I. Wertesystem und politische Kultur besitzen keinen Ewigkeitscharakter Werte sind geschichtlich gewachsene Vorstellungen von dem, was die Mehr— heit einer Gesellschaft als «normal» und als wünschenswert empfindet. Als historische Erscheinungen sind sie einem dauernden Wandel unterworfen, 50 daß die Frage hier nicht sein kann, ob die überkommenen asiatischen Vor— ste]1ungen sich verwestlichen müssen, sondern Vielmehr wie schnell hier eine Annäherung geschieht und vor allem wie sich diese Anpassung vollzieht. r. Die Frage nach der Geschwindigkeit des Kulturwandels Die Suche nach Bewahrung der nationalen, gesellschaftlichen und soziokul— turellen Eigenart ist, wie bisherige Erfahrungen in der Dritten Welt zeigen, zumeist brisanter und politischer als etwa die Auseinandersetzung um den objektiv ganz gewiß nicht weniger wichtigen Kurs des Wirtschaftsaufbaus. Auch die asiatischen Gesellschaften stehen heute vor der Frage, wie sie die schwierige Wegstrecke zwischen den beiden Polen Tradition und Moderne am besten ansteuern. Sollen sie sich am Anker der Vergangenheit festketten oder den Hals—über-Kopf—Sprung in die Moderne wagen, oder sollte am Ende nicht ein mittlerer Kurs ratsamer sein? Für alle drei Varianten gibt es inzwischen Schulbeispiele. Wer, wie der Birmane U Nu, die Moderne zu— gunsten der Tradition auszuschließen versucht, läßt sein land hoffnungslos in Rückstand geraten; wer andererseits die Tradition ausradieren will und al— les auf die Karte der Modernität setzt, wie das ehemalige Schah—Regime in Persien oder aber der Maoismus in China, muß riskieren, daß die Vergan— genheit ihn schnell wieder einholt. Noch immer gilt: je identitätsgefährde— ter, desto rückfallträchtiger! Reaktionen können sich in extrem linker oder extrem rechter Form äußern, sie können aber, sobald sie sich etwas abge— kühlt haben, auch als Reformimpuls wirken: so in China nach Mao! Drei Überlegungen sprechen dafür, daß in Asien heute der Mittelweg be— schritten und daß dabei eher ein Schnecken— als ein Eiltempo eingeschlagen wird.