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der verstorbenen Eltern und Großeltern in die lebende Familie, Patriarch“
und Tendenz zur Großfamilie («drei Generationen unter einem Dach»),

All diese Qualifizierungen entstammen mehr oder weniger der idealisigu
renden Geschichtsschreibung, entsprachen jedoch selten der Wirklichkeir_
Felduntersuchungen seit 1915 decouvrierten immer wieder die These V0m
«chinesischen Patriarchat» als reinen «Mythos»”. Bei einer Fragebogemkc
tion von 1971 in Hongkong” stellte sich heraus, was ohnehin jedermann Zu
wissen glaubt, daß nämlich in 53 % aller befragten Familien die Ehefrau die
Entscheidung in sämtlichen wichtigen Familienangelegenheiten trifft « von
der Kindererziehung über die Planung des Familienbudgets bis hin zur l<c3[_
legung von Reiseterminen. „% vermochten keinen «dominierenden Ent—
scheidungsträger» auszumachen, und nur 12% rückten den Ehemann ein.
deutig in den Vordergrund. Auch stand für fast alle Befragten fest, daß dic
Frau das «Gehirn» der Familie war, da sie nicht nur sachkundiger mit Geld
umgehen, Krankheiten behandeln und die Alltagsangelegenheiten ordnen
könne, sondern darüber hinaus über Rituale, Gebräuche, Genealogien usw.
weitaus besser Bescheid wisse als der Mann. Wenn der Ehegatte gleichwohl
nach wie vor als Kopf der Familie erscheine, so nur deshalb, weil die Frauen
klug genug seien, nach außen hin stets «einen Schritt zurückzutreten». Dies
ist nicht sehr viel anders als in japan oder Korea, wo «diejenige im Haus»
(koreanisch: «anae») die Hauptentscheidungen trifft. Auch im ubrigen
Asien beginnt sich das Märchen von der unterdrückten und schwachen I‘.l10v
frau mittlerweile zu verflüchtigen. Im Familienkreis läuft im allgemeinen
nichts ohne ihre Zustimmung, ob es nun um das Budget, um die Bodennut—
zung, um Erziehungsfragen, um Begutachtung des Verlobten eines ihrer
Kinder oder um die Höhe der Mitgift geht. Eine ihrer wichtigsten Waffen
gegenüber dem Ehemann ist die Manipulation von schlechtem Gewissen,
das angesichts der in fast allen asiatischen Kulturen üblichen «weither7igen»
Auslegung ehelicher Treue reichlich vorhanden ist. Wenn man sich immer
wieder wundert, wieso Frauen, wenn sie einmal den Sprung in die Öffent»
lichkeit wagen, so schnell an Macht gewinnen, so übersicht man, daß diese
Macht im Innern der Familie immer schon selbstverstiindlich war und daß
sie nun lediglich nach außen projiziert wird. Vor allem Indira Gandhi und
]iang Qing sind dafür Paradebeispiele.

Weiß sich die Frau schon in patrilinearen Gesellschaften gut zu behaupten.
so erst recht dort, WO matrilineare Ordnungen vorherrschen, wie im malay-
sischen Bundesstaat Negri Sembilan und in einigen anderen Regionen, die
bis hinauf zu den südwestchinesischen Provinzen Sichuan und Yunnan rs'1'
Chen‚ wo auch heute noch das sog. «Azhu»—System nachwirkt, d.h. ein
mutterrechtliches Heiratssystem, das im prähistorischen Asien weit verbret«
tet gewesen sein muß und das es den Frauen erlaubte, über die Männer 7U
dominieren. Der Mann verbringt zwar die Nächte im Hause seiner hau,
kehrt jedoch am Morgen zu seiner Stammfamilie zurück. Gemeinsame Kin-

 

Vl, \X"l(' man «Aszate» ‘LL'IYd 281

der gehören zur-Familie der Frau, erhalten deren Familiennamen und wer—
den vom Vater in keiner Weise unterstutzt.__Aucli führen die Frauen im
Rahmen der Famtltenwtrtschaft das Wort . Überhaupt haben die mutter-
rechtliChe“ Kulturen Sudostasiens in der CVOIUEIOn13ÜS_CIIQH Diskussion, die
von Bach0fen über Morgan bis hin zuMarx reicht, eine ausschlaggebende
Rolle gespielt. Die hvolut10nstheone ist in der modernm Anthropologie
zwar aufgegeben worden, doch bleibt die Tatsache, daß Südostasien eines der
Hauptverbreitungsgebiete des Mutterrechts gewesenzu sem scheint, in denen
die Frauen deshalb so überlegen waren, weil sie den Feldbau erfunden hatten,
und in denen sich das andere Geschlecht nur durch Bildung von Männerbün—
den ein bescheidmes Maß von «Gleichberechtigung» erkämpfen konnte.

In Südostasien nehmen die Frauen auch heute noch eine starke Position
ein, so z.B. auf den Philippinen im Geschäftsleben. Viele Unternehmen
werden von Frauen geführt; eine Frau gründete die Frauenuniversitlit, eine
andere besitzt eines der größten und bekanntesten Warenhäuser im Luxus—
viertel Manilas, Makati, und überdies gilt das Sprichwort, daß «hinter jedem
großen Mann eine Frau steht»; in diesem Zusammenhang fallt einem nicht
zuletzt der Name Imelda Marcos ein — gar nicht zu reden von Corazon

)

Aquino. '

Die geheime Macht der Frau wird auch sofort deutlich, wenn man an die
Stellung der «älteren Schwester» im asiatischen Familienverband denkt. In
China ist es beispielsweise die «jiejie», auf den Philippinen die «ate», die
von den jüngeren Geschwistern jeweils als eine Art Iirsatzmutter betrachtet
wird und die sich um all ihre Belange kümmert — ob sie die Nachgeborenen
nun auf dem Arm herumtr'a'gt, sie badet, ankleidet oder füttert. In den Au—
gen der jüngeren Geschwister wird die jiejie auf diese Weise schon bald zu
einer Respektsperson, die man um Rat fragt, die als Vermittlcrin zwischen
Eltern und Kindern auftritt, der man nicht weniger gehorcht als der Mutter
und die vor allem nach dem Tode der Eltern dafür sorgt, daß die Familie
Zusammenbleibt. Wer einen anderen zur Rechenschaft ziehen will, ohne sein
Gesicht zu verletzen, wendet sich, wenn er klug ist, an die Ältere Schwester
und überläßt dieser die «Disziplinierung». In Indien teilt sich allerdings der
ältere Bruder diese Rolle mit der älteren Schwester. lir leitet die Familienbd
ratungen, schlichtet Streitigkeiten, sorgt für die F.ry.iehung der Geschwister,
Während der Vater sich — zumindest wenn er traditionell eingestellt ist — mit
Z}mellmendem Alter aus der materiellen Welt UHLI damit der Familie zurück—
}leht. In Südostasien sorgt außerdem das Adat dafür, daß Frauen rechtlich
Im allgemeinen genauso wegkommen wie Männer.

‘Die Macht der Frauen gründet sich nicht zuletzt auch darauf, daß es in
Vielen Gesellschaften zu den wichtigsten Pflichten eines Mannes gehört, ein
gmer Sohn zu sein — man denke an China oder Korea, nicht zu vergessen
auch an Indien oder die Philippinen. Von dieser «pieta'tvollen» Zuneigung
Profitieren zumeist die Mütter.