Asiatische Gesellschaften und Verbaltensszile

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en sich nicht zu einem gesamtnationalen — und damit noch leistungsfähige_
gen‚_ Konzern zusammenfinden, so hängt dies mit dem erwahnten “Kais_

haismus» und Vertikalismus zusammen.
Auch Berufsvereinigungen » etwa der Rechtsanwalte oder der (‚onipmcn

fachleute — sind dem iapanischen Gesellschaftssystem fremd; ist es ferner ein
Zufall, daß 80 % aller Gewerkschaften Betriebsgewerkschaften smd, die fast
immer Hand in Hand mit dem jeweiligen Unternehmensmanagement arbei—
ten? «Industriegewerkschaften» im deutschen Sinne konnten Sich nur in We—
nigen Bereichen, zum Beispiel im_Eisenbahnwesen, herausbdden.

Ein gutes Beispiel sind auch die japanischen.Tageszenungen,deren drei
Spitzenorgane, nämlich die Asahi—, die Yom_iun- und die Sankai—Shimbum
sich in Inhalt und Aufmachung fast Wie ein Ei dem andern gleichen, Ähnlich
ist es bei den Hochschulen, die ebenfalls nicht zusammenarbeiten, sondern
nach Möglichkeit alles «im eigenen Haus» erledigen möchten und deshalb
immer gleich sämtliche Fakultäten einzurichten pflegen. je schärfer der
Wettbewerb, desto mehr gleicht sich das Angebot an. . _

Pyramidal—Organisationen der erwähnten Art gibt es nicht nur in den Fir-
men, sondern auch in Nachbarschaften, nicht zuletzt aber auch im Banden—
wesen sowie in allen Bereichen der Subkultur. Dies gilt übrigens nicht nur
für japan, sondern auch für andere metakonfuzianische Gesellschaften, so
zum Beispiel für Singapur. Dort hat es die Polizei seit Mitte der achtziger
jahre immer häufiger mit aufsehenerregenden Gruppen einer grol5sta'dn—
schen jeunesse dorée zu tun, die sich durch besonders pittoreske Kleidung
und demonstratives «Herumhängen» in Kaufhäusern oder auf der Orchard
Road bemerkbar machen. Bei diesen jugendlichen «Nonkonformisten» han—
delt es sich in Wahrheit um höchst konventionell aufgebaute Cliquen von
jeweils 10—13 Mitgliedern unter einem «Oyabun» a la Singapur, die gruppen—
spezifisches Verhalten und bizarre Rufnamen angenommen haben—‘. Ahnli-
ches gilt auch für andere Gruppen: Da beispielsweise den japanischen Intelr
lektuellen (<<journalisten», «Architekten» etc.) eine gemeinsame Basis fehlt,
kommt es immer wieder zur Bildung zahlreicher exklusiver und geschlosse—
ner Untergruppen, die ihre spezielle Ausdrucksweise und ihre Sondertermi-
nologie entwickeln, welche für Außenstehende oft unverständlich bleibt.

Bei aller Differenzierung zwischen dem «Wir» und «Denen da draußen»
gibt es allerdings durchaus Erweiterungsspielräume. So dicht namlich dl€
Pyramiden «Seitwärts» abgeschottet sein mögen, so offen sind sie nach oben

und unten. Wer bereit ist, sich einer Gruppe einzufügen, wird, wenn er den
«richtigen Stallgeruch» mitbringt, von dieser mit offenen Armen aufgenom’
men, wobei soziale Herkunft oder aber Nationalität eine viel geringereRollc
Spielen als der Wille und die Fähigkeit, mit allen Fasern des Herzens in der
Gruppe aufzugeben. Das Vertikalprinzip kann sich also, je nach den Anlor'
derungen der Situation, als höchst flexibel erweisen. Es führt zwar in aller
Regel dazu, daß die Klein— oder Mittel—«Pyramide» vorherrscht. es „mog-

I. Wie asiatische Gesellschaften aufgebaut sind 73

licht aber im Zeichen einer gesamtnationalen Besinnung (oder Not) auch ein
Miteinander, indem sich nämlich die Einzelpyramiden vorübergehend zur
Großpyramide zusammenfügen, woraus sich ein gewaltiger Synergie—Efqu
ergibt . . .

Eine solche Zusammenfassung wurde beispielsweise von Kaiser Meiji Ver—
suChß als er 1867, also kurz vor Beginn der nach ihm benannten Modernisie-
rung japans‚ vor dem Ise—Schrein «im Namen der Ahnen» zu gemeinsamen
Anstrengungen bei der Modernisierung japans aufrief. Von nun an sollte
nicht mehr ein «Haus» (ie, uchi) gegen das andere konkurrieren, sondern
Japan als «Gesamthaus» gegen die anderen Nationen antreten. Hier wurden
die «kleinen Loyalitäten» der Dörfer und Betriebe geschickt in die «große
Loyalität» gegeniiber dem Kaiser sowie der Urahnin des Kaiserhauses und
der Tenno zum «Ubervater» des Großfamilienstaates umgedeutet: eine ideo—
logische Manipulation, die ganz auf der Linie des oben beschriebenen pyra—
midalen Analogismus lag. Eine ähnliche Wirkung trat während des Zweiten
Weltkriegs ein”. Ein über die Stufenleiter Dorfgemeinschaft — Betrieb — Na-
tion - «gemeinsames Haus» sich dynamisch ausbreitender Gruppenprozeß
könnte eines Tages erneut stattfinden, wenn beispielsweise ein weltweiter
antijapanischer Wirtschaftsprotektionismus um sich griffe. Schon das jahr
des Ölschocks, 1973, hatte ja eine Zeitlang an das gesamtjapanische Bewußt-
sein gerührt, die Pyramiden zusammenwachsen und den Gruppenpartikula-
rismus in den Hintergrund treten lassen.

Nicht nur in japan, sondern auch in China emeist sich die Herstellung
horizontaler Querverbindungen zwischen Regionen, Behörden, Betrieben
usw. als höchst strukturwidrig und stößt deshalb auf erhebliche Schwierig-
keiten. Selbst die innovationsfreudigen Reformer ließen sich hier acht jahre
Zeit, bis sie endlich 1986 daran gingen, horizontale Klammern zwischen
Einzelbetrieben sowie zwischen Produktion und Forschung zu verordnen.
Lediglich in den hochmodernen Bereichen der Auto—, Flugzeug— und Werf-
ten-Industrie fielen diese Bemühungen auf einigermaßen fruchtbaren Bo—
den. Im übrigen verlaufen die Wettbewerbsfronten hier ähnlich wie in japan:
Stahlwerk gegen Stahlwerk, Universität gegen Universität oder Nachbardorf
gegen Nachbardorf.

Allerdings bestehen zwei Unterschiede: Während in der japanischen Ge-
sellschaft das Vater/Sohn—Verhältnis durch die Oyabun/Kobun—Beziehungen
In den Schatten gestellt wird, spielen bei den Chinesen, auch bei den so mo-
(lernen Hongkong—Chinesen, Familienbeziehungen nach wie vor die Haupt—
rolle”. Zweitens ist die Zunft— und Gildetradition hier stärker ausgebildet.
Beide hatten ähnliche Überwachungsfunktionen wie im mittelalterlichen Eu—
‘°Pa und besaßen Danwei—Charakter; typischerweise wurden nämlich nur
Solche Personen aufgenommen, welche in derselben Stadt oder im selben Be-
z"'k beheimatet — und die (Vertikalprinzip) meist obendrein noch verwandt,
VersehWägert oder durch Loyalitiitsverhältnisse verbunden waren.