Asiatische Gesellschaften und Verbaltensstile

 

152
schen Bereich käme es keinem Mann in den Sinn, ein Bündel schwerer Bam_
busstangen oder aber einen Früchtekorb von einem ins andere Dorf zu
Schleppen; er wuchtet die Last zwar auf die Schulter oder auf den von einer
«Pdsterkrone» geschützten Kopf der Frau — die Last zu tragen und zu
schleppen ist jedoch deren Aufgabe.

Die «gliedhafte» Arbeitsteilung erfolgt aber darüber hinaus auch in dem
Sinne, daß der Bauer ackert, der Mönch psalmodiert und das Mandarinar
regiert, ähnlich wie im europäischen Mittelalter, als es noch die Ordines (Ka-
tegorien) der aratores, der oratores oder der bellatores gab. «Regieren» Wird
in allen asiatischen Gesellschaften «von denen da oben» erledigt; Partizi—
pationserwartungen sind minimal, und überall gibt es formelle Abgrenzum
gen - im Hinduismus, im Buddhismus und im Daoismus: Bekannt ist das
politische Abstinenzgebot für buddhistische Mönche, das sich noch heute
dahin auswirkt, daß Mönche beispielsweise weder aktiv noch passiv wahlbe—
rechtigt sind. Auch in den «300 Mönchsgeboten des chinesischen Daois—
mus«73 gibt es drei Mahnungen: «Du sollst dich nicht um militärische oder
politische Angelegenheiten kümmern» (st. Gebot), «Du sollst in militäri—
schen oder politischen Angelegenheiten nicht Glück oder Unheil durch
Orakelmittel erkunden» (52. Gebot) und «Du sollst über politische Angele—
genheiten keine Diskussionen führen» (;3. Gebot). Was umgekehrt die
Machthaber anbelangt, so pflegen sie Kritik oder Opposition geradezu als
Majestätsbeleidigung zu empfinden. Es herrscht der Grundsatz, daß, wer
opponieren möchte, sich gefälligst um Aufnahme in den Club der politi—
schen Elite bemühen — oder aber schweigen möge. Von diesem Eliteprinzip
haben auch die Sozialrevolutionäre keine Ausnahme gemacht. Zu den gesell—
schaftspolitischen Hauptanliegen Mao Zedongs hatte es zwar gehört, «Poli—
tik» für jedermann «an die erste Stelle zu setzen», «Rot» höher zu bewerten
als «Fachmännisch» und vor allem überall die «Massenlinie» durchzusetzen;
doch durften die vielbeschworenen «Massen» allenfalls gegen die Feinde
Maos initiativ werden, niemals jedoch gegen ihn selbst oder sein «Haupt
quartier».

Wer die Gesellschaft und die so tief eingekerbte Arbeitsteilung schnell ver—
ändern möchte, kann leicht scheitern. Es ist gewiß kein Zufall, daß in China
gerade jene Dynastien, die mit besonderem Schwung Veränderungen betrei—
ben wollten, auch die kurzlebigsten waren « man denke an die kraftvolle
Qin—Dynastie, auf deren Konto zwar die Einigung des Reiches ging, die ins
gesamt aber nur 15 Jahre alt wurde, man denke ferner an die Sui (;8if61'8)‘,
die nach dreieinhalb Jahrhunderten der Zerrissenheit das Reich wieder einig-
ten, die mit zu den Hauptkonstrukteuren der Großen Mauer sowie des Ralf
serkal_lals gehörten, Millionen von Arbeitsdienstpflichtigen organisterts‘f‘
Und Sich nicht weniger als zwei Hauptstädte, Chang’an und Luoyang, leiste
ten, die diesen Kraftausbruch aber mit einer kurzen Lebensdauer von nur 37
Jahren bezahlen mußten. Auch die draufgängerische Yuan—Dynastie brachtz?

v

11. Wie in Asien regiert wird

153

es nur auf 89 Jahre. Was schließlich das maoistische China anbelangt, so sank
es mit dem Tod seines Führers ins Grab; zumindest ist davon unter den Re-
formern kaum etwas übriggebliebcn. Umgekehrt konnten sich alle konser—
vativen Dynastien meist Hunderte von Jahren halten, darunter sogar die von
fremdländischen Herrschern bestimmten Qing.

Eine «konservative Revolution» findet nach vielen Jahren der Nachah—
mung des Westens nicht nur in Japan statt, sondern auch in buddhistischen,
vor allem aber in den islamischen Ländern, wo die fundamentalistischen Bea
wegungen den Geist der «Gemeinde von Medina» neu beschwören. Die
Haupttri€bkmft dafür geht freilich letztlich von dem Identitätsverlust aus,
mit dem sich die asiatischen Gesellschaften angesichts der zunehmenden
«Verwestlichung» bedroht sehen.

d) Der Melafeonfitzianismus als Beispiel einer «neuen» politischen Kultur

China ist heutzumge weder eine sozialistische noch eine kapitalistische Ge
sellschaft (dies iat der Autor begründet im China—Band der BsR Nr.867,
S. 287ff.), sondern eine Ubergangsgesellschaft auf dem Wege zum Metakon—
fuzianismus; mit diesem Begriff ist nicht der Konfuzianismus der Großen
Tradition und des Mandarinats gemeint, sondern der Bauern—, Händler und
Kleinbürger—Konfuzianismus ‚ kurzum der Kt)tifuziaiiisnius des kleinen
Mannes, dem die maoistische Revolution nicht das geringste anhaben
konnte und der deshalb in allen sinisierten Ländern, d. h. in den beiden KO—
reas, in Japan, Vietnam, Taiwan, Hongkong und Singapur, folgende gemein—
same Elemente aufweist:

— Einordnungsbereitschaft: Nicht das Ich, sondern das Wir steht im Vor—
dergrund. Der einzelne ist also nicht Individuum, sondern «Ältester Sohn»
in der Familie, «Zweiter Buchhalter» in der Xeliabrik etc. Am Telefon mel—
det er sich zuerst mit seiner Danwei, dann erst mit seinem Namen.

— Hierarchie: Es gibt keinen «Bruder», sondern nur einen «Älteren» oder
einen «Jüngeren Bruder», keinen «Onkel», sondern nur einen «Zweiten»
oder «Dritten Onkel»; das Alter steht über derjugend und — bis vor kurzem
— der Mann über der Frau, ligalitarismus und Gleiclibercchtigung gelten ins—
geheim als «unnormal». Dies ist übrigens auch international gesehen der
Fall: «Wir» (China oder Japan) sind entweder die Nr. I oder wir rangieren
unter «ferner liefen». Niemand sei so naiv zu glauben, daß China die neuer—
Worbenen Technologien nicht eines Tages genauso gegen die Europäer aus—
Spielen wird, wie es die Japaner heute schon tun.

— Vorrang der Erziehung und des Lernens: Konfuzianische Gesellschaf—
ten sind pädagogische Provinzen; ihr Symbol ist der Zeigefinger, ihre Hal—
tlmg der pädagogische Optimismus: nichts, was nicht durch Erziehung er—
reicht werden könnte ‚ sogar Vollkommenheit. Der Nimbus des Fachwis—
sens zählt dabei allerdings weniger als die Gemeinschaftsförmigkeit.