III. Begegnung mit Asien I. «Begegnung» Die Geschichte der Berührung zwischen Ost und West ist uralt, die der Begegnung dagegen reicht allenfalls Jahrzehnte zurück, wobei mit «Be— gegnuflg» nicht etwa ein bloßes Zusammentreffen oder ein harmonischer «Verschmelzungs»—, sondern vielmehr ein konfliktreicher Auseinander- setzungsprozeß gemeint ist, in dessen Verlauf das andere als solches akzep— tiert oder aber leidenschaftlich abgelehnt wird. «Asien» nicht nur durch die Fensterscheibe eines Schnellzugs oder eines Flugzeugs wie ein Objekt zu betrachten, sondern den gläsernen Vorhang wegzureißen und sich mit ihm existentiell auseinanderzusetzen, fällt einem Europäer nicht gerade leicht, da er hier auf so völlig anders geartete Kulturen stößt. Zur Ehren- rettung «des Westens» sei hier jedoch angemerkt, daß sich die Asiaten untereinander eher noch viel fremder geblieben sind — man denke an das chinesisch-indische Verhältnis! — und daß ferner Europa von den Asiaten lange Zeit noch weniger der Kenntnis für wert befunden worden ist als umgekehrt. Die «abendländischen Grundwerte» lassen sich in Asien zwar vereinzelt, doch nicht in ihrer europäischen Kombination antreffen. Sie sind geprägt durch das vierfache Erbe griechischen Denkens, römischen Rechts, germa— nischer Gesellschaftsvorstellungen und christlichen Glaubens und haben über die Renaissance und Reformation zur Aufklärung und zur modernen Wssenschaftlichkeit geführt. Als besonders charakteristisch vor allem im Vergleich mit Asien dürfen folgende Eigenschaften gelten: Individualität, Diesseitigkeit, Rationalität, Gesellschaftsvertragsgesinnung, Gesetzesorien- tierung und Leistungsethik. Am fremdesten erscheint den Asiaten immer noch der westliche Indivi— dualismus, der letztlich auf die christliche Prämisse der Gotteskindschaft und der freien Gewissensentscheidung des einzelnen zurückgeht und durch Renaissance, Humanismus und Aufklärung auch erkenntnistheoretisch her— ausgearbeitet und weithin verinnerlicht worden ist. In Asien steht demge— genüber zumeist nicht das Ich, sondern das Wir im Vordergrund. Der ein- zelne ist selten «er selbst», sondern vielmehr ältester Sohn, «dritter Onkel», Angehöriger der Y—Kaste oder der X—Danwei. Was die «Diesseitigkeit» anbelangt, so ist sie zwar auch im metakonfuzia— nischen Kulturkreis geschätzt, erscheint hier ansonsten aber in Kombination m“ ganz anderen Werten. [II. Begegnung mit Asien 25 «Rationalität» entstand im ' ' ‘ Euch die Erde untertan» — durdfi°firiihiiifi2£äiifffii _P9rderungen _ «M&Cht „ _ _ _ ' _ - a u151erung der Natur. Un— gluck beispielsweise hatte jetzt nicht mehr magische, sondern «natürliche» und innerweltliche Ursachen. Der Körper galt nicht mehr, wie beispiels— weise im konfuuamschen Kulturkreis, als unantastbares Eigentum der Fl— tern, sondern wurde der Chirurgie und der Erforschung der menschlichen Anatomie zugänglich gemacht. Es entstanden rationale Zeit- Raum— und Kausalitätsbegriffe sowie der Wille, in die Natur einzugreifeh und «Fort— schritt» zu produzieren. Während in Asien fast sämtliche Gemeinschaftsbildungen mit Blutsban— geliä, Kastenregelungen oder ljatronagegesnhtsp1mkten zusammenhingen, 1 etc Sich in Europa schon fruh em Gememschaftsdenken heraus, das dem Gesellschaftsvertragsschema entsprach — man denke an die antike Polis oder aber an die mittelalterliche Stadt oder Rousseaus «Contrat social» Auch das europäische Gesetzesdenken, das von einer Trennung. zwischen säkularem und kirchlichem Recht sowie von Recht und Moral ausgeht läßt sich in keiner asiatischen Tradition beobachten, und zwar weder in den’isla- mischen Gesellschaften, die ohnehin jede Trennung von Diesseits und jen— seits ablehnen, noch in der konfuzianischen Welt, wo das Recht heteronom zu sein pflegt, das heißt moralisch vorgegebene Regelungen lediglich bestä— tigt, jedoch nicht aus sich selbst heraus «gilt». Was schließlich die Leistungsethik anbelangt, so ist sie den hinduistischen buddhistischen und islamischen Gesellschaften weitgehend unbekannt. Irdij sche Wohlhabenheit gilt hier entweder als Konsequenz eines wohlgefälligen Lebens in der vorangegangenen Existenz, so im Hinduismus und Buddhis- mus, oder aber als Resultat einer willkürlichen und möglicherweise ganz un- verdienten Schickung Allahs. Lediglich in den konfuzianischen Gesellschaf— ten hat die Leistungsethik, die konkret in Form des Erziehungs— und Prü- fungswesens hervortrat, eine wichtige Rolle gespielt, jedoch in einem ande— ren Sinne als beispielsweise im christlichen Abendland, wo Arbeit immer et— was mit Sinnerfiillung des diesseitigcn Lebens, mit «Om et labora» (Bete und arbeite) und Erfolg, ja sogar, wie in der calvinistischen Prädestinations— lehre, mit «Erlösungsbestätigung» zu tun hatte. Mit Europa und «Asien» standen sich also zumindest anfangs höchst ver— ichiedene Welten gegenüber, denen eine «Begegnung» nicht leichtfallen onnte. z. Begegnungs- und Rezeptionsgeschichte Das Asienbild Europas wurde bis in die fünfzigerjahre des zo.jahrhunderts hinein von drei großen Überlieferungen bestimmt, die teils jüngerer, teils al— tersgrauer Herkunft sind.