Y 326 Wertewandel oder Werteeinbrucb? a) Extreme Widerstandsfäbig/eeir der Traditionen Jedes Land und jeder Kulturkreis entfaltet unterschiedliche Selbsterhal_ tungskräfte, die, so möchte man spontan meinen, vom jeweiligen Alter der Tradition, von der Größe des Territoriums und von der Exponiertheir ge- genüber dem Westen abhängen. Bei näherem Hinsehen zeigen sich allerdings durchaus andere Ergebnisse. So scheint z.B. das Alter der Tradition wenig Einfluß auf die Widen standsfähigkeit zu haben. Indien und China hatten beide eine rund 4000 Jahre lange kontinuierliche Tradition hinter sich, ehe sie dem Westen «be— gegneten», und doch konnte Indien von den Briten verhältnismäßig leicht in Besitz genommen werden, während China, das doch in den letzten Jahren der Mandschu—Dynastie nicht weniger hinfällig zu sein schien als Indien am Ende der Moghulzeit, sich als höchst widerborstig erwies. Allerdings gilt dieser Unterschied nur für die Politik, nicht jedoch für die Kultur; hier er— wiesen sich beide als gleichermaßen souverän. Auch die Größe des Territoriums sagt nicht unbedingt etwas über die Abwehrfähigkeit aus. Zwar liegt es auf der Hand, daß kleine Gebiete wie Ceylon, Malaysia, Kambodscha oder Laos leichter zu durchdringen waren als Riesengebiete vom Ausmaß Indonesiens, Indiens oder Chinas. Doch ge— nügte bei diesen Mammutterritorien oft schon eine Teilbesetzung, um das Ganze unter Kontrolle zu bringen. So konzentrierten sich z.B. die Nieder— länder fast 300 Jahre lang nur aufJava und begannen erst im späten 19.Jahr— hundert auch den «Rest» des indonesischen Archipels unter koloniale Vorherrschaft zu bringen. Kulturell freilich blieb sich das am längsten be— herrschte Gebiet, nämlich Java, am treuesten. Auch bei der Frage, wie lange ein Land der fremden Kultur ausgesetzt ist, erlebt man Überraschungen. So waren beispielsweise Ceylon, Java und In— dien besonders lange Zeit kolonial beherrscht gewesen und haben trotzdem ihre Eigenart viel weniger verloren als andere nur kurzzeitig kolonisierte Gebiete wie Singapur oder die so rasch christianisierten malaiischen und in- dochinesischen Randkulturen. Für die Fähigkeit, die Identität zu bewahren, müssen also andere Faktoren ausschlaggebend sein als das Alter der Tradition, die Größe des Territoriums oder aber die Dauer der Kolonialherrschaft. Man muß hier auf innere Struk— turen achten, nämlich auf den Zusammenhalt der Gruppen an der Basis, auf die Effizienz der zentralen Kontrolle und auf die Gemeinsamkeit der Werte, wobei die beiden ersten Mechanismen eher der Abwehr politischer Beherr— schung, die Wertegemeinsamkeit dagegen der Verteidigung gegen Einbrüche ins soziokulturelle System dienlich sind. So gesehen verwundert es nicht weiter, daß die säkular orientierten Kulturen mit homogener Bevölkerung vor allem Korea, China und Vietnam, den kolonialen Übergriffen weitaus besser standhalten konnten als sakral ausgerichtete Gesellschaften mit hete— I, Wertesyxtem undpolitiscbe Kultur 327 l.ogener Bevölkerung, _wie z.B. Indien, Ceylon, Laos, Kambodscha oder Birma. Allerdings ist hier erneut zu betonen, daß aueh die kolonisierten Völ— ker letztlich nur ihre politische Unabhangigkeit,_ nicht dagegen ihr Werte- System verloren haben — zumindest nicht durch die Kolonialherrsch3ft: Was in Jahrhunderten oder Jahrtausenden gewachsen ist, kann nicht von einem auf den anderen Tag verschw1nden. b) Die Instrumentalisiemng von Traditionen als ihre Chance Vor allem die drei Indochinastaaten liefern ein Musterbeispiel dafür, wie ge— fährlich es ist, mit der Tradition auf Konfrontat10n5kurs zu gehen, und Wie verhältnismäßig reibungslos andererseits gew155e Ziele durchsetzbar wer— den, wenn man die Tradition vor den Wagen der eigenen Vorstellungen spannt. Was es heißt, die gesamte Vergangenheit ausrad1eren und dem Neuen durch völlige Zerstörung des Alten zur Geburt verhelfen zu wollen, haben die Roten Khmer erfahren müssen. Der passwe Widerstand der Be— völkerung war so stark, daß eine Rückkehr der Khmers Rouges an die Macht überhaupt nur Hand in Hand mit buddhistischen Wertvorstellungen erfolgen könnte. Wie leicht andererseits neue Ziele im Gewande alter Vorstellungen zu rea— lisieren sind, haben die kommunistischen Pathet Lao demonstriert, deren «synkretistischem» Geschick es gelang, der Bevölkerung lange Zeit marx15n— sche Denkweisen im Gewande buddhistischer Begriffe zu «verkaufen». Der traditionelle Begriff «kaona», der in der Tradition so viel Wie geistige Er— bauung bedeutet, wurde z.B. für die Verinnerlichung von Partei— und Regie— rungsparolen instrumentalisiert. «Sati», früher gleichbedeutend mit Mech— tation, wurde von den Kommunisten zur «revoluuonarenWachsamke1t» umgedeutet, und sogar der Zentralbegriff «Karma» erhielt eine neue _5chat— tierung, insofern nämlich den München unter dem Siegel des «Verdienste— sammelns» soziale Aufgaben als Krankenpfleger oder_Gartner zugewiesen wurden. Der Pathet Lao versäumte auch nicht, auf die Ahnlichkeit zw1schen dem Sangha und der LRVP (Laotischen Revolutionären Volkspartei) hinzu- weisen: Beide seien Hüter der «Wahrheit» — hier des Buddhismus, dort des Leninismus; beide hätten eine Hierarchie unabhängig von den Regierungs— institutionen aufgebaut — hier vom Königshaus und der Aristokrat1e, dort von der Regierung in Vientiane und ihrer Bürokratie. Beide auch hatten Sich unmittelbare Verdienste um die laotische Gesellschaftsbasrs erworben, wo— bei allerdings die LRVP insofern erfolgreicher gewesen sei, als sie auch die Minoritäten in die gemeinsame Sache habe mit embez1ehen konnen. Man mag über solche Gleichsetzungen von Berufsrevolunonaren und Be— 1”llfskonservativen sowie von Klassenkämpfern und Toleranzvertretern die Nase rümpfen. Tatsache bleibt am Ende, daß selbst kommumst15chel’ar— teien es für nötig halten, mit dem Buddhismus Kompromisse zu schließen