168 Asiatische Gesellschaften und Verbaltensstile nen Kastenstrukturen beeinflußt ist. Zwei praktische Beispiele aus dem mit deutscher Entwicklungshilfe errichteten Stahlwerk Rourkela seien hier zur Illustration angeführt“. Der indische Vorarbeiter in einer Werkhalle konsta— tiert, daß am Hochofen ein Ventil zugedreht werden muß. Statt nun diese Arbeit, die nur einen einzigen Handgriff erforderte, selbst zu verrichten, schaltet er den ihm unmittelbar unterstellten Facharbeiter ein, der freilich wiederum nicht selbst tätig wird, sondern die Weisung eine Stufe nach unten weitergibt. Auch der hier adressierte Arbeiter will nicht selbst zugreifen, sondern weist einen Hilfsarbeiter an, dem nun, da er auf der untersten Be— fehlssprosse steht, nichts anderes übrigbleibt, als endlich zur Tat zu schrei— ten. Da er das Ventil jedoch ungeschickt anfaßt, entsteht ein Schaden von mehreren Millionen Rupien. Zweitens: Ein für die Reinigung der Fabrik— halle zuständiger «Sweeper» ist damit beauftragt, den Boden der Halle zu reinigen, ein anderer hat die dort aufgeschraubten Maschinen sauberzuhal— ten. Keiner von beiden käme jedoch auf die Idee, daß die Maschinenfunda— mente, also die im Winkel von 45 Grad zwischen Hallenboden und Maschi— nen verlaufenden Massivteile in seinen Aufgabenbereich fielen. Es stört we— der den Maschinetr noch den Bodenputzer, daß die Maschinenfundamente nach und nach völlig verschmutzen. Die Einstellung eines dritten Reinigers könnte nun zwar das konkrete Problem lösen, würde jedoch nichts an der in einem solchen Denken eingebauten Blockade ändern, im Gegenteil. Ein in— discher Kommentator bemerkt resignierend, «daß die Industrieunterneh— mung in Indien nicht das Glück hat, in einem kulturellen System zu arbei— ten, dessen Wertvorstellungen und Glaubenssätze als förderlich für die Be— triebsführung angesehen werden können»”. Mangelnder Wettbewerbsgeist, Überbesetzung von Arbeitsplätzen, Vetternwirtschaft, häufiges unentschul— digtes Fernbleiben und bisweilen «frappierende Disziplinlosigkeiten» der Belegschaft, die oft tagelang nicht an ihrem Arbeitsplatz erschienen, seien die Folge des Fehlens einer wirtschaftsfreundlichen «Kultur» und würden überdies noch verstärkt durch autoritäres Verhalten der Betriebsinhaber. Der indische Standardbetrieb sei ein Familienunternehmen, in dem der Kapital- inhaber zugleich auch Betriebsleiter ist. Selten komme es dem an der Spitze stehenden Halbgott in den Sinn, Entscheidungsbefugnisse zu delegieren und seine Mitarbeiter Eigeninitiative entfalten zu lassen. Allerdings gibt es in dieser Regel einige höchst bemerkenswerte Ausnah« men, nämlich die «Business Communities», zu denen neben den hinduisti- schen Vaishiyas, also den Angehörigen der traditionellen Händlerkaste, vor allem Nicht—Hindus gehören, nämlich die Parsen, die Sikhs und die Jainas- Mit am erfolgreichsten sind die Parsen Bombays, und unter ihnen wiederum die Familie Tata, deren Stahl—, Kraftwagen—, Kraftwerks— und Dienstlei- _5tungSimperium sich heute über ganz Indien erstreckt und deren Lkws u. a. In Zusammenarbeit mit Daimler—Benz entwickelt wurden. Der auf Zarathu- stra zurückgehende Parsismus beruht auf der Grundidee des Gegensatzcs Y 111. Wie asiatische Gesellschaften wirtschaften 169 von Gut und Böse sowie von Licht und Finsternis. Auf der bösen Seite steht u.a. alles, was dem Gedeihen der Kultur, nicht zuletzt der Wirtschaft ent- gegensteht, aufder guten, was ihr nützt. Es gibt kaum eine zweite Religion, die so kulturbe;ahend ist Wie der Parsrsmus — und mit der sich übrigens auch ein so starker Prädestinationsglaube verbindet. Der wohlhabende erscheint als «Erwählter». Hier ergeben sich zahlreiche Parallelen zum Calvinismus der ja, nach Max Weber, an der Wiege des modernen Kapitalismus gestanderi hat, insofern der Erwerb persönlichen Wohlstands als Beweis für Gottgdäl- ligkeit angesehen wurde, während der gleichzeitige Verzicht auf Konsum (innerweltliche Askese) den Grundstock für solide Kapitalbildung abgab. Auch der Sikhismus, die jüngste (15.]ahrhundert) auf indischem Boden ent- standene Religion, ist wirtschaftsfreundlich. Vom Hinduismus haben die Sikhs zwar die Lehre vom Atman/Brahman, von der Seelenwanderung und vom Karma übernommen, nicht jedoch das Kastenwesen mit seinen so ein- engenden Schranken. Ferner geht der Sikhismus von der Möglichkeit einer vorzeitigen Erlösung durch eigenes moralisches Tun aus, wodurch dem Fa- talismus ein Riegel vorgeschoben und gleichzeitig der Eigeninitiative das Tor geöffnet wird. Beruflich haben sich die Sikhs im wesentlichen dem Handel, der Landwirtschaft und dem Soldaten— sowie dem Polizeiberuf verschrieben — manchmal leider auch dem Geldverleiherwesen”. Die dritte, außerhalb des Hinduismus stehende, wirtschaftlich bedeutsame Religionsgruppe Indiens sind die Anhänger des ]ainismus, einer Religion, die auf Mahavira, einen Zeitgenossen Buddhas, zurückgeht und deren höchst wohlhabende Ge- meinde im heutigen Indien nur noch etwa 1,5 Millionen Anhänger zählt. Aus der vom Hinduismus übernommenen Idee von der Einheit aller Lebe- wesen folgt für den ]ainismus die Einsicht, daß wir uns selbst schaden, wenn wir anderen Leid zufügen. In unserem ureigensten Interesse ist deshalb Ahimsa (Gewaltlosigkeit) zu üben » ein Schlüsselbegriff des jainismus. Jeg- liche Art des Tötens ist verboten — mit der Folge, daß die ]ainas nicht nur strenge Vegetarier sind, sondern sogar den Gebrauch des Feuers ablehnen, das ja zum Beispiel den Insekten schaden könnte. Viele Berufe scheiden für Jainas daher von vornherein aus, so etwa der Ackerbau, bei dessen Aus- übung Pflanzen beschädigt sowie Würmer und Engerlinge getötet werden. Letztlich engten sich die Berufsmöglichkeiten daher auf nicht—tötende Ge- werbezweige ein, die sich, wie es der Zufall nun einmal wollte, als höchst profitträchtig erwiesen, nämlich auf den Geldverleih sowie auf den Juwelen— und Stoffhandel. Da der jainismus überdies innerweltliche Askese fordert, darf das reichlich eingestrichene Geld nicht verpraßt werden und häuft sich daher schnell zum Kapitalstock an — eine Wiederum fast calvinistische Situation, die zu ähnlich «kapitalistischen» Konsequenzen führte wie in Europa”. Durch die britische Kolonialherrschaft und ihr gläubigerfreundliches R€Cht sind die im Parsismus, Sikhismus und ]ainismus steckenden und auch