126 Asiatische Gesellschaften und Verbaltensstile men Krisensituationen auf; vor allem können «politisierte» Mönche bei Wahlen und Kampagnen unberechenbare Akzente setzen. In der Politik werden überdies gern buddhistische Symbole verwandt. Die islamische Ge_ setzesordnung tendiert dazu, den Staat vollständig zu vereinnahmen In der Praxis freilich muß er sich, wie sogar das Beispiel Pakistan zeigt, Einschrä„ kungen durch «säkulare» Gegenregeln gefallen lassen. Was, drittens, das Verhältnis der Religionen untereinander anbelangt, so zeichnen sich Hinduismus und Buddhismus durch außergewöhnliche Tole_ ranz in Glaubenssachen aus, wobei der Buddhismus auch darin konsequ€nt ist, daß er das Kastensystem ablehnt. Die blutigen Auseinandersetznngen der Hindus mit den Muslims und Sikhs sowie der buddhistischen Singhale. sen mit den Tamilen haben nichts mit «Glaubenskrieg» zu tun, sondern sind kommunalistischer Natur. Auch die chinesischen (bzw. sinisierten) Religio— nen Daoismus und Buddhismus waren so tolerant gegeneinander, daß sie sich teilweise fast unentwirrbar ineinander vermischt haben. Selbst der Kon. fuzianismus, der in seiner Substanz keine Religion ist, pflegte sich in religiö- sen Fragen nachgiebig zu verhalten, solange er in seinen Grundpositionen (pyramidaler Analogismus, Kaiser— und Ahnenkult) nicht in Frage gestellt wurde; es war ein Kardinalfehler des Katholizismus, dies verkannt zu ha— ben. Ganz im Gegensatz zu den indischen und chinesischen Religionen ist der Islam in Glaubensfragen von rigorosem Ausschließlichkeitsdenken ge— prägt, das freilich in Pakistan, Bangladeseh, Malaysia und Indonesien erhelr lich einlenken mußte — man denke an die zur Nachdenklichkeit und zum Kompromiß zwingenden Santri—Abangan—Reibungen (s. unten S. 245 f.) oder an die Konflikte zwischen den strengen und «humorlosen» Anhängern der ]amaad al Islam mit anderen weniger rigorosen Gruppierungen. Wie stark interessieren sich, viertens, die einzelnen Religionen überhaupt für weltliche Vorgänge , und wie nachhaltig ist der Einfluß der religiösen Re— geln auf das Leben der Staatsbürger? Am unpolitischsten verhalten sich hier Wieder Hinduismus und Buddhismus, da die Politik nur eine flüchtige Er— scheinung ist, in die man sich nicht ungestraft (d.h. ohne Karma—Verlust) einschaltet. In Grenzsituationen freilich, wie bei den blutigen Auseinander- setzungen zwischen Hindus und Muslims in den jahren 1947/48 sowie zwischen Singhalesen und Tamilen in den achtziger jahren oder aber beim Widerstand der mahayanabuddhistischen Mönche gegen das katholische Regime des früheren südvietnamesischen Präsidenten Ngo Dinh Diem i5t intensives «politisches Interesse und Engagement» zum Durchbruch gekom» men. Für den Konfuzianismus stehen nicht nur praktisch, sondern auch theoretisch geschichtliche und politische Vorgänge im Zentrum der Auf- merksamkeit. Das konfuzianisch geschulte Mandarinat hatte es denn auCh verstanden, über ]ahrtausende die Steuerung der Großen Politik zu mon0‘ pohsieren und sich die Einmischung von Religionsgruppen, welcher Cou— leur auch immer, zu verbitten. Auch der Islam erlaubt und fördert rege An— * I]. Wie in Asien regiert wird 127 teilnahme des Gläubigen an den Vorgängen dieser Welt V ll d' damentalisten neigen dazu, die Gemeinde Von Medina Z'u iC()ir allem ie Fun- von Mohammed persönlich geführt und «nach göttlichen] Gea lSleren’ dle Ja werden war. Hier herrschte vollkommene Einheit zwischenegetz>> ge;rdnet gion, zwischen Regierung und Geistlichkeit, ZWischen weltl. gaat Und Reh- lichem Recht sowie zwischen Individuum und Gemeins €me un gott— meinnützigkeit, solidarische Spendenbereitschaft VerbotC a t, W0bel„G?' gern Zinsnehmen und dergleichen selbstverständlicher Au Eon lfig.ennutzi- sinnung der wechselseitigen Heilsverantwortlichkeit zwiscsh rUcR einer ge- und Regierten war: dies zumindest ist die Idealvorstellim deerh eglere; en damentalisten. Vor allem bei den kommunalistischen Ausgein; deutigen un- in Malaysia und Indonesien kommt es zu häufigem und €.}? elisetzunlge'n schen Durchstarten, wobei Geistlichkeit und Koranschuleflä n;zh eng) po iti_ ern (Näheres unten S. 246 ff.). 35 re 613teu' b) Das vierfacbe Beziehungsmuster zwischen Staat und Religion Am Anfang der asiatischen Geschichte stand das Priesterköni turn d h d'e Einheit von Herrschertum und Geistlichkeit, von der sich Si ureh bis il zo.]ahrhundert erhalten haben — man denke an den chinesische}; «Himmde sohn» (bis 1911), an den japanischen Tenno, der die Sonnengöttin Amatä— rasu Oyikami als Urahnin verehrt (kraft Verfassung von 1947 allerdin 5 nur noch «Symbol des Staates» ist), an den tibetischen Dalai Lama und agn den letzten Hindu—Monarchen, den es noch gibt und der sich als göttliche Inkar— nation verehren läßt — den König von Nepal. Erst mit der zunehmenden Filigranisierung des Rituals gingen die religiö— sen Funktionen auf Zeremonialspezialisten über, die sich in der Regel auch durch besondere Gelehrsamkeit auszeichneten und zu Begründern des Schr1ftwesens, der Wissenschaften (Astronomie, Astrologie und Mathema— tik) sow1e des Orakelwesens wurden. Fortan entwickelten sich zwischen Staat und Religion, zwischen Beamtenschaft und Priesterschaft bzw. Monchtum die verschiedensten BeziehungskonsteNationen heraus, die sich theoretisch auf vier Spielformen reduzieren lassen: Herrschaft der Religion uber den Staat, des Staates über die Religion, Trennung oder aber Nebenein- ander von Staat und Kirche. Asien hat alle vier Varianten durchgespielt. %PWmatie des Priestertums über den Staat hit,iäifsvlifheöl:än ist Tibet. Das Königtum wurde_dort seit dem i4.]ahr— mit der FOIm dr ßen dher Gelbmutzensekte immer starker beiseite gedrängt, Sten The0klget, ad Sic in der Bergwelt des Himalaya eine der ausgeprägte- tionen erltsta l(äl er Weltgeschichte herausentw1ckelte. Ahnhche Konstella— tammessm;tm en seit dem i8.jahrhundert in einigen zentralasmtischen en, vor allem in der Mongolei, wo ein «Khutuhtu» (bis 1920)