332 Werlewandel oder Werteeinbmcb? einzugehen, muß man Wohltaten üben, zu denen man freilich wiederum „„ imstande ist, wenn man über genügend freie Mittel verfügt. Warum hier nicht die Nats um Wohlstandsbeihilfe bitten! Zu mühelosen Verschichtun_ gen kommt es auch im Hinduismus, dem ja bekanntlich sämtliche Religh‚- nen als Heilswege geeignet erscheinen, wenngleich er zwischen höheren und etwas schlichteren Wegen unterscheidet. Sogar die monotheistischste aller Religionen, der Islam, mußte sich in Südostasien animistisch—hinduistisehc Hinzufügungen gefallen lassen. Man bekennt sich zwar zu Allah als dem einzigen Gott, läßt sich dadurch aber keineswegs davon abhalten, auch den Geistern der Türpfosten, der Bäume, Seen oder Berge Opfer zu bringen. Man leistet zwar die fünf täglichen Andachtsübungen, verfällt dabei aber gerne in mantra—ähnliche Gebetsiibungen. Ein Höhepunkt synkretistischer Entwicklungen wurde bei den zwei neuen Religionen Südvietnams, dem Cao Dai und dem Hoa Hao, erreicht. Die 1926 gegründete Cao—Dai—Reli— gion ist Sammelbecken fast aller wichtigen in Asien heimischen Religionen und Nationalmythen: Hier geben sich die Heroen Vietnams, aber auch Kon- fuzius, Lao Zi, der Katholizismus und der Buddhismus die Hand. Die An— hänger der Hoa—Hao—Bewegung unterscheiden sich von den Caodaiistm durch ihren eher «protestantischen» Charakter: Sie lehnen aufwendige Tem— pelkulte und —bauten, Kirchenbürokratie und byzantinische Zeremonien ab_ Das einzige, was für sie zählt, ist verinnerlichter Glaube. Im Gegensatz zum Caodaiismus opfern sie auch nicht den Geistern, wohl aber dem Buddha, den Ahnen und den Nationalhelden. Selbst hier gibt es also ein vielfältiges Neben— und Ubereinander. Soziale Verschichtung: Klassisches Beispiel hierfür ist das durchaus kon— fliktgeladene Nebeneinander von «Communities» in Rangun, Singapur, Bangkok, Phnom Penh und Manila — gar nicht zu reden von Malaysia. Ne ben den bäuerlich wirkenden Kampongs der Bumiputra gibt es dort die Chi- natowns mit ihrer drangvollen Enge und ruhelosen Geschäftigkeit sowie die indischen Viertel mit ihren von grellbunten Götterfiguren überwachsencn und von Weihrauch umkräuselten Tempelgebirgen. Auch in der Lebens weise gibt es ein scharf abgestuftes Nebeneinander, vor allem zwischen den drei Communities in Malaysia (dazu S.85f.). Von Furnival wurde dieser Tatbestand mit dem etwas unglücklichen Ausdruck «plural societv» um— schrieben — unglücklich deshalb, weil es sich lediglich um eine Pluralität von Communities, keineswegs jedoch, wie es der Begriff assoziiert, um eine plu— ralistische Gesellschaft handelt. Besonders kraß zeigte sich die Verschieb— tung im alten Phnom Penh, wo es französische, vietnamesische, indische und autochthone Khmer—Viertel gab und wo auch zahlreiche Ladenaule schriften viersprachig gehalten waren — ein Tatbestand, der von den Khmer5 Rouges als unzumutbar betrachtet und durch Liquidierung der Ausländer (Vor allem der Auslandsvietnamesen) in brutaler Form beseitigt wurde — SChr zum Schaden Kambodschas, wie sich bald herausstellte; denn Verschichtung II. Kulturwandel in Richtung « Verschicbtung» 33} ist ein kulturgeschichtlich gesehen «natürliches» Phänomen in Südostasien, dessen Beseitigung nur zu «unnatürhchen» Konsequenzen führen kann. Als weiteres Beispiel eines unvermittelten Nebeneinander sei hier die friedliche, aber keineswegs juristisch befriedigende Koexistenz von Shariah und Adat erwähnt, Wie Sie oben (S. 119f.) beschrieben wurde. Verschichtung in der Politik: Als Beispiele seien hier NASAKONL ASEAN und ZOPFAN angeführt: NASAKOM war ein Konzept Sukarnos, in dem drei auf den ersten Blick miteinander unvereinbare politische Rich- tungen, nämlich Nationalismus, Islam («Sarekat») und Kommunismus, miteinander verquickt wurden. ASEAN sollte fünf (später sechs) südostasia— tische Staaten, die z.T. keinerlei historische Gemeinsamkeiten aufweisen können, zu einem Regionalbiindnis zusammenschweißen — und hat diese Aufgabe bisher in überraschend harmonischer Weise gelöst. ZOPFAN schließlich soll alle zehn Staaten Südostasiens im Zeichen des Dreiklangs Kooperation, Neutralität und Neutralisierung durch die Großmächte zu ei- ner Ai't «Super-Österreich» in Südostasien zusammenschweißen — und dies bei Staaten, von denen drei marxistisch, sechs aber prononciert antimarxi— stisch ausgerichtet sind! Kein Zweifel gleichwohl, daß dieser (1967 entwor- fene) Regionalisierungsplan — unter der einen oder anderen Bezeichnung — eines Tages Gestalt annehmen wird. Eine echt «südostasiatische Lösung» schlug das malaysische Außenmini- sterium am 9.April 1985 für die Lösung der Kambodscha-Frage vor. Da die beiden einander auf dem Schlachtfeld bekämpfenden Rivalen damals nicht zusammenkommen konnten (weil sie sich sonst gegenseitig anerkannt hätten), trotzdem aber zusammenkommen mußten (weil dem Leid der Be— völkerung ein Ende gesetzt werden sollte), brachte Kuala Lumpur einen ty— pischen Sowohl-als—auch—Vorschlag, der unter der Bezeichnung «Proximity Meeting» («Beinahe—Treffen») stand. Die Gegner sollten sich zwar an einem bestimmten Ort in Asien zu Gesprächen treffen, jedoch nicht am selben Tisch, sondern in einander benachbarten Räumen, wobei ein neutraler Ver- mittler die Boten— und Moderatorenfunktion übernehmen sollte. Beide Sei— ten sollten also zusammenkommen und doch nicht «zusammenkommen», miteinander sprechen und doch nicht «miteinander sprechen»? Hier zeigte Sich erneut, daß ein «Entweder—Oder» dem südostasiatischen Denken fremd ist. Verschichtung in der Kunst: Auch hier gibt es, wie bereits oben beim Wat— PO—Beispiel angedeutet, schier unerschöpfliche Kombinationsmöglichkei— ten. Besonders charakteristisch der indonesische Batik, der eigentlich islami- SChen Ursprungs ist, in dem sich aber neben der abstrakten Musterung zu— nehmend auch hinduistische Motive (Garudas, Königsgestalten aus dem Wayang, traditioneller Lebensbaum) breitgemacht haben. Weitere Beispiele Smd der Sultanspalast in jogjakarta oder der Regierungspalast in Kuala Lum- pur — jeder für sich ein Sammelsurium verschiedenster Stileinflüsse.