308 Asiatische Gesellschaften und Verbaltensstile heit zur Wohltätigkeit und damit zur Verbesserung des eigenen Karmas ge— geben hat. ;) Aggressionsstan: Die Kehrseite der Harmonie Eine gerade im Zusammenhang mit den Theravada—Gesellschaften häufig ge— stellte Frage lautet, wie Liebenswürdigkeit, Selbstbeherrschung und Tole, ranz vereinbar seien mit jenem «Vulkanismus», der zwar nur vereinzelt, da— für aber um so elementarer zutage tritt und der beweist, daß es unter der anscheinend so ruhigen Oberfläche heftig brodeln kann — man denke an die zahlreichen zwischen Birma, Siam und Kambodscha im Laufe der ]ahrhun_ derte geführten und mit eruptiver Brutalit'a't ausgetragenen Kriege (Vernich- tung Angkors und Brandschatzung Vientianes durch die Thai) oder aber an die prima facie etwas unverständliche Tatsache, daß das Verbrechen des Tot. schlags in dem sonst so friedlichen Birma häufiger vorkommt als in irgendei— nem anderen asiatischen Staat. Auf der Suche nach den Gründen für dieses so inkonsistente Verhalten, verweist Pye18 auf den kindlichen Sozialisierungsprozeß und wäth hierbei fast alle Schuld auf die birmanische Mutter ab, deren Verhalten dem Kind gegeniiber höchst zweispältig sei: Auf der einen Seite wende sie ihm alle mütterliche Liebe und Wärme zu, um jedoch im nächsten Augenblick wie— der «kalt, distanziert und sogar grausam neckend mit dem Kind umzuge» hen». Ständig werde das Kind so einem Wechselbad zwischen Zuneigung, Schamgefiihl und Angst ausgesetzt — Angst nicht zuletzt auch deshalb, weil es immer wieder mit den Nats (Dämonen) erschreckt werde. Im Kinde ent— stehe auf diese Weise eine Haltung permanenten Mißtrauens und ständiger Angst, die offen zur Schau zu tragen sich freilich nicht zieme. Unter einer dünnen Kruste von Sanftmut und lächelnder Höflichkeit verbörgen sich des? halb Furcht und Mißtrauen, die man durch Streben nach Macht zu kompem sieren suche. Absurde Deutungen dieser Art hätten sich vermeiden lassen, wäre das gee samtasiatische Spektrum im Visier geblieben. Kehren doch dieselben Wider— sprüche auch im chinesischen und japanischen Verhalten wieder. Wenn es um Klärung des Widerspruchs von strenger Etikette und wilder Aggressivi— tät geht, braucht man nicht unbedingt auf Fehlleistungen der birrnaniscberz Mutter zurückgreifen. Vulkanismus ist vielmehr die Kehrseite iibermäßigcr Selbstzügelung, ist eine Art Ventil für den im Inneren angestauten Uber- druck. Während Angehörige anderer Völker, man denke vor allem an die Südeuropäer, im Rahmen ihrer Verhaltenskultur ausreichend Gelegenheit haben, Spontaneität zu entfalten und erst gar keinen Aggressionsstau auf— kommen zu lassen, bleibt den meisten asiatischen Völkern, deren Verhalten von einem Maskenkodex geregelt ist, gar nichts anderes übrig, als Aggres— stonen nach innen abzulenken, m. a. W. also alles «in sich hineinzufressenm VII. Vom alltäglichen Umgang niit Asmten 309 Kein Wunder, wenn eines Tages die innere Erdung nicht mehr funktioniert und das Gewitter dann mit Vehemenz nach außen abgeleitet wird. Uberall halten zwar (im «Sicherungen» den inneren Spannungen lange Zeit stand; brennen sie aber einmal durch, so gibt es kein Halten mehr. Dies wäre übri— enS auch eine Erklärung fur die Ausschreitungen der japanischen Soldaten ign China während des Zweiten Weltkrieges“ oder aber fiir dasAmoklaufen, wie es in die so sanfte gmalausche Welt uberhaupt nicht hineinzupassen scheint, das aber beiden interkommunalen Unruhen i969 in Kuala Lumpur mit elementarer Gewalt zum Ausbruch kam. _ . ‘ 4 Damit es nicht zum Aggressumysstau kommt, smd in einigen Gesell— schaft50rdnungen subtile Blitzablener eingebaut. Spontane1_taty beispiels— weise wird frei bei der Teilnahme an Hahnenkampfwetten, beim Thaiboxen oder beim neuerdings so beliebten_l“ußball. Wer je Zaungast bei einem Hah— nenkampf war, wird über die dabei explosmnsarng zutage tretenden Tempe— ramentsausbrüche erstaunt, wenn nicht erschreckt sein. In diesem Augen— blick lernt man besser verstehen, warum ein «kühles Herz» in der Werteord— nung so hoch angesiedelt ist. 4. Körpersprache Was das physische Ausdrucksrepertoire anbelangt, so ist der Durchschnitts— asiate mit seinem Würdeideal fast so etwas wie ein Antipode zu den Afrika— nern mit ihrer lebhaften Körpersprache. Selbst die überall in Asien beheima— tete Tanzkunst beweist keineswegs das Gegenteil; denn gerade bei den Tän— zen, die zumeist religiösen Charakters sind und bei denen sich der Mensch in einen Rhythmus versetzt, der zum Einklang mit dem Göttlichen oderder Natur (Bao) oder aber mit dem Ritual (Konfuzius) führt, herrscht strikte pantomimische Gesetzmäßigkeit. Daß es einer Tänzerin erlaubt ist, zu la— cheln, hebt den thailändischen schon weit vom asiatischen Normtanz ab. Und doch gibt es auch in Asien ein reiches Vokabular an Gebärden und Si— gnalen, das sich wie ein Cantus firmus durch das asiatische Kommunika— tionsverhalten zieht und das von europäischen Gewohnheiten oft beträcht— lich abweicht. 1) Finger- und Handbewcgufigi’" Als unkultiviert, ja beleidigend gelten in ganz Asien das Deuten auf eine Per— SOn, das Herbeiwinken eines anderen mit rollendem Zeigefinger oder mit ei- nem, Zwei, drei oder vier Fingern, vom Herbeischnalzen ganz zu schwei— gen. Andererseits ist es jedoch erlaubt, auf jemanden entweder mit dem Daumen zu deuten (so in den islamischen Ländern) oder aber ihn — gleich— sam einladend — mit geöffneter Hand (jedoch aneinandergelegten Fingern)