30 Einleitung Königsweg zur «Rettung» Indonesiens über die westliche Erziehung. Hur— gronies Vorschläge enthielten trotz seines doppelten Denkfehlers — Glaube an die Möglichkeit der Trennung von Politik und Religion sowie Fort— schrittsgläubigkeit — richtige Vorstellungen über das Doppelgesicht des iaVanischen Islam. Gleichwohl wurden sie von den engstirnigen Kolonial— bürokraten, die wenig von einer Beteiligung der Einheimischen an der Ver— waltung und schon gar nichts von einer umfassenden Erziehung hielten, übergangen. Vom Hurgronies Empfehlungen fiel nur eine auf fruchtbaren Boden, nämlich die Uberwachung der Mekkapilger; dabei hatte man aller— dings übersehen, daß der politische Islam seine Impulse damals nicht mehr aus Mekka, sondern aus Kairo bekam. Aus Holland kam auch die erste große Anklage gegen den Kolonialismus, die 1859 wie eine Bombe einschlug, nämlich der Roman «Max Havelaar oder die Kaffeeversteigerungen der Niederländischen Handelsgesellschaft» aus der Feder des früheren Kolonialbeamten Eduard Douwes Dekker, der dieses weithin autobiographische Werk unter dem Pseudonym «Multatuli» (Ich habe viel ertragen) veröffentlichte.3 Verdienste um die Erforschung der malaiischen Kultur erwarb sich nicht zuletzt auch der britische Kolonialoffizier und Gründer Singapurs, Raffels, der selbst des Malaiischen mächtig war und über einen gut ausgebildeten wissenschaftlichen Stab verfügte. Was die Franzosen anbelangt, so waren sie nicht nur begeisterte Sinolo— gen, sondern erwarben sich auch Verdienste um die Erforschung südostasia— tischer Kulturen: Die Entzifferung von Hunderten von Stelen—Inschriften ist das Lebenswerk von Georges Coedés, dessen Monographie «Les Etats Hin— douisés d’Indochine et d’Indonésie» (Paris 1948) auch heute noch zu den Standardwerken gehört. Das Verdienst der Ecole Francaise d’Extréme Orient war es ferner, das von Käsebäumen, Flechten und Moos überwu- Cherte kambodschanische Angkor freigelegt zu haben. Im Gegensatz zu Ost-, Süd— und Südostasien wurde Zentralasien erst in den zwanziger und dreißiger Jahren des zo.Jahrhunderts zum Gegenstand exakter Forschungen, und zwar vor allem durch das Wirken dreier Gelehr— ter, nämlich des Schweden Sven Hedin (1865—1952), der seine Reiseerleb» nisse in Xinjiang und Tibet durch packende Schilderungen einem weiten Le— sepublikum vermittelte, ferner des in britisch—indischen Diensten stehenden Ungarn Aurel Stein (1862—1941) sowie des deutschen Archäologenduos Al— bert Grünwedel (1856—1935) und Albert le Coq (1860—1930), die Ausgra- bUngen entlang der Seidenstraße durchführten und deren umfangreiche Fundsammlungen heute im Indischen Museum in Berlin zu bewundern sind. Unter den Schriftstellern, deren Romane und Novellen z. T. in Asien spie- len, smd Somerset Maugham, Graham Greene, Robert Louis Stevenson so» Wie Pearl S. Buck und Han Suyin zu nennen, um hier nur einige typische Namen herauszugreifen. Während hier Asien mehr oder weniger nur die III. Begegnung mit Asien 31 Kulisse für eine zumeist «westliche» Handlung abgibt, kommt es im Werk einiger weniger Schriftsteller zur existentiellen Auseinandersetzung und da— mit zur wirklichen «Begegnung». Man denke an die erschütternden «Bur- mese Days» von George Orwell (dem Verfasser von «1984»), an die zwi— schen Traum und Wirklichkeit angesiedelten und fast immer um den malaii— schen Archipel kreisenden Erzählungen Joseph Conrads (vor allem «Lord Jim», «Allmeyer’s Polly» und «An Outcast of the Islands») sowie an 5 M Foster, dessen asienkritische Emotionen vor allem im Roman «A Passage td India» Form angenommen haben. Im deutschen Sprachraum sind neben Hermann Hesse noch zwei Schrift- steller zu erwähnen, deren Asienbetrachtungen in den zwanziger und dreißi- ger Jahren beträchtliches Echo auslösten, nämlich der Kulturhist0riker Velt- heim-Ostrau sowie vor allem der baltische Philosoph und Privatgelehrte Hermann Graf Keyserling, der seinem Grundsatz «Der kürzeste We zu sich selbst führt um die Welt herum» durch ausgedehnte Reisen Genü ge tat und seine Eindrücke aus Indien, Südostasien, China und Japan in seginem «Reisetagebuch eines Philosophen» niederlegte. Keyserling der die Philoso— phie als Lebenskunst und nicht als abstrakte Kathederlehri: verstand grün- dete in Darmstadt die «Schule der Weisheit», die zu einem Treffpurikt des literarischen und asieninteressierten Europa wurde. Charakter und Verhaltensweise der Asiaten waren schon früh Gegenstand sorgfältiger, wenn auch manchmal höchst voreingenommener Darstellun- gen, die zumeist aus der Feder von Missionaren stammten. Man denke an die Jesuitenbriefe aus dem 18.Jahrhundert, aber auch an Darstellungen des I9.Jahrhunderts wie Arthur H. Smiths «Chinese Characteristics», die bis 1894 in fünfzehn Auflagen erschienen, nicht zu vergessen auch das großar- tige Buch der Schweizer Journalistin Lily Abegg mit dem bezeichnenden 'I°i« tel «Ostasien denkt anders». Eine der fruchtbarsten Auseinandersetzungen mit dem asiatischen, vor allem aber dem japanischen Wertesystem erfolgte ausgerechnet während des Zweiten Weltkriegs, als der Angriff der Japaner auf Pearl Harbour den Amerikanern einen Gegner bescherte, von dessen Denk- und Verhal— tensweise wenig bekannt war. In dieser Situation erhielt die Anthropologin Ruth Benedict 1944 den Auftrag, mit einem Stab die gesamte verfügbare Literatur über Japan zu durchforsten und zugleich die in den USA leben- den Auslandsjapaner systematisch zu befragen. Das Ergebnis dieser Arbeit war das Standardwerk «The Chrysanthemum and the Sword, Patterns of Japanese Culture», in dem die Eigenschaften und Widersprüche des japani- schen Nationalcharakters beschrieben werden: sie seien sowohl «aggressiv als auch nicht-aggressiv, sowohl militaristisch als auch ästhetisch, so— Yohl unverschämt als auch höflich, sowohl rigide als auch anpassungs— fah1g, sowohl loyal als auch verräterisch, sowohl tapfer als auch ängst- lich»‚‘