164 Asiatische Gesellschaften und Verbaltensstile kugawa-Zeit im I7.jahrhundert entwickelt und ihren beredtesten AusdruCk im Kabuki-Theater, im Holzschnitt und in einem ungemem soliden Hand- werk gefunden. Diese bürgerliche Welt war es denn auch, die — der Anti— Luxus-Gesetzgebung und der Verachtung durch die Aristokratie ZUm Trotz — eine Erwerbsgesinnung entwickelte, die zum idealen Nährboden für die nach 1868 rezipierte westliche Technologie wurde. Aus diesem Gegen— satz von «Lotos— und Robotland»11 erklärt sich übrigens auch der Wider- spruch zwischen dem «romantischen japanbild» des Durchschnittseuro- päers und der rauhen japanischen Wettbewerbswirklichkeit. Trotz gewisser japanischer Besonderheiten sollte man freilich nicht vergessen, daß die Hauptingredienzien des Wirtschaftserfolgs übergreifender metakonfuziani- scher Natur sind, nämlich das Senioritätsprinzip, die «Wim—Solidarität im Danwei-Rahmen, die lebenslange Beschäftigung und vor allem das Prinzip der Gegenseitigkeit, demzufolge jeder «Paternalismus» von oben automa- tisch Loyalität von unten zur Folge hat. Im chinesischen Bereich ist die Modernisierungsfähigkeit lange Zeit vor allem in Taiwan, Singapur und Hongkong getestet werden, während die VR China fast dreißig jahre lang einen «wertefremden» Weg gegangen ist, von dem sie sich erst nach dem Tode Maos abgewandt hat, um nunmehr desto hastiger zurück zur «Normalität» zu eilen. Vor allem mit Blick auf Hongkong wird deutlich, daß der Hauptunterschied zwischen japani- schen und traditionellen chinesischen Durchschnittsunternehmen darin be— steht, daß die Chinesen dem Familienkriterium bei der Auswahl von Be— triebsmitgliedern weitaus mehr Beachtung schenken als die Japaner - ein Unterschied, der zur Folge hat, daß japanische Unternehmen sich wesent» lich leichter vergrößern können als chinesische Betriebe, die gerne wirk— lich familiengebunden bleiben. In der VR China allerdings ist als Folge von 30 jahren Revolution das Wir—Gefühl von der Familie tendenziell auf die «Danwei—Familie» übergegangen — eine Annäherung an japan ln Hongkong dagegen verläßt man nach wie vor ungern den Familienrahmen und bevorzugt statt dessen eine Vielfalt von Vertrags— und Untervertrags» beziehungen, die «typisch chinesische» Verschachtelungen zur Folge haben. Das (nach Vertikalität angelegte) Schachtelmuster wiederum führt zu einer bemerkenswert kleinzelligen Arbeitsteilung, in deren Rahmenwcrk sich der einzelne Betrieb auf kleinste Teilprozesse spezialisieren kann. Dies zeigt sich besonders deutlich im Handwerkbereich: Winzige Hinterhof- fabriken beschränken sich z.B. darauf, Radnaben oder Speichen zu fer— tigen, wobei ihrer Arbeitszeit selten Grenzen gesetzt sind. Man ist ai50 Zwar unflexibel in der Ausweitung von Arbeits- und Fertigungsbereichen. dage_g6n höchst anpassungsfähig in der Art und Weise der Anfertigung sowre in der Zeitdisposition. Kein Wunder, daß die Chinesen als Betreiber V_°'ä Restaurant-, Wäscherei— oder Reparaturunternehmen unschlagbär sm . * III. Wie asiatische Gesellschaften wzrtschaften 165 Die Zerlegung und Aufteilung in winzige Arbeitsabschnitte gab es in den vergangenen jahrhunderten auch auf dem Gebiet des Handels _ zum Bei— spiel des Salzhandels. Das kostbare Salz durchlief auf dem Wege von der Sa- line bis zum Konsumenten nicht weniger als sechs Stationen vom «Herstel- ler» über den «Großverkäufer», den Transporteur, den «Großaufkäufer» über den «Verteiler innerhalb der Provinz» bis hin zum «Einzelhändler». Mit dieser Aufzählung sind freilich erst die Croßkategmig„ erf;jßt die sich ihrerseits wiederum filigranhaft verzweigten, so z. B. die Transportdure nach Schiffsagenten sowie nach drei bis vier Graden von Dschunkenbesatzungen, Verladeunternehmen etc.”. Der französische Dramatiker Paul Claudel, der in seiner jugend als Konsul in China tätig und zeitweise mit der Beobach— tung des Holzhandels zwischen Fuzhou und Shanghai beauftragt war, zeigte sich fasziniert von der unüberschaubaren Zahl von Betriebszellen, Zwi- schenstationen und Kontrollagenturen. Eine zentrale Rolle in diesem Ge— flecht nahm der Makler und Zwischenhändler ein, der vor allem mit dem Kapital seiner Verwandtschafts— und Bekanntschaftsbeziehurigen wucherte. Vielleicht sollte man in diesem hochgradig arbeitsteiligcn chinesischen Kon— text weniger von «Unternehmertum» als vielmehr von «Ubernehmertum» sprechen, das durch drei Eigenarten geprägt Wäre, nämlich durch Beschrän- kung der Geschäftstätigkeit auf winzige Teilbereiche, durch strenge behörd- liche Rahmenüberwachung und nicht zuletzt durch extremen «Personalis- mus». Das «Ubernehmertum» scheint den Chinesen entgegenzukommen, da es Ausdruck einer «involutiven» Entwicklung ist, an die man sich seit langem gewöhnt hatte, weil sie immer dann einzutreten pflegte, wenn der Wirtschaft durch die Bürokratie oder durch natürliche Gegebenheiten Grenzen gesetzt wurden und wenn es nun trotzdem galt, für möglichst viele Menschen Arbeits— und Existenzmöglichkeit zu schaffen. Es handelt sich beim Uber— nehmertum übrigens um ein Phänomen, das angesichts seines Beschäfti— gungseffekts und seiner Dienstleistungsfrcundlichkeit auch in die neue Wirt— schaftsstruktur des reformerischen China gut hineinpaßt. Solange der Konfuzianismus als Staatsdoktrin lebendig war, behinderte er die Modernisierung. Doch nun, da er als Doktrin tot, als informelles Werte— System aber höchst lebendig ist, dient er geradezu als Treibsatz für die wirt— schaftliche Erneuerung. Der Widerspruch, der sich hier aufzutun scheint, verschwindet jedoch, wenn man bedenkt, daß es sich beim einen um den Konfuzianismus der Großen Tradition, beim anderen aber um den «Konfu- zianismus des kleinen Mannes» handelt, der nicht den großen Fragen des Erd-Himmel—Bezugs oder der Moralitiit staatsmiinnischen Handelns gewid- met ist, sondern altbewährte Antworten auf die kleinen Sorgen des täglichen Lebens erteilt, ohne sich gleich ganz von den Grundvorstellungen der Gro— ßen Tradition verabschiedet zu haben.