230 Asmtische Gesellschaften und Verba/tensstile lischt» (Theravada) oder daß die Einzelseele in die Allseele eingeht (Hinduis mus). In allen indisch beeinflußten Religionen ist der Tod nur ein Durchgang» stadium zu einer neuen Existenz -— ganz im Gegensatz zu den Auffassungen der Kleinen 'l't'adition Chinas, die den Tod als ein endgültiges — und schrel« kenerrcgendes — Ereignis begreift, das mit langen Trauerfeiern einhergeht und über das man allenfalls durch die Hoffnung auf das «Westliche Paradies. hinweggctröstet wird. Unter diesen Umständen läßt sich kaum ein stärkerer Unterschied denken als die Einstellung gegenüber dem Tod in der chinesi— schen und in der indischen Tradition: hier der Wunsch nach «langem Leben» (shou), Angst vor dem Tode, lange Trauerzeiten und Ahnenkult, dort Gleichmut gegenüber dem Ende, Überantwortung der Asche des Verstorbe— nen an «heilige» Flüsse und Verzicht auf Gräber oder Ahnenkult. Welche Kriterien nun entscheiden darüber, ob die Seele «erlöst» oder aber (zur Hölle bzw. zu ständiger Wiederkehr) verdammt wird? Hier kommt jene Vorstellung ins Spiel, die im Christentum «Sünde» genannt wird. Höchst verschieden sind in Asien allerdings die Formen, in denen Sündhaf tigkeit zutage tritt. In manchen Religionen, z.B. im Shintoismus und im Hinduismus, ist sie bloße Beschmutzung — Berührung von Unreinen oder vielleicht sogar nur das Gebissenwerden von einer Schlange. Durch Gegen— zeremonien gilt es, diese «sündhafte» Verunreinigung wieder hinwegzus'a'u» bern. Im allgemeinen muß allerdings zu der objektiven noch die subjektive «Verschmutzung» hinzukommen, d. h., eine Handlung muß, wenn sie sündhaft sein soll, auch vom Vorsatz und vom Bewußtsein der Sündhaftig keit getragen sein. Eng mit dem Sündenbegriff hängt die Frage nach der Sün- denursache (böser Wille, angeborener Irrtum, Erbsünde oder Verblendung?) zusammen. Das Christentum wertet bekanntlich die Erbsünde und den mangelnden Willen zur Gotteskindschaft als Grundursache der Sünde, wäh- rend Hinduismus und Buddhismus demgegenüber die mangelnde Erkennt— nisfähigkeit fiir ausschlaggebend halten. Dem Christen muß es daher vor alv lem auf Verbesserung seiner Vorsätze, dem Hinduisten/Buddhisten dagegen auf Schärfung seines Wissens und seiner Unterscheidungsgabe ankommen. Zum einen lassen sich Sünden durch die Reinigung mit «heiligem Wasser» tilgen: Man badet in geweihten Flüssen, so z.B. in der dem Haupt des Shiva entsprungenen Ganga, um auf diese Weise den feinen Sündenschmutz zu entfernen. Gangespilger pflegen das von Exkrementen und Leichenverbren— nungen äußerlich verunreinigte Wasser sogar zu trinken, um auf diese Weise innere Reinigung zu erlangen. Sündentilgende Wirkung hat auch das Her- sagen von Gebeten und Litaneien — man denke an die Gebetsstürme im Amidabuddhismus — oder aber das Ansammeln «guter Werke» im Theme Vadabuddhismus. Im Mönchtum der ]ainas und der Buddhisten sowie bei den Daoisten spielen Beichten eine Rolle, bei den Jainas sogar die Ohren» beichte. F V. Was Asiaten glauben: Religzon und Frommig/eeit 231 Genügen aber am Ende solche Reinigungszerernonien.> Genauer: Kann der Men8Ch sich aus eigener Kraft erlösen, oder ist er auf höhere Gnade angewie_ sen? _ Das Christentum lehrt bekanntlich, daß die Menschheit infolge der Sünde Adams ihren Gnadenstand verloren hat, also nur durch die Erlösungs_ tat des Gottessohns gerettet werden könne. Durch diese Prämisse von der ursprünglich schlechten Natur des Menschen hebt sich übrigens das Chri— stentum) genauso wie Hmdu1smus, Ja1m.smus oder Buddhismus, von anderen asiati5Chen Religionen ab, die das Leben im l)iesseits keineswegs als unvoll- kommen und als bloßes Durchgangsstadium betrachten; vor allem der Uni- versismus, der Daoismus und der Shintoismus haben etwas durchaus Diessei— tiges‚ Fröhliches und Lebensbejahendes; in der konfuzmmschen Lehre gilt der Mensch als von Natur aus gut — und er kann SlCl'l sogar vervollkommnen. Völlig abhängig von der Gnade Gottes glauben sich die Mohammcdaner, aber auch die hinduistischen Bhakti—Sekten, die sich Gnade durch liebende Ergebenheit gegenüber Vishnu erflehen. Auch der Buddhismus ist in seiner Mahayana-Form zu einer typischen Gnadenreligion geworden, Man betet zu Guanyin (jap.: Kannon) oder Emituofo (jap.: Antida) um Gnade. Auch der daoistische Gläubige wendet sich an eine Fülle von Spezialgöttern, die den europäischen Schutzpatronen des Mittelalters vergleichbar sind und für jeden Zweck bereitstehen, sei es nun für Prüfungs— und Geschäftserfolg oder aber für Mutterglück. Das Guanyin—Schcma hat also auch hier Nachahmung gefunden! Als Gegenleistung für erwiesene oder erwartete «Gnade» bietet der pragmatischc Chinese im allgemeinen Opfergeld, Nahrungsmittel, Klei- dungssymbole oder das fröhliche Prasseln von Knallfröschen an. Ganz im Gegensatz zu den vorgenannten Religionen ist das Theravada die klassische Religion der Selbsterlösung. Die Lehren für den einzelnen Laien lassen sich in folgende Worte kleiden: Versetz dich in die Nachfolge Bud— dhas, des Erleuchteten, der dir einen möglichen Selbsterlösungsweg vorge— lebt hat und der nicht ein Gott, sondern ein menschliches Vorbild — für dich — sein wollte. Schau auf die Tempelmalereien mit den zwölf Stationen seines Lebens und den 500 Stationen seines Vorlebens («jatakas») — und lern dar— aus! Achte auf die Erläuterungen der Mönche und vergiß nie: Du bist dein Eigener Schöpfer, dein Erlöser und dein Verderber. Es gibt kein Schicksal au— ßer dir! Es gibt auch (anders als im Christentum oder im Mahayana) keine Vergebung (Gnade), sondern nur Vergeltung nach dem Maß der Verdienste oder der Unterlassungen! Dies sind herbe Gebote, die den Laien zumeist überfordern, so daß er sich in aller Regel ein zweites religiöses Standbein 5UCht und sich dem Animismus mit seinen zahlreichen Ritualen und emotio— nalen Angeboten zuwendet. Sieht man einmal vom Mahayana und von einigen Bhakti—Religionen ab, 50 gibt es auch sonst in den indischen Religionen keine Gnade und keine Fremd—, sondern nur die Selbsterlösung. jeder war und ist Schmied seines Glücks. Das Karma ist unerbittlich und kennt kein Pardon. jede Tat ist Same