reparation 26 401 


Verkehrssteuer, S, 287, 291, 292, 297 ££, 
Versailles: Reise der deutschen Delegation am 27, April 1919, S, 22 
Vertrag vom 28, Juni 1919, 5:17; 39 
Bestätigung des Vertrages durch Reichsgesetz vom 16, Juli 1919, 
S. 39 
Inkrafttreten des Vertrages am 10, Januar 1920, S, 40 
Viehlieferungen, S.59, 100, 116, 127, 129 
Vissering, Präsident der Niederländischen Staatsbank, S, 168, 194, 195, 197 
Vogt, Johannes, Staatssekretär, Direktor bei der Deutschen Reichsbahn- 
gesellschaft, S, 317 
Völkerbund, S, 66, 218, 294, 299 
Vorschüsse für Kohlenlieferungen, S.68, 99 


Wadsworth-Vertrag vom 25. Mai 1923, S, 355 
Waffenstillstand, Abkommen vom 11, November 1918, S,18, 36, 100 
Wallenberg, Marcus, Schwedischer Bankier, S, 317, 344 

Wasserbauten an der Rhöne, Truyere, Dordogne, S, 127 

Wassermann, Oscar, Direktor der Deutschen Bank, S, 200 

«Weinberg, Carl von, Deutscher Industrieller, S, 115 

Wendel, de, Französischer Hüttenbesitzer, S, 218 

Wiesbadener Abkommen vom 7, Oktober 1921, S, 31, 122 ff, 126, 144 
Wilson, Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, S, 17, 20, 21, 40 
Wilson-Programm, 47, 0 23 

Wirth, Dr., Reichskanzler, S, 105, 109, 154 f£,, 159, 163, 176, 177, 199 


Young, Owen D,, Amerikanisches Mitglied des ersten Sachverständigen- 
Komitees, S, 215, 291, 312 324, 325, 369 


Zollkontrolle, S, 81, 154, 306 
Zuckerrübensamen-Lieferungen, S. 45 
Zuckersteuer, S, 86, 111, 306 
Zwangsanleihe, S, 157 


402 





1918 
5. November 
11. November 
11. Dezember 
13. Dezember 
25. Dezember 


1919 
16. Januar 
£; Februar 


Te 


„12. April 


‚27. April 
7, Mai 
29, Mai 
16, Juni 
28. Juni 


SS EINNEHE 


16, Juli 
29, August 


1. September 


1920 

10. Januar 
8, Februar 
31, März 
19..April 

bis 
26, April 
26. April 
15. Mai 
19, Mai 


29, Mai 


26 





REPARATIONSDASL. 


Note des Staatssekretärs Lansing S, i7 
Abkommen über den Waffenstillstand S, 18, 30 
Rede von Lloyd George in Bristol S, 19 
Finanzabkommen von Trier S, 19 
Luxemburger Protokoll S. 46 


Abkommen von Trier S, 19 

Tagung der alliierten Kommission für Schadenersatz in 
Paris S, 19 : 

Vorprojekt für finanzielle Bedingungen des französischen 
Finanzministers Klotz S, 21 

Abreise der deutschen Delegation nach Versailles S, 22 
Uebergabe der Friedensbedingungen S. 22 

Deutsche Note an Clemenceau S, 34, 35 

Mantelnote des Präsidenten Clemenceau S. 38 

Vertrag von Versailles S. 17, 39 

Bestätigung des Vertrages von Versailles durch Reichsgesetz 
S. 39 

Zeichnung eines Protokolls über Kohlenlieferungen in Ver- 
sailles S,45, 46, 47 

Beginn der deutschen Kohlenlieferungen S.45 


Inkrafttreten des Vertrages von Versailles S, 40 
Note von Millerand wegen Kohlenlieferungen S, 48 
Besprechung wegen Kohlenlieferungen S, 48 


Besprechung in San Remo S, 52 


Einladung zur Konferenz in Spa S, 52 

Zusammenkunft der alliierten Premierminister in Hythe S, 54 
Poincare legt sein Amt als Präsident der Reparations- 
kommission nieder S, 55 

Note der Reparationskommission wegen Lieferung ober- 
schlesischer Kohle an Polen S, 49 


