* 330 Wertewandel 0d87 Werteeinbruch? 2. Das «Wie» des Kulturwandels Der Wertewandel vollzieht sich heutzutage vor allem in den modernen Schu— len und in den Streitkräften, nicht zuletzt auch im Umgang mit westlichem Fernsehen sowie mit moderner Technologie. Nur einen marginalen Einfluß andererseits hat der so häufig gescholtene Massentourismus, dessen Nutzen und Schaden sich in einem Satz zusammenfassen lassen: Er bringt Devisen (allerdings, da auch das Ausland mitverdient, lediglich mit einer Sickerrate), schafft Arbeitsplätze und trägt zur Erhaltung «sehenswerter» Traditionen bei, er fördert aber andererseits auch Bettelei, Prostitution und Kriminalität, läßt auf kleinstem Raum das Nord—Süd—Gefälle spürbar werden, stellt unge- wollt einheimische Sittenvorstellungen in Frage und trägt dazu bei, die Viel— falt altehrwürdiger Traditionen fotogerecht auf Nippesformat zu reduzieren. Mit alledem berührt er freilich nur Randzonen. Zentraler Ansatzpunkt für den Wandel von unten wäre theoretisch der Schulunterricht. Hier freilich zeigen sich überall Tendenzen zur Selbst— und damit Rückbesinnung, vor allem in den metakonfuzianischen Ländern, Wo etwa ein Drittel des Unterrichts auf Lehrfächer entfällt, die zwar mit so ver— schiedenen Überschriften wie «Gemeinschaftskunde», «Ethik», «Religion», «Gesellschaftswissenschaft» o. a. versehen sind, die aber alle mehr oder we— niger auf dasselbe hinauslaufen, nämlich auf eine subtile Vergangenheitsbe— schwörung. Es wird auch nach wie vor viel auswendig gelernt, vor allem Traditionsstoff. Auf der Fahrt in die Moderne legen die meisten asiatischen Gesellschaften also nur einen niedrigen Gang ein und drücken häufig auf die Bremse. 3. Der inhaltliche Wandel In der Auseinandersetzung mit der europäischen Herausforderung wurde die Geschichte der asiatischen Kultur zu einem Selbsterfahrungsprozeß, der zwischen Verwestlichung und Rückkehr zur eigenen Tradition verläuft. Die daraus hervorgehende «Verschichtung» ist unter II. zu beschreiben. II. Kulturwandel in Richtung «Verschichtung» Bereits unter dem Stichwort «Grundbedürfnisstraregie» (S. 173 ff_) wurde ausgeführt, daß es Ziel jeder wirklich echten «Entw1cklung» sein müsse, die Europa-Schablone zu vermeiden und autochthone Anpassungslösungen hervorzubringen. Da die bodenständ1gen Traditionen auf absehbare Zeit wohl kaum verschwinden (selbst im hochtechnisierten Europa gibt es ja be— kanntlich noch zahlreiche kulturelle Schattierungen), kommt es voraussicht— lich eher zu einem Verschichtungs— als zu einem Verschmelzungsprozeß. «Verschmelzung» läuft auf ein Entweder-Oder hinaus, bei dem Alt und Neu im Sinne eines Systemziels gleichermaßen umgeformt werden, während bei der «Verschichtung» das Sowohl—Als—auch dominiert — mit der Folge, daß die einzelnen Traditionen oft unvermittelt übereinander eingebaut werden und in dieser Zusammensetzung nicht unbedingt «logisch» wirken. Die Ver— schichtungsmethode hat vor allem im Zeichen des Hinduismus eine uralte Geschichte, in deren Verlauf sich Tradition auf Tradition stapelte, ohne daß je etwas verlorenging oder als «überholt» betrachtet wurde. Als Folge der Übernahme hinduistischer Vorbilder haben sich auch in Südostasien ähn- liche Verschichtungsgewohnheiten durchsetzen können. Weitaus weniger «verschichtungsfreundlich» sind die konfuzianischen Kulturen: Die Mandschuren, die China von 1644 bis 191 1 beherrscht haben, mußten diese Dominanz mit einem hohen Preis zahlen, nämlich mit dem Verlust ihrer völkischen Identität. Wie sehr die heute rund 2,6 Millionen Mandschuren «han-isiert» worden sind, zeigte sich bei einem «Kongreß zur Rettung der mandschurischen Sprache» im Oktober 1981, der feststellen mußte, daß in ganz China nur noch neun Personen das Mandschurrsche be- herrschen7. Demgegenüber wurden die Minderheiten in Südosta51en oder Indien nicht «verschmolzen», sondern lediglich «verschichtet», d.h. in ihrer soziokulturellen Identität belassen. Die hier im Hinblick auf China gemachte Verschmelzungsaussage muß freilich nicht bedeuten, daß China nicht auch zur «Verschichtung» fähig Wäre. In welcher Richtung dies geschehen kann, soll anhand einiger Südost— asiatischer Beispiele illustriert werden: _ Religions—Verschichtung: Ein Besuch im buddhistischen Wat Po m Bang— k0k zeigt in für einen europäischen Besucher höchst eindrucksvoller «[In— SChuld» die völlig unproblematische Koexistenz von Buddhaf1guren, hm— duistischen Lingas, Geisterhäuschen und Wahrsagemst1tutionen. In Birma Wird die Hochreligion des Buddhismus mit den vorbuddh15nschen_ Nat— Kulturen in «arbeitsteiliger» Weise zusammengewürfelt: Um ms Nirvana