216 Asiatzsche Gesellschafien und Verhaltensstile In diesem Sinne besitzt eigentlich nur der Buddhismus einen ähnlichen Universalcharakter wie die beiden «westlichen» Glaubenssysteme Christen— tum und Islam. Bezeichnenderweise war der Buddhismus in seinem Ur— sprungsland Indien lange Zeit so gut wie erloschen, während er um so grö— ßere Verbreitung unter anderen Nationen gefunden hat — freilich nur nach Osten. Im Westen blieb ihm der Erfolg versagt, weil er mit seiner Anpas— sungsbereitschaft und seinem Sowohl—als-auch nicht den Hauch einer Chance gegen die beiden vom Entweder—Oder bestimmten «propbet15chen Weltreligionen» Christentum und Islam hatte. Was ihm im Westen geschadet hat, kam ihm andererseits im Osten zugute. Während die prophetischen Re— ligionen stets versucht haben, alle anderen Glaubenssysteme auszumerzen und sich an ihrer Stelle zu etablieren, richtete sich der Buddhismus stets neben anderen Religionen ein, ia nahm deren Elemente z.T. bis zur Selbst— verstümmelung auf. In Japan trat er als Universalreligion neben den autoch— thonen Shintoismus, in China neben den Daoismus und in Indien, seinem Ursprungsland, reihte er sich, nach einer langen Zeit der Abwesenheit, be— scheiden neben Hinduismus und Islam ein. Besonders stark überwuchert wurde er von der alttibetischen Bon—Religion. Von dort stammen die für den Lamaismus so typischen Götter («ziirnende Gottheiten», Göttinnen: «ta— ras»), die charakteristische Ikonographie (erotische Darstellungen, Thankas und Mandalas) sowie die Kultgegenstände (Glocke und Donnerkeil, Zau— berdolch, Yakschweif—Standarten, Gebetswimpel, Butter-Opfer, Mani— Mauern, «Geisterfallen», Ladse—Steinhaufen und Gebetsmühlen). Ver— glichen mit dem Buddhismus hat sich der Konfuzianismus zwar nicht als Weltreligion, wohl aber als Vertreter einer Universalethik über das dichtbe— völkerte Ostasien verbreiten können. Die «östlichen» Glaubenssysteme unterscheiden sich in fast allen entschei— denden Belangen, sei es nun in der Auffassung von Zeit und Raum, von «Er— kennen» und «Innewerden», von Sein und Schein, von Wirkursachen und Zweckursachen sowie auch durch ihre Toleranz von den westlichen Religio— nen. Die Einzelheiten zu diesen Differenzen sind bereits in Abschnitt IV herausgearbeitet werden. Hier nur so viel: Dem vom Judentum, Christen— tum und Islam vertretenen Konzept eines einmaligen, zeitlich zwischen An— fang (Creatio ex nihilo) und Ende (Apokalypse) verlaufenden Weltprozesses steht die Lehre der Hindus, Buddhisten und Chinesen vom zyklischen Ver— lauf allen Geschehens diametral gegenüber. Zwar tauchen auch in Indien und China vereinzelte Entstehungsmythen auf, die möglicherweise aus überla— gerten Kulturen stammen, so z.B. die chinesische Pangu—Legende; doch handelt es sich hier eher um Nebenflüsse, die im Hauptstrom kaum noch zählen. Ebenso gibt es im Mahayana—Buddhismus und (in später Nachah— mung dieses Vorbilds) auch im Daoismus einen Himmel; einer der vielen chinesischen Ausdrücke für «Sterben» heißt gar «qu xitian», wörtl. «in den westlichen Himmel» (dh. in das Reich des Emitofo, jap.: Amida, Pali: V. Wax Aszalen glauben: Rclzgion mid Frömmigkeit 2 17 Amitbaba Buddha) «eingehen». Doch hat diese die altchinesische Grundauffassung vom ewige und Yang, d. b. zwischen dem ewigen Iintstel verdrängen können. buddhistische «Neuerung» n Wechselspiel zwischen Yin ten und Iirsterben keineswegs b) Gotteworstellungen: Animae, Götter, (Ion und das (Jährliche Während Judentum, Christentum und Islam einem mehr oder weniger strengen Monothetsmus huldigen (auch die christliche I)reieinigkeitslehre geht ja von der Substanzgleichheit zwischen Vater, Sohn und Heiligem Geist aus), tendieren die meisten asiatischen Religionen zum Polvthcismus‚ vor al— lem der Hinduismus, der Mahayana—Buddhistnus und auch der synkretisti— sche Islam javas und anderer indonesischer Inseln, wo nicht nur Allah ange— rufen, sondern wo gleichzeitig auch den Geistern geopfert wird. Eine bunte Götterwelt tritt dem Gläubigen auch in der daoistischen Kirche entgegen, während der Konfuzianismus gegenliiufige I'.ntwicklungen durchgema€lfi hat: Der «Himmel», den der Gläubige dort ursprünglich durchaus noch als persönliches Wesen verehrt und dem er Opfer dargebracht hatte, wurde un— ter dem rationalistischen Einfluß des Mandarinats immer mehr zur unper- sönlichen Macht, die schließlich als Korrelat zur Iirde und damit als einer von vielen Aspekten des durchgehend dialektischen Yin—YanngerhiiItniss€S gesehen wurde, aus dessen Wechselspiel letztlich alle Dinge hervorgehen und in das sie wieder zurückkehren: kein Entstehen ohne Vergehen, kein Hoch ohne Niedrig, kein Gut ohne Böse, keine Herrschaft ohne Be— herrschte und kein Himmel ohne Erde — sowie umgekehrt. An die Stelle des «Himmels» rückte der «große Urgrund» (taiii), in dem die Kräfte Yin und Yang beschlossen sind. Ebenso unpersönlich wie das Ihm ist das in der Vedanta («VedaEnde») gelehrte und später vom Philosophen Shankara (788—820) für den neueren Hinduismus reaktivierte Brahman («\X’eltseele»), in das jedes Atman (««Iiinzelseele», «Selbst»l immer wieder zurückkehrt, so wie der Funke wieder in die I.ohe zurückspringt oder der Tropfen wieder im Ozean verrinnt. Ähnlich unpersönlich ist, drittens, das von Nagariuna in den Mahayana—Buddhismus eingeführte Sunyata (zu diesem Begriff der «Leere» vgl. oben S. 190f., 197). Während die «westlichen» Religionen also ihrem l\”lonotheismus durchge— hend treu bleiben, neigen die östlichen (ilaubenssystemc zu Iixtremen, in— dem sie entweder dem Polytheismus oder aber dem unpersönlicben «Göttli— chen» Raum geben. Freilich ist dieses «Göttliche der Philosophen» dem ein— fachen Gläubigen viel zu abstrakt. Iir iiberliißt deshalb das Taiji, das Leere oder das Brahman den Ritualbeamten oder Hohepriestern und wendet sich selbst weniger anspruchsvollen Adressaten zu, deren ungeheure Vielfalt — und weitgehend auch Widersprüchlichkeit * darauf zurückgeht, daß im Laufe der Geschichte zahllose lokale Traditionen zu einem überlokalen Gan—