208 Astdtisr/Je (}escllscbaflen und Verhalzensstile deine nächste Existenz zu schaffen! Auch Sozialpolitik kuriert nach dieser Auffassung nur an den Symptomen herum, beseitigt aber nicht die Ursa— chen: Wer im Slum lebt, war seines Unglücks Schmied; nicht «Ausbeuten oder menschliche Bösartigkeit sind für das Mißgeschick verantwortlich, sondern das eigene Tun. Was nützen demgegenüber schon Nächstenliebe, Mildtätigkeit oder der Abschluß einer Sozialversicherung.> (Moderne Sozial— politik als Möglichkeit für die Regierenden, ihr eigenes Karma aufzubessern, könnte allerdings, wie oben bereits erwähnt, höchst heilsame Wirkungen ha» ben.) Auch sonst kommt der Europäer mit der buddhistischen Kausalitäts— lehre nur mühsam zurecht; gibt es dort ja einen aus drei Grundübeln, sechs Wiedergeburtsbereichen und zwölf Gliedern (nidanas) bestehenden Wirk— und Zweckursachenzusammenhang, der vor allem in dem (meist neben der Eingangspforte tibetischer Tempel angebrachten) «Lebensrad» eine ein— drucksvolle Illustration findet. Die drei Grundübel, die einander bedingen, sind Haß (symbolisiert durch eine Schlange), Dummheit (symbolisiert durch ein Schwein) und Wollust (symbolisiert durch einen Hahn). Die sechs Wiedergeburtsbereiche (oder Stätten des Leidens), durch die der einzelne «rotiert», sind die Reiche der Götter, der Titanen, der Tiere, der Höllen, der Hungergeister und der Menschen. Die zwölf Glieder des Kausalnexus schließlich sind «Nichtwissen», «Triebkräfte», «Bewußtsein», «Name und Form», Aktivierung der «sechs Sinnesorgane», «Berührung», «Empfin— dung», «Lebensdurst», neuerliches Eingehen in den Mutterschoß, erneutes «Werden», neuerliche «Geburt» und erneut «Alter und Tod». Nach dieser zwölften Station beginnt das Rad wieder von vorne beim «Nichtwissen» und so ewig weiter, wenn die Qual nicht endlich durch Eingehen ins Nirvana be— endet wird. Ist es schon schwierig, all diese Begriffe richtig zu deuten (es gibt dazu eine unübersehbare Literatur), so erscheint es nahezu unmöglich, hier noch Wirk‘ und Zweckursachen zu unterscheiden. Alles geht wahrhaft «samsara»—gleich ineinander über. Von der Zweckursäichlichkeit zur Akausa— lität ist es oft nur ein kleiner Schritt. Während z.B. der westliche Mensch die Welt mit äußeren Mitteln (d. h. die Gesellschaft mit politischen Maßnah— men und die Natur mit Wissenschaft und Technik) beeinflussen will, lautet die konfuzianische Devise «Ich zwinge die Welt mit inneren Mitteln», indem ich mich moralisch vervollkommne und mir damit meine Umgebung gefügig mache. Ein im Sinne der überkommenen Sittenlehre zum «Modell» gewor dener Politiker zwingt die Gesellschaft unweigerlich in seinen Bann * wie übrigens ebenso ein Daoist, der es gelernt hat, seinen Körper vollkommen Zu beherrschen, zu Wundertaten aller Art, zu Heilungen, ja zum freien Schweben durch die Luft befähigt ist. In zahlreichen chinesischen Spielfih men werden die Naturgesetze kurzerhand außer Kraft gesetzt, indem die Helden etwa beim Schwertkampf durch die Luft wirbeln, mühelos rück- wärtsauf Hausdächer schnellen und von dort sogleich wieder wirbelnd und todbringend ins Geschehen zurücktauchen. Auch der Yogi, der jahrelang in [V. Wie Asiaten den/een 209 seiner Höhle meditiert, oder der Samurai, der sein Schwert nicht führt, son— dern selbst zum Schwert geworden ist, vollbringt wahre \Vundertateri. Mächtig sein heißt in Asien stets «w1rken, ohne zu tun» (Vg1_ g“ „ f.) Der «Wille Gottes», der oben als fünfte Erklärungsmöglichkeit angegeben wurde, hat im islamischen Bereich bekanntlich zu einer stark fatalistischen Neigung geführt, aber nicht nur dort, sondern auch im Hinduismus sowie in jenen Kulturen, in denen sich beide Traditionen übereinandergeschichtet ha_ ben, z.B. in java. Als Zeichen «moralischer Reife» gilt es dort, «sabar„ (ge— duldig), «rirria» (hinnehmend) und «iklas» (bereitwillig) zu sein, d.h. die Kraft zur stillen Annahme des Unvermeidlichen zu besitzen“? Eine der ge- bräuchlichsten Redensarten Malaysias ist «Bismillah» _ der «Wille (;0m.3„1 Nicht weniger häufig heißt es auf den katholischen Philippinen: «Bahala na» - «Gott wird es schon richten!» Auch die philippinische Vorliebe für Wet— ten, Mitbieten beim Hahnenkampf, für Kartenspiele und für das Lotterie— spieljueteng hängt mit einer aus dem Malaiischen stammenden f.1talistischen Grundeinstellung zusammen. Im Zusammenhang damit steht wohl auch das weitverbreitete «Mariana»—oder «May be later»eDenkeii. Zum «Fatalismus» als einer Haupteigenschaft des «indischen Volkschzv rakters» gibt es eine Kontroverse. Die indische Soziologin Kusum Nair, die im Zeitraum 1938/59 Feldforschungen in verschiedenen indischen Bundes— staaten durchführte, kam zu Ergebnissen, die selbst für sie als Hinduistin bestürzend waren“: Pachtbauern und Landarbeiter, die von der örtlichen Grundbesitzerschaft aufs schamloseste ausgebeutet wurden, waren mit ih— rem Los durchaus nicht unzufrieden. Den Grundbesit'zern Land wegzuneh— men und es unter die Armen zu verteilen, schien ihnen völlig unvorstellbar. Im gleichen Sinne erregt sich ein britischer Autor}4 über die Gleichgültig— keit, mit der Slumbewohner indischer Großstädte ihre Wohnhedingungen akzeptieren — und das, obwohl sie manchmal «in einem knietiefcn Morast von Kot und Kehricht leben, über dem eine einzige dunkle Wolke von Flie— gen schwebt. Nichts ist so erniedrigend wie diese Indifferenz, diese zum Himmel schreiende ruhige Mattigkeit von Körper und Geist... Haß ist menschlich, Indifferenz aber ist im Grunde das finde der Menschlichkeit.» Ein anderer britischer Autor, seines Zeichens Mcdizinhistoriker, wendet sich gegen die Fatalismusthese und führt dabei das Verhalten indischer Großstadtbewohner während der Pest- und Hungerkatastrophen des 19. Und zo‚]ahrhunderts ins Feld‘“. Bei den großen Pest— und Choleraseuchem zwischen 1896 und 1916, die rd. zehn Millionen Inder dahinrafften, habe es zwar da und dort durchaus den traditionellen I*‘atalismus gegeben; doch hat- ten sich die meisten Inder nicht auf Gebete zur «Pockengöttin» Sitala und auf religiös—magischen Abwehrzauber beschränkt, sondern durchaus ratio— nales Verhalten an den Tag gelegt, indem sie nämlich entweder mit Kind und Kegel aus dem verseuchten Gebiet Hohen oder zumindest den «Stammhal— ter» an einen sicheren Ort schickten.