‚4 Asiatische Gesellschaften und Verbaltensstile 2 im Deutschen von «den Goethes» spricht, wenn man Personen mit poeti— schen Fähigkeiten meint. . . Während in den modernen europäischen Sprachen Ad)ekt1ve und Substan_ tive streng voneinander getrennt werden, neigt das Sanskrit dazu, ein Adjek— tiv als Substantiv zu verwenden, z. B. tapana : «brennend» und zugleich «die Sonne» oder aber suhrd : «gutherzig» sowie «der Freund»“. Im Gegensatz dazu zwingt die chinesische Satzkonstruktion zu einer präzisen Differenzie— rung zwischen «Bestimmendem» und «Bestimmtem», jenes wird im Chinesi— schen, ebenso wie im japanischen, dem Bestimmten vorangestellt, während es in den malaiischen Sprachen gerade umgekehrt ist, z.B. «des Mannes Name» (chin., iap.) oder aber «der Name des Mannes» (malaiisch). Im Sanskrit besteht darüber hinaus die Tendenz zur Substantivierung « und damit Abstrahierung von Verben: Man hängt an ein Tätigkeitswort Suf fixe wie z.B. «—ta» oder «—tva» (entspr. dem dt. «—tät») an. Der Satz «Er al- tert schnell» wird im Sanskrit z.B. gern mit «Er geht schnell zur » und «Die Frucht fault» mit «Die Frucht geht zur » wiedergegeben, Mit einem winzigen Schritt ist man hier also bereits im Reich der Abstrak— tion. Kein Wunder, daß indische Denker schnell «abheben», während die chinesische Darstellungsweise immer irdisch—greifbar bleibt. Substantivic» rung und Abstrahierung im Sanskrit, dialektische Bewegung und Konkret—» heit dagegen im Chinesischen, so z.B. in Ausdrücken wie «shanshui» («Berg—Wasser» : Landschaftsgemälde), «shanhai» («Berg—Meer», das von Bergen und Meeren umschlossene Land als Ganzes) oder aber, um hier einen für den Sino—Kommunismus zentralen Begriff zu zitieren: «maodun» (wörtl. «Speer—Schild», d.h. «Widerspruch» — z.B. im Sinne des Gegensat— zes zwischen Bourgeoisie und Proletariat). Zum Paradebeispiel für diese die Einheit der Gegensätze ausdrückende Eigenart des Chinesischen ist der Be griff yin—yang (dunkel—hell) geworden, in dem sich die chinesische Lebens— philosophie wie in einem Brennglas konzentriert. Was schließlich die Idee der All—Einheit anbelangt, die ja das Herzstück des traditionellen indischen Denkens überhaupt ist, so scheint sie ebenfalls linguistisch vorstrukturiert zu sein. Während z.B. im Altgriechischen, das ansonsten ja durchaus Gemeinsamkeiten mit dem Sanskrit aufweist, präzis zwischen «pan» (all, Singular im Sinne von lateinisch «omne») und «pantha» (alle, alles, Plural im Sinne von lateinisch «omnia») unterschieden wird, taucht dieser Begriff «alles» im Sanskrit immer nur als «sarva», d. h. im Sinf gular, auf”. Wären die indischen Arier Griechen gewesen, so hätten sie Wahrscheinlich nicht gesagt «pantha rhei» (alles fließt, im Sinne von «om ma»), sondern «pan rhei» («all fließt»). Das Sanskrit drängt also den Plural Zum Singular, die Vielheit zum Einen. Von hier ist es nur noch ein kleiner Schritt zu der Annahme, daß alle Vielheit am Ende doch nur ein und das- selbe und daß der Glaube an ein Individuum Täuschung — weil Folge unzu« reichender Einsicht in die All—Einheit der Dinge und Erscheinungen — sei. V. Was Asiaten glauben: Religion und Frömmigkeit I. Längsschnitte a) Ex oriente lux? Aus europäiseher Sicht sind zwar alle Religionen im «()ricnt» entstanden. Faßt man diesen nebulos umschriebenen Iirdteil jedoch unter religiösen Ger sichtspunkten näher ins Auge, so zerfällt er in zwei Teile, deren Scheidelinie am Hindukusch verläuft'. Von dort aus läßt sich deutlich zwischen «westli— chen» und «östlichen» Religionen unterscheiden — zu den ersteren gehören das Christentum, das judentum und der Islam, die sich sowohl im Hinblick auf ihr Weltbild, ihre Sittenlehre, ihre Metaphysik und ihr Ritual als auch auf ihre (mangelnde) Toleranz gegenüber anderen Religionen ’a'onenweit von dem abheben, was östlich des Hindukusch entstanden ist ‚ also in jenem Asien der 25 Länder, das in der vorliegenden Untersuchung behandelt wird. Diese Region hat zwar eine Fülle von Volk», jedoch nur zwei Universal— religionen hervorgebracht, nämlich den Buddhismus und den Konfuzianis— mus, wobei der Konfuzianismus allerdings eher eine Soziallehre als eine Re— ligion ist. Alle anderen «östlichen» Glaubenssystcme sind, so zahlreich auch ihre Anhängerschaft sein mag, «Volks»—Religionen geblieben, so z.B. der Hinduismus, der lediglich im eigentlichen Indien, in Nepal und auf der in— donesischen Insel Bali zu Hause ist, ferner der ganz auf japan beschränkte Shintoismus, des weiteren der in fast ganz China heimische I)aoismus, nicht zu vergessen schließlich auch noch die hauptsächlich auf Indien beschränk— ten Religionen des jainismus, Sikhismus und Parsismus, deren Anhänger— schaft, verglichen mit dem Hinduismus, zwar zwergenhalt Wirkt, deren wirtschaftliches Gewicht aber Riesenausniaßt' besitzt (dazu oben S. 168f.). Volksreligionen unterscheiden sich von Unixersalreligioncn erstens da— durch, daß sie weitgehend auf ein bestimmtes Volk beschränkt geblieben sind, daß sie autocbthone Götter besitzen, daß sie ferner von den Eigenarten des betreffenden Volkes geprägt bleiben, während in den Universalreligio— nen der Mensch als solcher mit seinen Noten und seinen Hoffnungen Ge— genstand der Heilsverkiindung ist, und daß sie, viertens, keine Missionser— folge aufzuweisen haben, die ja logischerweise erst im Zuge der «Entnatio- nalisierung» des religiösen Anliegens eintreten können. Zwei Drittel der heutigen Menschheit bekennen sich zu einer «I*remd»—, sprich: Universal— religion.