48 Asien und «der Westen» b) Im Einklang mit der Natur? Drei Haltungen gibt es gegenüber der Natur: Man unterwirft sich ihr, man «macht sie sich untertan» oder man lebt in Harmonie mit ihr. Das erste ist der frühanimistische, das zweite der westliche und das dritte der traditionell- asiatische Weg, der sich verkürzt mit den zwei Formeln «Einfügung in die Natur» und «Die Natur noch natürlicher machen» umreißen ließe. Was Einfügung » oder besser das «Einschmiegen» — in die Natur bedeutet, Wird nirgends deutlicher als in der ostasiatischen Architektur und Land- schaftsmalerei. Man denke an die bezaubernden Teehäuser von Kyoto und an die Pavillons von Suzhou sowie an die «Shanshui» (wörtl.: Berg-Wasser)- Tuschspiele, auf denen der Mensch neben Kiefern, Felsen und Wasserfällen nur als einer von vielen Darstellungsgegenständen erscheint. Er tritt nicht Wie in der Renaissance in den Vordergrund, sondern ist Partikel einer allum— fassenden Natur und einbezogen in das Gefüge der Polaritäten: von Himmel und Erde, Fels und Baum, von Festgefügtem und Schwebendem, Alltägli— chem (Fischer bei der Arbeit) und Numinosem (Tempel auf einem nebelum— hüllten Felsgrat), von zehntausend Dingen und dem Leeren. Schöpfungsfrömmigkeit auch gegenüber Flüssen, Bergen, Pflanzen und Tieren: Heilig sind Flüsse, allen voran der Ganges, der vom Himmel auf die Erde heruntergefallen und dort vom Haupte des Shiva aufgefangen wurde, von dem nun «reinigendes» Wasser ausströmt, in dem der fromme Hindu sich badet und den feinen Sündenschmutz wegwäscht. Und was für den in— dischen Hindu der Ganges, ist für den nepalesischen Hindu der Pashputinat. An all diesen heiligen Flüssen werden die Toten verbrannt und ihre Aschem reste dem Wasser überantwortet. Auch das Weihwasser spielt eine überra— gende Rolle — wahrscheinlich hängt dies mit der Gangesverehrung zusam— men. Den Thais gilt der Menam Chao Phaya, den Birmanen der Salween und der Irrawady als heilig, den ]apanern der Fluß Isuzu, der das Gelände des heiligen Schreins der Sonnengöttin in lse durchströmt, und dem chinesi— schen Daoismus die drei Hauptflüsse Nordchinas, die zugleich symbolisch sind für die ersten drei Dynastien, nämlich der Luo (für die Xia—Dynastie) der Gelbe Fluß (für die Shang) und der Wei (für die Zhou-Dynastie). FärbIe sich das Wasser rötlich, so deutete sich damit Unglück für die Dynastie an. Alle Flüsse im alten China hatten ihre Flußgötter, denen lange Zeit Men» schen geopfert wurden. Einer der wichtigsten Bauerngötter Chinas, der re» genspendende Neunköpfige Drachen, stammt ebenfalls aus der Welt der Flüsse und Sümpfe. Überall in Asien ist auch die Verehrung heiliger Berge heimisch - man denke an die mit daoistischen Schreinen gespickten «Fünf Heiligen Berge Gh1nas», den Taishan (im Osten), den Hengshan (im Süden), den Huashar1 ("“ Westen), den Hengshan (im Norden) und den Songshan (in der Mitte) Sow1e an den Kunlun im fernen Westen, an dessen Flanke der Gelbe Fluß II. Der eigentliche Unterschied: Ganzheiilicbkgi; 49 entspringt und auf dessen neun Etagen zahllose Götter leben um 'h Xiwangmlh die «Westliche Königsmutter». Weltberühmt auch d er" 1 man sche Fuji—san, dessen maiest'a'tisch gleichmäßiger Kegel und de er lépädl- ßen Quellen und rauchenden Schlünden gespickte Vulkanu Ssenbmit dei- Landschaftsbild im mittleren Honshu bestimmen. Dem Hind mge ung das im Himalayamassiv gelegene Kailash heilig, den der Gläubi lemlils ist“her voller Pilgerreise im Uhrzeigersinn betend umschreitet und tiger Ziin Dlrubifd aller hinduistischen Bergkulte sowie zum Aug ‚ . . . . —;,an ’S u k Tempelarch1tektur geworden ist. & P n t der hmdu15t15chen Auch in Südostasien sind überall Bergkulte verbreitet was an ' h d imp053n_ten .— und numinosen — Vulkanketten eigentlich nicht gviil'f “ ff Wunderlich ist. Auf dem Adams—Peak in Ceylon werden die F ß 1bfir"vek Adams, Vishnus und Gautama Buddhas gezeigt. In der hinduistius fi rfäc e mologie wird das Zentrum der Welt durch den heiligen Berg Merü erb'ld)st- der von sieben Meeren und sieben Landringen umgeben ist und aiiedl ei, steil nach oben wachsenden Flanken die Götterwohnungen auf esetzt 223“ die niederen Gottheiten weit unten, die höchsten Götter ganz Eben Dieses Meru—Schema, das vermutlich im Gefolge der Kailash—Veri*hruhg entstand ‘n ist, wurde zum Vorbild für buddhistische und hinduistische Heili tümer (fi ebenfalls in Meerorm, d. h. bergartig, aufgeschichtet sind. g ’ € Auch Pflanzen, vor allem Bäume, gelten vielerorts als heilig. Weit verbrei— tet sind Baumkulte, so zum Beispiel in Indien und in Südostasien wo der heilige Bo—Baum, unter dessen Zweigen Gautama Buddha seine Erlduchtung fand, vor keinem Tempel fehlen darf. Verehrung genießt auch der Banyang— Baum, der sich durch Absenken seiner Zweige seitwärts immer neue Wur- gelstände schafft, bis er schließlich — ein einziger Baum ‚ ein ganzes Dorf uberwachsen hat. Uberall an seinem Hauptstamm finden sich Opfergaben aufgestapelt: Der Baum ist ein göttliches Wesen! In japan besteht die schöne Sitte, einen besonders charaktervollen Baum mit einem vielfach gezwirnten Seil zuumspannen und ihn damit als verehrungswürdig zu kennenzeichnen. Als heilig gilt ferner der Sakaki—Baum, der im Legendenkreis um die Son— nengottmeme prominente Rolle spielt. Mit seinen Zweigen vollzieht der Shmto—Pr1ester über dem Neugeborenen oder über dem Brautpaar apotro— %äscäe Bewegungen. In ‚Ghina ist die Akazie der Gegenstand fast religiöser henezr}ulrig. lm Schremgemet von Qufu, dem Geburtsort des Konfuzius, ste— 200013}, ose Gut—Baume, die zum Teil schon in der Han—Zeit, also vor etwa BUCth ren, gepflanzt wurden. Ferner besitzen derAhorn, der Bambus, der mone ;'UIIII),Hd8r Holzolbaum (Tong), die Kastame, die Kiefer, die Persi— Bedeiitule aume, die Weide, der Zimtbaum und die Zypresse symbolhafte reiner SiIt'1gelgi.dSymboltrachuge Pflanzen Sind des weiteren der Lotos — als L0rbeer 2 du dhas uber dem Schmutz der Erde —, die Chrysantheme, der Ausdau6l:lfl vor allem der Bambus, der als Symbol der Standhaftigkeit und ast in keiner kunstlenschen Darstellung Ostasiens fehlt.