266 Asmtische Gesellschaften und Ver/mhezzsstile e) Südostasien: Sc/mttens/7ie/ Wlll’ Musik als Gottesdienst Als «verschichtetc» Kultur (zu diesem Begriff vgl. S. 33 1 ff.) hat Südostasien die meisten seiner künstlerischen Ausdrucksformen aus Indien oder China bezogen. Zwei Bereiche sind besonders charakteristisch geworden: das Schattenspiel und die (streckenweise autochthon gebliebene) Musik, Waydrig (’.S‘c‘lmtlenspiel} Das Schattensptel, eine Art \‘Ol’ih()(it‘i‘flt‘5 Kino, ist in ganz Asien beheimatet und hat beispielsweise auch in China durchaus eine Rolle gespielt, laßt sich aber seit jahrhunderten haupts.ichlich mit dem malaiischen Kulturkreis identifizieren und gehört vor allem zur indonesischen Kulturlandschaf die Pyramiden zu Ägypten oder die Musik zu Wien. In ]ava läßt es sich seit dem «).Jahrhundert nachweisen. Genauso wie sich die mittelalterliche europäische Kirche der Tafelmalcrei oder der erzit'l den Plastik als Propaganda und als Biblia pauperurn bedient hatte, wurde das Wayang—Spiel im l‘iinduistischen Südostasien zu einem Instrumentarium reli— giöser Belehrung und hatte insofern nicht nur asthetische, sondern vor allem religiös—strategische Bedeutung. Fromme F.insiedler aus fiirstlichem Gebl'tit demonstrieren «auf der Leinwand» tugendhaftes und der hinduistischem Heilslehre entsprechendes Leben, während das Böse in der Allegorie von Riesen, Gespenstern, Geistern, Gnomen und Kobolden auftritt. Von allen Way ang(wörtl.z Schatten)—Spielen ist das Wavang kulit (mit Le— derpuppen) das bekannteste. Die Figuren werden von Künstlern gefertigt, die einem eigenen Berufsstand angehören. Stets sind strenge ikonographi— sche Vorschriften zu beachten. Ein schwarzes Gesicht mit goldenem Körper zeigt einen l\twger in Liuf$erster Anspannung, ein grunes Gesicht dagegen gehört zu einem niedrigen Charakter. Adel und Wissen lebt in weißen Ge- sichtern, nackte Gier dagegen in den roten und Anmaßung in den gelben Gesichtern. t W ie ilen— Nicht nur die Farbe. sondern auch der Umrili liefert unmiliverst‘andliche Hinweise: Der feine Charakter zeichnet sich durch mandelförmige Augen und eine lange Nase aus, die von der Stirn bis zur Nasenspitze in einer fast geraden Linie verläuft; ihm ist ein leicht geneigtes Haupt eigen, das Beschei« denheit ausdrückt, er trägt ein Blirtchen und Wenig Schmuck. Der rohe Cha» rakter dagegen hat runde Augen, eine gequollene Nase, plumpe Kopf-- und Körperformen und einen Haarwald. Vor allem aber stellt er seinen Sclnnuck in protziger Weise zur Schau, spricht laut und ist in seinem Gel)ahren unge» hobelt. Sämtliche «Puppen» sind vollkommen in sich beweglich, wobei die Ge» lenke etwa an derselben Stelle angesetzt sind wie in der menschlichen Anato» m1e._Von diesen leise scl*1wingenden Figuren gibt es im Schattenspwl nicht Weniger als etwa 600. Eigentlich aber genügt schon ein Viertel dieser Zahl, V. Was Asmten glauben: Religion und meng/ecir 267 ie 144 menschlichen Leidenschaften, die von der javanischen Mystik ]iert wurden, zu symbolisieren. . ‘ ‘ . fort?“ liche Figuren werden von einem emz1g£n Spieler gehandhabt, dem Samt „ der im Schneidersitz hinter der transparenten Leinwand sitzt .. in “Da]angRiicken das Gamelan—Orchester, seitlich der Figurenwald und über “men? flackernde Lampe. Er führt nicht nur die Puppen und spricht die ihm dl‘ed en Rollen dazu, sondern gibt zwischendrin auch immer wieder Verschle.beunn en und Hinweise. Außerdem ist er für die l.ichtregie verane Besclli're}: undghat u.a. frischen Docht nachzuschieben. wc;rnzlzegensatz zu vielen anderen asiatischen Bühnenberufen genieth der Stand der Wayang—Spieler in Indonegen„hochstes soziales Ansehen. Nach vielen jahren der Ausbildung hat er eine im wahrstenqötnne des Wortes hei— lige Verantwortung wahrzunehmen. [tr haueht den \Xrayang—Figuren leben ein und vollzieht damlt eine heilige Handlung. ltr beherrscht samthche hbe» nen der javanischen Sprache, angefangen von der alten poetischen Kawr Sprache über das klassrschejavamsch und uber zwei Stufen des niedrigen Javanisch bis hin zu den drei ltbenen des hohen javamsch. Außerdem hat er mit einem Spezialvokabul-ar vertraut zu sem, das Personen des Königshofs sowie Göttern vorbehalten ist. Was wäre im iibrigen ein \Xr’ayangsS'pieler wert, der nicht auch die Formalitäten der alten l\'önigshöfe präzise Wieder— beleben könnte? Sprechen, Singen und doppelhändiges Handhaan von zwei bis drei Figuren wiihrend einer hitzigen Schlacht sind Unternehmun— gen, die in ihrer Gleichzeitigkeit unvereinbar erscheinen — für einen Dalang— Spieler freilich gibt es hier kaum Grenzen! . ' ’ Normalerweise dauert eine Wayang—Vorstellung, die stets im Zusammen— hang mit bestimmten religiösen Feiern (Hochzeit, Zahnfeilen etc.) stattfindet, die ganze Nacht hindurch, und zwar von der Dämmerung bis zum Morgen— grauen. Gegen Mitternacht ereignet sich einer der Höhepunkte, wenn näm— lich der Hauptheld des Stückes, z. B. der edle Ariuna, auftritt und sofort von bösen Mächten in heftige Kämpfe verwickelt wird. Kaum sind die heftigsten Szenen vorbei, pflegen auf einmal vier seltsame Gestalten aufzutreten, sich mit allerlei Schwänken zu vergniigen und teilweise, zum Firgötzen der Lu— SChauer, sogar Einlagen in modernem lndonesisch zu liefern: lis handelt sich um die vier treuen Diener des Ariuna, u. a. den kugelrunden und fidelen Se— mar— die mit Abstand beliebteste aller Figuren, der gleichsam das javanische V0lk in der Wavang—Welt repräsentiert und damit ein Gegenbild zum adltgen Priiaii—Ideal darstellt. Als Diener ist Semar ganz von liigeninteressen frei und lebt seiner Pflicht, geht also völlig in der“ hinduistischen Kastenethrk auf, Obwohl er, im Gegensatz zu den meisten Figuren des Wayang—Sp1els, kein Im— port aus Indien, sondern ein javanisches Geschöpf ist”. Das Wayang hat mehrere Funktionen: Es bringt die \Welt der Götter ins Di855eits herein und bewirkt damit eine «Realisierung des Göttlichen« (Wayang als Gottesdienst), es erfüllt gleichzeitig aber auch Abschirmfunk— umfll