Vorwort «Die Asiaten?», «Was unterscheidet die Asiaten von uns?», «Wie sollte man sich ihnen gegenüber verhalten?», «Werden sie uns nicht immer ähnlicher?» und «Gibt es sie überhaupt, die Asiaten?» Fragen dieser Art sind letztlich Fragen nach dem Wertesystem, das in der westlichen Forschung bisher sträflich vernachlässigt wurde. Man untersucht zwar Rohstoffe, Ausbildungsleistungen, gesamtwirtschaftliche Zielsetzun- gen und Verwirklichungsdefizite, doch bleibt die Frage unbeantwortet, warum China bemerkenswert stabil, das politische Indien aber unstabil, warum das rohstoffarme japan reich, das rohstoffreiche Indonesien aber arm, warum das einst kolonisierte Singapur höchst modern, das nichtkolo— nisierte Thailand aber modernisierungsgehemmt ist. jeder Betriebsleiter weiß, daß die Motivation seiner Mitarbeiter zwar in keinem Bilanzeintrag vorkommt, daß sich fehlende Motivation aber augen- blicklich in Verlustposten niederschl'a'gt. Mit dem Wertesystem der Völker verhält es sich nicht viel anders! Vor allem in den sechziger jahren — man denke zum Beispiel an das dama— lige China oder Vietnam — glaubte man, die Vergangenheit abschreiben zu können, doch heute weiß man, daß die Tradition noch lange nicht zum alten Eisen gehört: Die meisten Asiaten beginnen sich auf ihre überkommenen Werte zu besinnen und zeigen ein neuerwachtes Selbstbewußtsein. In den islamischen Ländern wirkt der Fundamentalismus als treibende Kraft, in China kommen, allen marxistischen Lippenbekenntnissen zum Trotz, über- all wieder metakonfuzianische Vorstellungen zum Durchbruch, und in ja- pan hat der wirtschaftliche Aufschwung erneut zum Glauben an die Einzig- artigkeit der eigenen Nation geführt. Überall beginnt sich die Überzeugung durchzusetzen, daß das 21.jahrhundert ein «asiatisch—pazifisches» sein werde. In diesem Sinne ist die in Malaysia verbreitete Parole «Look East» zu verstehen, die den Blick von Europa nach japan oder Südkorea lenken soll. Wie sehr sich das Blatt gewendet hat, wurde für den Autor des vorliegen- den Buches auch bei seinen Vorträgen spürbar. Richtete sich das Interesse in den sechziger oder siebziger jahren noch ganz auf den Vietnamkrieg, auf die Chinesische Kulturrevolution oder auf die Spielformen des asiatischen Sozia— lismus, so gehört heute auf die Tagesordnung fast jedes Seminars ein Exkurs über Vorstellungs— und Verhaltensweisen asiatischer Geschäftspartner. Galt es ferner jahrzehntelang als ausgemacht, daß für das Schicksal eines Landes die Entscheidungen der Elite und keineswegs die meist traditionsbehafteten Wertvorstellungen der breiten Massen prägend seien, so hat sich nach dem