Asiatische Gesellschaften und Verhaltensstzle 146 rung des «religiösen» Karma im Mittelpunkt des Staatszwecks. Eine mw derne Variante des Staatsbuddhismus entstand unter der Regierung U Nu 1961 in Birma. Hierbei wurden folgende Kriterien vorgegeben: Verwendim?l von mindestens 0,5 % der jährlichen Haushaltsausgaben für typisch religiösc Projekte, gesetzlicher Schutz für buddhistische Feiertage, Einführung des Religionsunterrichts an sämtlichen staatlichen Schulen, Förderung des P der heiligen Sprache des Buddhismus, Sonderurlaub für Staatsbedienstetc bei religiösen Sondereinsätzen, vor allem an I‚ehranstalten‚ Wiedereinfüh— rung der traditionellen Mönchsgerichte und Einrichtung einer I’ali»Univcr-Sje tät sowie einer eigenen Religionsorganisation, nämlich des «Union Buddlm Sasana Council»7o. Mit der Einführung des Buddhismus als Staatsreligitin fühlten sich die nichtbuddhistischen Minderheiten diskriminiert, die dann freilich zur Besänftigung Autonomierechte zugesagt erhielten. Die Militär, andererseits, denen die Rettung des Gesamtstaats wichtiger war als die Stny pathie der orthodoxen Buddhisten, sorgten nach dem Militiircoup von it‚(sg wieder für die Trennung von Staat und «Kirche». Ideal des Staatsislam ist, zumindest nach fundamentalistischer Anita» sung, die Umma von Medina, also jene Gemeinschaft, zu der sich die (ihn— bigen im Geiste der Religion zusammenschließen und in der sie alle glen:lp berechtigt sind; es gibt hier keine Rang—, sondern nur Funktionsunur schiede. Hatten Mohammed und seine unmittelbaren «Nachfolgen, die Kalifen, in der Urgemeinde noch sämtliche Gemeinschaftsfunktionen una persona ausgeübt, nämlich Prophetie, lmamat (: «geistig—religi0se Anhi tung»), Rechtsprechung und militärisches Oberkommando, so wurden diese später auf Imame, Rechtsgelehrte (Ulamas) und Militärkommandanten ii\\ler sire) verteilt. ali, Es gibt in der Umma keine Priesterschaft, sondern nur eine Gemeinschaft der Gläubigen und kein individuelles Gemeinde—, sondern nur ein allumlav sendes Oberhaupt — Allah. Die innere Ordnung der Umma ergibt sich aus der gemeinsamen Unterwerfung unter das göttliche Sesetz (Shariali; und unter die jeweilige Regierung, die anstelle Gottes handelt und der also ieder Gläubige zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet ist. Angesichts der gmtlr Chen Ableitung des Regierungsauftrags kennen die mohammedanist‘lml Länder kaum_ Legitimationsschwierigkeiten. Selbst eine «gottfern» leur delnde Obrigkeit läßt sich schwer abschütteln. «Opposition» und «l’luralts» mus» sind (für Fundamentalisten) Fremdwörter. Maßstab einer guten Reg=ü rung ist «Gerechtigkeit», worunter das klassische islamische Denken hartnw nische gesellschaftliche Beziehungen in gemeinsamer Demut vor Gott wr stand. Aufgabe des Staates ist es, für die Durchsetzung des Islam, lin die Anwendung der Shariah und für die Verteidigung der Orthodoxie gegen ll;t f"351€n aller Art zu sorgen. Gesetz und Glaubenslehre sind eins, insofern sic la beide unmittelbar von Allah stammen, Es gibt daher nur göttliches Real“ ‘ vor allem keine laizistisch—säkulare Staatlichkeit. Aufgabe der Rechtng [I. Wie in Asien regiert wird 147 lehnen ist es, sicherzustellen, daß «menschliche» Erläuterungsregeln stets im Shariah—Rahmen verbleiben. Bei aller Gleichheit haben sich dann am Ende doch drei Elitetypen herausgebildet, nämlich der Rechtsgelehne, der Monarch (Sultan, König) und der Philosoph, der in der sunnitischen Reli— gi0fl zumeist mit dem Imam identifiziert wird”. Ratschläge für seine kon— krete Regierungsarbeit fand der traditionelle Monarch in den vor allem in Asien weitverbreiteten Fürstenspiegeln. In der nachkolonialen Welt Asiens sind als Hauptstaatszweck heute zwar zumeist «europäische», d.h. säkulare Ziele ausgewiesen, doch brechen die alten Muster immer wieder durch, wie die Entwicklungen vor allem in Birma, in Sri Lanka oder Indonesien gezeigt haben. Dabei ist China in der glücklichen Lage, nach einer mißlungenen sozialistischen Zwischen— phase wieder auf das alte — und höchst säkulare — Ziel zurückgreifen zu können, «die Menschen wohlhabend und wohlerzogen zu machen», wie ja die metakonfuzianischen Staaten überhaupt wesentlich empfänglicher für moderne Gegebenheiten sind als jene von Indien her beeinflußten Ge— sellschaften, deren Hauptzielsetzungen jahrhundertelang weniger irdischer Natur waren und die deshalb beträchtliche Anpassungsschwierigkeiten haben. 9. Ausdrucksformen politischer Kultur Mit den Stichworten Personalisierung, l’aternalismus (statt Demokratie), Zentralisierung, Macht, Religion und Staat, Frieden und Staatsphilosophie sind bereits wichtige Bereiche der politischen Kultur angesprochen worden. Zur Abrundung des Themenbereichs seien nachfolgend noch kurz vier wei— tere Aspekte beleuchtet: a) Mas/ee und Wesen: Rituulisiemng und th’ngming In ganz Asien, vor allem aber in der konfuzianischen W'elt, gibt es die tief Vetwurzelte Überzeugung, daß Rollen und Handlungen begriffsdeckend sein müssen: ein «Vater» muß sich also wirklich wie ein Vater verhalten, Wenn er als solcher anerkannt sein will, ein «Fürst» wie ein Fürst, eine Ehe— frau Wie eine «Ehefrau». Auch bei Aktionen, etwa bei der Durchführung eines Streiks, ist ein Verhalten an den Tag zu legen, das dem Begriffsfeld des «Streiks» auch wirklich entspricht, ebenso wie bei Demonstrationen oder beim Uniformtragen. Ein westlicher Ausländer wird es deshalb selten erle— ben, daß ein chinesischer «Volksbefreiungssoldat» ihn anl'a'chelt. Wer ferner Je die Würde eines koreanischen Busfahrers erlebt hat, der so sehr in seine R91le hineinwächst, daß er gleichsam zu einem Modellfall des Busfahrers Wird, weiß, was mit Rollenidentifikation gemeint ist.