302 Asmtische Gesellschaften und Verbaltensstile e) Gemeinschaftsftlbligkezt statt Individuali5mus Nitgends tritt der west—östliche Unterschied holzschnitthafter zutage als bei der Frage, 0 die Einzelperson ein autonomes oder aber ein heteronomes Wesen sei. Seit der Renaissance bestimmt sich das «abendländische» Men— schenbild durch die Stichworte: «Träger selbstverantwortlicher Würde», freie Entfaltung des Individuums, Schuldgefühl bei Aufgabenverfehlung‘ Rechtsethos und Vertragsdenken, Ich—Bewußtsein, Mut zum Konflikt, Ge— fahr der Isolierung — in jedem Fall aber: Streben nach Unabhängigkeit. Die asiatischen Korrelate zu diesen neun Begriffen wären: Gemeinschaftg‚ wesen, Gemeinschaftsfühligkeit, «Scham»—Gefühl, Pflichtethos und Korpo_ rativität, Wir—Bewußtsein, Streben nach Harmonie, gegenseitige Abstim_ mung und Streben nach Abhängigkeit. Selbst in Gesellschaften mit Verein, zelungscharakteristik, wie es beim Theravada der Fall ist, hat der «Indivi» dualismus» eine andere Einfärbung. In der westlichen Tradition ist der Be— griff positiv, im Theravada dagegen negativ besetzt. Weil der Mensch hier nicht als «Abbild Gottes» gilt, weil er nicht durch Gnade erlöst wird und weil ihm niemand helfen kann als nur er sich selbst, ist sein «Individua1ß- mus» eher ein «Alleinsein» als ein selbstbewußtes Für—sich-Sein. Dem Mit— menschen gegenüber ist folglich auch keine positive und aktive Zuwendung geboten, sondern ein Unterlassen von Leidzufügung und ein (passives) Mir— Fühlen, Mit—Leiden und Mit—Empfinden. Vor diesem Hintergrund wird ver— ständlich, warum der thailändische oder birmanische «Individualist» alles andere als ein Ellenbogenmensch ist und statt dessen Neigungen entwickelt, die denen des westlichen Individualismus antipodenhaft entgegengesetzt sind, z. B. nach Abhängigkeit von einer Clique und vor allem nach Harmo— nie mit seiner Umgebung. f) Hierarchiebewußtrein Einer der wichtigsten Mechanismen zur Sicherstellung der Harmonie ist ne— ben der guten Atmosphäre, der Wahrung des «Gesichts», der Indirektheit und der Gemeinschaftsfiihligkeit die Anerkennung der bestehenden Hierar— chie, für die fast jeder Asiate eine überempfindliche Antenne besitzt. Dies gilt vor allem für die metakonfuzianischen Gesellschaften, wo die Hierarchie so stark ausgeprägt ist, daß einem Sprecher, der den Rang seines Gegenüber nicht kennt, die Zunge versagt, so im japanischen und Koreanischen. Wer an der Spitze einer Delegation erscheint, ist ohne Zweifel die Num- mer eins. jeder Wechsel in der Reihenfolge Wiese auf eine « als solche ganz überraschende — Änderung in der Führung hin. Hierarchien sind auch bel Sitzordnungen zu beachten: Entweder sitzt der Delegationsleiter der Gäste— S€ite direkt zur Rechten des Verhandlungsleiters der Gastgeberseite, oder aber Sie sitzen sich gegenüber: Das erstere ist manchmal bei großen Rundti- VII. Vom alltäglichen Umgang mit Asiaten 303 das letztere dagegen bei Langtischen der Fall, wobei die Verhand— SChenfeiter genau in der Mitte des Tisches Platz nehmen, zu ihrer Rechten glizgjzweilige Nummer zwei, zu ihrer Linken die Nummer drei; der zweite rechts ist die Nummer Vier, der zweite von links die Nummer fünf usf. Voilder Verhandlung selbst gibt es auf leder Seite immer nur einen Sprecher. 3211 ein anderes Delegationsmitglied Bemerkungen einflechten, so darf es nicht einfach dazwischenreden, sondern muß bei seinem «Sprecher» ums W%?„Efifg SChlimmsten Fehler, deryeinemEuropäerunterlaufen kann, ist das Überspringen eines Glieds der Hierarchiekette. Wahrend sich ein Deut— scher manchmal aus Gründen der «Schnelligkeit und um der Sache Willen» direkt an den zuständigen Sachbearbeiter wendet, beachtet man in metakon— fuzianisch organisierten Unternehmen stets genauestens den Dienstweg, auch wenn dies noch so ze1traubend sem mag. . . In den theravadabuddhistischen und malayo—rslam15chen Gesellschaften geht es auf den Dörfern zwar höchst egalttär zu, zw15chen Bauernschaft und Bürokratie dagegen entwickelt sich sogleich Wieder ein. steiles Gefalle, das sich sowohl in Verhaltens— als auch in Sprachformen niedersehlagt. In den beiden verwandten Sprachen Thai und Laotisch ist es beispielsweise unmog- lich, in neutraler Weise das «Ich» oder «Du» zuverwenden; v1elmehr veran- dern sich solche Ausdrücke je nachdem, ob es Sich beim Adressaten umeme über— oder untergeordnete Person handelt. Abstufende Ausdrucke dieser Art werden bereits innerhalb der Familie, aber auch analog in der außerfarm— liären Kommunikation verwandt. Je nachdem, ob der Gesprächspartner al- ter oder jünger ist, kommt ein Vokabular zum Einsatz, das entweder gegen— über dem Großvater, dem Vater, der Mutter, dem Bruder oder aber der Schwester zu verwenden wäre. (Im volksrepublikanischen Laos experimen— tiert man z.Zt. mit einer egalisierenden Ausdruckswe1se.) Was den berufli— chen Status anbelangt, so stehen Mönche oder Beamte äußerst hoch im An— sehen, während Kaufleute in der Tradition niedr1g_emgestuft wurden. Ein laotisches Sprichwort lautet «Zehn Kaufleute Sind tllCht4$0 v1el wert Wie der Diener eines Gelehrten»”. Auch der Bauer steht in seinem Ansehen noch hoch über dem Kaufmann, wobei hinzuzufügen wäre, daß derüKaufmanns— beruf in Laos im allgemeinen von Ausländern, nämlich von Gh1nesen, In— dem oder Vietnamesen, wahrgenommen wird. (Wohlhabenhen wurde Im traditionellen Laos übrigens nach der verfügbaren Reismenge gemessen. Erst die neue Zeit bringt hier andere Maßstäbe hervor.) Um selbst hoher zu kommen, hängt man sich an einen Leitstern und schenkt seine Loyahtat nur der betreffenden Person, nicht irgendeiner Institution. Hat man Erfolg, füim der Weg schnell nach oben, verblaßt dagegen der Leitstern, so nimmt man dies wie ein Schicksal, nicht jedoch wie eigene Schuld hin. . Das tiefeingewurzelte Hierarchieverständnis erklärt im übrigen auch, Warum es in Asien fast nirgends «Geselligkeit» als gleichsam «asthet15che5