100 Asiatische Gesellschaften und Verbaltensstile zogene Asiate zumeist mit Umschreibungen, Andeutungen und Symbolen arbeitet. Je wichtiger eine Botschaft, um so behutsamer die Mitteilung. Man fällt nicht «mit der Tür ins Haus», sondern spricht sich zunächst einmal Vo“ Mensch zu Mensch an, Dabei werden im allgemeinen Bemerkungen einfach_ ster Strickart ausgetauscht, wobei das Wetter den sozusagen idealen An— knüpfungspunkt abgibt. Erst langsam tastet man sich dann an den eigentli- chen Verhandlungsgegenstand heran. Auch hier wieder gilt: keine Sponta— neität! Man ist immer wieder überrascht, mit welch «ungeheurem Interesse„ asiatische Gesprächspartner Bemerkungen über das Wetter, über die Güte des Schlafs in der vergangenen Nacht u. dgl. quittieren. Auch scheint es auf der Welt nichts Wichtigeres zu geben als Berichte des Gastes über die Dauer seines Aufenthaltes im Land und über die einzelnen Stationen seiner Reise Louis Fischerg berichtet vom Fall einer Prijaji(Adels)—Familie in einem j;,i_ vanischen Dorf, die verhindern wollte, daß ihre Tochter mit dem Sohn des Postmeisters eine Liaison einging. Hierbei bediente sie sich der typisch iaVa— nisch-indirekten Form. Die Mutter des Mädchens lud nämlich die Postmei- sterin zum Tee ein und ließ dabei traditionelle Symbolik zu Worte kommen; Wird kein Tee vorgesetzt, so darf der Gast nach javanischem Brauchtum nur einen Augenblick verweilen; wird das Getränk unmittelbar nach Ankunft des Gastes gereicht, so hat der Besuch kurz zu sein; im vorliegenden Fall servierte die Prijaji-Dame den Tee zwar erst nach geraumer Zeit, legte ihm aber eine Banane bei, also eine höchst gewöhnliche Frucht, die an jedem Wegrand wächst und die normalerweise nicht zu einer solchen Teestunde ge- hört. Damit war genügend deutlich ausgedrückt, daß die Tochter eines Edel— mannes nicht einen Postmeisterssohn heiratet. In China werden Kritik und Opposition innerhalb der Machtelite im Wege des traditionellen «Schattenschießens» vorgebracht, wofür u.a. die «Anti—Konfuziuskampagne» 1974 charakteristisch war, bei der nicht der Konfuzius der Antike, sondern der Konfuzius des Jahres 1974, nämlich Zhou Enlai, ins Feuer geriet. Gehört jemand nicht zu den Mächtigen, kann er sich freilich nicht einmal das Schattenschießen erlauben und ist statt des— sen auf noch subtilere Mittel angewiesen. Zwei der bedeutendsten modernen Schriftsteller Chinas, Mao Dun und Ding Ling, beschränkten sich beispiels- weise auf die bloße Schilderung persönlichen Leidens, ein Vorgehen, das aufgrund einer langen chinesischen Tradition als Mittel indirekter Kritik le- glt1m ist. Hierbei kommt es allerdings darauf an, die Toleranzgrenze Zwi- schen aktiver Kritik (z.B. in Form einer kritischen Analyse des Obrigkeits— verhaltens) und passivem Klagen nicht zu überschreiten. Selbst die anson- sten nicht kleinlichen Reformer achteten bei der nach 1979 erscheinenden «Narbenliteratur» stets darauf, daß die KP—Legitimation nicht hinterfragt Wurde. Bei Verstößen gab es harte Reaktionen: Als der von politischen Kampagnen gebeugte Held in dem Film «Bittere Liebe» am Schluß aus der Gesellschaft flieht und sterbend ein großes Fragezeichen in den Schnee malt, VII. Vom alltäglichen Umgang mit Asialcn 301 folgte eine monatelange Kampagne gegen Regisseur und Buchautor „ er war zu «direkt» geworden. . . ' _ . . _ Bei der Selbstkrmk zeigt SlCll allerdings ein tlcfgrt’1lcndel‘ Unterschied zwi— schen der metakonfuzianischen und der indischen‘GL-Sellschaft. Die ohnehin sehr kommunikationsfreudigen Inder sind kaum,-ie zurückhaltend, wenn es darum geht, Kritik an ihrem eigenen System zu uben. Anders als Chinesen oderjg‚paner, die ihre schmutzige Wasche vor den Augen Ijremderin der hin— tersten Ecke des Schrankes verstecken, waschen Inder sie in aller Offentlich— keit. Zu ReCht bemerkt Handkel, «daß Sich für den Außenstehendcn dadurch leicht der Eindruck einer unmittelbar bevorstehenden Katastrophe crgibr, obwohl tatsächlich nichts geschieht». Nicht zuletzt selbstknt1syche Ubertrei— bungen dieser Art haben dazu geliihrt,gdaß viele Ausländer indische Pro» bleme‚ so schwer sie auch sein mögen, in meist noch krasserer Verzerrung sehen. China andererseits kann gar nicht genug davon bekommen, sich und seine Methoden gegenüber dem Ausland ins beste Licht zu rücken, sei es früher die Kulturrevolution oder neuerdings die Reformpolitik. Dadurch entsteht die Gefahr, daß man nicht über das Reale, sondern über das Modell— hafte spricht. Merkwürdigerweise verzeihen die meisten Ausländer solche Übertreibungen gern den Chinesen, nicht iedoch den Victnamesen, von de— nen Pike meint, sie seien bei Selbstdarstellungen ihr «eigener Iirzfeind: je mehr sie sprechen, desto mehr Befremden rufen sie hervor»? Sogarjapaner geraten bei Eigendarstellungeii schnell in Selbstbcwcihräucherung. Angesichts der «Indirektheit» von Kommunikationsvorgiingen bedient man sich in Asien gern des Mittelsmannes, sei es nun des Ehestifters, des Schlichters oder ganz einfach des Kontaktmanns zwischen Behörden und Ba— sis. Die klassische Figur, die im ländlichen Indien den Abgrund zwischen Administrativorganen und Bauern zu überbrücken pflegt, ist der Pyraveekar (von persisch: pyrov : betreiben, erledigen und kar : Arbeit). I’yraveckars gibt es auf dörflicher, regionaler, nationaler und internationaler Ebene. Sie treten als Kommissionäre im Handel, als Makler bei (‚}rundstücksgesch'ziften, als Heiratsvermittler und als «Dolmetscher» zwischen Behörden und Bauern auf, wobei sie sich vor allem im Rahmen der ländlichen Iintwicklungspro— gmmme ein ergiebiges Arbeitsfeld geschaffen haben“. Der Pyraveekar kann entweder ein Beamter sein, der nebenbei Vermittlungsdienste übernimmt, Oder aber ein professioneller Mittelsmann. Während es in westlichen Gesell— schaften für Vermittlungszwecke PressureGroups und in sozialistischen Ge— sellschaften Parteifunktionäre gibt, sind Bauern in vielen Drittwelt—I.iindern Asiens auf den Mittelsmann angewiesen, vorallem in Indien, wo eine einzige Kreisbehörde bisweilen für bis zu drei Millionen Personen zuständig ist und V_VO Kreisstädte vom letzten Dorf manchmal bis zu 250 Kilometer entfernt liegen können. Angesichts seiner Uneiitbchrlichkeit liegt es auf der Hand, daß der Pyraveekar sich seine Dienste fürstlich honorieren läßt — und damit den Dörflern ähnlich schadet wie der notorische Geldverleiher.