Asiatische Gesellschaften und Verhaltensszile 150 schon um eine «sozialistische» Fachlichkeit («rot und fachmännisch») han— deln. Ferner wird der reine Pragmatismus eingeschränkt durch den ZWang zum Optimismus, den Pye72 als «optimistischen Imperativ» bezeichnet Wer seine Anhänger überzeugen will, darf ihnen nicht mit Analysen kommen, die zwar höchst sachgerecht, aber inhaltlich grau in grau gehalten sind. Ma“ muß fröhlich und heiter auftreten in China, wenn man auf seine nüchternc Umgebung mitreißend wirken will; in allen metakonfuzianischen Staaten herrscht ja stets eine Stimmung vorauseilender Skepsis. Als sich in Japan nach Jahren des Erfolgs Mitte der achtziger Jahre die Krisenerscheinungen zu häufen begannen, die Beamtengehälter gekürzt und eine Lohnst0ppolirik verordnet wurde, tauchte überall das resignative «Yappara» («Ach, ;1L,„ doch!») auf — Ausdruck der Stimmungslage von Menschen, die lange Zeit passiv mit der Natur gelebt haben und überzeugt davon sind, daß man gegen das Schicksal letztlich doch machtlos ist. Gleichwohl kann man, so wider— sprüchlich dies auf Anhieb klingt, von einer Art passivem Optimistntts sp„» chen. «Angst» hat hier eine andere Qualität: sie ist vorhanden, aber sie lit'lnnt nicht. «Nantoka naru de sho — Es wird schon irgendwie besser werden ., lau tet eine häufige Bemerkung, die etwa nach «Und nun trotzdem!» klingt. Zum allgemeinen Lebensbild gehört die Vorstellung vom Bambus, der, lange Zeit vom Schnee niedergedrückt, sich am Ende doch langsam wieder aut— richtet, nachdem er demütig abgewartet hat. Der chinesische Pragmatismus wird durch nichts deutlicher illustriert als durch das überall bekannte Gleichnis vom davongelaufencn Pferd. Der alte Mann, dem das Malheur passiert ist, bemerkt dazu lediglich: «Ich mache mir deshalb keine Sorgen. Man weiß nie, wozu es gut ist.» Tatsächlich kommt das Pferd schon ein paar Tage später zurück, und zwar mit einem gaiwen Anhang von Wildpferden, die ihm willig gefolgt sind. Alle gratulieren nun dem Alten zu seinem Glück, doch dieser meint nur «Man weiß nie, wozu es gut ist» und macht nicht allzuviel Aufhebens von dieser neuen Wendung der Dinge. Und siehe da, eines Tages fällt sein einziger Sohn beim Zureiten aus dem Sattel und wird zum Krüppel. Erneut bemitleiden alle den alten Mann. doch dieser erwidert in gewohntem Gleichmut, daß man nie wissen konne, «wozu das gut ist». Nicht lange danach ziehen Regierungstruppm durch das Dorf und rekrutieren alle gesunden jungen Männer für eine Grenzpatrouillc — nur der Sohn des alten Mannes bleibt wegen seiner Verletzung von dieser gefährlichen Pflicht verschont. Pragmatismus bezieht sich zumeist nur auf Vergangenheit oder (ic;;flj* wart, nicht jedoch auf die Zukunft, mit der fast kein Asiate _ und kaum cm asiatischer Marxist — etwas anzufangen weiß. Das lutherische «Wenn mw gm Cl_le Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanxcw fande kaum irgendwo wirkliches Verständnis! ' „I" I]. Wie in Asien regiert wird 151 () «Gliedhaftigkeit»> Daß das Ganze in Asien mehr gilt als die Summe seiner Teile, wurde oben S_ 38ff. bereits ausgeführt Auch die Gesellschaft ist nicht eine Ansammlung von Individuen, die dem Ganzen selbständig gegenüberstehen, sondern ein nach genauen Regeln geordnetes interpersonelles Gefüge von Gliedern, die sich in das Ganze einordnen. Uber— und Unterordnung, (}egenseitigkeit bei Pflichten und Diensten, Arbeitsteilung und Konservativismus sind Haupt» strukturelemente. Schon fast sprichwörtlich ist die ubiquitäre Hierarchie, die nicht nur im Konfuzianismus oder Hinduismus verankert ist, sondern auch in den islami— schen Gesellschaften lndonesiens oder Malaysias, wo man ja eigentlich mus— limische Gleichheit erwarten müßte, wo jedoch überall noch das hinduisti— sche Kulturerbe durchschlägt. Stets hatte man hier noch jemanden über sich. Sogar der Herrscher verstand sich noch als Vasall des «Himmels» oder Gotf tes. In den heutigen «sozialistischen» Ländern Asiens ist das Stufenverhalten vielleicht sogar noch stärker ausgeprägt als in den «bürgerlichen» oder «feu— dalistischen» Gesellschaften. Einsame Spitze erreicht hier Nordkorea, wo nicht nur die üblichen Funktionärsprivilegien (Dienstautos mit Gardinen, Kaderkrankenhäuser, Awohnungen, «gefängnisse und sogar —friedhöfe), son« dern auch die Anredeformen der Kader untereinander verschieden sind, je nachdem, ob der Adressat ein übergeordneter oder ein untergeordneter «Genosse» ist — im ersteren Fall verwendet man den «vornehmeren» sino— koreanischen Ausdruck «Dongii», im letzteren dagegen das vertraulichere «Dongmu», mit dem übrigens auch die Ehefrau titulicrt wird. In einigen Sprachen, wie im Koreanischen, japanischen oder Thailändischen. verwen— det man überdies gegeniiber einem Höherstehenden andere Anreden und Z.T. sogar Verben als gegenüber einem sozial Untergeordneten. Weiß man über die Stufcnfolge nicht Bescheid, so lahmt dies die Zunge. Der Austausch von Visitenkarten mit Namen und Ranganzeige ist deshalb unerläßlich. Der gesellschaftliche Eingliederungsdruck wirkt sich auch auf Wirtschaft und Politik aus. In zahlreichen Gesellschaften bestehen strenge Arbeitstei— lungsvorschriften ‚ am unerbittlichstcn nach wie vor in der hinduistischen Kasten— und Subkastengesellschaft, aber 1uch im sonst so hochmodernenja— Pan, Wo bestimmte, nach shintoistischer Begrifflichkeit «unreinc» Tätigkei— ten wie Gerberei, Schlachterei und dergleichen den de lege eigentlich schon 1871 abgeschafftcn «Burakumin» («niedrigen Leuten») überlassen bleiben, die ihrerseits subkastenähnlich organisiert sind. Zu erwähnen auch die h_ÖChst präzisen Arbeitsteilungen zwischen den Geschlechtern in einigen Sljdostasiatischen Gesellschaften. Die Männer besorgen dort das Vieh * Buf- fe], Schweine, Rinder, Hühner und Enten — sowie die schwerere Eeldarbeit “hd betreiben Fischerei. Die Frauen erledigen den Haushalt, helfen auf dem Feld mit und haben Tragearbeiten zu leisten. Vor allem im malaiisch—islami—