298 Asiatische Gesellschaften und Verhaltensstile einem Feuerwerk von Finfällen brillieren zu müssen, bringt den andere; schlimmstenfalls in V‘rlegenheit. Alles muß schön berechenbar bleiben _ S,; u. a. die Antworten auf die üblichen Standardbemerkungen. Fragt man einen Asiaten, Wie sein erster Eindruck sei, so wird dieser niemals Kritik äußern sondern nur das l’ositivste zu sagen wissen. Nicht auf den Inhalt der Aug-’ sage, sondern auf die durch die Aussage vermittelte Atmosphäre kommt es an! Man gibt nicht inhaltlich—richtige, sondern situativ—richtige Antworten.— Atmosphäire ist dann gesichert, wenn die Partner sich innerlich nach einer Redensart richten, die in Thailand «Mai pen rai» oder in China «Meiyou gu— anxi» lautet und die sich mit «Das macht doch nichts» übersetzen laßt. Nichts ist so wichtig, als daß es sich lohnte, die Gelassenheit zu verlieren Kein Wunder, daß Nervenzusammenbrüche, Magengeschwüre oder Herz. infarkte in Asien seltener sind als im Westen. Man ist gut beraten, wenn man sich nicht unter Zeitdruck setzen läßt, wenn man den Ärger als Nebenen scheinung, die Freude aber als Hauptsache interpretiert. Eine vor allem in Südostasren weitverbreitete Lebensphilosophie läßt sich folgendermaßen formulieren: »Die Dinge nicht so eng sehen, kühlen Kopf bewahren und srch so viel wie möglich aus Ärgernissen und Problemen heraushalten.» Er— lesene Höflichkeit und Contcnance («kühles Herz») sind gefragt. Ein kam- bodschanisches Sprichwort lautet: «Nicht mit Frauen diskutieren, keine Prozesse mit Beamten führen und nicht mit Chinesen handeln.» Auch dies ein Programm, sich vor Arger zu schützen. Die europäische Tendenz, Rege— lungen durch die juristische Brille zu betrachten und vielleicht gar noch auf einen Rechtsstreit zu rekurrieren, führt sehr oft zu Mißstimmungen. Wer «Atmosphäre» schaffen will, muß zur Empathie erzogen sein — im philippinischen Tagalog gibt es dafür den Ausdruck <>*. Gutes Klima ist dem Durchschnittsfilipino meist mehr wert als geschäftlicher Er— folg. Pakikisama dient der gesellschaftlichen Integration, schadet aber manchmal dem Unternehmergeist und der individuellen Risikobereitschaft. Mitglieder in einem Betrieb, die kaum Leistung erbringen, sich aber als «nett» erweisen, werden mitgeschleppt. Kritische Stimmen5 tadeln die Uberbetonung des «Gefühlsklimas»: Das lahme den Leistungswillen. c) Gesicht Beherzigt man in Asien nichts weiter als die Regel «Gesicht geben, niemals Gesrcht nehmen, selbst Gesicht wahren», so ist fast schon alles Wichtige ge» tan. Jedermann hat ein soziales Gesicht, mit dem bestimmte Frwartürwen verbunden sind und das nicht nur stimdiger Bewährung, sondern auch PU’CF' manenter Bestätigungen bedarf— der Dolmetscher hat ein Dolmetscher-, der Kaufmann ein Kaufmanns— und der Student ein Studenten—«Gesicht»; ferner hat Jedermann einen bestimmten gesellschaftlichen Rang und ein bestimmtes Alter. Wehe demjenigen, der einen anderen Gesicht verlieren läßt (z. B. an VII. Vom alltäglichen Umgang mit Asiazen 299 den sprachlichen Qualitäten eines Dolmetschers offen Kritik übt), oder aber demienigen, der selber «aus der Rolle fällt». Behandlung von oben herab, Zurechtweisungen, «ehrliche» Aussprachen etc. führen am ehesten dazu, daß ein anderer sein «Gesicht verliert» (chm.: shimian, tharl.: khai naa), Die Angst vor Gesicht5verlust ist in ganz Asien gerbre1tet und heißt in Tagalog beispielsweise «hiya». Hiya ist, nach Bulatao , die «Angst vor Preisgabe des wichtigsten, was man hat: des eigenen Selbst. Es ist em Gefühl, das die Selbstbehauptung erschwert oder gefährdet, eine Angst vor Bloßstellung. Hiya kann dazu führen, daß der einzelne aus Furcht vor Gesrchtsverlust sich weigert‚ein auch nur margmales Risrk0 emzugehen. Asraten werden so erzo— gen, daß sie von der Gemeinschaft anerkannt werden; es ist für sie sehr wichtig, Was die anderen über sie denken, vor allem die Alten, die Familien- oberhäupter und die Nachbarn. lm Tagalog gibt es bezeichnenderweise nicht weniger als sechs Ausdrücke für das «Gesicht». Will man sein «Gesicht wahren» (thail.: kreng chai) statt, wie die Kam— bodschaner sagen, es zu «zerbrechen» (bak muk), so empfiehlt sich ein Ver— halten, das auf Thai «chai yen yin» heißt. Ein Mensch mit Chai yen yin ver— liert niemals die Selbstbeherrschung, ist immer gleichmäßig temperiert, zeigt möglichst nie Gefühle, fährt auch dann nicht aus der Haut, wenn er beleidigt worden ist, und belastet niemanden mit seinen Sorgen. Seine stoische Ruhe läßt den Gegner töricht, ia lacherlich erscheinen. Ein Mensch mit Chai yen legt immer ein freundliches, höfliches, nach Möglichkeit lächelnd—noncha— lautes und angenehmes Verhalten an den Tag und zeichnet sich durch Heiter— keit, Leichtgängigkeit, angenehme Umgangsformen und sogar eine gewisse Anmut aus. In seiner Umgebung kommt es niemals zu Spannungen, da er sich, wenn es ernst wird, physisch oder metaphorisch «aus dem Staub macht», wie ja überhaupt Rückzug statt Gegenangriff eine wichtige Lebens— regel ist. Das Gegenteil von Chai yen ist «Chai ron» (heißes Herz), das Zorn hochkommen und die Selbstbeherrschung vergessen läßt. Als erstrebenswert gilt ein durch und durch ausbalanciertes Verhalten, sei es die Erhabenheit und buddha—gleiche Entrücktheit eines Mönchs oder auch nur die souveräne «Trockenheit» eines Witzeerzählers7. Die Anthropo— l0gin Ruth Benedict hat die berühmte Unterscheidung zwischen (westlicher) «Schuld»— und (östlicher) Schamkultur in die wissenschaftliche Diskussion eingeführt. Es wäre vielleicht treffender, nicht von Schamf, sondern von «Gesichtskultur» zu sprechen. 11) Indire/etbeit Der Europäer pflegt in seinem Mitteilungsverhalten wesentlich direkter zu sein als der Durchschnittsasiate. Man redet hier nicht lange um den Brei herum, sondern «packt den Stier bei den Hörnern», «redet deut5Ch» oder Wle dergleichen Ausdrücke sonst noch lauten mögen, Während der wohler—