403 


19, Juni Zweite Zusammenkunft der alliierten Premierminister in | „6. Oktober 

Hythe S, 54 | bis Wiesbadener Abkommen S.,51, 122 
20. Juni Zusammenkunft der alliierten Premierminister in Boulogne | 7, Oktober | 

E54 | 12.November Internationale Entwaffnungskonferenz in Washington S, 143 
30, Juni Mitteilung der Reparationskommission an die alliierten 29. Dezember Sitzung der Reparationskommission wegen des deutschen 


Regierungen, daß Deutschland seine Pflicht zur Kohlen- Stundungsantrages S. 134 


lieferung verletzt habe S, 50 


404 





2. u. 3, Juli Zusammenkunft der alliierten Premierminister in Brüssel 1922 
S:58 6, Januar | 
5, Juli Konferenz in Spa S.54 | <a a Konferenz in Cannes S, 146 
AU JOH Zeichnung eines Kohlenprotokolls in Spa S. 63 | ag u Te, Eck , dr 
1. August Beginn der Kohlenlieferungen It, Protokoll von Spa S. 63 3. Januar na Sn SMMISSION,, IN, OSBHER UBER ENGER 
24, September ; 28, Januar Note Deutschlands über ein Reformprogramm für den Haus- 
bis Internationale Finanzkonferenz in Brüssel S. 66 halt S. 149 
8. Oktober a 
27. Oktober Abkommen mit der Kriegslastenkommission über Kohlen- 6 ri Vorläufiges Abkommen Cuntze-Bemelmans S. 125 
vorschüsse S, 68 2. 7 ku a =‘ 
t all 
16, Dezember Sachverständigenkonferenz in Brüssel S. 70 11 _ USAMIENOR SUN Acer RIARLIBIN NN IE Er 
22, Dezember A a der Brüsseler Konferenz auf den 10, Januar 1921 11. März Einigung der: Alliierten über das Wieshidener An. 
s 5,123 
| 11. März Finanzabkommen der Alliierten S. 354 
1921 15. März 
24. Januar Konferenz des Obersten Rates in Paris S. 79 und | 
29, Januar Pariser Beschlüsse S. 76, 80, 82, 88, 89, 370 6. Juni Gillet-Ruppel-Abkommen S, 126 
"8, Februar Einladung zur Konferenz nach London S, 83 5 n 
T. März Beginn der Londoner Konferenz S. 88 ade i er 
2M3,; Rede Lloyd Georges auf der Londoner Konferenz S.89, 252 21. März Antwort der Reparationskommission auf die deutsche Note 
ii vom 28, Januar 1922 setzt die deutschen Leistungen für 1922 
5, März Begegnung im Hause von Lord Curzon S. 91 
n ‘fest S. 153, 157, 166, 168, 185, 204 
7. März Schluß der Londoner Konferenz S. 90 . | 
2 31, März Genehmigung des Wiesbadener Abkommens durch die Re- 
8. März Besetzung von Düsseldorf, Duisburg und Ruhrort S. 93 IE 6 
24, Aprit- Reparationsangebot der deütschen Regierung an Amerika ee OR u. 
‚Arm RAS 4, April Beschluß der Reparationskommission, ein Sachverständigen- 
S. 98 Se komitee für deutsche Anleihen im Ausland zu berufen 
27. April Abschluß der Arbeiten der Reparationskommission zur Fest- S, 159, 170 
setzung der Reparationsschuld 5. 99 7. April Deutsche Antwort auf die Note vom 21, März S, 157 
29. April | „10, April Beginn der Konferenz von Genua S. 159 
- eg Zusammenkunft des Obersten Rates in London S. 101 9, Mai Erklärung der deutschen Regierung wegen Aulsihaksen 
al S. 166 
1,Mai Fälliskeitstermin für 20 Milliarden Goldmark S.24, 32, 44, 13. Mai Minister Herkies geht nach Part © 166 
64, 80, 82, 99 2 24. Mai Zusammentritt des Anleihekomitees in Paris S. 168 
3. Mai er nd gg Staaten, daß das deutsche An- 31. Mai Antwort der Reparationskommission auf die deutsche Note 
gebot abgelehnt sei >, vom 28, Mai S, 168 
5.Mail Londoner Zahlungsplan S.29, 95, 101, 170, 172, 229, 291, 2. Juni Endgültiges Abkommen Cuntze-Bemelmans S, 125 
294, 348, 385 10, Juni Bericht des Anleihekomitees S$, 173 | 
10. Juni Abkommen über das Ausgleichsverfahren S. 186 14, Juni Note der Reparationskommission wegen Selbständigkeit der 
28. Juni Note des Garantiekomitees S. 111 Reichsbank S, 168 
13. August Konferenz der alliierten Finanzminister in Paris S. 142 12, Juli Ersuchen Deutschlands um Befreiung von Restzahlungen 
25. August Friedensschluß mit Amerika S. 136, 295, 390 für 1922 S, 177 


