26 Einleitung Der erste «Asienforscher» auf europäischem Boden war Herodot, dessen Gesichtskreis sich zwar nur bis Altpersien erstreckte, der aber mit seinen Schilderungen ein negativ—düsteres Asienbild schuf, das noch lange nachwir- ken sollte. Kein Wunder, daß auch die zweite Tradition unter einem ungünstigen Stern stand, zumal sie mit zahlreichen «heidnischen» Einfällen — Hunnen und Awaren im 4. bis 6., Mongolen und Türken im 13. und 15.Jahrhundert — zusammenhing, vor allem aber im Zeichen der Kreuzzüge stand. Damals hatte Europa keinen Anlaß, sich den «Asiaten» überlegen zu fühlen; viel— mehr konnte es von den hochentwickelten Zivilisationen, mit denen die Kreuzritt€r in Berührung kamen, vieles übernehmen, nämlich Philosophie — griechische Philosophie vermittelt über arabische Schulen —, Mathematik — «arabische», in Wirklichkeit indische Zahlen — und bestimmte Technologien, z.B. die Papierherstellung. Das eigentliche, noch weit «hinter» dem «Morgenland» liegende Asien aber wurde für Europa erst von Marco Polo (1254—1324) entdeckt. Marco Polo stammte aus Venedig, das im Mittelalter zu den größten Handelsmächten ge— hörte und Beziehungen bis in den Fernen Osten unterhielt. Die Polos kamen 1275 nach einer beschwerlichen Reise über die zentralasiatischen Seidenstra- ßen an den Hof Khubilai Khans, jenes Mongolenkaisers, dessen Dynastie damals nicht nur Zentralasien, sondern auch China beherrschte. Der Khan schickte den sprachbegabten Marco wiederholte Male mit Sonderaufgaben durch sein Reich, das er auf mehreren Streifzügen von West- bis Ostchina und bis hinunter nach Birma kennenlernte. Erst 1292, also 17 Jahre nach seiner Ankunft, verließ Marco Polo das Reich Khubilais und kehrte über Indochina, Java, Ceylon und die Westküste Indiens via Persien und Georgien zurück nach Venedig, wo er 1295 eintraf und jenen Reisebericht mit dem Titel «Be— schreibung der Welt» diktierte, dessen Einzelheiten den europäischen Zeitge— nossen so märchenhaft und unglaublich erschienen, daß sein Verfasser schon bald den Beinamen «Il Milione» («Aufschneider») erhielt. Nach Art der Zeit wurde der Bericht von Kommentatoren und Zweiteditoren immer märchen— hafter ausgeschmückt, so daß man von dem Wunderland «Kithai» am Ende auch die unsinnigsten Geschichten als glaubwürdig erzählen konnte. Zu erneuten Kontakten kam es zweieinhalb Jahrhunderte später im Zei— chen derJesuitenmission, die mit Matteo Ricci (155211610) begann, von sei— nen Ordensbrüdern Adam Schall aus Köln und dem Flamen Ferdinand Ver- biest glanzvoll weitergeführt wurde, am Ende aber durch Ausweisung der Jesuiten 1838 ein Ende fand. Grund dafür war der sogenannte «Ritenstreit», der.sich daran entzündete, daß die Jesuiten die christliche Liturgie dem chi— ne51schen Brauchtum anzupassen suchten, um auf diese Weise China für das Christentum zu gewinnen. Dieser Versuch wurde vor allem auf Betreiben der Eranziskaner durch eine päpstliche Bulle von 1715 verurteilt. Die konfu— z1amsche Staatsdoktrin wurde als Irrlehre hingestellt und sowohl der Ah- III. Begegnung mit Asien 27 MM . ‘ , _ . raghche Einm15chung in inner— chine51sch6 Angelegenhetten empfinden mußte. Trotz des unrühmlichen Endes der Mission übten die Chinaberichte der Jesuiten einen tiefgehenden Einfluß auf die europäische Philosophie auf Voltaire, Leibniz und Christian Wolff sowie auf die Kunst des Rokoko’aus Chinesische Porzellane, Lacke, bemalte und bedruckte Seidenstoffe Papier—i tapeten, Gartenanlagen und Ornamente gehörten schon bald zur’kanoni— schen Ausstattung aller europäischen Paläste und können noch heute in Sanssouci, Versailles oder Schönbrunn bewundert werden. Während China im hellen Licht der europäischen Diskussion stand blie- ben die anderen asiatischen Kulturen einstweilen noch unbeleuchtet, Dies sollte sich erst im späten 18.Jahrhundert ändern. . ‚Die dritte Rezeptionsphase fiel mit dem Zeitalter des eigentlichen Kolo- n1al15mus zusammen. War das Vordringen Europas in Asien zwischen 1500 und 1750 ohne besondere Folgen gewesen. so ereigneten sich in den zwei- hundert Jahren zwischen 1750 und 1950 entscheidende Umbrüche. Sämtli- che asiatischen Reiche, mit Ausnahme Japans und Thailands, kamen damals unter koloniale Vorherrschaft. Diesmal ging es den Europäern nicht um Un- terwerfung der «Heiden», sondern um Rohstoffe und Absatzgebiete; auch erfolgte der Vorstoß diesmal nicht mehr auf dem Land—, sondern auf dem Seeweg. Schließlich wurde nicht nur die westliche Peripherie Asiens, son- dern der gesamte Kontinent erfaßt und durchdrungen. Waren die früheren Zusammenstöße Episoden geblieben, über deren Aus— wirkungen schnell wieder Gras zu wachsen begann, so sollte sich das euro— päische Vordringen diesmal als «Kulturschock» ohnegleichen auswirken. _ Für die Europäer andererseits begann Asien ein höchst ambivalentes Ge- Sicht zu zeigen: Auf der einen Seite schälte sich ein Asienbild heraus, das nicht gerade schmeichelhaft war und das vom «trägen Eingeborenen» über «Fellachenvölker», so Oswald Spengler über China, bis hin zur These von der «geschichtlichen Unwandelbarkeit» Chinas reichte, so Hegel. Doch gab es neben diesen düsteren auch helle Aspekte. Ein Autor, bei dem beide Seiten zum Durchbruch kamen, war der Brite Rudyard Kipling, der in seinem Frühwerk an den Asiaten kaum ein gutes Haar ließ und dessen berühmter Satz «Ost ist Ost, und West ist West, und beide werden sich nie— mals finden können» zu einem klassischen Zitat des 19.Jahrhunderts wurde. In seinem zweiten Lebensabschnitt jedoch, das im Zeichen großer Indien- Romane, vor allem seines Hauptwerks «Kim» stand, brach eine tiefe Sympa- thie für jenes Land durch, das er inzwischen verlassen hatte und nach dem er Sich offensichtlich in nostalgischer Sehnsucht verzehrte. Nachdem lange Zeit China das Rennen bei den europäischen Intellektuel— len gemacht hatte, war kurz vor der Wende zum 19.Jahrhundert Indien an der Reihe. Damals übersetzte Charles Wilkens den «Gesang des Erhabenen»