218 Asiatische Gesellschaften und Verhaltensstile zen verschichtet, nicht jedoch verschmolzen wurden (zum Begriff Ver— Schichtung vgl. unten S. 331ff.). Als göttlich wurden anfangs Naturerscher— nungen (StCm-‚ Mond— und Sonnen— sowie Sturm—, Blitz— und Donnergötter) oder aber ganz einfach «der Himmel» erfahren — man denke an die Sonnen— göttin als Urahnin des japanischen Kaiserhauses, an die altindischenGewrt- tergötter Rudra und Indra oder aber an den altchinesischen Tian (Himmel). Angebetet wurden/werden ferner Berge, Flüsse und Steine (stehe S.48ff.), merkwürdig geformte Steine und Felsen, bestimmte Pflanzen (in Indien und Südostasien u. a. der Feigen— und Banyang—Baum) und Tierarten WIC Affen, Krokodile und Schlangen, vor allem die Kuh als Ausdruck des Frommen und Mütterlichen. Schildkröten— und Schlangenverehrung gibt es auch im Daors— mus (Schlangentempel in Penang) oder aber in japan — man denke an dlC 815 Götterboten verehrten Hirsche im Tempelpark von Nara— nicht zu vergessen übrigens auch die schöne shintoistische Sitte, besonders merkwürdige Bäume und Felsen mit dicken Verehrungsseilen wie mit einer Bauchbinde zu um— wickeln. Auch verstorbene Helden wurden (wie z.B. in China) formell zu Göttern ernannt (dort erhielten sie den Titel «Kaiser», di) und als Nothelfer angerufen sowie als Dorf oder Berufspatrone verehrt. Daneben kam es zur Herausbildung von Hochgöttern, zu denen der Gläubige in ein z. T. schwär— merisches Ich/Duserhältnis trat, so z. B. im Vishnuismus und Shivaismus oder im Mahayana—Buddhismus, wo vor allem Guanyin (jap.: Kannon, Sanskrit: Boddhisattva Avalokiteshvara) angebetet wird. Viel häufiger aber als Hochgöttern wendet sich der einfache Gläubige den Geistern (chin.: «shen») und Dämonen (chin.z «gui») zu, die er um Hilfe bittet oder aber denen er in seiner Angst Abwehr— und Beschwicbtigungs— Opfer (in Form von Reiskörnern, Weihrauch, Blumengirlanden etc.) bringt. Dieses Nebeneinander wird vor allem im Theravada deutlich. Zwar gilt dort Gautama Buddha theoretisch nicht als Gott, sondern lediglich als mensch liches Selbsterlösungsmodell; doch hindert dies den einfachen Gläubigen keineswegs, eine Buddhastatue anzubetcn und gleichzeitig auch noch allen möglichen Geistern zu opfern. Kaum ein Ort in Asien, wo bei genauerem Hinsehen nicht Spuren des Animismus zu entdecken wären, dessen Eigenart darin besteht, daß die Begegnung mit dem Numinosen an Hand eines We— sens erfahren wird, das weder völlig unpersönlich noch, wie ein Hochgott, «persönlich», sondern ein Zwischengeschöpf ist ‚ eben ein Dämon. «Dämo— nen» unterscheiden sich von unpersönlichen «Mächten» dadurch, daß sie personenähnliche Qualitäten besitzen und deshalb Gegenstand einer gewis— sen lch—Du—Beziehung werden können, sie gleichen ihnen dann aber wie— derum darin, daß ihr Handeln völlig unberechenbar, willkürlich und von boshafter Planlosigkeit - eben «dän10nisch» — ist und daß man dauernd auf der Hut sein muß wie vor einer Schlange, die man besser nicht reizt, sondern in weitem Bogen vorsichtig umgeht. Mit den «Göttern» andererseits haben die Animae zwar eine gewisse Personenhaftigkeit gemeinsam, doch unter— ‘ V. Was Asiaten glauben: Religion und Frömmigkeit 219 scheiden sie sich von ihnen durch ihre Unbereche Dämonischen ist ja nicht nur das lrrationale, sond «Sinnlose». Sogar manche Hochgötter haben den Animismus noch nicht ganz abgestreift, so z. B. ]ahve, der im Alten Testament willkürlich Seuchen über das Land schickt und am Berge Sinai mit Blitz, Rauch und Donner nie- derfährtz. «Respektiere die Geister, aber halte dich fern von ihnen» — dieser klassisch gewordene Ausspruch des Konfuzius gibt etwas von der Denkhaltung wie- der, die auch im modernen Asien überall verbreitet ist. Ein Asiate, der be- hauptet, nicht an Geister zu glauben, sagt im Zweifel die Unwahrheit, weil er — etwa einem westlichen Besucher gegenüber — sein Gesicht behalten will. Asiaten haben erfahrungsgemäß einen gesunden Respekt vor Mächten, die stärker sind als sie, und sie werden es nie auf eine ernsthafte Mutprobe an— kommen lassen. Allzu leicht vergißt man übrigens, daß sich auch in Europa in Form der Maibaum—, Mistel« oder Feuerrituale (Oster—, Johannis—, Sonn— wend— und Winterfeuer) Überreste der alten BaumA und Feuerverehrung er— halten haben, auch wenn sie inzwischen ihres alten Sinns entkleidet sind‘. In Asien aber ist dieses Erbe noch lebendig, wie die zahllosen Schutzrituale zei« gen, deren pittoresken Formen man auf Schritt und Tritt begegnet. Da gibt es unzählige Talismane (von arabisch «telesma», Abwehrzauber): Man trägt an einer Kette um den Hals beispielsweise einen Schweinezahn oder den Samen einer abwehrkräftigen Pflanze (in Europa war dies früher die Alraune), man legt jade an, die in der daoistischen Tradition die Funk- tion der «Teufelsvertreibung» hat, oder aber man führt, wie z. B. auf den Philippinen, stets ein Anting—anting mit sich, wie es an jeder Straßenecke verkauft wird — bisweilen sogar unmittelbar am Haupteingang zur katholi— schen Kirche. Die Thai bevorzugen Amulette, auf denen Schutzgottheiten abgebildet sind, so z.B. Hra Rod («der Überlebensherr»). Talismanfunktion hat auch der javanische Kris, dessen Klinge nach allgemein verbreitetem Glauben eine Seele besitzt, der man sogar Opfer bringt. In weiten Teilen Asiens werden außerdem vor jedem Hauseingang «Geistermauern» aufge— baut, die die Dämonen daran hindern, in das Haus oder in einen Tempel ein- zudringen. In der malaiischen Welt dienten Hahnenkiimpfe oder Schatten- spielaufführungen am Rande einer Hochzeit oder einer Beschneidungszere— monie dazu, die Aufmerksamkeit eventuell gerade anwesender Dämonen zu absorbieren und dadurch die Hauptperson der Veranstaltung vor unbere— chenbaren Attacken zu schützen. Solche Vorstellungen können oft die ganze Nacht andauern. In China werden auch heute noch anläßlich des Neujahrs- festes Türen und Fenster mit Schattenrissen des Kriegsgottes Guan Yu oder einer anderen wehrhaften Gottheit beklebt, deren Aufgabe es ist, ihre Waf— fen gegen potentielle «Gui»—Eindringlingc einzusetzen. . Auch eine Fülle von Ritualen ist Ausdruck ständiger Alarmberettschaft. Zwei moderne Beispiele: Als das Hyatt—Hotel in Singapur, ein Haus der nbarkeit. Das Wesen des ern das Antirationale und