278 Asiatische Gesellschaften und Verhaltensstile Häufig haben die Brauteltern, wie z.B. im heutigen Indien, einen h0rren. den Preis zu zahlen, wenn sie ihre Tochter an einen «vielversprechendm„ Schwiegersohn verehelichen wollen. Völlig unsentimental wird um eine möglichst üppige Mitgift gefeilscht. Erst sie ermöglicht ja nach allgemeiner Auffassung einen günstigen Start in das gemeinsame künftige Leben_ Weit verbreitet ist auch die Auffassung, daß mit einer ehelichen Verbindimg die Familien der beiden Ehegatten zusammengeschweißt werden sollen_ Auf den Philippinen begnügt man sich freilich nicht einmal damit, sondern 1ädt darüber hinaus bei der Geburt eines Kindes noch Personen aus dritten und vierten Familien ein, doch bitte die Patenschaft zu übernehmen und damit zu «Compadres» («Mitväternl») zu werden. Auch die hierbei Zustande kommenden Compadrazco—Bande laufen auf eine Stärkung und F‚rwg rung der familiären Eianußmöglichkeiten hinaus. In patriarchalischen Gesellschaften bestand die Verehelichung in der Über» gabe der Braut an die Familie des Bräutigams — in vielen Fällen könnte man hier sogar von einer «Auslieferung» sprechen; denn das Mädchen, das in sei- ner eigenen Familie verhältnismäßig viel Freiheit genossen hatte, war von jcrm an der schwiegermütterlichen Willkür ausgesetzt. Das Leid, das damit häufig begann, zieht sich wie ein roter Faden durch die Volksliteraturen. Nicht Viel besser erging es übrigens der hinduistischen Ehefrau. Beide konnten ihr Los allerdings durch die Geburt eines Sohnes schlagartig verbessern. Erbbercchtigt waren in den patrilinearen asiatischen Gesellschaften meist nur die Söhne. Mochten Frauen beim Vermögensrecht manchmal noch mit beteiligt sein, so blieben sie vom Sakralerbrecht, das ja die Nachfolge im Be- reich der so fundamentalen Ahnenverehrung regelte, völlig ausgeschlos— sen”. ite— In patrilinearen Gesellschaften pflegen Ehen auf einer soliden Basis zu ste— hen. Vor allem in Indien werden die Regeln sehr genau genommen. Die Ehe ist hier eine Art Sakrament, dessen Besiegelung mit feierlichen Zeremonien (Umschreitung des Heiligen Feuers des Gottes Agni) und mit finanziell fast ruinösem Aufwand begangen wird. Scheidungen bleiben die große Aus» nahme — auch in moderner Zeit, zumal die indische Frau nach wie vor bereit ist, die traditionelle Rolle der aufopfernden Hausfrau und Mutter auf sich zu nehmen. Nirgends kommt dies deutlicher zum Ausdruck als im populären indischen Film, der ja bei aller Melodramatik und Realitätsfernc doch immer wieder um gewisse Grundvorstellungen kreist, die Streifen dieses Genre$ nun einmal zum Kassenschlager machen. Einer der Schlüsselwerte, an denen im kommerziellen Film nie auch nur der Hauch eines Zweifels aufkommt„ ist die Familie — und der Kern dieser Familie: die Mutter in ihrer Rolle als Hüterin und Hohepriesterin der Traditionsbewahrung. Die chinesischC Schriftstellerin Han Suyin, die in dritter Ehe mit einem Inder verheiratet ist Und die das Absorbierende einer größeren Familie eigentlich schon Von China her kennen müßte, schreibt über ihre indische Verwandtschaft: «Eine VI. Wie man «Asiate» wird 279 ebenswertesten, aber manchmal auch_bis aufs Blut reizenden Züge der die Art und Weise, Wie ihre Mitglieder unerschütterlich, bereit- d ohne Unterbrechung immer und ewig beisammen sind, wie sie selben Meer schwimmen wie in einem großen Mutterschoß, un— abänderlich alle miteinander. Selbst_wennsie durch Raum und Zeit vonein- ‚„der getrennt sind, schreiben Sie Sich Briefe, die Kartons füllen... Sie zie_ hen aus der Gesellschaft des anderen em me endendes Gefühl von Wärme und Geborgenheit, von Zusammengehongke1t und gememsamern Interesse, das in der Kindheit beginnt, ihr ganzes Leben durch nicht abretßt, erst mit dem Tode aufhört und alleanderen Bemehungen zwe1trang1g erscheinen läßt Dieses Zusammengehöngkettsgefuhl begunst1gt auch die haufigen Ehe— schließungen zwischen Vettern und Cousmen I. und 2. Grades. Wer von au- ßen kommt, bleibt auf subt11e, unausgesprochene und sehr indische Weise immer außen“ ... Wenn alle Verwandten zusammenkommen, beispiels— weise zu einem Geburtstag oder zu einer Hochzeit, so sind es 470 Personen, die Kleinkinder nicht mitgerechnet”.» Im allgemeinen ist die patrilineare Familie besser als ihr Ruf. Nur theore- tisch erscheint sie als Repertoireveranstaltung mit starr vorgeschriebenem Rollenspiel. In der chinesischen Familienordnung gab es z.B. eine strikte Nomenklatur, an die sich jeweils auch präzise Verhaltenserwartungen knüpften. U. a. sprach man von «drei Vätern und acht Müttern» — hier einige Beispiele für die «acht Mütter» (mu : Mutter): I. «dimu»: Anrede für ein von einer Konkubine geborenes Kind gegenüber der Hauptgattin des Kin— desvaters, z. «jimu»: Bezeichnung für die Stiefmutter, }. «yangmu»: Adop— tivmutter, 4. «cimu»: Anrede für eine Konkubine, die ein Kind der Haupt— gattin betreut, ;. «jiamu»: Bezeichnung für die wiederverheiratete Mutter, 6. «chumu»: Bezeichnung für die geschiedene Mutter, 7. «shumu»: Anrede der von der Hauptgattin geborenen Kinder gegenüber einer Konkubine des Vaters und 8. «rumu»: Bezeichnung für die Anime. Auch für Söhne und Töchter gab es eine klare Reihenfolge (zi = «Kind» oder «Sohn»)z I. «dizi»: ein von der Hauptgattin geborener Sohn, 2. «shuzi»: ein von einer Konku— bine geborener Sohn, 3. «sizi»: der Stammhalter und Fortsetzer des Ahnen— kUlt5‚ 4. «yangzi»: Adoptivsohn, ;. «sisheng Zi»: ein unehelich geborenes Kind. Mit all diesen Bezeichnungen waren, wie gesagt, auch bestimmte Rechte und Pflichten im Ahnenkult, beim Erbrecht etc. verbunden. Die Stellung des Familienoberhaupts war aufs äußerste geschützt: Vater—, Gat— ten— und Familiengewalt bildeten eine unauflösliche Trias. Söhne und Töch— ter galten als eine Art Eigentum der Eltern und hatten kaum eigene Rechte. Ungehorsam und Pietätlosigkeit konnten mit schweren Strafen geahndet werden_ Die «Familiengewalt» umfaßte personelle (Erziehung, Strafe, Ver- tl'n‘—mg) und vermögensrechtliche Aspekte (Verwaltung, Einwilligung, Nut2nießung). Ferner wurde das konfuzianische Familiensystem mit drei HaLlptelementen identifiziert, nämlich Ahnenverehrung, d.h. Einbeziehung der “ . Familie ist willigst un ständlg lm