405 








18, Juli 
1. August 
7. August 
bis 
14, August 
17. August 
18. August 
21. August 
„30. August 
wnkbie 
A, September 
30, August 


31, August 


28, September 
4, November 


8, November 

14. November 

1. Dezember 
9. Dezember 
10, Dezember 
26. Dezember 


29. Dezember 


1923 
1. Januar 


bis 
4, Januar 
2. Januar 


2. Januar 


9, Januar 


41. Januar 
Pe —— 

12, Januar 
13, Januar 


406 


Einigung mit dem Garantiekomitee S, 177 
Note Balfours S, 188 


Konferenz der alliierten Premierminister in London S. 178, 
180 


Die Alliierten kündigen das Clearingabkommen S, 186 
Bradbury und Mauclere reisen nach Berlin S, 180 
Rede Poincarös in Bar le Duc S. 188 


|Stinnes-Lubersae-Abkonmen S, 126 


Rede des Staatssekretärs Schroeder vor der Reparations- 
kommission in Paris S. 181 

Beschluß der Reparationskommission über den Moratoriums- 
antrag S. 183 

Denkschrift des Staatssekretärs Schroeder S, 101 

Uebergabe eines deutschen Angebotes an die Reparations- 
kommission $. 193 

Note zur Erläuterung des deutschen Angebotes vom 
4, November 1922 und Gutachten von Sachverständigen S. 194 
Note der deutschen Regierung betr, das Moratorium S$, 194, 
195, 199, 200, 214 

Sitzung in der Reparationskommission wegen Holzlieferungen 
S. 204 

Uebergabe eines deutschen Angebotes an die alliierten 
Premierminister in London S$, 200 

Bonar Law lehnt das deutsche Angebot vom 9, Dezember ab 
S. 201 

Entscheidung der Reparationskommission wegen Holzliefe- 
rungen S. 204 

Rede des amerikanischen Staatssekretärs Hughes in New- 
haven S. 238 


Der deutsche Botschafter in Paris teilt der französischen 
Regierung mit, daß ein neuer deutscher Reparationsplan 
vorliegt S. 205 


Besprechung der Premierminister in Paris S. 202, 206 


Denkschrift der französischen Regierung betr. Kohlenliefe- 
rungen S. 220 

Feststellung der schuldhaften Verfehlung Deutschlands in 
der Kohlenfrage S. 220 

Französische und belgische Truppen rücken in das Ruhr- 
gebiet ein S. 221, 222, 223, 326 

Note der deutschen Regierung wegen Ruhrbesetzung S. 222 
Bekanntmachung der Einstellung von Sachleistungen an 
Frankreich und Belgien S. 223 ; 


26. Januar Feststellung einer allgemeinen Verfehlung Deutschlands 
durch die Reparationskommission $. 228 

14, März Zusammenkunft von Poincar& und Theunis in Brüssel betr, 
Ruhrbesetzung S. 235 

13, April 

bis Zusammenkunft von Poincar& und Theunis in Paris S, 235 

14, April 

20, April Rede Lord Curzons im englischen Unterhaus wegen neuer 
Reparationsvorschläge und Garantien Deutschlands S, 237 

2. Mai Note der deutschen Regierung mit einem neuen Angebot an 
die Alliierten S. 238, 243 

6. Mai Antwortnote Frankreichs und Belgiens auf das deutsche An- 
gebot vom 2. Mai 1923 S, 240 

13, Mai Antwortnote von England und Italien auf das deutsche An- 
gebot vom 2, Mai 1923 S. 241 

25. Mai Wadsworth-Vertrag S, 355 

7. Juni Deutsches Memorandum in Ergänzung der Note vom 2, Mai 
1923 S. 242, 243, 244, 247, 252, 280, 288 

9. Juni Uebergabe der belgischen Studien an die französische Regie- 
rung S, 242 

10, Juni Note Poincare&s an England und Belgien betr, Aufgabe des 
deutschen Widerstandes S, 244 

