102 Aszatiscbe Gesellschaften und Verhaltensmle feindselige Bumiputra—Bevölkerung übernahmen, später freilich nicht selten zu Verbrecherbanden degenerierten. 1868 wurden in Singapur 66 Fraktionen der Triade mit zusammen 28418 Mitgliedern registriert, von denen 34 als «friendly societies», 4 als «nicht gefährlich» und 6 (mit einer Mitglit‘derzah] von allerdings 11 507) als «gefährlich» eingestuft wurden.”. Die Tradition der Geheimgesellschaften hat mit der Gründung asiatischer KPs eine moderne Variante erhalten. Ein Musterbeispiel dieser Art liefen nicht nur die Gründung der KP China in Shanghai (1921), sondern vorallem die Entstehungsgeschichte der von Ho Chi Minh im Auftrag der Kmnintern organisierten KP Indochina (1930), aus der 1945 die KPs von Vietnam, Laos und Kambodscha hervorgingen. So erklärt sich leicht, Wieso auch heute die Behörden mit Argusaugen jede Kristallisation von Gruppen verfolgcn_ 3. Zwischen Zentralisierung und Regionalisierung Kaum ein stärkerer Unterschied läßt sich denken als der Gegensatz zwischen chinesischem Zentralismus und indischem Föderalismus, ia Kommunalis— mus. Dabei haben sich beide Leitkulturen im Verlauf ihrer Staatswerdung jahrhundertelang durchaus parallel zueinander entwickelt: im China der «Streitenden Reiche» standen sich 14 Feudalfürstent'timer, in Indien fast zur gleichen Zeit 16 «Großstammestümer» (Mahajanpada) gegenüber, die ur» sprünglich wohl Stammesrepubliken mit soliden Mitbestimmungsrechten der Basis gewesen waren, die sich aber nach und nach in territoriale König— reiche mit wachsender Elitisierungstendenz verwandelten. Die Herrscher nahmen säkulare und hohepriesterliche Funktionen in einem wahr und prii" sentierten sich in China als «Himmelssohn», in Indien aber als Verkörpe rung eines Gottes — zumeist Vishnus oder Shivas. Der Hofstaat bestand hier aus Beamten, den Vorläufern des späteren Mandarinats, dort zumeist aus Brahmanen. Beide legitimierten ihre Unentbehrlichkeit durch ein immer komplizierter werdendes Ritual, von dem sich Reste bis ins 20.j;1hrhundert hinein erhalten haben — man denke etwa an die kaiserlichen Himmels—, [ird- und Ahnenopfer in China oder aber an die Verehrungskulte in den (}r.1btenr peln verstorbener Hindu—Könige. In beiden Reichen auch fraßen sich die Fürstentümer, dem «Gesetz der l‘i> sche» (matsnyaya) folgend, iahrhundertelang gegenseitig auf, bis Zum Schluß jeweils nur noch ein Großstaat übrigblieb, nämlich in China daS Reich des Ersten Kaisers mit dem Dynastienamen Qin, das allerdings nur kurze '["it (221 bis 206 v.Chr.) dauerte, um sodann von der machtvollcn 1_f‘m‘Dynastie (205 v.Chr. bis 220 ri. Chr.) abgelöst zu werden, und in In‘ die“ die Maurya—Dynastie (320 bis 185 v.Chr.). Kent Zufall auch, daß beide Kulturbereiche fast zur gleichen Zeit ($" V0rChr- Jahrhundert) «machiavellistische» Standardwerke hervorgebracht I]. Wie in Asien regiert wm! 103 haben, die sich in vielen Punkten ähneln, nämlich in China einige Kompem dien der sog. «Rechtsschule» (fajia), vor allem aber die «Kriegskunst» des Sun Zi, aus dem noch 2500 Jahre später Mao Zedong schöpfen sollte in In— dien das Arthashastra («Nutzen—Lehre»), aus dem die Könige Wirtschaftli- che, militärische und politische Lehren ziehen konnten. Beide Beamten— und Fürstenspiegel orientierten sich ausschließlich an der <Ötaatsraison» und wa— ren gänzlich frei von moralischen Bedenken. Beide Standardwerke leisteten zwar hervorragende Dienste bei der Macht- ergreifung, wurden dann aber, als das Ziel erreicht war, sogleich durch hoch- moralische Gegenlehren konterkariert, nämlich in China durch den Konfu- zianismus, der unter den Han zur Staatsdoktrin wurde, in Indien aber durch den Selbsterlösungsbuddhismus, der unter dem deCU‘L'CHLISICH Kaiser der Maurya—Dynastie, Ashoka (268 bis 233 v. Chr.), den Charakter einer Staats— religion annahm. In beiden Reichen hatte man offensichtlich das Gefühl, daß sich auf Skrupellosigkeit und sehrankenlose Snmrsmmm allein kein Weltre1ch bauen ließ. In China kam die staatsphilosophische Umschaltung übrigens der Einigung aufs vorte1lhafteste zugute: i\lorhte der Erste Kaiser den Zentralstaat auch begründet haben, so wurde seine Bewahrung doch erst durch den im Konfuzianertum angelegten «pyramidalen Analogismus» möglich (Näheres dazu S. 66f.). Indien umgekehrt, das den Staatsbuddhis— mus Ashokas schon bald wieder in Vergessenheit geraten ließ und zum «Ge— setz der Fische» zurückkehrte, bezahlte diesen Schritt mit dauerndem Zer- fall in einander bekämpfende Reiche. So ähnlich die Anfänge gewesen sein mOchten, so »erschieden fiel die wei- tere Entwicklung aus. Während nämlich in China der Zeritralstaat zur Nor— malität, die Spaltung aber zur Ausnahme wurde, war es in Indien gerade umgekehrt. Von den 2132 Jahren, die zwischen dem Anfang der Qin— und dem Ende der Qing-Dynastien lagen, standen 1718 im Zeichen der Einheit und nur 414 jahre im Zeichen der Spaltung. Blickt man andererseits auf die indischen Dynastien, so kann man überhaupt nur bei dreien von ihnen, nämlich der Maurya— (320 bis 185 v. Chr.), der Gupta— (320 bis 535 n. Chr.) und der MoghuI—Dynastie (1525—1857) von Großreichen sprechen. Ver— gleichbar mit dem Zentralisierungsgrad des chinesischen Reiches sind frei— lich allenfalls die Mauryas unter Ashoka (273 bis 236 v.Chr.), die Guptas unter Candragupta II. (37; bis 413 n. Chr.) und die Moghulen unter Akbar (1556—1605) und Aurangzeb (16584707). Von den 2177 jahren zwischen dem Beginn der Maurya— und dem Ende der Mogliul—Ii)ynastie lassen sich also nur 163 «Zentralismus»—jahre ausmachen. Verglichen mit China, wo das Verhältnis bei 4 : 1 liegt, wären die Zeiten des zentralen Einheitsstaates al.50s‘.1uantité négligeable — 1 : 13. Freilich sollte man nicht versehweigen, daß die einzelnen in der Vorherrschaft einander ablösenden Reiche Indiens in ih— rem Stammesgebiet, also regional, stets aufs solideste verankert waren, auch wenn die dynastischen Träger wechselten.