Asiaziscbe Gesellschaften und Verbaltensstile 202 ungünstigen Augenblicken, denen es mit allen Mitteln parapsychologischer Technik nachzuspuren gilt. In ganz.Asien, ob nun auf einem b1rmamschen Dorf, in der Zhonghua—Straße in Ta1bex oder auf der sza im Herzen von Tokyo, gibt es Dutzende von Geomanten und Handlesern und Interpreten von Bauernkalendem, die die guten und schlechten Tage für den Antritt ei— ner Reise, für die Wahl eines Ehepartners u.dgl. herausfinden. Selbst ein aufgeklärter Intellektueller wie Prinz Sihanouk beherzigt solche Fingerzeige und hält z.B. die Geomanten Hongkongs für die besten. Die westliche Vorstellung, daß «Zeit Geld bedeutet», Wäre dem traditio— nellen Asiaten höchstens unter dem Aspekt des Kairos, niemals aber im Zu— sammenhang mit Chronos verständlich. Kommt es nämlich auf den «günsti— gen Zeitpunkt» an, dann ist gar nicht einzusehen, warum ich mich zu einer «Zeit», die nicht unter einem günstigen Stern steht, hetzen soll; ich würde ja doch nur alles verlieren! Drängen wirkt in der Regel befremdlich. Kairos bemißt sich nach günstigen Augenblicken, Chronos dagegen nach Stunden und Tagen, Wochen, Jahren und Großperioden, die jeweils anders definiert werden: Am genauesten geht man mit Tagen und vor allem mit Stunden um — nicht deshalb, weil man etwa Geschäftstermine genau einhalten möchte, sondern weil es beim Horoskop auf äußerste Präzision der Zeitberechnung an— kommt; kann es doch einen geradezu schicksalhaften Unterschied bedeuten, ob man zur Stunde des Affen oder aber der Ratte geboren ist! Während es z. B. die altrömische Zeitgliederung mit der Einteilung der Nacht in drei Vi» gilien (Nachtwachen zu je drei Stunden) und des Tages mit ebenfalls drei Dreiereinheiten, nämlich der dritten, sechsten und neunten Stunde, nicht allzu genau genommen hatte, kommen Chinesen und Inder mit ihrer we- sentlich präziseren Segmentierung des Tages und der Nacht in 24 Einheiten der modernen westlichen Rechnung verblüffend nahe. Wesentlich großzügiger — weil für das Horoskop nicht mehr so bedeutsam — ist bereits der Umgang mit der Wocheneinteilung — hier gibt es Rhythmen von der Fünf— bis zur Zehn—Tage—Woche. Ein Definitionsbedürfnis war hier schon deshalb nicht gegeben, weil den Asiaten die Sabbat—Idee, derzufolge jede Woche einen Ruhe— und Bettag (judentum: Samstag, Christentum: Sonntag, Islam: Freitag) enthalten soll, mit wenigen Ausnahmen unbekannt geblieben war. Im Gegensatz zu den unterschiedlichen Tages— und Wocheneinteilungen Waren die ]ahresrhythmen dagegen weltweit fast überall wieder dieselben: In den kälteren Regionen Asiens sind die vier jahreszeiten klar ausgeprägt, in den tropischen Regionen geben Monsun— und Trockenperioden den Takt an. S_°Wohl in den Weide— als auch in den Bauernkulturen war damit ein klamm— rissenes Rahmenwerk für das Naturjahr vorgegeben. Verschiedene Auffas— sungen gab es lediglich im Hinblick auf den Beginn eines solchen Jahres. Hlelt man sich an die Vollmondphasen, so ließ man das jahr, wie etwa im —r [V. Wie Aszalen den/een 203 alten Israel, entweder mit dem Herbst oder aber, wie in fast allen asiatischen Ländern, mit jener Vollmondphase beginnen, die nach europäischer Rech— nung etwa auf den Februar fällt. Das Sonnenjahr wurde von Asien erst unter dem Einfluß Europas übernommen, so daß heutzutage zwei Zsfitrcchnun en nebeneinanderherlaufen. Wie unten auszuführen, wurde das Naturjahrgbei den asiatischen Bauernvölkern schnell zum kultischen jahr, das sich nach den großen Festen gliederte. Recht verschieden fiel dagegen die vierte Dimension der Gliederung, nämlich die geschichtliche I’eriodisierung, aus: In der konfuzianischen Welt pflegte man nach Kaiserjahren zu rechnen — ein Braueh, der in japan noch heute üblich ist: Da Kaiser Hirohito 1926 unter der Regierungsparole «Showa» den Thron bestiegen hat, gilt 1987 als das 62. Showa—Jahr. Die Mo— hammedaner periodisieren die Geschichte nach der «Hedschra», d.h_ der Übersiedlung Mohammeds von Mekka nach Medina (622 n. Chr.). Die Buddhisten rechnen vom Geburtsjahr Gautama Buddhas (650 v.Chr.) an; das jahr 1987 ist also «2547 n. B.». Im alten Indien bestimmte sich die Zeit— rechnung nach drei alternativen Modellen, nämlich entweder nach dem Buddha-jahr oder nach der «Vikrama»—Ära (;8 v. Chr.) bzw. der «Shakra»— Ära (78 n. Chr.). Die Herkunft der beiden zuletzt genannten Daten ist im— mer noch umstritten”. » Ein dritter Unterschied zur europäischen Auffassung ist das Erlebnis der Zeit als eines konkreten Geschehens. Zeit gilt nicht als Summe von Mi- nuten oder Tagen, sondern von Ereignisreihen, die sich in jalireszeiten, in Farben, Lichtfülle, Gerüchen und Verhaltensweisen, vor allem aber in Fest— girlanden manifestiert, die sich zumeist um Vollmondphasen ranken. Zeit wurde also nicht mit der Stoppuhr, sondern nach der «Dichte» oder Nicht— intensität des sozialen Lebens gemessen. Sie wurde «dicht» zur Zeit der Fe— ste, «leer», wenn es wieder an die tägliche Plackerei und profanc I“eldarbeit ging. So gesehen hatte die Zeit auch eine soziale Dimension: Für einen man— darinären Amtsträger mochte sie auf unterschiedliche Weise verlaufen, für den Reisbauern oder Schweinehirten änderte sich nichts am ewigen Einerlei. Es gab also keine allen gemeinsame Zeit. So herrschte denn auch die Vorstel— lung, daß die Zeit um den Königs— oder Kaiserhof herum wesentlich «dich— ter» war als draußen im Lande oder gar an der Peripherie des Reiches, wo ja gleichzeitig auch die Zivilisation schnell abnahm”. Wie sich am Körper Me— ridiane befinden, wo die Akupunkturnadeln eingestochen werden, so gibt es auch in der Landschaft und nicht zuletzt im chronologischen Ablauf Meri— dianpunkte — die ersteren sind durch Bauwerke, häufig «nadelförmige» Pa- goden, die letzteren durch zeitlich erlebb3re «Verdichtungen» und Ritenbe- gehungen gekennzeichnet. 50 wie sich im Christentum das Naturiahr «ver— christlichte», d. h. mit einer Abfolge von religiösen Festen überzog, wurde es in den Theravada—Gesellschaften «buddhisiert», im Muslimbereich «isla- misiert» und im sinitischen Kulturkreis konfuzianisiert oder dat)isiert (Nä—