288 Asiatische Gesellschaften und Ver/ml!ensstile In China war der Glaube an das Fortleben im Ahnenpantheon um T3USende von jahren älter als die erst im [. nachchristl. jahrhundert eingeführte ma— h3yanabuddhistische Lehre vom Eingehen in ein Westliches Paradies, Kein Wunder, daß die «Gemeinschaft von Opfer, Rauch und Feuer», also der Ah— nendienst, mit zu den wichtigsten Familienfunktionen gehörte. Die regelmäl ßige Verbrennung von Papiergeld, Papierkleidern und anderen «Konsum;m_ keln» sollte sicherstellen, daß die Ahnen nicht Hunger leiden, frieren Oder aber die Annehmlichkeiten des «Lebens» entbehren müssen. Die Ahnen- dienstide010gie ging davon aus, daß man sich bei der Versorgung der Toten lieber aufdie überlebenden Verwandten als auf irgendwelche nebuliisen Gott- heiten stützen sollte. Ahnendienst war insofern eine Art «Sozialversicherung für die Verstorbenen», auf die unbedingter Verlaß sein mußte » und li<')rlntel Im allgemeinen lag die Verantwortung dafür auf der Schulter des ältesten. Solms, der deshalb auch im Elternhaus zu bleiben und die Zeremonien wahr. zunehmen hatte. Für das Ahnenzeremoniell stand ein häufig äußerst solider Kapitalstock zur Verfügung, vor allem in Form von ClawGrundstücken, de» ren Erträgnisse dem Ahnenkult, dem Bau von Ahnenhallen oder der Finan— zierung von «Reisespesen» für Familienmitglieder dienten, die zu den Ahnen— feiern nach Hause kamen, vor allem zu «Neujahr». In Indien gehört es mit zu den wichtigsten Tätigkeiten eines Sohns, den Scheiterhaufen des verstorbenen Vaters anzuzünden; notfalls mußte man hierfür sogar einen Sohn adoptieren; denn es gilt als ausgemacht, daß der Verstorbene ohne den korrekt vollzogenen Verbrennungsritus einen höchst dornenreichen Weg bis zur nächsten Wiedergeburt durchlaufen müsse. In China wie in Indien hatten die Söhne Trauerkleidung anzulegen, sich den Kopf scheren zu lassen und dreizehn Tage (Indien) bzw. drei jahre lang (China) Trauer zu demonstrieren, wobei «Trauer» sich eher im korrekt voll— zogenen Ritual als in innerer Anteilnahme zeigte. Anders als in China gab es im Hinduismus jedoch keinen Ahnenkult, der ja die Lehre von der Schein; haftigkeit allen Seins auf den Kopf gestellt hatte. Während man im China der Frühzeit noch Mumifizierung betrieb (noch in den sechziger jahren wurde beispielsweise eine perfekt konservierte Leiche aus der Zhou——I)vnastie enk deckt, an der man sogar operative Eingriffe vornehmen und die Krankheits— Symptome diagnostizieren konnte), werden die Toten in Indien seit jeher verbrannt: ein Brauch, der inzwischen auch in China eingeführt worden ist. Ferner gibt es in China, ebenso wie im islamischen Bereich, Friedhöfe, nicht dagegen in Indien. Hier wird die Asche des Verstorbenen zumeist im Wch der Flußbestattung dem All—Einen zurückgegeben. _ In Bali sucht man den vorhinduistischen Ahnenkult mit dem hindiiisti— schen Glauben an ein Wiedereintreten der hinzelseele in die Weltseele da‘ durch zu versöhnen, daß man nach der Verbrennung die Asche des Toten dem Meer überantwortet, gleichzeitig aber bei der Rückkehr von der Vt‘f‘ Sanungszeremonie eine (schon vor der Ausfahrt ins Boot gelegte) Stroh” VI. Wie man «Asiale» wird 289 kbringt, die dann im häuslichen Familienaltar eingeschreint wird. n Extremhaltungen gegenüber dem Tod, nämlich Ahnen— und a-GIflUbe, werden damit auf überraschende, aus westlicher Sicht logische» und überaus symbolische Art und Weise auf einen Nen- ur zufüC f)ie beide Sam53r höchst «un ner gebracht. ;. Folgen der kulturspezifischen Sozialisation Im ersten Kapitel wurde als panasiatischer Gemeinschaftsnenner die «Ganz- heitlichkeit” herausgestellt, die Sich in einem fundamentalen Bedürfnis nach „Harmonie» mit der gesellschafthchen, natürlichen und übernatürlichen «Umwelt» ausdrückt. In der Tat läuft die Erziehung des Kindes, wie die obigen Ausführungen gezeigt haben, in sämtlichen astatischen Kulturen —. so unterschiedlich sie auch sein mögen — auf eine solche «harmomsche Einbettung» hinau5_ Der Nachwuchs soll von Anfang an lernen, seine eigenen Wünsche zurückzu— stellen, weniger nach Selbständigkeit als vielmehr nach Gegenseitigkeit zu streben, Streit zu vermeiden, Gespür für das Gesicht des anderen sowie ei— nen gesunden Respekt vor übernatürlichen Kräften zu entwickeln und bei Verfehlungen «Scham» zu empfinden; Schuldgefühle gelten zwar als ehren— wert, spielen sich jedoch nur in der Brust jedes einzelnen ab und bringen insofern wenig für die Gemeinschaft. Scham geht daher immer vor Schuld, Necken vor Tadeln und «Bestechen» vor Drohen. Ferner steht nicht der Wettbewerb, sondern Kooperativitiit und gegensei— tige Abstimmung mit den Spielgef'a'hrten im Vordergrund. «Raufbolde» wer— den im allgemeinen genauso verabscheut wie motorische Rechthaber. Ideal- bild beider Geschlechter ist das V‘rhalten, das heiter, gelassen, angenehm im Umgang und frei von Zornes— oder Tcmperamentsausbrüchen ist. Ziel der Erziehung ist nicht individuelle Selbst7ufriedenhtit, sondern die Fähigkeit, gemeinsame Zufriedenheit zu erzielen: «Pakikisama», wie es auf den Philip— pinen heißt. «Nur ja keine Vereinzelung» könnte als Motto über der panasiatischen Er— ziehungsszene stehen, während im Westen gerade umgekehrt das individu- elle Durchsetzungsvermögen internalisiert wird ‚ mit nicht nur immer posi— tiven Folgen: Erziehungspsychologen sind sich darüber einig, daß das ItIallptproblem westlicher jugendlicher heutzutage keineswegs die (phy- smch—sexuelle) Pubertäts—, sondern die (sozial—psychologische) Beziehung5- krise sei. Die Notwendigkeit, mit Freiheiten umgehen zu müssen, schaffe Permanente Entscheidungszwänge, für deren Lösung es selten vorgegebene und «sinnstiftende» Muster gibt, zumal die Erfahrungen der Eltern von den KI“dem nur in den seltensten Fällen als Vorbild akzeptiert werden. In Asien gibt es zwar ebenfalls Pubertäts—, weit seltener jedoch auch Be—