Asiatische Gesellschaften und Verbaltensstile 82 Kasten- und Klassenstatus mögen vielleicht in grauer Zeit einmal identisch gewesen sein — heute sind sie es längst nicht mehr; denn um die ertSchafdi_ chen Startchancen des Brahmanentums steht es im zo.]ahrhundert nicht ge— rade zum besten. Technische Berufe sind ihm wegen der damit verbundenen körperlichen Arbeit in aller Regel verbaut, und auch kaufmännische Profes_ sionen sind seit alters her an andere Kasten vergeben, so daß im wesentlichen nur eine bürokratische, politische oder aber eine Karriere als Rechtsanwalt übrigbleibt. Bemerkenswert immerhin, daß bisher sämtliche Ministerpräsi- denten der Indischen Union Brahmanen waren; ansonsten aber sind die A„_ gehörigen dieser Kaste meist mittlere Gehaltsempfänger — und insofern alles andere als «dominant»; denn wer es im Verwaltungsdienst zu einer gewissen Höhe gebracht hat, fühlt sich, gleichgültig welcher Kaste er nun angehört, weit erhaben über all jene Brahmanen, die traditionellen Berufen nachgehen, ihre Reinheitsrituale pflegen und sich den heiligen Texten widmen. Sogar auf dem Land, das ja angeblich zur Wagenburg der traditionellen Gesellschaftsordnung geworden ist, klaffen Klasse und Kaste immer weiter auseinander, wobei sich das soziale Gewicht vor allem nach dem Ausmaß des Grundbesitzes bemißt. An der Spitze der Klassenhierarchie stehen die «Oberen Zehntausend» — in aller Regel Industrielle und Großhändler, denen an zweiter Stelle jene 2 % wohlhabender Bauern folgen, die statistisch ein Fünftel des Ackerbodens besitzen. Es schließen sich die höheren Beamten, leitenden Angestellten so— wie die 6% Bauern an, denen das zweite Fünftel des Ackerbodens gehört. An vierter Stelle reihen sich die mittleren Beamten und Gehaltscmpfänger, die Facharbeiter und die 12% Bauern ein, die Eigentum des dritten Boden— fünftels sind. Hinter ihnen rangieren die kleinen Angestellten, die Industrie— arbeiter und die 20 % Bauern, denen das vierte Bodenfünftel gehört. Unterhalb dieser fünf sozialen Schichten folgt dann die Masse der Bevöl— kerung, die weit über die Hälfte der Einwohnerschaft ausmacht und die kein gesichertes Einkommen bezieht — also wirklich arm ist”. Wie nun fügen sich die traditionellen Kastenangehörigen in dieses «Saku- lare» Stufenschema ein? Unter den beiden obersten Schichten muß man Brah- manen mit der Lupe suchen; hier dominieren die Händler— und Bauernkasten; erst in der dritten und vierten Schicht treten auch die traditionellen Oberka— sten deutlicher hervor. Mit ihnen in Konkurrenz befinden sich hier freilich manchmal bereits Angehörige der früheren «Unberührbaren», die ihren Auf- stieg einer systematischen Förderungspolitik der Regierung verdanken und deshalb nicht selten als «Regierungs—Brahmanen» bespöttelt werden. In den oberen Bereichen der Gesellschaftsspitze gibt es also kaum Zu58m' “_16nhänge zwischen Kasten— und Gesellschaftsrang. Eine solche KoinzidenZ findet erst ganz unten statt, wo nämlich den Mitgliedern der untersten K’c_" sten SOWie den «Unberührbaren» als Ärmsten der Armen nur mehr d1e schmutzigsten Arbeiten bleiben. 1. Wie aszatiscbe Gesellschaften aufgebaut Sind 83 Von Gleichheit zwischen den verschiedenen Kasten und Subkasten kann also nach alledem ganz gewiß nicht die Rede sein. Und doch lassen sich im Hinduismus am Ende mehr Horizontal—Ansätze entdecken als etwa in der japanischen Gesellschaft. Da ist etwa die Familie: Während in Japan das Verhältnis des einzelnen zu seinen Geschwistern schnell an Bedeutung verliert, sobald er sich in ein au— ßerfamiliäres Gefolgschaftsverhältnis begeben hat, überdauert die Geschwi— sterschaft in Indien alle Zufälle des äußeren Lebens. Aber auch zwischenfamiliäre (durch Heiraten) und transfamiliiire Bezie— hungsnetze führen schnell zur «Seitwärts»—Bindung. Die japanerin Na— keine” nahm beispielsweise mit Erstaunen zur Kenntnis, wie schnell sich zwischen den Angehörigen des Indian Administrative Service kollegiale Be— ziehungen entwickeln, wie sie im japanischen Kontext schwer vorstellbar wären, weil sich dort eine Ministerialbürokratie fast «fensterlos» neben der anderen aufbaut. Besonders bedeutsam als Koordinierungs—lnstitution aber ist das traditio— nelle ]ajmani—System, das dafür sorgt, daß die zahlreichen nach ]atis aufge- gliederten und damit hochspezialisierten Gewerbe nicht voneinander iso— liert, sondern vielmehr miteinander verknüpft werden — und zwar nicht nur auf Grund eines Ad—hoc—Vertrages, sondern mit Hilfe einer oft über jahr— hunderte geltenden Bindungswirkung. Die hier zustande kommende Ver— knüpfung findet nicht nur zwischen Patron und Klientel (also in vertikaler Richtung), sondern auch zwischen verschiedenen jatis statt, die freilich nic}l:t völlig gleichrangig, sondern ebenfalls vertikal verschoben zueinander ste en. 4. Homogenität und VielVölkermosaik in den asiatischen Gesellschaften. Das Kommunalismus—Problem In Asien gibt es zwar höchst homogene Gesellschaften, wie beispielsweise in Korea oderjapan. Dies ist jedoch eher die Ausnahme. ln der Regel herrscht das Mosaik vor, und zwar nicht nur im Ethnischen, sondern auch in der po— litischen Organisation sowie in der Wirtschaftsweise. Ob in Vietnam, Laos, Indonesien oder Indien: überall gibt es neben dem Hauptvolk noch die zu— meist in Ungunstgebiete abgedrängten «Montagnards», neben der Nation “Och den Stamm und die Sippe, neben der Industrie den Schwendbau und neben der Hochreligion den Animismus A von den Unterschieden in der Sprache, in der Schrift oder der Folklore erst gar nicht zu reden. In Vietnam leben neben den Vietnamesen 51 völkische Minderheiten, die {IO/0 der Gesamteinwohnerschaft ausmachen, in Laos sind es sogar 68, die Zlemlich genau die Hälfte der Bevölkerung stellen”. In «Verdrängungsgebie—