294 Asiatische Gesellschaften und Verbaltensstile und der mohammedanischen Sufis, an das Anachoretenmm der IndisChen Sadhus, nicht zuletzt aber auch an gewisse Verhaltensformen, die auch heute im Alltag noch ganz selbstverst'a'ndlich sind, z. B. die Kultur des leisen Spre— chens, die den Umgang mit den meisten Südostasiaten so angenehm erschei— nen läßt. Immer neu auch erlebt man die Geruchswelt. Asien duftet, brennt und schmeichelt: Von Madras bis Singapur hat jede Stadt ihre Gewürzstraße‚ wenn nicht gar ein ganzes Gewürzviertel, wo Hunderte von Händlern zwi_ schen Bergen grüner, roter oder gelber Chilifrüchte und zwischen Kaska_ den von grell leuchtenden Gewürzpulvernlachen und feilschen und wo PV» ramiden jener tropischen «Stinkfrüchte» aufgetürmt sind, die von Kaufinté„ essenten mit Kennermiene beschnuppert werden und deren Mitnahme ins Hotel in jeder Haussatzung verboten ist. Dazu kommen die verschiedensten Fischgerüche — von den unzähligen Trockenfischen über die kambodschani« sche Fischpaste (prahoc) bis hin zur Vietnamesisch—thailändischen Iiischsoße (nuoc mamh)‚ Und dann der Schmutz, der in den Städten so bedrückend Wirkt, vor al— lem in Indien, wo sogar die Menschen manchmal wie Müll auf den Straßen herumliegen. Andererseits bestehen in vielen asiatischen Gesellschaften Ge— genwelten in Form von Reinlichkeitskulten: die vom Shintoismus beein— flußte japanische Badekultur etwa, die islamischen Reinigungszeremonien in den Moscheen oder das Bad des gläubigen Hindu, der niemals «ungereinigt» vor seinen Hausaltar, geschweige denn in einen Tempel treten würde. Höch— ste Bedeutung wird, wie oben beschrieben, der «rituellen» Reinlichkeit bei— gemessen. Um den Sündcnschmutz wegzuwaschen, spült man sich mit dem Wasser der «Mutter Ganga» den Mund aus; an dieser Stelle geraten rituelle und physische Reinheit in einen schlimmen Konflikt; ist doch der Ganges seit jahren zu einem «heiligen Abwasserkanal» verkommen, in dem Induf strielaugen, Müll, tote Tiere und halbverbrannte Menschenkörper dahintrei— ben und der biologisch kurz vor dem «Umkippen» steht. Befremdlich wirken schließlich auch viele Erseheinungsformen der Klei— nen Tradition, die sich mit den Vorstellungen eines Europäers, der sich ja im allgemeinen nur auf die edlen Ausdrucksformen der Großen Tradition ein— gestellt hat, selten vereinbaren lassen: schwer zu verdauen etwa die Grellheit der Farben, die Schrillheit der Laute, die Vielfalt der Gerüche oder be- stimmte Ausdrucksformen der Volkskunst, wie überbunte Farbholz— Schnitte, Fistelgesänge eines Straßentheaters oder überhaupt die «Ungemüt- lichkeiten» der vielfach ins Freie verlegten Wohnkultur. Bei Erstbegegnurk gen dieser Art ist nicht selten das gesamte Weltbild eines in klassischer Indo— logie oder Sinologie ausgebildeten Besuchers innerhalb weniger Stunden hOffrlungslos zusammengebrochen. Und doch kann man sich von diesem «Kulturschock» verhältnismäßig schnell erholen, wenn man die Anonymität verlaßt und individuelle Kontakte aufnimmt. VII, Vom alltäglichen Umgang mit Asiaten 295 3. Das private Asien: Einzelbegegnungen ) Harmoniebediirfhis und Konjliktscheu a Grundlegend für den zwischenpersönlichen Verkehr ist überall in Asien, wie oben bereits ausführlich dargelegt, das Streben nach «Harmonie», als° ei- nem Zustand, der eher negativ als positiv definiert werden kann, nämlich als Vermeidung jeder Art Yon offener Konfl1ktaustragung_ stets wird deshalb das Senioritats— dem Le1stungspr1nZip und das «mufakat» (einvernehmliche Abstimmung) dem Führerprmz1p vorgezogen. Em «Kampf ums Recht», wie er von Rudolf von Ihering verherrhcht wurde, oder ein «Qui suo iure utitur neminem laedit» verbietet sich hier von vornherein, wie ja überhaupt jede kompromißlose Durchsetzung eigener Interessen auf Kosten anderer Gruppenmitglieder einem Kap1talverstoß gegen das Harmomeprinzxp gleichkäme. Bei Interessenkonfhkten heißt es, mit fingersp1tzengefuhl zu handeln: Ein direktes Nein gilt als verpönt, aber auch ein ja bleibt|ambwa- lem: Möge doch der andere herausfinden, ob damit möglicherweise nicht doch ein Nein gemeint sein könnte! _ Während Konfliktbereitschaft in Demokratien geradezu als Markenzei- chen einer funktionierenden Demokratie gilt, wird sie in Asien als Zeichen schlechter Erziehung angesehen. Bei einer Meinungsumfrage unter a5iati— schen Studentinnen in der Bundesrepublik stellte sich heraus, daß ]apanerin— nen oder Indonesierinnen vor allem dann in einen Wertekonflikt zu geraten pflegen, wenn Harmoniefragen anstehen: Einerseits bewunderten Sie zwar die deutschen Kommilitoninnen wegen ihrer Redegewandtheit, warfen ih— nen gleichzeitig aber auch vor, sie redeten zuv1el und]vt;rsuchten, Sich in den Vordergrund zu spielen. Sogar mit älteren Personen lieben Sie Sich auf5tre1t— gespräche ein! Gehörten doch Schweigen und Zuruckhaltung uberall in Asien zu den vornehmsten Tugenden. Ungeachtet dessen wunschte Sich frei— lich jede dritte der befragten Asiatinnen, auch ein wenig so «reden zu kon— nen» wie ihre deutschen Kommilitoninnenk ‚ „ Harmoniestiftendes Verhalten äußert sich in Gemessenhe1t und Zuruck— haltung: —«Gemessenheit»: Asiaten schätzen]leises und zuruekhaltendes Auftreten, ruhiges bis sanftes Sprechen, «würdige» Bewegungen — also Dis- ZiPlin und Selbstkontrolle in allen Außerungen Lautes Qaherreden, sei es nun zornig getönt oder aber, wie häufig im Westen, «herzlich» gemeint, ruft beim Durchschnittsasiaten eher Unbehagen hervor, so daß er Sieh,th?ll ihm kein adäquates Erwiderungsrepertoire zur Verfügung steht, haufig in Sich selbst verkriecht, zumal dann, wenn die «herzlichen» Worte seines Gegen— über auch noch durch einen mannhaften Schulterschlag bekrafngt werden. Vom ersten Tag seiner Existenz an lebt der Durchschnittsasmte in einer Um- gebllng‚ die freundlich melodiös auf ihn einredet und die umgekehrt jede laute und ungehobelte Äußerung dadurch sanktion1ert, daß Sie den Storer