260 Asiatische Gesellschaften und Vt’rha/tensstzfe des Dogma; aber: vitale Schul— und Vermittlungstraditionen; ursprünglich Meditationshöhlen, später Ashrams: Niederlassungen, in denen sicliicinc jüngerschaft um einen Guru/Yogi/Bhagvan (Gott)/Sl'i (G056gneter, Heiliger) aufbaut. 9. Kastenwesen (dazu S. 76ff.). io. Grenzenlose Toleranz des Hin— duismus gegenüber anderen Religionen: Ob Hinduismus, Buddfiis1m„ Christentum, lslam oder Animismus: jede Religion zeigt, hinduistlnhet Auffassung gemäß, den Weg zum EINEN, das nur verschiedene Namen trägt. Dasselbe gilt für Polytheismus und Monotheismus, Tlit‘lslillß fl.Cllrc von einem in die Schöpfung aktiv eingreifenden Gott) und Deismus (Lehm von einem inaktiven fernen Gott von unnahbarer Majestät), für personliclm Gottheiten oder unpersönliche Mächte, Selbsterlösung& (anfängliclier Hin— duismus, Theravadabuddhismus) oder Gnadenreligionen (Vislinuisinm, Shivaismus, Mahayana). Die Animae und Götter, aber auch die großen Gottheiten sind letztlich nur Erscheinungsformen des EINEN; kllt‘\ gilt auch fiir ]esus Christus. (Vivekananda setzte zwischen jesus, Buddha untl den anderen «Großen» jeweils ein Gleichheitszeichen und bezeichnete _lesus an einer Stelle sogar als bloße Reinkarnation Buddhas.) Auch Kt"mige geht-„ als Inkarnationen (avarata) eines Gottes und damit letztlich wiederum als Repräsentanten des All—Einen. Religiöses und säkulares Leben sind untienm bar und ebenfalls vielfältige Erscheinungen des EINEN. Alles ist Gott? « Das (alles) bist du!» Objektiv (d.h. seinem Wesen nach) ist alles einhe1tfich nur subjektiv ist es verschieden. Alles ist meinesgleichen: daher z. B. keine (ler walt gegen andere, kein Töten von Tieren, kein mutwilliges Vernichten von Pflanzen! Folge: Nie lnquisition, nie Kreuzztige und bis ins zo‚_lahrhundert keine Heidenmission (neu die Ramakrishanission, 1897 durch Sv.imi Vivekananda gegründet). Dieser so typische Synkretismus ist vermutlich Antwort auf die <-\’trdau—» ungsanforderungen», mit denen die indogermanisclien Arier bei der lzrolu» rung Nordindiens konfrontiert waren: Einerseits übernahmen sie die Reli— gionsvorstellungen der unterworfenen Völker, andererseits grenzten sie sich von diesen Völkern durch ein immer strikter gehandhabtes Kastensystem ‚ih. Mehrere Gründe werden für die Entstehung der Kasten angeführt: das Hautfarbenargument (die hellhäutigen Arier wollten sich von den unterwor— fenen dunkelhiiutigen Völkern abgrenzen; daher der Name «Varna» [Farbe] für die ursprünglichen vier Kasten; daher auch der noch heute fortbeste- hende «Hautfarbenkomplex» der Inder), das Berufsargument (Varna.x gehen in Hunderte von jatis |Wörtl.: «Geburten»] über, die berufsgepriigt , «Darfst du aus demselben Brun— nen Wasser entnehmen wie die Kasten—Hindus deines Dorfes?», «Hast du den Eindruck, daß du im nationalen Parlament/im Dorf—Panchayat und auf den Schulen angemessen repräsentiert bis‘t“i?» In lnd1en leben heute rund 90 Millionen Harijans. Bisher gab es nur einen einzigen «unberührbaren» Minister! Zum Klassenstatus im iibrigen S.81f. « Hinduisti5Che Götter: S. 258l., Ethik: S zes f., Lehre: S. zzsf., 229f.‚ 133, Staat und Kirche: S. in , 130. ml Politisierungserschcinimgen Die Indische Union ist dasjenige Land, in dem heutzutage die meisten leben— digen Weltreligionen unmittelbar nebeneinander existieren. Auch nach der Teilung des Subkontinents ist Indien, gleich nach Indonesien und Bangla- desch, die drittgrößte Muslimnation der Welt Das Christentum faßte in In— dien früher Fuß als in Europa und findet sich hier in einer bunten Vielfalt von Konfessionen repräsentiert, die von der Urkirche der syrischen Ortho— doxie bis zu den Quäkern reichen. Diese Toleranz ist neuerdings im Zeichen der Politisierung des Hinduismus gelithrdet, Wie vorher die indischen Mo— hammedaner in Pakistan eine neue Heimat fanden, so streben fanatische Hinduvereinigungm, die sich mit dem Gedanken eines s;ikularen Staates nicht abfinden wollen, nach einem «Hindustan» " ebenso wie die meisten Sikhs nach einem Sikhistan (oder «Khalistan»). Auffassung der Congress Party: Der Hindu/Muslhw und der Hindu/Sikh- Konflikt gehöre zu den Traditionen der nationalen Identität, die es auszuhal- ten gelte; auch die indischen Muslims/Sikhs seien ja keineswegs Zuwanderer, Sondern lediglich indische Konvertiten. Vor allem Hindus und Sikhs Spra— chen das gleiche Idiom und feierten die gleichen religiösen Feste. Zu betonen sei die nationale und nicht etwa die religiöse Identität! . Dieser gandhische Grundgedanke des Vorrangs der nationalen Identität ist "‘ den letzten Jahren angesichts des wachsenden «Fundamentalismus» eini— g?!" extremer Hindugruppen, verschiedener islamischer Organisationen und nicht Zuletzt auch des Sikh—Nationalismus untergraben worden.