244 Asiatische Gesellschaften und Verbalterzsstile b) Islam und islamischer Fundamerzlalismns in Asien Je östlicher, um so unorthodoxer: Der Wüstenislam wird hier zum Trug», „_ islam. Gemeinsamkeiten und asiatische Besonderheiten Gemeinsam sind zwar die Grundelemente: I. Glauben: Koran als einzige göttliche Offenbarung; zumeist auch Sunna als menschliche Tradition; strenger Monotheismus; Prädestmanonslehre (Kismet, völlige Ergebun,_v i„ Gottes Willen). 2. Ethik und Ritual: fünf Hauptpflichten (Gl3kll)t'llßl)e— kenntnis gegenüber Allah und seinen Propheten, fünf tägliche Andaehten‚ Fasten im Monat Ramadan, Almosengeben und Pilgerfahrt nach Mekk.ii ;. Staatsphilosophie: Untrennbarkeit von Staat und Religion sowie von siikul.i- rem und «kirchlichem» Leben; Allah als Souverän des Staates und als einzi— ger Gesetzgeber; die Sharia stammt unmittelbar von Gott. Strenge RCt‘iits wahrung gilt als eine Art Kalifats—Ersatz, Einhaltung des Rechts als Haupt kriterium für den «islamischen» Charakter eines Staates. Gleichheit und bruderschaftliches Verhältnis zwischen allen Gläubigen. 4. Wirtschaftsethik; Zins—, Versicherungs— und Monopolisierungsverbot. ;. Tabus: Vermeidung; von Schweinefleisch und Alkohol; unter südostasiatischen Fundamentalisten neuerdings auch Vermeiden westlicher Kleidung, Sitzen auf Stühlen, kein Fernsehen etc. 6. Islamische Schulen bis hinein in die Dörfer; Missionsauf trag und Einteilung der Welt in die Sphäre des Islam und in die des Unglau— bens, mit der Möglichkeit, «Heilige Kriege» zu führen. 7. Sunna und Schia. Die Schia in «Asien» kaum von Bedeutung, mit Ausnahme einiger Ismaelr ten. Schauplatz extremster Differenzierung innerhalb der Sunna ist vor allem Pakistan. Daneben gibt es aber zahlreiche asiatische Besonderheiten: Vor allem in der malaiischen Welt höchst eigenartige Vermischungen von Sharia und Ad.it (dazu 5. iiSff‚) sowie von Hinduismus, Animismus und islai’nix‘e‘ht'iii Brauchtum: der Islam als Schale, Hinduismus und Animismus dagegen als Kern. Von den fünf islamischen Grundgeboten betont der Tropenislam mr allem die Nummer 2, nämlich das ritualistische Beten, wobei apotrop.nsrhe Mantra-Formeln auftauchen. Das religiöse Verständnis ist polytheististlii Der iavanische Bauer fühlt sich umgeben von Schwärmen übelwollen-pler Dämonen, die in Flüssen, auf Bergen, auf Bäumen und in Vulkanen, in einer Türschwelle, in alten Büchern, in einem Kris, in einem Gong oder in einer Reisähre leben; die Ähre ist sorgfältig abzuschneiden, auf daß die «Reisseele nicht erschreckt wird» (hier ergeben sich Schwierigkeiten, einen Milian scher einzuführen). Pilgerfahrten nach Mekka sind selten, man unternimmt lieber W’allfahrten zu den Gräbern heiliger Islam—Apostel und Märtyrer lllf «geradlinige» Zeit (und Geschichtsschreibung) des «westlichen» Islam Wird durch eine zyklischc Zeit ersetzt und die Bildlosigkeit der Kunst durch sub Y——————_ V. Was Asiaten glauben: Religion und Frommig/eezr 245 _ Verwendung vorislamischer (hinduistischerl) Elemente (7. B. im Batik« til€ um range“. Aus dem Bereich des Ammismus stammt das Harmonie— musfefr)is (frukun»% das Sdbstbeherrschung, Iloflichkeit, Respekt gegen- hedurlsi1lteren und Zl„‚ückhaltenden Umgang mit der Gesellschaft verlangt uber 'eht man einmal von islamischen Extremisten ab) dem «Heiligen und (51 nt egensteht« Aus dem Hinduismus kommt die Neigung zur kon— K:;‘äztiveä Innen5Chaui zur Passivität, zur Ich—Losigkeit und zur mystif [8 en Versenkung. ‘ . -‚ \ sohHinduistisch» wirken auch die R1tes de passage, die von der Geburt, der (( hneidllnga der ersten Tonsur und der Heirat bis hin zum Tode reichen Bescd Beiwerk übelwollende Geister, die «Hantu» (Malaysia), abweh— und ?]relnjemselben Zweck dienen Wahrsagekunst, Amulette, astrologische ;)enksgkén Habeirufung von Zauberern und Schamanen. Die «Fundamem mr1?sten» };ämpfen vergebens gegen diesen «Aberglauben». Der strenge Monotheismus des klassßchen «Wustemslam» Wird im «Tropenislam» durch zahlreiche polytheistisclie Elemente aufgeweicht (dazu oben, S. 217ff.). Heterogenitéii „ ‘ . 4 . 20% der Indonesier und last 50% der Malaysier smd keine Muslime. Aber auch unter den Mohammedanern selbst fehlt es an Homogenitiit. Der Grund: Die neue Lehre, die seit dem i}.]ahrhundert durch arabische, indi— sche und persische Händler vermittelt wurde, trug orthodoxe Züge arabi— scher Provenienz. Um vom Hafen—Islam zum Hinterlanddslam zu werden, bedurfte es der Missionsarbeit von Lehrern (javanisch: «kvai»)‚ die, wollten sie erfolgreich sein, zwei Bedingungen zu erfüllen hatten: Besitz mag15cher Kraft (ohne sie wäre die Lehre ja nichts Wert gewesen!) und Yerme_1dung ab— rupter Übergänge vom bisherigen Hinduismus zum Neuankommhng Islam. Die Folge: Es gab von nun an strenge (sog. «sanms») und «nat1v1.st15che» Muslime mit stark hinduistischcr und animistischer Neigung (sog.“«aban— gans») sowie — in Mitteliava ‚ ein ausgeprägtes «islamisches Nord»SudiGc-— fälle»: Santris leben hier vor allem an der Nordküste, wiihrend nach Suden hin die Abangans immer häufiger werden“. Ahnlich auf Sumatra: im Nor— den das orthodoxe Aceh, das schon den holländischen Kolontalherren die Zähne gezeigt hatte, weiter im Südosten das «syi'ikrt‘tisti5tthe» Mmangka— bau”. . ' Ein Gelehrtenstreit besteht darüber, ob Santri und Abangan miteinander in einem strukturellen Dauerkonflikt stünden“ oder ob nicht umgekehrt die K0existenz verschiedener religiöser Gruppierungen in ein und demselben Dorf SOgar konfliktmildernd wirktz7.