142 Asiatische Gesellschaften und Verbalterzsstz'le In der hinduistischen Gesellschaft waren Krieg und Kriegshzmdwerk ka— stengebunden. Die Vorstellung, daß ein Bauer, ein Fischer oder ein Hand— werker zur Waffe greifen könnte, um sich selbst zu wehren, war der traditim nellen Gesellschaft unbekannt. Besonderen Ruhm als Krieger erlangten al- lerdings die Rajputen—Völkerstämme, die ursprünglich im Gefolge der Hun— nen nach Westindien gekommen waren und die durch erfolgreiche Heirats— politik sowie durch kriegerische Unternehmungen im Laufe des Mittelalters mehrere Dynastien in Nordwestindien gründen und einen Teil der nordindi_ schen Kultur «rajputisieren» konnten. Sie liebten die ritterliche Hofhaltung und die]agd, ließen sich zu Kshatriyas‚ d. h. zu Angehörigen der Kriegerka. ste, «sanskritisieren» und führten fast pausenlos Kämpfe gegeneinander so_ wie gegen ihre hinduistischen Nachbarn, bis sie im i3.]ahrhundert den muslimischen Reiterheeren aus Afghanistan und der Türkei unterlagen. In ihrer Kultur lassen sich Parallelen zum europäischen Rittertum ausmachen, Mit der Idee des «königlichen Weltenherrschers» (Cakravartin), die Wäh- rend der Gupta—Dynastie aufkam, war zwar auch das Gebot zur «Eroberung der Weltgegenden» verbunden, doch blieben die Epochen einer großange— legten und aggressiven Expansionspolitik in der hinduistischen Geschichte dünn gesät — man denke an Ashoka, Candragupta II (375—415) oder an die südindische Cola—Dynastie, die Eroberungszüge bis nach Südostasien führte. Solche Energieausbrüche blieben aber, wie gesagt, die Ausnahme. Soweit es im übrigen zu ausgreifenden Kriegszügen kam, gingen sie zumeist auf das Konto islamischer Dynastien, die gegen ihre hinduistischen Nach- barn nicht nur aus Beute—, sondern auch aus Glaubensiiberlegungen zu Felde zogen — man denke an die Eroberungszüge des Delhi—Sultanats zu Beginn des „Jahrhunderts, die bis in den fernen Süden führten. Aber auch diese kriegerischen Traditionen wären vielleicht längst vergessen, hätten nicht die Briten während der Kolonialzeit damit begonnen, indische Söldner auszu— bilden, wobei sie für die panjabischen Muslims und die Sikhs, nicht zuletzt auch für die aus Nepal stammenden Gurkhas besondere Vorliebe entwickel- ten. Auch in der modernen indischen Armee (sowie unter den, meist höchst aggressiven, Lkw—Fahrern) spielen Paniabis und Sikhs nach wie vor eine her— vorragende Rolle. Zu gesellschaftlichen Lcitbildern sind sie deshalb freilich noch lange nicht geworden. Erfreut sich das Militär in Asien selten besonderer Wertschätzung, so sind doch andererseits die von ihm tradierten Kampfsportarten höchst populär und haben auch in Europa schnell Fuß fassen können. Bekannt sind das chi» nesische Gongfu, das japanische Karate (und judo), das koreanische Chak- wando und das vor allem bei den Touristen beliebte «Thai—Boxen», bei det“ nicht nur die Fäuste, sondern auch die Füße eingesetzt werden. Weit wem“ ger bekannt sind die vietnamesischen und indonesischen Kampfsportarten. Vor allem während des Zweiten Indochinakriegs waren die vietnamesischcn “Dac Gong» (Sondereinsatzgruppen im Stile der deutschen GSG—9) überall I]. Wie in Asien regiert wird [43 dort zur Stelle, wo es galt, Sabotage zu üben und infrastrukturelle Knoten- punkte Wie Flughäfen, Muntt1ons_— und Treibstofflager in die Luft zu jagen. ES waren die nach der alten, bis ins i3.]ahrhundert zurückgehenden Dac— Cong-Methode ausgebildeten Einheiten, die die Amerikaner bis zur Weiß- glut reizten, indem sie beispielsweise auf dem Saigoner Flughafen Tan Son Nut periodisch Flammenmeere anrichteten, Schiffe auf dem Saigonfluß Sprengten oder aber Bombenüberfälle auf Restaurants, Clubs oder Tanzhal— len der Amerikaner durchführten. Ende 1967 unterstanden dem Dac—Cong— Kommando innerhalb der nordvietnamesischen Armee 4000 Mann. In Indo— nesien gibt es die Selbstverteidigungskunst des «Pencak Silat», die z.B. in ca. 820 offiziell registrierten Schulen gelehrt wird. Grundelemente für außerge— wöhnliche Kraftentfaltungen sind eine besondere Atemtechnik und ein rund achtjähriges Training“. Konzentration, Atemtechnik und die technische Fähigkeit, die Kraft des anderen auf ihn selbst zurückzuleiten, sind die Schlüsselelemente fast aller asiatischen Kampfsportarten. Gemeinsam ist ihnen ferner eine besondere Schulung, die sich zumeist in einem spezifischen Meister-Schüler—Verhältnis abspielt, sowie ihre Herkunft aus einst echtem militärischen Einsatz. Erst spät hat diese militärische Tradition eine mysti- sche oder aber sportliche Note erhalten. Nicht nur Militarismus war in Asien die Ausnahme, sondern auch das Ge— genteil, nämlich die Gewaltlosigkeit, wie sie Gandhi unter dem Begriff «Ahimsa» zur Grundlage seiner politischen Philosophie gemacht hat. Gleichwohl leuchten einige von seinen Methoden jedem Durchschnittsasia— ten auf der Stelle ein, so beispielsweise seine Aufforderung an die Bevölke— rung, bei ihrem Kampf gegen die Briten mehrere Tage lang zu beten (und dadurch auf höchst friedliche Weise einen Generalstreik vom Zaun zu bre— chen), ferner sein Appell, englisches Tuch zu verbrennen und statt dessen selbstgewebte Textilien zu tragen (ein verheerender Schlag gegen den engli- schen Tuchexport), nicht zuletzt aber sein Aufruf, doch bitte in hellen Scha— ren ans Meer zu pilgern und dort Salz zu gewinnen: Die Briten, die diese Aktion eigentlich hätten verbieten miissen, weil Salzgewinnung staatlich monopolisien war, die jedoch andererseits nicht gleich mit gewaltigem Poli- ze1aufgebot dazwischenfahren wollten, waren am Ende der Lächerlichkeit Preisgegeben, was in Asien einem politischen Todesurteil gleichkommt. 8. Idealbilder asiatischer Staatsphilosophie In China, wo man sich immer schon stärker als anderswo in Asien für Fra— gen des politischen Zusammenlebens interessiert hat, sind vor allem zwei Danschulen besonders prominent geworden — der Legalismus (fajia) und füellieläonfyuzianismus (rujia). Anstelle eingehender Erläuterungen, die Bände Wurden, sollen hier zwei Beispiele angefuhrt werden, die den Haupt—