66 Asiatische Gesellschaften und Verhaltenssrile neben Korea und Japan — vor allem China. Immer wieder fragt man .SiCh’ Wie dieses «Wunder» geschehen konnte, zumal die Gesellschaft ia zugleich Auch‘ wie oben festgestellt, höchst zellular gebaut ist. „ . Den Schlüssel zur Erklärung liefern zwei Kernelemente, namlich der durchgehende Normenanalogismus (zum Analogismus imallgemeinen Vgl_ oben S. 39ff.) und das Mandarinat mit seiner Wachterfunknon. Was erstens den Analogismus anbelangt, so ergibt er sich sowohl aus dem sozialen Pyramidensystem als auch aus den konfuzianischen Kontrollme_ ch;mismenz Ihrem Bauplan nach ist die chineSische Gesellschaft eine riesen- hafte Makropyramide, die sich aus Millionen von Mmtpyraimden zusam_ mensetzt, die, von lokalen Besonderheiten abgesehen, in s1ch alle nach dem gleichen Schema aufgebaut sind und denselben Normenjgehorchen. Grund. muster ist hierbei das patriarchalisch verstandene Vater—50hn—Verhaltms, das sich auch in anderen klassischen interpersonellen Beuehungen (lun) analog wiederholt, so zum Beispiel zwischen Kreismagistrat und Untertanen oder aber zwischen dem Kaiser und seiner Beamtenschaft. Was denVater in der Familie, ist der Mandarin im Kreis, der Gouverneur in der Brov1nz, der Kai- ser im Reich und der «Himmel» in der kaiserlichen Eami_he A oder, anders ausgedrückt: Der Paterfamilias ist Kaiser der familie wie umgekehrt der Kaiser Vater des Staates, genauer der «Staatsfamrlre» (guopa) ist. Die patriar— chalisch geordnete Familie als Mikrokosmos, die Gesamtgesellschaft als Ma- krofamilie — dies ist das klassische Gesellschaftsprogramm des I\Onfu7‚1ams— mus, das hier «pyramidaler Analogismus» genannt wird. . . Zur Sicherung analogen Verhaltens stellte die Tradrt10ngeme Reihe von Hilfsmitteln bereit, die teilweise typisch chinesisch, zum Teil abergaueh um- versell sind: Nicht ganz leicht nachvollziehbar für einen Europaer ist das «mingfen» (sinngemäß in etwa: bezeichnungsgerechtes Rollenspiel), das ei» nen magischen Bezug zwischen Rollenspiel und R_ollenbenennung herstellen soll. «Vater» darf sich danach nur nennen, wer die vaterhche Rolle, wie sie von der Tradition definiert wurde, auch wirklich «lebt». Dasselbe gilt fur den «König» oder «Kaiser», der, wenn er seinem «Namen» nichtmehr gc‘ recht wurde, zu einem Niemand herabsank und deshalb auch gesturzt wer- den konnte; bewies er durch sein Verhalten doch, daß er dem mit seinem Namen verbundenen «Auftrag des Himmels» nicht mehr gerecht wurde. Diese Konvergenz von Bezeichnung und Bezeichnungstreue — eine Art km 80rischer Imperativ des Konfuzianismus — sorgte dafür, daß die an 03111 «Namen» geknüpften gesellschaftlichen Erwartungen nicht unverbin< lt blieben, sondern einem permanenten Vollzugsdruck unterlagen. ‘ ' Eine weitere Sicherung bestand in der Erziehung zu hochgrad1ger l\ogi formität bei gleichzeitigem Verzicht auf individuelle Spontanertät. AHgL‘E“ / tes Verhalten galt als in sich werthaft, Anpassungsverstöße führtenzü 5’tf3. fen, vor allem aber zu Gesichtsverlusten, die niemand und zu keiner 16” riskieren wollte. Die panische Angst vor dem «shimian» (Gesichtsverlust) ]. Wie asiatische Gesellschaften aufgebaut sind 67 wird bis heute schon im frühkindlichen Stadium Verinnerlicht Kinder lernen, daß nichts schlimmer sei, als von anderen ausge den. , _ . . _ Zwar gab es zw15chendurch immer Wieder informelle und unorthodoxe Abweichungen von «der Norm», doch sorgte der pyramidale Analogismus dafür, daß alle Teile des Gesellschaftsbaus in einer Art prästabilierter Har— monie zueinander standen und im großen und ganzen berechenbar waren. Selten bedurfte es des Eingreifens der Polizei oder anderer Instanzen äußerer Kontrolle, wie ja überhaupt der Staat mit seinen untersten Ausläufern bei der Kreisebene «endete». Unterhalb davon sorgten die Dörfer, die Clans, die Familien, die Gilden und Zünfte sowie die anderen festgefügten Bezugssy— sterne dafür, daß innere Kontrolle herrschte und Verhaltensanalogien stimm— ten. Was nun demgegenüber die hinduistische Gesellschaft anbelangt, so gab es hier zwar ebenfalls ein ausgeprägtes und mit höchster Intensität verinner— lichtes Regelwerk, doch fehlte es andererseits an der universellen Verbind— lichkeit der Verhaltensmuster. Während es in China ein im großen und gan— zen durchgängig verbindliches Normensystem gab, verfügt in der hinduisti— schen Gesellschaft jede der Tausenden von Subkasten (jati) über ihr eigenes kastenspezifisches Regelwerk. Verstärkt wird diese Tendenz zum Partikulä— ren durch einen ausgeprägten Kommunalismus und Regionalismus, der das Besondere auf Kosten des Universellen und Allgemeinverbindlichen betont. Es gibt zwar den Chinesen, nicht aber den Inder. «Hindi»—Indien als Sprach—, Kultur— und Religionsgemeinschaft ist ein utopisches Kunstpre— dukt des Hindu—Establishments. Das zweite integrierende Kernelement der chinesischen Gesellschaft war die Beamtenschaft. Beim Mandarinat handelte es sich um einen durch Staats— prüfungen gesiebten und mit konservativer Gesinnung geimpften Personen— kreis, der sich nicht primär durch Fachwissen, sondern durch den aus der Tradition abgeleiteten Anspruch legitimierte, die Gesellschaft im Geiste der überlieferten Moral bewahren und erziehen zu können. Das analogistische Wertesystem war im Zeichen der hydraulischen Schicksalsgemeinschaft ent— standen. Wenn es sich weit über die Stammgebiete am Huanghe hinaus ver— breitete und über viele jahrhunderte vorhielt, so war das vor allem das Ver— dl€hst des Mandarinats und seines in sich als werthaft empfundenen Konser— Vat15mus. , indem die lacht zu wer- Mag das Mandarinat auch auf die Fortentwicklung der Naturwissenschaft remsend gewirkt haben, so muß ihm doch andererseits gutgeschrieben werden, daß es die großräumige Entwicklung Chinas gesichert hat. Als hilf— relch erWies sich dabei nicht zuletzt auch das einheitliche Schriftsystem, das Wegen Seiner idwgraphischen Form gegen Fremdeinflüsse nahezu unemp— lndllch war und das außerdem die verschiedensten Dialektregionen über— Spannte‚ des weiteren eine einheitliche Geschichtsschreibung, eine weitge—