3 2 8 Wertewana'el oder Werteeinbrucb? und sich manchmal sogar seiner Wortregelungen und seiner Rituale zu be- dienen‘. Auch die Regierung der VR Kampuchea, deren führende Mitglieder früher mehrheitlich dem Khmer Rouge angehört hatten, untermauern ihren Legitimitätsanspruch seit 1979 u.a. durch Förderung des Buddhismuf. Ebenso haben es die birmanischen Kommunisten eine Zeitlang verstan_ den, marxistische Inhalte in buddhistische Terminologie zu kleiden. «Klas. senlose Gesellschaft» beispielsweise wurde mit einem Begriff wiedergegd ben, der dem traditionellen innerweltlichen Nirvana entspricht; «Streik» wurde gleichgesetzt mit einem Terminus, der so viel wie «Umdrehen der Reisschale» bedeutet, d.h. die Weigerung eines Mönches, von einem be— stimmten Laien Gaben anzunehmen3. Der Marxismus erscheint in den Darstellungen linker birmanischer Ideologen als «niedere Wahrheit» des Buddhismus, die einem durchaus religiösen Anliegen diene, nämlich der Be- reitstellung irdischer Güter, auf die gestützt es dem meditationswilligen Gläubigen möglich sei, sich nun ganz höheren Zielen zu widmen: Marxis— mus sozusagen also als Bestandteil des «Ashoka—Laienbuddhismus»! Auch die vietnamesischen Kommunisten verstanden es, traditionelle Vorstellun- gen für ihre Zwecke nutzbar zu machen. Ho Chi Minh beispielsweise prä— sentierte sich den Bauern als Vollzieher des «tianming», d.h. des «Himmels— auftrags». Ferner wurden die neuen Genossenschaften, wie Paul Mus in sei— ner «Sociologie d’une guerre» m:.hweist, als organisatorische Fortsetzung jener traditionellen Dorfgemeinde hingestellt, die immer schon um die Kult— stätte des Dorfgottes herum angesiedelt war. Die Kader erschienen als Ver— treter von Geheimgesellschaften, die im Laufe der ]ahrhunderte immer wieder zu Führern gerechtigkeitssuchender bäuerlicher Protestbewegungen gegen das Mandarinat geworden waren. Sollten sich ferner die drei traditio— nellen Sehnsüchte nach «langem Leben, Glück und Reichtum» nicht am wir— kungsvollsten mit Hilfe sozialistischer Methoden erreichen lassen? In Birma sowie im theravadabuddhistischen Ceylon traten Staatsminner wie U Nu und Solomon Bandaranaike als Verkörperungen des (künftigen) Buddha Maitreya auf. In Indonesien wurde verschiedene Male der Ram— adil-Mythos neubelebt (Ratu = König, adil = gerecht). Unter der Herr— schaft des «Gerechten Königs» werde Milch und Honig fließen. Alles ge- schehe unter seiner Herrschaft gleichsam von selbst. Er brauche seine Stimme nicht zu erheben, um sich Gehör zu verschaffen. Von ihm gehe der «sanfte Befehl» aus, dem alles «Grobe» abgehe“. Hier, in der Königsidee, finden sich zwei javanische Grundbegriffe wieder, nämlich «alus» (sanft, ele— gant, höflich, einfühlsam, unaufdringlich) und «kasar» (grob im Sinne von Disharmonie, Unausgeglichenheit, Haßlichkeit und mangelnder Selbstkon— trolle). Eine königliche Gestalt wie der edle Arjuna ist, nach Magnis-SU- sen05, «dermaßen alus . . . und von innerer Kraft erfüllt», daß die Riesen, die im Schattenspiel vor ihm herumtoben, sich die Haare ausraufen, Erde fres- sen und Purzelbäume schlagen, keinen Augenblick an ihn herankommell Y ]. Wertesystem und politische K„1„„‚ 329 Mit einer gleichsam verächtlich geworfenen B€Wegung seines Armes stößt « schließlich einen Dolch in den Riesen.» . “Als «alus—hafte» Verkörperung eines «gerechten Königs» verstand Sich h Ahmed Sukarno: Freilich sorgte er nicht für Milch und Honig, sondern auc rließ eine in allen Fugen ächzende ert5€baft. Audi moderne Cartoons g:;gezeitgeschichtliche Denkmale in Indonesien verwenden bei jeder sich nur . „den Gelegenheit traditionelle Symbole, vor allem aus dem reichen gf;2us des Wayang-Schattenspiels, um so in dfn Kopfen der Bauernbevöl— kerung Legitimitätszust1mmung hervorzurufen . d k “ . Wo selbst die als Vorkämpfer des I‘ortschritts auftreten en ommumst1— schen und nationalistischen Parteien nicht ohne die alten Symbole auskom— men zu können glauben, besitzt die Tradition offensichtlich Lebenskraft! c) Umwscbiea'licbes Wandlungstempo beiprimdren und sekundären Werfen Besonders bei politisch geteilten Kulturnationen wie den beiden Koreas oder den beiden Chinas wird deutlich, daß Sich innerhalb weniger ]ahrzehnte zwar differierende «Sekundärwerte» herausentwmkeln konnen, daß die «primären» Werte jedoch von der Spaltung nahezu unberuhrt bleiben. [In Korea beispielsweise lassen sich bei den «sekundaren» Maßstabendre1er ei Sonderentwicklungen feststellen: Der Legmm1tatsbewms Wird in 5udkorea mit der wirtschaftlichen Leistungsbilanz, in Nordkorea dagegen mit dem «koreanischen» Identitätserfolg im Zeichen des «Chuche» (Izigeiistand1g— keitskurs) angetreten. Was die Verteilung des Erarbe1teten anbelangt,;o er— folgt sie in Südkorea nach Leistungs—, in Nordkorea dagegen Cher.rffii' ßelga}; litären und politischen Gesichtspunkten. DieMachtnaehfolge se ie. ich wird in Südkorea, sieht man einmal von den Zeiten der Militarherrschaft a , eher im Zeichen des Contrat—social»Denkens, in Nordkorea dagegen nach marxistisch verbr'aimten «Himmelsmandats»—Kriter1en geregelt. Lenkt man das Auge nun auf die «primären Werte», die den Kern des (ge— samt—)koreanischen Volkscharakters ausmachen, so haben SlCl’r St.lt 19Aiig keine wesentlichen Verschiebungen ergeben — man denke an das Kibun (« dt— m0$phäre» — ein Zentralbegriff der koreanischen Verhaltenslehre), anp ic nun schon mehrere Male erwähnte «Schamkultur», an den emotionalen er— sonalismus (der Durchschnittskoreaner zeigt\ eher offene Zuneagurgg otäer ist schneller zu begeistern als ein ]apaner oder _(.hmese, er fahrt;e oc an erer seits auch schneller aus der Haut) sowiemcht zuletzt an die hochst ausge— Pfägte Sprache und an die künstlerische Überlieferung. Zu dgn Pl;lmäritrfjk— turen, die sich in ihrer kulturspezifischen Eigenart ferner angc zu a ten Pflegen, gehören darüber hinaus das Raumn Zeit—, Konfhkt— und Kärnmu- nikationsverständnis. Umgekehrt pflegen SlCl'l dorfhche Braäck tumer schnell zu verflüchtigen, sobald sie mit städtischen Milieus in Ron i t gera— ten.