Asiatische Gesellschaften und Verhaltensszile 320 Brahmanenfamilie ihre Herkunft zurückführt. In manchen Gegenden, z. B, in Andhra, fügen Brahmanen ihrem Namen noch den Ehrentitel «Ram hinzu. «Herr S. R. Rau» ist also auf Anhieb als Brahmane zu erkennen, stammt aus einem Ort, der mit einem «5» beginnt, und hat den Vornamen «R», vielleicht also «Ramakrishna». Unterkastenangehörige führen demg„ genüber entweder nur einen «Vornamen» oder aber in aller Regel einen 7,„- sätzlichen berufsbezeichnenden Nachnamen, z.B. «Mali Gopal» («Gärtner» + Vorname Gopal); statt «Mali» kann es auch heißen «Teli» («Ölpresser») «Lohar» («Schmied») oder «Desai» («Landrat»), bei königlichen Kasten auch «Singh» («Löwe») — welch letztere Bezeichnung auch zu jedem Sikh. Namen gehört. Die Anrede erfolgt bei den Hochkastenangehörigen mit l£'* nem Namen, den sie ausgeschrieben vorweisen, bei Unterkastcnangchörigen dagegen beim Vornamen. Ähnliche Regelungen gelten für die Angehörigen der alten südostasiati— schen Gesellschaften, wo es, nach indischem Vorbild, bis an die Schwelle des zo.jahrhunderts zumeist nur den Vornamen als «Identifikatitinsausweis„ gab, so z. B. in Thailand und Laos. Im Gegensatz zur überwältigenden Fülle von «Vornamen» im chinesi— schen und indischen Kulturbereich beschränken sich die muslimischen (ie— sellschaften auf einige bekannte Allerweltsnamen (Mohammed, Ali, Hus- sein, Hassan etc.). Der Ministerpräsident von Malaysia heißt beispielsweise Mohammed Mahathir, wobei dem Namen seit Beginn des hohen Amtes der Ehrentitel «Datuk Seri» vorgeschaltet wird. 6. Raum und Zeit als Kommunikationselemente Über die verschiedenen Raunr und Zeitbegriffe in Europa und Asien ist oben (5. 199 ff.) bereits gesprochen worden. Diese Unterschiede wirken sich auch auf die Kommunikation aus: Da ist erstens die grundverschiedene Einstellung zum Räumlichen: limpf findet der Nordeuropäer im allgemeinen ein Bedürfnis nach Abschottung «seines» Raums durch Zäune, Gartenhecken, «geräuscharme» Wände und solide Türen, ia manchmal Doppeltüren, wünscht er außerdem weite (;C‚ sprächsabstände und verabscheut er nicht zuletzt körperliche Berührungen. so ist in Asien Zusammenleben auf engstem Raum und «Offenheit» der Wohnungen die Regel, sei es nun im wohlhabendenjapan mit seinen hellhü< rigen Häusern oder im armen lndien — gar nicht zu reden von Südostasien. wo die tropischen Temperaturen ein übriges tun, um die räumlichen Distatr zen schmelzen zu lassen. Überall herrscht hier drangvolle Enge, nirgend$ gibt es «privaten Raum», und Isolation ist hier ein Fremdwort. Mit zuneh» mender Enge wächst die soziale Kontrolle und der Bedarf an gegenseitigcf Rücksichtnahme. Der «einsame alte Mensch» ist hier eine extreme Ausnah— VII. Vom alltäglichen Umgang mit Asiaten }} 1 meer50hein.ung’ andererseits gibt es aber auch keine Rückzugsmöglichkeiten in eine «prlv8t€ Sphare». Ein zweiter fundamentaler Verhaltensunterschied ergibt sich aus einem grundlegend verschiedenen Ze1tverstandms;, insofern der Nordeuropäer nämlich, um hier einen Ausdruck von Hall zu benutzen, ein «Zeiteintei— ler», der Durchschn1ttsasiate dagegen ein «Zenzerteiler» ist. Der Deutsche neigt dazu, sein Pensum in sukzessweAbschmtte aufzuteilen und es Schritt fü,- Schritt zu erledigen; er geht hierbei, Wie man sagt, «in seiner Arbeit auf» und fühlt sich durch Besucher aller Art schnell gestört. Asiaten dagegen ha— ben selten etwas gegen Unterbrechung ihrer Arbeit einzuwenden. Für sie ist Kommunikation und Beziehungspflege wichtiger als die Erledigung dieser oder jener Teilarbeit. Sie leben inmitten dichtgeknüpfter Informationsnetze und sind deshalb auch wesentlich besser über Hintergründe ihrer Umwelt informiert als Deutsche. Überall hat in Asien das Zwischenmenschliche «Vorfahrt» — was zählen demgegenüber Tagesordnungen und Pläne? Nicht zuletzt deshalb sind stundenlange Arbeitsessen, bei denen man zweckmäßb gerweise nicht über Geschäfte spricht, von großer Bedeutung. Hier ist man Mensch, hier darf man’s sein, und hier auch soll man sich persönlich schät— zenlernen. Menschliche und nicht etwa Funktionsbeziehungen gelten über— all als Salz gesellschaftlichen Verhaltens. Das unterschiedliche Zeitgefühl äußert sich übrigens nicht nur darin, daß man in Asien mehr Zeit für einander hat, sondern es kommt auch in einer anderen kommunikativen Dimension, nämlich in der Kunst, zum Ausdruck - sei es nun in der Malerei (man denke an den ostasiatischen «Eineckstil»), an die ewig fortlaufenden Skulpturenfriese des Buddhismus, an die endlosen Kalligraphien des Islam oder aber an die Musik: Balinesische oder javanische Gamelan—Musik oder aber indische Ragas scheinen die Zeit stillstehen zu lassen. Hier gibt es kein Voranschreiten im Andante oder Allegro, sondern ein häufiges meditatives Verweilen bei einem einzigen Ton. Sich nie von der Uhr versklaven lassen „ dies ist ebenfalls ein Stück asiatischer Lebensphi— losophie.