Astatiscbe Gesellschaften und Verhaltensstzle 6. Warum der Marxismus in Asien auf Sand baut Was in Asien unter der Bezeichnung «Sozialismus» lief und läuft, CtWa die chinesische Kulturrevolution, der nordkoreanische Km]-llsung—ismus‚ der vietnamesische «Sonderbeziehungskurs» in lndochina oder gar die Maggen‘ mordpolitik Pol Pots, ist ';ionenweit von dem entfernt, was die Väter des Wis— senschaftlichen Sozialismus einst vorgezeichnet haben. Aber auch der refor- merische «Sozialismus», wie er von China eingeleitet wurde, hat mit den Vorstellungen der Klassiker nur noch die Bezeichnung, nicht jedoch den 1„_ halt gemeinsam. Zwar gibt es in allen realsozialistischen Staaten regierende Kommunistische Pateien, öffentliches Eigentum an Produktionsmitteln Und Entlohnung nach Leistung. Doch fehlt es andererseits an der universellen Mitentscheidung der Bevölkerung (über den Danwei—Rahmen hinaus), an einem Absterben der Herrschaft des Menschen über den Menschen und an einer Liquidierung der Ware—Geld—Beziehungen, den vitalsten Elementen ei— nes lebendigen Sozialismus. Das Scheitern war vorprogrammiert, und zwar nicht deshalb, weil es zu wenig soziale Munition gäbe, sondern weil die dortigen Gesellschaftsstruk— turen wegen ihrer fast panasiatischen Vertikalität denkbar ungeeignet sind für Klassenbildung und Klassenkampf: die Kastenordnung in Indien, die keine überlokalen Frontbildungen zul'zißt, die Oyabun/Kobun—Verhiiltnisse in japan, die I)anweis in China und Vietnam, die Karma—Widrigkeit des Klassenkampfes in den theravadabuddhistischen Gesellschaften oder aber das Grundpostulat der «Ergebung in Allahs Willen», mit der die marxisti- sche Forderung nach Selbstbefreiung wenig vereinbar ist, wobei in den tro— penislamischen Gesellschaften Indonesiens und Malaysias auch noch das fundamentale Harmoniebediirfnis als zusätzliches Hindernis hinzukommt. Will man trotzdem die marxistische Klassenanalvse—Terminologie bemü— hen, so mag man in all diesen Gesellschaften zwar durchaus «Klassen an sich» vorfinden — überall gibt es ja wirtschaftliche Beherrschungsverhäle nisse A, doch wird man vergeblich nach «Klassen für sich» suchen, also nach gesellschaftlichen Gruppierungen, die sich ihrer sozialen Gemeinsamkeiten auch bewußt und die vor allem bereit sind, zum gemeinsamen Kampf gegen ihre Unterdrückung anzutreten. Höchstens dort, wo die traditionellen (.N- sellschaftsordnungen sich angesichts eines jahrhundertelangen westhchen Einflusses verfliichtigt haben, wie zum Beispiel im südindischen Kerala mlt Seinen Thomas—Christen oder aber auf den katholischen Philippinen. lWSW' hen Ansätze zu gemeinsamem Klassenbewußtsein und damit für eine ßt’\'(l’ lution marxistischen Zuschnitts, die freilich angesichts der überall c1n,t'ß' impften Konfliktscheu wenig attraktiv erscheint. ‚ Angesichts dieser so ganz und gar «un—horizontalen» 0rganisationsrradr tionen kann es kaum verwundern, daß die Marxisten in Asien höchst tW—‘Yk' Würdige «Klassen» ausfindig gemacht haben. Aus Mangel an «Arl>e1tern" [. Wie asiausche Gesellschaften aufgebaut sind 89 mußte die Klassensonde zunächst schon einmal bei den Bauern angegetu werden, wo man, wie etwa in China, schon bald zwischen «Armen und Un- teren Mittelbauern», «Oberen Mittelbauern», «Reichen Bauern» und ‘Gmndbesitzern>> unterschied, in den Städten dagegen zwischen « Kompra— deren” und «Nationaler» Bourgeoisie. Auch in Vietnam, Laos und Kam— bodscha kam es zu solchen künstlichen, geradezu an den Haaren herbeige- zogenen Klassifizierungen. Nun gibt es zwar theoretisch für Länder der Dritten Welt einen «revolu- tionären» Ausweg, den Franrz Fanon“ aufgezeigt hat, nämlich die gemein- same spontane Erhebung gegen Unterdrückung und Ausbeutung, in deren Verlauf sich (ex post) das gemeinsame Klassenbewußtsein im Sinne einer «Klasse für sich» gleichsam prometheisch herauszubilden beginnt. Auf den ersten Blick erscheint dies einleuchtend; denn ideologisch findet der Marxis— mus mit seiner Tendenz, prinzipiell alles Vergangene zu hinterfragen, alles Künftige (soweit es im Zeichen des Marxismus steht) als vollkommen hinzu— stellen und alles Gegenwärtige als gestaltbar zu betrachten, bei fast jedem asiatischen Intellektuellen lebhaften, ja fast magischen Zuspruch. In einer Welt, in der die Tradition allgegenwärtig ist, wo also die Toten weithin über die Lebenden herrschen, muß der Aufruf zur Eigeninitiative und zur Selbst— befreiung wie ein Fanal wirken oder, um einen Ausdruck Raymond Arons zu gebrauchen, wie «Opium für die Intellektuellen». ( Im asiatischen Kontext tauchen allerdings schnell drei Hindernisse auf: Zum einen fällt es nämlich vor allem im hinduistischen und theravadabud— dhistischen Kontext schwer, schöpferische Unzufriedenheit zu erzeugen, die ja bekanntlich nicht nur das Karma für die nächste Existenz verschlechtert, sondern gleichzeitig auch außer acht läßt, daß das gegenwärtige Unglück ja selbstverschuldet ist und zwar durch fehlerhaftes Verhalten in den voran- gegangenen Existenzen. Zum anderen erzeugt Gewalt spontane Gegengewalt, vor allem in Indien. Die indische «Gewaltlosigkeit» (ahimsa) und Toleranz besteht bekanntlich darin, daß sie jede Entwicklungsschicht als solche im Sinne eines Sowohl— Als-auch bestehen läßt und sie nicht etwa («Entweder-oder») auslöscht. (Zur «Verschichtung» S. 33i ff.) Doch wehe, jemand wagte gar mit revolutionärer Gewalt an den historisch eingewachsenen Strukturen zu rütteln! Elementare Gegengewalt wäre die augenblickliche Antwort ‚ Gegengewicht wohlge— merkt der breiten Massen, der gegenüber einige elitiire Leninisten kaum Chancen hätten. Die hinduistische Gesellschaft ist so lange ruhig, wie man Sie in Ruhe läßt; auf Änderungen aber reagiert sie mit einem Inferno von Unduldsamkeit und Brutalität. Zum dritten aber hält die revolutionäre Be— geisterung unter der Leitung charismatischer Volksführer erfahrungsgemäß “Ur kurze Zeit an. Geht der Kampf verloren, handelt man genauso wie in der Vergangenheit, als man den alten Dorfgott. der nichts getaugt hatte, durch einen neuen ersetzte. Wird er dagegen gewonnen, so fallen die Sieger