162 Asiatische Gesellschaften und Verhaltensstile mente unberücksichtigt bleiben, die der Wirtschaft erst deneigentlichen Schub gegeben haben und deren Dynamik übrigens einen weiteren klassi_ schen Beweis dafür liefert, daß der «Uberbau» im Entwicklungsprozeß oft aussehlaggebender ist als die materielle Produktions—«Basis», die nach mar, xistischem Verständnis als «Haupttriebkraft» für den sozioökonomischen Aufbau gilt. Die besondere Stärke Japans, die Korporativität, entfaltet sich ganz bc_ sonders aber auf betrieblicher Ebene. Die einzelnen Elemente des «Kaishais— mus» (Kaisha : Firma) sind inzwischen schon allzu oft beschrieben woiu den, als daß sie hier ein weiteres Mal ausführlich wiedergegeben werden müßten. Stichworte9 müssen genügen: .. Die Kaisha als «Großfamilie», als «Wir—Verband», als «Mein Haus„ (uchi), als (zumindest emotionale) «Schieksalsgemeinschaft», als «Fortset— zung des traditionellen Dorfes», in jedem Falle aber als Solidarverband; Fir» menname vor Eigenname, periodisches Absingen der Firmenhymne, regt—l» mäßige «Schwurversammlungen»; nicht Arbeiter, sondern «Mitarbeiter» mit Selbstwertgefühl und Verantwortung für das Ganze. — System der lebenslangen Beschäftigung: Zwei «Sicherheiten»: keine Kündigung und großzügige Abfindung bei Erreichen der Altersgrenze von 55 Jahren; kaum Firmenwechsel, jedoch Rotation in neue Abteilungen alle zwei bis drei Jahre. — «Harmonie ist das höchste Gut» (Firmenmotto von Hitachi). Der Har— monie dient vor allem: (a) das «Nemawashi» («Wurzeln pflegen»), d.h. ein intensives Gruppenleben bis in die Freizeit hinein, (b) Beförderung nach Se— niorit'a't, nicht primär nach Leistung und (e) Führung ohne Chefgebaren. Der Gruppenleiter ist nicht Vorgesetzter, sondern Moderator: Er diagnostk ziert die Stimmung («Wieviel Energie hat ein Team?», «Wie hoch ist sein Zy= nismuspegel, seine Depressivität oder seine Melancholie?») und verbreitet Handlungsoptimismus durch sublime Beeinflussung; nicht Mobilisierung durch Angst, sondern durch Schaffung von Teamgeist und Vertrauen. — Gemeinsame Beschlußfassung: Angestrebt wird Mitentseheidung, Mit! handeln, Mitverantwortung, also Mitbestimmung statt Fremdbestimmung: Es gilt, jeden Mitarbeiter den Sinn seiner Tätigkeit entdecken zu lassen, ihn einzubeziehen und mündig zu machen. Hauptmethoden sind (neben dem Nemawashi) die periodischen und häufig zeremoniellen Versammlungenv die zu Solidaritätskundgebungen werden, ferner die «Qualitätszirkel» (Ver» besserungsvorschl'a'ge aus dem Kreis der Mitarbeiter) und das Ringisei (Sy- stem des Umlaufverfahrens), bei dem die Entscheidungsvorlage von unten nach oben durch sämtliche Abteilungen «reist» und dort abgezeichnet wird. — Sozialleistungen als Mittel der Personalpolitik: fürsorgliche Unterstüt- zung durch die Kaisha, und zwar von den Ferien im Werksheim bis hin zur Ehev€rmittlung; Betriebswohnungen, organisierte Freizeitgestaltung, HOb’ b)’Clubs und preiswerte Einkaufsmöglichkeiten. Y 111. Wie asiatische Gesellschaften Ic‘lrtSChdfll’ll 163 „ «Dualstruktur». Die Bewunderung für die oben beschriebenen und im Sehrifttum zumeist in verstärktes Licht getauchten Einrichtun en und Grundsätze weicht jedoch einer schnellen Ernüchterung wenn mangerfährt daß der Löwenanteil der Privilegien im allgemeinen mir der Stammbeleg—i schaft zugute kommt, während die Saison», Min und Zulieferbetriebsar— heiter als zweite Garnitur behandelt und zumeist auch mißbraucht werden, darunter ein hoher Frauenanteil Im überbetrieblicghen Bereich verwirklicht sich Korporarivität vor allem in Form einer engen Zusammenarbeit zwischen Kapital (d. h_ den Firmen so- wie der Bank ofJapan), Arbeit (zumeist Betriebsgewerkschaften) und Büro« kratifi (vor allem MIle Ministry of International Trade and Industry). Da— bei setzen die Unternehmen ihre Interessen gegenüber der Bürokratie haupt— sächlich auf vier etablierten Wegen durch, nämlich über die vier führenden Wirtschaftsverbände, ferner über halb staatlich, halb privat organisierte «Be— ratungsgremien», «Studiengruppen» und «Wirtst‘haftsforschungsinstitut€»„ die jeweils im Vorfeld der Ministerien und Behörden angesiedelt sind, drit— tens über «Anhörungs»—Stellen, die von der Regierungsparmi unterhalten werden, und viertens über zahlreiche «Clubs», die im Umkreis einzelner Politiker aus dem Boden zu schießen pflegen und in deren Rahmenwerk per— sönliche Beziehungen zwischen den Vertretern der Bürokratie, des Unter— nehmertums und der Arbeiterschaft umgesetzt werden. Schaltstellen sind fast in jedem Fall Einzelpersonen, die über ein entsprechendes Beziehungs— netz verfügen. Die korporative Zusammenarbeit hat sichtbare Früchte getragen und zu wohlabgestimmten gesamtnationalen Industrinlisierungs— schritten geführt: In den fünfzigerjahren beispielsweise stand die Stahlpro— duktion, in den sechzigerJahren die Automobilherstellung, in den siebziger Jahren die Elektronik, in den achtziger Jahren aber die Genetik, neue Mate— rialien, Kornmunikationstec'nnologie und erneut Elektronik im Vorder— grund. Auch der Ausstieg aus «Sonnenuntergangs»dndustrien wie Stahl- und Schiffbau ist den Japanern wesentlich früher gelungen als anderen ver- gleichbaren Industrieländern. Das für die Modernisierungsfähigkeit Japans so alles bestimmende Wertesystem stammt, wie Pohl” zu Recht betont, vor allem aus der Kleinen Tradition Japans, die im Ausland weit weniger be— kannt ist als jene Große Kultur des Kaiserhofs und des Schwertadels (der Samurai), die durch ihre Schlösser, Tempelanlagen, ihren Zemßuddhismus Und ihre «Kultur der Stille» berühmt und zum Gegenstand zahlloser Filme sowie der Tourismusindustrie geworden ist. Zwar erlebte diese Welt mit dem Wiederaufkommen des Faschismus während der dreißiger und vierziger Jahre eine künstliche Neubelebung, doch versetzte ihr die Niederlage von I9_4s dann endgültig den Todesstoß. Am Ende war es nicht der «Weg des Ritters», sondern der durchaus unkriegerische «Weg des Handwerkers, des Kallfmanns und des Reisbauern», der dem Aufbauprozeß so günstige Per— sPektiven eröffnete. Diese Gegentradition hatte sich bereits während der T0— als Konjunkturpuffer