20, Juli Note Lord Curzons an Frankreich, Belgien, Italien und 


Japan S,247, 248 

2. August Lord Curzon kündigt im Oberhause die Veröffentlichung des 
gesamten Notenwechsels zwischen den Alliierten in der 
Ruhrfrage an S. 250 

11. August Einstellung der Sachleistungen an alle Alliierten S, 272 

12. August_ Sturz der Regierung Cuno S. 254 


20,September Aussprache zwischen Poincar& und Baldwin in Aix les Bains 
S. 271 


26. September Aufgabe des passiven Widerstandes S, 255 


“3,-Oktober Rücktritt des Kabinetts Stresemann S, 257 


15. Oktober Verordnungen über die Errichtung der deutschen Renten- 
bank S. 258 

24. Oktober Antrag der deutschen Regierung gemäß Art, 234 des Ver- 
sailler Vertrages S. 272, 273 

30, Oktober Anregung der britischen Regierung, die wirtschaftliche 
Fähigkeit Deutschlands zur Reparation durch Sachverständige 
untersuchen zu lassen S, 271 


he Schreiben des Reichskanzlers an die Vertreter der Schwer- 
industrie wegen Micumlasten S, 264 

2. November 

9. November Putsch in München S. 256 

23.November Zeichnung des Micum-Abkommens S$, 265 

30, November Die Reparationskommission beruft zwei Komitees von Sach- 

verständigen S. 273 


1. November 


407 


# 
Ph 


Pe 


Pi 


1924 
14, Januar 


21, Januar 
25, Februar 


19, März 
9, April 


16. April 
17, April 
24, April 
25. April 
11, Mai 


bis 
16, August 
5, August 
9, August 


‚46. Juli \ 


16. August 
29, August 


29, August 


1, September 
9, September 


1. Oktober 
1, Oktober 


10, Oktober 
10, Oktober 
11. Oktober 
14, Oktober 
28, Oktober 


31. Oktober 


408 


Zusammentritt des ersten Komitees zur Untersuchung des 
deutschen Haushalts und der Währung in Paris S. 275 
Zusammentritt des zweiten Komitees in Paris zur Uhnter- 
suchung der deutschen Kapitalilucht S. 275 

Abkommen zwischen Deutschland und England über Herab- 
setzung der 26prozentigen Einfuhrabgabe auf 5 Prozent S. 348 
Gesetz über Gründung der Golddiskontbank S. 308 

Bericht der beiden Sachverständigen - Komitees an die 
Reparationskommission S. 276 

Zustimmung der deutschen Regierung zum Sachverständigen- 
gutachten S, 315 

Rundschreiben der Reparationskommission an die Alliierten 
betr. Annahme des Sachverständigengutachtens S, 315 
England, Belgien, Italien geben ihr Einverständnis zum Gut- 
achten S. 316 

Note Poincares betr. Gutachten S. 316 

Kammerwahlen in Frankreich. Sturz der Regierung Poincare 


S, 316 
Londoner Konferenz S, 311, 319, 325 


Eintreffen der deutschen Delegation in London S, 323 
Abkommen zwischen Reparationskommission und deutscher 
Regierung über die Ausführung des Dawesplanes S. 325, 327 
Schlußprotokoll der Londoner Konferenz S. 325 

England führt die 26prozentige Einfuhrabgabe wieder ein 
S. 348 

Annahme der deutschen Gesetze zur Ausführung des Dawes- 
planes durch den Reichstag S., 331 

Beginn des ersten Reparationsjahres S. 325, 327 

Die Zollinie zwischen besetztem und unbesetztem Gebiet 
fällt S. 326 | 
Frankreich führt die 26prozentige Einfuhrabgabe ein S. 348 
Die Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft beginnt ihren Betrieb 
5.337 

Abkommen über die Reparationsanleihe S, 341 

Thomas N, Perkins wird zum Mitglied der Reparations- 
kommission für die Durchführung des Dawesplans ernannt 
S, 342 

Inkrafttreten des neuen Reichsbankgesetzes S, 333, 364 
Ausgabe der Reparationsanleihe in New York und London 
S, 342 

