128 Asiatische Gesellschaften und Vt'rbaltensstilc Funktionen ausübte, die denen des Dalai Lama vergleichbar waren. Auch im Staat der Sikhs galt der «Guru» als irdischer Bevollmächtigter Gottes. Der zehnte Guru, Govind Singh (gest. 1708), wurde zum Schöpfer eines theo— kratischen Militiirstaates, der sich mit den Briten anlegte, dann allerdings i849 unterworfen wurde. Im Rahmen der Indischen Union wollen sich die Sikhs bekanntlich eine erneute Sonderstellung in Form des Bundesstaatex Khalistan erkämpfen. Nach wie Vor gehen vom Goldenen Tempel im Anirit— sat kraftvolle politische Impulse aus, auf die Delhi mit militärischen Mitteln zu antworten pflegt. Iirhcbliche Macht über weite Teile des Staates übten eine Zeitlang, vor allem vom ig. bis 17.]ahrhundert, auch die großen japani_ schen Klöster auf, die mit ihren Mönchsheeren ganze Landestcile in Schach hielten und erst unter dem Daimyo Oda Nobunaga im wahrsten Sinne des Wortes ausgerottet wurden. Im Hinduismus gibt es zwar ein starkes Priesterwesen, doch ist es dort nie zu einer «tibetischen» Theokratie gekommen. Von den 15 Millionen Brain manen nimmt nur ein kleiner Teil «Tempelberufe» wahr; die anderen beklei— den die Positionen von Lehrern, Beamten und z.T. sogar von Köchm in «reinen» Betrieben. Im übrigen zerfallen die Brahmanen selbst in verschie— dene Unterkasten. Besonders kompliziert ist das Verhältnis des Islam zur Staatsführung. Der Theorie nach steht die Geistlichkeit über dem Staat ‚ man denke an die schiitische Theokratie unter Khomeni; in der Praxis frei— lich rangiert der Staat umgekehrt entweder vor der Kirche (Kemalismus), oder aber beide stehen. so ist es asiatischer Normalfall, nebeneinander, und dies sogar in Pakistan (näheres unten S. 132ff.). Die Herrschaft des Staates über die Religion Sie hatte sich im kaiserlichen China am weitesten ausgebreitet. Im Staats— konfuzianismus gab es keine Priester und auch keine «Kirche». Opfer an die kaiserlichen Ahnen, Feiern zum Geburtstag des Konfuzius etc. wurden viel- mehr von der «weltlichen» Beamtenschaft, und zwar von den Zeremonial- spezialisten des «Ritenministeriums», wahrgenommen, wobei der Kaiser Mittelpunkt blieb. jahrhunderte hindurch hatte der «Himmelssohn» im we- sentlichen eine hohepriesterliche Rolle gespielt. Obwohl mit Beginn der Ming—Dynastie (1368ff.) das Kanzleramt abgeschafft und die Kanzlerfunlv tion nun direkt vom Kaiser übernommen wurde, bekam die Politik keines wegs «religiösen» Anstrich — im Gegenteil. Das staatstragende Mandarinat berief sich auf eine dreifache l.egitimationsgrundlage, nämlich auf seine Ilär higkeit, das Volk sittlich anzuleiten, ferner auf die altiiberlieferten Institutio» nen (sog. «traditionelle Herrschaft» im Sinne Max Webers) und auf das kai— serliche Himmelscharisma. Die Kühle der konfuzianischen Staatsreligitm genügte dem einfachen Volk ebensowenig wie der Kaiserkult dem Populu5 1m_alten Rom. Aus diesem Grund entstanden unter daoistischem oder bud’ dhistischem Vorzeichen Ersatzkirchen, die vom Mandarinat wohlwollend * 11. Wie in Asien regiert wird 129 aber auch immer etwas mißtrauisch betrachtet wurden, da sie häufig die Nährmütter von Geheimgesellschaften und Aufstandsbewegungen waren Im allgemeinen war der Einfluß religiöser Organisationen auf staatliche Ent; scheidungen minimal. Machtvolle buddhistische Orden Waren in China und japan bereits im 9. bzw. I6.]ahrhundert zerschlagen worden. Auch der or— ganisierte Damsmus blieb politisch unbedeutend; er trat in zweierlei Gestalt zutage, nämlich in Form des «Berufs»— und des Kloster—Daoismus Die «Be- mfsdaoisten» gingen bei den Meistern des Longhushan («Dracheri- und Ti- gergebirge») in die Schule und erhielten von diesen ein Zeugnis das sie zur Ausübung des Exorzismus und zur Abhaltung daoistischer Andachten be- rechtigte. Das «Drachen-Tiger-Gebirge» in der Provinz ]iangxi war Begräb- nisstätte des Daoistenpapstes Zhang Ling, dessen «päpstliche» Nachfolger in der 70. Generation bis auf den heutigen Tag weiterwirken. Der Kloster- daoismus andererseits war im mittelalterlichen China weit verbreitet und hat auch heute noch Nachfolger (u. a. am Lac Shan nahe der Hafenstadt Qing- dao). Das Leben der Mönche richtet sich nach den «dreihundert Geboten», die z.T. buddhistischen Mönchsregeln nachempfunden sind“. Der «Xian» wird mit einem Zeichen geschrieben, das sich aus den Ideogrammen für «Mensch» und «Berg» zusammensetzt; er ist in. a. W. ein «Einsiedler» — und fern jeder Politik, für das Mandarinat also völlig ungefährlich. In Zeiten des Umbruchs freilich bekamen religiöse Gruppierungen Ein— fluß — man denke an die Tradition der Bauernaufst'a'nde in China, nicht zu— letzt aber auch an religiöse Gruppierungen in Vietnam, wie die Caodai, die Hoa Hao und an den südvietnamesischen Sangha. Die Herrschaft des Staates über die Religion geht in China nach 1949 weiter. Religionsgemeinschaftcn sind dort inzwischen zu «Massenorganisationen» umfunktioniert worden, die unter KP-Führung stehen. Trennung von Staat und Kirche Eine Trennung von Staat und Kirche im Sinne der Augustinischen Zwei— Welten—Lehre gibt es, sieht man einmal vom Sonderfall der ]ainas ab, prak- tisch erst unter europäischem Einfluß. Als Musterf'a'lle sind hier japan und Indien zu nennen. In Japan hatte der Tenno zwischen i868 und 194; kraft seiner göttlichen Sendung Staat und Religion im Geiste des Shintoismus mit- _elnander verklammert, um so den Neuerungsschock zu dämpfen, der dem Japanischen Volk im Zeichen der Meiii—Reform zugemutet wurde, aber 2_Uch um den sich schnell entwickelnden japanischen Imperialismus zu legi- tlm1eren. Durch die Verfassung von 1947 wurde der Kaiser als «Symbol» des Staates wieder dorthin zurückgedrängt, wo er 1000 jahre lang seinen Platz gehabt hatte, nämlich in das esoterische Milieu des Palastes. Heute herrscht Trel'lrlung von Staat und Kirche, die so weit geht, daß die Religionsgemein- schaften und Einzeltempel auch finanziell auf eigenen Beinen stehen müsv Sen. Nach Abschaffung des Staatsshintoismus gibt es ferner nur noch den