116 Asmtncbe Gesellschaften und \/erbalterzsstzle Auch die anderen asiatischen Gesellschaftsordnungen waren durch Ungc‚ schiedenheit von Recht und Moral, darüber hinaus aber auch noch durch die Einheit von Sakral— und I’rofanrecht gekennzeichnet. Am meisten gilt die-\ für den Islam, der bekanntlich die Vorstellung von einem säkularen (Üharalc ter des Rechts, wie sie in Europa bereits in spätrömischer Zeit einsetzte, nie akzeptiert hat. Im Islam ist die Rechtsordnung nicht zuletzt deshalb von „, überragender — und sakrosankter — Bedeutung, weil sie eine Art Ersatz für das seit dem t3.]ahrhundert ausgestorbene Kalifat ist. Wenn es schon keinen Vertreter des Propheten auf Erden mehr gibt, soll wenigstens die vtm Mt» hammed direkt aus dem Himmel «empfangene» Rechtsordnung dominie- ren. Die islamische Gesetzeswissenschaft (fikh) ruht auf vier Säulen, namlich dem Koran, der Sunna (dh, der vom Propheten und seinen Zeitgenossen vorgelebten Tradition), der Analogie (zum Koran und zur Sunnay) und dem Consensus der Gelehrten. In Südostasien kommt hier noch eine fünfte Säule hinzu, nämlich das Adat, eine Art malaiisches Gewohnheitsrecht. Religiösen Ursprungs ist auch das hinduistische Recht, das auf zahlrer chen Rechtsbüchern (dharma—shastra) beruht, u. a. dem Gesetzbuch des Manu. Rechte und Pflichten der Kasten, die niedrige Stellung der frau und die Eamilienbeziehungen sind hier mit religiös verbindlicher Wirkung gere— gelt. Hier wird man in ein bestimmtes «Recht» hineingeboren, das von vor» neherein alle Seiten des Lebens vorprogrammiert und gleichsam modulisiert‚ Im Laufe derjahrhunderte entwickelten sich weitere Traditionen, die quasi— rechtliche Verbindlichkeit erlangten, wie z. B. die Kinderheimt, die Polyga— mie, die Sklaverei, die Witwenverbrennung oder die «Unberiihrbarkeit». Das buddhistische Recht wiederum ist praktisch nur innerhalb der Mönchsgemeinschaft (Sangha) von Bedeutung und iiberläßt der staatlichen Gewalt im übrigen fast ausnahmslos alle weiteren Regelungen. Insofern kann hier, genauso wie bei den metakonfuzianischen Ordnungen, von einer — informellen ‚ Trennung zwischen religiösem und säkularem Recht die Rede sein, obwohl es bei diesen Gesellschaften nie eine «Zwei—Schwerter- Lehre» im Sinne des christlichen Mittelalters gegeben hat. Im Chin.i der Frühzeit hatte das Recht zwar noch durchaus magisch—rituellc Ruckbeziige. insofern nämlich die altehrwiirdigen «Fünf Strafen» in «Beziehung» standen Zu den fünf Himmelsrichtungen, den fünf] ahreszeiten und anderen Fiinfer» reihungen; spätestens seit der Tang—Dynastie (7‚jahrhundcrt) gibt es it’tl0Cl‘ bis ins Detail ausgearbeitete Codices, die mit leichten Abänderungen biS Zum Jahr 1911 weitergalten. Zwar kannte man auch jetzt noch keine scharft' Trennung zwischen Zivil—, Straf— oder Verwaltungsrecht und auch der Rich- ter pflegte identisch mit dem Ankläger zu sein; doch war die religiöse Veran— kerung im Laufe derjahrhunderte verlorengegangen; eine Ausnahme davon bildete lediglich das «Ritenrecht», das Bestimmungen über die Person des Kaisers, über die kaiserlichen Opfer an Himmel und Erde sowie uber den kaiserlichen Clan enthielt”. Y 11. Wie in Asien regiert wird „7 Wegen seines Mischcharakters war das traditionelle Recht zumeist weit weg von jener abstrakten und volksfremden Strenge der später auch in Asien rezipierten europäischen Gesetzbücher. Sachenrecht wurde tendenziell durCh Schuldrecht verdrängt, und auch das flexible 5Chuldrecht W d ] t [ich nicht als rechtliche, sondern eher als sittliche Kategorie versiJr d3 etz _ die sich jeder «anständige Mensch» zu halten hatte. Im chinesisili en,Gaeri wohnheitsrecht ist nicht von «Sachen» und «Vermögens»—Ge: anstänle die Rede, sondern von «Maulbeerblättern» und «Erdnüssen» Vegr fändetenFel— der müssen zur Zeit der «aufgeregten Insekten» eingelöst werdie)n Ein «Do- kument mit einem großen Kopf» ist ein Schriftstück, in dem ein höherer Preis angegeben ist als der, den man in Wirklichkeit erhält und das «Zwei- und-Acht—Spatenland» bedeutet, daß von den Erträgen zwei Zehntel an den Pächter und acht Zehntel an den Verp'a'chter fallen. Unterschieden wird fer- ner zwischen «weißen Feldern» (mit Beerdigungsplätzen) und «roten Fel— dem», zwischen «Feldhaut» (dh. der Erdoberfläche) und «Feldknochen» (d.h. dem Erdinneren), aus dem z.B. Kohle geschürft wird”. b) Überlagerung des traditionellen durcb das westliche Rec/at Mit der Kolonialzeit und der damit einhergehenden Verstädterung Indu- strialisierung und Monetarisierung ließ vor allem in den Ballungsgebieiten die bisherige Uberschaubarkeit nach. Gemäß dem Grundsatz: «Je überschauba- rer, desto gesitteter, je anonymer, desto verrechtlichter» entstand ein Bedarf nach neuen angepaßten Regelungen, der zumeist durch Übernahme europäi— scher Gesetzesordnungen gestillt wurde. Dabei rezipierten die kolonial ge— bundenen Staaten nolens volens das Recht ihrer Kolonialherren, während die ungebundenen oder halbkolonialen Länder mit Vorliebe zum deutschen Recht griffen, so z. B. japan, China, Korea und Thailand. Mit dieser Rezep— tion_wurde die Situation aber nicht etwa erleichtert, sondern eher noch kom- pliziert, da ja das alte Recht seinen Geist keineswegs aufgab. So war z.B. die chmesische Rechtsentwicklung nach 1949 das Ergebnis einer Auseinander— setzung zwischen nicht weniger als Vier Rechtstraditionen, nämlich dem in Zwe1]ahrtausenden gewachsenen und bis 1911 geltenden Recht, ferner dem Recht der Guomindang, das in den zwanziger und dreißiger jahren in An- lehnung an deutsche Vorbilder erlassen worden war, des weiteren dem Recht der «Basisgebiete», von denen aus die Kommunisten die Städte erobert hat— ten, und schließlich dem Recht der Sowjetunion. Jeder dieser vier Rechts- kre1se hatte nach 1949 seine große Stunde: zunächst kam das Sowjetmodell fm die Reihe; im Zuge der sog. «Rechtsabweichlerkampagne» von 1958 trat iii-loch eine Gegenbewegung ein, die zur Ausschaltung des gesamten Juri- gel;tstandes undüzur schlagartigen Vernachlässigung des bisherigen Gesetz- ein "gswerks fuhrte. Mit der Kulturrevolution (1966 ff.) w1ederum begann € EntW1cklung, die man als «Rückkehr nach Yan’an», also zum rechtli-