Feststellung der Reparationskommission, daß alle Maß- 
nahmen für die Wiederherstellung der finanziellen und wirt- 


- schaftlichen Einheit Deutschlands durchgeführt sind S. 326 


S, Parker Gilbert übernimmt das Amt des Generalagenten 
S, 325 


16, November 


13, Dezember 


1925 
6, Januar 
14, Januar 
24, März 
bis 
25. März 
21. Juni 
bis 
27. Juni 
18, Juli 


Uebergabe der Regiestrecken an die Reichsbahngesellschaft 


S. 327 | 
Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die 


Industriebelastung S. 335 


Zusammentritt der alliierten Finanzminister in Paris S, 353 
Pariser Finanzabkommen S,. 353 


Protokoll zwischen britischer und deutscher Regierung über 
Einfuhrabgabe S. 350 


Tagung der Internationalen Handelskammer in Brüssel S, 369 


Gesetz über die Gründung der Rentenbank-Kreditanstalt 
5.333 


BERICHTIGUNG 


Seite 168, sechste Zeile von oben, muß es heißen: 31. Mai statt 31. März 


409 











FOLITISCHE MEMOIREN 
nn 





FRIEDRICH PAYER 

Von Bethmann Hollweg bis Ebert 
Erinnerungen und Bilder 
Halbleinenband Mk. 7 — 





Werk der Memoiren-Literatur der letzten Jahre halte, 
Ebert, Reichspräsident. 


CONRAD HAUSSMANN 


Schlaglichter 
Reichstagsbriefe und Aufzeichnungen 
Ganzleinenband Mk. 8— 


Conrad Haußmanns politisches Wirken wird als einer der 
wenigen Lichtblicke in einer der trübsten Zeiten der 
deutschen Geschichte dem Gedächtnis der Nachwelt er- 
halten bleiben. Augsburger Post-Zeitung. 


ALEXANDER VON HOHENLOHE 
Aus meinem Leben 

Mit einer Reihe interessanter Bildtafeln 
Ganzleinenband Mk. 10.— 


Man geht wohl nicht fehl, wenn man diesen schönen und 
liebenswürdigen Memoiren einen außerordentlichen Erfolg 
prophezeit. Anschaulich und packend wie ein Roman, bieten 
sie zugleich — und wären es nur die Kapitel über die el- 
sässische Verwaltung nachdem 70er Krieg— dem Geschichts- 
forscher ein reichhaltiges und wichtiges Material. 


Annette Kolb. 


OTTO VON CORVIN 
Ein Leben voller Abenteuer 
Herausgegeben und eingeleitet von H. Wendel 
2 Bände Ganzleinen Mk. 15.— 


Wunderbar, was dieser eine Mensch alles erlebt und er- 
tragen, genossen und geleistet hat! Ein einzelnes Menschen- 
leben erscheint für diese Fülle fast zu klein. Mir wenigstens 
ist kein anderer Romanheld bekannt, der nur annähernd 
so viel und vielerlei durchlebte: was sind Wilhelm Meisters 
Lehr- und Wanderjahre an buntem Wechsel der Begeben- 
heiten gegen die Leehrjahre dieser letzten einer Reihe von 
unternehmenden Kriegernaturen. Johannes Proelß. 


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EN ee... 


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AMERIKANISCHE PROSPERITÄT 


AMERIKANISCHE WIRTSCHAF TSFORMEN 
AMERIKANISCHE WELT 


schildert 
AMERIKA :. p UROPA 
ERFAHRUNGEN EINER REISE 


von 














ARTHUR FEILER 
Broschiert Mk. 8— 





Ganzleinen Mk. 10.— 








AMERIKANISCHE ORGANISATIONEN 
AMERIKANISCHE PRAXIS 
AMERIKANISCHE PROBLEME 


behandelt 


EINWEG 
AUS DEM WIRRWARR 


(4 BUSINESS MAN LOOKS AT THE WORLD) 









von 
EDWARDA. FILENE 
Broschiert Mk. 4.— 





Ganzleinen Mk. 6.— 





N LTR IE ERRANG 


A ERRELTEERERSHRIEH Dahl 





GEDRUCKT IN DER 


FRANKFURTER SOCIETÄTS-DRUCKEREI 
G M B H 


FRANKFURT AM MAIN 











REN N: 








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