94 Asiatische Gesellschaften und Verbaltensstile tung mit dem Mao—Bild zu knicken, um sie beispielsweise in die. Tasche Zu stecken. Auch in Vietnam gibt es keinen Saal oder Amtsraum ohne “Onkel Ho»-Portrait. Die Herstellung von Ho—Büsten aus Gips, Bronze Oder Stein gehört mit zu den produkt1vsten Industr1ele15tungen. ‚ . Solange der Träger des Charisma lebt, scheint alles in Ordnung. Mit Sei« nem Tod jedoch taucht jedesmal das Bedürfnis nach einer Stabilitätsfördern_ den lnstitutionalisierung der Macht auf, zumal bisweilen auch die Emmy- thologisierung (Mao, Sukarno) nicht lange auf sich warten läßt. Die Frage, wie es nach dem Tod des bisher so Unentbehrlichen denn «nun weitergehen kann», ist nicht nur ein Leitmotiv aller neuen Staaten, sondern auch Gegen- stand eines Gelehrtenstreits: Huntington hat längere Zeit mit seiner «Präto_ rianismu5»ddypothesä meinungsbildend gewirkt: Die meisten Systeme Asiens seien «strukturlos», insofern sie letztlich von der charismatischen Einzelperson abhingen, deren Macht wiederum auf einer ihr persönlich er- gebenen «Armee» — eben einer Prätorianer—Truppe — beruhe. Fast überall habe Personalberrschaft die von den Kolonialherren hinterlassenen Parteien— systeme verdrängt und ein institutionelles Trümmerfeld geschaffen, wie im Thailand Thanom Kittikarchons, dem Kambodscha Lon Nols, dem Birma Ne Wins oder dem Indonesien Suhartos. Die Gegenthese lautet, daß die «Personalisierung» langfristig durch einen Prozeß der «Institutionalisierung» abgelöst wird, wobei die Hoffnung frei- lich weniger auf Parteien oder Parlamente westlichen Zuschnitts, sondern auf die Herausbildung anerkannter Spielregeln zu setzen sei. Parteien sind das Kind pluralistischer Gesellschaften, wie man sie in Asien vergeblich sucht. Dort trifft man statt dessen entweder eine Vielzahl von Seilschaften an, die einander eher persönlich als in der Sache bekämpfen, oder man be— gegnet der Auffassung, daß es am Himmel nur eine Sonne geben darf und nicht zwei oder fünf. Dies ist vor allem in den metakonfuzianischen Gesell- schaften der Fall. Zwar gibt es in der VR China neben der KP noch acht nichtkommunistische «Parteien» und neben der japanischen LDP (Liberal— demokratische Partei) ebenfalls ein Dutzend weiterer Gruppierungen # doch wirklichen Einfluß haben sie allesamt nicht. Nicht «Parteien» (im westlichen Sinne), sondern Spielregeln sind es also, auf die sich die neuen Institutional1— sierungs—Hoffnungen richten müssen. In China gibt es die Kontroverse, ob Personen— und Institutionen-Herr- schaft vorzuziehen sei, übrigens nachweisbar schon seit dem 7.]ahrhundé“- Der Tang—Beamte Liu Zongyuan (773—814) hatte für die Institutionalisie- fung eine Lanze gebrochen, indem er den «Rebellentest» anlegte: am Unter; gang einer Dynastie seien noch allemal illoyale Vasallen schuld gewesen- Ganz im Gegensatz dazu verteidigte 400 jahre später der Beamte Die B‘ ‘“ Seiner Streitschrift «Große Geschichte» die «Zehn Vorteile» des Personal>‘l" Stem8. Der Ming—Gelehrte Gu Yanwu (1613—1682) schließlich forderte “f“; des Entweder-Oder das Sowohl—Als auch (yu fengjian yu junxian): ZUV1e 11. Wie in Asien regzert wm! 95 Institutionalismus gehe auf Kosten persönlicher Loyalität, zuviel Personalis— mus dagegen schade dem Verwaltungsapparat“. Dieses GleichgeWie—htlg_ Postulat ist einfach _in der Theorie, doch schwierig in der Ausführung. Der Versuch der chinesischen Reformer, anstelle der (partikulären) «Personal— die (universelle) Rechtsherrschaft» zu setzen und die Staatsgewalt nicht mehr von Person auf Person, sondern von Amtsträger auf Amtstr’a'ger über— gehen zu lassen,_hat bisher nur bescheidene Erfolge gezeigt. Sogar dynasti— sche Lösungen Sind noch lange nicht von der Tagesordnung verschwunden wie die Fälle Nordkorea (Kim—Familie), Taiwan (hang—Familie) und \'R‘ china (Mm—Familie), vielleicht sogar auch Indien (Nehru—hamilie} zeigen. Auch sonst sind nach Abschluß der antikolonialen Beiteiungskämpfe überall die altvertrauten Familien— und Patronagemuster wieder aufgetaucht , und mit ihnen die Loyalitäten zu jeweils ganz konkreten Bezugsgi'uppen, sei es nun zur Großfamilie und zu den «Cronies» auf den Philippinen, zu den «Cliquen» in Thailand, zu den «Patronen» in Indonesien, zu den militä— rischen Seilschaften (Vietnam, China) und Danweis (z. B. ehemalige Schule klassen) sowie zu den ethnischen Gemeinschaften Sollten diese Personal bindungen Wichtiger geblieben sein als «universalistische» Integrationsflik— toren wie Patriotismus, sozialistische Gesinnung oder aber «Dienst am Volk»? Man muß im asiatischen Kontext zwar umdenken und «Nepotismns» mit «wohlfunktionierende Patronagebeziehungen» sowie «Korruption» mit «Harmonisierung» übersetzen; gleichwohl läßt die Häufigkeit, vor allem aber die Unschuld, mit der «protegiert» und «harmonisierp er'd, immer wieder Zweifel an der Fähigkeit asiatischer Gesellschaften zur lnstitutionali— sierung aufkommen. Und doch gibt es gegenteilige Ansätze: ln Indonesien beispielsweise sieht Liddle7 im Zeichen der «Neuen Ordnung» Suhartos ei? nen gleich vierfachen Hoffnungsschimmer: Zu beobachten sei erstens die Verrechtlichung des lange Zeit höchst willkürlich (gegen Kommunisten und Islam) vorgehenden Polizeiapparats, zweitens eine neue und 1m.iglicl1erweise dauerhaftere Balance zwischen den verschiedenen Teilen des Militärs, der Bürokratie und der (zumeist chinesischen) Geschäftswelt, drittens eine Wachsende Glaubhaftigkeit des Regimes im Zeichen eines geschickt gehand— habten «demokratischen Populismus» und viertens die Itntstehung einer mittlerweile generell akzeptierten politischen Kultur. Suharto habe sich nach dem Umsturz von 1965 zwischen dem «radikalen Populismus» eines Su— kam0 («gelenkte Demokratie»), der Zusammenarbeit mit dem Islam oder ab.“ jener Spielform des «bürokratischen Populismus» entscheiden müssen, Wle fie bereits in jener Maxime des präkolonialen java verankert war, daß der *?Ve15e und kluge Herrscher sein Volk konsultiert». Unter Suharto nahm dläser Populismus Gestalt in Form der «Golkarisierung» an. Die 1971 ge— gründete Regierungspartei Golkar, die sich aus sogenannten «funktionalen Gruppen» (Berufungs- und Standesvcrtretungen incl. Militär) zusammen—